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Paris, den 24. April 1842.
Je mehr man eine Kraft vertheilt, desto weniger wird sie wirken.
Bestreitet die Homöopathie diesen Satz: die französische Presse beweist ihn. Die Presse, an Blättern zunehmend, wird schwächer in ihrer Wirkung. Die Presse wächst in ihrer Kraft durch die Auflage, sie verliert aber durch die Concurrenz. Die Concurrenz hat schon jetzt einen großen Theil der Kraft des französischen Journalismus gebrochen.
Das Journal ist wirksam auf dem Ladentisch, dem Arbeitspulte, vor, während und nach dem Frühstücke. Es ist wirksam, wenn man es für seine baaren drei Sous im Theater oder beim Nachhausegehen Abends an irgend einer Ecke der Boulevards kauft. Wirkungsloser schon ist die Presse in der großen Auswahl, die die Cafés bieten, völlig schwach im Lesecabinet. Im Lesecabinet liest man die Journale, um ihre Meinungen zu wissen, nicht um sie zu theilen.
Nirgends gelten die französischen Journale weniger, als in Paris. Im Auslande erfindet man sich zu jedem Journale einen Anhang, den man in Paris nirgends sieht. Was in der Ferne eine Partei scheint, schmilzt in Paris zu einem Actienverbande, zu einem Redactionsbüreau zusammen. In der Ferne hält man sich die besseren Journale, in Paris wuchert das Unkraut neben ihnen durch. Aus zwölf großen Zeitungen, die uns der Garçon zu unserer Morgenchocolade hinlegt, sich eine Meinung zu bilden, erfordert mehr Geist, als man in einem Kaffeehause bei Jedem voraussetzen darf.
Man hat die Statistik des Absatzes der Journale dann und wann mitgetheilt. Man kann diese Zahlen ziemlich genau liefern, da die Stempelabgabe eine genaue Controle der Auflage voraussetzt. Doch würde man sehr Unrecht thun, nach diesen Zahlen die Stärke der von dem Journal vertretenen Ansichten entnehmen zu wollen. Diese hängt nicht von der Zahl der Käufer, sondern von ihrem Stande ab. Sind die Käufer Gesellschaften, Kaffeehäuser, Zeitungsbüreaux, oder sind es Privatleute? Vertheilen sich diese 3 oder 4000 Abonnenten auf das Land oder die Stadt, auf Paris oder die Provinz, auf den Adel oder den Bürger, auf die Geistlichkeit oder die gezwungenen Abonnements der Regierungsbüreaux? Welches ist das Morgenjournal des Handwerkers, des Epiciers, des reichen Börsenspeculanten? Man wird erstaunen, wenn ich sage: Sein Morgenjournal ist nicht das freisinnigste, nicht das geistreichste, sondern das wohlfeilste.
Commerce, Courier, Constitutionnel sind Blätter, die man bei Spazierfahrten nach St. Cloud und Versailles von dem pariser Mittelstande nennen hört. Dieser Mittelstand hat eine halbliberale Tendenz. Er liebt allerdings das Bestehende, besonders den guten Fortgang seines Geschäfts, allein es befördert doch seine Verdauung, zu sehen, wie man Andern die ihre erschwert, besonders den Ministern und dem guten Louis Philippe, den die Franzosen achten, aber nicht lieben. Der kundenreiche Friseur, der reiche Metzgermeister, der gebildete Sattler, Riemer, der Posamentier, selbst wenn er Schnüre für die Armee zu liefern hat, lacht gern über die Verlegenheiten der großen und gelehrten Herren, die er mit seinen directen und indirecten Steuern ernährt. Eine stürmische Deputirtensitzung ist ihm so viel werth, wie ein neues Vaudeville auf einem Boulevardtheater. So sehr er die Straßenemeuten, bei denen seine theuern Ladenspiegel und Schaufenster zertrümmert werden können, verabscheut, so sehr liebt er Emeuten am Hofe, im Ministerrathe, in der Deputirtenkammer, kurz jede Emeute, die sich, wie er es nennt, innerhalb der parlamentarischen Formen erhält. Für den pariser Mittelstand ist die Charte nicht da, um gehalten zu werden, sondern man hat sie erfunden, um sie dann und wann zu verletzen, überhaupt um Frankreich zu amüsiren. Er räumt den Ministerien ihre Nothwendigkeit ein, doch dürfen sie nicht zu lange dauern. Zwei Jahre ist die höchste Zeit, die er gestattet; nach zwei Jahren müssen es andere Namen sein, die er in den Zeitungen liest, die alten ennuyiren ihn.
