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Paris, den 16. April 1842.
Am verwichenen Sonntag fuhr ich mit der Eisenbahn nach Versailles. Die mildeste Frühlingsluft, der schönste Sonnenschein begünstigte die Fahrt. Von dem geschmackvoll eingerichteten Bahnhofe des rechten Ufers kommt man in etwas mehr als einer Stunde nach der weltberühmten erinnerungsreichen Residenz des vierzehnten und funfzehnten Ludwig. Die Fahrt geht langsam. In St. Cloud stiegen die aus, die hier schon ihre Sommerwohnungen bezogen haben. Das Thal von St. Cloud ist ein lieblicher, ländlicher Aufenthalt.
Ich verehre Alles, was mit der Geschichte verwitterte. Ich ehre diesen Sturm und Regen der Jahrhunderte, der über Hütten und Paläste den grauen Schleier des Alters legt. Versailles hat gesündigt und gebüßt; warum es anklagen? Die Hand der Revolution ging schonend über diese Grotten und Tempel hinweg; warum an diesen Steinen nur den Schweiß der Völker sehen, der sie kittete: warum sich erzürnen über eine Periode, die gerichtet ist!
Drei große Alleen führen auf die Höhe des versailler Schlosses. Links und rechts die alten Gebäude waren Marställe und Remisen, waren Gastwohnungen für die Dienerschaft fremder Herren, die nach Versailles kamen, um anzubeten und zu staunen. Hier wurden Schönheiten untergebracht, ehe der Weg gebahnt war, sie aufs Schloß zu bringen. Hieher wurde verbannt, was sich oben vor dem eifersüchtigen Blicke der Favoritinnen verbergen mußte. Welche Erinnerungen! Welche Poesie hier selbst im Kleinsten und Unscheinbarsten! Vergebens bannt man vom Auge die gaukelnden Gestalten jener vergangenen Zeiten fort. Immer rollt vor ihnen ein Gewühl von goldnen Staatswagen, mit bunten Läufern und Heiducken, rauschen die seidnen Gewänder über die marmornen Treppen, widerhallend von den Stelzschuhen dieser bewunderten, mächtigen Weiber. All diese Einsamkeit, diese Öde belebt sich! Zu den Statuen sieht man die Urbilder, zu den Helden die Gelehrten, die ihre Thaten feierten, zu den Frauen die Dichter, die ihrer Schönheit schmeichelten. Man lächelt, daß uns von allen Seiten Schriften und Bilder an Louis Philipp erinnern sollen, an Louis Philipp, der aus Versailles ein Gemäldemuseum gemacht hat.
Man blickt noch ein Mal rückwärts, um vom Eingangshofe des Schlosses die großartige Aussicht zu genießen. Man schreitet durch zwei marmorne Bilderreihen alter französischer Krieger an der Capelle rechts durch einen Corridor, man betritt den Garten, den berühmten Garten von Versailles. Die tiefblaue Luft über uns, links die begrenzende Hügelkette, der Blick hinunter in den Frühlingsschimmer der Alleen, fern am Rande das saftige Wiesengrün, man glaubt dies Alles schon einmal gesehen zu haben. Man erinnert sich der hundert Nachahmungen von Versailles in den deutschen Markgrafschaften und alten geistlichen Bisthümern, man denkt an Schwetzingen, an die vielen Monrepos und Monmirails, die Solitüden und Sanssoucis. Versailles aber steigt als das kühn entworfene, groß gedachte Musterbild noch höher vor unsern Augen auf. Diese Dimensionen, diese Fronten, diese Wasserbecken mit den lieblichsten Erfindungen der Bildhauer, diese Riesentreppe, diese blendenden Marmorstatüen, diese endlosen Fernsichten! Die Großartigkeit der Maßstäbe überwältigt uns, die Frühlingsluft erweitert die Brust, überwunden und geblendet folgt man träumerisch dem spielenden Sonnenstrahl.
