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Elftes Capitel.

Zwei Besuche.

Siegbert war im Atelier allein, er wollte lange arbeiten und gegen drei Uhr zu Grüns gehen, wo er den Bruder zu finden gewiß zu sein glaubte.

Das behagliche Gefühl, mit dem er den Augenblicken des traulichen Beisammenseins entgegen harrte, war ein wenig gestört worden. Das Gespräch war zu aufregend, zu beunruhigend für sein innerstes Gefühl gewesen. Er hatte einen so edlen, sittlichen Takt in allen Dingen... Man hatte wieder von Melanie gesprochen und wußte doch, daß er sie liebte. Man hatte mit der Einladung zu der vornehmen Frau von Harder so laut geprahlt. Ja selbst daß Leidenfrost, der ihm seit kurzem erst sympathischer wurde, seine eigne Kunst so blindlings verwarf und dabei so streng, ja vielleicht eitel sein konnte, ihm vor den Augen einen Stoff, den er eben behandelte, anders zu gestalten, als er ihn sich gedacht hatte, das Alles war doch für sein weiches, offnes Herz eine nagende Pein...

Als er Leidenfrost's Skizze betrachtete und ihre Schönheit wiederholt anerkennen mußte, ging er noch weiter und hatte sich gesagt:

Wie, wenn der strenge Freund dich nur erziehen, zum Tieferen und Anschauungsreicheren zwingen wollte? Machst du dir dein Schaffen nicht zu leicht? Denkst du genug über Das, was zu existiren würdig ist, nach und stehst du ganz auf der titanischen Höhe der Bildung, mit der man jetzt die großen Meister schaffen sieht?

Tiefe Bekümmerniß, ja Muthlosigkeit hatte ihn überfallen, als er dieser Gedankenreihe weiter nachdachte. Es war ihm vorgekommen, als hätte er alle Theile der Kunst in seiner Hand und zu den mechanischen Fertigkeiten fehlte ihm doch noch das geistige, sie zusammenhaltende Band. In tiefster Verstimmung hatte er auf seine Skizze zurückgeblickt und siehe da!.. plötzlich wußte er nicht, wie sie ihn doch wieder so ermuthigend, so neubelebend ansprach... Es war der Geist der Ruhe, der in ihr waltete, eine Ruhe, die in Leidenfrost's Andeutungen fehlte. Jene regten auf, seine Zeichnung füllte ihn mit lindem Trost, erquickte ihn! Die Gestalt des Heilands, die dort fehlte, übte gerade hier den Zauber der Erhebung und der wunderbarsten Stärkung. Auf's neue tauchte er den Pinsel in die zarten Aquarellfarben und begann mit jener eigenen gebundenen Wärme, aus der allein der Künstler und Dichter Andre Erwärmendes schaffen kann, sein bescheidenes, einfaches und sinniges Werk weiter fortzuführen.

So in Gedanken, so in stilles, heiliges Schaffen war er verloren, daß er kaum aufsehen mochte, als er Jemanden an die Thür klopfen, dann eintreten hörte. Mit zaghaften, knarrenden Tritten nahte sich ein Besuch. Es war jener Franzose, den wir im Vorzimmer des Prinzen Egon gesehen hatten, Louis Armand, der Kunsttischler und Vergolder.

Siegbert erschrak über Armand's verstörte Miene.

Es war die ihm schon gewohnte und liebgewordene Erscheinung; aber auffallend war ihm schon die äußere elegante Kleidung. Der schwarze Anzug ließ die blassen Mienen des scharfgeschnittenen Antlitzes nur noch mehr hervortreten und stand in einem sonderbaren Widerspruche zu dem lose um den Hals geschlungenen, fast vernachlässigten Tuche, dessen aufgezogene Zipfel über die Brust herabfielen, ohne daß es Armand zu bemerken schien. Tiefer Ernst lag auf seiner Stirn, Schreck in seinen verstörten, dunkeln Augen...

