Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen
Simplicius Simplicissimus
Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen

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Das 20. Kapitel

Ist ziemlich lang, und handelt vom Spielen mit Würfeln, und was dem anhängig

Weil mein Hofmeister mehr alt als jung war, also konnte er auch die ganze Nacht nicht durchgehend schlafen, solches war ein Ursach, daß er mir in der ersten Wochen hinter die Brief kam und ausdrücklich vernahm, daß ich kein solcher Narr war, wie ich mich stellete: wie er denn zuvor auch etwas gemerkt und von mir aus meinem Angesicht ein anders geurteilet hatte, weil er sich wohl auf die Physiognomiam verstund. Ich erwachte einsmals um Mitternacht und machte über mein eigen Leben und seltsame Begegnisse allerlei Gedanken, stund auch auf und erzählte danksagungsweis alle Guttaten, die mir mein lieber Gott erwiesen, und alle Gefahren, aus welchen er mich errettet; legte mich hernach wieder nieder mit schweren Seufzern und schlief vollends aus.

Mein Hofmeister hörete alles, tat aber, als wenn er hart schlief, und solches geschah etliche Nächt nacheinander, also daß er sich genugsam versichert hielt, daß ich mehr Verstand hätte als mancher Betagte, der sich viel einbilde; doch redet' er nichts mit mir im Zelt hiervon, weil es zu dünne Wänd hatte und er gewisser Ursachen halber nicht haben wollte, daß noch zur Zeit und ehe er meiner Unschuld versichert wäre, jemand anders dieses Geheimnis wüßte. Einsmals ging ich hinter das Lager spazieren, welches er gern geschehen ließ, damit er Ursach hätte mich zu suchen und also die Gelegenheit bekäme, allein mit mir zu reden: Er fand mich nach Wunsch an einem einsamen Ort, da ich meinen Gedanken Audienz gab, und sagte: »Lieber guter Freund, weil ich dein Bestes zu suchen unterstehe, erfreue ich mich, daß ich hier allein mit dir reden kann; ich weiß, daß du kein Narr bist, wie du dich stellest, zumalen auch in diesem elenden und verächtlichen Stand nicht zu leben begehrest. Wenn dir nun deine Wohlfahrt lieb ist, auch zu mir als einem ehrlichen Mann dein Vertrauen setzen willst, so kannst du mir deiner Sachen Bewandtnis erzählen, so will ich hingegen, wo möglich, mit Rat und Tat bedacht sein, wie dir etwa zu helfen sein möchte, damit du aus deinem Narrnkleid kommest.«

Hierauf fiel ich ihm um den Hals und erzeigte mich vor übriger Freud nicht anders, als wenn er ein Prophet gewesen wäre, mich von meiner Narrnkapp zu erlösen; und nachdem wir uns auf die Erde gesetzt hatten, erzählte ich ihm mein ganzes Leben, er beschaute meine Händ und verwundert' sich beides über die verwichenen und künftigen seltsamen Zufälle; wollte nur aber durchaus nicht raten, daß ich in Bälde mein Narrnkleid ablegen sollte, weil er, wie er sagte, vermittelst der Chiromantia sah, daß mir mein fatum ein Gefängnis androhe, das Leib- und Lebensgefahr mit sich brächte. Ich bedankte mich seiner guten Neigung und mitgeteilten Rats, und bat Gott, daß er ihm seine Treuherzigkeit belohnen, ihn selber aber, daß er (weil ich von aller Welt verlassen wäre) mein getreuer Freund und Vater sein und bleiben wollte.

