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XVI

Der Abend sank herab. Acht Leguas waren wir immer durch dieselbe traurige Pampalandschaft geritten. Nur einen Bratenrest hatten wir gegessen, den ich am Sattel aufgehängt mit mir trug. Da endlich erblickten wir von weitem die Bewohner jener Ortschaft, deren frisches Grün wir schon seit einer Weile erfreut bewundert hatten. Dort gab es doch wenigstens ein paar Weidenbäume, Hunde, einen Geflügelhof und Hausbewohner!

Auch andere Gauchos kamen schon angeritten für die Arbeit des folgenden Tages. Ringsum sahen wir einander zwischen unseren Pferdetrupps; sahen, wie die Pferde gewechselt wurden und wie alle, so gut es ging, sich zurechtmachten. Ich griff mir meinen Rappen, der beim morgigen Sammeltreiben meinen Ruf begründen sollte (denn ich wollte nicht schlecht abschneiden), striegelte ihm die Mähne, säuberte ihn und ritt, nachdem ich den Sattel aufgelegt hatte, zur Begleitmusik der klirrenden Kandarenkette in kurzem Trab zwischen den Ranchos ein.

Beim Pferdestand wechselten wir einige Worte mit den Kampleuten. Wir sahen unsere Pferde gegenseitig an und lobten sie:

»Hübsch, der Falbe«, sagte ich zu einem Mann, der neben mir saß. »Mit dem können Sie sich im Ort sehen lassen!«

»Ja, hat sich was!« lachte der Landmann, »und Ihr Rappe?«

»Oh, innen leidlich beieinander. Aber was soll das arme Vieh anfangen mit einem solchen Schaden auf dem Rücken?«

»Was hat es denn auf dem Rücken?«

»Meine Wenigkeit«, sagte ich und schlug mir an die Brust.

»Dies ist auch ein tüchtiges Tier«, sagte ein alter magerer Mann und nahm sein hirschbraunes Pony, das sich nicht mehr bewegte als ein Wollsack, unter Schenkeldruck.

»Aha! … Da wollen wir nur gleich das Temperament der Kröte preisen!« lachte der Reiter des Falben.

»Da sei mal nicht so sicher, mein Junge! Trau nicht den Hähnen, die mit der Achterseite voran in den Kampfring hüpfen«, riet der Alte.

Ein dicker Kerl, der wie ein Halbindianer aussah und seinem gesprenkelten Schecken mit dem Messerrücken den Lehm von den Schulterblättern strich, deutete auf Don Segundos prächtigen Fuchs und sagte: » Das ist ein Gaul!«

Und alle betrachteten ihn mit schweigender Zustimmung.

Mit seiner hellen ruhigen Stimme erklärte Don Segundo den schweigenden Leuten:

»Den hab' ich für ein paar Zwiebäcke eingetauscht.«

Als das Lachen verklungen war, fuhr er unbeirrt fort:

»Der andere hatte wohl einen sitzen.«

Das hatte sich schon mancher gedacht, ohne sich zu getrauen, es auszusprechen.

»Nur kann ich mich nicht darauf besinnen, in welchem Zustande ich selber war … Jedenfalls muß ich schon ein bißchen blau gewesen sein … zum wenigsten hatte ich durch den Rausch jede Scham verloren. Mir ist, als erinnerte ich mich an eine kleine Rauferei … die Leute prügelten sich fast. Lustig war's! Am folgenden Tage entsann der Gaucho sich des Tausches nicht mehr so recht; aber ich habe ihm das Gedächtnis geschärft.«

Das Gedächtnis geschärft? Seine Zuhörer konnten sich wohl vorstellen, mit welcher Schärfe das geschehen war. Außerdem hatte Don Segundo gesagt: Die Leute prügelten sich fast. Lustig war's.