In Hast und Ängstlichkeit, mit der Absicht, sich keine Minute zu lang aufzuhalten, trat Armand auf die Staffeleien zu.

O c'est heureux! sagte er und fuhr dann in langsamer Betonung, aber in gutem gewandtem, sonderbarerweise etwas polnisch accentuirtem Deutsch fort:

Ich fürchtete, Sie nicht mehr zu treffen, Herr Wildungen!

Mein bester Armand! sagte Siegbert sich umwendend. Was bringen Sie.. Sie scheinen erregt.... Was ist Ihnen?

Ich bin sehr unglücklich..

In der That! Wie sehen Sie aus! Setzen Sie sich, lieber Armand! Reden Sie!

Wie ich gestern Sie verließ, erzählte Armand, fand ich den Prinzen zwar zurück von seiner Reise, aber so krank, daß ich die ganze Nacht bei ihm gewacht habe. Die Ärzte erklären seinen Zustand für den Anfang eines heftigen Nervenfiebers.

Siegbert hätte an dieser Mittheilung Theil genommen, auch wenn ihm Egon seiner sonderbaren Beziehung zu einem einfachen Tischler wegen nicht liebgeworden wäre.

Wie kam Das so plötzlich? fragte er voll Theilnahme. Ein Nervenfieber!

Ein Nervenfieber ist fast so viel wie der Tod.

O machen Sie sich keine trübe Vorstellung, Armand! Wie kam Das nur?

Der Prinz hat auf seiner Reise viel erlebt, sagte Armand. Das Wiedersehen seiner Besitzungen, der Grabstätte seiner Mutter hat ihn erschüttert. Er kam schon krank nach Hause zurück.

Wo ihn vielleicht noch, ergänzte Siegbert, die Nachricht von dem Eintreffen einer schönen Frau beunruhigte, der Gräfin d'Azimont.

Woher wissen Sie – fragte Armand erstaunt.

Hab' ich nicht Recht? Er hat mit ihr in Paris gebrochen und dennoch reist sie ihm nach und wird seinen krankhaften Zustand nur noch gesteigert haben. Ich erfuhr soeben diese Verhältnisse.

Allerdings! So ist es! Aber ich erstaune, wie Sie Dies erfahren konnten?

Lieber Freund, sagte Siegbert, das liegt in der Natur solcher Liaisons. Diese Verbindungen haben für manche Seelen, wenn sie verborgen bleiben sollen, nur den halben Reiz. Die Frauen sind es oft selbst, die ihrer natürlichen Scheu ungeachtet diese Verhältnisse mit Gewalt an das Tageslicht drängen. Wenn ich mich nur einigermaßen in dieser Dame orientire, so wird sie, wenn das Verhältniß nicht aus gegenseitigem Überdruß sich löste, ihren ehemaligen Freund jetzt so beunruhigen, daß Sie ihn vor ihr schützen müssen...

Ich erstaune, rief Armand, Sie sagen Alles, was ich selbst denke. Und deshalb muß ich eilen, zu meinem Kranken zurückzukehren. Ja! ja! Es thut Noth, daß ich ihn schütze, vor Allen! Allen! Dutzende von Menschen, die ihn bedienen wollen und nicht ein Herz, das ihn mit Entsagung liebt!

Armand erzählte hierauf in flüchtigen Umrissen Einiges von der äußeren Lage Egon's, wie wir sie schon kennen. Als er sein Erscheinen hier im Atelier dadurch entschuldigte, daß er von Siegberten hätte für ein längeres Verschwinden Abschied nehmen wollen, kam er auf Ackermann, durch dessen Anerbietung dem Prinzen eine so große Wohlthat geschähe und schloß mit einer Bemerkung, die Siegberten überraschte.

Es ist mir ein so süßer und wohllautender Ton gewesen, sagte Armand, in den Fieberphantasieen meines kranken Egon so oft Ihren Namen zu vernehmen..

Meinen Namen? fragte Siegbert.

Wildungen! Den Namen Ihres Bruders..

Dankmar...

