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Viertes Kapitel.

 

Unentgeltliches Inserat einer Zeitungs-Annonce.

 

Nicht lange nach diesen Vorgängen las man in mehreren öffentlichen Blättern einen Bericht, den wir, da er nicht unwahrscheinlich in den Zusammenhang unserer Geschichte gehört, hier wieder abdrucken wollen:

 

Das Bad Amalienbad.

Schon zur Zeit, als Herr von Metzenthin noch Besitzer jener freundlichen Herrschaft und Gegend war, welche sich jetzt unter dem Namen Amalienbad aus einem Sandmeere wie eine blühende Oase erhebt und in der Fürstenkrone Vierhufens wie ein prangender Diamant erglänzt, bemerkte man oft, daß die herrschaftliche Wäsche nicht jenen Grad von Weiße erreichen wollte, den man durch einen beispiellosen Aufwand von Mühe und Seife nothwendig und bei einem natürlichen Hergange der Dinge hätte erreichen müssen. Die Tischtücher, Servietten, ja, die feine Leibwäsche des Herrn von Metzenthin selbst und die Garderobe seiner Töchter (leider war Herr von Metzenthin seit Jahren Wittwer) machten sich nicht nur durch einen auffallenden hellbräunlichen Schimmer, der darauf lag, sondern auch durch einen widernatürlichen Geruch so bemerkbar, daß vielleicht einer der Gründe, warum Herr von Metzenthin die jetzige Standesherrschaft Amalienbad verkaufte, in diesem Umstande zu suchen ist. Auch der jetzige Besitzer, der Herr Graf von der Neige, bemerkte bald nach seiner Ansiedelung auf der Herrschaft, daß seine Wäsche sich durch einen Teint auszuzeichnen anfing, den er jedoch, ein feiner Kenner der Chemie und mehrerer angewandten Zweige der Naturwissenschaften, bald als verwaschene, sogenannte Eisenflecke erkannte. Das Phänomen war auffallend und mußte die Neugier eines Mannes reizen, der nichts, was zur Bereicherung seiner Kenntnisse dienen könnte, zu unterlassen gewohnt ist. Er untersuchte den Brunnen, welcher das Wasser in die herrschaftliche Waschküche leitete, und fand zu seinem Erstaunen, daß dasselbe in einem außerordentlichen Grade mineralhaltig war. Den Herrn Grafen nahm diese späte Entdeckung eines für unsere ganze Monarchie und die angrenzenden Länder so äußerst wichtigen Factums kein Wunder: denn der betreffende segensreiche Brunnen war im Untergeschoß des Schlosses selber gegraben und wurde lediglich, da man vielleicht längst zu dem Wasser kein Vertrauen hatte, zur Reinigung der herrschaftlichen Wäsche benutzt, deren gelbliches Aussehen allerdings längst hätte Verdacht erregen sollen. Der Herr Graf, im Entzücken über diesen Fund, rief aus: »Hier sollen künftig keine Hemden mehr, sondern Menschen gewaschen werden!« Ein Ausruf, der sich jedoch als zu sanguinisch ergab, da die Quelle nicht stark genug ist, um von ihrem Abfluß baden zu können. Die herbeigerufenen Aerzte und Chemiker erklärten, Amalienbad würde eine der segensreichsten mineralischen Trinkanstalten des Vaterlandes und der gesammten Umgegend werden, und schon sollen mehrere Werke darüber unter der Presse seyn.

