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Fünftes Kapitel.

 

Blasedows Standrede an eine Dame, die da mystisch werden wollte.

 

»Ich denke mir den Herrgott oft wie ein Elternpaar, das von vielen und mannigfach gearteten Kindern umgeben ist. Die einen lieben ihn, ohne davon viel Wesens zu machen, die andern tragen aber ihre Liebe fortwährend zur Schau und machen ein Geschäft daraus. Es gibt Kinder, die so gern die Rolle der Eltern übernehmen und in deren Namen ordnen, befehlen, unterdrücken, besonders die unterdrücken, welche lieben, ohne es zu sagen. Die älteren Geschwister, wenn sie wie die Blüthen eheloser Pflanzen vertrocknen und nie die zarten Schwielen des Traurings fühlten, werden leicht geneigt, die Eltern selbst an Wachsamkeit gegen die jüngern zu übertreffen. Sie sagen wohl gar, daß sie ihrer Liebe zu den Eltern wegen nie heirathen würden, und machen aus dem, was ihnen große irdische Noth verursacht, eine himmlische Tugend. Die Welt geht wie ein lachender, blumengeschmückter Bräutigam an ihnen vorüber, den sie eben verschmähen, weil er ihnen nichts in den Schoß wirft.

»Der Herrgott ist aber kein alter schwacher Mann, der so urtheilen würde, wie der tolle, kindische Lear urtheilte. Cordelia war niemals pietistisch, und deßhalb kann sie wohl von dem überlebten thörichten Lear der Kirche ausgestoßen werden, aber nicht von einem himmlischen Vater, der die Nieren dem Fett, was darum liegt, vorzieht. Der Pietist schwört und betheuert, er weiß, wie hoch er sich in seiner Liebe vermessen kann; das wahre Gotteskind lebt immer und ewig in der sich ihm von selbst verstehenden Voraussetzung der Größe und Allmacht Gottes, es macht kein Wesens davon.

»Nach Luther gibt es dreierlei Christen, die sich zu einander verhalten, wie die drei Theile des Tabernakels, welches Gott Mosen zu bauen befahl. Erst kömmt der äußere Kirchhof, dann das Schiff, endlich der Chor der Kirche. Diejenigen Gläubigen, welche ihre Gottseligkeit in äußeren Geberden, in der Pruderie gegen den Genuß des Lebens, im Essen, Trinken und Schlafen suchen, nennt er kirchhöfische Heilige, welche nur fünf Ellen hoch wären, das heißt, nach den fünf Sinnen; sie hätten, fährt er fort, ihre Heiligkeit im viehlichen Leben und wären Speiseheilige, Kleiderheilige, Zeitheilige. Die zweite Christengattung ist diejenige Gemeinde, welche zwar in die Kirche geht, aber rücklings; die ihr Angehörigen sind mit dem Hintern immer früher darin, als mit dem Kopfe. Erst die Christen der Emporkirche wären die echten; sie bekämen durch den Geist, den ihnen Christus verheißen, ein rein, frei, lustig, fröhlich, lieblich Herz, wie es im Prediger Salomonis Kap. 9 heißt: So gehe hin und iß dein Brod mit Freuden, trinke deinen Wein mit gutem Muthe: denn dein Werk gefällt Gott. Laß deine Kleider immer weiß seyn, und laß deinem Haupt Salbe nicht mangeln. Gebrauche des Lebens mit deinem Weibe, das du lieb hast, solange du des eiteln Lebens hast, das dir Gott unter der Sonne gegeben hat, solange dein eitel Leben währet.

