Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel.

 

Die Saison.

 

Die eisenhaltigen Mineralwasser liegen fortwährend mit den Laugenbädern in Streit. Der Zeitgeist, nicht bloß die Mode, ist Schuld, wenn diese über jene einen momentanen Sieg davon trugen. Ein Jahrhundert, wie das vorige, mit seinen nachgewirkten Julirevolutionen, Hambacher Festen und deutschen Ständeversammlungen, war für das Menschenblut von einer so entzündenden Kraft, daß die Arzeneimittel alle weit mehr auf Herabstimmung, die Bäder auf Abführung und Auflösung hinzielen mußten. Wie berühmt war dagegen Pyrmont in der Zeit des siebenjährigen Krieges, wo sich daselbst keine andere Leidenschaften begegneten, als die der fürstlichen Personen gegen einander, wo die Herzöge von Celle sich daselbst für Prinzessinnen von Merseburg oder Wolffenbüttel entschieden? Das vorige Jahrhundert bis zur Revolution hatte dem weißen Blute rothes zuzuführen, und wir behaupten, die abführenden und auflösenden Bäder werden bald wieder aus der Mode kommen, da unser Jahrhundert die Jugendzeit ausgebraust zu haben scheint, und in Politik, Leben, Literatur und Kunst ein ruhigeres und langsameres Tempo im Uebergange ist. Deßhalb hätte sich auch, bemerkte Schlachtenmaler öfters vor den Kurgästen in Gegenwart des Grafen, dieser für eine Eisenquelle entschieden. Wenn der Graf dann vor Zorn und Verlegenheit roth wurde, verbesserte Schlachtenmaler gewöhnlich: »Hätten Sie denn nicht können ein Salzbad im Würtembergischen kaufen?«

Wir wollen in die Bitterkeiten, die sich Schlachtenmaler als Bad-Inspector und mehr noch als Humorist und persönlicher Gegner des Grafen gegen diesen erlaubte, nicht einstimmen: denn dem Grafen verdanken wir es, daß wir dieses Kapitel der Göttin des Wiedersehens widmen können. Die Heilkraft, die Nähe und die angepriesene Schönheit des Bades bewog viele uns theuer gewordene Personen, noch einmal in dem letzten Acte unseres Familiendrama's aufzutreten. Es war in der Mitte des Juli, die Sonne schoß ihre drückendsten Hundstagsstrahlen, und kaum hatte die schöne Welt an den frühesten Morgenstunden Schatten genug, um ihre Brunnenpromenade an der Quelle und in dem Parke zu beenden. Schon um neun Uhr wurde es so heiß, daß sich die Kurgäste eilends in ihre Zimmer flüchten mußten, wo es denn bei der unfreiwilligen Sieste, die man bis gegen Abend machen mußte, an Langeweile oder, was dasselbe ist, an Aufforderung zur Intrigue nicht fehlte. Mancher praktische Geschäftsmann und Staatsbeamter wurde hier aus Müßiggang romantisch: denn entweder mußte er die Liebesgeschichten der vom Grafen schnell improvisirten Bibliothek durchlesen, oder er machte in der Wirklichkeit selber welche. Es wurden Partien beredet, Paare zusammen gethan, die sich an einander gewöhnten, man lernte Eigenschaften und Liebenswürdigkeiten entwickeln, welche daheim hinter den Acten der Processe und Berufsgeschäfte im Staube erstickt waren. »Ist es ein Wunder,« pflegte Schlachtenmaler zu sagen, »daß hier die Menschen gesund werden?« – womit er den Grafen, der es hörte, empfindlich kränkte: denn es sollte ja auch die Heilkraft der Amalienquelle kein ausnehmendes Wunder seyn, sondern ganz natürlich in ihrer mineralischen Beschaffenheit liegen.

