Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.

 

Das Buch Hiob.

 

Man kann nicht immer sagen, daß die Unfähigkeit, Jemanden in die Augen zu blicken, das Zurückschrecken vor der Sonne der Wahrheit ist. Blasedow hatte, dem Grafen gegenüber, sicher nichts auf dem Gewissen; doch war es ihm, als müßt' er hinfort nichts als rothe und grüne Flecken sehen, wenn ihm die stechenden Augenstrahlen des Grafen gerade die seinigen blenden würden. Er wußte auch, daß der Graf die Kunst besaß, heiter und wolkenlos auf einem Vulcan zu stehen und scherzen zu können, selbst, wenn Nemesis schon mit ihren Katastrophen an die Thür pochte. Blasedow konnte den Blick nicht aushalten, der durchbohrend ihn treffen würde, wie er schon wußte; und so dachte er: »Ich will mich in die Seele des Grafen hineinschämen und roth werden über das, was sein Gewissen drückt!« Und wer wird unserm alten Freunde nicht bezeugen, daß uns die Fühllosigkeit mancher Menschen und in den Augenblicken, wo sie zerknirscht seyn sollten, ihre halsstarrige Ruhe vernichten und grausam quälen kann? Wie mancher gefühlvolle Richter möchte dem Verbrecher um den Hals fallen und ihn beschwören: Versöhne doch wenigstens das Gleichgewicht der Natur und der moralischen Ordnung durch eine Thräne über deine Störung derselben! Und von Blasedow kann man berichten, daß ihn in seiner Jugend ein Bekannter bestohlen hatte, und er die Fassung verlor und seine Ansprüche aufgab, als er den Dieb vor sich sah, und ihn der Richter seiner That überführt hatte, und sich kein Tropfen Reue in seinem Auge spiegelte. Ja, wen hätte die Geliebte nicht um allen Frieden gebracht, die, ungeachtet ihrer Liebe, starr und kalt bei der Aussicht auf einen möglichen Bruch, den sie oder du verschuldeten, blieb, die sich mit erfrorenem, starrem Schmerze in die tödtliche Dialektik einspann: Wer mich aufgeben kann, der mag es können; ich will geliebt seyn, um zu lieben!

Blasedow flüchtete in die Verwirrung des Parkes, der hinter dem Schlosse theils verwüstet, theils umgeschaffen wurde. Er sah bald, daß es sich hier um die Erzeugung künstlicher Ruinen handelte, und schwer fiel es ihm auf's Herz, daß er selber eine so natürliche war! Seitdem er sich in dem Erfolge seiner Erziehungsträume getäuscht hatte, glich er einem entwurzelten Baume, bei dem man zu lange gewartet hatte, um ihn wieder in ein anderes Erdreich zu pflanzen. Der Augenblick, wo die Blätter und Blüthen seines Geistes die gewaltsame Veränderung nicht würden gespürt haben, war verpaßt, und nun welkte er allmählich ab und war sich selber eine Last. Moralische Vorstellungen mischten sich wenig in diese Dumpfheit, die seinen Geist drückte, ob er gleich fühlte, daß alle seine Söhne durch ihn verpfuscht waren, und keinem die Kraft innewohne, irgend eine selbstgewählte Lebensrolle mit künstlerischer Freiheit durchzuspielen; er nahm vielmehr diesen Erfolg und ihrer Aller Unglück als ein organisches Verhängniß, wo Niemanden ein Vorwurf treffe, als höchstens den Zufall, der gerade in dem Jahre, wo seine Hoffnungen reifen sollten, einen Mißwachs wollte. Ja, es fehlte sogar an Momenten nicht, wo er sich über das abendliche Ergebniß seines Lebens tröstete und sagte: »Muß es nicht Menschen geben, die gleichsam einem Netze oder Korbe ähnlich sind, in welchem die Frauen alle überflüssige Enden Band, Zwirn- und Seidenfäden, Taffetrestchen, und was vom besten Werke übrig bleibt und, da es unnütz ist, nur im Wege liegt, ansammeln? Wir haben die schönsten Stoffe in uns vereinigt; nur sind sie überflüssig, weil sie zu kurz sind und nicht ausreichten, um noch an den Meisterwerken selbst verwandt zu werden. Es gibt große Menschen, die gerade aus einem Stoffe aufgingen und sich vollendet abrundeten; es gibt andere, die Alles in sich besitzen, nur nicht von jedem so viel, um daraus Eines machen zu können. Die Einen sind Individuen, die Andern sind Collectivmenschen; jene sind die Herrscher der Welt, und diese sollten ihre Rathgeber seyn; jene schaffen, diese denken.«

