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Zehntes Kapitel.

 

Eine politische Schehersade.

 

Als Blasedow von der wunderlichen Grille des Türken gehört hatte, erwachte in ihm eine Vorstellung, der er eine an ihm ganz ungewöhnliche Thätigkeit widmete. Er malte sich den Eindruck aus, den auf die üppige Phantasie dieses Morgenländers Europa mit seiner blassen Cultur machen müsse; er empfand ihm ein Grauen nach, als wär' er selbst im Banne von Damaskus geboren und trüge nun die enge und prosaische Tracht des Europäers, in dessen gemüthlosen Verhältnissen er sich bewegen müsse. Er sah in dem Bimbaschi eine aus ihrem heimischen Boden gerissene Tulpe, diese symbolische Pflanze des Türkenthums, und entschloß sich, ihr wenigstens im Treibhause der Phantasie einen künstlichen Grund und die Temperatur des Orients wiederzugeben, indem er nicht in unserer eingebildeten europäischen Vollkommenheit ihm die Dinge und Menschen Europa's erläutern wollte, sondern von asiatischen Gesichtspunkten dabei ausging. Der Bimbaschi konnte den Dank für das von ihm gemachte Geschenk nicht zurückweisen; er ließ den unglücklichen Spieler ungehindert vor sich kommen und hörte mit jenem an den Türken so bewundernswerthen Gleichmuthe, der keinesweges, wie dies in Europa der Fall seyn würde, aus dem Egoismus fließt, das ihm von Blasedow gemachte Anerbieten eines politisch-socialen Cursus über Europa an. Hätte der Türk ahnen können, wie unglücklich sein Lehrer war, und wie viel diese Vorträge ihm Lebensfrische, Zusammenhang und Selbstbewußtseyn wiedergeben würden, er hätte den Antrag auch so schon nicht zurückgewiesen. Und, um die Zufriedenheit Blasedows noch zu erhöhen, so könnte er in vollster Bequemlichkeit zu seinem Schüler kommen und die Nachtmütze, die ihm Celinde selber gestrickt hatte, über den Ohren behalten, wie wunderlich auch der Contrast der in Blasedow wie von Opium aufgeregten Phantasie und seiner bilderreichen Anknüpfungen an den Orient mit seinem schlottrigen Auftreten war. Der Bimbaschi hörte mit unerschütterlicher Ruhe den Erzählungen seines Freundes zu. Er saß dabei mit untergeschlagenen Beinen auf einem mäßig erhöhten Polsterbette, rings umschlungen von einem ungeheuren Pfeifenrohr, das in einer zierlichen Urne, worin der Tabak glimmte, endete. An verschiedenen Krümmungen des Rohres ging der Rauch durch Wasserkugeln, durch die er so abgekühlt wurde, daß der Bimbaschi von der Hitze, die ihm eine ganze brennende Urne Tabaks verursacht haben würde, an seinem Munde nichts spürte.

Als Blasedow seinem Zöglinge einen Ueberblick über die gegenwärtige Lage Europa's geben wollte, sagte er zu ihm: »Und siehe, es wohnte in Damaskus ein Jüngling, Namens Hassan, dessen Vater beim Sultan in hohen Ehren stand und vieler Reichthümer Herr war. Es war aber Hassans Vater gesetzt über die Zucht der Pferde des Landes um Damaskus und war dem Sultan verpflichtet, daß ihrer keine an die Franken verkauft wurden, es sey denn zu den höchsten Preisen. Hassans Vater war ein milder und freundlicher Herr, der Jedem mehr als den Zins seiner Werke zurückgab: denn er behandelte die Menschen nach größerem Verdienst, als sie besaßen. Hassan aber, sein Sohn, wurde unterwiesen in allen Wissenschaften und ritterlichen Künsten, wie denn ihm Niemand gleichkam in der Kunst, sein Pferd zu reiten oder selbst zu beschlagen, oder die entlegensten Stellen im Koran aufzufinden. Oft sah man ihn durch die Straßen von Damaskus reiten, einen arabischen Dichter vorn auf dem Sattelknopf und im Lesen vertieft, und, wenn er dabei seines Rosses Lenkung vergaß, so stand dies nirgends anders still, als vor der Thür oder einem Fenster der Moscheen, woraus man schloß, daß die Thiere unter der Obhut weiser Menschen selber an Verstand zunehmen und eine unwillkürliche Liebe zu Allah empfinden. So das Pferd. Hassan aber hatte einen Durst nach Weisheit, den die öftere Wiederholung des schon mit allen Büchern der arabischen Sprache angestellten Studiums nicht mehr löschen konnte. Seine Sehnsucht schweifte über die Palmenwälder um Damaskus hinaus und trug ihn in die Länder der Franken, von denen er gehört hatte, daß sie einen großen und umfassenden Geist mit Lastern und Unglauben verbänden. Da er den Koran inne hatte und die Reinigungen, Waschungen und Fasten alle nach dem Gebote des Propheten hielt, so sagte er: Was kann mich ihr Unglaube und ihr lasterhafter Lebenswandel anfechten! Ihre Werke und Künste zu betrachten, schien ihm um so gefahrloser, als sie ja Alles, wie er dessen gewiß war, doch nur von den Weisen des Morgenlandes gelernt hatten und nichts besaßen, was sie nicht von den Arabern in Spanien empfangen hatten, an Welt- und Sternenkunde, Künsten und Gewerben. Hassan war aber bestimmt, einst in den Rath des Sultans zu treten: denn Viele in Damaskus, und nicht die Unheiligsten waren dies, hatten geträumt, wie sie ihn auf einem Pferde mit drei Schweifen hätten reiten sehen, weßhalb auch leicht ein anderer Pascha, als der von Damaskus, ihm nachgestellt hätte: denn dieser war sein Oheim und ein ihm wohlgewogener Herr. Und Hassan kannte Alles, was die Geschichte seines Volks anging, und fühlte tief, daß der Schimmer des Halbmondes nicht mehr so leuchtend gelb war, wie damals, als Soliman und Mahomet das Schwert des Propheten führten. Der Goldglanz flimmerte nur noch wie Silberglanz. So trug Hassan ein großes Verlangen, den Welttheil kennen zu lernen, den noch die Kinder der Propheten besiegen müssen, wollen sie nicht von ihm besiegt werden. Aber das Meer ist weit von Damaskus und hinter dem Meer erst liegt der Franken Land, und Hassan führte dem Vater die Bücher über die Pferdezucht um Damaskus und konnte nicht entbehrt werden ohne Nachtheil für sein eignes Haus und die Stadt und das Reich.

