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Zweites Capitel.

Was ist Romantik?

Die Ludmer hatte sich entfernt, um noch einmal den Versuch zu machen, ob sich nicht unter den Geräthschaften, die von Hohenberg gekommen waren, doch noch das fehlende Bild fände.

Sie hatte bei ihrer Gebieterin zu oft erlebt, daß diese im stürmischen Eifer ihres Temperamentes etwas zu vermissen glaubte, was sich später doch so vorfand, ganz wie es sein sollte....

Wir überlassen sie ihrer, im heutigen Falle fruchtlosen Arbeit.

Die Geheimräthin und Schlurck saßen sich indessen schon auf bequemen Polstern gegenüber.

Der Schimmer der gelben Decorirung that seine Wirkung. Pauline erschien frischer, als sie heute schon hätte in Folge der gewaltigen Aufregung aussehen können.

Wenn man glauben wollte, diese beiden Naturen, die von Ehrgeiz zernagte Pauline und der ruhige Epikuräer, hätten füreinander so gepaßt, wie Pauline glaubte, würde man irren. Sie verstanden sich gegenseitig, aber sie gaben keinen gleichen Accord. Sie schätzten sich, ohne sich zu lieben. Schlurck war dies Feuer denn doch zu zehrend, Paulinen sein Phlegma denn doch zu lähmend. Sie hätte immer stürmen, drängen, wirken mögen, er lächelte nur und glossirte. Er arbeitete nur, um die Mittel zum Genuß zu haben, den sie verschmähte, deshalb vielleicht verschmähte, weil sie ihn besaß, ohne ihn erwerben zu müssen.

Schlurck führte auch ihre sehr günstigen alten Ried'schen Finanzen, die von denen des minder begüterten Gemahls gesondert verwaltet wurden.

Des Jahres zwei- oder dreimal gab er ihr eine Übersicht ihrer Einnahmen und gern hörte sie ihm zu, auch wenn er dann gelegentlich von andern Dingen sprach.

Heute nun erklärte Pauline sogleich, über Vieles mit ihm Rücksprache nehmen zu müssen und Schlurck, lächelnd seine Brille abnehmend und die Gläser mit dem einen seiner gelben Glacéehandschuhe, den er auszog, putzend, antwortete:

Ich habe zwar nicht viel Zeit, indessen fangen Sie an! Sie verstehen zu fesseln.

Wollen Sie heute mit mir rechnen? fragte Pauline, um Zeit zu gewinnen, alle ihre Fragen sich erst vorsichtig zurecht zu legen.

Nein, meine Gnädige, erwiderte Schlurck, ich komme nur, um mein Bedauern auszusprechen, daß es mir nicht gelingen wird, die mir vom Reubunde zugedachte Rolle zu spielen. Wollen Sie mich an ein anderes Wahlgebiet verweisen, in der Vorversammlung zu Helldorf ist meine Bewerbung durchgefallen. Mein eigener Lobredner, Justus, der Dorftartüffe, der große Mirabeau der gemäßigten Dummheit, wird die meisten Stimmen davontragen.

Wahlen sind immer interessant, wie auch für Die, die nicht in der Lotterie spielen, die Nachricht von großen da- oder dorthin gefallenen Gewinnen unterhaltend bleibt.

Pauline sprach ihr Bedauern aus und verhieß, anderweitig sorgen zu wollen.

Nein, sagte Schlurck, ich bitte! Lassen Sie mich lieber ganz davon, gnädige Frau! Ich passe in diesen Wirrwarr nicht. Meine Geschäfte wachsen mir über den Kopf, ich müßte sie so vernachlässigen, daß ich in meiner Praxis zurückkäme. Was hülfe mir ein Portefeuille, das ich vier Wochen lang verwaltete? Ehe ich mich noch in der Ministerstraße eingerichtet hätte, müßt' ich schon wieder ausziehen und einen Ärger hätt' ich vielleicht davon, so empfindlich, daß ich meine Verdauung schwächte. Ich werde recht difficil mit meinem Magen.

Aber wenn Sie sich nun behaupteten, Justizrath! Wenn Sie eine Partei bildeten!