Wie sinnig die in Bronze ausgeführten Ideen zu den großen Wasserstrahlen, die am ersten Mai springen werden! Die Bronze im glänzendsten grünen Lüstre, wie ein schweizerischer Bergsee. Die Gruppen sinnig vertheilt, schalkhaft erfunden und meisterhaft ausgeführt. Wie lieblich am Springbrunnen der Terrasse die beiden Knaben, die nach einem Vogel greifen! Man übersieht die geschmacklos verschnittenen Bäumchen, die rechts und links den Weg von der Terrasse herab besetzt halten. Man betrachtet die putzigen kleinen Laubkegel als Staffage zu den übrigen Reizen der Kunst und Natur, betrachtet sie wie jene drolligen Metamorphosen lybischer Bauern in mundaufsperrende häßliche Frösche, die, wenn die Wasser springen, die in der Mitte thronende Diana mit dem Erguß ihres Zornes bespritzen. Man betritt die große Allee mit ihrem, in der Mitte ausgebreiteten grünen Wiesenteppich. Rechts und links die schlanke griechische Götterwelt. Alle süßen Geheimnisse der Mythologie sind hier durch den Meißel der Bildner verrathen, die tausend und einen Liebschaften der großen Götter, die Umtriebe, Abenteuer und Mädchenraube der kleinen. Wie die Faunen durch die Büsche lauschen, wie die Satyrn hüpfen, um die badenden Nymphen zu überraschen! Mancher dieser zottigen Waldgötter hat eine frappante Physiognomie. Es sind keine arkadischen Griechen, es sind Petitmaitres von Versailles. Es sind die Züge der gesuchtesten Roués der Höfe von Ludwig XIV. und XV., die die Bildhauer hier verewigt haben, sowie man unverkennbar an vielen der geraubten Proserpinen und überraschten Dianen die Züge der Maintenon und Montespan erkennen wird.
Leichte, üppige, frivole Welt! Sie endete mit einem Schaffote; warum soll man sie verdammen? Warum nicht über jenes wandernde Fräuleinstift lächeln, das zu zwei und zwei geschart, angeführt von einer grün bebrillten alten Bonne, durch die Alleen schreitet, sich niederläßt zwischen einer reizenden Venus und einem adlergetragenen lieblichen Ganymed, um in Thomas a Kempis, Fenelon oder einem Bildungsbuche der Madame Guizot zu lesen? Warum soll man sich in diesem Marmorglanz und Blütenschimmer, unter diesem blauen Himmelsdach, in diesen spielenden Sonnenatomen, im Abglanz der blitzenden Strahlendecke des Bassins nicht eingestehen, daß es schön sei um eine Welt der Dichtung, schön um den ionischen Himmel der Idealität, schön um eine Auffassung des Lebens von der Sonnenseite der Kunst und Natur.
Durch eine Pforte, an einem Häuschen vorüber mit der lächerlichstörenden Inschrift: Secours aux noyers (wer wird sich hier ertränken!) tritt man in die wilden Parthien des Parkes ein. Hatte im Garten, den wir eben verließen, die Natur unter der Scheere des Laubbildners geseufzt und war sie ihr durch manche freie Anomalie doch zuweilen neckisch entschlüpft, so war sie hier losgebunden und dem eignen Triebe überlassen. Man kommt zum großen und kleinen Trianon, den Privatzaubergärten jener Armiden, die einst die Könige von Frankreich zu Sklaven einer nicht gut geschlafenen Nacht, zu Sklaven ihrer Migräne machten. Es sind unscheinbare kleine Häuser, bedeutend nur durch die Erinnerung. Hier ertheilte die Maintenon Audienzen, hier hörte sie die Vorlesungen der Dichter und moralisirte, als sie nicht mehr lieben konnte, hier badete sich in den dunkeln Rococogemächern die Dübarry und salbte mit duftendem Öl jene schönen Haare, die ihr höhnisch der Henker wegschnitt, als sie den üppigen, weichen Körper auf das Bret der Guillotine legen mußte. Es flüstert hier in den Bäumen nach dem Kosen der Liebe, es raschelt in dem noch vom Herbst gebliebenen Laube nach Intrigue.