Die ärmeren Handwerker und Arbeitsleute hängen von der Lectüre ab, die sie in ihrem Commerce de vin finden. Die Regierung gibt sich viele Mühe, in diesen Versammlungsörtern der untern Volksclassen, selbst in ihren Wohnungen die Zeitschriften zu verbreiten, die für die bestehende Ordnung geschrieben werden, aber da es theils an den Gegenwirkungen der Parteien nicht fehlt, theils den Arbeitern selbst an politischem Urtheil nicht gebricht, so hält der Weinschenk die Zeitung, die seine Gäste wünschen. Seitdem die 40 Franken-Presse »erfunden« ist, ist dies der Siècle, ein unter Odillon Barrot's Einfluß stehendes liberales Journal, das hauptsächlich deshalb gestiftet wurde, um der Presse von E. de Girardin die Stange zu halten. Der Siècle ist unstreitig das verbreitetste französische Blatt. Es zählt über 20 000 Abnehmer.
Daß die politische Journalistik in demselben Grade, wie sie in Deutschland an Macht gewonnen hat, in Frankreich an Macht verlor, ist Thatsache. Die Schuld liegt an der eingestandenen Unfruchtbarkeit der Debatten, an den allzu häufigen Schwankungen der hervorragendsten politischen Charaktere und dem dadurch veranlaßten geringeren Vertrauen in die Aufrichtigkeit der gedruckten Versicherungen, endlich allerdings an der Vierzigfrankenpresse, die den Journalismus in die Sphäre der Industrie herabgezogen, die Geheimnisse der innern Mechanik eines Journals aufgedeckt und die niedrigsten materiellen Leidenschaften offenbart hat an Gemüthern, die man sich früher nur vom Glorienschein der Uneigennützigkeit umgeben vorstellte. Aus dem Principienkampfe wurde Brotneid. Mit dem geschwächten Vorurtheil verringerte sich die moralische Kraft.
Dennoch ist es noch immer der Mühe werth, einen Blick in dies Chaos der französischen Presse zu werfen. Wenn ein Journal auch keine Staatsmänner mehr stürzt, so kann es doch noch welche machen. Sie werden die Quelle bleiben, aus der sich der Fremde über Frankreich unterrichten muß. Melden sie nicht, was man weiß, so melden sie doch, was man glaubt. Der Irrthum ist längst wichtiger geworden, als die Wahrheit: ja der Irrthum ist in unsrer heutigen Politik sehr oft die Wahrheit selbst.
Wir theilen die französische politische Journalistik ein in ministerielle, gouvernementale und Oppositionspresse.
Die Regierungspresse ist die ministerielle. Der Moniteur wird vom Staat bezahlt und erhält seinen Werth, wenn er veraltet. Man schlägt ihn nach, um frühere Reden in der Kammer, um Gesetze und Verordnungen zu vergleichen. Der Moniteur bringt deshalb den authentischen Inhalt der Kammerdebatten, weil jeder Redner das Recht hat, Das, was er gesprochen haben soll, selbst durchzusehen. Sauvo, der den Moniteur seit seiner Gründung redigirte, ist pensionirt; seitdem leiten ihn die Herren Panckoucke, Grün und Sauvage. Eine Stelle am Moniteur ist eine Sinecure. Das ministerielle Abendblatt, früher das Journal de Paris, dann la Charte de 1830, ist eingegangen und dafür der Messager angekauft worden. Hier findet man die Ankündigungen der Regierung, die telegraphischen Depeschen, die Berichtigungen, hier werden die »Dementis« gegeben über das Gerücht einer Ministerialauflösung, einer Streitigkeit unter den Collegen, über den auswärts als bedenklich geschilderten Gesundheitszustand des Königs u. s. w. Es finden sich bei diesem größtentheils nur aus Notizen bestehenden Blatte wenig Namen von Bedeutung. Da seine Finanzen geregelt sind, so kann es dann und wann ein gutes Feuilleton bezahlen. Der kleine Trabant des Messager ist der Moniteur parisien. Er ist nicht ganz so officiell, wie der Messager, aber da er das Privilegium des Ausrufes in den Theatern hat, so hüpfen ihm schon zu gleicher Zeit mit dem Messager die meisten der officiellen Canards zu. Canard (Ente) nennt man jene kleinen Novitätenartikel, die aus einem Journal in das andere springen. Die ganze deutsche politische Journalistik z. B. ist aus lauter Canards zusammengesetzt. Ueber Nacht verwandelt sich der Moniteur parisien in die Gazette de Paris. Er rückt nämlich die hauptsächlichsten Artikel vom Abend zusammen, läßt die unbedeutenderen aus und gewinnt dadurch Raum für das vollständige Theaterrepertoir, das man auch am Rande des Corsaire abgedruckt findet. Man muß gestehen, daß die journalistischen Hülfstruppen der Regierung sehr unbedeutend sind. Le Globe, ein ministerielles Blatt, redigirt von Granier de Cassagnac, will keinen Fortgang gewinnen.