»Da geschah es eines Abends, daß die untergehende Sonne den von einem wichtigen Geschäft heimreitenden Hassan so zauberhafte Lichter auf die schönen Pfade um Damaskus streute, daß er sich nicht halten konnte, sondern abstieg und sich unter einem Feigenbaum, an dessen Nebenmann er sein Roß befestigte, niedersetzte. Es war der Anfang eines kleinen Hügels, auf welchem die Ruinen alter Zeiten mitten zwischen frischem grünen Gezweig verwitterten. Hassan nahm sich Zeit, da er die Thürme und Minarets von Damaskus schon vor sich sah und deutlich den Almodan auf der Moschee des Propheten das Abendgebet blasen hören konnte. Wie aber Hassan so im Grase hingestreckt lag, überfiel ihn eine plötzliche Müdigkeit. Ob er gleich fühlte, daß es Zeit wurde, aufzustehen und heimzukehren, so vermochte er sich doch nicht aufzurichten. Seine Glieder waren wie von einem unsichtbaren Zauber beherrscht, und siehe, er war in wenig Augenblicken eingeschlafen. Kaum mochte er so eine Weile gelegen haben, als es ihm war, als erwache er. Da war es rings um ihn Nacht, und nur die Sterne funkelten; die Käfer, die in dem hohen Grase schwirrten, leuchteten, und von den Thürmen von Damaskus her sah man die Lichter der Feuerwachen, die auf ihnen unterhalten werden. Das treue Roß hatte sich im Grase zum Schlafen niedergelegt. Wie Hassan noch so um sich blickte und sich die Augen rieb, hörte er in dem alten Gemäuer auf dem kleinen Hügel, an dessen Fuß er geschlafen hatte, ein Geräusch und glaubte auch einen wilden Fuchs auf der Ruine plötzlich aufgeschreckt zu sehen, der in's Feld hinauslief. Bald aber trat eine hohe menschliche Gestalt aus dem Gemäuer und schritt gerade auf den aufgeschreckten Schläfer zu. Hassan, sagte er, ich kenne deine geheimen Wünsche! Stehe auf, wir wollen die Länder der Franken durchfliegen und uns durch Anblick ihres mit glänzendem Schein überzogenen Elends zum neuen Kampfe für den Propheten stärken. Ich war schon oft in jenen Ländern und kenne sie, als wäre ich dort geboren. Da Hassan zögerte und sich mit den Geschäften seines Vaters entschuldigte, ob ihm gleich das Verlangen, dem Derwisch zu folgen, aus den Augen brannte, so beruhigte ihn dieser, indem er sagte:« Hassan, ich habe in Cypern einen glücklichen Fund gethan, den die Malteser und Venetianer auf jener Insel, als sie davonzogen, mitzunehmen vergaßen. Ein Edelmann, Namens Fortunat, besaß dort einen Hut, mit dessen Hülfe er im Flug überall, wohin er wollte, gelangen konnte, und einen Beutel, der, obgleich leer und unscheinbar, doch unerschöpflich an Geld war. Diesen haben die Nachkommen des Edelmanns Fortunat mitgenommen und ihn, wie man sagt, an den reichen Hebräer Rothschild verkauft; der Wünschelhut ist aber zurückgeblieben. Hier ist er! Damit zeigte er ihm einen alten, fast verschimmelten Filz und ermahnte ihn dringend, sich um seinen Leib zu klammern. Hassan stand eine Weile unschlüssig; dann aber, der Freude und Neugier nicht mehr widerstehend, schlug er seinen Arm um den Derwisch und schmiegte sich wie ein Bräutigam an seine Braut an. Dem Derwisch that es wohl; er lächelte und setzte die alte Kappe auf. Indem erhoben sie sich und schwebten mit der Schnelligkeit eines Vogels über die Nacht hin. Damaskus, Syrien, Cypern schwanden unter ihren Füßen, und, als es Morgen wurde, und die Meereswellen von der aufgehenden Sonne glühten, hatten sie eine Menge kleiner und großer Inseln vor Augen, flogen dann noch eine Strecke und schwebten zuletzt über einem festen Lande, welches der Derwisch als das neuerstandene Hellas bezeichnete.

