Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Capitel.

Das politische Wetter.

Herr Zipfel war eine seinem üblichen Berufscharakter entsprechende bewegliche Figur. Er liebte die laufende Zeitgeschichte. Wenn er zu Kunden kam, die schon die Morgenzeitung gelesen hatten, so erfuhr er von ihnen, was er Denen mittheilen konnte, die nur die Abendzeitungen gelesen hatten. Manche Irrthümer der Nachmittagspresse war er schon im Stande, durch die Morgenpresse zu berichtigen. Viele Thatsachen aber schöpfte er aus Quellen, die nur seinem Scheermesser zugänglich waren. Sein frühbesuchtes Atelier, seine zeitigen Ausgänge über die Straße, seine Besuche von Haus zu Haus bei Kunden, die zuweilen den Begebenheiten nahe standen, trugen ihm immer einen reichen Schatz von Notizen ein. Er konnte schon jeden Morgen ungefähr die politische Witterung des Tages angeben. Manches, was den Abend eintraf, sagte er schon am Morgen voraus. Ebenso oft aber irrte er sich auch und mit der Vergrößerung geringfügiger Dinge nahm er es nicht zu genau. Es verschlug ihm wenig, bei einer kleinen Arbeiterstreitigkeit die auf dem Schlachtfelde gebliebenen Flaschen für Menschen zu nehmen und ohne Weitres von einem Dutzend Todter und einigen Dreißig höchst gefährlich Verwundeten zu sprechen. Es war nicht gut für die auswärtige Presse, daß Zipfel auch einige ihrer Berichterstatter rasirte. Sie benutzten ihn für ihre Mittheilungen fleißiger, als die Glaubwürdigkeit jener Zeitungen hätte sollen wünschen lassen.

Nach einer freundlichen Begrüßung des so lange erst im Harz abwesend und dann kaum zurückgekehrt wieder verschwundenen Herrn Referendars Dankmar, machte sich Zipfel daran, erst Siegbert von den Haaren zu befreien, die nicht zu seinem schönen blonddurchsichtigen Barte gehören sollten.

Auf ein einfaches: Nun, Zipfel, wie steht's? das ihm aus der Aula zugerufen wurde, sagte er, den Schaum schlagend, mit ruhiger Miene, als wenn er von etwas sehr Gleichgültigem spräche:

Der Telegraph spielt!

Zipfel wollte damit sagen: Im Werke ist irgend etwas und in ein paar Stunden wird man's wol erfahren.

Dankmar aber, der sich anzuziehen begann, wollte etwas von einheimischen Dingen erfahren und fragte, ob Alles ruhig wäre?

Alles ruhig! sagte Zipfel mit einer Miene, als wollte er ausdrücken: Es ist die Windstille vor dem Sturme! Im Grunde aber hätt' er doch lieber gehabt, es wäre schon sogleich irgendwo wieder zu einem »bedauerlichen« Conflicte gekommen.. Mit den letzten stürmischen Aufregungen der Zeit hatte sich die Phantasie ganzer Bewohnerklassen großer Städte und des flachen Landes daran gewöhnt, jeden Tag mit Gier etwas Neues aufzuschlürfen. Das Bedürfniß nach starken Anregungen dieser Art war so allgemein, daß man die Beruhigung gewiß sehr langweilig gefunden hätte, wäre sie nicht für eine kurze Erholung des Handels und der Gewerbe so dringend nöthig gewesen.

Als Zipfel das Messer geschärft und an Siegbert's Kinn gesetzt hatte, sagte er:

Alles ruhig, aber oben wackeln sie doch!

Wackeln sie? fragte Dankmar und trat auf seine leichten Firnißstiefeln auf. Sie meinen die Köpfe der Minister, Zipfel?

Um Gotteswillen, sagte Zipfel, machen Sie mir keine Blutgedanken, mein Messer ist scharf! Die Köpfe oben haben die Gefahr überstanden. Das ist vorüber. Aber die Anstellungen! Die Anstellungen! Die mein' ich, die wackeln schon einmal wieder!

Wer soll denn nun an's Ruder kommen, Zipfel? fragte Dankmar. Ich habe eine Ewigkeit keine Zeitungen gelesen.

Reubund! Reubund! Alles jetzt Reubund! sagte Zipfel. Fix und fertig! In ein Tager Vierzehn stehen wir wieder auf Anno Toback! Die Errungenschaften werden zurückgenommen! Es ist Alles Schwärmerei gewesen!