Die gouvernementale Presse vertheidigt allerdings den Hof und die Regierung als solche, aber nicht immer die Ministerien. Käme Thiers je wieder ins Ministerium, es würde doch vom Journal des Debats zu schamlos sein, ihn nach ihren neuesten Angriffen wieder vertheidigen zu wollen. Doch würde es sich einen Uebergang bilden. Es würde sagen: Wir achten Dich in diesem Augenblick, Deiner Würde wegen, wir wollen Dich nicht hindern, das Land glücklich zu machen, wenn Du es kannst; wir wollen deshalb nicht mit der Opposition Hand in Hand gehen, weil uns der König dauert, der den Fehler begangen hat, Dich zum Minister zu machen! Ganz so steht jetzt die Presse des Herrn von Girardin gegen Guizot. Die Presse, ein in der That durch ihre Appellation an die materiellen Interessen einflußreiches Blatt, unterstützt Guizot in Allem, dessen das Ministerium gegen die Parteien bedarf, verschweigt aber nicht, daß sie einem Ministerium Molé geneigter wäre. Sie weicht in der Eisenbahnfrage und über das Untersuchungsrecht von Guizot ab. Für diese Unsicherheit wird das Ministerium durch die meist ministeriellen Provinzialblätter, besonders aber durch die politischen Uebersichten in den beiden großen Revüen schadlos gehalten. In der Revue de Paris schreibt Professor Lherminier, in der Revüe des deux Mondes Staatsrath Rossi den Bericht über die laufende Tagesgeschichte.
Die Oppositionspresse ist theils parlamentarisch, theils dynastisch, theils reformistisch, immer aber im Widerspruche mit der Regierung. Die parlamentarische Opposition ist die der Advocaten und der Deputirten, der Constitutionnel, unter Thiers' Einfluß, an der Spitze.
Im Constitutionnel wurde die Hauptmine gegraben, die allmälig die Bourbonen in die Luft gesprengt hat. Sein Kampf gegen die Jesuiten, gegen den Klerus, gegen die Restauration in allen ihren Verzweigungen, selbst in den romantischen des Dramas, war einst eben so glorreich, wie gewinnbringend. Was unter der Restauration nur irgend unzufrieden war, fand das Echo seiner Klagen im Constitutionnel. Militairische Reminiscenzen der alten abgedankten Generale der Kaiserzeit mischten sich mit dem Ehrgeiz der jungen Generation, und die Kaufleute waren es, die dadurch für die Opposition gewonnen wurden, daß man sein Geld nicht besser anlegen konnte, als in einer Actie des Constitutionnel. Wer bei der Gründung des Constitutionnel 5000 Franks gezahlt hatte, konnte nach fünf Jahren sein Anrecht für 50 000, ja nach zehn Jahren für 250 000 Franks verkaufen. Da der Constitutionnel unter der Restauration zur Opposition gehört hatte, mußte er nach der Julirevolution ministeriell werden. Dies war ein Unglück für ihn. Die kleinen Blätter bewitzelten den alten Herrn, fanden, daß er sich am Ministertisch lächerlich ausnähme, und setzten ihm eine Schlafmütze aufs Haupt und einen grünen Schirm vor die Augen. Die Folge war jenes sprichwörtlich gewordene Desabonnement des Constitutionnel. Von 23 000 Abnehmern sind nur noch 6000 übrig geblieben. Die Actien sanken im Werth, Thiers kaufte sie auf und hält sich durch diesen Verbündeten, der nicht mehr sein Freund, sondern sein Sklave geworden ist.