Jetzt schätzten sie seine Gestalt ab, die Wucht seiner Züge und vor allem die unerschütterliche Ruhe, mit der er alles, was da kam, sei es, was es sei, hinnahm, als ob es Kleinigkeiten für ihn wären. Und wieder empfand ich diese Stärke meines Herrn Paten, in der so zurückhaltenden und mißtrauischen Landbevölkerung eine schnelle und unbedingte Bewunderung für sich zu erwecken. Durch seinen Gleichmut pflegte er alle aus der Fassung zu bringen. Und wenn er auch im ersten Augenblick die Leute darüber im Zweifel ließ, ob seine augenscheinliche Unschuld oder eine versteckte Bosheit seine wahre Natur sei, so wandelte sich ihr Schwanken doch sehr schnell in Achtung und Bereitschaft. Eine andere Kunst, auf die er sich verstand, war, im rechten Moment aufzubrechen. Und ebenso benutzte er gern die allgemeine Aufmerksamkeit, um sich im Flüsterton mit dem neben ihm sitzenden Manne zu unterhalten.

Der Gaucho mit dem Schecken fragte mich, woher wir seien:

»Von San Antonio.«

»Von San Antonio?« mischte sich der mit dem hirschbraunen Pony ein. »Ich hab' dort öfter auf dem Kamp des Generals Roca gearbeitet. Und der da …«, er zeigte auf den Reiter mit dem Schecken, »ist vor kurzem mit einem Viehtransport in der Gegend gewesen.«

»Ja«, bestätigte der Genannte, »auf der Estancia eines gewissen Costa.«

»Acosta«, verbesserte ich.

»So ist es.«

Wir schlenderten zum Rancho. Auf dem großen Patio brannten unter den Weidenblumen einige Feuer, deren Flammen das Fleisch an den Bratenspießen beleckten. Ei, welch leckerer Duft!

Wir waren alles in allem einige zwanzig Gauchos. Im ersten Frühlicht des folgenden Tages sollten noch an die zehn weitere einrücken. Alle kamen von entfernten Vorwerken. Entschieden stand uns mit dem Sammeltreiben eine ungeheure und harte Arbeit bevor.

Keine Lustigkeit, keine Witze, kein Gitarrenspiel, ehe wir uns schlafen legten. Den Leuten dieser Gegend schien alles einerlei zu sein. Einer nach dem anderen ging zum Bratspieß, schnitt sich ein Stück ab und ging wieder zurück an seinen alten Platz, wo er es auf dem Boden hockend verzehrte. Die wildesten und unheimlichsten Gestalten unter ihnen verschwanden in der Dunkelheit, als ob sie sich genierten, daß man sie essen sähe, oder als ob sie fürchteten, daß man ihnen das erbeutete Stück Fleisch streitig machen könnte. Da es sich um eine sehr verwilderte Herde handelte, die wir einfangen sollten, hatten die meisten Leute ihre Hunde mitgebracht. So waren wir von einer hungrigen, bettelnden Meute umgeben.

Schon waren die Brandmarken für das Vieh hervorgeholt.

Bevor ich mich niederlegte, sagte ich noch zu meinem Herrn Paten:

»Was diese Nacht auch immer geschieht, und wenn es auch regnet, keiner wird mich in den Rancho reinbringen. Lieber als in den Schutz von vier Wänden mit einem Verrückten darin, lege ich mich in den Schutz Gottes.«

»Recht hast du, mein Junge«, bestätigte mein Pate; und doch wußte ich nicht, ob er wirklich so dachte oder ob er nur Ruhe haben wollte.

Noch vor dem Morgengrauen ritten wir aus. Zwei Burschen von ungefähr zwanzig Jahren hatte man mir als Begleiter mitgegeben. Der eine war bartlos, von indianischem Aussehen und hohem Wuchs. Der andere, blond und schmal, hatte Augen wie eine Pampakatze; er ritt einen Fuchs mit weißer Laterne auf der Stirn. Kaum fühlte das Tier seinen Reiter, als es auch schon zu bocken anfing. Aber der Junge mußte wohl Vertrauen zu sich selber haben; denn obgleich es noch völlig finster war, zog er dem Fuchs ein paar Peitschenhiebe über.

»Na, bist du's nun zufrieden?« sagte er, als er das Tier gebändigt hatte.

Die gestern abend im Feldlager so zahlreich zusammengeströmten Peone verstreuten sich in die dunkle Pampa und entschwanden in verschiedenen Himmelsrichtungen dem Auge wie ein Schwarm Hornisten.

Meine Gefährten nahmen mich in die Mitte. Der dunkelhäutige Indianer hatte seinen Sattel gewiß von einem jüngeren Bruder geliehen, soviel zu kurz war er ihm. Er ritt einen Isabellenschimmel mit einem weißen Auge, der außerordentlich wild und schreckhaft war. Die Steigbügel hatte er vorn kreuzweise über den Rücken des Pferdes geworfen; Modesache hierzulande.

