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XX

Zusammen mit der Nacht vollendete ich meine Wanderung. Wie ich vorausgesehen hatte, kam ich in der Morgendämmerung zu einem schmucken Vorwerk, wo ich meinen Herrn Paten fand. Er wollte gerade fortgehen mit einem Manne, in dem ich nach den ersten Worten schon den Verwalter des Gestüts erkannte.

Don Segundo wunderte sich nicht weiter über mein Erscheinen, denn wir hatten ja abgemacht, daß ich ihn abholen sollte, wenn ich gesund sei, um zusammen unsere Reise nach Norden anzutreten. Mein aus dem Verband befreiter Arm erklärte also mein Kommen und schützte mich vor möglichen Späßen über meine lächerliche Geschichte. Ich selbst hütete mich wohl, meine Dummheiten auszuplaudern.

Noch einen Tag blieben wir in jener Ortschaft. Am folgenden Morgen ritten wir fort.

Zweimal übernachteten wir: einmal auf freiem Felde, das andere Mal in der Scheune einer Chacra.

Je mehr Raum wir zwischen uns und jene »gesegnete« Küste legten, desto spürbarer kehrten Vertrauen und Frohmut wieder in mich zurück, wenn mir auch der Nachgeschmack eines bitteren Schluckes zurückblieb.

Nachdem wir einige vierzig Meilen hinter uns gebracht hatten, konnte ich schon mehr oder weniger über das Vorgefallene lachen. Das war aber auch eine hübsche Schlußrechnung: ein gebrochener Arm, eine dornige Liebschaft, eine Schramme in einer Weibergeschichte zugunsten eines anderen, der Ruf als Messerstecher, ein zerrissener Lasso und zwei notgedrungen verkaufte Pferde. Letzteres bedauerte ich am wenigsten. Wenn ich auch in Orejuela und Comadreja zwei sichere Reitpferde verloren hatte, hatte ich dafür doch eine Auszeichnung gewonnen, auf die ich stolz sein konnte. Gibt es ein besseres Zeugnis für einen Zureiter, als daß einem nach dem Sammeltreiben Käufer für die eigenen Pferde kommen? Für mich als Reiter waren diese beiden Verkäufe meine ersten Heldentaten.

Obendrein bekam ich Gelegenheit, einen lange gehegten Wunsch zu erfüllen. Ich konnte mir einen Trupp Pferde von einer Farbe zulegen. Besaß ich nicht als Grundlage dafür das im Hahnenkampf gewonnene Geld? Ich brauchte mir nur auf den Leibgurt zu klopfen, um das Päckchen zusammengerollter Pesos in den Taschen zu fühlen.

Wenn auch geschrieben steht, daß es bei Gauchovergnügungen an Zusammenstößen nie fehlt, kommt es doch ebensowohl vor, daß dem Mann in seinem Mißgeschick eine Freude entgegenreitet.

Am sechsten Tage unserer Wanderung kamen wir an eine Schenke, wo noch am selben Abend Pferderennen abgehalten werden sollten.

Mitten auf der Landstraße, von der ein ebenes Stück abgegrenzt war, leuchteten gleich Spanntauen zwei Rennbahnen, die mit der flachen Schaufel geglättet waren.

Schon hatte ein Gringo sein Zelt mit Nahrungsmitteln, Gebäck und Getränken aufgestellt.

Eine Chinita ging dort auch herum mit ihren beiden großen Henkelkörben voller Süßigkeiten, verfolgt von Fliegen und zudringlichen kleinen Jungens. Ein Alter führte einen mit einer Decke geschützten Schwarzschimmel am Zügel und bot Lotterielose aus. Und sowohl das Zelt wie die Schenke hatten schon ihren Betrunkenen vor der Tür.

Ich kannte diese Dinge von klein auf und bewegte mich in ihnen, wie die Kröte im Schlamm.

Es kamen Leute an. Zwei Reitpferde waren Mittelpunkt für eine Gruppe Gauchos, die sehr still und geheimnisvoll im Flüsterton miteinander tuschelten.

Wir aßen unser Mittagbrot in der Schenke. Der Betrunkene hängte sich alsobald an uns und gab uns ungewünschte Auskünfte über das große Wettrennen des Abends. Da gab ich ihm einen Peso unter der Bedingung, daß er ins Zelt hinüberginge und ihn dort vertränke.