Demnach stunden wir auf und kamen auf den Spielplatz, da man mit Würfeln turnieret' und alle Schwür mit hunderttausend mal tausend Galleen, Rennschifflein, Tonnen und Stadtgräben voll usw. heraussuchte; der Platz war ungefähr so groß als der Alte Markt zu Köln, überall mit Mänteln überstreut und mit Tischen bestellt, die alle mit Spielern umgeben waren; jede Gesellschaft hatte drei viereckigte Schelmenbeiner, denen sie ihr Glück vertrauten, weil sie ihr Geld teilen, und solches dem einen geben, dem andern aber nehmen mußten: So hatte auch jeder Mantel oder Tisch einen Schunderer (Scholderer wollte ich sagen und hätte doch schier Schinder gesagt), dieses Amt war, daß sie Richter sein und zusehen sollten, daß keinem Unrecht geschehe; sie liehen auch Mäntel, Tisch und Würfel her, und wußten deswegen ihr Gebühr so wohl vom Gewinn einzunehmen, daß sie gewöhnlich das meiste Geld erschnappten, doch faselt' es nicht, denn sie verspieltens gemeiniglich wieder, oder wenns gar wohl angelegt wurde, so bekams der Marketender oder der Feldscherer, weil ihnen die Köpf oft gewaltig geflickt wurden.

An diesen närrischen Leuten sah man sein blaues Wunder, weil sie alle zu gewinnen vermeinten, welches doch unmöglich, sie hätten denn aus einer fremden Taschen gesetzt, und ob sie zwar alle diese Hoffnung hatten, so hieß es doch: Viel Köpf, viel Sinn, weil sich jeder Kopf nach seinem Glück sann, denn etliche trafen, etliche fehlten; etliche gewannen, etliche verspielten: derowegen auch etliche fluchten, etliche donnerten; etliche betrogen und andere wurden besäbelt. Dahero lachten die Gewinner, und die Verspieler bissen die Zähn aufeinander; teils verkauften Kleider und was sie sonst lieb hatten, andere aber gewinneten ihnen das Geld wieder ab; etliche begehrten redliche Würfel, andere hingegen wünschten falsche auf den Platz und führten solche unvermerkt ein, die aber andere wieder hinwegwarfen, zerschlugen, mit Zähnen zerrissen und den Scholderern die Mäntel zerrissen. Unter den falschen Würfeln befanden sich Niederländer, welche man schleifend hineinrollen mußte, diese hatten so spitzige Rücken, darauf sie die Fünfer und Sechser trugen, als wie die mageren Esel darauf man die Soldaten setzt. Andere waren oberländisch, denselben mußte man die bayrische Höhe geben, wenn man werfen wollte: etliche waren von Hirschhorn, leicht oben und schwer unten gemacht: andere waren mit Quecksilber oder Blei und aber andere mit zerschnittenen Haaren, Schwämmen, Spreu und Kohlen gefüttert; etliche hatten spitzige Eck, an andern waren solche gar hinweggeschliffen; teils waren lange Kolben, und teils sahen aus wie breite Schildkrotten. Und alle diese Gattungen waren auf nichts anders als auf Betrug verfertigt, sie taten dasjenige, wozu sie gemacht waren, man mochte sie gleich wippen oder sanft schleichen lassen, da half kein Knüpfens, geschweige jetzt derer, die entweder zween Fünfer oder zween Sechser und im Gegenteil entweder zwei Eß oder zwei Daus hatten: Mit diesen Schelmenbeinern zwackten, laureten und stahlen sie einander ihr Geld ab, welches sie vielleicht auch geraubt oder wenigst mit Leib- und Lebensgefahr oder sonst saurer Mühe und Arbeit erobert hatten.