Als Blasedow den Entschluß seiner Söhne billigte, Schauspieler zu werden, und sich bereit erklärte, zwar nicht zu spielen, aber ihnen die Lampen zu putzen – ach, er that dies einige Jahre hindurch mit still in sich lächelnder Entsagung – da waren seine Vorstellungen diese: Wer den Stoff der Größe in sich trägt, aber nicht das Modell besitzt, sie auszuformen, oder derjenige, dem der Stoff mit zu vielen heterogenen Bestandtheilen versetzt ist, der sollte immer Schauspieler werden! Das gerathene Genie dichtet das Werk, und das verdorbene Genie stellt es dar. Der Heros wirft aus einem Gusse hin und zeichnet die großen Contouren, welche der Schauspieler dann ausfüllt und so bewunderungswürdig belebt, daß der Heros selbst vor seiner Schöpfung erschrickt: denn, daß man so Lebenvolles daraus zaubern könne, hatte er nicht gedacht. Ein Schauspieler war Blasedowen (wie Hamannen in Königsberg ein Jude) Gegenstand einer tiefen religiösen Verehrung, ein Wunder: »denn,« sagte er sich, »wie Großes und welche Bewunderung vor der Größe muß nicht in einem Menschen leben, der die Helden fast noch über ihren natürlichen Wuchs hinaus erhebt; und selbst seine Uebertreibungen und Uebergriffe verrathen doch das ungeheure Maß von Genie, welches diese Menschen dem Genie zutrauen, verrathen die abgöttische Verehrung, die sie vor der Erhabenheit und dem menschlichen Heroismus haben. Wenn die Gesinnungen und Empfindungen der Menschen bei steigender Cultur sich noch mehr und mehr ausflachen sollten, und die Diplomatie der Umgangssprache und Umgangsgeberden jeden originellen Zug weglügt und weglächelt, den der entschlossene Wille und die unerschrockene Ueberzeugung sonst anzunehmen gewohnt war: so werden es die Schauspieler seyn, welche die Tradition des menschlichen Gemüthes und seines halb göttlichen, halb thierischen Ursprungs erhalten. Sie werden Tyrannen zeichnen, so daß wir im Stande sind, solche aus unsern constitutionellen und die Hände der Bürger drückenden Staatsoberhäuptern herauszukennen; sie werden den Geiz schildern, der sich längst hinter einer scheinbaren Lebensphilosophie verbirgt; den Haß, der sich längst wie Liebe geberdet; den Spott, der längst die Miene des Lobes angenommen hat; den Neid, der schon die Miene der Freigebigkeit macht; die Verfolgung und Verleumdung, die sich jetzt schon hinter Küssen verbergen. Wie ist schon so Manches in den menschlichen Gefühlen, die das vorige Jahrhundert durchzitterten, eine Fabel geworden! Das Theater aber hat die lebendige Abschauung jener Empfindsamkeitsperiode und jenes Iffland'schen Familienjammers, in dem wahrlich eine große Wahrheit trotz der Carricatur liegt, erhalten, das Theater, wo diese uns schon wie im Herbarium aufgetrocknet bedünkenden Affekte frisch aufblühen und einen Duft verbreiten, der unsere starren und kälteren Empfindungen betäubt und überwindet. Um wie viel wichtiger wird die Kunst des Schauspielers werden, wenn erst die glatte Oberfläche der Convenienz alle Falten des Antlitzes, alle Falten der Gewänder, auch derer, in welchen Möros einst noch einen Dolch tragen konnte, geebnet haben, und die Natur nur noch auf dem Theater zu finden seyn wird.«