Schweigend ritten wir in einer Spur, die sich nach und nach verlor und uns mitten auf dem glatten Felde ohne andere Richtlinie als den Instinkt meiner Begleiter zurückließ. Nicht ohne leichte Besorgnis fragte ich nach den Sümpfen. Der Reiter des gefleckten Fuchses sagte aber, daß es die hierum nicht gäbe. In die Gegend der Sümpfe konnten sich nur diejenigen wagen, die besonders pampakundig waren; uns hatte man ein Stück »reines« Feld bestimmt; allerdings mußten wir über den Dünengürtel bis ganz ans Meer vordringen, um vom Strande her die halbwilden flüchtigen Rinder, die sich so gut zu verstecken wußten, nach dem Kamp zurückzutreiben.

Ein neuer Reiz für mich: die Dünen, das Meer! Doch ich mochte nicht als Neuling gelten und verzichtete deshalb beschämt auf alles Fragen. Ich würde schon selber sehen.

Am Himmel fing das erste Morgengrauen an, mit der Dunkelheit zu kämpfen, und die Sterne sanken hinab zu anderen Welten. Wir ritten am Rande einer salpeterhaltigen Niederung und mehrerer zusammenhängender Lagunen entlang und schreckten die schlaftrunkenen Vögel durch den Laut der Hufe auf. Es wurde heller und heller, und die Tierwelt der Pampa erwachte. Wir ritten an einem stinkenden Kadaver vorüber, an dem sich einige dreißig Pampageier gütlich taten, eifrig bemüht, vor seiner völligen Verwesung ihn sich einzuverleiben.

Als die Sonne gerade über dem Horizont hervorlugte, zeichneten sich die Linien der Dünen gegen ihr Licht ab. Es sah aus, als ob ganze Kornhaufen aus dem Felde aufgestiegen seien.

Mehrere Rinder trotteten einen Höhenrücken entlang; eine Weile beäugten sie uns; dann flohen sie plötzlich, wie aus der Pistole geschossen. Meine Begleiter stießen die klassischen Schreie des großen Viehtreibens aus.

Bald ritten wir durch die ersten Dünenwellen. Das Weideland verschwand gänzlich unter den Hufen unserer Tiere und wir kamen in das Gebiet der reinen Sanddünen, die der Wind in kurzer Zeit verlagern kann, wobei er oft Erhebungen, die wahren Gebirgszügen gleichen, zusammenfegt.

Im Morgenlichte glänzte der Sand wie pures Gold. Bis über die Hufe versanken unsere Pferde in dem weichen Boden. Als frische Burschen vergnügten wir uns erst einmal damit, die Hänge hinunterzutollen, wobei wir ganz in den weichen Sandpfühlen versanken und Gefahr liefen, beim Sturz von unseren Pferden gequetscht zu werden.

Nachdem wir unseren Lebensdurst befriedigt hatten, entschlossen wir uns, an die Arbeit zu gehen. Schwerfällig trotteten wir dahin, gewiegt vom allzu weichen Gang unserer Tiere. Nicht ein Grashalm war zu sehen inmitten dieser kalten Sandfarbe, die sanft im jungen Morgenlichte schimmerte. Sie sagten mir, daß die ganze Küste hierherum so sei, mit diesem meilenweiten Dünengürtel zwischen Land und Meer. Eine traurig eintönige Herde glatter, bräunlicher Hügelrücken, in denen der Schritt kaum eine weiche Spur hinterläßt. Und das Meer?

Plötzlich sah ich eine blaue Linie zwischen zwei Dünenhängen hervorschimmern. Dann überquerten wir den letzten Höhenzug, und vor uns stieg ein Etwas aus der Tiefe, das einem doppelten Himmel glich, nur daß es dunkler war; in einem Saum weißen Schaumes endete es nahe vor unseren Füßen.

Diese blaue glatte Pampa reichte so hoch hinauf, daß ich mir gar nicht vorstellen konnte, daß es Wasser sei. Aber einige Kühe galoppierten den Strand entlang, und meine Begleiter stürzten sich den Hang hinab auf sie zu. Ich hätte gern wenigstens eine Weile hier gehalten und das mir so neue und weite Bild in mich ausgenommen. Aber lieber verzichtete ich auf diese Freude, als daß man mich für einen Träumer gehalten hätte; und so ritt ich denn auch auf die Rinder zu.