Dankmar Wildungen..

Der Prinz kennt meinen Bruder? So hat er ihn in Hohenberg kennen gelernt.

Der Gedanke an Ihren Bruder beschäftigt ihn auf's lebhafteste. Gestern Abend war er zu ermüdet, mir Alles zu sagen, was er auf dem Herzen hatte; das entsetzlichste Kopfweh peinigte ihn und in dem Ausbruch aller der Symptome, die auf seine schnell entstandene Krankheit deuteten, konnte von einer Verständigung nicht mehr die Rede sein. Nur einmal, heute vor einigen Stunden, als ich ihm die Anerbietungen jenes Herrn Ackermann vorzuschlagen wagte, trat ein lichter Moment ein, indem er deutlich den Namen Ihres Bruders als den bezeichnete, der ihm Ackermann schon genannt und empfohlen hätte, sonst erwähnt' er ihn in seinen Phantasieen bald als einen Gefangenen, spricht von einem Kerker, von Eisenstäben, erwähnt ein Bild und ruft: Da! Da! Verbergt es! Mit einem Worte, es foltern ihn die verwickeltsten Erlebnisse. Gern hört' ich, daß Ihr Herr Bruder beruhigende Aufklärungen gäbe. Wie leicht wär' es dann, irgend etwas so auszuführen, daß er in seinen schmerzenfreien lichten Augenblicken davon einen lindernden Trost hätte!

Siegbert versprach möglichst darin das Seinige zu thun.

Louis Armand schied von ihm, nachdem er noch die Versicherung erhalten hatte, Siegbert würde in der Wallstraße Nr. 14 bei dem Tischler Märtens die Gründe angeben, warum er vielleicht auf lange Zeit von seiner Wohnung keinen Gebrauch machen könne.

Aber Ihr Geschäft, Armand?

Märtens soll die Bestellungen annehmen. Ausführen kann ich jetzt nichts. Egon bedarf eines Freundes.. ich verlasse sein Bett nicht.. es ist mir, als müßte ein Cherub niederschweben, um ihn zu beschützen.

Sie sind dieser Himmelsbote, Armand! sagte Siegbert und klopfte dem jungen Handwerker auf die Schulter. Tragen Sie mir alle Ihre Wünsche auf! Leidenfrost wollte Sie bei den Arbeitern einführen. Man sehnt sich nach Ihren Belehrungen..

O, o! lehnte der junge Mann mit Bescheidenheit ab.

Man ist gespannt auf Sie! Überall, Armand, wo man Wahrheit und keine Vorspiegelung der Phantasie will. Aber Sie werden nicht zu lange fern bleiben! Befehlen Sie über mich! Haben Sie irgend noch einen Wunsch?

Louis Armand stand eine Weile träumerisch und hielt in den Schritten ein, die beide junge Männer während dieser Worte schon an die Thür des Ateliers gerichtet hatten.

Endlich sagte er mit einem angenehmen Lächeln und mit halblauter Stimme:

Bestellen Sie, ich bitte, ein freundliches Wort einem kleinen guten Mädchen, das bei Märtens, dem Tischler, wohnt. Sie heißt Franchette oder Franziska. Es ist eine bescheidene Blume, die zwischen Felsen auf hartem Stein wächst, eine jener unbeschützten Seelen, die nur durch den Thau des Himmels gedeihen. Vielleicht finden Sie einmal Muße, mir dies kleine Gedicht, das ich auf dies liebe Mädchen entwarf, in deutsche Verse zu übertragen. Ich fühle mich doch nicht stark genug in Ihrer Sprache, mich im Reim zu versuchen und Franziska würde meine französischen Verse selbst dann nicht verstehen, wenn ich sie ihr übersetzte.

Siegbert nahm dem bewegten Armand ein Blättchen Papier ab, das er ihm fast zitternd überreichte.

Ich will es versuchen, sagte Siegbert.