»Ich sage ja auch nur, daß Luther durch all sein theologisches Wachen und Träumen (denn die Bibel und die Kirchenväter mußten schon des Streites wegen sein ganzes Leben ausfüllen) das Lebensprincip der Freude und Hoffnung hindurch ahnte. Ich sage nicht, daß ein ganz nach Luthers Vorschriften eingerichtetes Leben vom Pietismus allzuweit abliegt. Luther bekämpfte die guten Werke zum Nutzen des ewigen Bibelaufschlagens und Blätterns und Lesens darin und zum Trotz des römischen Ablaßgeschäftes; indessen, wer immer tiefer und tiefer in die Tiefe graben will, der sehe ja zu, daß ihm der äußere Schacht nicht einstürze und die Rückkehr verschütte! Das menschliche moralische Daseyn ist eine Pflanze, die ihren Hauptgrund in der Wurzel, aber ihr göttliches Leben und ihre Pflichterfüllung in den Blättern, der Blüthe und der Frucht hat. Auf den Duft der Menschen kömmt es an, auf die ätherische Wolke, die ihr Daseyn umfließt, auf das Gefühl einer sanften Erregung, wenn man in ihre Nähe tritt. So wie man Gott nicht in den Gestirnen und ihrem Stoffe, sondern in den Bahnen, welche sie beschreiben, suchen muß, so ist auch das, was im Menschen sich als Gesetz und harmonische Ordnung gestaltet, moralischer, als was an Thaten und Worten den Stoff zu dieser Symmetrie hergibt. Sieht man nicht Bäume, die sich ihre ganze Triebkraft erhalten haben, selbst, wo der Stamm inwendig heraus gebröckelt ist, wenn nur die Rinde noch zusammen hält? In den feinen Arterien der Baumschale liegt die Kraft der Vegetation. Der Baum blüht auch ohne Stamm und trägt Früchte, wenn nur die Schale ohne Risse und Sprünge ist.

»Die Pietisten haben einen andern Glauben. Sie schälen sich vom Herzen die Rinde ab, und wollen aus dem nackten Stamme Blüthen treiben und greifen, da sie zu erfrieren fürchten müssen, wie erfahrne Pomologen auch thun, nach einer Mischung von Kalk, der in Urin gelöscht ist, und von Kuhmist und legen das Zeug um ihren abgeschälten Lebensbaum: denn nur mit dieser trüben und häßlichen Hülle kann er bei ihnen gedeihen. Das Frömmeln ist nicht einmal ein Zwerggewächs, nicht einmal eine Mißgeburt, so wenig entsteht es aus einer organischen Function der natürlichen Geschichte des Geistes; so wie sie heutiges Tages betrieben wird, mischt sich immer in diesen widerlichen Bildungsproceß eine unreine Zuthat ein, so wie man in der Kunstgärtnerei Mittel hat, dem natürlichen Verlauf der Pflanzenentwickelung eine künstliche Richtung zu geben und Rosen sogar von solchen Stöcken zu erzielen, bei welchen die Befruchtung nicht mit Pistillen durch die Natur, sondern mit feinen Malerpinseln durch den Gärtner vollzogen wird.

»Wenn die Extreme sich berühren, so steht der Pietist gerade in der Nähe des Atheisten. Ist der Atheismus consequent, so macht er aus seiner Resignation auf die Welt einen Cultus. Ein Glaube, der die Welt umgeht, kann sie nicht besiegen: wo kein Kampf, ist auch kein Sieg. Wir Menschen sollen mehr Aehnlichkeit mit jenen Thieren haben, denen der Instinct versagt ist, das ihnen Schädliche gleich ohne Weiteres zu erkennen, als mit den Ziegen, die jedes Kraut, nur den Schierling nicht, essen. Die Pietisten sind gerade die verwöhnten und verzogenen Kostverächter des Herrn, während die Größe des moralischen Menschen etwa darin besteht, an Allem zu prüfen und den Grad zu bestimmen, in wie weit Göttliches ihm beigemischt ist oder Irdisches. Eine Thräne der Reue und der getäuschten Erwartung ist mehr werth, als all die trockne Hitze, die ewig im Auge des Pietismus brennt.

»Noch erträglicher wäre der Pietist, wenn er für sich allein betete; aber gerade die Gemeinde verderbt ihn, indem sie ihm das Gute nimmt, was im Pietismus noch möglicherweise liegen könnte. Ein Einsiedler kann im Walde uns als ein schönes Bild der Resignation begegnen; aber eine Colonie von Einsiedlern wird ein lächerlicher Widerspruch. Ach, es mag eine große Seligkeit und ein unschätzbarer Trost darin liegen, von dem Erfolg einer gewagten, stolzen Handlung wie von einem Rosse abgeworfen zu werden und dann gleich auf Christus, der dann aber ein Kissen, kein Eckstein seyn müßte, zu fallen; aber nun für sein ganzes Leben mit diesem Kissen sich auszupolstern, immer den Fallhut Christus zu tragen und eine ganze Secte in diesem Stolze, daß ihnen die Welt nichts anhaben könne, zu erblicken? – nein: das wäre so gut, als wenn die Weiber deßhalb nicht mehr heirathen wollten, weil sie sich vor dem Niederkommen fürchten. Der Pietismus, würd' er allgemein, versetzte die Geschichte in Ruhestand. Sein himmlischer Friede, den er allerdings öfters geben kann, gleicht dem Elektrisirfische: man fängt ihn wohl, aber er lähmt uns auch den Arm.