Des Morgens um sechs Uhr schon begann an der Quelle in einem eigens dazu in Form eines Regenschirms erbauten kleinen chinesischen Pavillon die Bademusik. Sie beschränkte sich, da es nur ihrer vier Mann waren, hauptsächlich auf Quartette und wurde von dem unglücklichen Echofinder und moskowitischen Kapellmeister, der die erste Geige spielte, dirigirt. Die wirklich Leidenden unter den Gästen waren schnell zur Hand. Einige wurden in Rollwägen herbeigefahren, Andere stützten sich auf ihre Bedienten. Ihnen zunächst kamen die eingebildeten Kranken, welches besonders Staatsbeamte waren, die an Nichtanerkennung ihrer Verdienste litten. Mehrere davon hatten ein scheues, misanthropisches Wesen bekommen, weil sie, wie Unterrichtete versicherten, bei mehreren Ordensverleihungen übergangen waren. Es waren dies die am schwersten zu Heilenden; sie sahen in die Gläser, die sie tranken, mit schwermüthigen Blicken hinein: denn die Sonne machte, daß sich ihre Strahlen darin bunt färbten und den bescheidenen Staatsbeamten alle jene Ordensbänder prismatisch vorgaukelten, die sie gern im Knopfloch getragen hätten. Sie hielten oft noch die Trinkgläser lächelnd gegen die Sonne, wenn sie sie auch schon geleert hatten, und schüttelten den Kopf über das merkwürdige Spiel der Natur. Einige von ihnen zeichneten sich an der Table d'hôte auch durch eine mehr als loyale Freimüthigkeit aus; sie stellten einige hier und dort fallende kecke Behauptungen, namentlich vor anwesenden süddeutschen Ständemitgliedern, durchaus nicht in Abrede, weil sie wenigstens eine Behörde ihres Staates kannten, deren Verfahren ihnen ganz willkürlich erschien, nämlich die Ordenscommission.