Die genauesten chemischen Untersuchungen ergaben folgendes Resultat: Die nach der geliebten Landesmutter sogenannte Amalienquelle ist eine überwiegend eisenhaltige, doch von der Art, daß ihr durch eine sanfte Mischung von Laugensalz jene strenge und zusammenziehende Eigenschaft geraubt wird, die das ursprüngliche Wesen des Eisens bildet. Salinische Theile kommen hinzu, um diese wohlthuende Mischung noch zu befördern, und die mehr erhitzenden Eigenschaften durch sanft eröffnende und auslösende zu vertauschen. Die Amalienquelle enthält auf einen Grad Eisen fast zwei Grad Glaubersalz und einen halben Grad salzsaurer Magnesia. Die Bestandtheile von Mineralalkali, salzsaurer Kalkerde, Kochsalz, Magnesiakalk und Alaunerde halten sich in einem anmuthigen Gleichgewichte, ohne daß eines vor dem andern besonders hervorschmeckte. Der Extractivstoff ist außerordentlich gering, dagegen der Cubikzollinhalt des kohlensauren Gases fast so stark wie in Pyrmont, nämlich achtundzwanzig, was jedenfalls so viel ist, als auch die Quelle in Driburg zählt, und mehr, als Schwalbach, Spaa, Brückenau und Lauchstädt sich rühmen dürfen.

Wenn wir später die Verdienste aufzählen werden, welche sich der derzeitige Besitzer der Amalienquelle, Herr Graf von der Neige, um diese recht »ein Kind seiner Laune« gewordene Entdeckung und die Umwandlung derselben in ein mit vielen berühmten Bädern rühmlichst wetteiferndes Badewesen erworben hat, so erwähnen wir jetzt diejenigen Krankheiten und menschlichen Leiden, gegen welche, nach übereinstimmender ärztlicher Prüfung, Amalienbad sich allen Siechen und sich Uebelbefindenden empfehlen läßt. In der kurzen Zeit, wo die Heilkraft des Amalienbades sich in der nächsten Umgegend verbreitete, wurden schon mehrere Privatkuren versuchsweise und zu allgemeiner und besonders zur Zufriedenheit der Leidenden selbst in diesem neuen Tempel Hygieens vollzogen. Mehrere, durch Ausschweifungen in der Blüthe ihrer Entwickelung stillgestandene und verkümmerte Leidende, die wir aus Discretion nicht anführen dürfen, haben die ganze Kraft dieses, wie Hufeland von dem Driburger Brunnen sagt, excitirenden, reizenden, erhitzenden, das Blut nicht allein bewegenden, sondern in seinem rothen balsamischen Theile vermehrenden, erwärmenden, tonisch stärkenden und zusammenziehenden Wassers erlebt. Die Bleichsucht einer jungen, sentimentalen Schwärmerin ist bereits mit einem frischen, erfreulichen Rosenabglanz übermalt. Ein hysterisch-hypochondrischer Engländer, der gerade durchreiste, wurde durch mehrere Gläser dieses ermuthigenden Zaubertrankes von dem schrecklichen Entschlusse abgehalten, sich um's Leben zu bringen, welches er auch in dem Badgedenkbuche selber niedergeschrieben hat, mit dem Charakter, den er sich gab: Lord John Butterfly, geheilter Selbstmörder!