»In griechischen Kleidern besuchten die beiden Reisenden, in Athen angekommen, eine der vielen Kaffeebottegen, wo schon am frühen Morgen sich Gäste zu versammeln pflegen. Sie hatten sich kaum in eine Ecke gesetzt, wo sie die Ankömmlinge mustern konnten, als ein dicker Wanst in fränkischer Kleidung schwerfällig zu ihnen herantrat, und ihnen einen weißen Bogen Papier überreichte. Der Derwisch las und fragte Hassan: ob er Lust hätte, an einer bayerischen Actienbierbrauerei Theil zu nehmen? Dies wäre eine Einladung dazu! Hassan schüttelte den Kopf. Der dicke Bräu aus Regensburg suchte in einer Sprache, die der Derwisch, so wie Ihr selber, vollkommen verstand, ihm den Plan annehmlicher zu machen; er bewies, daß er seine Brauerei auf der Akropolis anlegen dürfe (dicht bei dem der Minerva geheiligt gewesenen Oelbaume, bemerkte ein sich in das Gespräch mischender Alterthumsforscher); er schilderte die Freuden dieses Getränks, welches er Bock nannte, auch wohl Erlöserbier, wenn gleich das Letztere leiser zu verstehen gebend, da einige Officiere mit dem Erlöserorden in der Nähe standen. Als sich der Bräu unverrichteter Sache zurückzog, sagte der Derwisch zu Hassan: Sieh, dort drüben öffnet ein Türke und hier ein Grieche seinen Laden; es sind zwei Geldwechsler. Komm, wir wollen sehen, welcher ehrlicher ist. Sie gingen zum Griechen hinüber und ließen sich ein Goldstück in kleine Münze verwechseln. Seiner Ehrlichkeit vertrauend, zählten sie nicht; doch, als sie draußen vorm Laden waren, prüften sie und fanden, daß ihnen eine Drachme zu wenig gegeben war. Nun gingen sie zu dem Türken und gaben auch ihm ein Goldstück. Während der Grieche es zehnmal auf den Tisch geworfen hatte, um seinen Klang zu hören, prüfte der Türke es leicht, zählte das Silber auf, scharrte es zusammen und gab es stumm, wie der Türken Art ist, den beiden Fremden. Diese zählten draußen nach; es fehlte kein Heller. Ich will nicht sagen, begann der Derwisch, als sie wieder drüben bei dem Sorbetier und Kaffeewirth saßen und von den rings die Zeitungen lesenden Kaufleuten und Officieren nicht gestört wurden, daß ich den Griechen ihre Freiheit mißgönne, wenn sie sie nur in dem Grade besäßen, als ihre Anstrengungen verdienten, oder als nöthig ist, um sich der Freiheit allmählich auch würdig zu beweisen. Die Griechen sind ein Volk der Lüge und Heuchelei. Kann es schon einen größern Betrug geben, als den, daß sie sich für die Söhne des alten Griechenlands auszugeben wagen, während sie doch allzumal aus dem barbarischen Norden und den Hintersteppen Asiens gekommen sind? Sie sprechen die Sprache der dünngesäeten Ureinwohner, welche sie vor Jahrtausenden hier unterdrückt haben; aber, daß sie durch Denkmäler und Einrichtungen sich einen Nationalaufschwung geben wollen, dem etwas Erlogenes zum Grunde liegt, das ist eine jener Faschingsthorheiten, wie wir sie in Neapel und Livorno sehen werden. Diese griechische Nation wird die Beute ihrer Habsucht und ihrer Unredlichkeit werden: denn was ist ein Volk, das Wohlthaten nimmt von Jedermann und Niemanden dafür Treue halten zu müssen glaubt? Indem bemerkten die beiden Reisenden, daß sich eine Bewegung unter den Anwesenden erhob, deren Veranlassung ein eiligst hereingetretener Officier war, der mehreren in die Zeitungen Vertieften etwas in's Ohr raunte. Die Bürgerlichen zeigten deutliche Spuren von Freude, die Officiere dagegen erhoben sich schnell, befestigten ihre Säbel und verließen das Kaffeehaus. Die beiden Reisenden folgten ihnen und fanden, daß die ganze Stadt in einer sichtbaren Aufregung war. Ich weiß jetzt, sagte der Derwisch, nachdem er an verschiedene Gruppen Zusammenstehender hingehorcht hatte, warum es sich handelt. Ein kaum aus fernem Lande hergekommener Vezier ist vom König entlassen worden; du mußt aber wissen, daß in Europa diejenigen, welche fallen, immer besser sind, als die, welche sich obenauf erhalten. Die Oberhäupter in diesem Welttheile sind so verderbt, daß die Tugenden nicht lange ihre Verbündeten seyn können, weßhalb sie auch tugendhafte Menschen nur darum an das Ruder des Staates rufen, um ihre Tugenden abzunutzen: denn der Sinn der Völker in diesen Ländern ist so mißtrauisch, daß sie Alles hassen, was über ihnen steht – ein Beweis, wie hart man ihnen in frühern Zeiten mitgespielt haben muß. Hier in Hellas wird noch ein ärgeres Spiel getrieben. Ein junger König wurde hier an die Spitze einer trägen, lügenhaften und hinterlistigen Nation gestellt. Da nun vorauszusehen war, daß die Undankbarkeit dieses Volkes sich bald seiner entledigen und, wenn auch nur im Herzen, sich ihm entfremden würde, so verfiel eine schmähliche Politik auf folgenden Rath: Es wurde ein zwiefaches Interesse künstlich unterhalten, eines, das die Regierung, eines, das die Dynastie anging. Indem man den jungen König scheinbar von den Staatsgeschäften entfernt hielt und diese nur fremden Vezieren übertrug, so mußte aller Haß, den eine geregelte Verwaltung bei einem an Zügellosigkeit gewöhnten Volke hervorrief, nur auf die Veziere fallen, diese armen Schlachtopfer, welche doch nur thaten, was im Interesse der Dynastie war, und was, hätten sie es unterlassen, ihr Leben gefährdet hätte. Und, siehe! so wurden, um den jungen König von aller Verantwortung frei zu erhalten, alle Veziere nach einander dem persönlichen Interesse der künstlich in der Volksliebe sich befestigenden Tyrannei zum Opfer gebracht. Den König sprach man absichtlich von alle dem frei, was doch die Veziere in seinem Namen thaten. So mußten die Diener die Ableiter der Blitze seyn, die aus dem grollenden Volke auf das Haupt der jungen Dynastie selbst hätten fallen können. Der Derwisch schwieg, und Hassan sagte: Europa ist sehr klug, aber auch sehr unglücklich.