Auf dem feuchten Sande, der so hart und glatt wie ein Brett war, galoppierten wir wie die Wilden dahin. Meinen Moro mußte man sehen, wie er die Spitze nahm, obgleich die anderen einen großen Vorsprung hatten.

Manchmal näherten wir uns mehr den Rindern, die wie Rotwild davonjagten, und, wenn sie uns neben sich merkten, tüchtige Seitensprünge machten; dazu waren sie magerer als Rennpferde. Wiederholt mißlang uns der Groß-Angriff. Schließlich geriet ein Stier, der dicker oder schwerfälliger war, zwischen den Fuchs und den Schimmel. Sie trieben ihn mit Schlägen vor sich her, bis er in die Dünen einbog.

Ich war einer gefleckten Kuh nachgejagt und folgte ihr auf den Fersen. Ich drängte sie zum Meere, dessen Brausen mich überraschte und einschüchterte, und zwang sie, sich mir zu stellen, damit ich ihr das Pferd richtig nähern konnte. Der Moro heftete sich wie eine Stechfliege an ihre Schulter; so jagten wir wie zusammengewachsen dahin.

Plötzlich traten wir auf eine hohldröhnende, glitschige Stelle. Ich zog für alle Fälle die Füße aus den Steigbügeln. Die Kuh wollte fallen und geriet quer vor das Pferd; aber in seinem rasenden Lauf stieß der Moro sie vor sich her. Nun kam, was kommen mußte. Die Kuh stürzte im weichen Sande. Am Aufprall merkte ich, daß der Moro über ihren Kopf stolperte. »Nur nichts brechen«, konnte ich noch eben sagen und warf mich zurück. Für einen Augenblick hörte alles Denken auf. Der Körper erfüllte instinktiv seine Pflichten. Meine Fußsohlen prallten schmerzhaft auf den Erdboden. Ich taumelte einige Schritte weit, ehe ich mein Gleichgewicht wiederfand. Dann lief ich zu meinem Pferde zurück, das immer noch versuchte, sich wieder aufzurichten. Die Kuh drohte mir mit einem Angriff. Waghalsig zog ich ihr einen Peitschenhieb über die Schnauze, so daß sie wieder in die Knie brach. Ich nahm mein Pferd beim Zaum. Da kamen schon meine Gefährten heran. Armer Moro. Ich ließ ihn ein paar Schritte machen. Gut, gottlob! Dann klopfte ich ihm den Sand vom Sattel und aus der Mähne. Schon waren die Burschen an meiner Seite.

»Au, verflucht!«, sagte ich, und das Wort klang mir lieblich in den Ohren. »Dieser Strand ist ja wie die Schnauze eines Polizeikommissars.«

Entschlossen saß ich wieder auf, um an die Arbeit zu gehen. Die gefleckte Kuh verlor sich in die Dünen.

Ich kam mit meinen Gefährten ins Gespräch und begriff bald, daß wir anfingen, Freunde zu werden.

Es gibt kein besseres Frühstück als einen tüchtigen Purzelbaum; das gibt Kraft in die Knochen. Entschlossener als vorher setzten wir die Arbeit fort.

Nach mühevollem Galopp durch die Dünen kamen wir wieder auf den Kamp. Unsere Arbeit und die der andern, die hierherum beschäftigt gewesen waren, zeigte nun ihren Erfolg. Die Pampa, die vorher weit und leer dagelegen hatte, war jetzt belebt von Viehtrupps, die in dichten Haufen oder in langen Reihen in das Land hineinliefen. Weit, weit hinten zeigten einige Staubwolken, daß schon größere Mengen Vieh eingefangen waren.

Jetzt konnten wir es schon ruhiger angehen lassen. Die kleinen Rindergruppen suchten einander, und die einzelnen Herden wuchsen mehr und mehr an. Nur noch ab und zu brauchten wir einen kleinen Angriff zu machen, der die Tiere zu größerer Eile antrieb, die nicht selten zu einer endlosen Flucht wurde.