Glauben Sie doch Das nicht, liebster Zipfel! sagte Siegbert und wischte sich die Seife von den Wangen, nahm Wasser, Handtuch und reinigte sich. Ein Ministerium aus diesen Elementen kann sich noch nicht halten. Es wäre zu offen, zu ehrlich in seinem Wahnsinn. Erst müssen noch einige Lügner kommen, die mit Phrasen um sich werfen und die Brücke für Das bauen, was dann vielleicht kommen soll. Eher vermuth' ich, daß man einige Beamte und Offiziere wählen wird, die durch ihr äußeres Auftreten die Regierungsgewalt wieder sollen kräftig und nachdrücklich erscheinen lassen. So erzählt' es gestern Professor Lüders, der das große Empfangsbild vom Prinzen Ottokar malt. Ich mag den Mann nicht; aber er sitzt jetzt an der Quelle oder die Quellen sitzen vielmehr ihm.

Zipfel wusch sich die Hände, um zu Dankmar's viel verwilderteren Wangen und seinem kräftigeren Kinn überzugehen.

Er wiederholte sich dabei im Stillen:

Professor Lüders – Empfangsbild – Prinz Ottokar – sitzende Quellen – nachdrückliche Regierungsgewalt – Beamte und Offiziere...

Er hatte damit einen ungemein ausgiebigen Stoff, der für die ganze Krisis und Windstille ausreichte. Es war Logik, Zusammenhang und feine Combination in diesen Kettengliedern. Um sich die Schlußfolge recht einzuprägen, ergriff er auch bei Dankmarn Anfangs einen Gegenstand, der ihn weniger zerstreute. Er drückte ihm sein Erstaunen über den verwilderten Bart aus, behauptete, die Winkel am Munde wären viel zu sehr überwachsen, auch der Kinnbart hätte sich schon zu hoch über die Wange hin verloren. Dankmar überließ seinem Geschmacke, ihn wieder nach der üblichen Mode umzuformen. Während Zipfel fast wie ein Maler mit dem weißen schaumbestrichnen Finger die Conturen am Barte zeichnete, die er mit dem Messer verfolgen wollte, sagte Dankmar:

Zipfel, lassen Sie sich von meinem Bruder nichts aufreden! Der ist wie alle Künstler ein halber Reactionair! Mit unsern Errungenschaften stehen wir doch zuletzt fester, als die Reubündler glauben. Ich will Ihnen auch sagen warum? Die Revolution hat leider den Staat jetzt noch theurer gemacht, als er sonst schon war –

Wirklich! unterbrach Zipfel. Sehen Sie 'mal an! Wirklich theurer? Gestern bekamen wir Alle in meiner Nachbarschaft Zettel zugeschickt, wo Das auch gesagt war und jeder rechtschaffene Bürger wurde aufgefodert, bei den Wahlen nur Die zu wählen, die der Reubund vorschlagen würde. Sie meinen also wirklich theurer? Hören Sie, da behalten wir die Errungenschaften nicht! Was dem Bürger zu theuer ist, Das kauft er sich nicht. Ich rede nicht von mir, aber von den Andern!

Rasiren Sie mich nur erst! sagte Dankmar, ich werde Ihnen hernach meine Ansicht sagen, Zipfel.

Ansicht sagen – hernach – eine Ansicht!

Das war für Zipfel eine feierliche Pause. Seine Spannung drückte sich in allen Mienen des kleinen verschrumpften Kopfes aus. Er hatte die üble Gewohnheit, seine »Kunden«, um ihnen gut beizukommen, bei der Nase zu fassen und ihnen manchmal durch einen Fehlgriff die Flügel so stark zuzudrücken, daß sie zu ersticken drohten und ihn mit Gewalt zurückstoßen mußten. Auch Dankmarn faßte er heute in seiner Spannung etwas zu kurz und erhielt dadurch trotz aller engern politischen Vertraulichkeit einen gewaltigen Rippenstoß von seinem fast gleichgestimmten Gesinnungsgenossen.

Bitte! sagte Zipfel. Entschuldigen Sie!

Bitte! antwortete Dankmar. Nichts für ungut!

Damit rasirte Zipfel fort und gerieth fast in Verzweiflung, als Dankmar in aller Ruhe sein Werk im Spiegel musterte und erklärte, er müsse heute noch einmal nachrasiren. Er hätte die Haarwurzeln nicht tief genug gefaßt...

Herr Referendar sind recht eigen geworden! meinte Zipfel und schickte sich mit schwerem Herzen an das zu erneuernde Werk.

Und wie schöne Stiefel Sie anhaben! setzte er in Besorgniß, eben etwas Ungeeignetes bemerkt zu haben, bedächtig hinzu.

Spritzen Sie nur keinen Schaum auf diese Stiefeln!