Ein Scherz über diese Mittheilung, eine Neckerei über Armand's liebende Galanterie lag ihm ganz fern. Es war ihm etwas Heiliges, da so einfach und still in das Innere eines andern Menschen blicken zu dürfen...

Meine größte Sorge, sagte Armand, indem ihn Siegbert an die Thür begleitete, ist jetzt das Schicksal meines armen Egon! Ich glaube Ihnen Beweise gegeben zu haben, daß ich die Menschen nur nach ihrem wahren Werthe schätze, aber auf Egon fällt mir noch ein reineres Licht als das der Freiheit von seinem Stande. Ich überschätze auch seinen menschlichen Werth nicht. Ich habe leider Ursache, ein gewisses Schwanken seines Charakters als eine gefährliche Klippe zu bezeichnen und kann wohl sagen, daß ich ihn mir ganz gewonnen habe nur durch den Schmerz! Wenn wir uns näher stehen werden, Herr Wildungen, wenn Sie nicht ermüden, einen Mann meines geringen Berufes enger an sich zu ziehen, so werden Sie erfahren, welches das schmerzliche Band ist, das mich in dem fernen Frankreich an einen jungen vornehmen deutschen Herrn fesseln sollte! Ich hätte ihn nie lieben können, wenn nicht ein schöner Enthusiasmus für das Große und Erhabene in ihm gelebt hätte und er war so weise, so gerecht, daß er suchte das Große und Erhabene auch im Niedrigen zu finden. Er vermißte Menschen, aber er fand sie. Er hat sie dann verloren und hat sie wieder gewonnen.. Es gab Tage, wo ich ihm mochte den Dolch in's Herz stoßen und es gab andere, wo ich mußte.. küssen – seine Hände... Mag ihn der Himmel uns erhalten, mir und Ihnen; denn ich hoffe viel von seinem Geiste auch für die gute Sache Ihres Volkes, für uns Alle.

Die Thränen standen Louis Armand in den Augen, als er diese Worte halbgebrochen und nicht so zusammenhängend, wie wir sie wiedergaben, stammelte.

Siegbert war selbst so ergriffen, daß er nichts zu antworten vermochte, sondern stumm und still von Louis Armand Abschied nahm.

Schüchtern und bescheiden wie er gekommen war, verließ Louis Armand das Atelier.

Siegbert sah ihm nach und kehrte langsam zu seiner Staffelei zurück.

Er konnte nicht arbeiten...

Berg's Diener, der die Aufsicht über die Räumlichkeit hatte, kam, um sie zu schließen. Siegbert bat, ihm die Schlüssel dazulassen. Er würde noch eine Weile verharren und ihm dann das Schließeramt abnehmen; er möchte gehen und seiner Mittagsruhe pflegen.

Wie Siegbert allein war, entfaltete er sogleich das Blatt, um die französischen Verse zu lesen.

Sie gestalteten sich ihm rascher, als er geglaubt hatte, zu einem deutschen Gedichte.

Doch mußte er sich sagen, daß in diesen Versen ein gewisser für deutsche Verhältnisse fast zu greller, fast schneidend scharfer Hauch wehte...

Er konnte begreifen, daß man nur in Paris einer jungen Handwerkerin so eigenthümlich huldigen könne und doch gestand er sich, es wäre schon gut, wenn auch die deutschen Arbeiter und Arbeiterinnen auf dieser Höhe edlerer Empfänglichkeit und Charakterstärke sich hielten... Er wußte jetzt, was ihn eigentlich an Louis Armand fesselte.

Er selbst, doch ein Künstler von höherer, selbst gelehrter Bildung, nahm an diesem Handwerker Interesse, nicht weil ihm seine socialistische Theorie gefiel und er seine Träumereien von einer veränderten Gesellschaftsverfassung vollkommen billigen konnte... ihn zog das düstere, ernste Wesen, die charakterfeste Persönlichkeit Armand's an und noch jedesmal, daß er mit ihm zusammentraf, nahm er einen neuen lebendigen Eindruck mit hinweg. So jetzt den, daß Armand auch dichtete!