»Auf der höchsten Spitze der Burg von Athen klammerte sich Hassan wieder fest an den weisen Derwisch an. Dieser setzte den Zauberhut auf, und schnell erhoben sie sich in die Luft und schwebten über Länder und Meere dem Untergang der Sonne zu. Als sie trotz der angebrochenen Nacht wieder festes Land unter sich erblickten, sagte der Derwisch: Wir wollen an diesem Lande vorüber, ob es gleich das schönste auf der Erde ist! Der Sultan ist vor der Treulosigkeit der Pascha's sicherer als der Fürst von Neapolis und Trinacria vor seinem Volk oder seinem Verdacht. Alles schläft jetzt; doch der Fürst läßt die Trommel rühren und zieht an der Spitze seiner Miethsoldaten durch die Straßen von Neapel, um dessen unruhige Bevölkerung zu erschrecken und den Verräthern seine Wachsamkeit zu zeigen. Er geht zu Fuß, weil er auf einem Rosse Meuchelmördern die Brust zu offen darbietet. Komm, fliehen wir ein Land, wo der Stich der Tarantel sich auch allen Verhältnissen mitgetheilt zu haben scheint: denn, wo man hin blickt, begegnen uns Mißtrauen und Verdacht. Mit dem ersten Morgenstrahl aber ließen sie sich herab auf eine unermeßliche Stadt, welche der Derwisch die Stadt der sieben Hügel nannte. Schon Vieles hatte Hassan von Rom gehört, der Hauptstadt der Christenheit. Es ist nicht fein, sagte der Derwisch lachend, als sie unten waren, daß wir diese fromme Stadt so früh überraschen: denn, sieh nur, wie viele Fenster dort leise geöffnet werden, hier, da, drüben, in allen Straßen! Sieh, wie die Priester aus den Kammern ihrer Schönen schleichen, und wie, umgekehrt, aus den Palästen, wo man sagt, daß dort Cardinäle wohnen, verhüllte Frauengestalten aus den halb geöffneten Portalen entschlüpfen! Es wird bald Zeit seyn, daß die Messe gelesen wird.

»Als sich Beide, in die Art deutscher Maler gekleidet, in einer Osteria ausruhten, sagte der Derwisch: Man sollte den Menschen nie zu arg verdenken, daß sie Menschen sind, selbst wenn sie die Verpflichtung haben, theilweise schon an den Himmel zu erinnern. Doch muß, um diese Schwäche zu verdecken, etwas Größeres da seyn, als was gegenwärtig noch die Herrschaft des Pabstes, des Obermufti der Christenheit, sagen will. Wo große Ideen da sind, da verschwinden in ihrem weiten Bausch und Bogen manche Schwächen, wie auch unser Prophet ein Mensch war und erst in dem Mantel seiner großen Idee so groß dastand. Aber nun, wo dieser Mantel reißt, die Falten sich aufkräuseln, wo die Ideen so klein werden, da treten die Schwächen derer, die ihnen einverleibt sind, so kahl und deutlich und fast schäbig hervor. Der Pabst aber hat nur noch äußere Ehre, keine Macht mehr. Er schleudert Bannstrahlen, die nicht mehr zünden. Wo die Milizen Roms, die Priester, in fremden Ländern gen Norden und Westen noch Gewalt haben, da müssen sie sich mit einer Wissenschaft vermählen, die Rom nicht versteht. Hassan, unser Glaube ist ein Glaube für heiße Regionen; aber außer der Kälte würde dort gegen Mitternacht hin dem Koran nur noch die Liebe zum Glauben, nicht der Glaube selbst mehr entgegentreten! Doch sieh den scheuen Gesellen dort in der Ecke! Hassan blickte auf und erschrack vor einer gelben, häßlichen Figur, die in einem Winkel der Osteria kauerte und sich damit unterhielt, kleine Rüben mit einem scharfen Messer und in einem Schwunge zu köpfen. Der Hut des gespenstischen Rübenscharfrichters stand neben ihm. Der Derwisch zog seinen jungen Freund von seinem Sitz auf, warf einige Münzen in den Hut und verließ schnell die Osteria. Dieser Mann, sagte er draußen, war einst König von Portugal, wo er seine Hände mit Henkerblut besudelte und von seinem Bruder, dem er die Krone gestohlen hatte, verjagt wurde. Er ist arm und halb wahnsinnig. Hassan schauderte und sagte: In Aleppo und Damaskus würde dieser Mensch gesteinigt werden. Ach, sagte der Derwisch nach einer Pause, doch auch nur, wenn er so gefallen wäre, wie hier. Käme er hoch zu Roß und umgeben von den Trabanten des Sultans, auch die Gläubigen würden vor ihm niederfallen. Die Schmach trifft nur die, welche ihn vor dem Zorn des Volkes schützen und ihm das Menschenblut auf seiner Hand vergeben, weil in seiner Hand Fürstenblut fließt.