Ich will einiges Gute an dem kopfhängerischen Wesen nicht bestreiten. Selbst Blumen, die in Paris von Fischbein gemacht sind, können uns einen wohlgefälligen Blick abgewinnen, und braucht man in einer Zeit, wo es so viel Nachtfröste gibt, nicht selbst, wenn's nicht anders ist, Frostableiter von Stroh bei den Bäumen? Aber einem wahrhaft philosophischen und dichterischen Blicke kann es nicht entgehen, daß dem Pietismus die eigentliche Schönheit des zu einem Systeme krystallisirten Gemüthes abgeht, wie es Schiefer gibt, die zwar sehr feinblätterig und zart gemischt sind, die aber doch immer an dem sie berührenden Finger eine gewisse Fettigkeit zurücklassen. Die Frage ist nur die, ob man das Gute am Mystischen nicht auch ohne Pietismus haben kann, und ob ferner dies Gute am Mystischen durch den Pietismus nicht gerade verkümmert wird?

»Ich selber bedarf des Mystischen, weil ich nicht für Alles den erklärenden natürlichen Grund kenne. Oft mach' ich mir Vorwürfe, daß ich irgend einen Zeugungsproceß bei der Pflanze, irgend ein Gesetz der Natur, das eine poetische Ausnahme von der Regel zu seyn scheint, für mystisch halte; aber, wenn ich dann denke, einem Linné, einem Humboldt ist das dir räthselhaft Scheinende geläufig, wie dem höhern Mathematiker der verwickeltste Kettensatz, dann freu' ich mich wieder, daß die Mystik nichts Absolutes, sondern etwas lediglich von dem einzelnen Gemüthe und Verstande Abhängiges ist. Etwas schlechthin Mystisches für Alle gibt es nicht, selbst Gott nicht; wohl aber für den Einzelnen ist es eine Ruhebank, auf der er weilt, wenn ihn das Steigen zu den Alpenhöhen des Gedankens ermüdet, oder er einen Punkt sucht, von wo aus er übersehen möchte, was sich ihm nun Alles schon als Panorama und Lohn für seine Mühe des Steigens darbietet. Und Linné und Buffon und Oken – o, sie werden auch ermüden und ihrer Forschung einmal den Rücken kehren müssen und sehen, wie ungeheuer hoch sie über der Meeresfläche stehen, und wie tief und kaum sichtbar die Gegend unter ihnen liegt! Sie werden einen Fleck am Himmel entdecken, den sie mit ihrer Arithmetik und Algebra noch nicht auslöschen und erklären können, während sie für die Räthsel aller übrigen Gestirne schon manche Lösung und Beruhigung haben. Dem Mystischen kann man sich nicht entziehen, oder man müßte schon Gott von Angesicht zu Angesicht schauen.

»Erleichterer und Beförderer der in den Pietismus sich verflachenden Mystik (der Pietismus ist ein nach den Gesetzen der Mystik geregelter und auf sie begründeter Cultus) sind jene poetischen Menschen, welche in ihrem Sinnen und Denken den Gang gewisser Insecten nachahmen, die auf einer ebenen Fläche einen starken Anlauf nach Süden nehmen, plötzlich, wie von etwas, was ihnen im Wege stände, erschreckt, nach Ostsüdost sich wenden, wieder vor etwas, das nicht vorhanden ist, erschrecken und sich nach Norden wenden und so nach jedem Anlaufe wieder die Richtung ändern. Es sind dies oft die tiefsten und anregendsten Menschen; aber es gefällt ihrem Gemüthe, da ein Wunder zu sehen, wo eine natürliche Erklärung nicht unmöglich wäre, wie es Theologen gibt, die die ganze heilige Geschichte als historisch nehmen und gerade das wirklich nur Chronikartige in ihr gern zum Wunderbaren schlagen möchten. Diese Menschen sind nicht dem Denken abgeneigt, aber sie denken nur, nicht, um auf das Klare, sondern das Dunkle zu stoßen. Wie sich Andere freuen, wenn sie etwas durchschaut haben, und ein Geheimniß vor ihnen enträthselt ist, so freuen sie sich, wenn sie im Felde der Gedanken wandeln und plötzlich an einer Stelle stehen, wo der Weg zu Ende geht, und ein Zaun gezogen ist, der sie zwingt, wieder den Rückweg anzutreten. Mit freudigen Blicken begrüßen sie uns, wenn sie schon wieder etwas Geheimnißvolles auf dem Herzen tragen, dem Kinde gleich, das eine Blume pflückt und seelenvergnügt sie der Mutter bringt. Will man das Räthsel lösen und für das unerklärlich Scheinende einen Grund angeben, so lächeln sie und sagen: Nein, nein, hier ist einmal wieder die Welt zu Ende! Sie vernageln sie sich nämlich selber mit den Brettern.