Dankmar mußte endlich zufrieden sein und die Spuren dieser wiederholten ihm an jedem Morgen sehr fatalen Prozedur – sich selbst zu rasiren hatte er nicht die Geduld – vertilgend, begann er dann, Herrn Zipfel folgende Auseinandersetzung mit auf den Weg zu geben:

Also, mein bester Herr Zipfel, wenn Ihnen irgend ein Geheimrath oder Major außer Diensten, den Sie rasiren, sagt, die Revolution hätte den Staat theurer gemacht, so machen sie ihm nur ein Compliment von mir oder von wem Sie wollen und sagen ihm, der Staat würde nur dadurch theurer, daß die Revolution nicht ganz gesiegt hätte.

Ach! Also noch nicht ganz?

Nicht ganz!

Was Sie sagen! Also Sie meinten...?

Wenn die alten Machthaber, die sich gegen die vollendete Revolution anstemmten, sich gutwillig gefügt hätten, so wäre das Staatmachen jetzt schon wohlfeiler. Aber theurer ist der Staat nur dadurch geworden, daß nun die alte Zeit und die neue zugleich bezahlt sein wollen.

Natürlich! Natürlich! Doppeltes Conto!

Weil nun die Revolution nicht fertig geworden ist und die Fürsten und ihre Diener alles Erdenkliche aufgeboten haben, um sie nicht bis zur vollen Reife kommen zu lassen, deshalb kostet der Staat jetzt das Doppelte.

Allerdings! Ganz klar! unterbrach Zipfel und dachte bei sich: Wieder eine Thatsache mehr!.. Das Schlagende in Dankmar's Äußerung entging ihm nicht; doch besann er sich wegen der Äußerung: Die Revolution ist nicht fertig geworden! Bei dieser beschloß er, sich doch erst die Leute anzusehen, wo er eine so gefahrvolle, wenn auch scharfsinnige Bemerkung fallen lassen wollte. Die Revolution ist noch nicht fertig! Bedenkliche Worte!

Nun war aber noch der zweite befruchtende Gedanke zu erledigen, dessen Keim Dankmar in den ergiebigen Boden der Zipfel'schen Empfänglichkeit geworfen hatte. Und lern- und neubegierig wie er war, fragte Zipfel, seine Geräthschaften zusammenbindend:

Aber wie sagen Sie denn, Herr Referendarius, daß justement, weil die ganze Wirthschaft jetzt theurer geworden ist, gerade derowegen die Errungenschaften nicht genommen werden können?

Ganz einfach, antwortete Dankmar und schlug sich vor dem Spiegel die Tragbänder über die Brust und bürstete darauf sein dichtes helllichtbraunes Haar. Ganz einfach, Zipfel! Wenn der Staat jetzt mehr Geld kostet als sonst, so muß vor allen Dingen das Geld wirklich da sein.

Es muß da sein! Sehr richtig! antwortete Zipfel, Das Geld muß da sein.

Wenn nun das Geld da sein muß, fuhr Dankmar fort, so muß die Regierung Sorge tragen, welches herzunehmen, wo sie's nur irgend finden kann.

Sehr natürlich! ergänzte Zipfel. Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren.

Was nun, sagte Dankmar, für uns Errungenschaft ist, ist für Die, die zur Reaction halten, Verlorenschaft gewesen.

Verlorenschaft! Sehr gut! Darum soviele »Eingesandts« in der Zeitung! Verlorne Gegenstände...

Der Staat aber, der Staat aber –

Erlauben Sie, sagte Zipfel und sprang hinzu, Dankmarn hinten die Weste zuzubinden, die er eben angezogen hatte.

Der Staat also –

Der Staat – nicht zu fest, Zipfel!

Loser! Der Staat also –

Der Staat, Zipfel, muß haben und nimmt, wo er etwas findet. Die Revolution hat ihm die bisherige Steuerfreiheit des großen Grundbesitzes zum Geschenk gemacht, hat ihm die Vermögenssteuer für die reichen Bankiers präsentirt, die gibt das gefräßige Ungeheuer, der Finanzminister, nicht wieder heraus –

Der Finanzminister? Ist der so... sagte Zipfel erschrocken über das gewaltige Bild. Ah! Ja so! Sie meinen figürlich! setzte er sich selbstberichtigend hinzu.

Natürlich! Und der Finanzminister, sagte Dankmar, wird von jetzt an immer liberal sein und wenn man den tollsten Reubündler zum Finanzminister nimmt, er wird die großen Zahlen der Ausgabe sehen, die gierig wie der Rachen eines Haifisches sind und ich gebe Ihnen mein Wort, er stopft alle Rittergutsbesitzer, alle Bankiers, alle Majors außer Diensten und den ganzen Reubund hinein, um nur Geld zu haben, und dadurch setzen die Herren selbst die Revolution fort und die Errungenschaften bleiben uns sicher.