Louis Armand brachte aber in seinem mit den Worten: Fille du peuple, pauvre mendiante! anfangenden Ne pleurez pas! überschriebenen Gedicht der Fränz Heunisch etwa folgende sonderbare, halb ironische, halb wehmüthige und für deutsche Handwerkerbildung völlig unpassende Huldigung:

Weine nicht!                        

                Des Volkes Tochter, arme Bettlerin!
Du bist nicht arm, was auch dein Elend spricht!
Der Unschuld Krone trägt dein schönes Haupt,
Und wenn ein Reicher ihr Geschmeide raubt,
Bist du nicht arm.. Was thut's? Sei klug! Nur weine nicht!

Des Volkes Tochter, arme Bettlerin!
Du bist nicht arm, was auch dein Elend spricht!
Ein Pfaffe ladet dich zum Beichtstuhl ein..
Geh hin! Er küßt dich! Im Marienschein
Bist du nicht arm.. Sei klug und fromm! Nur weine nicht!

Des Volkes Tochter, arme Bettlerin!
Du bist nicht arm, was auch dein Elend spricht!
Die Nachbarin läßt ihre Truhe auf....
Greif zu!... Zum Bagno geht dein Lebenslauf;
Und wenn zum Tod.... Was thut's? Nur stolz! Nur weine nicht!

Des Volkes Tochter, arme Bettlerin!
Du bebst zurück? Du liebst die Tugend noch?
Sieh da! Du kannst die Perlen fallen sehn
Auf's Kleid der Braut, das deine Finger nähn!
Bist reich! Bist reich! – O Gott.... nun weinst.... nun weinst du doch!

So ungefähr dachte sich Siegbert die Übertragung dieses epigrammatisch endenden wilden Liedes und verfiel dabei auf den Gedanken, ob wol einer deutschen Nähterin ein solches Gedicht wirklich gefallen könnte, ob sie nicht vorziehen würde, sich denn doch in schmeichelhafteren Klängen besungen zu sehen und ob nicht die süße Phrase in Deutschland so regiere, daß sie selbst in den untersten Regionen das frische Gefühl und die wirklichen, nackten Thatsachen überpinselte... Er nahm sich ernstlich vor, Armand zu warnen, mit einem solchen Gedichte bei uns die Gunst eines Mädchens aus dem Volke erobern zu wollen!

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Unfähig zu arbeiten und doch noch in der Kühle des Ateliers die Stunde abwartend, wo er mit dem Bruder zusammenzutreffen gedachte, nahm er das Wasser, das in verschiedenen antikgeformten gebrannten Krügen, weniger für die Erquickung als die Reinigung der Maler dastand und begoß die Blumen, die hier und da am zahlreichsten in der eleganten Abtheilung aufgestellt waren. Sie hatten es nöthig in der Sonnenhitze.. Der Diener vernachlässigte sie.. Sie würden verwelkt gewesen sein, wenn ein barmherziger Samariter da des Weges nicht gezogen wäre und sich der Sterbenden angenommen hätte.

Das aufregende, bittere Gedicht, die Blumen und Melanie verschmolzen sich in Siegbert's bewegter Brust.