Als ich nun so dastund und den Spielplatz samt den Spielern in ihrer Torheit betrachtet, sagte mein Hofmeister, wie mir das Wesen gefalle? Ich antwortet: »Daß man so greulich Gott lästert, gefällt mir nicht, im übrigen aber lasse ichs in seinem Wert und Unwert beruhen, als eine Sach die mir unbekannt ist und auf welche ich mich noch nichts verstehe.« Hierauf sagte mein Hofmeister ferner: »So wisse, daß dieses der allerärgste und abscheulichste Ort im ganzen Lager ist, denn hier sucht man eines andern Geld und verlieret das seinige darüber: Wenn einer nur einen Fuß hiehersetzt, in Meinung zu spielen, so hat er das zehente Gebot schon übertreten, welches will ›Du sollst deines Nächsten Gut nicht begehren!‹ Spielest du und gewinnest, sonderlich durch Betrug und falsche Würfel, so übertrittest du das siebent und achte Gebot: ja es kann kommen, daß du auch zu einem Mörder an demjenigen wirst, dem du sein Geld abgewonnen hast, wenn nämlich dessen Verlust so groß ist, daß er darüber in Armut, in die äußerste Not und Desperation oder sonst in andere abscheuliche Laster gerät, dafür die Ausred nichts hilft, wenn du sagst: Ich hab das Meinig darangesetzt, und redlich gewonnen; denn du Schalk bist auf den Spielplatz gangen, der Meinung, mit eines andern Schaden reich zu werden: Verspielest du denn, so ists mit der Buß darum nicht ausgericht, daß du des Deinigen entbehren mußt, sondern du hasts, wie der reiche Mann, bei Gott schwerlich zu verantworten, daß du dasjenige so unnütz verschwendet, welches er dir zu dein und der Deinigen Lebensaufenthalt verliehen gehabt! Wer sich auf den Spielplatz begibt zu spielen, derselbe begibt sich in eine Gefahr, darinnen er nicht allein sein Geld, sondern auch sein Leib, Leben, ja was das allerschrecklichste ist, sogar seiner Seelen Seligkeit verlieren kann. Ich sage dir dieses zur Nachricht, liebster Simplici, weil du vorgibst, das Spielen sei dir unbekannt, damit du dich all dein Lebenlang davor hüten sollest.«

Ich antwortet: »Liebster Herr, wenn denn das Spielen ein so schrecklich und gefährlich Ding ist, warum lassens dann die Vorgesetzten zu?« Mein Hofmeister antwortet' mir: »Ich will nicht sagen darum, dieweil teils Offizier selbst mitmachen; sondern es geschieht deswegen, weil es die Soldaten nicht mehr lassen wollen, ja auch nicht lassen können, denn wer sich dem Spielen einmal ergeben oder welchen die Gewohnheit oder vielmehr der Spielteufel eingenommen, der wird nach und nach (er gewinne oder verspiele) so verpicht darauf, daß ers weniger lassen kann als den natürlichen Schlaf; wie man denn siehet, daß etliche die ganze Nacht durch und durch raßlen, und für das beste Essen und Trinken hinein spielen, und sollten sie auch ohne Hemd davongehen: Das Spielen ist bereits zu unterschiedlichen Malen bei Leib- und Lebensstraf verboten und aus Befehl der Generalität durch Rumormeister, Profosen, Henker und Steckenknecht mit gewaffneter Hand öffentlich und mit Gewalt verwehret worden; aber das half alles nichts, denn die Spieler kamen anderwärts in heimlichen Winkeln und hinter den Hecken zusammen, gewannen einander das Geld ab, entzweiten sich und brachen einander die Häls darüber: also daß man solcher Mord- und Todschläg halber und vornehmlich auch, weil mancher sein Gewehr und Pferd, ja sogar sein weniges Kommißbrot verspielte, das Spielen nicht allein wieder öffentlich erlauben, sondern sogar diesen eigenen Platz dazu widmen mußte, damit die Hauptwacht bei der Hand wäre, die allem Unheil, so sich etwa ereignen möchte, vorkäme, welche doch nicht allezeit verhüten kann, daß nicht einer oder der ander auf dem Platz bleibt. Und weil das Spielen des leidigen Teufels eigene Invention ist und ihm nicht wenig einträgt, also hat er auch absonderliche Spielteufel geordnet und in der Welt herumschwärmen, die sonst nichts zu tun haben, als die Menschen zum Spielen anzureizen; diesen ergeben sich unterschiedliche leichtfertige Gesellen durch gewisse Pakte und Bündniss', daß er sie gewinnen lasse; und wird man doch unter zehentausend Spielern selten einen reichen finden, sondern sie sind gewöhnlich im Gegenteil arm und dürftig, weil ihr Gewinn leicht geschätzet und dahero gleich entweder wieder verspielet oder sonst liederlich verschwendet wird. Hiervon ist das allzuwahre, aber sehr erbärmliche Sprichwort entsprungen: Der Teufel verlasse keinen Spieler, er lasse sie aber blutarm werden; denn er raubet ihnen Gut, Mut und Ehr und verläßt sie alsdann nicht mehr, bis er sie endlich auch gar (Gottes unendliche Barmherzigkeit komme ihm denn zuvor) um ihrer Seelen Seligkeit bringt. Ist aber ein Spieler von Natur eines so lustigen Humors und so großmütig, daß er durch kein Unglück oder Verlust zur Melancholei, Unmut und anderen hieraus entspringenden schädlichen Lastern gebracht werden mag, so läßt ihn der arglistige böse Feind deswegen tapfer gewinnen, damit er ihn durch Verschwendung, Hoffart, Fressen, Saufen, Huren und Buben endlich ins Netz bringe.«