Bleiben uns sicher! Hören Sie, Das ist fein! So klar hat noch Keiner im Club gesprochen, obgleich.. ich ihn nicht mehr besuche. Es ist jetzt zu gefährlich... Ich lasse mir nur rapportiren. Aber schade... Das muß wirklich unter die Leute kommen. Denn warum? Wirkt so etwas nicht beruhigend? Ich gebe Ihnen mein Wort, daß die Menschen, die in unsre Barbierstube kommen – die, zu denen wir gehen, sind wieder anders gesinnt – die aber, die zu uns kommen, sind so auf ihr Wahlrecht versessen, wie beim Essen auf ihren eigenen Löffel und wenn er von Blech ist und lange nicht von Silber. Aber ihr eigener Löffel! Ihr eigner! Wählen – Das gehört jetzt zur Reinlichkeit und gehört sich gerade so für den Familienvater, wie alle zwei Jahre einmal seine Stube weißen lassen. Es vertreibt die Motten! Die Motten im Kopf, die Grillen, die Raupen, den Ärger, den Kummer, die Sorgen, die Armuth, Alles, Alles, was Einen drückt und an sich selber wissen Sie – pauvre vorkommen läßt. Nur Wählen! Das erhält den Anstand, das hebt den ganzen Menschen, das ist wie eine reinliche Weste. Der Rock mag noch so verschabt sein, die Stiefeln geflickt, die Hose zu kurz.. Nur 'ne reinliche Weste. Meinen Sie nicht auch, Herr Referendarius?

Zipfel sagte den Brüdern mit dieser Äußerung zugleich eine Schmeichelei. Denn auch Siegbert zog sich heute gewählter an und legte eben ein schönes Gilet für sich zurecht. Zipfel, mit Dank gegen die »sitzenden Quellen«, die demnach auch ihm zu Gebote standen, empfahl sich und überlegte die vier Stiegen entlang, die er hinabzuhüpfen hatte, für welche von seinen Kunden Siegbert's Mittheilung über das nächste Ministerium und für welche Dankmar's Auseinandersetzung über die Sicherheit der Errungenschaften am besten passen würde. Er war bei aller Gesinnungstüchtigkeit doch etwas Diplomat und richtete sich nach den Umständen, wie die ganze Bourgeoisie jener Stadt, die im Herzen von einer weit freiern Auffassung war, als sie seit einiger Zeit anfing, vor den Machthabern und den bedenklichen Umständen zu heucheln.

Siegbert, ohne Empfindlichkeit, sagte jetzt zu seinem Bruder:

Wie kommst du nur dazu, mich für einen Reactionair zu erklären? Wirfst du dich nicht so in Toilette, so in's Zeug, daß ich dich eher einen Aristokraten nennen sollte?

Dankmar hatte in der That seinen eleganten Anzug fast vollendet. Noch war der Frack nicht übergeworfen, aber schon legte er die Manschetten seines Hemdes zurecht und wetterte über einen an ihnen fehlenden Knopf. Auch ein Paar ganz neue Handschuhe in Paille hatte er noch im Vorrath und schickte sich an, sie wenigstens vorläufig einmal auf Probe anzuziehen.

Warum müssen denn Glaçeehandschuhe, sagte er, aristokratische Gesinnungen verrathen? Du bist ein conservativer Halb-Communist und trägst doch keine Blouse, nicht einmal im Atelier, wo man dich verspottet, weil du kein malerisches Esprit de corps hast und wie die andern dummen und aufgeblasenen Künstler die neue Zeit verachtest. Ich will hoffen, daß deine beiden Freunde nicht wieder Proletarier aus dem Material dieses Hackert sind?

Der Eine doch! sagte Siegbert.

Bruder, verschone mich! rief Dankmar. An Hackert haben wir von dieser Sorte genug. Ich will, daß man die Vernunft, die Gerechtigkeit und Natur in die Politik einführt, aber ich mag nicht, daß uns im Kampfe zuviel die Handwerker unterstützen, die da fechten mögen... auf der Landstraße.

Wie viel Juristen fochten auf den Barrikaden? sagte Siegbert.

Dankmar schwieg. Die Erinnerung an Hackert hatte ihn verdrießlich gestimmt. Er besorgte auch, das gute Herz seines Bruders ließe sich zu oft von Menschen gefangen nehmen, denen er mit seinem Mitleiden auch wol gar sein Vertrauen schenkte.