Wie oft hatte nicht die liebliche Gestalt auf diesen bunten Teppichen gesessen und nur mit halbem Ohre den Lehren gelauscht, die ihr der würdige Professor gab! Die Vorhänge waren herabgelassen gewesen... Sie hatte im Grunde kaum eine andere Beziehung zu den andern Malern gehabt, als daß sie an ihnen vorüberschwebte und mit holdseligem Lächeln die ihr dargebrachten Grüße erwiderte! Aber auch welches Schweben! Welches holdselige Lächeln! Blieb dann einmal gar durch einen künstlich vorbereiteten oder natürlichen Zufall der große schwere Vorhang beim Lehrer eine kurze Zeit offen... welche Verwirrung entstand unter den Malern und wie zitterte Siegbert, der nur die Schönheit in Melanie sahe und, daß sie sich deren bewußt war, wie das Erlaubteste entschuldigte.. Und war es denn nur bloße Einbildung, wenn Siegbert annahm, daß er diesem liebenswürdigen Mädchen nicht völlig gleichgültig geblieben war? Für Leidenfrost's kurze, gedrungene, ja häßliche Figur, seine dunkeln, tiefliegenden, strengen Augen, sein sarkastisches Lächeln und vor allen Dingen für seinen grauleinenen Kittel und plumpen grauen Schlapp-Hut konnte sie keine Sympathie haben. Reichmeyer war ihr ein zweiter Lasally. Heinrichson ihr sicher zu elegant, zu sehr Gentleman und alle Welt wußte, daß er von alten Damen sehr verwöhnt war und den Petitmaitre der Salons abgab und noch öfter abgeben mußte... was den schönsten Mann allmälig doch untergräbt und lächerlich macht... In Siegbert Wildungen aber war, was Melanie oft gefunden hatte, Haltung und Poesie zugleich; er galt für interessant, seine feuchten verklärten Augen zogen an, er trug sich als Künstler, ohne ins Barocke zu verfallen... Konnte Siegbert nicht erhöhteren Muth fassen, wenn Melanie fast absichtlich mit ihm Gespräche anknüpfte, ihn in die Gesellschaften ihrer Familie einführte, ja einige male sogar plötzlich im Atelier erschienen war, wenn sie wissen mußte, daß Alle fort waren und vielleicht nur noch Siegbert arbeitete? Sie hatte dann gewöhnlich etwas vergessen oder verloren, rannte an ihre Staffelei, beachtete den Überraschten gar nicht, bis sie ihn wie zufällig entdeckte und sich vielleicht nur an seiner Verlegenheit weidete und den Triumph genoß, einen Mann bewegt zu sehen, einen Mann in der Rede stocken zu hören! Die Abscheuliche! Und doch hatte sie ihn vielleicht gern und zürnte nicht, als Siegbert einmal in einem solchen Augenblicke der Überraschung ihre Hand ergriff und sie mit Küssen so lange bedeckte, bis sie ihn mit dem – zufällig! – ausgezogenen Handschuh schlug und vor seiner stürmischer werdenden Bewerbung lachend davonflog!

An diesen seligen Augenblick kurz vor Melanie's Reise dachte Siegbert und fast dieselbe Glut, wie damals, durchströmte seine Adern. So wirkte nur die Vorstellung jener Scene schon! Wie? Wenn sie sich noch einmal wiederholte?

Wäre Dies, dachte er sich, so läg' ich zu ihren Füßen! Ich ließe sie nicht, bis ich sie entweder zu mir nieder- oder sie mich zu sich emporgezogen hätte!

Wie Siegbert noch in diesen Erinnerungen schwelgte, sich ankleidete, mit dem Bleistift an der Übersetzung arbeitete, dann wieder einmal die Blumen emporrichtete oder sich auf eins der Canapés in Professor Berg's Arbeitsraum warf, geschah ihm das Wunderbare, daß er einen Wagen vorfahren hörte, die Thür aufreißen und Melanie hereintreten sah.

Sie war es.. Melanie Schlurck!

Erst glaubte er sie in der weiten Entfernung vom Canapé aus nicht zu erkennen. Sie schien eine Andere, als sie eben in seinen Träumen gaukelte. Sie schien höher, stolzer, strenger, und doch.. es war Melanie! Sie selbst im rauschenden Gewande, sie selbst in dem zierlich leichten Strohhut, eine rothe Echarpe über den hellen Kleidern.. Melanie wieder mit ihm allein! Und er in einer Stimmung, die für ihn eine entscheidende werden konnte!

Aber wie erstaunte er, als Melanie entschlossen auf ihn zuschritt und ihn kurz mit den Worten begrüßte:

Guten Tag, Wildungen! Da bin ich von der Reise zurück! Wie geht's Ihnen? Sind Sie allein, Wildungen?