Zuerst aßen wir einige Knackwürste, die wir mit einem herben Wein hinunterspülten; dann ein Stück Röstbraten und darauf Kuchen.

Mit jedem Moment kamen mehr Leute an den Schanktisch; draußen sammelten sich immer mehr Pferde an. Welcher Gaucho bringt nicht den schmächtigsten Gaul seines Trupps mit, in der Hoffnung, einen stärkeren dafür einzutauschen? Da mein Moro, mein Rappe, gut aussah und mit seinen Hufen hämmerte, als sei er zum Aufbruch frisch beschlagen worden, sprachen mich einige im Vorübergehen auf ihn an. Aber es war nicht zu befürchten, daß ich mich mit einem Gaul anschmieren lassen würde, der schon eine Marschwoche hinter sich hatte. Mein Pate traf zwei Freunde. Wie hätte es auch anders sein können? Es waren auch Viehtreiber, und natürlich schlossen wir uns einander an mit jener spontanen Vertrautheit, die alle Naturmenschen miteinander verbindet, wenn sie, halbverwildert vom Pampaleben, einander mitten im lärmenden Menschengewühl begegnen. Es waren zwei Männer von einigen dreißig Jahren; abgehärtet und heiter. Sie fragten uns, was wir über das Wettrennen wüßten, und Don Segundo wiederholte ihnen einen Teil dessen, was wir von dem Betrunkenen gehört hatten.

»Zwei Reitpferde sind da, die man gesehen haben muß … Ja, Freunde, die muß man gesehen haben. Der Hellbraune hat hier schon mehrere Rennen gewonnen. Er hat überhaupt noch keines verloren, außer einem, wo er um sieben Pferdelängen zurückblieb. Was für'n Tier ist der Rappe, den sie vom Kamp eines gewissen Dugues hergebracht haben … Gleich beim Start hängte er den Hellbraunen ab, wie man alte Nägel mit dem Arsch abkneift … aus war's … Wollen Sie's glauben, Schwager: aus war's, jawohl Señor; aber den Hellbraunen muß man sehen, Amigo; das sieht aus, als ob er die Erde verschlänge … Aber so ist's, mir gefällt nun einmal der Schweißfuchs am besten, den sie von auswärts gebracht haben. Ja, so ist's … die Hinterhand ist fast schwarz … Sie würden es kaum glauben …, mir gefällt der Schweißfuchs; so ist's nun einmal …«

»Und ich hab' gesehen«, sagte Don Segundo, »daß Sie auf den Schweißfuchs setzten, um einem Betrunkenen einen Gefallen zu tun; denn ein Mann, der trinkt, muß schon ein rechter Mann sein.«

»Jetzt wird's fein! … Und warum?« fragte einer der Gauchos, der, weil er meinen Paten kannte, irgendeinen saftigen Witz hinter dieser Behauptung vermutete.

»Weil der Mann, der sich betrinkt, weiß, daß er zuviel reden wird; wer ein schlechtes Herz hat, soll es nicht zeigen.«

»Weißt du was, Bruder?« wandte der Gaucho sich zu seinem Begleiter.

»Klar! Gleich wirst du selber hingehn und saufen.«

Wir lachten alle laut heraus mit jener Nervosität des Gaucho, der unter Menschen immer ein Gefühl übermäßiger Lebenskraft hat.

Unterdessen hatte die Veranstaltung angefangen. Ich aber wollte heute meine Enttäuschung völlig abschütteln.

Die Gauchos hatten sich zu Pferde längs der Spanntaue aufgestellt. Das Ganze sah aus wie Boleadoras mit zwei Kugeln: die Leute drängten sich am Ausgangs- und Endpunkt der Bahn und zogen sich an ihr selbst in dünner Linie entlang.

Wir warteten mit der Ungeduld desjenigen, der nicht zu warten gewöhnt ist. Fast möchte ich sagen, daß dieser Moment der erwartungsvollen Untätigkeit mir immer am besten vom ganzen Fest gefiel. Alle Tage geschah etwas Neues, und es tat wohl, zu wissen, daß nun für eine lange Weile nichts sich ändern würde.

Die Jockeys würden noch gewogen? Nun gut. Die Besitzer besprächen noch die letzten Kleinigkeiten über den Start, über den Platz und das Gewicht?