Nun wol, sagte er fast bereuend und zur Verständigung einlenkend, du hast Recht und doch erfüllt mich's oft mit Unmuth, wenn ich sehe, wie auch von dieser proletarischen Seite aus der Egoismus die Triebfeder zur Theilnahme an der Politik ist. Diese maßlosen Ansprüche auf die ungleich vertheilten Güter des Lebens! Diese verrückten Begriffe vom Rechte der Arbeit! Wahrlich diese dumme Diversion unsrer großen politischen Aufgabe hat uns mehr geschadet als genützt. Gib diesen Sozialisten ein Phalanstêre, eine große Kaserne gemeinschaftlicher Familien-Kaninchenwirthschaft und Suppenaustheilung, und sie nehmen den Despotismus, wenn ihnen dieser ein solches baut, lieber als die Volkssouveränität!

Es früge sich fast, was besser ist! sagte Siegbert. Deshalb wünsch' ich, du machtest die Bekanntschaft meines Sozialisten. Es ist ein Franzose.

Gar ein Franzose! sagte Dankmar. Und der Andre?

Ist Leidenfrost – antwortete Siegbert.

Leidenfrost, fuhr Dankmar erstaunt auf und erinnerte sich nun erst deutlicher, von Melanien diesen Namen gehört zu haben. Apropos! Leidenfrost? Der auf dich ein Spottgemälde gemacht hat? Was ist es nur damit? Ein Spottbild auf dich? Und du ladest nicht deine Pistolen? Ich hoffe, daß du der Freund eines Menschen, der dich verspottet hat, erst geworden bist, nachdem ihr ein paar Kugeln gewechselt habt?

Mit diesen Worten war es Dankmarn wirklich Ernst. Er hatte oft der Äußerung, die er in Hohenberg von einem Bilde des Malers Leidenfrost, das seinen Bruder verspotten sollte, von Melanien selbst gleich bei der ersten Begrüßung hörte, nachgedacht. Er war so empfindlich über alles Das, was sich an die Ehre seines Namens knüpfte, daß er schon dort über diese Bemerkung in Verwirrung gerieth und in dem Antheil, der davon seinen Bruder betraf, vergessen hatte, wie sich auch Melanie, er wußte nicht recht wie, als an dem Spotte Leidenfrost's betheiligt darstellte.

Hast du auch schon von dem Scherze gehört? fragte Siegbert, der im Stillen erschrak, daß Melanie vielleicht von diesem Bilde erfahren und dem Bruder davon gesprochen hätte. Man muß einem Maler seine Ideen nicht verkümmern, nicht die Rolle der abgeschafften Censur spielen. Frei sei der Genius und erfinde Schöpferisches, selbst wenn es auf unsre Kosten geht!

Das könnt' ich denn doch nicht unterschreiben, sagte Dankmar. Ich würde eine Portraitähnlichkeit überall da verbitten, wo es sich um kein Portrait handelt.

Und was ist denn auch so Schlimmes geschehen? sagte Siegbert. Du kennst Leidenfrost's humoristischen Griffel. Er schreibt ebenso witzig wie er zeichnet und dabei hat er eine Auffassung seiner Kunst, daß er sie nur für eine Erholung seines Geistes erklärt und neben der Malerei ein Dutzend andre Künste und Fertigkeiten treibt. Schon daß er so recht den alten Italienern gleicht und wie Michel Angelo, Leonardo da Vinci, Benvenuto Cellini neben seiner Kunst auch in praktischen Dingen, sogar im Maschinenbau, in der Baukunst, im Kriegswesen nachdenklich und erfinderisch ist, Das allein schon könnte mich versöhnen, wenn er mich wirklich verspottet hätte!

Lammsmäßige Geduld! rief Dankmar ärgerlich. Und wenn er etwas erfindet, was noch über die Zündnadelgewehre hinausschießt, so wollt' ich ihm nicht rathen, daß er dich verspottet hat.

Er überraschte uns, erzählte nun Siegbert ruhig, nach vielem Hin- und Hertasten einmal durch ein Bild von großer Vollendung: Ein Künstleratelier. Professor Berg ist unverkennbar als Tizian wiedergegeben. Er unterrichtet in einer schönen Nebenhalle seines Ateliers ein reizendes Mädchen, das von den entfernt sitzenden Schülern, vielleicht ohne es zu wissen als Modell benutzt wird. Der Eine malt sie als eine Amazone, der Andere als eine Melusine mit einem Fischleibe, der Dritte als eine Sphinx, nur ich soll Derjenige sein, der in ihr eine Madonna findet und freilich muß ich gestehen, daß ich mich mit meinem frommen Glauben und dem sichern Aufschlag der Augen gen Himmel auf dem Bilde fast ein wenig albern ausnehme.

Und Das beruht auf Wahrheit? fragte Dankmar erstaunt und gespannt.