Wäre unsere Gegend katholisch, welche Votivtafeln würden die Tausende, denen hier Rettung und Gesundheit fließt, nicht am Eingange des Amalienbades aufhängen dürfen! Hieher komme, wer an Krampfkoliken, Brustkrämpfen, nervösem Schwindel und Epilepsie leidet, welches letztere Uebel selbst in Pyrmont keine Heilung findet. Alle Krankheiten des Magens und Verdauungssystems, die in Schwäche ihren Grund haben, chronischer Appetitmangel, habituelles Erbrechen, Schwerverdaulichkeit, Blähsucht, Schleimsucht können, so gut wie chronische Diarrhöen, Lienterien, schleimichte Hämorrhoiden oder, wie Hufeland richtiger sagt, der weiße Mastdarmfluß, hier eine sichere und gründliche Heilung erwarten. Die chloritische Dyskrasie, welche in dem Mangel an rechter Lebenswärme im Blute besteht, und die nach einer Periode gewaltiger Aufregung, die Europa erlebt hat, die gegenwärtigen Zeitgenossen zu überfallen scheint, wird beim Amalienbrunnen bald verschwinden. Auch Würmer gehen Einem hier ab, selbst wenn man deren bisher in sich keine verspürte. Alle widernatürliche Hemmungen des für das menschliche Daseyn so unerläßlichen Wasserlassens, als da sind Strangurie und Blasenkatarrh, schwinden nach dem Genusse dieses stark auf den Urin treibenden Wassers. Wir wollen einige Krankheiten nicht erwähnen, welche der Anstand zu nennen verbietet, doch aber anführen, daß chronische Geschwüre sich eben so gut hier entwickeln und auflösen, wie auch das männliche Unvermögen hier bei einer geregelten Kur sicher schwinden wird. Frauen, die zum Abortus geneigt sind, kann hier die Hoffnung, auf ihrem Arme dereinst noch süße Kinder zu schaukeln, wiedergegeben werden, da die krampfhafte Reizbarkeit des Uterus bald vor dem Trunke aus dieser Amalienquelle weicht. Die weibliche Unfruchtbarkeit wird künftig nicht mehr nöthig haben, nach Ems zu reisen: denn auch dieses Bad heilt sie, und das um so sicherer, als wir schon von seinem Einflusse auf die entsprechende Unfähigkeit der Männer sprachen, für welche in Ems kein Kraut gewachsen ist. Ueberhaupt alle Krankheiten des Gebärmuttersystems, die schmerzhafte Menstruation mit ihren gleichzeitigen Koliken, Erbrechungen, Ohnmachten und ähnlichen hysterischen Zufällen müssen hier eben so weichen, wie selbst, was bei andern Bädern unmöglich ist, die übertriebene Vollsaftigkeit des Uterus, woraus so leicht Verhärtungen, Polypen und Metastasen von psorischen, arthritischen und andern bedenklichen Stoffen an jenem empfindlichen Theile entstehen. Es ist dies nur eine kleine Skizze jener Krankheitsgruppen, welche durch das Amalienbad überwunden werden; den Aerzten und dem spätern Erfolge muß es überlassen bleiben, ob sich dies trostlose Register zum Wohle der leidenden Menschheit noch vermehren läßt.

Anmerkung Die Amalienquelle fließt zur Stunde noch nicht reichlich genug, um ihr auch einen äußerlichen Gebrauch abgewinnen zu können. Einstweilen sind unter diesen Umständen die Brunnengäste sicher, daß sie kein Wasser trinken, in welchem sich schon Andere gebadet haben; wie es denn noch jetzt Leute gibt, die mit Recht keinen Rothwein trinken, weil sie leicht auf jenen Jahrgang stoßen könnten, in dessen ganzem Ertrage der König von Westphalen, Jerôme, seine Pariser Krankheiten sich abzukühlen pflegte.

Da aber bekanntlich der Erfolg aller Badkuren davon abhängig ist, ob sich mit ihnen auch der Genuß einer angenehmen Gegend und einer heitern Geselligkeit verbindet, so hat der gegenwärtige Besitzer und Entdecker der Quelle, der Herr Graf von der Neige, sich angelegen seyn lassen, seiner Herrschaft alle die Reize wieder zu geben, mit welcher die Natur und Kunst sie früher bedacht hatten, und welche nur so lange in Verfall gerathen waren, als Herr von Metzenthin und dessen Töchter sich vergebens um den Teint ihrer Wäsche grämten. Der Herr Graf scheute keine Kosten, um das Schloß und die dazu gehörigen Besitzungen nicht nur in einen wohnlichen Zustand wieder zu versetzen, sondern sie selbst noch für höhere Anforderungen reif zu machen. Er legte passende Communicationswege an, auf welchen man von den verschiedensten Seiten her zum Amalienbade gelangen kann; er schuf das außerordentlich große Schloß selber in eine einstweilen äußerst fashionable Herberge für die Badgäste um, indem er nur einen kleinen Theil der fast zahllosen Gemächer für sich und die Dienerschaft zurück behielt. Im Dorfe sind für minder vermögende Besucher alle nöthige Vorkehrungen und Bequemlichkeiten getroffen wurden. Der Bad-Inspector, Herr Schlachtenmaler, wird über Alles, was zum Comfort der Kurgäste dienen könnte, bereitwillige und gefällige Auskunft geben.