Wir würden schon die Pferde ohne ihre Decken in die Bahn kommen sehen und würden schon noch eine oder zwei Wetten abschließen können, um uns hernach dort aufzustellen, wo am wenigsten Leute waren; nämlich in der Mitte der Strecke, wo das Rennen sich für gewöhnlich schon beurteilen läßt, es sei denn, daß die Kräfte sich sehr gleichen. Das Beste war wohl, einige Erkundigungen einzuholen, und das tat Don Segundo auch, der einen Gaucho in unserer Nähe ansprach.

»Wir sind nicht von hier, Señor, und möchten gern einiges erfahren, um nachher beim Spiel zu wissen, woran wir uns halten sollen.«

Der Mann erklärte.

»Das Rennen geht um zweitausend Pesos. Von der vierten Cuadra ab, bei gleichem Gewicht. Wenn einer der Reiter sich nach dem fünften Start weigert, sind die Veranstalter übereingekommen, eine Fahne zu hissen.«

»Aha!«

»Scheint, daß die beiden Parteien viel Geld mitgebracht haben, und daß von Auswärtigen viel gespielt wird.«

»Desto besser für den kleinen Mann!«

»Gelegenheit muß man finden.«

»Sind die beiden Pferde von hier?«

»Nein, Señor. Den Schweißfuchs haben sie von auswärts gebracht. Hübsches Tier und gut gepflegt. Der Hellbraune ist aus diesem Bezirk. Wenn Sie gegen ihn setzen wollen, so nehme ich einen oder zwei Einsätze zu zehn Pesos an.«

»Danke, Amigo.«

»Gut, dann will ich mit Ihrer Erlaubnis weitergehen!«

»Die haben Sie, und vielen Dank dazu.«

Der Mann ging, und Don Segundo erklärte: »Der Kerl war etwas mißtrauisch. Er wollte uns hereinlegen, weil er den Verdacht hatte, daß wir zu denen gehören, die mit dem Schweißfuchs gekommen sind.«

»Dann hat er also Vertrauen auf den Hellbraunen?« fragte ich neugierig.

»Ah bah!« erwiderte mein Pate, »der Gewinn steckt in der Hinterhand des Gauls.«

Nun hatte ich aber eine unmäßige Lust, meine Pesos aufs Spiel zu setzen, und da mir die Vorzüge der Pferde vollkommen unbekannt waren, mußte ich willkürlich vorgehen. Das Silber drückte mich in der Tasche. So überschlug ich den Stand meines kleinen Vermögens: vom Hahnenkampf einhundertfünfundneunzig; vom letzten Treiben fünfzig; sind zusammen zweihundertfünfundvierzig. Sechzig Pesos, die ich schon vor dem Hahnenkampf besessen hatte, macht dreihundertundfünf; und schließlich noch die achtzig Pesos von Patrocinio für meine Pferde; sind im ganzen dreihundertfünfundacht…

Don Segundo riß mich aus meinen Berechnungen: die Rennpferde kämen. Wir sahen sie, ohne den Platz zu wechseln.

Der Hellbraune kam, schon gesattelt und ungeduldig tänzelnd, vorbei. Er war hochgebaut und kräftig; hatte gute Fesseln und mutig blitzende Augen. Welch ein Reitpferd! dachte ich; wann würde ich einmal ein ebensolches besitzen? Sicherlich, wenn ich zum mindesten Oberst wäre; denn auf andere Weise würde ich nie zu einem solchen Gaul kommen.

Auch der Schweißfuchs war hübsch. Der Reiter führte ihn am Zügel. Er kam in weitem Schritt daher, so daß die Spuren seiner Hinterhand noch ungefähr eine Spanne vor denen der Vorderhand lagen. Er schien eingeölt, so glänzte er, und war feingliedrig wie ein Windhund.

»Da soll mal einer wissen, woran er ist«, sagte mein Herr Pate, »aber ich will mich doch an den Betrunkenen halten.«

Der Reiter des Hellbraunen war ein dürres Subjekt mit graumeliertem Schnurrbart. Er hatte sich eine Stirnbinde nach indianischer Art umgewickelt und sah nach allen Seiten, als ob er einen Steinwurf fürchtete. Der, welcher den Schweißfuchs am Zügel führte, war nicht größer als ein zwölfjähriger Junge und hatte eine bartlose, braune Indianerschnauze.

Wir sahen sie zweimal starten. Der Betrunkene hatte recht, wenn er sagte, daß der Hellbraune den Boden geradezu verschlänge. Der Schweißfuchs aber bog mit dem Vorderkörper seitlich aus, kaum, daß er vom Spanntau los war.