Der Courier français hat nur 3000 Abonnenten, verdient nur so viel, als er grade braucht, um seine Redacteure vor der Nothwendigkeit, sich bestechen zu lassen, sicherzustellen, und nimmt so lange für Thiers Partei, als sich Odillon Barrot dadurch nicht beleidigt fühlt. Der Courier français gilt mehr, als er einbringt. Er ist freimüthig, ohne die Bürger zu beunruhigen. Er ist tapfer, ohne Kriegslärm. Er ist in seinem englischen Theile gut redigirt und ist gefällig gegen das Ausland, ohne Frankreich etwas zu vergeben. Von C. Weil, dem Redacteur des deutschen Courier in Stuttgart, brachte er mit großer Zuvorkommenheit sachkundige Artikel über die Emancipation der Juden. Der Courier français ist leicht anzuregen und regt wieder an. Seine Kraft ist die, daß er nicht nach mehr strebt, als er besitzt. Er ist ohne Ehrgeiz für seine Partei und für sich selbst, seine Redacteure jedoch ausgenommen, von denen mir Leon Faucher nach hohen Dingen zu streben scheint. Seit einiger Zeit enthält er im Feuilleton kleine hübsch erfundene Drôlerien, die den langathmigen Erzählungen der Presse und des Siècle gefährlich werden können.
Das Siècle ist nächst den Debats und mit der Presse das einflußreichste Blatt in Frankreich. Es kostet nur vierzig Franken und bringt, was die andern Blätter für achtzig geben. Am beliebtesten ist es durch sein Feuilleton, an das es ungeheure Summen verwendet. Die Politik in dem hohlen Geiste Odillon Barrot's ist die Knochenzugabe zum Fleisch. Das Siècle orakelt gern, wie sein Beschützer. Der Redacteur Chambolle hat sich unter Armand Carrel zum Publicisten gebildet. Seine Artikel sind umfassenden Inhalts, ohne besondern geistigen Gehalt. Chambolle und Louis Denoyers, letzterer für den literarischen Theil, sind die beiden Arme des Siècle. Die Theaterkritik besorgte früher Bergeron, derselbe, der für eine Emile de Girardin gegebene Ohrfeige noch jetzt in der St. Pelagie sitzt. Jetzt schreibt sie Hippolyt Lucas.
Ein neues Vierzigfrankenblatt, la Patrie, steht unter dem liberalen Deputirten Pages de l'Arriège. Es ist erstaunlich, daß eine Zeitung ohne innere Nothwendigkeit und äußeren Werth es doch in Frankreich allein durch seine erste Ankündigung schon auf 1500 Abnehmer bringen kann. Zu viel, um zu sterben, zu wenig, um zu leben.
Der Commerce, früher Journal du Commerce, gehörte lange Zeit, materiell und geistig, dem Deputirten Mauguin. Diese Zeitung hat viele Anstrengungen gemacht, um Terrain zu gewinnen. Da es einen Handelszweck affichirt, so gehen viele Leute auf dem Lande in die Falle und kaufen statt einer Vertheidigung der materiellen Interessen in ihm eine verworrene auswärtige Politik, sibirische Kindermorde, polnische Revolutionen, Petersburger Emeuten, Tscherkessensiege und ähnliche Neuigkeiten aus Mauguin's Privatministerium der öffentlichen Angelegenheiten. Dies Journal kaufte der Abenteurer Louis Bonaparte an und hätte damit allerdings erfolgreicher im Herzen Frankreichs landen können, als zu Boulogne. Aber es fehlte das Talent, das ihn vertheidigt, es fehlte Aufrichtigkeit, die ihm gedient hätte. Der Commerce kam an seinen alten Eigenthümer zurück. Thiers, der seit dem 1. März 1840 die ganze Journalistik in sein Interesse zu ziehen suchte, konnte sich nicht mit Mauguin verständigen und so blieb der Commerce bei jener alten Linken, deren Vertreter in der Kammer neben Mauguin Lherbette ist.