Gerade deshalb, sagte Siegbert erröthend, nehm' ich es auch leichter. Ist schon die Idee an sich gefällig und höchst launig ausgeführt, zumal da auch die Schülerin zu merken scheint, daß sich das ganze Atelier sie zum Modell genommen hat, während ihr der Professor recht beflissen eben den Pinsel aus der Hand nimmt, um ihre eigne Leistung, die man nicht sieht, zu verbessern, so seh' ich nicht ein, was ich meine Neigung verbergen und mich schämen soll, eine Madonna in dem Wesen zu finden, das Andern nur als wilde Amazone, kalter Fisch oder gefährliche Halblöwin erscheint. Es gibt kaum eine sinnigere Apotheose der Liebe und so groß meine Ähnlichkeit mit dem verzückten Maler ist, ich habe sie Leidenfrost nicht nachgetragen.

Der Liebe? wiederholte Dankmar immer erstaunter. Aber was hör' ich denn? Seitdem ich in Angerode war, sind ja mit dir Wunderdinge vorgefallen. Verliebt? Wirklich, was man so nennt verliebt?

Fast möcht' ich über mich selbst erstaunen, sagte Siegbert, der eigentlich aufathmete, daß von ihm in Hohenberg bei Melanie nicht die Rede gewesen schien und doch daraus ein schlimmes Zeichen für sich hätte entnehmen müssen. Ich habe mich lange geprüft, wie wol meine Empfindung für jenes Mädchen beschaffen sein möge. Aber seitdem ich sehe, daß ich ihretwegen leiden kann und mich ordentlich freue, durch den Spott eines Andern des eignen Geständnisses überhoben zu sein, fühl' ich auch, daß dies die rechte Stimmung ist, der man trauen darf. Ja, ja, Dankmar, du spröder, kalter Verächter der Frauen, ich bin auf dem Wege, viel Thorheiten zu begehen.

Damit umarmte Siegbert fast den Bruder und verlangte gleichsam durch eine erhöhtere Bezeugung seiner Liebe zu ihm die Erlaubniß, sein Herz nun mit Jemand, in dem Dankmar Melanie selbst nicht voraussetzte, theilen zu dürfen...

Dankmar, der in einer fast gleichen Stimmung war, erwiderte nichts, sondern fühlte stumm die Wonne nach, die seinen Bruder zu erfüllen schien. Wirkte doch auch in ihm die reizende Bestrickung durch eine Armida wie ein Opiumrausch! Er sah nur Himmel, Glück und Seligkeit. Jeder Lufthauch, der durch das geöffnete Fenster über die hohen Dächer wehte, war ihm wie ein balsamischer Kuß von Melanie's Lippen. Ein Zauber rieselte durch seine Glieder und gab ihnen das Gefühl einer so ätherischen Leichtigkeit, als wenn er in den Lüften schwebte. Er hatte schon den Hut ergriffen, setzte ihn vor dem Spiegel auf, aber er sah sich nicht, er sah nur über seine Schultern sich hinlehnend das schöne Mädchen, das ihn in ihren Netzen gefangen hielt.

Siegbert hielt dies Schweigen für Das, was es wol auch zum Theil war, für das wärmste Mitgefühl und fast eine Bestätigung, daß Dankmar Melanien doch wol nicht in Hohenberg gesehen hätte, und erregt, wie schon den ganzen Morgen, fuhr er, sich selbst zum Ausgehen völlig fertig rüstend, fort:

Das kleine Gemälde ist viel belacht und bewundert worden und Prinz Ottokar selbst hat es für eine Summe von fünfhundert Thalern angekauft. Leidenfrost war aber über dies Glück seines Spottes trostlos. Ich gestehe, daß ich einige Tage lang mit ihm nicht sprach. Er hatte das Bild in seiner Art so rasch hingeworfen, so keck unter meinen eignen Augen vollendet, daß ich denn doch etwas verstimmt war, wie ich den Spott erkannte. Da ich aber das Modell liebe und dir gestehen will, wie ich dazu kam, zu hoffen und was ich hoffe, so ertrug ich den Spott und dachte: Lacht ihr nur! Wer im Weibe das Schöne und Gute findet, gefällt doch den Menschen, wie ihr auch seiner spottet! Kaum auf der Ausstellung, war das Bild unter dem Titel: »Ein Atelier« schon verkauft. Am Tage nach unserer Scene im Pelikan kam Leidenfrost auf der Straße zu mir, bot mir die Hand und sagte: Wildungen, ich habe miserabel an Ihnen gehandelt! Ich habe ein Mädchen portraitirt und Sie mit ihr! Ich soll fünfhundert Thaler für den Fetzen bekommen, aber ich will ihn zerfetzen unter der Bedingung, daß Sie mein Freund bleiben! Leidenfrost, sagt' ich, was fällt Ihnen ein? Ich finde das Bild wunderschön. Es ist ein Gedicht. Der Gedanke ist gut und die Ausführung, wenn auch flüchtig, doch sicher, bestimmt und ganz graziös. Lassen Sie nur die Menschen lachen und streichen Sie Ihre fünfhundert Thaler ein! Leidenfrost war aber wahrhaft unglücklich. Er polterte hundert Dinge heraus. Um sich zu beruhigen, sagte er: Sie müssen nun aber das Mädchen wirklich heirathen, damit Sie Beide uns Alle auslachen! Oder, rief er dann sogleich wieder, Sie sollen mir danken, daß Sie nun erst gar auseinander kommen; es ist eine Melusine! Eine gefährliche Sphinx! Sie paßt nicht für Sie! Und so ging es durcheinander fort, bis er endlich mit mir sich so weit geeinigt hatte, daß ich ihm versprach –