Wir nahmen unseren Platz ein. Die Wetten hagelten von beiden Seiten. Das Rennen zog sich hin, und ich hatte noch nicht gespielt. Ein dickbäuchiges Borstentier wandte sich an mich:

»Wollen wir? … Zwanzig Pesos? Ich setze auf den Schweißfuchs.«

»Angenommen«, antwortete ich.

Er blieb stehen und sah mich unzufrieden an.

»Wollen wir vierzig?«

»Angenommen«, sagte ich wieder.

»Wollen wir sechzig?« schlug er vor.

Einige sahen uns neugierig an. Wie weit wollte er hinaufgehen?

»Angenommen«, erwiderte ich lächelnd.

»Wollen wir achtzig?« seine Stimme wurde bei jeder Frage sanfter.

Die Neugierigen spitzten auf meine Entscheidung.

Ich sah ihn fest an und schlug nun meinerseits vor:

»Warum denn nicht gleich hundert?«

»Angenommen«, willigte er ein.

Jetzt drängten sich die Leute um uns, als ob wir beide die Pferde dieses Rennens wären. Nach einer Weile schlug ich mit einer Stimme, deren Süßigkeit nicht mehr zu übertreffen war, vor:

»Wollen wir hundertfünfzig?«

Da lachte der Mann aus vollem Halse und machte dem Spaß ein Ende; wieder mit seiner natürlichen Stimme sagte er:

»Nein, danke! Mir genügt's.«

»Da kommen sie!« rief einer der Zuschauer.

Wie ausgerichtet nebeneinander, keins dem anderen auch nur um eine Nasenlänge voraus, kamen sie heran und an uns vorbei und jagten auf das Ziel los. Wir beugten uns weit über die Hälse unserer Pferde. Die Leute liefen auf die Bahn hinauf. Wir sahen noch, wie die beiden Reiter auf die Tiere einschlugen. Dann warteten wir auf den Ruf, der uns das Resultat anzeigen sollte; auf diesen Ruf, der von Mund zu Mund läuft und in einem Zehntel der Rennzeit die Strecke zurücklegt.

»Totes Rennen!« hörten wir. »Die Wetten werden nicht ausgezahlt!« Kaum aber verbreitete sich eine Erklärung dazu, als auch schon die Gegenparole kam und das wahre Urteil bekanntmachte.

»Der Schweißfuchs! Ganz deutlich der Schweißfuchs! Der Schweißfuchs mit einer Nasenlänge!«

»Das war Schiebung!« lief wieder ein Gerücht, »das war Schiebung«, und es sah so aus, als wollten sie sich prügeln.

Aber bald stellte sich die Wahrheit heraus, daß: »Der Schweißfuchs, der Schweißfuchs um eine Nasenlänge!« gewonnen habe.

Ich kehrte meinen Leibgurt um, zählte hundert Pesos in Scheinen zu zehn und fünf auf und reichte sie dem borstigen Fettwanst, der höflich und ohne zuzusehen gewartet hatte.

»Hier, nehmen Sie, Don.«

»Danke.«

Mein Pate hatte hingegen fünfzig Pesos einkassiert. Er tat, als wolle er im Galopp davonreiten und sagte zu mir: »Ich will sehen, ob ich nicht wieder einen Betrunkenen finde.«

Ich war wütend. Selbst im Spiel sollte ich gerupft werden?

Wir lehnten uns an die hohen Drahtgitter. Die Kommentare schwirrten durch die Luft.

»Meiner hat's, um zwei Pferde wie dieses hier neben mir zu schlagen«, versicherte ein Alter, der einen Braunen mit silberbeschlagenem Zaumzeug ritt, »… und leicht zu schlagen«, betonte er.

Der Gaucho, den das anging, ein verschlagener, mürrischer Kerl, sagte langsam, aber deutlich:

»Leicht ist nur das Wort.«

»Nein, Señor, das sind keine bloßen Worte. Und wenn einer in den Wettbewerb eintreten will, so steht hier der Mann, dem er es nur zu sagen braucht.«

»Ich komme nicht in Frage.«

»Aber dann vielleicht die anderen? Scheint, daß hier keiner Augen hat, um die Gelegenheit zu sehen.«

»Bah! Da braucht man nicht weit zu gehen. Hier ist der Schwarzschimmel vom Gestüt Cárdenas.«