Es war überhaupt ein eigenthümliches Schauspiel, an der Table d'hôte den Gegensatz zwischen Süd- und Norddeutschland zu beobachten. Da Amalienbad auf der Grenze beider lag, so befanden sich hier beide Theile in gleichem Rechte. Jede Hälfte versuchte jedoch, ihre Sitten und Gesinnungen zu den vorherrschenden zu machen, oder, um es noch richtiger zu bezeichnen, die Süddeutschen traten meist factisch und vorwegnehmend, die Norddeutschen aber polemisch und in Abrede stellend auf. Besonders waren einige alte Majore und Obersten aus preußischen Festungsgarnisonen da, die da behaupteten, man müsse alle Ständekammern in die Luft und jeden Hambacher über die Klinge springen lassen, was einige Frank- und Schweinfurter Bürger so sehr verdroß, daß sie ihnen den Zollverein gegenüberhielten und sie fragten, was denn Preußens Fabriken ohne Absatzgelegenheit wären? worauf das Gespräch auf die Landesproducte, die Lebensmittel, das Papiergeld, die Landwehr- und Recrutenaushebung, ja sogar, als der Streit immer hitziger wurde, auf die Silbergroschen und Kreuzer kam, wo Niemand mit dem Andern tauschen wollte. Diese Scenen wiederholten sich bei Tische sehr oft und wurden wohl gar durch den Grafen herbeigeführt, weil die menschliche Natur wunderlich ist und sich nach Streitigkeiten immer bessere Weine geben läßt, auch überhaupt mehr trinkt, wie im Frieden. Eines Tages wurden die anwesenden Frankfurter Bürger auf's empfindlichste verletzt, weil ein alter preußischer Haudegen auf den Tisch schlug und sagte: »Und es gibt eher keine Ruhe in Deutschland, bis Frankfurt nicht preußisch geworden ist!« Gleichsam, als hätte dieser graubärtige Bayard schon seine Pferde auf dem Römer einquartiert und die Feier des 18. Octobers auf den 3. August verlegt, so fuhren die Frankfurter Bürger auf und erklärten, nur über ihre Leichen ginge für die Preußen der Weg durch's Friedberger- und Allerheiligen-Thor und eher sollte vom Römer kein Stein auf dem andern bleiben, als daß sich dort ein Oberlandesgericht und eine Kreisregierung und eine Militär-Ersatzcommission, und wie die Kunststücke weiter hießen, einnisten dürfte! Lieber wollten sie hessisch-homburgisch werden, als preußisch, und auf alle Fälle würden Tausende nach Hamburg auswandern, nach Bremen oder Lübeck, oder wenn auch diese Städte ihre Selbstständigkeit verlören, nach der Schweiz. Der alte Major ließ sich nicht erschüttern, sondern fuhr in den Verwünschungen der Stadt fort, sagte auch, daß es gerade gelegen käme, wenn die Ruhestörer gingen, und so dauerte das Streiten bis zum Dessert fort, wo sich freilich die Partien wieder vereinigten, da es der Reihe nach und umzichtig ging, wer den Champagner geben ließ. So kam in der Amalienbader Saison manche der in Deutschland herrschenden ältern und neuern Volksstimmungen zum Vorschein. Fast alle Stände und Tendenzen hatten ihre Stellvertreter hergeschickt; doch die merkwürdigsten und für den Sittenforscher werthvollsten blieben immer jene classischen geheimen Hofräthe, die Tieck, besonders, seitdem er selber einer geworden, lange noch nicht genug ausgebeutet hat; die neueste Zeit hat zu diesem Typus der bürgerlichen Komödie noch Züge von reizender Mannigfaltigkeit gefügt. Auch Amalienbad hatte seine Hofräthe. Mit drei Töchtern und einer Gattin traten sie gewöhnlich auf, lange, dürre, »zugeknöpfte« Gestalten, Ritter des rothen Adlerordens vierter Classe, kurz, bündig und hohl in der Sprache, naiv in ihren Beurtheilungen alles dessen, was von der heimathlichen Küche und Lebensgewohnheit abweicht, keck und inquisitorisch, ja selbst »patzig« in dem, was von den loyalen Ansichten eines Beamten abweicht, Hypochonder, Quälgeister ihrer Frau und Töchter, Schneider'sche Badapparatmenschen, ewige Patienten und Urlaubsbedürftige, Schwärmer für die Homöopathie, theatralische Kunstrichter nach dem Maßstabe des Berliner Hoftheaters, sich von selbst verstehende Abonnenten der preußischen Staatszeitung, nichts lesend, nichts lernend, strebend nur nach Schwiegersöhnen und Gehaltsverbesserung, Schachclubsmitglieder, Freimaurer, Sommerwohnungsmiether, endlich, um das Uebel voll zu machen, sogar Arrangeurs von Quartetten und geborne Bratschenspieler – ja, auch solche Hofräthe gab es in Amalienbad.

Man kann nicht leugnen, daß der Graf in der Anordnung der Brunnenpromenade Geschmack verrathen hatte, wenigstens hatte er mit geringen Mitteln einen großen Erfolg erreicht. Daß die kleinen Zelte alle von Leinwand und Holz aufgerichtet waren, übersah man bei der geschmackvollen und originellen Form, die er ihnen zu geben wußte, und besonders bei dem hübschen Ineinanderspiel von Farben, die er zweckmäßig zu ordnen und zu gruppiren verstand. Gäste, die aus einer völlig öden Gegend kamen, wurden schon durch einen zwei Fuß hohen Springbrunnen gefesselt, in dessen Bassin Goldfischchen schwammen, und der von einem Kranz grünen Rasens und Vergißmeinnicht umschlossen war. Für Schatten war durch einen bedeckten Gang gesorgt, in welchem sich manche bekannte Gesichter begegneten. Da war besonders Herr von Lipmann hervorzuheben, der dies Bad aus vielen Gründen für seine diesjährigen Sommerferien gewählt hatte. Erstens kostete es ihn nichts: denn der Graf war ihm schuldig genug, und das Heilwasser und die Wohnung und die Beköstigung waren doch nur ein Tropfen in dem Meere von Verpflichtungen, in welchem der Graf bei Herrn von Lipmann schwamm. Zweitens hatte es dem Herrn von Lipmann sein Arzt allerdings streng untersagen wollen, ein Bad zu besuchen, welches für Actionäre und Papierhändler von tödtlicher Wirkung seyn könne: denn gerade dem erhitzten vollblutigen Börsenhandel haben wir die große Aufnahme der abführenden und auflösenden Bäder zu verdanken, da es wenig Banquiers und Mäkler gibt, die nicht an Rheumatismen, Hämorrhoiden oder Nervenzufällen litten; indessen war Herr von Lipmann ein guter Chemiker und hinreichender Kenner des erfinderischen Grafen, um zu sagen: Das Eisen in seinem Wasser bringt mich nicht um! Endlich sprach man auch oft davon, daß das ganze Geheimniß zwischen dem Grafen und Herrn von Lipmann im Schoße Sidoniens läge, wovon wenigstens so viel gewiß schien, als man auf Rechnung einer dem Hofagenten angebornen Verliebtheit bringen konnte. Es ließen sich hier nur Vermuthungen aufstellen, welche durch die Anherkunft des Herrn von Lipmann gar nicht und durch sein Benehmen gegen die Gräfin höchstens theilweise bestätigt wurden.