Die Revolution hat sich an den alten fränkischen Königen vergriffen, hat ihre Gebeine aus den Särgen von St. Denis gerissen, hat Statüen niedergerissen, hat die Bildwerke der Kunst verstümmelt, ihnen die Arme und Nasen abgeschlagen, nur an Versailles ist sie vorübergegangen. Sie hatte Versailles vergessen. An dem Tage, wo die pariser Nationalgarde gewaltsam die königliche Familie von Versailles nach den Tuilerien abholte, war diese verloren, Versailles gerettet. Man dachte nicht mehr an die Schale, da man den Kern hatte. Wie man kostbare Möbel gegen Staub bedeckt, so lag auf Versailles dreißig Jahre eine Hülle. Napoleon haßte Versailles, weil er die Unsittlichkeit haßte, die Bourbonen lüfteten die Decke ein wenig, Louis Philipp wagte es, sie ganz zu heben, indem er aus Versailles ein Gemäldemuseum machte. Die Dynastie Orleans kann wieder von Versailles sprechen. Der junge Herzog von Orleans spricht von Horace Vernet, Scheffer und David und denkt dabei an das kleine Trianon. Als er sich mit der Prinzessin von Mecklenburg vermählte, feierte man ein großes Fest in jenem berühmten Ballsaale, auf dem sich die ersten Symptome der Revolution gezeigt hatten. Man räumte den Saal für das Fest des jungen Brautpaares auf und fand ihn so, wie ihn die Revolution verlassen hatte. Noch sah man auf der Erde die Spuren des militairischen Bankettes, sah Lichtstumpfe, zerbrochne Gläser, Champagnerkorke, sah die zertretenen Cokarden der Gardes du Corps und die festlichen Bänder der Offiziere des Regiments von Flandern. Die Dynastie Orleans hat Alles wieder scheuern, putzen und sauber anstreichen lassen. Noch wohnt sie nicht hier, aber es wäre ein welthistorischer Moment, wenn eines Morgens der Herzog von Joinville zu seinem Vater käme und sich das kleine Trianon zum Sommeraufenthalt für Dem. Rachel ausbäte! Diese Miene von Louis Philipp! Dieser Fluch, den er auf das Gelüst des jungen Seefahrers schleudern würde! Der alte vielgewanderte Ulysses würde das Fenster aufreißen und sagen: »Siehe, dort auf jenem Platze wurde Philipp Egalité, mein Vater, guillotinirt! Willst Du noch das kleine Trianon haben?« Der Prinz von Joinville würde sich seine Halsbinde lüften, in aller Stille das Fenster zumachen, seinem neufoundländer Hunde pfeifen und ohne alles Geräusch im Wald von Vincennes auf die Entenjagd gehen.
Das Museum von Versailles erläutert in Bildern die Geschichte von Frankreich. Die Säle muß man schockweise, die Bilder nach der Elle messen. Viele dieser Darstellungen haben nur Tapetenwerth. Es sind einige Meisterwerke darunter, die Mehrzahl gehört zu dem Genre von Gemälden, das man alte Schildereien nennt. Nur mit Mühe erwehrt man sich der Vorstellung von einer fabrikartigen Anfertigung dieser Bilder. Und doch sind es nur gesammelte, allmälig, in langen Zeitzwischenräumen aufgespeicherte Beiträge zu einem und demselben Zweck. Mit Clovis und Dagobert fangen diese Erinnerungen an. Die Schlacht bei Zülpich, die Thaten Karls des Großen, die Kreuzzüge, die Jungfrau von Orleans, die Ligue und Fronde, die Schlachten am Rhein, bis zur Revolution, bis auf Napoleon, bis auf die Einnahme von Antwerpen und Constantine; kein Gefecht, kein Scharmützel ist vergessen. Es macht einen Eindruck wie ein Orbis pictus für Kinder. Man kann diese Galerie als Schlachtenfibel für den Unterricht in der Geschichte benutzen. Man sollte die Gymnasien von Paris hierher führen, um sie auf eine amüsante Weise die Geschichte zu lehren. Für die Geschichte Napoleon's wimmelt es an Verherrlichungen. Da ist kein Fort, keine Brücke, keine Schanze vergessen, die seine Armeen genommen haben. Napoleon's Einzug in Berlin, Napoleon in