»Was wollen Sie denn damit? Ich kenne das gepriesene Tier ein wenig. Dreimal habe ich gesehen, wie es mit Glanz geschlagen wurde. Und wenn Sie nichts dagegen haben: ich selbst habe es gepflegt und seine Zeit gemessen.«

»Aha.«

»Si, Señor, mit den beiden Uhren, die ich hatte; einer gewöhnlichen und der anderen, nach der die Pferde schneller laufen als in Wirklichkeit; und mit keiner von beiden Uhren gab er mehr her als irgendein Klepper.«

Der schweigsame Gaucho verstand wohl nichts von Uhren; denn ohne sich in einen weiteren Wortwechsel einzulassen, wandte er sich auf seiner Bleß zu weniger gelehrten Leuten.

Wir hörten einen Aufruhr und Geschrei und kehrten uns wieder der Bahn zu. Soeben sollte ein kleines Rennen von zwei Touren stattfinden, das von Arbeitspferden gelaufen wurde. Der Gaucho, der vorhin gewonnen hatte, kam müde aber vergnügt auf einem Schwarzschecken an uns vorbei; schon starteten die beiden auf einem »Pampa« mit weißer Schwanzwurzel und einem Braunen mit weißer Schnauze. Bei jedem Spornstreich streckte der Braune sich, verzweifelt vorwärtsstürmend. Aber ganz in meiner Nähe unterhielt sich eine Gruppe gutberittener, reicher Leute über die angesetzten Rennen. Einer, der augenscheinlich am besten Bescheid wußte, erklärte:

»Ich weiß nicht, wie Silvano dazu gekommen ist, mit dem Weißfuß der Acuñas zu laufen; sein Füchschen ist ein neues, sehr ungebärdiges Tier. Sie werden sehen, daß er vor den Leuten schreckt und von einer Seite der Rennbahn zur anderen überwechselt.«

In dem Augenblick kam ein Bursche vorbei und bot dreißig zu vierzig gegen den »Pampa«, der eben lief. Ich nahm die Wette aus Eigensinn an.

»Sie kommen!« rief derselbe Bursche.

Die Leute liefen auf die Seite der Rennbahn. Einige sagten: »Der geht drauf!« Andere behaupteten, daß der Braune gescheut und etwa sieben Leute, die da standen, umgerissen habe. Schließlich kam heraus, daß das durch die häufigen Spornstreiche störrisch gewordene Pferd ausgebrochen war, den Zaun niedergerissen und sich alle Glieder gebrochen hatte. Wie durch ein Wunder rettete sich der Reiter mit einigen Knüffen und Hautabschürfungen am Kopf.

Ehe ich's gedacht, hatte ich dreißig Pesos gewonnen.

Der junge Mann, der vorhin über die Fehler des Füchschens eines gewissen Silvano gesprochen hatte, zeigte mit der Peitschenspitze:

»Da kommen sie.«

»Lassen Sie uns zusehen«, schlug ich meinen Gefährten vor.

Was für eine wundervolle Färbung hatte doch der Fuchs des Silvano! Während wir ihn betrachteten, wiederholte ich mir das Gehörte. Der Weißfuß kam auch vorbei. Es war ein ruhiger Veteran; eigentlich häßlich und von dunkelbrauner Färbung. Man begann mit Wuchergewinn um ihn zu spielen. Wir folgten den Tieren, um sie starten zu sehen.

Das Füchschen hatte schon mit zwei Spornstreichen genug, und die Wetten glichen sich aus.

Der borstige Fettwanst, der mir vorhin die hundert Pesos abgenommen hatte, machte mir wieder ein Angebot.

»Na, Bürschchen? Wieviel setzen Sie auf den Weißfuß?«

»…«

»Sie können Ihren Spielverlust wieder einholen.«

»Angenommen.«

Schon hatte der Reiter den kleinen Fuchs zweimal vergeblich aufgemuntert, und sie waren sechsmal gestartet. Man sah, daß der mit dem Weißfuß ihn gern überholen wollte, um ihn zu behindern. Der mit dem kleinen Fuchs lachte voller Vertrauen. Beide schienen entschlossen, das Rennen so schnell wie möglich zu entscheiden.

Zusammen kamen sie an. Mit einem Satz holte das Füchschen den Abstand auf. »Vorwärts!« ermunterte es sein Reiter und riß es in den Zügeln hoch. Der Weißfuß kam wieder vor. Das Rennen wandte sich zu seinen Gunsten. Aus Unklugheit oder übermäßigem Vertrauen begann der auf dem kleinen Fuchs wieder zu treiben:

»Vorwärts?«

»Vorwärts!«

Der vom Weißfuß gewann ungefähr eine halbe Pferdelänge.