Die feinste Tournure und den stärksten Geist entwickelte während der ganzen Saison sein Sohn, Guido von Lipmann. Doch auch er lebte auf abschlägliche Abrechnung mit dem Grafen: denn so kam für das laufende Jahr wenigstens ein Theil der fälligen Zinsen heraus. Guido trug sich meist à la jeune France. Er hatte zwei ungeheuer starke, hellglänzende und glatt gekämmte schwarze Haarbüschel von den Schläfen auf die Oberhälfte der Wange niedergleiten; vorne waren die Haare à la Jésus-Christ gescheitelt, hinten quollen über den Frackkragen sehr künstliche, aber wahrscheinlich natürliche Locken hervor, die jedoch nicht lang genug waren, um mit altdeutschen Locken verwechselt zu werden. In der ganzen Miene und dem Ausdruck der Augen lag etwas Melancholisches, jene moderne Mischung von Romantik und Zerrissenheit, die irrsinnige Schreckhaftigkeit eines werdenden Selbstmörders. Er sah wie eine jener schmachtenden Arabeskengrazien aus, wie sie von den Franzosen gewöhnlich gezeichnet werden, hingegossen, träge, und eine Flasche in der Hand, aus der sie Blumen begießen. Guido von Lipmann konnte hier füglich für eine Sehenswürdigkeit gelten, da man seine Gedichte sogar schon componirt hatte, und seine prosaische Schreibart Bewunderung erregte. Die beiden Journalisten, Schmeißer und Püsser, waren in seinem Gefolge und arbeiteten mit ihm gemeinschaftlich an einem neuen Almanach, der im nächsten Herbst erscheinen und nur Beiträge von ihnen Dreien enthalten sollte. Die Stahlstiche, welche ihre drei Bildnisse wiedergaben, waren schon fertig; auch hatte ihnen Ritter, der sich inzwischen in Jena als Privatdocent habilitirt hatte, geschrieben, sie möchten die Herausgabe beschleunigen, da er in seiner Geschichte der neuesten Literatur ihre Leistungen denen des »jungen Deutschlands«, welche er heftig zu bekämpfen gedächte, gegenüberstellen und ihnen die Anwartschaft auf die Zukunft der deutschen Nationalliteratur verschreiben wolle. Sie waren alle Drei immer von eifrigen und fast zänkischen Gesprächen umschlungen und nahmen sich daher wie eine wandelnde und schreiende Laokoonsgruppe aus.