Potsdam, Napoleon im berliner Schloß, Napoleon und die Fürstin Hatzfeld, Napoleon und die Königin Louise in Tilsit, alle russischen Siege bis zum Brande von Moskau. Von da an wird die Geschwätzigkeit dieser Malerpinsel etwas einsilbiger und es könnten gegen die Vernets, Gros, Gerards, Scheffers, Lenglois, Beaumes, die Wachs, die Schadows, die Begas, die Cornelius sich einstellen, wenn diese Herren nicht Madonnen, Heilige, Nixen und alte Hünen zu malen vorzögen. Die Schlachten von Lützen und Bautzen im Anfang der Befreiungskriege sind noch dem Ruhm des napoleonischen Adlers vorbehalten. Bei Lützen sind die Preußen noch im Costüme von Jena gekleidet. Ich entdeckte nichts von den jungen preußischen Freiwilligen, die hier zu Hunderten fielen, nichts von den jungen berliner Turnern, die hier ihre erste Waffenprobe ablegten. Auf Lützen folgt in schnellem Sprunge die Schlacht von Hanau, einige kleinere Gefechte in Frankreich und mit No. 949 des Katalogs: Les adieux de Fontainebleau.
Die Dichter sind doch nur Schmeichler, aber feile Miethlinge sind die Künstler. No. 950. Louis XVIII. in Calais. No. 951. Louis XVIII. in den Tuilerien. Dieselbe Leinwand, dieselben Farben, dieselben Lichter und Schatten, ob Napoleon oder die Bourbonen, wenn nur die Perspective richtig ist! Unglücklicherweise war aber die Restauration sehr unmalerisch. Dieser behäbige Lateiner, Louis XVIII., der sich in seiner Bibliothek abmalen läßt. Er sinnt über Etwas, das er niederschreiben will. Nicht etwa einen freisinnigen Ergänzungsartikel der Charte, nicht etwa das großmüthige Protokoll einer Entsagung auf Entschädigungen, sondern den Entwurf einer lateinischen Inschrift im Lapidarstyl. Der einzige pittoreske Moment der Bourbonen ist ihre Abreise. Ludwig XVIII. flieht vor dem rückkehrenden Napoleon bei Nacht nach Gent. Der Schein einer Laterne erhellt das düstre Gemälde, erhellt die Mienen der ihn Umstehenden. Bestürzung auf allen Gesichtern und die verdammte Portraitähnlichkeit! Es sind dies alles bekannte noch lebende Physiognomien, die hier täglich vor dem neugierigen pariser Volk als »Männer von Gent« dem Martyrium der Unpopularität sich preisgeben müssen. Endlich kommt der weißröckige Karl X. mit seinem ewig geöffneten Munde, die Ölfläschchen- und Oriflammenkomödie von Rheims, wo alle diese legitimistischen Häupter im mittelalterlichen Festesornat sich wie Kartenkönige und Kartenbuben ausnehmen, dann sogar Erinnerungen an jenen kläglichen spanischen Interventionskrieg, wo man Bivouaks- und Vorpostengefechte als Schlachten verewigt dargestellt sieht, Navarin, die Einnahme von Algier, Triumphzüge und Fanfaronaden aller Art, bis zur Julirevolution. Diese ist in ihren wichtigsten Momenten und Folgen von den bedeutendsten Malern wiedergegeben, leider aber auch hier mehr das Ceremonielle und Dekorative der Ereignisse vor dem eigentlich Poetischen und Charakteristischen bevorzugt. Die Akte zur Herstellung der Freiheit sind gegen die zur Herstellung der Ordnung hintangesetzt. Überall Louis Philipp, nie das Volk. Überall die Gewalt, schwörend, versprechend, beeidigend, und die Masse nur in Uniform, nur als Nationalgarde, nur als Munizipalität, als Deputirten- und Pairskammer. Dann der kleine Ruhm von Antwerpen. Verewigt sind jene denkwürdigen Momente eines Ausmarsches, einer abgehaltenen Revue, eines prinzlichen Rittes durch die Tranchéen, die Momente einer Kugel, die beinahe hätte tödtlich werden können, ganz schon wieder in dem prahlerischen und servilen Geiste der Restauration. Nur ein Zimmer hat mich hier noch wahrhaft interessirt. Es ist dem Grabe, dem wirklich ernst gemeinten Grabe des jungen Frankreich gewidmet, Algier.