Behaupten kann ich mich schon deshalb nicht, weil ich zu leise spreche, und von Parteibildung ist noch weniger die Rede, da ich zu sehr Advocat bin, um nicht jede Ansicht, die uns Vortheil bringt, vernünftig zu finden. Was soll ich für eine Partei bilden? Die der äußersten Austernesser wäre mir die liebste, und auch bei denen gibt es nicht immer einerlei Meinung. Die Einen ziehen die Austern mit Porter, die Andern mit Rheinwein vor und schon über die obligate Anwendung der Citrone hab' ich mich mit mehren meiner Collegen zuweilen überworfen. Nein, nein, keine Politik mehr! Ich habe Fälle erlebt, daß einige meiner Austernfreunde, die sich wählen ließen, plötzlich Gesinnung bekamen. Denken Sie sich, friedliche, ruhige Menschen, die nichts in der Welt mehr kümmert, als daß der Kanzleidiener richtig jedes Quartal ihre Gage bringt, diese kommen plötzlich in Unruhe, weil zweifelhafte Fälle ihr Gewissen beängstigen. Sie erinnern sich dann, daß sie einmal von einem gewissen Papinian auf der Universität gehört hatten, der lieber den Kopf verlieren, als eine ungerechte Sentenz fällen wollte, und wirklich, meine Freunde verloren den Kopf. Das Gewissen, die aufgerüttelte alte akademische Erinnerung guillotinirte sie. Sie hörten von zwei Parteien, saßen mitten drinnen zwischen Baum und Borke, das Beispiel steckt an, die Wähler drohen auch, was macht nun so ein unglücklicher Appellationsgerichtsrath mit Weib, Kindern und seinen alten Collegienheften? Immer schwebt ihm der kopflose Papinian vor Augen und richtig, er legt sich auch auf den Block, stimmt glorreich, wie es die feierlichen Momente, wo Jahrhunderte auf dich herabsehen, edler Staatsbürger, mit sich bringen und ist für ewige Zeiten – geliefert! Ich habe die harmlosesten Menschen aus dem Austernclub verschwinden sehen, denen jetzt kaum etwas Anderes übrig bleibt, als sich einen Hut mit rothen Federn und eine Büchse zu kaufen, um auf Leben und Tod unter die Freischärler zu gehen.

Pauline lachte und erwähnte einige Namen, denen es freilich so ergangen war... andere, die sich durch die schamloseste Reue im Reubunde wieder zu rehabilitiren suchten.

Nein, fuhr der Justizrath fort, keine Politik! Ich habe wirklich zuviel in meinem nächsten Beruf zu thun. Das häuft sich unglaublich. Prinz Egon ist nun zurück und die große Hohenbergische Auseinandersetzung nimmt ihren Anfang. Auch dem Proceß, den ich für die Commune führe, Sie sind selbst daran betheiligt, droht plötzlich eine ganz neue Wendung...

Ja! fragte Pauline, wie steht es damit? Siegt das Kreuz mit den drei oder mit den vier Blättern? Bei Hofe wird viel davon gesprochen.

Ich wünschte, sagte der Justizrath und rückte dabei die Brille auf dem Augenknochen zurecht, ich wünschte, wir wären mit dieser Sache über allen und jeden Klee hinweg, den drei- und den vierblättrigen; den Luzerner Jesuitenklee, den ich dabei wittre, gar nicht zu rechnen. Es ist gar nicht unwahrscheinlich, daß sich zu den beiden streitenden Parteien auch noch eine dritte gesellt...

Eine dritte? Wie wäre Das? fragte Pauline gespannt. O reden Sie!

Lassen Sie mich noch davon schweigen, meine Gnädigste, erwiderte Schlurck; nur soviel ahn' ich, daß die Verwickelung den höchsten Grad erreichen kann, so sehr, daß ich zwischen zwei Feuer gerathe und diesen ganzen Gegenstand in andere Hände geben muß.

Sie spannen meine Neugier! sagte Pauline.

Als Schlurck aber schwieg, fuhr sie fort:

Sie wissen doch, daß der Hof an diesem Proceß Interesse nimmt? So geben Sie mir auch Materialien, auf den alten Grafen Franken oder meinen Mann oder sonst einen Kanal dort wirken zu können!

Es ist merkwürdig, antwortete Schlurck, daß die Minister für eine Entscheidung kämpfen, die den kleinen Cirkeln gar nicht lieb wäre.

Verstehen Sie diesen Widerspruch?

Ich glaub' ihn zu verstehen, sagte der Justizrath und schüttelte den Kopf.

So klären Sie mich darüber auf!

