Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen
Simplicius Simplicissimus
Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen

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Das 25. Kapitel

Die Holländer empfinden ein possierliche Veränderung, als sich Simplicius in seiner Festung enthielt

Als mir nun unsere Leut von dieser ihrer vergeblichen Arbeit Relation taten und ich selber hingehen wollte, den Ort zu besichtigen und zu sehen, was etwa zu tun sein möchte, damit wir den besagten Teutschen zur Hand bringen könnten, erregte sich nicht allein grausames Erdbidem, daß meine Leut vermeinten, die ganze Insel würde all Augenblick untergehen, sondern ich wurde auch eiligst zum Schiffvolk berufen, welche sich mehrenteils, so viel deren auf dem Land waren, in einem fast wunderlichen und sehr sorgsamen Zustand befanden; denn da stund einer mit bloßem Degen vor einem Baum, focht mit demselbigen und gab vor, er hätte den allergrößten Riesen zu bestreiten; an einem andern Ort sah einer mit fröhlichem Angesicht gen Himmel und zeigte den andern für eine gründliche Wahrheit an, er sehe Gott und das ganze himmlische Heer in der himmlischen Freud beisammen; hingegen sah ein anderer auf den Erdboden, mit Furcht und Zittern, vorgebend, er sehe in vor sich habender schrecklicher Gruben den leidigen Teufel samt seinem Anhang, die wie in einem Abgrund herumwimmelten; ein anderer hatte ein Prügel und schlug um sich, daß ihm niemand nähern durfte, und schrie doch, man sollte ihm wider die vielen Wölf helfen, die ihn zerreißen wollten; hier saß einer auf einem Wasserfaß (als welche wir zuzurichten und zu füllen an Land gebracht hatten), gab demselben die Sporen und wollte es wie ein Pferd tummlen; dort fischte einer auf trocknem Land mit der Angel und zeigte den andern, was ihm für Fische anbeißen würden; in Summa, da hieß es wohl ›viel Köpf viel Sinn‹, denn ein jeder hatte seine sonderbare Anfechtung, welche sich mit des andern im wenigsten nicht verglich; es kam einer zu mir gelaufen, der sagte ganz ernstlich: »Herr Capitain, ich bitte ihn doch um hunderttausend Gottes willen, er wolle Justitiam administrieren und mich vor den greulichen Kerlen beschützen!« Als ich ihn nun fragte, wer ihn denn beleidigt hätte, antwortet' er (und wies mit der Hand auf die übrigen, die ebenso närrisch und vertollet in den Köpfen waren als er): »Diese Tyrannen wollen mich zwingen, ich soll zwo Tonnen Hering, sechs westfälische Schinken und zwölf holländische Käs samt einer Tonnen Butter auf einmal auffressen; Herr Capitain«, sagte er ferner, »wie wollte das Ding sein können? es ist ja unmöglich und ich müßte ja erwürgen oder zerbersten!« Mit solchen und dergleichen Grillen gingen sie um, welches recht kurzweilig gewesen wäre, dafern man nur gewußt hätte, daß es auch wieder ein End nehmen und ohne Schaden abgehen würde; aber was mich und die übrigen, so noch beim Verstand waren, anbelangt, wurde uns rechtschaffen angst, vernehmlichen weil wir dieser verrückten Leute je länger je mehr kriegten und selbsten nicht wußten, wie lange wir vor solchem seltsamen Zustand befreit bleiben würden.

Unser Siechentröster, der ein sanftmütiger frommer Mann war, und etliche andere hielten dafür, der oft berührte Teutsche, den die Unserigen anfänglich auf der Insel angetroffen, müßte ein heiliger Mann und Gottes wohlgefälliger Diener und Freund sein; weswegen wir denn, weil ihm die Unserigen mit Abhauung der Bäum', Erösung der Früchte und Totschlagung des Geflügels seine Wohnung ruinierten, mit solcher Straf vom Himmel herab belegt würden; hingegen aber sagten andere Offizianten, er könnte auch wohl ein Zauberer sein, welcher uns durch seine Künste mit Erdbidmen und solcher Wahnwitzigkeit plage, um uns wiederum desto ehender von der Insel zu bringen oder uns gar darauf zu verderben; es wäre am besten, sagten sie, daß man ihn gefangen kriegt' und zwinge, den Unserigen wieder zum Verstand zu helfen. In solchem Zwiespalt behauptete jedes Teil seine Meinung, die mich beide ängstigten; denn ich gedachte: »Ist er ein Freund Gottes und diese Straf uns seinethalben zukommen, so wird ihn auch Gott wohl vor uns beschützen; ist er aber ein Zauberer und kann solche Sachen verrichten, die wir vor Augen sehen und in den Leibern empfinden, so wird er ohne Zweifel noch mehr können, daß wir ihn nicht erhaschen mögen; und wer weiß! vielleicht stehet er unsichtbar unter uns?« Endlich beschlossen wir, ihn zu suchen und in unsere Gewalt zu bringen, es geschehe gleich mit Güte oder Gewalt; gingen demnach wieder mit Fackelen, Pechkränzen und Lichtern in Laternen in obgenannte Höhle, es ging uns aber wieder, wie es zuvor den andern ergangen war, daß wir nämlich kein Licht hineinbringen, und also auch selbst vor Wasser, Finsternis und scharfen Felsen nicht fürders kommen konnten, ob wir zwar solches oft probierten; da fing ein Teil an aus uns zu beten, das andere aber vielmehr zu schwören, und wußten wir nicht, was wir zu diesen unsern Ängsten tun oder lassen sollten.