Siegbert schloß, da sie inzwischen gingen, die Thür zu. Dankmar zog schon draußen auf der Flur seine Handschuhe an. Frau Schievelbein nahm den Schlüssel ab und wünschte für den Tag gute Verrichtung.

Daß ich ihm versprach, sagte Siegbert, indem die Brüder die Treppen hinunter stiegen... ihm versprach, wiederholte er, als die Uhr schon neun schlug und er im Gehen seine Uhr aufzog –

Dankmar zog halb nur zuhörend auch seine Uhr auf und richtete sie nach Siegbert's.

Daß ich ihm versprach, sagte Siegbert, ihm jetzt mehr Freund zu sein als sonst, und von den fünfhundert Thalern, die er durch mich eigentlich verdient hätte, von der Summe, die er ein wahres Sünden- und Heidengeld nannte, während ich für meinen Molay nur dreihundert hatte, wenigstens die Hälfte als Vorschuß zu einem neuen Bilde anzunehmen. Ich bedankte mich. Aber nein, sagte er, ich muß Ihnen doch irgend ein Opfer bringen, irgend eine Sühne! Wollen wir uns duelliren? fiel er ein. Auf Kanonen? war meine Antwort. Soll ich mit der neuen Hebemaschine, die ich construire, sagte er, mich zur Probe so oft in die Luft schleudern lassen, bis ich mich in einen unappetitlichen Brei verwandelt habe? Als ich auch dies großartige Opfer nicht annehmen wollte, sagte er: Verlangen Sie, daß ich mich zur Strafe in meinen chemischen Tincturen vergreife und eine Portion Äther trinke und mit dem Motto: Leichte Lüfte heben mich! in's Unendliche verschwebe? Kurz ich lehnte alle seine komischen Opfer ab, bis wir auf unserm Schlendergange in der Wallstraße vor einem Hause standen, wo wir einen kleinen Schild ausgehängt fanden, mit der Inschrift: Armand Doreur de Paris. Neben dem Schilde hingen in einem großen Glaskasten eine Menge sehr feingearbeiteter, bronzirter Goldleisten. Da, Leidenfrost! sagt' ich, zur Strafe sollen Sie zwanzig Thaler zahlen und wissen Sie, auf welche Art? Ich weiß es, sagte er: Wir gehen zu Lippi und bestellen zehn Flaschen Champagner, von denen Sie eine trinken, ich muß die übrigen neun vor meinen Augen von Ihnen zum Fenster ausgegossen sehen und nicht einen Tropfen bekommen. Ist Das keine Strafe? Zu hart! sagte ich. Gut denn, schlug er vor, so trink' ich davon so viel, bis ich nicht stehen kann und dann jagen Sie mich auf die Straße, daß die Jungen hinter mir herlaufen und ich ein Pietist werden muß, um meinen verlorenen guten Ruf wiederherzustellen. Noch zu stark! sagte ich. Zur Strafe sollen Sie mir hier bei dem aus Paris neuangekommenen Franzosen, der allen Ateliers seine Karte geschickt hat, einen prachtvollen Rahmen zu einem neuen Gemälde schenken, durch das ich mich an Ihnen rächen will. Bravo! rief er und zog mich die Stiege hinauf zu Monsieur Armand Doreur de Paris. Wie wir bei diesem eintreten...

Hier wurde Siegbert's Erzählung und Dankmar's gespanntere Aufmerksamkeit unterbrochen.

Ein Offizier ritt eben vorüber und hielt, da er Siegbert zu kennen schien, mitten auf der Straße an.

Siegbert zog artig den Hut und trat zu ihm vom Bürgerstiege näher.

Das Bild wird vortrefflich! sagte der Offizier, eine hagere, aber strengmilitairische Erscheinung mit durchdringenden Augen und einem eigenthümlichen Lächeln, das halb graziös, halb sarkastisch erschien.