Der Temps steht nicht ganz in der rein parlamentarischen Sphäre. Von dem Bureau dieser Zeitung ging bekanntlich die Julirevolution in ihren gesetzlichen Demonstrationen aus. Ihrem Drucker Baude sollten die Pressen vernichtet werden. Die Schlosser und Schmiede, die die Regierung abgeschickt hatte, kamen und gingen unverrichteter Sache fort, da ihnen Baude aus dem Code den Paragraphen vorlas, daß Jeder, der dem Andern die Mittel seiner Existenz zerstört, die Galeeren verwirkt. Im Büreau des Temps versammelten sich die Volkshäupter und beriethen die ersten gesetzlichen Schritte gegen eine Dynastie, die aufgehört hatte, zu regieren. Seither ist der Temps immermehr gesunken. Sein einst gepriesenes Feuilleton, an dem Coste, Nodier, Loewe-Weimars schrieben, ist in die Hände Eug. Brissault's gefallen, eines jener leichten Schwätzer, die aus dem pariser Straßenstaub, aus dem Geruch der Gaslaternen, aus einem gestürzten Miethgaul Stoff zu großen Artikeln hernehmen. Die Kammerfraction, die der Temps vertheidigt, gruppirt sich um Passy und Dufaure, die unter Soult im Jahre 1839 Minister waren.
Zu den Blättern derjenigen Opposition, die eine Aenderung der Dinge weniger in den Ministern, als in der Dynastie wünschen, gehören von liberaler Seite der National, von legitimistischer die Gazette de France, die Quotidienne, die France, die Mode.
Der National war unter A. Carrel republikanisch. Seit den Septembergesetzen ist er bonapartistisch. Die Redacteure werden diese Definition schwerlich zugestehen, aber sie reicht aus. Der National hat so lange für die Freiheit gestritten, bis er es müde wurde, die Franzosen zu überzeugen, und zum Ruhme griff. Die Fasces einer Consularregierung hat er vertauscht mit dem Commandostabe des Kaiserreiches. Napoleon von 1815, Napoleon, der eine Charte votirt, würde dem National seit Carrel's Tode vollkommen genügen. Der National ist das Organ der Armee geworden, das Organ der jungen Unterofficiere, die gern die Epaulettes verdienen wollen. Seit den Debatten über die Rheingrenze wird uns in dieser Zeitung nichts mehr vertraut ansprechen. Der Deutsche muß in ihr ein Streben erblicken, vor dessen Siege er sich zu fürchten hat. Immermehr von diesem Siege sich entfernend, ist der National mürrisch, stetig, hypochondrisch geworden. Thomas, ein ehemaliger Holzhändler, liegt als Gérant wie ein Cerberus vor dem Eingang in die Höhle des National. Jules Bastide und Armand Marrast, beides Schriftsteller von großem Talente, sind die beiden Herzkammern dieses kleinen Staatskörpers.
Auch die Gazette de France ist herabgekommen und wird es immer mehr, wenn Herr von Genoude fortfährt, sie zu nichts, als dem Bülletin seines täglichen Befindens zu machen. Herr von Genoude haben wohl geruht, Herr von Genoude haben eine Reise gemacht, Herr von Genoude sind von der ganzen Bevölkerung des Südens mit Triumphpforten und Ehrenbogen eingeholt worden, – man würde diese Bülletins für eine Satyre auf den König halten, wenn Herr von Genoude diese genauen Berichte über sich nicht der christkatholischen und legitimistischen Sache, die die Gazette vertheidigt, schuldig zu sein glaubte. Nichtsdestoweniger ist die Gazette vom Papst verboten worden. Der Papst will keine Freunde, die den katholischen Fürsten Verlegenheiten schaffen. Er will keine Priester, die das allgemeine Stimmrecht lehren und sich nur deshalb noch für eine vertriebene Dynastie verwenden, weil keine Aussicht da ist, daß sie je zurückkehrt. Herr von Genoude ist fast schon so gut ein Republikaner, wie Lamennais. Diese Zeitung, die der Regierung viele Sorgen macht, die, seitdem sie sich in ein Abendblatt verwandelte, wenn nicht an Abnehmern, doch an Lesern gewann, wird von Genoude wie eine Provinz geleitet. Die Unterpräfecten sind Lourdoueix, Bauregard und Bossange. Bossange schrieb früher die Briefe der Nachbarin, die in der Gazette so vieles Aufsehen machten.