»Ist diese Scheu vor dem Göttlichen schön und poetisch, warum kann man sie nicht hegen, ohne Pietist zu seyn? Ich habe mir oft einen Mann gedacht, der gewohnt ist, schlicht und sinnig zu leben, nie laut zu sprechen und von der Bibel mit Hochachtung; einen Mann, der erröthet und erschrickt, wenn die Frivolität auf ihrer Paganinigeige die kecken schreienden Accorde streicht, der die Modegespräche nicht liebt, wenig Politik versteht und am liebsten Bücher liest, die jetzt zu den vergessenen gehören. Und bei dieser Sonderbarkeit scheint er sich selber am wenigsten eine; ihm fällt nicht ein, daß die Oberfläche in der Welt jetzt sollte die Regel, und er die Ausnahme seyn; er spricht und handelt und lebt in seiner Weise ohne Kopfhängens, ohne düstre und graue Mienen, ohne auffallende äußere Geberde, und, siehe! plötzlich hörte er diejenigen nennen, welche man in der Stadt als Pietisten bezeichnet, und sein eigener Name käme selbst darin vor! Ein tragischer Moment! Der treffliche Mann wird wie vom Schlage getroffen seyn und nicht wissen, was er denken, was thun und erklären soll. Du giltst als Pietist – der Gedanke würde ihn quälen Tag und Nacht, er würde nicht zu bestätigen, nicht abzuleugnen wagen; er würde in jenem Falle gegen seine eigne, ihm so theure Geistesfreiheit zeugen und in diesem zeugen müssen gegen eine Secte von Menschen, die er mit Milde und, wenn man die Oberflächlichkeit des alltäglichen Lebens und jene Ankläger der Pietisten bedenkt, von denen man sagen muß, daß sie noch nicht einmal Pietisten sind, sogar mit Vorliebe beurtheilte. Er würde sehr unglücklich seyn und zweien Möglichkeiten nicht entgehen können: entweder, er würde durch das ewige Grübeln über den Pietismus wirklich in ihn verfallen, wie es vielen geistreichen und sogar berühmten Namen gegangen ist, oder er würde seinen Handlungen eine weitere Begründung, seinen Anschauungen einen größern Horizont, seinen Gedanken zahlreichere Faktoren geben müssen, so wie ich es selbst gethan habe.

»Meine liebe Freundin, ich habe bis jetzt nur von den Männern und nicht einmal von diesen allen, sondern nur von den Denkern unter ihnen gesprochen; mit dem Pietismus der weiblichen und empfangenden Seelen hat es einen andern Grund. Noch seh' ich jene schöne und rührende Mischung von Scherz und Schmerz auf Ihrem Antlitz, als Sie sagten: »Denken Sie sich, Blasedow, nun läßt er sich alle Leiden der Welt hieherkommen, alle Aussätzige und Gichtbrüchige, alle Wunden, die nicht vernarben wollen, die fallende Sucht und tausendfaches Elend – Gott, als wären wir nicht selber mühselig und beladen genug!« Ich habe so im Stillen meine Freude daran gehabt, wie Ihre Leiden die Kruste einer falschen und erlogenen Weltansicht allmählich durchbrachen, wie Sie in Verzweiflung rangen und des Haares und der äußern Kleidung dabei vergaßen, ob auch darüber nichts verschoben wird oder sich abnestelt; ich habe so still in mir gelacht vor Seligkeit, daß Sie noch so viel höhere Lebenskraft in sich haben, ein so verklärtes Osterauferstehungsfest zu feiern; aber das hätten Sie schon nicht thun sollen und mir sagen: »Blasedow, ich kehre zur Bibel zurück!« Ich schwieg damals: denn die Bibel ist ein herrliches Buch, ob es gleich verstanden und mit dem Leben tief und ernst vermittelt seyn will; aber nun thun Sie mir ein Leides an, daß ich Sie, statt auf der Bibel, auf dem »wahren Christenthum von Arndt« betreffe. Sähen Sie dies Buch nicht in seinem neuen Einbande, in dem saubern Abdruck, den der neue Buchhandlungsspeculationsteufel aus der Trödelkammer des siebenzehnten Jahrhunderts wieder beschworen hat, Sie würden zuviel Geschmack haben, um eine solche Wahl zu treffen, und in allem Ernste, ich beschwöre Sie, meine verehrte Freundin, werden Sie nicht pietistisch!