Die Zierde des Amalienbades ist die reizende Parkanlage, die sich theils bei Herrn von Metzenthins Zeiten schon vorfand, theils erst jetzt eine Wiedergeburt erfahren hat, die sie zu einer ganz neuen Schöpfung macht.

Mit Vergnügen werden diejenigen, welche wahrhaft Leidende sind, hören, daß Amalienbad in einer nicht gebirgigen Gegend liegt. Denn jeder Arzt bestätigt, daß die Berge das zu verderben pflegen, was die Bäder gut gemacht haben. Sie sind zur Mittagszeit sehr willkommen, aber des Morgens und Abends athmen sie Dünste und Nebel aus, welche einen gleichzeitigen Aufenthalt in der freien Natur dem Kranken unmöglich machen. Regengüsse und Gewitter treten in Gebirgen öfter ein, als die Natur deren zu ihrer Abkühlung bedarf, die Partien sind mühsam zu ersteigen und bringen beim Gebrauch von Stahlwasser nur Congestionen nach dem Kopf hervor. Darum kann sich Amalienbad seiner Lage in einer reizenden Ebene rühmen. Sanfte kleine Anhöhen geben dem Blicke malerische Fernsichten; Bäche murmeln durch das frische Wiesengras hin, auf welchem sich die idyllischen Heerden der Herrschaft tummeln. Das Geläute dieser Thiere trägt nicht wenig dazu bei, dem Amalienbade, mit Abzug der Gebirge, einen fast schweizerischen Charakter zu geben. Wenn der Park für den täglichen Spaziergänger, der nicht zu weite Wege liebt, ein Ort der geistreichsten Erholung, wie wir dies besser unten erklären werden, seyn wird, so liegen doch auch in der nächsten Umgegend des Amalienbades einige entferntere Punkte, denen theils die Kunst, theils die Natur ein reizendes Interesse gab. Partien und größeren Gesellschaften, die sich vereinigen wollen, werden wir vorläufig schon mehrere liebliche Spazierfahrten bezeichnen können, welche einen größern Aufwand von Wandermuth sicher belohnen. Der Hirschpark ist ein schattiges Tannen- und Birkengehölz, in welchem sich zur Zeit zwar nur ein gezähmter Hirsch aufhält, doch dagegen zahllose wilde, die oft rudelweise durch die Büsche springen. Leider sind sie in dem Grade scheu, daß sie nichts so sehr, als die Nähe der Menschen fürchten, und man oft Tage lang locken muß, bis man ihrer ansichtig wird. Der zahme Hirsch dagegen ist ein sanftes, freundliches Thier, mit dem sich die Kurgäste um so lieber beschäftigen werden, als neben seiner Einfriedigung, durch die Fürsorge des Herrn Grafen, ein Wirthshaus angelegt ist, dessen gegenwärtiger Besitzer nicht ohne Fertigkeit auf der Geige ist. Sein Sohn bläst die Flöte und seine Frau schlägt die Harfe, so daß außer der regelmäßigen Badmusik an der Amalienquelle auch hier ein musikalischer Genuß für einen dergleichen Liebhaber stündlich anzutreffen ist.