Sicher ohne es zu wollen, hat Louis Philipp in der Eröffnung des Algier-Saales eine neue Epoche angedeutet. Es ist das junge Frankreich, das sich hier für eine unnütze Eroberung verblutet. Freundliche Helle beleuchtet den Saal. Das von obenherein fallende Licht hebt die frischen Tinten der Bilder noch höher. Die Figuren, die Bäume, die nackten Felsen auf diesen Gemälden werfen keinen Schatten und verrathen dadurch, wie hoch die Sonne hier stehen muß, wie glühende Strahlen sie wirft. Und trotz dieser nackten Steine, trotz dieser brennenden Hitze, klettern die jungen französischen Regimenter muthig zu den Wällen der wilden Felsennester hinan, richten ihr Geschütz, legen Bresche und pflanzen die dreifarbige Fahne auf die mit dem Säbel in der Hand eroberten Schanzen. Die jungen Tirailleurs und Scharfschützen in ihren blaugrauen Röcken, mit den rothen Pantalons, lauter kleines, aber gedrungenes und an Ausdauer und Entbehrung gewöhntes Volk, tragen fast noch alle die Nummern der jüngsten Conscriptionslotterie an den spitzlaufenden Casketts, die jungen Unteroffiziere schielen nach den Epauletten der Offiziere, die Offiziere nach den Cordons der Generale. Mit gezogenem Säbel schreiten die gebräunten jungen Helden ihren Colonnen voran; sie kommen eben erst aus der Artillerieschule von Nancy, aus Metz, aus dem polytechnischen Institut von Paris. Diese junge Soldateska Frankreichs, die sich hier aus Hinterhalten so oft meuchlings von den Beduinen schlachten lassen muß, hat etwas Studentikoses: man sieht, sie gehören alle zur Partei des National. Sie schreiben Berichte an Armand Marrast über den Gang der afrikanischen Angelegenheiten, über die Indolenz der Oberoffiziere, über die Grausamkeiten Negrier's. Sie würden kassirt, käme es heraus. Aber auch die Oberoffiziere werden durch Algier liberal. Bügeaud, der im Duell einen freisinnigen Deputirten erschoß, der »Schlächter der Rue Transnonain«, wie man ihn nennt, Bügeaud, der sich aus Gefälligkeit für den Hof, der ihm schmeichelte, den brutalsten Excessen militairischer Gewaltthätigkeit hingab, bereut jetzt, was er that, und schließt sich dem militairischen Liberalismus des »National« an. Man ersieht an diesen bildlichen Darstellungen aus dem jungen Kriegerleben Frankreichs, daß die eigentliche Kraft der französischen Armeen doch von jeher in ihrer Beweglichkeit, in ihrer Marschfertigkeit, in ihrer Ausdauer, ihrer Mäßigkeit, ihrem heitern Sinne, ihrem demokratischen nationalen Bande zwischen Befehlenden und Gehorchenden, ihrer Elasticität, in ihrem von oben bis tief unten herab sich verzweigenden Esprit de Corps gelegen hat.