»Indem sie noch so standen, näherte sich ihnen ein Knabe, der Hassan einen Brief in die Hand drückte. Der Derwisch eröffnete ihn und las eine an einen jungen deutschen Maler gerichtete Aufforderung, ja nicht die verabredete zehnte Stunde zu versäumen und in der Wohnung des Cardinals Lambruschini zu erscheinen. Was wird es seyn? sagte der Derwisch, ein Abenteuer mit der Nichte irgend eines Kirchenfürsten. Kommt, es werden die blonden Haare nicht allein seyn, die sie liebt! So gingen Beide zu dem Palast. Unschlüssig standen sie noch eine Weile vor dem Portale, da Hassans Schüchternheit nicht zugab, daß er sich so leicht von seinem Freunde trennte. Diese Unschlüssigkeit schien von oben bemerkt worden zu seyn: denn derselbe Knabe, der den Brief gebracht hatte, kam, um beide Herren einzuladen, für den Fall, daß sie Landsleute wären. Hassan blickte den Derwisch betroffen an; doch dieser nahm lachend einen schnellen Entschluß und winkte dem Knaben voranzugehen. Wie sie über mehrere Treppen gestiegen und durch einige Säle gegangen waren, öffnete ihnen einer der vielen Geistlichen, die sie in dem Palaste sahen, die Thür eines Seitenzimmers. Sie traten mit einiger Beklemmung ein und fanden zu ihrem Erstaunen nicht sowohl nicht das, was sie erwartet hatten, sondern weit etwas Ueberraschenderes. Zwei ältliche Herren, welche ganz den Anschein von Cardinälen in einfacher Hauskleidung hatten, erhoben sich von zwei Gichtstühlen mit freundlicher Zuvorkommenheit und winkten den beiden Türken, die sie für deutsche Maler hielten, auf zwei bereit stehenden Sesseln Platz zu nehmen. Es konnte nicht auffallen, daß nur der Derwisch italienisch sprach. Wir haben euch da, begann der Eine, etliche Fragen vorzulegen, für deren Beantwortung ihr uns zu Dank verpflichten würdet. Ihr werdet von der verderblichen Neuerung gehört haben, die in eurem Vaterlande sich im Schoß der katholischen Kirche gebildet und viel Unheil und Verwirrung gestiftet hat. Da ihr Beide, wie uns gesagt wurde, zu den getreuen Schafen der Kirche gehöret und die Malerei auch nur eurer Frömmigkeit wegen treibet, so konnten wir schon zu euch unsere Zuflucht nehmen, um uns über den Sinn einiger Worte aufzuklären, welche selbst Mezzofanti, den ihr hier sehet, bei seiner großen Kenntniß eurer Sprache nicht zu enträthseln vermag. Mezzofanti, der Kenner von fünfzig Sprachen, nickte dazu und murmelte fortwährend die wunderlichsten Worte vor sich her: denn seine Kenntnisse in Sprachen waren so groß, daß er die Worte nicht alle in seinem Gedächtnisse lassen konnte, sondern immer welche aus dem Munde mußte gleiten lassen. Sein Kopf schien wie ein Bienenschwarm zu summen, so vielen Lärm machten darin all die Vocabeln und Wörterbücher, bei denen er Mühe hatte, ihre Grenzen hübsch aufrecht zu erhalten und unter ihnen keine babylonische Verwirrung eintreten zu lassen.

»Hassan, der von dem Allen nichts verstand und sich fast vor dem immer murmelnden Mezzofanti fürchtete, sah mit Erstaunen, wie gewandt der Derwisch auf alle die an ihn gerichteten Fragen Antwort gab. Die beiden Priester schlugen mehrere vor ihnen liegende Bücher auf und erkundigten sich nach der Bedeutung von Worten, deren Bekanntschaft, wie der Derwisch später sagte, man schon bei einer ganz oberflächlichen Kenntniß jener Ketzersprache voraussetzen müßte. Es handelte sich um die Verdammung jener Lehren, und doch konnten sie die geistlichen Herren nicht verstehen. Den Zweifel verwechselten sie mit Zwiebel, Gott vertrauen nannten sie eine Blasphemie, da Gott in seinem Verhältniß zur Maria niemals als Ehemann gedacht würde, also auch nicht einem vertraut, d. h. irrthümlicherweise getraut werden konnte; aus einem verletzten Gebote wurde ein vorletztes, aus Gottes Undenkbarkeit machten sie Undankbarkeit, und für viele Ausdrücke, z. B. Ueberzeugungstreue, hatten sie nicht einmal einen zweideutigen Sinn, es sey denn, daß Mezzofanti sich wirklich einbildete, auf einen möglichen Sinn zu kommen, wenn er es von Ueberzeug und Streue herleitete, wo er sich es dann möglich dachte, daß hier eine Anspielung auf die Krippe Jesu stattfinden könne. Als der Derwisch den beiden Prälaten hinlängliche Auskunft gegeben hatte, schlugen sie die Bücher zu und entließen die beiden Dolmetscher mit ihrem Segen.