Meine Gnädige, sagte Schlurck, wir leben im Zeitalter der Confusionen. Was der Körper begehrt, darüber scheint unser Jahrhundert einig zu sein. Daß der Magen in den materiellen Fragen die Hauptrolle spielt, haben die Proletarier sowol wie die äußersten Austernesser hinlänglich entschieden und man kann von diesem Standpunkte dem Kampfe ruhig zusehen. Es ist ein Kampf der Verdauungsorgane. Siegen Die, die nur Brot haben wollen, d. h. Brot im weitesten Sinne, als da sind: Trüffeln, Austern und Seefische (denn Das ist der ganze Sehnsuchtsjammer auch Derer, die nur Brot! Brot! schreien), so werden sich ihrer so viele wieder den Magen verderben, daß Brot, einfaches Brot, eine Delicatesse wird und wir da ankommen, wo wir ausgegangen...

Das ist die materielle Frage, sagte Pauline, aber auf die Materie folgt...

Das Herz! sagte Schlurck galant und doch ausweichend. Was das Herz anlangt, meine Gnädigste, so ist das Ihr Capitel! Die Verfasserin der Amarantha – wissen Sie, daß ich altbackner Mensch aus dem empfindsamen Zeitalter von Hölty und Matthison dies Meisterwerk immer noch nicht gelesen habe?

Sehr Unrecht von Ihnen, Justizrath!

Aber Nadasdi hab' ich gelesen, schaltete Schlurck pfiffig ein und runzelte damit Paulinen die Stirn.

Alte Sünden, sagte sie, längst vergeben!

Nein, meine Beste, bemerkte Schlurck, Nadasdi las ich, weil ihn Alle verurtheilten, Amarantha nicht, denn die priesen Alle. Der gute Advocat nimmt sich immer des Bedrängten an; so zog's mich zu dem schönen Ungar, der mich ganz gut unterhalten hat. Und wissen Sie warum? Weil ich darin eine Frau fand, die sich in nichts als Frau verläugnen konnte und ganz meisterhaft nach der Natur copirt war, nämlich die Verfasserin selbst.

Pauline wollte entgegnen und abbrechen...

Erlauben Sie, sagte Schlurck. Ich habe eine große Bibliothek und gelte für einen Literaturfreund. Allein ich sammle und steigere meist auf die Werke, die die berühmten Autoren gern von sich verstecken möchten. Die allgefeierten Schriften belehren mich lange nicht so wie die mislungenen. Und ohne nun sagen zu wollen, Nadasdi wäre mislungen –

Sie haben keine Zeit, sagten Sie, und spotten so behaglich? bemerkte Pauline und drohte mit dem Finger –

Ohne sagen zu wollen, wiederholte Schlurck sehr nachdrücklich, Nadasdi wäre mislungen, so fehlt ihm gerade deshalb die künstlerische Abrundung, weil Sie zuviel von sich selbst gegeben haben. In der Amarantha hör' ich, daß Sie, schlimme Frau, Andere geschildert haben – Andere kenn' ich genug – die Familie der Andern, ach, die ist so groß! Aber Sie, Sie in Ihrer Unruhe, Ihrer Sehnsucht, Ihrem Bedürfniß nach Anlehnung, Sie hab' ich in Nadasdi gefunden. Ich sah eine Frau, von der ich wußte, warum sie liebt. Sie lieben deshalb, weil Ihnen die männliche Ergänzung Bedürfniß ist und wer mir gesagt hat, Sie wären von einem männlichen Geiste, dem hab' ich geantwortet: Nein, diese Frau ist ganz Weib und wenn man's nicht glauben will, so lese man den Nadasdi.

Schlimmes Compliment! antwortete Pauline überrascht von Schlurck's Artigkeit, hinter der ihr etwas verborgen schien. Sie wollen doch wol nur andeuten, daß wir nichts ohne die Männer vermögen und daß wir, wenn wir einmal selbst etwas schaffen wollen, höchstens einen misrathenen Roman zu Stande bringen?

Vergebung, sagte der Justizrath halb und halb beistimmend und das Bittere seiner Äußerung durch einen Handkuß überzuckernd, ich wollte nur sagen, warum ich die berühmten Schriftsteller gern aus den Werken studire, die sie nicht gesammelt haben. Ich komme darauf zurück, daß über die Stellung, die das Herz zu unserm Jahrhundert einnimmt, doch wol die Damen entscheiden mögen.

Nun aber der Geist? sagte Pauline. Sie vergessen die Erklärung des Widerspruchs, in dem die kleinen Cirkel über jene Angelegenheiten befangen sind.