Auch ein sanfter, blauer Stern ging hier an Schlachtenmalers Nachthimmel auf (denn ihm wurde hier oft die Sonne ein Trauerflor, wenn er Alles im Zusammenhang bedachte und seinen Haß gegen den Grafen erwog), Celinde, mit ihrem sie umhüllenden Nebelstreifen und Gatten, dem bis auf den Tod kranken und blödsinnigen Baron Satan von Höllenstein. Dieser hatte seit dem Kunstmanoeuvre die Besinnung und sein Commando verloren; er war fast kindisch geworden und konnte nicht einmal mehr selber den Löffel, geschweige den Degen und Feldmarschallstab führen. Man mußte ihm das Fleisch klein schneiden und es ihm mit dem Löffel zu essen geben. Stundenlang saß er scheu und blödsinnig in einer Ecke und verlor mit den Gedanken auch die Fähigkeit, sie auszudrücken. Er fing an, die Dinge wieder kindisch zu benennen, ein neuer Kaspar Hauser von mehr als vierzig Jahren. Das ihm sonst so liebe Pferd nannte er Trara, und Hunde rief er mit kindischer Furcht Wauwau. Der Baron Satan von Höllenstein schien nicht mehr Bewußtseyn zu haben, als ein eben entwöhnter Säugling; schwerlich dürfte man in Morizens Magazin der Erfahrungsseelenkunde ein ähnliches Beispiel geistigen Zurückkommens finden. Celinde stand an diesem halboffnen Grabe wie eine Trauerweide. In der Inschrift ihrer Augen konnte man lesen, nicht, was sie verlor, wohl aber, was sie litt. Und doch selbst an diesem trüben und morschen Stamme noch blühte sie, zur Bewunderung der Welt, wie eine dunkelglutige Cactusblume über einem verwelkten Blatte. Ihr Mann schien sich in ihr wie das Präparat seines Namens in seine ursprünglichen Silberbestandtheile aufzulösen. Der Höllenstein wird aus reinem Silber durch Mischung mit Salpetersäure gewonnen. Sie wuchs wie die Pflanze Sonnenthau auf häßlichem Torfgrunde, hatte aber gerade wie sie die geheimnißvolle Eigenschaft, sich nur bei heiterem, wolkenlosem Wetter zu erschließen, und nie länger als eine Stunde, von zwölf Uhr Mittags bis eins: denn um eins mußte sie dem Baron wieder seinen Milchbrei reichen, den er nur von ihr nehmen wollte. Schlachtenmaler sah ihr oft wehmüthig nach, wenn sie ihren alten Säugling führte. Als der Graf, dem bei seinem jetzt im Zenith stehenden Glücke oft eine frivole Laune überkam, ihm vorschlug, da er doch zeichnen könne, möcht' er ein Seitenstück zur heiligen Familie entwerfen: Celinden als Maria, den Generalissimus auf dem Schoß und ihm die Brust reichend – fuhr er wild auf und sprach eine Beleidigung aus, von der der Graf mit verbissener Wuth sagte, er wolle sie einstweilen zu den übrigen stecken, bis das Maß voll würde. Man behauptete auch, daß der Graf gegen Celinden dieselben Gefühle hegte, die man Herrn von Lipmann gegen Sidonien zuschrieb. Wirklich verstanden sich auch beide Damen nicht und suchten sich zu meiden: Celinde freilich wie die Sinnpflanze, die vor Allem, was sie zu nahe berührte, erschrack, und Sidonie schon mehr wie die Eselsspringgurke, die die leiseste Berührung ihrer allerdings sehr gereizten Stimmung durch Ausspritzen eines keineswegs heilsamen und oft recht verletzenden Saftes belohnte.

Von Geigenspinner, der auch da war, und der Hofräthin Wiesecke (Sophie) und dem Hofrath selber, der an hektischem Husten litt und sich nicht immer stark genug fühlte, in seinem chinesischen Schlafrocke, mit dem er auf der Promenade erschien, auch eine chinesische Mauer zwischen Geigenspinnern und Sophien (denn Sophie legte Feuer an, wo sie irgend Schwamm und brennbare Stoffe entdeckte) aufzuführen – von diesen Dreien ist die Chronik weniger ergiebig und nur so viel bekannt, daß Schlachtenmaler an den verliebten Irrwegen des Mispelheimer Pfarrers öfters dessen Tücke und seines Vaters Unglück zu rächen suchte.