Ein ander Mal rathen wir den Kurgästen, die Fasanerie und das Vogelhaus zu besuchen. Auch diese Sehenswürdigkeiten liegen in einem schattigen Gehölze. Mehrere ausgespannte Netze schließen eine Anzahl böhmischer Fasanen ein, von denen wir nichts wünschen wollen, daß sie bei der Ankunft der spätern Badgäste von den frühern schon möchten verzehrt seyn. Jedenfalls würde dann der Herr Graf Sorge tragen, aus Böhmen schleunigst einen neuen Transport zu verschreiben. Das Vogelhaus enthält eine artige Sammlung der beliebtesten Singvögel. Canarienvögel, Zeisige, Finken leben hier im traulichen Vereine und räumen die Oberherrschaft über sie einer alten Eule ein, die aber, um die Damen nicht zu erschrecken, nicht natürlich, sondern ausgestopft ist. Auch hier ist für Erfrischungen durch eine sich mehr dem Russischen nähernde Herberge bestens gesorgt.

Die Eremitage, auch die Grotte der Liebenden genannt, ist eine reizende Anlage auf der Südseite des Amalienbades. Vor vielen Jahren hat hier in einem nach gothischer Art gebauten Hause, welches über und über mit Moos ausgelegt ist, ein frommer Einsiedler gelebt, von dem aber die Sage ging, daß sein nur der Zurückgezogenheit vom Leben gewidmetes Dach auch oft für unglückliche Liebende der Umgegend ein freundliches und verschwiegenes Asyl wurde. Wenn es wahr ist, daß jetzt die Ehen nicht mehr im Himmel, sondern in den Bädern geschlossen werden, so wünschen wir, daß auch diese Grotte der Liebenden vielen Herzen ein Ankerplatz ihrer Hoffnungen werden möge.

Endlich erwähnen wir noch eine Sehenswürdigkeit des Amalienbades, welche in dieser Originalität vielleicht kein anderer europäischer Kurort aufweisen kann. Dies ist nämlich eine Gegend, die, nicht weit vom Bade belegen, den auffallenden Anblick einer mehr als arabischen Wüstenei darbietet, und welche denn auch von dem Herrn Grafen, der überall das Charakterische mit kurzen Worten zu bezeichnen versteht, mit dem Namen: die Wüste Sahara, getauft worden ist. Tiefes melancholisches Schweigen liegt auf einem unübersehbaren Sandmeere, dessen Wellen unergründlich sind. Kein Baum, kein Strauch wächst auf diesem traurigen Eilande, welches in seiner düstern Monotonie gegen die üppige grüne Fülle der Umgebungen einen fast rührenden Abstich gewährt. Es würde die Strafe eines Verbrechers seyn, durch dieses bewunderungswürdige Spiel der Natur, die oft mit der einen Hand Rosen flicht und mit der andern graue Asche ausstreut, zu Roß, zu Wagen oder gar zu Fuß waten zu müssen. Einigen Hunden, die man früher hinüber zu hetzen so grausam war, soll dieser Versuch das Leben gekostet haben. Von diesem rührenden Schauspiel einer unbedingten Oede und Unfruchtbarkeit werden die Kurgäste nicht ohne Wehmuth und Erstaunen scheiden: denn, so schmerzlich es ist, ein Bild des Todes zu sehen, so merkwürdig bleibt doch dieses seiner Seltenheit, seiner hohen Vollkommenheit wegen. Der Herr Graf lassen übrigens in Amsterdam gegenwärtig ein Kameel ausstopfen, welches er trotz aller Schwierigkeiten und Kosten, die das Unternehmen darbieten wird, doch in der Mitte dieser Wüste aufstellen will, um sie der afrikanischen Aehnlichkeit noch immer näher zu bringen.