Ich verkreuzigte und versegnete mich, daß man unter einem christlichen Heer solche Sachen üben ließ, die der Teufel erfunden sollt haben, sonderlich weil augenscheinlich und handgreiflich so viel zeitliche und ewige Schäden und Nachteil daraus folgeten; aber mein Hofmeister sagte, das sei noch nichts was er mir erzählt hätte; wer alles Unheil beschreiben wollte, das aus dem Spielen entstände, der nehme sich eine ohnmögliche Sach vor, weil man sagt, der Wurf, wenn er aus der Hand gangen, sei des Teufels, so sollte ich mir nichts anders einbilden, als daß mit jedem Würfel (wenn er aus des Spielers Hand auf dem Mantel oder Tisch daherrolle) ein kleines Teufelchen daherlaufe, welches ihn regiere und Augen geben lasse, wie es seiner Prinzipalen Interesse erfordere. Dabei sollte ich bedenken, daß sich der Teufel freilich nicht umsonst des Spielens so eifrig annehme, sondern ohne Zweifel seinen trefflichen Gewinn dabei zu schöpfen wisse. »Dabei merke ferner, daß gleichwie neben dem Spielplatz auch einige Schacherer und Juden zu stehen pflegen, die von den Spielern wohlfeil aufkaufen, was sie etwa an Ringen, Kleidern oder Kleinodien gewonnen oder noch zu verspielen versilbern wollen, daß eben also auch allhier die Teufel aufpassen, damit sie bei den abgefertigten Spielern, sie haben gleich gewonnen oder verloren, andere seelenverderbliche Gedanken erregen und hegen; bei den Gewinnern zwar bauet er schreckliche Schlösser in die Luft, bei denen aber so verspielt haben, deren Gemüt ohnedas ganz verwirrt und desto bequemer ist, seine schädlichen Eingebungen anzunehmen, setzet er ohne Zweifel lauter solche Gedanken und Anschläg, die auf nichts anders als das endliche Verderben zielen. Ich versichere dich, Simplici, daß ich willens bin, von dieser Materi ein ganz Buch zu schreiben, sobald ich wieder bei den Meinigen zu Ruhe komme, da will ich den Verlust der edlen Zeit beschreiben, die man mit dem Spielen unnütz hinbringet; nicht weniger die grausamen Flüch, mit welchen man Gott bei dem Spielen lästert; ich will die Scheltwort erzählen, mit welchen man einander antastet, und viel schreckliche Exempel und Historien mit einbringen, die sich bei, mit und in dem Spielen zutragen; dabei ich denn die Duell und Totschläg, so Spielens wegen entstanden, nicht vergessen will; ja ich will den Geiz, den Zorn, den Neid, den Eifer, die Falschheit, den Betrug, die Vorteilsucht, den Diebstahl und mit einem Wort alle unsinnigen Torheiten beides der Würfel- und Kartenspieler mit ihren lebendigen Farben dermaßen abmalen und vor Augen stellen, daß diejenigen, die solches Buch nur einmal lesen, ein solch Abscheuen vor dem Spielen gewinnen sollen, als wenn sie Saumilch (welche man den Spielsüchtigen wider solche ihre Krankheit ohnwissend eingibt) gesogen hätten. Und also damit der ganzen Christenheit dartun, daß der liebe Gott von einer einzigen Compagnia Spieler mehr gelästert, als sonst von einer ganzen Armee bedienet werde.« Ich lobte seinen Vorsatz und wünschte ihm Gelegenheit, daß er solchen ins Werk setzen möchte.


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