Denn auch Blaustrumpf und Mörder waren da und mit ihnen ein gutes officielles Saatfeld, auf welchem sich Brennnesseln und Schlingpflanzen für Geigenspinner säen ließen. Mörder schien neben Blaustrumpf eine entzauberte Alraunwurzel zu seyn, die dieser als ewiges sinnbildliches Denkmal seiner Ausjätungen des Aberglaubens mit sich führte. Mörder blieb gewöhnlich auch, wie der Baron Höllenstein, da sitzen, wo man ihn hinstellte, und seine Bewegungen glichen theils nur den Capriolen einer kleinen Figur, die die stark aufhämmernden Tasten und Predigten Blaustrumpfs auf dem Clavier-Resonanzboden der öffentlichen Meinung in dem Bade hervorbrachten, theils nur gar den Chladni'schen Klangfiguren, die in einem dummen Haufen Sandes entstanden, jenachdem Blaustrumpf auf der gläsernen Scheibe der Table d'hôte den Fidelbogen seines eindringlichen und immer an den Meister vom Stuhl erinnernden Vortrags strich.

Da Celinde keine Neigung zu Juden hatte (wurde doch selbst Bettina in Frankfurt zum Judenhaß erzogen!), so vermied sie Herrn von Lipmann, ohne jedoch darum zu billigen, was sich der Bad-Inspector Schlachtenmaler in ihrer und des Hofagenten Gegenwart, als dieser sich darüber beklagte, zu sagen erlaubte: »Bei Frau von Höllenstein haben alle ihre Hoffnungen und Lebensfreuden sich in ein todtes Meer verwandelt, und bekanntlich schwimmt nur das Judenpech auf dem todten Meere am ergiebigsten!« Auch Guido war zugegen und fing diesen Wurfspieß des ihm sehr bekannten Ex-Redacteurs des Nichts auf und sagte: »Es könnte für das Judenthum kein schöneres Wortspiel gefunden werden, als daß man ein flüssiges Harz nach seinem Unglück benennt: denn, wenn alle Formen des modernen Bewußtseyns überlebt seyn würden, würde noch das Judenthum seine bindende, zusammenhaltende, seine zähe und, man möchte fast sagen, klebrige Kraft und den Monotheismus entfalten.« Püsser, der auch zugegen war, fiel mit der feinen Bemerkung ein: »Erinnern Sie sich wohl noch, Schmeißer, daß Sie einst zu mir sagten: Auffallend, daß doch vom Berge Sinai nichts als Bindendes kömmt, früher die Mosaischen Gesetze und jetzt bekanntlich das beste arabische Gummi, das so bindend wie Leim ist?« – Schmeißer lächelte; Guido zog sein Notiztäfelchen; aber Herr von Lipmann hatte Witz und strafte den Schlachtenmaler (der an seinen Vater und die ihm mitgetheilte Zehnthalergeschichte dachte) durch folgendes Gleichniß: »Wissen Sie was, Herr Bad-Inspector? Ich habe gelesen in einer Reisebeschreibung, daß die Türken auf die Geschirre von ihren Pferden streichen Judenpech, bloß damit sie durch den starken Geruch die Schmeißfliegen abhalten. Ich empfehle mich Ihnen.« Und damit ging Herr von Lipmann triumphirend vorüber, und Schlachtenmaler hatte die Demüthigung und das Nachsehen. Aber wir erwähnen diese Antipathie Celindens nur, um zu erklären, warum der Graf sagen konnte, sie wäre das einzige ruhige Plätzchen, wo er sich erholen könnte: denn überall anders verfolgte ihn Herr von Lipmann mit stechenden und beißenden Bemerkungen. Bald hieß es: »Sagen Sie mir, Graf, wo haben Sie die Idee mit dem Wasser her? Wo ist die Fasanerie, wo sind die Hirsche im Park? Soll die alte Mooshütte die Grotte für Liebende seyn?« Der Graf hatte keine Ruhe vor ihm während der ganzen Saison, weßhalb ihm so ein entrüsteter Ausruf, wie z. B.: »Herr, Sie quälen mich wie ein Floh!« öfters entfuhr. Herr von Lipmann hatte aber auch hier Witz genug, ihm boshaft lächelnd zu erwidern: »Nun, wenn Einen sticht ein Floh, so zieht man sich nackend aus und schlüpft in ganz neue Hemder und Strümpfe und Unterbeinkleider und Vorhemdcher und Alles so fort.« Und, wenn Herr von Lipmann sonst nur von Gold und Papier sprach, so hatte er sich in Amalienbad zur Verzweiflung des Grafen angewöhnt, nur von Eisen zu sprechen. Bald hieß es: »Daß in dem Brunnen Eisen ist, sieht man schon an der magnetischen Kraft, mit der es die Leute aus allen Gegenden anzieht;« bald: »Auf dieser Eisenbahn werden Sie schnell zu Ihrem Ziele kommen;« bald umarmte er den Grafen an der Table d'hôte und rief zu allgemeinem Gelächter: »Alte Liebe rostet nicht!« Sein Sohn Guido mußte ihm die ganze Geschichte des Eisens vortragen, nur, um ihm Gelegenheit zu Anspielungen zu geben. War der Graf unmuthig, so schüttelte sich der Hofagent und rief ihm so laut nach, daß es die ganze versammelte Kurliste hörte: »Säure löst das Eisen auf und macht Salze daraus, die von den echten Salzlaugen sich dadurch unterscheiden, daß diese zusammenziehen, Ihre aber auseinander jagen!« Er wurde in seinen Bildern so gelehrt und in den Vergleichungspunkten so auffallend, daß Schlachtenmaler einmal einen Vorwitz nicht scheute und ihm seiner Grobheit wegen vorwarf, daß ihm seine ewigen lächerlichen Eisengespräche nachgerade zu oxydiren schienen. Seitdem schwieg auch Herr von Lipmann über den Gegenstand.