»Welch ein Stolz lebte in Ihnen! Die Hälfte davon war vom Uebel; aber schütten Sie mit dieser Hälfte nicht auch die andere aus! Der Mensch darf stolz seyn in einer Zeit, wo die Freiheit des Geistes nicht die Blüthe der Erziehung, der Ueberlieferungen und der Sitte ist, sondern die Frucht der eigenen, mit ringender Mühe erworbenen Bildung. Die Griechen und die ersten Christen konnten nach Gesetzen leben, weil ihre Bildung auf gemeinschaftlichen Grundlagen ruhte; wir aber müssen bei dem Chaos von Licht und Finsterniß, in dem wir leben, unsere eigenen Gesetzgeber werden und uns jene Würde, die uns die anders gesinnte Welt und die weit, weit hinter unserem Geiste zurückgebliebenen gesellschaftlichen Ordnungen nicht einräumen werden, selber mit nicht frostigem, aber doch immer etwas kühlen Stolze herausnehmen. Aeußerlich kalt und spröde sollen wir Funken in uns bergen, wie der Feuerstein.

»Der Weg, der zum Pietismus führt, ist wenigstens ein abschüssiger. Man kann ihn wandeln bis zum Niveau des Meeres, tiefer nicht. Auch die Demuth hat eine Grenze: der Mensch soll nicht höher, als bis zu der Gegend der Alpen greifen, wo ihr Gürtel noch grün ist, aber auch nicht tiefer, als bis zum Rande des Meeres, wo er an den Muscheln lernen kann, daß ihre schönsten Perlen aus den schwersten Leiden geboren werden. Die Resignation, meine Theure, ist eine echte, der Pietismus eine Stiefschwester der Religion. Lassen Sie sich durch einzelne, im Pietismus auftauchende schöne und beinahe poetische Erscheinungen nicht täuschen: es gibt eine Farbe, das Tyroler Berggrün, welche der schlaue Chemiker täuschend ähnlich nachmacht; so machen jene Pietisten öfter das Berggrün der wahren und fröhlich entsagenden Lebensphilosophie aus dem Grünspan des Hasses und dem Bleiweiß der blassen Schwärmerei nach. Man soll seinen Stolz schon deßhalb nicht aufgeben, um nicht mit den Muckern verwechselt zu werden. Aus der bloß schmachtenden Liebe und blassen Empfindungszärte wird die Welt nicht überwunden, wie auch gerade die Blüthen der Aepfel, welche Taubenäpfel heißen, bei dem sonst so grellen Roth der Apfelblüthe die allermattesten sind.

»Ich ziehe dem Pietismus, als einer dauernden Lebensherabstimmung, lieber einmal eine Lebens-Episode der schwärzesten Verzweiflung vor, wie ich sie öfters hatte und dann mich wieder ermannte. Die Gärtner sagen es, daß selbst bei zarten Blumen ein starkes Begießen auf Einmal diesen zuträglicher ist, als das öftere Betröpfeln. Das gefühlige und verzweifelnde Wesen kann in seinem natürlichen Zustande, wie das Naphthaöl, einen erquickenden, angenehmen Geruch ausströmen; erhitzt man es aber, übertreibt man die gebundene Wärme, die in ihm liegt, und bringt es zum Sieden, so riecht es, wie die pietistische Lebensansicht selber, widerlich und Wanzen verscheuchend. Jung Stilling und seine Angehörigen sind mir werthe Begegnungen: ich würde sie, unberufenen Anklägern gegenüber, immer in Schutz nehmen; aber es fehlt ihnen doch jenes warme rothe Lebensblut, das ich selbst in Lavater und Hamann noch finde. Sie sind lieb und gut, aber matt, wie das Nihilum album, das weiße Nichts im Laboratorium, das in der That auch nur der oxydirte Rauch des Zinkerzes ist. Es streift so Vieles im Pietismus an das, was ich zwar nicht aller Welt als Lebensprincip empfehlen möchte, was aber für Einzelne durch Schicksale und Nachdenken es werden sollte; allein dort ist es immer im verfälschten Zustande, dort wirkt dasjenige auflösend, was hier stärkt und heilt. Der ausgebrannte Granit der menschlichen Freiheit wird pietistischer Bimsstein, aus dem das Leben schneiden kann, was es will; aber mein Ideal eines durch Unglück zur Wehmuth gestimmten Charakters ist nicht so durchgebrannt, sondern bleibt spröde, fest, durchsichtig und schön, wie der Bernstein. Reibt ihn die Welt, so wird er warm und elektrisch und zieht Herzen an.