Ich danke Ihnen, Herr Major, für die gute Vormeinung! sagte Siegbert. Doch wissen Sie wohl, wie bedenklich es ist, ein Portrait in seiner ersten Anlage zu beurtheilen....

Ich muß doppelt dankbar sein, sagte der Offizier, da meine Frau nicht genug rühmen kann, wie anregend sie von Ihnen unterhalten wird..

Bitte, Herr Major!

Wann dürfen wir Sie heute erwarten?

Ich wollte eben der gnädigen Frau anzeigen, daß ich heute vielleicht eine Sitzung überspringen werde und erst morgen fortfahre....

Wie Sie wünschen, Herr Wildungen! Soll ich Ihnen den Weg ersparen und es meiner Frau selbst anzeigen..?

Sie sind zu gütig, Herr Major!

Meine Schuldigkeit! Guten Morgen, meine Herren!

Damit lenkte der Offizier vom Trottoir zurück und sprengte mit einer artigen Begrüßung, die auch Dankmarn galt, von dannen.

Siegbert war von dieser Unterredung etwas verlegen geworden.

Das muß ich sagen! begann Dankmar. Du bist mir völlig fremd! Du steckst ja in lauter neuen Verhältnissen! Wer ist denn Das?

Der Major von Werdeck, sagte Siegbert, dessen Frau ich male....

Frau von Werdeck, fiel Dankmar sich besinnend ein; eine Polin –?

Ganz Recht, antwortete Siegbert, eine geborene Kaminska....

Eine vortreffliche Reiterin, eine Amazone, die dir scheinbar zu einem Portrait sitzt und sich ärgert, daß du keine Tête à Têtes aus diesen Sitzungen machst!

Abscheulich! Dankmar! Dankmar!

Die Welt taugt aber nichts, lieber Bruder!

Aber die Menschen taugen noch hie und da etwas. Diese Polin liebt nur Eins, ihr Vaterland..

Hoffentlich nach dem Major von Werdeck...?

Ich glaube auch ihn nur, wenn er die Gedanken theilt, die durch ihr glühendes Herz gehen...

Dankmar besann sich, daß er auf der Rückreise von Hohenberg noch vorgestern von der Majorin von Werdeck wie von einer Demokratin hatte reden hören...

Wem verdankst du diese Bekanntschaft? fragte er.

Auch meinem Max Leidenfrost! sagte Siegbert. Er trat mir diese Bestellung eines Portraits ab. Er ist rührend in der Art, wie er mich versöhnen will. Auch glaub' ich wol, daß Major von Werdeck Anstand nehmen mußte, diesen Cyniker, den er übrigens sehr schätzt, in das Boudoir seiner Frau zu führen. So entschloß ich mich, die Bestellung zu übernehmen und freue mich, hier mehr als ein Portrait zu liefern. Diese leidenschaftliche Frau trägt den Typus ihrer Nationalität in jeder Fiber ihres Antlitzes. Die Bitterkeit ihrer Ansichten ist so grell, daß ich sie oft ersuchen muß, sich zu mäßigen, damit sie nicht unschön erscheint. Ich opponire ihr meist nur aus ästhetischen Rücksichten..

Dankmar war durch den Anblick jenes Offiziers, der wieder etwas von der fesselnden Ausströmung besaß, die ihn sogleich auch für Ackermann gewonnen hatte, noch theilnehmend beschäftigt. Er verfiel in die Gedankenreihe, wie wol ein Offizier in dem bekanntlich streng genug ihm vorgezeichneten officiellen Ideenkreise sich behaglich fühlen könne, wenn ein geliebtes Weib ihm den ganzen Schmerz einer durch die Politik zerrissenen Nation und die Hoffnungen, die diese Nation gerade aus der Umwälzung aller Verhältnisse für ihre eigene Wiederherstellung schöpft, täglich vergegenwärtigt und ihn allmälig doch dahin bringen müßte, entweder ganz mit seinem Innern oder seiner äußern Stellung zu zerfallen oder gar ein gedankenloser, unzurechnungsfähiger Heuchler zu werden...

Siegbert, der keine Ahnung von der gewaltigen Krisis hatte, in der sich die Überzeugungen seines Bruders befanden, ließ von diesem Gegenstande ab und kehrte auf die Erzählung zurück, die der Major von Werdeck unterbrochen hatte.

Wir können kaum zweifeln, daß Louis Armand, der Vergolder, derselbe junge Mann ist, der im Egon'schen Palais der Vermittler der Wünsche Ackermann's und der Bewilligungen des jungen Prinzen gewesen war.


 << zurück weiter >>