Doch hatte Blasedow gewiß an dem Lampenputzen selbst eingesehen, daß so vieles Häßliche und Unbedeutende, wird es nur in eine glückliche Beleuchtung gestellt, ordentlich einen Schein von Schönheit und Reiz annehmen kann. In so Vieles legt das Dichtergemüth einen tiefern Sinn, und wie schwer würd' es ihm werden, sollt' es diesen Sinn selber tragen und an eignem Leid in Erfüllung bringen! Blasedow, auch durch das Theater, welches er anfing, recht für die höhere Weihe und Versöhnung seiner verfehlten Erziehungsmaximen zu halten, getäuscht, hatte sich gewöhnt, nun auch Alles und Jedes in seinem eigenthümlichen und aus ihm, dem Dinge und seinen Verhältnissen selbst ausströmenden Aether zu lassen; etwas hinzuzuthun aus sich oder den Aether der Dinge zu destilliren in höhere Gedankenessenzen, daran verzweifelte er, seitdem er wußte, daß sich das Meiste im Leben schön ausmalen, und das Wenigste davon doch selbst tragen läßt. Er sagte: »Nichts bleibt uns, als die Klage – wehmüthig genug – auch die stolzen und kühnen Heldensagen der Vergangenheit schlossen mit dem Geständniß, daß man nur Eines immer und ewig gewiß seyn könne, des Schmerzes; der Schlußstein der Nibelungen ist der Leichenstein der Klage.« Und dann sagte Blasedow auch wohl: »Ich bin der Chor der griechischen Tragödie!« Und als solchen duldet ihn und tragt ihn und zürnet ihm nicht, daß er dort ruhig und gelassen durch die Hecken schreitet, scheinbar empfindungslos an den Bäumen hinauf sieht und wie abwesend sich die künstlichen Felsen betrachtet, welche der Graf zu hydraulischen Vexirspielen benutzen wollte! – In einem kleinen Bosket, welches zur Zeit noch von dem Baugeiste, der hier Alles in etwas Merkwürdiges verwandeln wollte, verschont war, bemerkte unser schwermüthiger Wanderer eine verhüllte Frauengestalt; wenigstens war ihr der Schleier, den sie an einem kleinen Sommerhute trug, etwas in's Antlitz gefallen und gab ihr das Ansehen einer tief in sich verloren Nachdenkenden. Und saß sie nicht auch wirklich da, wie ein Bild der Melancholie, und würde auch ohne Schleierfall diesen Eindruck gemacht haben? Wie sich Blasedow näherte, blickte die Dame auf, und, wie sie ihn erkannt hatte, wußte Gräfin Sidonie nicht, ob sie aus der Orgel ihrer Empfindungen dieses oder ein anderes Register anziehen sollte. Sollte sie die Gräfin seyn, welche huldvoll und herablassend den alten Bekannten grüßte und ihn ihrer Gnade versicherte, oder sollte sie der Landpartie nach Dreifelden und des rothen Ochsen gedenken oder des unterbrochenen Theeopferfestes, an welchem der Pfarrer ja Theil genommen, oder sollte die lichte, helle Wahrheit aus ihrem Auge klagen, und selbst die Thräne nicht verleugnet werden, die sich eben darin spiegelte? Ach, so steht der Mensch oft wie eine Windharfe dem sanften und stürmischen Luftzuge gleich offen oder weiß die nackte und ausgestorbene Brust bei einer schnellen Ueberraschung mit keiner Hülle zu bedecken und muß sich gefangen geben! So knicken oft im Nu die frischesten und eiligsten Entschlüsse oben am Stengel ab; so sinkt dem Helden die Waffe nieder, die er kaum erhoben: denn er fühlt den Tod im Arme oder erkennt durch eine Spalte des Visiers hindurch seinen eigenen Bruder. So entwaffnet stand Sidonie. Hundert Scherze und Vorstellungen erstarben ihr auf der zu den alten Lügen (die sie für eine schwere Standespflicht ansah) schon angeschlagenen Zunge; sie mußte den schon zu einem künstlich unbefangenen Willkomm erhobenen Fuß und sich selber auf die Rasenbank sinken lassen und der Wehmuth ihres Gefühls, den guten und, nicht minder wie sie, unglücklichen Mann wieder zu sehen, Raum geben. Blasedow aber, nur des Lügengeistes der Adeligen sich bewußt, verstand auch diesen Empfang sich nicht anders als im Sinne der Komödie zu deuten und sagte nicht ohne einige Ironie: »Wie unbequem muß es Ihnen seyn, in dieser Zerstörung zu leben, woselbst der Wiederaufbau, mit dem ich rings die Arbeiter beschäftigt sehe, einen künstlichen Verfall vorstellen soll? Haben Sie mich noch nicht vergessen, Frau Gräfin?«