»Ob nun gleich die beiden Reisenden gut genug aufgenommen waren, um hier noch länger mit Bequemlichkeit weilen zu können, so sagte doch der Derwisch, daß diese Verdammung von Büchern, die so mühselig und irrthümlich in Rom entziffert würden, ihn der tiefsinnigen und edeln Nation wegen, die sie betreffe, viel zu sehr verwunde. Er schlang seinen Arm um Hassans Schulter und drückte vor Unmuth den Wünschelhut ganz tief in's Gesicht. Als ihn, da die Nacht herankam, Hassan in den Wolken nach dem Verhältniß dieser neuen Lehre fragte, antwortete er: Strenge deine Augen an und sprich, was erblickest du? Hassan that, wie ihm geheißen, und sagte: Ich sehe eine wunderbare Erscheinung in der Luft. Dunkle und helle, einförmige und bunte Gestalten seh' ich in langen Gewändern über die Wolken fahren, die Einen lehnen sich friedlich an die aufgethürmten Schichten, die Andern stehen sich mit drohender Geberde gegenüber. Etliche sind zwergig, Andere riesenhaft, Viele mißgestaltet, und Einige scheinen noch ungeboren. Das sind, sagte der, Derwisch, die Ideen, welche sich in die Herrschaft über Europa theilen. Wir nahen uns jetzt den Ländern, wo sich die Menschen mit Gedanken umhüllen müssen, um die eigennützigen Absichten ihres Ehrgeizes oder ihrer Habsucht zu verbergen. Die Tugenden und Laster haben hier aufgehört, allein das Wohl der Staaten zu entscheiden: denn du wirst jetzt bald auf lasterhafte Seelen stoßen, die sich mit dem Schmuck großer Ideen verbrämen, bald auf tugendhafte, die in kleinen und beschränkten Vorstellungen verkümmern. Diese kämpfende Ideenwelt nimmt den Einzelnen die persönliche moralische Zurechnung; sie würde, bei aller angebornen Herzensgüte und Seelengröße, sich nicht scheuen, Böses zu thun, nur um ihren Ideen über Geschichte, Staat und gesellschaftliches Leben den Sieg zu verschaffen. Indem der Derwisch das sagte, zuckte ein Blitz unten auf der Erde, und in weiter, weiter Ferne hörten sie einen Knall wie von einem Feuergewehr. So eben schoß, sagte er, ein Mann, Namens Alibeaud, auf den König der Franzosen..... Er drückte den alten Filzhut tief in's Gesicht und flog unaufhaltsam weiter, bis sie am frühen Morgen auf dem höchsten Gipfel einer ungeheuren Gebirgskette standen. Dies ist Spanien, sagte er, ein Land, das einst unsere Väter überwunden und lange besessen haben.«

Wir können nicht ganz die in orientalischer Breite gehaltenen Phantasien Blasedows hier wieder erzählen. In aller Kürze berichten wir, daß Hassan und der Derwisch in Spanien alle Gräuel eines Bruderkriegs erblickten. Jener erstaunte über die Erläuterungen, die ihm der Derwisch über die hier streitenden Interessen geben konnte, besonders über die Hebel der Gesinnungen, welche so verschieden in beiden Feldlagern waren. Dort beutete eine Partei die Heiligthümer der Kirche aus, um Geld zu prägen; hier schmolz man das Silber der Kelche und Crucifixe, um Ordenskreuze daraus zu machen. Besonders in Frankreich konnte sich Hassan von diesen Gegensätzen der Liebe zur Freiheit und dem Ehrgeize nach Auszeichnungen unterrichten. Hier sah er, daß Niemand mehr in der gewohnten, von der Natur oder den Verhältnissen des Lebens ihm angewiesenen Stellung bleiben wollte, und sogar die Diener von ihren Herren nicht Milde und Güte, sondern selbst Zuvorkommenheit verlangten. Die Kellner träumten von Königskronen, die Unterofficiere von Marschallsstäben. Der Derwisch zeigte seinem jungen Freunde alle jähe Ueberstürzungen und Uebersättigungen dieser Pariser Gesellschaft, so daß dieser über die Masse von Geist und von Elend, die hier in einander gemischt war, Thränen des Mitleids vergoß. Besonders betrübte ihn, daß er hier eine Flüchtigkeit der Zeit bemerkte, wie sie ihm in seinen syrischen Palmenwäldern unmöglich geschienen hatte. Alles, was hier nicht bloß der Tag, sondern selbst das Jahrhundert erzeugte, war eine Eintagsblume, die noch am Abend ihrer kurzen Blüthezeit wieder verwelkt war. Jede bunte Erscheinung, die da auftauchte, stand eine kurze Weile so der Gunst der Sonne zugewendet, daß sie ihre prismatischen Lichter ihr lieh; dann aber war sie bald in Schatten und Nacht getreten. An nichts konnte sich hier lange der Blick erfreuen, an nichts konnte das Herz sich wärmen. Alle die Flammen des Lebens, welche doch anderswo mit elektrischer Kraft die Triebe und Neigungen der Gesellschaft zusammenhielten, waren hier erschlafft und wichen jedem leisen Drucke von Außen. Der Sitte waren die Fangarme genommen, und das Gesetz hatte deren hunderte und quälte, statt zu beschützen: denn selbst die Tugendhaften waren nicht sicher vor ihm. Alle dauernde, mit Beharrlichkeit durchgeführte Bestrebungen waren verhaßt, keine aber mehr, als die sich auf die Herrschaft bezogen. Neun Monate des Jahres brachte man hier dreien zum Opfer; man verschlief jene, um in diesen nie das Auge zuzumachen; man verlebte jene in einem abgelegenen Winkel der Provinz, hungernd, entbehrend, unbekannt, um diese in der Hauptstadt mit den aufgesparten Mitteln zu verbrausen. Man sah, daß sich die Menschen hier sechs Jahre an der Tugend stählten, um das siebente ganz im Arm des Lasters zu vergeuden. Die größten Gegensätze standen sich hier gegenüber, und, was das Betreffendste war, in einem und demselben Menschen.