»Aha!« lachte der mit dem Füchschen, ließ den Zügel schießen, legte den Körper nach vorn, holte den Gegner auf, überholte ihn, ließ ihn Staub schlucken; gewann ihm zwei, drei Pferdelängen ab … was weiß ich! … Der mit dem Weißfuß brach mitten im Rennen ab.

»Schöne Schweinerei das, mit dem berühmten Vieh der Cárdenas!« schrie ich.

Das fette Borstentier lächelte:

»Sie haben heute Pech.«

Ich bezahlte ihm die hundert Pesos und sagte erhitzt: »Mal sehen, ob wir uns nicht bei einem anderen wieder treffen!«

»Da sind wir immer zu Ihren Diensten; immer wenn uns nicht das gleiche Pferd gefällt«, antwortete er und sackte das Geld ein.

Aber wie sollte ich diesen Abend nur die Spielverluste wieder einbringen?

Ich setzte auf einen kapitalen Renner. In mehreren kleinen Wetten legte ich sechzig Pesos an. Ich hielt die Einsätze in der Faust, daß die Papiere wie Dornen zwischen meinen Fingern hervorstachen. Einen nach dem anderen mußte ich die Einsätze aus der Hand geben.

Für kurze Zeit ging ich mit meinen Gefährten in das Zelt, wo wir Bier tranken und Kuchen auf unsere Dolchmesser spießten. Don Segundo verlor fünfzig Pesos; dagegen warfen die beiden befreundeten Viehtreiber einhundertzweiundsechzig Pesos Gewinn zusammen. Einem dieser Glückspilze gab ich hundert Pesos, damit er sie für mich spiele. Er verlor sie bei der ersten Gelegenheit. Jetzt blieben mir nur noch fünf Pesos als ganzes Kapital. So, so? Nun, Verlust hin, Verlust her, ich suchte meinen Gegenspieler, den borstigen Fettwanst wieder, der mir seinerseits sofort Revanche anbot.

»Ich hab' kein Geld mehr«, sagte ich zu ihm, »aber wenn es Ihnen recht ist, gebe ich Ihnen fünf Pferde als Pfand; Sie können sie gleich sehen, wenn Sie Lust haben.«

Der Mann schlug ein und ließ mich beim folgenden Rennen aus Höflichkeit das Pferd selbst wählen. Mit der Vertrauensseligkeit eines verirrten Lämmchens setzte ich auf den Verlierer.

Auch gut. Dann würde ich jetzt nur noch zuschauen.

Alle Leute schienen müde geworden zu sein, und es dunkelte. Schon machten sich einige, entweder weil sie gewonnen hatten oder weil sie ganz gerupft waren, auf den Weg nach Hause. Don Segundo aber ließ mich nicht einmal die Geißel seines Spotts fühlen und, was noch schlimmer war, ich blieb verärgert und antwortete auf nichts.

Ich weiß nicht, wie lange sich der Abend noch hinzog und ob man viele oder wenige Rennen zu sehen bekam. An den zwei Längsseiten der Landstraße zogen sich zwei Linien von Reitern hin. Ungefähr zehn oder zwölf Betrunkene lagen dort, wo Branntwein ausgeschenkt wurde.

Von denen, die zuerst aufgebrochen waren, sah man nur noch einige Staubwölkchen in der Ferne.

Nach und nach blieben wir allein. Ich zeigte dem Manne, der fast mein ganzes Geld gewonnen hatte, meinen Pferdetrupp. Er nahm nach unserem Übereinkommen fünf Tiere mit und ließ mich mit zweien und dem Moro zurück.

Dann verabschiedeten wir uns von unseren Gefährten. Wir wollten gleich unsere Reise fortsetzen und dort zur Nacht bleiben, wo eben die Nacht über uns käme. Ich wechselte mein Pferd. Mir blieben nun noch Garúa, el Vinchuca, el Moro und el Guasquito, auf dem ich saß.

»Vorwärts?« fragte mein Herr Pate, die Reiter nachahmend.

»Vorwärts!« antwortete ich.

Und in kurzem Galopp ritten wir davon; in den Kamp hinein, der uns nach und nach in seine Gelassenheit einsog.


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