»Ach, lieber Freund,« sagte die Gräfin, »wir Menschen haben oft diejenigen als Leitsterne, die man an unserm Lebenshorizonte gerade am seltensten sieht. So Mancher weiß nicht, wie er in die Berechnungen eines Andern und oft gerade zu in sein Gewissen verflochten ist. Man kann sich sehen und nie sprechen und doch für einander eine Beziehung haben, die man Niemanden und kaum sich selber eingesteht.«

Blasedow, der diese Wahrheit wohl fühlte, sie aber nicht auf sich zu beziehen wagte, wich deren Schlußfolgerung aus und schrieb sich davon nur so viel zu gute, daß er fortfuhr: »Wenn ich Ihr Gewissen bin, gnädige Frau, dann sind Sie sanft und gut gebettet!« Und nun setzte er sich an ihre Seite, ganz betroffen über die Schwermuth, die den Stolz dieser Frau, er wußte noch nicht, ob verschleiert oder vernichtet hatte.

»Sie haben viel gelitten, lieber Freund,« begann Sidonie, und Blasedow ergänzte, sie verbessernd: »Leiden wollen, meine Beste! Und besser ist es immer, unglücklich durch sich selber, als durch Umstände seyn. Wenn der Arzt eine versteckte und nicht recht ausgesprochene Krankheit sieht, so befördert er ihre Entwickelung und sucht ihr gerade jene normale Gestalt zu geben, die sich sichrer heilen läßt.«

»So hoffen Sie also?« fragte Sidonie und legte in den Ausdruck ihrer Stimme einen Ton, als hätte sie es an sich selbst erfahren, wie unmöglich dies ist.

»Ich würde hoffen,« antwortete Blasedow, »wenn ich jünger als meine Söhne wäre. In ihnen liegt mein Unglück, weil in dem Unglück meiner Söhne wieder meine Schuld liegt. Ich würde glücklich und ruhig seyn, wenn ich jedem meiner Kinder sein Grab zuwerfen und einen einfachen Denkstein darüber bauen könnte; ich würde gerade dann hoffen, auf Friede wenigstens, wenn ich nichts mehr zu hoffen habe. So steh' ich armer Mann jetzt so weit von meinen Söhnen ab, die ich mir einst dem warmen Herzen so nahe gebracht hatte; sie können mir ein Recht, ihnen Vater zu seyn, kaum gestatten, und doch trab' ich, als fünftes Rad, an ihrem Wagen einher, schleppe nur und drehe mich nicht mehr um meine eigene Axe. Und, wenn es einen Trost gäbe, wollen Sie ihn wissen? Brauchen Sie ihn?« – Sidonie schwieg. »Nun,« fuhr Blasedow fort, »so ist es die Unbegreiflichkeit des menschlichen Daseyns. Ach, wüßten wir, meine liebe Frau, die Lebensaufgabe, die Gott den Menschen gestellt hat, dann wären wir gar übel dran: denn die Unglücklichen, die ihr Unglück selbst verschuldeten, diejenigen, denen alle ihre Pläne fehlschlugen, hätten dann keinen Trost mehr. Ich sehe so oft in stiller Nacht die Sterne an und denke dann leise bei mir: Was jagt nun wohl und rennt die Welt, was kümmern sie die eingebildeten Aufgaben und selbstverschuldeten Leiden, was lügt sie vielleicht über unser Sollen und Müssen, über unser Treffen und Verfehlen! Es ist so schön, sich mit sanfter Ergebung unter den Wettern zu beugen, die dicht über unserm Haupte vorüber ziehen; es ist so schön, gehorsam zu seyn und zu dulden. Und, wenn denn einmal in der Welt und in unserm Verhältniß zu ihr doch nichts ohne Ehrgeiz seyn kann, nichts ohne ein wenn auch noch so leise ausgesprochenes Interesse, so wär' es ja möglich, meine liebe Frau, daß gerade der Boden, den wir mit unsern Thränen und mit dem Stroh unsers Unglücks düngen, daß gerade die Thorheiten und Irrthümer, denen wir uns im guten Glauben hingaben, und die wir nun vor der Welt so sichtbar, so an den Pranger gestellt, zu bereuen haben, gerade das rechte Ackerland bilden, auf welchem die Lebensaufgabe blüht und dereinst ihre Früchte tragen wird. Versuchen Sie es nur, meine Liebe, das Elend des Lebens als eine Aufgabe zu betrachten, so wird es Ihnen bald so werden, wie mir. Ich habe ordentlich versucht, in der Lösung dieser Aufgabe es bis zur Virtuosität zu bringen und ein still vergnügter Märtyrer der Widerwärtigkeit zu werden: das gibt Heiterkeit und Trost und läßt sogar wünschen, das Maß möchte sich immer mehr füllen und das Elend dicht über den Rand laufen.« Sidoniens Lächeln über diese Worte machte nur, daß die dadurch entstehenden kleinen Falten aus den Augen die mit Mühe verhaltenen Thränen entgleiten ließen. Dann versuchte sie die erstickte Stimme zu überwältigen und mit einem Nachdruck, der nur die Rührung zurückdrängen sollte (wer die Thränen kennt, weiß, was ich sagen will), zu antworten: »Hätte nur der Schmerz nicht immer ein bestimmtes Colorit und ginge lieber gleich, wie es leider schon bei Ihnen zu seyn scheint, von einem allgemeinen, grauen Dunstkreis, der Ihren Horizont bildet, auch bei mir aus! Aber so nistet sich zwischen verbrannte Steppen immer wieder etwas frisches Grün an, flicht sich in den Todtenblumenkrauz immer wieder durch Zufall eine Rosenknospe oder ein kleines Veilchen ein, daß man jener Resignation, die Sie mir schildern, nicht völlig Herr werden kann. Die Täuschung ist der Anfang des Schmerzes, und die Entsagung sein Ende. Aber bei mir – ach – das ist unmöglich zu sagen, was man leidet, wenn das Leiden nicht anerkannt wird, wenn man die Miene des Glückes selbst im Unglück tragen muß und das Widerwärtige meist nur als die Folge eines ärgerlichen Zufalls betrachten kann. Dann kömmt wohl ein Augenblick, wo man die Maske abwerfen möchte und ausrufen: Ich bin allein! ein Augenblick, wo man im Begriff ist, alle Fenster schwarz zu verhängen und mit dem Leben – ja, daß ich's nur sage – auch mit der Lüge abzubrechen; aber..... ich fühl' es wohl, es gehört dazu ein größerer Geist, als ich ihn besitze, ein Heldenmuth, den selbst die Frauen nicht hatten, welche Klöster stifteten: denn wurden sie dafür nicht als heilig verehrt?« – »Und wurden sie nicht Aebtissinnen der Klöster?« ergänzte Blasedow lächelnd.