In England fanden sich dieselben gesellschaftlichen Gegensätze; doch waren sie nicht in dem Grade Werk des Zufalls, sondern Folge von Gesetzen und langjährigen Gewohnheiten. Hier erschrack Hassan besonders vor der finstern und gehässigen Vereinzelung, mit der sich der Mensch hier auf seine eigene Weise zurückzog, und die wildfremdeste Unbekanntschaft mit Allem, was seinen Nachbar berührte, verrieth. Er hörte wohl, daß dieser schroffe Egoismus zunächst einen schönen Ursprung in dem großen Privilegium persönlicher Freiheit hatte, welches hier jedem Säugling schon mit in die Wiege gelegt wurde. Dann aber mußte er doch zugestehen, daß hier etwas Gutes zu etwas Schlimmem führte: denn die Bewohner dieses Landes behandelten sich unter einander mit einer Kühle und Schroffheit, als trüge ihnen die Natur auf, Niemanden weiter, als ihre Familie zu lieben. Hassan konnte nicht begreifen, daß in diesem Lande schon seit Jahrhunderten Parteien sich befehdeten, ohne noch zur Stunde sich ausgesöhnt zu haben; ja, er schauderte, als er sogar die Lehrer der Religion an dem Hasse der Einen gegen die Andern schüren sah und in den Händen der Priester nicht die Palme des Friedens, sondern das Schwert erblickte.

»Als endlich die beiden Reisenden,« fuhr Blasedow fort, »nach Deutschland kamen, in das Land, wo Ihr jetzt selber seyd, da begann der Derwisch und sagte: Dieses Land ist das Herz Europa's, aber das gebrochene: denn es ist sehr unglücklich. Ursprung und Stammsitz aller derjenigen Völker, welche die tüchtigsten sind in Europa, hat es sich doch nur den geringsten Einfluß auf die Wendung der Ereignisse zu erhalten gewußt; sein Leiden liegt in dem Mangel an Einheit, so daß es sich weit mehr durch seinen Geist, als durch seine Kraft auszeichnet. Deutschland ist ein ungeheurer Wald, wo man auf der einzelnen Stelle, da man gerade steht, sich innig am Blättergrün, Wild und Waldhornklang erfreuen kann, der sich aber nicht übersehen, beherrschen und begrenzen läßt. Die Sprache der Deutschen reicht weiter, als ihre Nationalität. Könnte um alle diese Elemente ein einziger Reif gezogen werden, und ließen sich die im Innern sich widerstrebenden Gegensätze und Widersprüche aufheben, diese Nation würde nicht sogleich, aber nach kurzer Gewöhnung an ihre Freiheit, mit Ausnahme der Türken, die erste der Welt werden. Es ist bei der Lage dieses Volkes kein Wunder, daß es seine aufgehäuften zahlreichen geistigen Reichthümer nutzlos auf die Gasse wirft und von seinem Geist eher Nachtheil als Gewinn hat.

»Indem kamen die Reisenden an einen Fluß, der mit bunt bewimpelten Schiffen bedeckt war, und an dessen Ufer eine unübersehbare Menschenmenge stand, die mit Tüchern wehte und laute Begrüßungen ausrief. Die Fremden folgten dem Zuge, der sich in die Straßen einer alterthümlichen Stadt drängte und endlich auf einem Platz innehielt, der mit Tausenden von Menschen rings bedeckt war. In der Mitte stand ein verhülltes Monument, dem die Feier zu gelten schien. Die Glocken läuteten, die Chöre der Musiker schmetterten, Kanonen wurden gelöst. Ein Redner stand an dem verhüllten Monument und donnerte Worte in die weite, unabsehbare Menschenmasse hinein, die Niemand der Entfernung wegen verstand, aber doch Jeder der Bedeutung des Tages wegen ahnte. Da wurde ein Zeichen gegeben, und ein hehres Standbild löste sich aus der herabfallenden Hülle heraus, eine stolze, ernste Figur aus Erz. In diesem Augenblick dröhnte ein tausendstimmiger Freudenruf in die Luft, gemischt mit dem Wirbel der Trommeln und dem Krachen der Geschütze. Es ist dies, sagte der Derwisch, dem Erfinder jener Kunst zu Ehren, mit der die Menschen ihren Gedanken die schnellste Mittheilungsfähigkeit gaben und allmählich neben der wirklichen eine idealische Welt, dauernd und der Verfolgung trotzend, aufbauten. Und doch siehe jenen Jüngling, wie ihm die Thränen in den Augen stehen, und wie wehmüthige Blicke er auf dies Ehrenbild des Erfinders einer Kunst wirft, deren ganze Kraftentfaltung Jene auf dem Balcon drüben (es sind Fürsten) hindern und verkümmern. Die Freude, dem großen Geburtshelfer des Geistes eine solche Huldigung, in die Jung und Alt, Hoch und Niedrig einstimmten, dargebracht zu sehen, preßt ihm das Herz ab, und doch ist sein Blick mit Traurigkeit umflort, da er an die Wolken denkt, welche zur Zeit noch auf der Sonne jener göttlichen Erfindung liegen!