Die Quotidienne ist nicht so radikal, wie die Gazette. Sie würde sich mit Louis Philippe versöhnen, wenn z. B. das uralte Privilegium der französischen Könige, durch das Auflegen ihrer Hände Kröpfe zu heilen, auch auf ihn übergegangen wäre. Der Herzog von Montmorency bringt dem Bestehen dieses Journals große Opfer. Herr Laurentin leitet die Redaction. Muret, Poujoulat und Merle sind seine Mitarbeiter. Ausgesprochener ist die Farbe der France, eines nur dürftig vegetirenden Blattes, an welchem der fahrende Ritter Vicomte d'Arlincourt arbeitet, jener Minstrel, der durch Europa nach Dosen, Ringen, Anekdoten und Diners pilgert, wie die alten echten Pilger nach den Cedern Libanons. Eines der gefährlichsten legitimistischen Blätter ist die Mode des Vicomte Walsh. Diese elegante Revue erscheint jede Woche nur einmal, findet sich aber auf allen Toilettentischen des Faubourg St. Germain. Die Wespen dieser kleinen Revue stechen nicht die Minister, sondern den König, die Prinzen, die Prinzessinnen, den Hofstaat. Die Mode kritisirt die täglichen Ausgaben Louis Philippe's, seine Jahresrechnungen, seine Weine, seine Diners. Ist einer der jungen Prinzen im Theater, so schreibt die Mode, er hätte schmuzige Handschuhe angehabt. Seit einigen Tagen zögert eine der Schwiegertöchter des Königs mit ihrer Niederkunft. Die Mode schreibt, sie müsse dies aus Sparsamkeit thun, weil der König wünsche, sie käme an seinem Namenstage, dem ersten Mai, nieder, damit die Kosten dann in Einem hingehen. Die Mode macht die Familienabende des Königs lächerlich, wie die Glieder der Familie alle um einen runden Tisch herumsitzen, einen Tisch mit Schubladen, wo Jede ihr Strickzeug hervorholt. Mad. Adelaide, die Schwester des Königs, setzt die Brille auf. General Athalin, des Königs Adjutant und so zu sagen sein Schwager, hält das Garn, das die Königin abwickelt. Die Civilliste gibt einen Ball. Die Journale erzählen, daß einige eingeladene Nationalgarden-Majore sich betrunken hätten. Die Mode widerlegt dies Gerücht, da kein Major von der pariser Nationalgarde im Stande wäre, die Weine zu trinken, die die Civilliste in ihrem Keller führt. Die Mode wird oft mit Beschlag belegt, oft verurtheilt, aber es scheint, als wenn von Kirchberg und Görz die Mittel kommen, ihre Verlegenheiten zu decken und den talentvollen Redacteur, Vicomte Walsh, für seine Gefahren zu entschädigen.
Die radikale politische Oppositionspresse besteht aus der fourieristischen Phalange und dem communistischen Journal du Peuple. Die erste ist ohne Einfluß, wenn auch nicht ohne Bedeutung. In Paris ist kein gedruckter Buchstabe ohne Bedeutung. Das Journal du Peuple schwang sich durch Dupoty's unerklärliche Verurtheilung so auf, daß es, statt drei Mal wöchentlich, täglich erschien. Man findet im Journal du Peuple vortreffliche Aufsätze. Der Standpunkt, von welchem aus die laufende Tagesgeschichte hier beurtheilt wird, ist neu und nicht selten erhaben. Kersausie, Louis Blanc, Felix Pyat arbeiten für das Journal du Peuple. Da man keine Revolutionen mehr in den Straßen machen kann, so hat sie dieses Blatt in das Feuilleton verlegt. Jede Nummer bringt im Feuilleton Geschichten, Novellen, Anekdoten aus den verschiedenen Revolutionen aller Jahrhunderte. Dabei ist es Bedingung, daß jede Revolution aus den edelsten Triebfedern entstehen und von den tugendhaftesten Menschen geleitet werden muß. Ein deutscher Schriftsteller lieferte dem Journal du Peuple einige neuere deutsche Revolutionsbilder. Man würde sie genommen haben, wenn der Vf. nicht mit zu viel Ironie vom hambacher Feste gesprochen hätte. Bei aller Gediegenheit dieses Blattes in seiner Redaction und seinen politischen leitenden Artikeln wird es sich nicht halten können. Die radikale Partei kann in Frankreich nur herrschen, wenn sie gefürchtet wird. Man kann in Frankreich vielleicht das ganze Volk auf den Standpunkt des reinen Jakobinismus hinaufschrauben, aber nicht das, was man Publicum nennt. Die Leute, welche Geld haben, kaufen das Journal du Peuple nicht. Die, welche vielleicht lesen können, haben kein Geld, und Die, für welche diese Zeitung eigentlich berechnet ist, haben weder Geld noch können sie lesen.