Von Amandus wissen wir, daß er reiste, um die Hofärzte zu bestechen. Theobald hatte den Namen Schmidt angenommen und wagte es, den Badarzt zu spielen. Weil eines Theils das Wasser nur äußerst schwache Eisentheile enthielt (worüber sich bald alle Stimmen vereinigten), so brauchte er mit Fug und Recht und zum Bestand der herrschaftlichen Küche nicht allzukarg mit der Diät zu seyn. Er empfahl Küche und Keller, und die Patienten standen sich gut dabei, weil das Wasser, selbst, wenn es gewöhnliches Brunnenwasser gewesen wäre, doch einen starken Appetit erregte, und überhaupt die Heilkraft der Bäder meistentheils aus der Luft, und zwar, weil sie ja so frisch und ungewohnt, gegriffen ist. Wirkliche Leiden verwies Theobald auf den erst später sich ergebenden Erfolg, was denn namentlich von Frauen, denen es an der rechten Fruchtbarkeit fehlte, geglaubt werden mußte, da sie ja ihre Männer nicht immer gleich bei sich hatten. Bei andern Krankheiten kam es nur darauf an, geschickt zu temporisiren. Niemand konnte in sechs Wochen eine vollständige Heilung voraussetzen, Niemand kam auch ohne vorgängige medicinische Behandlung, die sich bei einigem Scharfsinne sehr leicht dem Patienten entlocken und zur Grundlage der Brunnenkur machen ließ. In plötzlichen An- und Vorfällen wurde der Graf gerufen, scheinbar als theilnehmender Hauswirth, eigentlich aber, weil er in der That ein großes encyklopädisches Wissen und eine Hausapotheke besaß, viele Jahre hindurch seine eigenen Pferde curirt hatte und überhaupt ein Mann von Geist und schneller Fassung war, der vor nichts erschrack, am wenigsten vor Gefahr. Es lagen die schönsten Elemente in ihm; selbst die Philosophie, mit der er die Lüge, Betrug, Mord und Todschlag würde entschuldigt haben, hatte etwas Geniales und entsprach den Vorstellungen, die er von dem specifischen Werthe des Adels hatte.