Fräulein.. sagte Siegbert, übergossen von dem edelsten Purpurroth, dem der männlichen Verlegenheit. Fräulein.. welche Überraschung!

Sie haben einen Bruder, fuhr Melanie kurz und entschieden und ohne allen Umschweif fort. Er heißt Dankmar. Nicht so?

Dankmar, Fräulein – Dankmar Wildungen ist mein Bruder.

Er war in Hohenberg?

Er war in Hohenberg!

Mit dem Fürsten Egon? Er ist ein Freund des Fürsten Egon?

Darauf kann ich keine bestimmte Antwort geben; doch hör' ich, daß er dessen Bekanntschaft in Hohenberg machte.

In Hohenberg?

Er sagte mir, seine Reise wäre abenteuerlich gewesen. Doch wie und wodurch, hoff' ich heute erst näher von ihm zu erfahren.

Melanie hielt sich an eine der Staffeleien, die jedoch zu schwankend war um Stand zu halten... Sie mußte ihre ganze Kraft aufbieten, nicht zusammenzusinken.

Siegbert begriff ihre Aufregung nicht.

Mit einer Entschiedenheit, die in dieser Form nur dem Weibe eigen ist, es aber auch dann nicht mehr schön erscheinen läßt, sagte jetzt Melanie:

Nun denn, so lassen Sie sich über diese Reise von Ihrem Bruder erzählen, was Sie wollen, bedeuten Sie ihm aber im Namen eines Mädchens, das nicht ohne Charakter ist, daß ich ihm verbiete, über Das, was zwischen ihm und mir vorgefallen, auch nur eine Sylbe zu sprechen!

Siegbert stand erstarrt..

Bedeuten Sie ihm ferner, fuhr Melanie fort, daß ich ihm untersage, dem Fürsten ein Wort zu erzählen von der Art, wie er zu dem Bilde gekommen ist, von dem Bilde, von dem Sie werden gehört haben – ich sprach soeben den Amerikaner, dem ich im Heidekrug durch Zufall es überlassen mußte; er versicherte mich, daß es in die Hände Dessen gekommen ist, dem ich es zugedacht hatte.

Siegbert erinnerte sich des Bildes, er erinnerte sich der Reden, die vom Prinzen Egon ihm eben Armand erzählt hatte. Fast sprachlos aber über Melanie's Kälte und ihren Zorn gegen den Bruder, verwirrt durch das ihm völlig dunkle Chaos dieser Eindrücke, bestätigte er einfach, daß er von einem Bilde wisse.. ja!

Sagen Sie Ihrem Bruder, unterbrach ihn Melanie im glühenden Zorn, daß ich von einem Manne, den ich Ursache hätte zu verachten, noch soviel billige Rücksicht erwarte, daß er dem Prinzen das Bild einhändigt, ihm aber und jedem Andern zu erzählen unterläßt, wie er dazu gekommen..

Als sie sich wandte, um zu gehen, bestürmte sie Siegbert mit seinen Fragen um Aufklärung. Er versicherte, daß ihm und dem Bruder jeder ihrer Befehle eine heilige Verpflichtung sein würde.

Sie werden ihn sehen, sagte er, ich schicke ihn sogleich! Wann darf er zu Ihnen kommen, Fräulein?..

Nie! rief Melanie und wandte sich.

Melanie, nie? wiederholte Siegbert und wie von einer räthselhaften Ermuthigung ergriffen, hielt er sie mit männlicher Entschlossenheit fest...

Ich lasse Sie nicht! sagte er. Was haben Sie mit meinem Bruder! Er liebt Sie? Gewiß, er liebt Sie!...

Die Lippen bebten ihm, als er diesen ihm blitzschnell wie das Lachen eines Dämons durch den Sinn fahrenden Gedanken aussprach...

Er liebt Sie? wiederholte er. Wie konnte er Ihnen so nahe sein, ohne Sie anzubeten? Allmächtiger Gott! Was red' ich? Was muß ich reden? Er muß Sie lieben; denn ich, sein Bruder kam ihm ja zuvor und mein armes Herz ist ja nur bestimmt, zu entsagen und mich Denen zu opfern, die mir mein Leben sind!