Einer ausführlichen Beschreibung des Parkes können wir uns um so mehr überhoben fühlen, als es nicht nur Dinge gibt, die man durch Rühmen und Anpreisen nur verletzt, sondern auch einen sehr talentvollen Dichter, welcher auf Virgils georgischer Leier ein Lehrgedicht über Amalienbad heraus zu geben gedenkt. Gleich hinter dem Schlosse, an dem Brunnen, ist ein großes türkisches Zelt aufgerichtet, in einem Geschmack, der so echt orientalisch getroffen ist, daß das Zelt wie von Feen über Nacht hingebaut scheint. Hier ruht sich der Brunnengast aus, hier ertönt eine fröhliche belebende Musik, hier plätschert ein Springbrunnen, hier ist das Rendezvous der Leidenden, die gläubig zu Hygieens Tempel strömen. Blumenterrassen und Blumenbeete schmücken die nächste Umgebung des Zeltes, schattige Laubgänge schützen vor den Strahlen der Sonne. Höher hinauf sind zwei leichte, aber anmuthige Gebäude errichtet, links das Ballhaus, rechts der Spielsaal. Vielleicht bedarf Letzterer einer Entschuldigung.

Die beiden Bade-Aerzte, die DD. Amandus Müller und Theobald Schmidt, waren nämlich durchaus abgeneigt, zur Errichtung einer Spielbank ihre Einwilligung zu geben. Indessen traten ihren moralisch diätetischen Gründen doch andere entgegen, welche den Herrn Grafen bewogen, auch dies Uebel im Amalienbad heimisch zu machen. Selbst, wenn man von denen abstrahiren wollte, die ausdrücklich nur, um zu spielen, in die Bäder reisen, so würde doch auch denen, welche nicht spielen, hier eine Gelegenheit entzogen worden seyn, sich in ihrem bessern Selbst zu fühlen. Um die Menschen tugendhaft zu machen, muß man ihnen die Gelegenheit geben, es nicht zu seyn. Mancher, der aus einem Bade heimkehrt, freut sich, nicht nur seine Zufriedenheit, sondern auch sein moralisches Gewissen gerettet zu haben. Aus diesen Rücksichten auf die Vermehrung der öffentlichen und Privat-Moral glaubte der Herr Graf bei seiner hohen Landesregierung um die Eröffnung einer Spielbank einkommen zu müssen. Sie wurde ihm gegen eine Abgabe bewilligt, die nicht groß ist: welchen Umstand wir ausdrücklich anführen, weil das Publicum aus den allzugroßen Spielsteuern Mißtrauen in die Chancen einer Bank fassen muß. Die Amalienbader Bank wird von Herrn Alboin Blasé d'Eau gehalten, einem gebornen Gascogner.

Die Saison beginnt mit dem 15. Juni. Anmeldungen auf Logis werden von dem Bad-Inspector Schlachtenmaler befördert, und etwaige sonstige Anfragen gründlichst beantwortet werden. Briefe und Gelder franco.

Anhang.

Geheime Depesche des Dr. Amandus Müller an den Grafen.

   Vierhufen, den 15. Mai 18...

Hochgeborner Herr Graf!

Mein erster Blick im hiesigen Gasthofe zum König von Hannover, der eine recht angenehme Lage hat, ob man gleich dem allgemeinen Straf- und Zuchthause gerade gegenüber wohnt, fiel auf eine Nummer der Vierhufener Landeszeitung, in welcher mein Bruder die Geschichte und Lage und Vortrefflichkeit des Amalienbades gottsträflich erlogen und übertrieben hat. Das Geheimniß der Quelle kenn' ich nicht und kann daher auch nicht bestimmen, ob das Amalienbad mehr in die Geschichte der Entdeckungen oder der Erfindungen gehört, zu welcher letztern unfehlbar die Struve'schen künstlichen Mineralwasser zu rechnen sind, ohne daß ich mir erlaube, die Amalienquelle in ihre chemischen Bestandtheile zu zerlegen, was mir um so schwerer würde, da ich kein Arzt bin, sondern nur einen vorstelle. Wer wird aber zu dem Wasser Vertrauen fassen, wenn er sich in fast allen Versprechungen des Prospectus getäuscht findet? Von all der geschilderten Wohnlichkeit ist zur Zeit noch wenig vorhanden, von all den Sehenswürdigkeiten und schönen Gegenden gar nichts. Wie kann Schlachtenmaler von Eremitagen, Hirschparken und Fasanerien sprechen? Ich bedaure ihn, wenn er glaubt, seine Phantasie werde den Kurgästen auch in der Wirklichkeit das Alles vorspiegeln, was das geduldige Papier ertragen hat. Als der Graf diese Stelle las, bewunderte er die Zwietracht und den Neid, der zwischen den Brüdern herrschte.