»Die Gottheit verlangt von uns nicht mehr, als daß wir ihr nicht zürnen, wenn sie uns mit Schmerzen heimsucht. Der Pietismus sagt, sie wolle uns damit prüfen. Wie kalt, wie mönchisch erklärt ist das! Nein, Gott will nur, daß wir ihm für Leiden nicht zürnen, die nicht in seinem speciell gegen uns gerichteten Plane, sondern im Lauf der Dinge liegen. Weil die Welt einmal eine sich umrollende Kugel ist, wo heute fallen muß, was gestern stand, so will Gott nur, daß wir seine Welt und ihre Kugelgestalt verstehen, daß wir den Schmerz so gut als Lebenselement hinnehmen, wie die Freude, und lernen, auch im Moralischen Tag von Nacht zu unterscheiden. Der Güter sind einmal nicht mehr ausgetheilt, als für die Hälfte des Menschengeschlechts genug ist; die andre muß immer entbehren, und die Menschen müssen sich unter einander abzufinden wissen. Wer so denkt, dem sind Leiden eine Laune der Natur, die ihn von Gott nicht trennt, sondern vielmehr Gott, den Liebevollen, zum Mitleidenden macht, die Ideale wenigstens, die er an Gott knüpft, seine moralischen Motive: denn, um Ihnen nur zu sagen, was Gott ist, so ist, wie Luther mit mehr Philosophie, als man ihm zutrauen möchte, gesagt hat, einem Jeden dasjenige Gott, welches der Grund ist, warum er etwas thut. Mein Gott ist darum auch nicht viel mehr, als mein Vermögen, ihn begreifen zu können. Meine Bildung ist mein Gott, und was können Schmerzen hier anders wirken, als einen stolzen Sieg meiner Bildung und meines Gottes über sie?

»O, so thun Sie mir's zu Liebe und verzweifeln nicht! Wenn Sie Alles verloren und nur noch das Auge haben, das Sonnenlicht zu sehen, was ist da verloren? Wandeln Sie unter den Bäumen und freuen sich, Blume und Grashalm belauschen und beherrschen zu können und den Blick über Alles hin so selig und mächtig streifen zu lassen, daß von Ihnen erst die Einheit und Schönheit alles dieses Daseyns ausgeht! Weinen Sie, wenn es Sünde wäre, über Leiden, die Ihnen begegnen, zu lachen; aber denken Sie dabei, daß man Ihnen gerade diese Thränen nicht rauben kann, die Manchem Goldes werth wären, hätte er nur noch ein Herz, weich genug, sie weinen zu können. Ach, es ist wohl der unschuldigste Hochmuth, auf dem man sich betreffen kann, daß man sich freut, noch die Eiskruste der Weltbildung von seinem Herzen wegthauen zu können und noch heimlicher Wärme genug in seiner äußern scheinbaren Erfrorenheit zu bergen! Diesen Hochmuth wird uns Gott wohl mit sanftem Lächeln vergeben, daß wir stolz sind, kein schlechter Mensch zu seyn und gerührt zu werden, wenn wir ein todtes Kind begraben oder Waisen erblicken, die in langer Reihe durch die Straßen ziehen und, mit Blumen bekränzt, an einem festlichen Tage Almosen sammeln, oder von einem Freunde Abschied nehmen, der, sonst so kalt, uns doch noch einen Kuß auf die zitternden und künstlich nach Fassung ringenden Lippen drückt! Diesen Stolz wird Ihnen der Pietismus als versteckte Sünde nie verzeihen, aber Gott verzeiht ihn! Halten Sie es mit ihm, und gehen Sie nicht unter die Mystiker! So ist es Recht – Sie geben mir Ihre Hand – – Segne Gott diese Stunde!«

 


 


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