»Ach,« fuhr die Gräfin fort, »es ist gerade die gegenwärtige Lage, in der ich mich befinde, die mir diese Reife zu einem völligen Abschlusse mit dem Leben gibt. Was mich so schmerzhaft bewegt, ist dieser Contrast meines geängsteten und nichts mehr hoffenden Gemüths und die tollkühne, frevelhafte, ich möchte fast sagen, gottesleugnerische Art, wie mein Mann da gräbt und baut und sich und Andre täuscht. Da hat er den Kopf voll verwegener Projecte und schläft kaum und ist in einer Aufregung, die recht verräth, wie viel davon abhängt, und wovon er schon abhängt! Der lärmt und arbeitet und grübelt und legt selber Hand an in Hemdärmeln, mit Schweiß an der Stirn, und, so sehr ich's in seinem Zusammenhange all verachten muß, so viel Mitleid kostet mich's doch wieder und so viel Thränen. Die trügerische Vorstellung, als könnte durch all dies Toben und Hämmern und Zimmern etwas erreicht und möglich werden, ist es, die mich ängstigt: denn ich sehe ja, daß es wie Schattenspiel an der Wand und aller Wesenheit und Solidität baar und bloß ist.« – »Ich soll eine Rolle dabei spielen,« sagte Blasedow, »oder bin wenigstens der Ballast derjenigen, auf die der Graf hiebei stark rechnet, meiner Söhne. Ich denke, wenn die Gegend eine merkwürdige werden soll, so muß es dabei Menschen von allerhand Charakteren geben.«

»Kommen Sie,« sagte Sidonie, indem sie sich erhob und Blasedow'n den Arm reichte; »ich zeige Ihnen eine Stelle, wo ich mir den Hain von Montmorency und das Cenotaph Rousseau's mit seinen Trauerweiden nachkünsteln will.« Sie schritten langsam vorwärts, oft gezwungen, über verstümmelte Gartengötter, die im Wege lagen, den Fuß zu heben, über Baumstämme, die sich in bergige Erhöhungen verwandeln sollten, wegzuschreiten, bis sie auch allmählich hinter den Bäumen verschwanden.

 


 


 << zurück weiter >>