Mit wahrer Genugthuung jedoch kann ich Ew. Excellenz melden, daß meine Bemühungen für die Amalienquelle erfolgreicher seyn werden als Uebertreibungen, die aus dem Traum eines Fieberkranken zu kommen scheinen. Alle Zeichen treffen günstig zusammen und versprechen, wenn nicht schon in dieser, doch in der nächsten Saison alle meine Bemühungen zu krönen. Die allerdings nicht unbeträchtlichen Summen, welche ich von Ew. Excellenz zur Disposition bekommen habe, scheinen vorläufig freilich in den Wind zu gehen; doch nach diesem Winde gerade werden sich bald die Wetterfahnen der hofärztlichen Rathschläge richten und den Pfeil nach dem Amalienbad umwerfen. In Kaputh konnte ich nichts versuchen, da an Sägenreißers Unbestechlichkeit jeder Louisd'or aus Scham in ein rothes werthloses Kupferstück sich verwandelt, und auch der Fürst von Sayn-Sayn Jahr auf Jahr ein dasselbe Bad besucht. Allein in Vaduz habe ich das feierliche Versprechen von dem Medicinalrath, Dr. Schuft, bekommen, daß er wenigstens die Fürstin, und zwar im nächsten Jahre, uns zuschicken will. In diesem Jahre geht sie nach Ems ihrer leidenden Brust wegen; wenn sie aber den Winter überlebt, und die Schwindsucht nicht im Galopp kömmt, so wird Medicinalrath Schuft Sorge tragen, daß sie unsere Stahlquelle braucht. Freilich könnt' es ihr Tod seyn, sagte der Leibmedicus nachdenklich, als er mir eine Quittung über das Honorar für die Heilung eines Fingers schrieb: – denn Ew. Excellenz werden leicht errathen, daß ich einen so hochgestellten Mann nicht mit einer Summe Geldes so ohne Weiteres bestechen kann. Es ist immer meine Gewohnheit, mich absichtlich mit einem leichten Schaden zu behaften, z. B. mich in den Finger zu schneiden, einen Splitter einzureißen und dergleichen. Während der Heilung wird die Amalienbader Frage angeregt, und deutlich genug gezeigt, daß auf der Empfehlung ihres Eisenwerthes Gold steht. Der Leibmedicus nimmt für einen ausgezogenen Splitter recht gern dreißig Pistolen, wo ich noch den Vorzug habe, mir eine Quittung darüber auszuwirken, was zu bewilligen sonst jedem Bestochenen die Klugheit untersagt. – Ich sagte also: der Medicinalrath hätte sich mit einem Buche getröstet, worin ein berühmter Arzt erklärt haben soll, daß oft ein begangener Heilungsirrthum die Wahrheit in einem krankhaften menschlichen Zustande schneller an's Licht fördere und der Behandlung des Arztes Diversionen eröffne, wo die kämpfende Natur sich stärkt und sich in ihrer Kraft zu üben beginnt bis zum allmählichen Siege.