Doch ließen wir die Kühe beiseite, die frisch gekalbt hatten und uns feindselig mit angriffsbereiten Hörnern musterten. Langsam kamen wir voran, denn wir mußten immer wieder in ermüdender Weise von rechts nach links reiten.

Das Brüllen der Tiere hing wie eine schwere Wolkendecke drückender Angst in der Luft: die Angst der freien Kreatur, die sich gefangen und ihrem Schicksal des Gehorchenmüssens zugeführt sieht. Diese Tiere erblickten ja auch nur ganz selten und nur aus großer Entfernung menschliche Gestalten.

Auf einem Hügel, ungefähr anderthalb Meilen entfernt, war so etwas wie ein Mittelpunkt der Bewegung. Dort mußten die Leute sein, die den Ansturm der Tiere aushielten. Auch wir trieben darauf zu. Die Masse wuchs immer mehr an. Wie Federbüsche schwankten die Staubwölkchen über den Tieren. Alles kranke und untaugliche Vieh lief, wie durch einen Zauberspruch herbeigezogen, mit, um hernach sein Leben zu lasten.

Vor einer Weile noch war der Kamp leer und verlassen gewesen; dann hatten wir ihn mit Leben gefüllt, um ihn hernach ebenso öde liegenzulassen, nachdem wir alles auf einen Punkt zusammengefegt hatten.

Den Blick fest auf die Sammelstelle geheftet, wünschten wir nur, sie schon erreicht zu haben; denn es machte uns wenig Arbeit und noch weniger Spaß, immer so hinter den verwilderten Rindern, die sich nicht nahekommen ließen, herzureiten. Aber wir ritten, ritten, ritten.

Der Sammelpunkt schwoll immer mehr an, je mehr Tiere darauf zuströmten. Das Brüllen der Rinder machte uns fast taub. Inmitten der weiten, vom Horizont begrenzten Runde schlang dieser Lärm, der alle anderen Lebensäußerungen niederschlug, uns gänzlich in sich ein.

Dann langten wir an. Einige Leute umritten den Haufen erschreckter Rinder. Andere wechselten das Pferd. Andere wieder, das Knie über den Sattelknopf geschlagen, steckten sich eine Zigarette an und redeten ruhig miteinander. Die schweißtriefenden Pferde mit ihren von Spornstreichen blutenden Flanken und ihren lehmbespritzten Leibern verrieten am deutlichsten, welch harte Arbeit sie hatten leisten müssen. Einige Gesichter erkannte ich vom Tage vorher wieder, doch bemerkte ich auch neu Hinzugekommene.

Dann betrachtete ich die zusammengetriebene Herde. Noch nie hatte ich solch einen Tumult erlebt. Es mußten an die fünftausend Stück sein; große und kleine eingeschlossen. Alle Farben, alle Arten waren vertreten. Doch das rief weniger meine Aufmerksamkeit hervor als die große Menge verletzter und kranker Tiere. Einige zeigten recht und schlecht wieder zusammengeheilte Brüche, andere waren von den Würmern zerfressen, die ihnen ganze Straßen in das Fleisch genagt und breite Narben hinterlassen hatten. Niemals wurden diese Tiere von Menschenhand verarztet. Wenn ein Horn in das Auge hineinwuchs, war niemand da, die Spitze abzuschneiden. Die von Würmern geplagten Tiere wurden entweder von diesen gänzlich aufgefressen oder blieben dank eines Ortswechsels am Leben, wenn auch mit der bleibenden Erinnerung eines fehlenden Stückes Fleisch. Die Zehen der Hufkranken waren verschnörkelter als Darmgewinde. Andere mit Rückenverletzungen hatten gelernt, sich mit nachschleifenden Hinterhufen vorwärts zu bewegen. Die räudigen Tiere starben an Auszehrung oder trugen ihr kaum unter dem kahlen blutigen Fell verborgenes Knochengerüst zur Schau. Die Stiere aber waren an den Schultern und Rippen voller Narben von Hornstößen.

Einige erregten Mitleid, andere Ekel, wieder andere machten uns lachen. Aber da die Pampa alles bald verschlingt, was sich elend auf ihr herumtreibt, so waren doch schließlich die Gesunden und Kräftigen in der Überzahl; nur waren sie so wild, daß sie auf jede Weise versuchten auszubrechen. Aber eine wahre Pracht von Stieren machten das Viehtreiben zu einer wirklichen Gefahr. Einige der Tiere liefen schon herum und versuchten, sich selbst zu erregen. Die Wächter mußten sich in einer gewissen Entfernung halten und es gehörten viele Leute dazu, einen so großen Ring zu schließen. Weiterhin bildeten die Pferdetrupps mit ihren ans Gras gefesselten Leitstuten einen letzten Sperrkreis.