Da wir nun so in der finsteren Höhlen stunden und wußten nicht wo aus noch ein, maßen jeder nichts anders tat, als daß er lamentierte, hörten wir noch weit von uns den Teutschen uns folgendergestalt aus der finstern Höhle zuschreien: »Ihr Herrn«, sagte er, »was bemühet ihr euch umsonst zu mir oder sonst hereinzukommen? sehet ihr denn nicht, daß es eine pure Unmöglichkeit ist? wenn ihr euch mit den Erfrischungen, die euch Gott auf dem Land bescheret, nicht vergnügen lassen, sondern an mir, einem nackenden armen Mann, der nichts als das Leben hat, reich werden wollet, so versichere ich euch, daß ihr leer Stroh dreschet; darum bitte ich euch um Christi unsers Erlösers willen, laßt ab von eurem Beginnen, genießet gleichwohl die Früchte des Lands zu eurer Erfrischung und laßt mich in dieser meiner Sicherheit, dahin mich euere beinahe tyrannischen und sonst bedrohenlichen Reden (die ich gestern in meiner Hütten vernehmen müssen) zu fliehen verursacht, mit Frieden, ehe ihr (da der liebe Gott vor sein wolle) darüber in Unglück kommt.« Da war nun guter Rat teuer; aber unser Siechentröster schrie ihm hinwider zu und sagte: »Hat Euch gestern jemand molestiert, so ists uns von Grund unsers Herzens leid, es ist vom groben Schiffvolk geschehen, das von keiner Diskretion nichts weiß; wir kommen nicht, Euch zu plündern noch Beut zu machen, sondern nur um Rat zu bitten, wie den Unserigen wieder zu helfen sei, die mehrenteils auf dieser Insel ihre Sinne verloren; ohnedas wir auch gern mit Euch als einem Christen und Landsmann reden, Euch dem letzten Gebot unsers Erlösers gemäß alle Lieb, Ehr, Treu und Freundschaft erweisen und wenns Euch beliebt, wieder mit uns in Euer Vaterland heimfahren möchten.«

Hierauf kriegten wir zur Antwort, er hätte gestern zwar wohl vernommen, wie wir gegen ihn gesinnet wären; doch wollt er dem Gesetz unsers Heilands zufolg Böses mit Gutem bezahlen und uns nicht verhalten, wie den Unserigen wieder von ihrem unsinnigen Wahnwitz zu helfen sei; wir sollten, sagte er, diejenigen, so mit solchem Zustand behaftet wären, nur von den Pflaumen, darin sie ihren Verstand verfressen, die Kernen essen lassen, so würde es sich mit allen in einem Augenblick wieder bessern, welches wir ohne seinen Rat an den Pfirsichen hätten abnehmen sollen, als an welchen die hitzigen Kern, wenn man sie mitgenieße, die schädliche Kälte des Pfirsichs selbst hintertreiben; dafern wir auch vielleicht die Bäum, so solche Pflaumen trügen, nicht kennen würden, so sollten wir nur Achtung geben, an welchem geschrieben stünde:

»Verwunder dich über meine Natur,
Ich mach es wie Circe, die zaubrisch Hur.«

Durch diese Antwort und des Teutschen erste Red konnten wir uns wohl versichert halten, daß er von den Unserigen, so wir erstmals auf die Insel gesandt, erschreckt und gemüßigt worden, in diese Höhle sich zu retirieren; item daß er ein Kerl von rechtschaffnem teutschem Gemüt sein müßte, weil er uns, ohnangesehen er von den Unserigen molestiert worden, nichtsdestoweniger anzeigte, durch was die Unserigen ihre Sinne verloren und wodurch sie wieder zurechtgebracht werden möchten; da bedachten wir erst mit höchster Reu, was für böse Gedanken und falsches Urteil wir von ihm gefaßt und dessentwegen zu billiger Straf in diese gefährliche finstere Höhle geraten wären, aus welcher ohne Licht zu kommen unmöglich zu sein schien, weil wir uns viel zu weit hinein vertieft hatten; derowegen erhub unser Siechentröster seine Stimm wiederum ganz erbärmlich und sagte: »Ach redlicher Landsmann! diejenigen, so Euch gestern mit ihren ungeschliffenen Reden beleidigt haben, sind grobe, und zwar die ungeschliffensten Leut von unserem Schiffe gewesen; hingegen stehet jetzt hier der Capitain samt den vornehmsten Offiziern, Euch wiederum um Verzeihung zu bitten, Euch freundlich zu begrüßen und zu traktiern, auch mitzuteilen, was etwa in unserem Vermögen befindlich und Euch dienlich sein möchte; ja wenn Ihr selber wollt, Euch wiederum aus dieser verdrießlichen Einsamkeit mit uns nach Europam zu nehmen.« Aber es wurde uns zur Antwort, er bedankte sich zwar des guten Anerbietens, sei aber ganz nicht bedacht, etwas von unseren Offerten anzunehmen; denn gleich wie er vermittelst göttlicher Gnaden nunmehr über fünfzehen Jahr lang mit höchster Vergnügung aller menschlichen Hilf und Beiwohnung an diesem Ort entbehren können, also begehre er auch noch nicht wieder nach Europam zu kehren, um so törichterweis seinen jetzigen vergnügsamen Stand durch eine so weite und gefährliche Reise in ein unruhiges immerwährendes Elend zu verwechseln.


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