Der Gascogner, Alboin de Blasé d'Eau, leitete, von einigen auf das Spiel abgerichteten Dienern des Grafen unterstützt, die Roulette. Der Graf hatte lange Anstand genommen, ob er nicht einige seiner alten Jugendfreunde, zurückgekommene wilde Cavaliere, in Perspective nehmen sollte und ihnen, ausgelernten Croupiers, die grüne Tafel anvertrauen; doch hatte ihn Sidonie fast fußfällig gebeten, diese Menschen, die sein Geschick und seinen Charakter genug zerrüttet hätten, jetzt aus seiner Nähe zu lassen: denn nur Unheil wachse unter ihren Füßen. Der Graf meinte, zur würdigen Haltung eines Hazardspieles gehöre eine felsenfeste, ruhige Todesverachtung, ein nobles Air, das nicht einmal allen Adeligen gemein wäre; in Frankreich hielten meist alte Bonapartisten die Bank, Männer, die an der Brücke von Arcole gekämpft und in Rußland ihre Gesundheit und den Glauben an Gott zurückgelassen hätten; in Deutschland wäre es selten, einem hinlänglich terroristischem Spielergenie zu begegnen; am passendsten wären alte Landsmannschaftsenioren aus Göttingen, und seine Freunde wären das gewesen. Der Grund, warum sich der Graf entschloß, Alboin, einen Bürgerlichen, auf den grünen Tisch abzurichten, lag auch nicht in den fast zur Erde gebeugten Knien Sidoniens, sondern theils in dem Gedanken, daß die Genossen seiner Vergangenheit ihm hier theuer zu stehen kommen würden, theils in der Nachricht, daß sie sich rüsteten, in's Carlistische Hauptquartier zu reisen: denn nächst seiner eigenen Lebensfrage war ihm die des Don Carlos die wichtigste. Alboin benahm sich mit Ruhe und Tact auf seinem Posten. Er erschrack vor Gewinn und Verlust nicht und verzog nie die Miene. Wenn die eigentliche Erziehung zum satirischen Schriftsteller, die ihm sein Vater gegeben, zu etwas gefruchtet hatte, so war es dazu, ihm jene stolze Impassibilität zu geben, welche besonders von den Engländern, die auch die besten Humoristen haben, so außerordentlich hoch geschätzt wird.

Und Blasedow selbst? Ihm, da er nichts sprach und immer allein ging, hatte der Graf die Rolle eines unglücklichen Spielers übertragen. Als solcher war er ein nothwendiges Requisit eines vornehmen Badeortes. Blasedow, der ja so Vieles verloren hatte, und noch dazu im Spiel, zeigte sich in dieser Rolle, ohne von ihr zu wissen, wie der durchdachteste Meister. Wenn er im Park mit zurückgelegten Armen wandelte, ein Bild gänzlicher Apathie, zuweilen spukhaft lächelnd, zuweilen das Auge zum Himmel aufschlagend, so betrachtete ihn mancher Mitleidige und Gefühlvolle mit Bedauern, mancher Moralist mit Schadenfreude, und manche Mutter zeigte ihn ihren Kindern als lebendige Warnung vor einer unerhörten Spielwuth! Es umraschelten ihn Sagen und Gerüchte, die sich über seine enormen Einsätze und Verluste gebildet hatten, ohne daß er je davon hörte. Er wußte nicht, daß seine Seufzer den Menschen die Tausende bestätigen mußten, die er auf jene verführerische Tafel geschüttet haben sollte. Ein Witzbold sagte von ihm, er gleiche dem Augustus, als er ausgerufen hätte: Faro, Faro, gib mir meine Millionen wieder! Manche nannten ihn den »Märtyrer des Zufalls«. Der Graf war entzückt, daß Blasedow unbewußt auf die Idee, die seinen eigenen Vorstellungen so nahe verwandt war, einging: denn er wußte, wie wunderlich der Menschensinn erregt wird, wie gerade der Anblick von Hinrichtungen, Mörderschaft und ein Pistolenschuß und eine verhüllt fortgetragene Bahre einem Spielhause mehr Zulauf verschafft, als ein gelungenes Va Banque! In der Freude darüber redete er einmal Blasedow mit der Bezeichnung an: »Wie geht es Ihnen, Freund, unglücklicher Spieler?« Blasedow blickte ihn groß an und wandte sich dann verächtlich ab, indem er sagte: »Unglücklicher, aber kein falscher!«

 


 


 << zurück weiter >>