Beste gnädigste Freundin, sagte Schlurck, der Geist ist ein Chamäleon oder einer jener delicaten Fische des Alterthums, der sich in italienischen Seen finden soll und über dessen Geschmack ich nichts sagen kann, ebensowenig wie über seine zweckmäßigste Zubereitung. Dieser Fisch aber, soviel weiß ich, meine Beste, hatte die curiose Eigenschaft, daß er, gekniffen und gemartert, in hundert Farben spielte. Über den Magen, über das Herz ist man einig; man weiß, daß speisen und lieben oder, um mich anständiger auszudrücken, geliebt werden in dieser Beziehung die befriedigendsten Seligkeiten gewähren, aber der Geist, dessen Nahrung, dessen Befriedigung, darüber rennen sich die Behälter des Geistes, die Köpfe, blutig aneinander. Was im Mittelalter Geist war, nun wohl, das wußte man damals, es war Religion und Scholastik. Was in der Reformation Geist war, das wußte man auch, es war Bibelerklärung und hebräisches Wortgeklaube. Was im vorigen Jahrhundert Geist war, das kannte man unter dem Namen Esprit, Voltaire, Hume. Aber was jetzt Geist ist, gnädige Frau, was jetzt dem Einen tief, dem Andern oberflächlich erscheinen soll, darüber herrscht mehr Anarchie als in der Gesetzgebung über die Einreden und Verjährungen. Erstaunen Sie nicht, die kleinen Cirkel halten es geradezu für geistreicher, der Commune den Sieg in dieser Frage zu gönnen als dem Fiscus.

Für geistreicher? wiederholte Pauline lachend. Das zu fassen, bin ich zu geistesarm. Romantischer, sagen Sie!

Meine Beste, fuhr Schlurck fort, der an Paulinen oft gemerkt hatte, daß sie sich belehren ließ; sehen Sie, das ist etwas, was sich mehr fühlen als beschreiben läßt. Ich will Ihnen eine Analogie sagen. Wenn ich Caviar esse, den ich sehr liebe, falls er im Rathskeller frisch und hübsch großkörnig angekommen ist... wenn ich Caviar esse und der grüne Römer, mit Rüdesheimer gefüllt, steht vor mir und man fängt an zu streiten über Das, was wahrer sei: der Ausspruch eines Weisen oder der eines Narren, so gefällt mir der Narr besser. Ich höre oft feinstilige Autoren verurtheilen, weil sie bestechlich waren und mich prickelt mein Caviar und mein Rüdesheimer so, daß ich's laut ausrufe: Bestechlich hin, bestechlich her! Schreibt erst so wie sie! Tischt mir Eure Tugenden in einem Stile auf, der so glänzend ist, wie seine Laster schrieben, und dann möcht' ich manchmal in meine Bibliothek und solchen Schwätzern gleich die ganze Sammlung von zwölf oder zwanzig prächtig eingebundenen Werken dieser angefeindeten Lebemänner an den Kopf werfen! Ich liebe nun den Witz, die Bosheit und die schlagenden Antithesen in der Schreibart, Andere lieben das Bauschige, das Prächtige, das Rauschende, das Stoffene, Andere wieder das Harmlose, Bescheidene, Fromme, Gänseblümige, Veilchene. Aber...

Sie schildern ja unsere kritische Anarchie, Justizrath! unterbrach Pauline.

Ich schildere unsere ganze Geistesverwirrung. Sie findet sich überall, auf allen Gebieten. Das Wunderliche erscheint den Leuten wunderbar. Das Seltsame ist ihnen die Regel. Das Aparte sogar soll ihnen das Allgemeine sein. Gesinnung! Ich höre nicht gern davon, weil nachgrade das Verlangen danach unbequem wird. Aber diese geistreichen Empfindler nennen die Gesinnung unschön. Warum? Sie erhitzt! Sie spricht viel! Sie zwingt zur Kameraderie! Sie läuft! Sie rennt! Sie träumt, wenn sie vom Zweikammersystem reden soll, nicht über den Humboldt'schen Kosmos, nicht über Goethe's Morphologie der Pflanzen, nicht über Dante's Paradies und Hölle... wie kann man so geistlos sein und von der Zeit, von Tendenzen, von der Gesinnung reden! Verstehen Sie?....

O ich merke etwas von den »kleinen Cirkeln«, sagte Pauline lächelnd.