Nimmt man zu diesem Chaos der täglich erscheinenden Journalistik noch die in Paris selbst sehr abbleichenden und minder eindrucksvollen Witzeleien des Charivari und die plumperen Satyren des Corsaire, so wird man es nicht unerklärlich finden, wie sich zuweilen die selbständigen, freieren Geister über diesen Wirwarr hinauszukommen sehnen. Wär' ich Franzose, ich würde vielleicht mit irgend einer Meinungsschattirung dieser Blätter übereinstimmen; übertrag' ich aber mein deutsches Gefühl auf dieses tosende Marktgedräng, so würd' ich mir einen Standpunkt außer ihm suchen müssen, ich hielte diese Monotonie eines und desselben Mühlengeklappers nicht aus. Wer in Frankreich sich vom Journal befreit, kann es nur, wenn er über den Journalismus erhaben ist. Den Gelehrten, den Philosophen, den Dichter kümmert dieses ewige Dreschen leeren Strohes wenig: er leidet selbst zu sehr darunter, als daß er für irgend einen dieser trügerischen Faktoren der öffentlichen Meinung Partei nehmen sollte. Staatsmänner aber, die sich über diese Debatten erheben könnten, die heute legitimistisch, morgen demokratisch urtheilten, sind jetzt noch seltne Ausnahmen: eine der glänzendsten Lamartine. Journalisten, die sich in Frankreich eine selbständige Bahn brechen, kommen nur alle zehn Jahre einmal vor. Man macht sich als Tagesschriftsteller in Paris noch immer nicht anders geltend, als durch ein Journal: man macht ein Journal nicht anders geltend, als durch eine Partei.
Zwei Journalisten, die sich in dem Gewühl der französischen Presse einen eigenen Standpunkt zu schaffen verstanden, sind Henri Fonfrède und Emile de Girardin. Der erste ist todt. Er kam von Bordeaux, wo er sich durch eine Provinzialzeitung einen Namen gemacht hatte, nach Paris und zeichnete sich in dem damals noch bestehenden ministeriellen Journal de Paris aus. Fonfrède wich von der ganzen Politik Frankreichs ab; er desavouirte nicht allein die Politik des Parteigeistes, sondern sogar die der Regierung. Er war entschieden anticonstitutionel, ein reiner Monarchist. Fonfrède sprach über den Staat, als hätte er dessen Natur in Göttingen studirt. Die Lehren von den drei Gewalten im Staate, von der Notwendigkeit ihrer Trennung, von dem Vertrage zwischen Fürst und Volk, alle diese Grundsätze des neuen constitutionellen Staatsrechtes verwarf dieser Schriftsteller, der sich seine eigne Doktrin, ja sogar seine eigne politische Sprache schuf. Sein Hauptsatz war: frei sein heißt: gut regiert werden. Fonfrède, fanatisch in seinen Angriffen, indiscret in seinen Vertheidigungen, schuf der Regierung, die an seinem polemischen Talente allerdings Freude hatte, doch große Verlegenheiten. Sie mußte ihn nach Bordeaux zurückschicken.
Nach Fonfrède bildete sich Emile de Girardin, nur mit dem Unterschiede, daß wenn jenen die Ueberzeugung reif machte, bei diesem viel die Umstände dazu beitrugen. Girardin gilt für einen der einflußreichsten Männer in Frankreich. Er hat die Presse im Privilegium ihrer Alleinherrschaft untergraben, indem er seine Zeitung für vierzig Franken verkaufte und dadurch die Finanzen aller übrigen Blätter verwirrte. Wo nichts ist, hat in Frankreich, wie überall, der Kaiser sein Recht verloren, und auch das Volk das seinige. Girardin machte mit seiner Unternehmung Glück. Er zahlte, er zog die bedeutendsten Talente in seinen Kreis, er brach die Macht des Journal des Debats, ohne darum zur Opposition überzugehen, er war gouvernemental, zuweilen antiministeriell, immer aber der Schutzherr des Königs, der königlichen Familie, der Schutzherr der französischen Vorurtheile gegen England, der materiellen Interessen gegen die Ideologie des Tages. Es ist aus vielen Gründen wol unmöglich, daß E. de Girardin je Minister wird, aber er hat dem Hause Bertin einen Theil seiner Macht entrungen, man fürchtet ihn, man macht ihm den Hof, man bewundert sein Talent, man gibt sich in den Tuilerien die Miene, als müsse die Dynastie Orleans sich ihm auf Gnade und Ungnade ergeben, er wird bald die Minister machen, wie er jetzt schon bei den Wahlen durch seine unterm Volk sehr verbreitete Zeitung die Deputirten macht.