Meine letzten versailler Stunden gehörten St. Marc Girardin. Im Schoß seiner traulichen Familie, an dem abendlich noch immer nicht zu entbehrenden Kaminfeuer, unter kleinen lieben Kindern, die um acht Uhr artig das Händchen geben und gute Nacht sagen, sah ich, daß man bei den Seinen auch in Frankreich glücklich sein kann. St. Marc Girardin, der geistvolle Professor der französischen Literatur an der Sorbonne, Staatsrath im Ministerium des Unterrichts, gründlicher Kenner der pädagogischen Literatur Deutschlands, lebt seiner Gesundheit wegen einige Sommermonate in Versailles. Durch die Eisenbahn gehört Versailles zur Banlieue von Paris. Schnell führte sie mich in die belebte Welthauptstadt zurück. Es war ein sternenklarer, mondheller Abend. In flimmerndem Zauberglanze verschwand Versailles vor meinen Augen. Es blieb zurück mit seinen Erinnerungen, schweigsam, stumm und todt, umwoben vom Mondenlicht, beschattet von der Nacht.
Stummes Grab der Zeiten, du führtest mich zu den beredteren Gräbern der Menschen! Auch auf dem Père la Chaise war ich, auf dem Calvarienberge der Unsterblichen. Beschattet von Fichtenbäumen und Trauerweiden zieht sich in schlängelnden Windungen der steinige Pfad hinauf, den Tausende erklommen, um hier auf immer auszuruhen. In Versailles verbirgt sich schüchtern und ängstlich die Erinnerung, hier ruft sie frei und offen den Wandrer mit Immortellenkränzen und goldnen Inschriften an. Der Père la Chaise, fast nur berühmten und verdienten Männern gewidmet, hat nichts Geschwätziges, nichts Ruhmrednerisches. Man sieht die Thaten und vergißt die Schmerzen nicht. Wahrhaft große Männer sind nie glücklich gewesen. Wie viele dieser Halmen sind mit Thränen benetzt, wie viele dieser Lorbeern drückten sich auf Stirnen, die der Gram furchte, auf Scheitel, die die Sorge bleichte! Der Ruhm, den man oft hassen muß in den Annalen der Geschichte, wo nur die großen Männer schimmern, die guten im Schatten stehen, man gewinnt ihn wieder lieb auf dem Père la Chaise, auf diesem Gottesacker, der mit seinen blühenden Terrassen, seinem ätherischen Blumendufte, einer andern Welt gehörend, auf den wüsten Lärm von Paris herniederblickt!
Der Friedhof des Père la Chaise erhebt sich hinter der Vorstadt St. Antoine am östlichen Ende von Paris. Es ist theuer, auf diesen geweihten Boden zu kommen. Wem seine eignen Mittel unmöglich machen, hier zu ruhen, der hat Freunde, Anhänger, Bewunderer. Wieviel berühmte Männer starben nicht und ernteten erst im Tode die Anerkennung, die man ihnen im Leben versagte! Nähert man sich der entlegenen Ruhestätte, so wird man unwillkürlich Alles, das uns begegnet, auf den Tod beziehen. Eine lange öde Straße führt von der Julisäule zu den Gräbern des la Chaise hinauf. Le Capitole las ich in einem Winkel mit Riesenlettern hingemalt. Auch ein Todter! Ein Journal, das die Polizei im napoleonischen Sinne stiftete, um zu ersehen, wer diese Tendenz unterstützen würde. Der Redakteur, Herr Durand vom Journal de Francfort, war ein Spion, ohne es zu wissen. Als dem Capitole eines Tages vom Kaiser von Rußland 40 000 Franken geschickt wurden, wußte Louis Philipp, was er wissen wollte, und hob das Journal auf. Die Gräberstraße ist lang genug, um über diese Art von Politik sich seine eignen Gedanken auszuspinnen. Weiter hinauf mitten unter dem Staub der hier gemeißelten Grabeskreuze und Denksteine liest man in großen Lettern an einem Hause: Deutsch, den Namen eines Handwerkers! Man erschrickt, dem lieben vaterländischen Namen gerade hier unter den Todten zu begegnen. Endlich sieht man noch zwei große Häuser, die für die Aufnahme sittlich verwahrloster Kinder bestimmt sind. Es sind Leichenhäuser für die Lebendigen.