»Und ein ähnliches Fest sahen die beiden Reisenden dicht in der Nähe. Kleiner war der Fluß, trüber sein Bett, die Ufer niedriger, die Stadt, die an ihm liegt, kümmerlicher. Wieder flaggten die Segel von Schiffen, die über ihn hinfuhren, wieder standen Tausende von Schiffen, die über ihn hinfuhren, wieder standen Tausende am Ufer, um die Kommenden zu begrüßen. Wunderlich aber, daß alle die versammelten und auf den Schiffen kommenden Männer Papierstreifen vor den Augen hielten und Gesänge anstimmten, von denen Hassan sagte, daß er sie freier Männer nicht für würdig hielt. Die Worte, die er nicht verstand, waren es nicht, die ihm mißfielen, sondern er fand darin ein Zeichen von Sklaverei und Entnervung, daß Männer aus dem Gesange nach Noten etwas Oeffentliches machen könnten. Der Derwisch lächelte und sagte: Dies Fest ist einem großen Meister der Musik geweiht. Hassan antwortete: So mögen ihn Bajaderen und Sklaven feiern oder Schauspieler, die von der Kunst ein Gewerbe machen! Der Derwisch aber entgegnete: Tadle diese Nation nicht, daß sie auf's Kindische und Unmännliche fällt; sie fühlt es nicht, wie unwürdig es freier Männer ist, in tausendfacher Anzahl mit geöffneten Munde dazustehen und von einem Notenblatt herab Lieder zu singen, die allerdings gar anmuthig klingen. Sie finden in den Liedern einen Trost für ihr unglückliches Vaterland; sie haben Sehnsucht, sich zu einigen, ihre gebundene Volkskraft zu zeigen und sich einander an die Brust als Freunde und Begeisterte zu stürzen; da sie aber nicht reden dürfen, so singen sie; da sie nicht des Vaterlandes wegen sich versammeln können, so versammeln sie sich ihrer Dichter und Sänger wegen. Sie fühlen es nicht mehr, daß tausend Männer, die zusammenstehen, um von einem Notenblatt zu singen, den Anblick einer unmännlichen Verweichlichung darbieten. Dies Volk ist sehr unglücklich, weil es nach Thaten ringt, für die es keine Organe hat.«

Blasedow fühlte es endlich, daß er ein Narr war, sich mit dem Bimbaschi in so feine und schwer nachzufühlende Betrachtungen einzulassen. Auch ärgerte er sich, daß ihm sein Mährchen über den Kopf gewachsen war. Nach so großen Weltfahrten und Völkerspaziergängen seinen Hassan wieder unter den Palmenbaum in der Ebene von Damaskus zurückzuführen und den Derwisch in die alte Ruine schlüpfen zu lassen, schien ihm recht kleinlich; doch war der Bimbaschi gerade auf diese äußere Umrahmung begieriger, als auf den Inhalt des aufgerollten Gemäldes. Es erfreute ihn sichtlich, als Blasedow Hassan erwachen und die Morgensonne schon hoch am Himmel sehen ließ. Blasedow fügte zur größern Beruhigung des Bimbaschi hinzu, daß Hassan jetzt geheimer Rath im Divan des Sultans wäre und sich um die Verbesserung der militairischen Kleidertracht in der Armee des Großherrn, besonders um die möglichst geringe Anzahl von Knöpfen an den Monturen der Soldaten, große Verdienste erworben hätte. Der Bimbaschi war davon sehr erbaut und legte öfters die Hand vor die Augen, als besänn’ er sich, Hassan schon gesehen zu haben. Schlachtenmaler aber, der einige Male bei der Erzählung ab und zu kam, meinte, es käme ihm eher vor, als wenn der Türke weine. Gewiß werden wir darüber noch Aufschluß bekommen, wer von Beiden richtiger gesehen hat.

Es war eine Thorheit von Blasedow, sich diesem Türken offener hinzugeben, als irgend Jemand in der Welt. Das magische Licht der erleuchteten Glaskugeln in dem zeltartig drappirten Zimmer des Fremdlings mochte ihn blenden; der bequeme Sitz auf den Polstern und der in stummer Aufmerksamkeit seine Pfeife rauchende Zuhörer mochten ihn unwillkürlich zu einem orientalischen Philosophen machen; er wurde hier redselig und sprach sich über alle Fragen der Zeit und des Lebens aus. Dies Verhältniß dauerte bis zu dem Unglück, das Schlachtenmalern betraf, und wovon wir jetzt einen genauern Bericht erstatten müssen.

 


 


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