Trotz dieses Einflusses glaub' ich nicht, daß Jemand in Frankreich in Emile de Girardin's Haut stecken möchte. Es gibt Namen in Paris, die vielleicht unpopulärer sind, als der seinige, aber keinen, der in größern Scandal verwickelt war. Begegnete diesem Schriftsteller ein plötzliches Unglück, es würde nur Wenige geben, die ihn bemitleideten. E. de Girardin ist ein warnendes Beispiel, wie weit man mit sich und seiner Ehre in die Oeffentlichkeit treten darf. Als Deputirter von Bourganeuf hat dieser ohne Zweifel talentvolle Mann eine schonungslose Prüfung seiner Geburts- und Lebensumstände ertragen müssen. Seitdem ich höre, er wolle sich ihr bei den nächsten Wahlen zum zweiten Male aussetzen, ist mir die traurige Thatsache bewiesen, daß Zweifel an unserm moralischen Werth diesen Werth selber untergraben können.
Emile de Girardin ist von mittlerer Figur und blassem, fahlem Gesichtsteint. Seinen Augen ist ein prüfendes Stechen, eine Mischung von abwechselnder Unruhe und plötzlicher scharfer Fixirung eigen. Man sieht ihnen die gewaltig im Hirn umrollenden Gedanken, die ewige Erregung der Leidenschaft, die Lebhaftigkeit einer überreizten Phantasie an. Sein ganzes, etwas unreif aussehendes Wesen scheint auf dem Qui vive! zu stehen. Man kann von ihm sagen, Erschöpfung und Anspannung durchzittern sich so in ihm, daß man nicht weiß, ob er am Vorabend eines Entschlusses oder am »Lendemain« einer Täuschung steht. Beim Anblick der zarten Hand, die den charakterfesten und geistvollen Redakteur des National, Armand Carrel, tödtete, überkam mich eine Rührung, die auszusprechen, wol etwas zu deutsch gewesen wäre. Girardin selbst rührte mich: sein täglicher Kampf, seine täglichen Prozesse, seine täglichen Briefe an den National, sein beunruhigender, unbefriedigter Ehrgeiz, seine Inpopularität. Man kann Jemanden im Duell getödtet haben, aber um uns darüber ganz zu beruhigen, muß der Andere uns gefordert haben. Man kann in der großen Oper eine Ohrfeige bekommen, man hat nicht nöthig, wenn man schon ein Mal Jemanden erschoß, sich deshalb noch ein Mal zu schießen, aber es ist drückend, wenn der Thäter dafür drei Jahre ins Gefängniß muß. Einen Deutschen würden solche Erfahrungen zum Einsiedler machen, den Franzosen treiben sie, sich immer noch mehr in der Masse vorzudrängen. Bitterkeit, Melancholie und nervös gereizte krankhafte Leidenschaft sind in den Gesichtszügen Girardin's unverkennbar.
Der Redakteur der Presse spricht mit Geist und nicht ohne Kenntnisse. Er ist viel gereist, hat mit französischen Augen viel gesehen, mit französischen Ohren viel gehört, Girardin kennt Deutschland, unsre Politik, unsre Eisenbahnen, unsre Theater. Er sprach über die Verwaltung, die Gesetzgebung, die Journalistik Frankreichs, Europas und Amerikas mit gleicher Gewandtheit, nicht nur notizenweise, sondern nach Gesichtspunkten. Er bezweifelte die längere Dauer des Ministeriums Guizot, stellte Guizot's politische Talente in Abrede und deutete auf Molé. Ich nahm aus seinen anregenden Gesprächen, was mir haltbar schien, fand aber, als er von Deutschland redete, aufs Neue bestätigt, daß man in Frankreich der verhaßteste Absolutist sein und in Deutschland noch als ein eingefleischter Jakobiner erscheinen kann. Die Franzosen sprechen über Emile de Girardin, wie wir etwa über das berliner politische Wochenblatt sprechen würden. Und doch steht dieser Publizist ganz auf der Höhe der Zeit, ist entschieden constitutionell, ein entschiedener Freund der Preßfreiheit. Herr von Girardin erzählte von seinen Entrevüen mit dem Fürsten von Metternich und Herrn von Rochow. Beide Staatsmänner werden sich überzeugt haben, daß ein deutscher Liberaler, gegen einen französischen Hofpublizisten gehalten, doch noch in seinen Ansprüchen ein wahres Muster von Bescheidenheit und in seinen Grundsätzen würdig eines Ordens ist.