Nun nehmen Sie einmal unsern Proceß, fuhr der feine Ironiker fort. Siehe! Da gab es eine Zeit, die da geheißen ward: die mittlere. Und siehe! Da gab es eine Ritterschaft, die da geheißen ward: die geistliche. Die Einen trugen einen weißen Mantel mit rothem Kreuz und hießen Templer, und die Andern trugen einen schwarzen Mantel mit weißem Kreuz und hießen Johanniter. Beide erwarben Schätze, beide legten Comthureien und sozusagen Relais für die Kreuzzüge an, Stationen, wo nur Tapferkeit, dummer Glaube, alter Wein und baares Geld zu finden war. Man kaufte Güter, baute Burgen, baute Häuser in den Städten und wußte mit dem Schwerte Das gewaltsam einzutreiben, was nicht mit dem Klingelbeutel von selber kam. Diese Ritter waren halb Soldaten, halb Mönche. Sie können sich denken, welches übermüthige Volk! Die Fürsten ertrugen's auch nicht gar lange und verbrannten und verbannten die Templer, die schon die üppigsten von Allen waren, wie Sie in der Oper sehen können, wenn sie einmal (der Templer und die Jüdin) wieder gegeben wird. Die Johanniter duckten sich und hielten sich länger... Das schadet aber Alles nichts. In den Gemüthern, die, wie schon gesagt, das Bauschige, Prächtige, Rauschende, Stoffene lieben, bleiben diese Gestalten der Vorzeit ehrwürdig. Und nun kommt die Reformation, dieses in gewissen Kreisen so wenig geachtete Lichtexperiment, das wie unsere neue Gasbeleuchtung dem Einen nicht hell genug, dem Andern viel zu hell erscheint für's Sehen und Gesehen werden – in Diebsprocessen kommen darüber Beschwerden vor – und die reichen Güter dieser Orden fallen da und dorthin, wer sie gerade in der großen Flut der Religionskriege und Säcularisationen auffischt. Hier unsere Stadt fischte sich siebzehn Häuser, darunter das spätere Wohnhaus der Marschalks, das Sie näher angeht, die Grundgerechtigkeit von Tempelheide und eine Menge anderer Grundrechte, die alle einst dem Johanniterhof von Angerode gehört hatten. Und Das ging so vom Jahre 1550 bis in Zwischenräumen von immer funfzig, sechzig Jahren, wo der erstarkenden Souverainetät unserer alten allmälig avancirenden Markgrafen einfiel, daß herrenloses Gut doch wol eigentlich den Landesherren und nicht den Stadtgemeinden gehöre. Jetzt, wo man Geld braucht und unsere Communen, die sich gern, wie man zu sagen pflegt, volksthümlich gebehrden, empfinden lassen möchte, daß sie kein Staat im Staate sind, jetzt hat unser wühlerischer Finanzminister auch diesen alten Posten wieder aufgewühlt und verlangt eine Wiederaufnahme dieses alten Handels und zwar mit einer solchen Energie, wie der preußische Friedrich den alten schlesischen Proceß dadurch revidirte, daß er Schlesien ohne Weiteres gleich in die Tasche steckte.

Ist denn der Betrag erheblich? fragte Pauline.

Doch! sagte Schlurck. Es beläuft sich der jährliche Ertrag dieser alten Gefälle an die Stadtkämmerei auf achtzigtausend Thaler, woraus sich ein Capital von zwei Millionen ergeben würde...

Und dies sollten die kleinen Cirkel dem Staate nicht gönnen? erwiderte Pauline erstaunt.

Gönnen? wiederholte Schlurck. Das wol! Aber nun denken Sie sich, über den siebzehn Häusern, von denen nur zwei in der Brandgasse noch die alten in ganz alter Form sind, thront als Wahrzeichen das Kreuz, das Kreuz mit seinen ritterlichen Erinnerungen, in Tempelheide hat die alte Kirche das Kreuz, Tempelheide... Heidentempel... Christentempel... Tempelchristen... und die alte Stadt, die ist doch so etwas Ehrwürdiges mit ihren drei Schlüsseln im Wappen, und die besten Prediger die sind auf diese Gelder angewiesen und es läutet so schön mit den Glocken, wo diese Prediger wohnen und sie ihre Kirchen haben und die Geschichte und die Sage, die webt über das Ganze so einen undurchsichtigen, feierlichen Matthison'schen Nebelschleier, der sich in der stillen Abenddämmerung der Archive an der kundigen Hand des Generals Voland von der Hahnenfeder, der uns durch die Burgverließe der Jahrhunderte führt, so silbergrau, so patriarchalisch, so mystisch ausnimmt...