In Lausau erklärte mir der dortige Leibmedicus des Großherzogs, daß er an dem Leben eines Fürsten keine Experimente zu machen wage, und daß dem Großherzoge Aachens Schwefelquellen einzig zuträglich wären, der schlechten Kuren wegen, die die Aerzte in Rom und Neapel mit dem als Erbgroßherzog dort reisenden jungen Fürsten angestellt hätten, und wo nun all das überflüssige Metall, das in ihm stäke, in Aachner Schwefelqualm ausdünsten müsse; indessen machte er mir Hoffnungen auf einige Minister, namentlich auf einen, der dem Großherzoge längst viel zu constitutionell gesinnt wäre, und den er in einem Eisenbad so erhitzen wolle, daß er unfehlbar bei seiner Rückkehr sich zu falschen Schritten verleiten lassen und dadurch selber stürzen würde.

In Kuhschnappel hatte ich die Bestechung nicht nöthig. Dort fand ich einen würdigen Leibmedicus, der mir mit thränenden Augen gestand, daß das Leben des Kronprinzen nur noch durch Stahlbäder gerettet werden könne; er hätte dem Prinzen Campe's Sophrosyne zu lesen gegeben, er hätte ihn durch die Spitäler geführt, hätte ihn durch ritterliche Uebungen von seinem Laster abbringen wollen, aber selbst Pyrmont, das nach Hufelands Heilquellen, Seite 57, doch so ausgezeichnete Heilkräfte gegen diese allmählichen physischen und moralischen Selbstmörder entwickeln solle, selbst Pyrmont hätte wenig gefruchtet. Ich sagte, als wir schieden: Herr Medicinalrath, vielleicht weckt schon der weibliche Name der Amalienquelle natürlichere Vorstellungen in Sr. Hoheit! Will's Gott, seufzte der redliche Staatsdiener und gab mir weinend das Geleite.

In Flachsenfingen schien der Leibarzt des ungemein stark bekinderten Fürsten ein versteckter Republicaner zu seyn. Wenigstens sprach er nur von dem Budget und dessen täglich sich vermehrender Ausdehnung. Er war bereit, uns das jüngste Glied der fürstlichen Familie, welches an Scropheln litt, zu opfern, und dachte dabei vielleicht an dessen Apanage. Es war ein zorniger Mann, der mir beim Abschied noch nachrief: er verlasse sich wenigstens darauf, daß man in Amalienbad künstliche Salzbäder werde bekommen können; das Kind in echte zu schicken, nach Kreuznach z. B. oder in's Meer nach Dobberan, darunter würde das Land nur noch immer mehr leiden.

Ich habe auch noch eine andere Entdeckung gemacht, die einen tiefen Blick in die Badmanie unsrer Zeit und die von den Aerzten dabei gespielte Rolle werfen läßt. Es ereignet sich oft, daß kleine, unbedeutende Bäder dicht bei großen Städten in der Nähe liegen, z. B. Soden bei Frankfurt, Cannstadt bei Stuttgart u. s. w. Hätten nun diese Bäder eine große Kraft, so würden sie längst von der echten Wissenschaft allgemein empfohlen seyn. Dies hindert jedoch die Aerzte der benachbarten großen Städte nicht, alle Welt in diese kleinen Bäder zu schicken: denn welcher Patient trennte sich gern von seinem Arzte, welcher Arzt gäbe gern einen ganzen Sommer hindurch die Behandlung eines Kranken auf? In Soden bei Frankfurt gibt es zum Glück sieben Quellen: man denke sich, welche Auswahl hier die Frankfurter Aerzte haben! Mein Patient will nach Ems, ich schick' ihn aber nach Soden N o 3! Ihr Patient will nach Töplitz, schicken Sie ihn nach Soden N o 5! So bleibt dem Arzte die Kundschaft und dem Kranken sein Uebel; auch spart er die Reisekosten.

Auf dergleichen Erfahrungen bau' ich also meine Operationen. Was sie hier in Vierhufen erreichen werden, theilt vielleicht mein Nächstes mit, bis wohin ich verbleibe,

 

Hochgeborner Herr Graf,

 

 Ihr ergebener Diener,

 

Amandus Blasedow,

 genannt Dr. Amandus Müller.

 


 


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