»Na, Freund, hast du den Braten noch nicht gesehen?« fragte mich ein Landmann, der einen feurigen Rappen ritt, und erinnerte mich daran, daß wir ja immer noch nüchtern waren. Wirklich, unser Hunger ließ uns jeden Vierbeiner verlockend erscheinen; denn es war zehn Uhr vormittags- und seit zwei Uhr in der Frühe hatten wir den bösen Quälgeist in unserem Magen nur mit einigen ungesüßten Mates beschwichtigen können.

Ich schaute zu den Schlachtern hinüber, die eine jährige Kuh, die heute Morgen für das Leuteessen an den Spieß gesteckt worden war, schon halb gebraten hatten.

»Warum gehen wir nicht hin, und nehmen ein paar bittere Mates, wenn's erlaubt ist?« fragte ich.

Von früheren Viehtreibungen und Schlachtungen her fehlte es an diesem Platze nicht an tüchtigen, noch mit ihrem Gehörn versehenen Tierschädeln, auf die man sich niederhocken konnte. Später wollte ich das Pferd wechseln. Vor der Hand lockerte ich dem Moro nur den Sattelgurt und kümmerte mich dann um mein eigenes Wohl.

Wie am Abend vorher aßen und tranken wir schweigend.

Immer wieder verspürte ich beim Anblick dieser Leute die Luft, allein zu sein. Da mir noch bis zur Wiederaufnahme der Arbeit Zeit blieb, verließ ich also die Gesellschaft und den Mate. Auch wollte ich mich von diesem ungeheuer lauten Brüllen der eingekreisten Tiere ein wenig entfernen; denn es brummte mir schon der Kopf davon. »Woher diese plötzliche Laune?« fragte ich mich selbst.

So ließ ich mir viel Zeit, meinen Falben zu satteln, den ich mir als besonders beherztes und widerstandsfähiges Pferd für die Arbeit ausgesucht hatte. Voller Sorgfalt legte ich die verschiedenen Unterlagen aufeinander. Wohl dreimal wog ich die Satteltaschen gegeneinander aus. Mit Hilfe eines Pfriems, den ich immer – die Spitze in einen kleinen Kork gesteckt – am Sattel bei mir trug, nähte ich einen Griff fest, der sich am Zaumzeug gelockert hatte. Die Sattelauflagen ordnete ich so peinlich, als ob ich in die Ortschaft reiten wollte; entrollte den Lasso und rollte ihn wieder auf. Und da ich nun nichts weiter zu tun hatte, zündete ich mir eine Zigarette an, die die erste meines Lebens zu sein schien, soviel Zeit brauchte ich, sie einzurollen.

In dem Augenblick hörte ich Geschrei und sah einen Stier gefolgt von einigen Gauchos in meiner Richtung laufen. Ich schwang mich auf meine Comadreja und nahm mir vor, meine schlechte Laune schnellstens zu verjagen.

Ich ließ den Stier herankommen und postierte mich auf kurze Entfernung, um mein Vorhaben ausführen zu können. Als ich den Abstand für gegeben hielt, schrie ich: »Achtung, Señores!« und gab meinem Falben einen Schenkeldruck.

Mein Pferd war ein bißchen zu wild für den Anprall. Ich für meinen Teil hatte ihn wohl berechnet. So traf die Brust meines Falben im vollen Ansturm auf das Schulterblatt des Stieres. Ich half dem Stoß noch mit meinem Körper nach.

Wir blieben wie festgenagelt auf dem Fleck des Zusammenstoßes. Der Stier sprang wie ein Ball und überschlug sich.

Ich hatte etwas besonders Gefährliches getan; denn es kann einem das Fell kosten, ein wildgewordenes Rind durch Anrempeln zu Fall zu bringen, wenn man nicht die Geschwindigkeit beider Tiere auf das genaueste berechnet hat.

Schöner Anfang, der mich für die kommende harte Arbeit verpflichtete.


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