Pauline unterbrach den Justizrath mit lautem Lachen.

Hören Sie auf! rief sie, Sie sind prächtig, Justizrath! Ja, ja! Sie haben Recht! So ist's! So ist's! Von solchen Empfindungen werden wir jetzt regiert. Himmel! Von solchen Motiven werden die wichtigsten politischen Schritte geleitet! Aus dieser Dämmerung webt sich Voland von der Hahnenfeder seine schwache, haltlose Spinnenwebenpolitik! Darum kein energischer Aufschwung! Darum keine That! Kein Handschuh, kühn der Zeit hingeworfen! Darum die Unterordnung unter Rom, unter andere alte Fürstengeschlechter, nur weil sie fabelhafte Wappenthiere haben und die Tradition der älteren Vergangenheit! O Das ist die romantische Dämmerung, in der die Nachteulen fliegen müssen, die das Schloß besuchen dürfen.

Nicht wahr! sagte Schlurck mit satirischem Lächeln. Was läßt sich dagegen sagen! Solche Anschauungen kommen aus Dem, was die Herrschaften ihren Geist nennen, wie wir wieder die Anschauungen Voltaire's unsern Geist nennen. Aber wissen Sie, welch ein Sonnenstrahl jetzt, wie das Schwert des Erzengels Michael, dies ganze Helldunkel durchschneiden kann? Will man denn doch die Verjährung nicht gestatten, will man sich immer darauf berufen, daß alle funfzig Jahre vom alten Zeitgeist gegen den neuen protestirt wurde, so ist es leicht möglich, daß sich ein dritter Bewerber einfindet, der in dem Augenblicke, wo der Staat zwei Millionen Capital in sein großes Buch einzutragen die Feder ansetzt, dazwischen tritt und sagt: Halt da! Halbpart! Dies ganze alte Wesen ist mein Eigenthum und Ihr könnt zufrieden sein, wenn ich mich mit der Hälfte noch gar begnüge!

Das ist eine Allegorie! rief Pauline. Wie wäre diese Einrede möglich?

Keine Allegorie! sagte Schlurck, zog seine goldne Dose und nahm eine Prise; ich habe fast Ursache zu vermuthen, daß dieser Rival, der sich so zu sagen zwischen Fürst und Volk, alte und neue Zeit drängt... der Prinz Egon ist.

Wie? rief Pauline und erhob sich. Prinz Egon? Wie kämen die Hohenbergs zu solchen Ansprüchen?

Das ist es eben, sagte Schlurck, was ich erfahren, von Ihnen erfahren möchte, gnädige Frau. Sie sind, Ihre Amarantha beweist es, mit der Geschichte der Hohenbergs sehr vertraut. Sie waren einst die Freundin der Fürstin Amanda. Ist von Seiten der Grafen von Bury ein Zusammenhang mit dem alten Tempelhause von Angerode und einem alten Johanniter Hugo von Wildungen denkbar? Was die Hohenbergs selbst anlangt, so kenn' ich deren Geschichte genau und kann versichern, daß ich von dieser Seite nicht begreifen könnte, wie sich Prinz Egon an diesem Processe betheiligen sollte.

Prinz Egon? Haben Sie denn dafür Beweise? fragte Pauline.

Beweise? wiederholte Schlurck. Ich habe vorläufig nur einen Verdacht und ein eigenthümliches Corpus delicti, das sich an meine letzte Anwesenheit in Hohenberg knüpft... Ist Ihr Herr Gemahl zurück?

Seit gestern! Aber reden Sie doch! Erzählen Sie doch! Sie finden mich ja im lebendigsten Antheil, Schlurck!

Der Justizrath zog seine Uhr und hielt sie an's Ohr....

Wir haben etwas lange philosophirt! sagte er.

Ich bitte! Bitte! Weg mit der Uhr!

Es ist schon spät... Ich habe...

Sie haben nichts, als mein Freund, mein liebenswürdiger Freund zu sein....

Ah, gnädige Frau....

Küssen Sie mir ein andermal die Hand!

Nun wohlan denn, so wollen wir uns beeilen, auf das Gebiet der Thatsachen zu kommen.

Die Geheimräthin hörte mit lautloser Spannung.


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