Man betritt den Friedhof. Ein Führer wird uns geleiten und die besuchtesten Stellen zeigen. Es ist nicht Alles Ruhm, was wir hier begraben finden werden. Dort in dem ersten kleinen Tempel liegen die Gebeine des Herrn Moses von Eichthal! Es ist auch das Geld, auch das Amt, das sich hier begraben läßt. Störender Gedanke, bei jedem Imortellenkranz erst zu fragen: Verdienst du ihn auch, der du hier begraben liegst! Man wendet sich rechts. Ein gothisches Monument fesselt unsere Aufmerksamkeit. Vierzehn kleine Säulen tragen zehn Bogen, über welchen sich Karnieße mit Blumen verziert befinden. Hier liegen die Reste von Abälard und Heloise. Zum ersten Mal vereint nach der an dem Geliebten begangenen Greuelthat; aber nur ihre Knochen küssen sich, ihre Asche ist in Eins geflossen. Für die Leiden des Genies, für die auf den Père la Chaise schlummernden großen Gedanken und großen Schmerzen konnte es keine symbolischeren Heiligen geben, als Abälard und Heloise.
Auf dem ersten Hügelvorsprunge ist das Denkmal Casimir Perier's. Für einen Mann, der weder zerstörte noch schuf, für eine Kraft, die nur bändigte, zähmte, aufhielt, für den Ausdruck einer Epoche, die diese zähe Kraft nur zum Organ ihres Bedürfnisses nach Ruhe und Sammlung machte, ist dies weitschweifige Denkmal viel zu prahlerisch.
Um Perier's Standbild her stehen einfache, aber bedeutendere Grabmäler. Einfache Büsten bezeichnen die Stätte, wo die Schädel Fourier's und Gall's, des Schädellehrers, ruhen. Das Grab des Hieroglyphenentzifferers Champollion bezeichnet ein Obelisk. Eine Trauerweide lehnt sich über einen Denkstein, unter dem die Duchesnois ruht. Sie war bedeutender im Lust- als Trauerspiel; doch da es schwer ist, die komische Muse auf einen Kirchhof zu bringen, so hat man auf dem Basrelief Melpomene um sie trauern lassen. Ein anderes Basrelief zur Rechten schildert jene kühne Befreiung Lavalette's durch seine Gattin. Er selbst, der Gerettete, liegt unter diesem Würfel. Nebenan ist Platz für seine noch lebende Retterin gelassen.
Zahllos sind die Denkmäler für die militairischen und administrativen Berühmtheiten des Kaiserreiches. Ein Sarkophag von weißem Marmor mit zwei Figuren des Ruhmes, die die Büste des Marschalls Lefebre bekränzen. Ein hoher Obelisk, gewidmet dem Marschall Massena. Ein Altar, gewidmet dem Marschall Suchet. Düster und dunkel liegt abseits vom Wege in einem eingezäunten Raume Marschall Davoust. Unter Rasen und Fichten schläft der erschossene Ney. Von den Zweigen des düstern Nadelholzes brechen unzählige Fremde kleine Stäbchen zur Erinnerung ab. Molière's und Lafontaine's Denkmäler stehen dicht nebeneinander. Der Fuchs, der auf dem Cenotaph des Fabeldichters steht, hätte seinen Schweif auch noch auf Molière's Grab ausstrecken können. Zwischen dicht gesäeten Grabmälern, einer rechten Todesernte, saß eine verschleierte Dame und zeichnete die Büste des Malers Gros, der sich in der Seine ertränkt hat. Man kennt die Ursache dieses Selbstmordes nicht; wer weiß, ob der Griffel der trauernden Dame sie nicht niederschreiben könnte? Die von Fieschi's Höllenmaschine zerschmetterten Gebeine des Marschalls Mortier (Duc de Treviso) birgt, um sie noch im Tod zu schützen, ein düsterer verschlossener Tempel. In Lebensgröße steht General Foy und redet die Kammer an. Eine Nationalsubscription hat ihn in einer etwas theatralischen Stellung hierher verpflanzt. Das reizendste Denkmal des ganzen Kirchhofs, ein kleiner griechischer Tempel aus reinstem Marmor, gehört einer Russin. Daß Frau von Demidoff, geborne von Stroganoff, auf den Gedanken kommen konnte, sich unter der Fülle von Ruhm und Verdienst um die Menschheit hierher so glänzend betten zu lassen, wollen wir ihr verzeihen, wenn sie zu Denen gehörte, die den Ruhm zu würdigen wissen. Auch mit Geschmack zum Publikum zu gehören, ist ein Talent, das Belohnung verdient. Der reiche Porzellanfabrikant Schölcher, ein Elsässer, hat seine Stelle durch die sinnige Idee seines Denkmals verdient. In Hautrelief ließ er sich links als Arbeiter mit aufgekrämpten Aermeln, rechts als Fabrikbesitzer und Rentier abbilden. Es liegt in diesem Symbol des belohnten Fleißes eine tröstende Ermunterung für die arbeitenden Klassen. Ein reicher Kupferschmied aus Paris hat sich durch keine so hübsche Idee in die Gräberreihen der großen Männer eingekauft. Wenn es die Art berühmter Männer ist, daß sie viel Lärm in der Welt machen, dann kommen ihnen allerdings die Kupferschmiede am nächsten.