Als dem jungen Manne dieses furchtbar schmerzliche Geständniß, diese qualvolle Ahnung in convulsivisch hervorgestoßenen Worten von den Lippen gekommen war und er fast ohnmächtig in einen Sessel sank, blieb Melanie eine Weile stehen und sah nicht ganz ohne Mitleid zu Siegbert, dessen leidenschaftlichem Festhalten sie sich entrissen hatte, nieder.

Siegbert Wildungen! sagte sie dann mit ruhiger Kälte. Lassen Sie diese Thorheiten! Ich liebe Sie nicht. Und will auch Ihren Bruder nie mehr sehen...

Melanie! rief Siegbert und faßte nach dem Herzen, das ein krampfhafter Schmerz durchzuckte..

Die kalte, in ihrem Innersten geknickte und verwundete Melanie fuhr fort:

Sie haben Beide sich ohne Zweifel im Leben Ziele gesetzt, die über eine flüchtige Mädchenliebe hinausgehen werden! Halten Sie mich nicht für so leichtsinnig, als ich Ihnen scheine! Auch ich habe mir ein Ziel gesetzt. Es liegt nicht da, wohin Sie und Ihr Bruder steuern! Wiederholen Sie Diesem meine Bitte, unterstützen Sie sie, wenn Sie noch etwas Neigung für mich haben. Im Übrigen denken Sie nicht mehr an mich!.. Sie müssen ein Weib lieben, Wildungen, das wirklich eine Madonna ist, nicht Ihrer Phantasie und Ihrer Weltunkenntniß als eine solche erscheint. Ich bin keine Madonna. Und Ihr Bruder – den kenn' ich nicht und mag ihn nicht kennen lernen... nie mehr sehen...

Du widersprichst dir, Grausame! sagte Siegbert mit bitterstem Schmerz. Ach, mein Bruder sucht keine Madonnen..

Reden Sie nichts für ihn! Nein! Nichts! Er trifft mich nie, heute nicht, morgen nicht, nie! Leben Sie wohl, Wildungen! Glühen Sie für Ihre Kunst, nicht für Mädchenherzen! Wenigstens nicht für solche, wie das meine ist! Das sag' ich aus Stolz, nicht für mich, sondern.. für Sie!

Damit ergriff sie die Thür. Sie hatte das Letzte schon im Gehen gesprochen.. Sie verschwand. Der Wagen rollte dahin!

Siegbert sank auf einen Sessel, neben den Blumen, die er eben erfrischen wollte. Er war sterbender als diese...

So lag er über eine halbe Stunde fast bewußtlos...

Das furchtbare Wort: Ich liebe Sie nicht!... wühlte in seiner Brust, wie ein zweischneidiges Schwert!

Dann zog sich die klaffende Wunde etwas zusammen, als er dem letzten Worte des stolzen, schönen, aber marmorkalt gewordenen Mädchens nachdachte:

»Das sag' ich aus Stolz, nicht für mich, sondern für Sie«.

Es sollte dies ein Balsam für seinen Schmerz sein, aber er mochte ihn nicht nehmen, er wies ihn von sich, er wiederholte sich nur:

»Ich liebe Sie nicht!«

Als sich der tiefgedemüthigte und im innersten Herzen verwundete junge Mann wie aus einem langen düstern Traume aufgerafft, schlug es drei Uhr...

Er ermannte sich soweit wenigstens, jetzt sich zu erheben, den Hut zu nehmen, die Thür zu verschließen, den Schlüssel abzugeben und wie ohnmächtig durch die Straßen nach jener Promenade zu gehen, wo sich mitten in der Stadt der berühmte Restaurant »Grün« befand...

Er traf den Bruder nicht, wohl aber... einen Brief, den er in dem dennoch von Dankmar bestellten Zimmer still für sich allein las.


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