An einem Abhange, von dem aus man die lachendste Aussicht auf Vincennes, die Vorstädte und Paris genießt, an einem Hügelvorsprunge, wo sich oben von dem zerbröckelten Lehmboden hinunter eine grüne Wiesenfläche in das Thal zieht, stand ich mit schmerzlicher Rührung. Zu meinen Füßen las ich auf einem einfachen horizontalen Denkstein die Worte: »Ludwig Boerne.« Es ist die schönste Aussicht des Père la Chaise und das ärmste Grab. Im Schatten eines stolzen englischen Monumentes, nicht fern von dem Denkmal eines Postverwalters, ist ein kleines Streifchen Erde mit einem schwarzen Holzgeländer umzirkelt. Den platten Boden bedeckt ein Stein mit Boerne's Namen, darauf einige verwitterte Immortellenkränze. Es ist nicht vergessen das Grab, aber auch nicht gepflegt. Eine einzige liebende Hand kann nicht vollbringen, was eine Nation vollbringen sollte. Jeder Fußbreit Erde auf dem Père la Chaise verräth die würdige Verehrung, die Frankreich vor seinen großen Geistern hegt. Arm und kümmerlich ruht dort ein deutscher Schriftsteller! Wenn der Regen strömt, weicht sich der Lehmboden auf. Von dem großen Marmorwürfel, der rechts einer englischen Nullität errichtet ist, fließt es stromweis auf die bescheidene Stätte Boerne's, lockert den Boden auf und dringt es feucht bis zum Sarg hinunter. Es muß ein Ueberbau, wenn nicht eine ehrende, doch eine schützende Erweiterung dieses allzudürftigen Grabmales ausgeführt werden. Dicht neben Boerne ist ein noch unbenutzter, aber schon abgezirkelter Grabesraum. Ich ahne fast, wer hier einst zu ruhen wünscht. Aber soll Boerne unter Denen, die ihn liebten, leiden? Soll Boerne's Gedächtniß in einer Familiengruppe untergehen? Wir Deutschen übersetzen Alles aus dem Französischen, man lasse den Franzosen ihre Grabmäler, man lege Abälard und Heloise nicht zum zweiten Mal auf! Es wäre der nächsten Erben Boerne's würdiger, einen Bericht über das Denkmal, über David's Büste, über den Betrag der noch nöthigen oder schon eingegangenen Gelder zu geben und dadurch das Andenken des freisinnigen Schriftstellers mehr zu ehren, als durch Pasquille in Frankfurt und Ohrfeigen in Paris.
Eh' ich ahnte, daß ich einst Dein Leben schreiben würde, sehnt' ich mich, Dich zu sehen, guter Boerne! Nun steh' ich an Deinem Grabe und denke der trüben Zeiten, die Du erleuchtetest, denke Deiner Palmen, denke Deiner Dornen. Schlummere sanft bis ans Ende der Tage!