Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen
Simplicius Simplicissimus
Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen

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Das 25. Kapitel

Simplicius wird aus einem Jüngling in ein Jungfrau verwandelt, und bekommt unterschiedliche Buhlschaften

Aus dieser wahrhaftigen Histori ist zu sehen, daß nicht sogleich alle Wahrsagungen zu verwerfen seien, wie etliche Gecken tun, die gar nichts glauben können. So kann man auch hieraus abnehmen, daß der Mensch sein aufgesetztes Ziel schwerlich überschreiten mag, wenn ihm gleich sein Unglück lang oder kurz zuvor durch dergleichen Weissagungen angedeutet worden. Auf die Frag, die sich ereignen möchte, obs einem Menschen nötig, nützlich und gut sei, daß er sich wahrsagen und die Nativität stellen lasse? antworte ich allein dieses, daß mir der alte Herzbruder soviel gesagt habe, daß ich oft gewünschet und noch wünsche, daß er geschwiegen hätte, denn die unglücklichen Fäll, die er mir angezeigt, hab ich niemals umgehen können, und diejenigen die mir noch bevorstehen, machen mir nur vergeblich graue Haar, weil mir besorglich dieselbigen auch wie die vorigen zuhanden gehen werden, ich sehe mich gleich vor denselben vor oder nicht: Was aber die Glücksfälle anbelangt, von denen einem geweissaget wird, davon halte ich, daß sie öfter betrügen oder aufs wenigste den Menschen nicht so wohl gedeihen als die unglückseligen Prophezeihungen: Was half michs, daß mir der alte Herzbruder hoch und teur schwur, ich wäre von edlen Eltern geboren und erzogen worden, da ich doch von niemand anders wußte als von meinem Knan und meiner Meuder, die grobe Baursleut im Spessart waren. Item was halfs den von Wallenstein, Herzogen in Friedland, daß ihm prophezeit wurde, er werde gleichsam mit Saitenspiel zum König gekrönet werden? weiß man nicht, wie er zu Eger eingewieget worden? Mögen derowegen andere ihre Köpf über dieser Frag zerbrechen, ich komme wieder auf meine Histori.

Als ich erzähltermaßen meine beiden Herzbrüder verloren hatte, verleidet' mir das ganze Lager vor Magdeburg, welches ich ohnedas nur eine leinene und stroherne Stadt mit irdenen Mauren zu nennen pflegte. Ich wurde meines Stands so müd und satt, als wenn ichs mit lauter eisernen Kochlöffeln gefressen hätte, einmal, ich gedachte mich nicht mehr von jedermann so foppen zu lassen, sondern meines Narrnkleids loszuwerden und sollte ich gleich Leib und Leben darüber verlieren. Das setzte ich folgendergestalt sehr liederlich ins Werk, weil mir sonst keine bessere Gelegenheit anstehen wollte.

Olivier der Secretarius, welcher nach des alten Herzbruders Tod mein Hofmeister worden war, erlaubte mir oft mit den Knechten auf Fourage zu reiten; als wir nun einsmals in ein groß Dorf kamen, darinnen etliche den Reutern zuständige Bagage logierte, und jeder hin und wieder in die Häuser ging, zu suchen was etwa mitzunehmen wäre, stahl ich mich auch hinweg und suchte, ob ich nicht ein altes Baurenkleid finden möchte, um welches ich meine Narrnkappe vertauschen könnte; aber ich fand nicht was ich wollte, sondern mußte mit einem Weiberkleid vorlieb nehmen; ich zog selbiges an, weil ich mich allein sah, und warf das meinig in ein Secret, mir nicht anders einbildend, als daß ich nunmehr aus allen meinen Nöten errettet worden. In diesem Aufzug ging ich über die Gaß gegen etliche Offiziersweiber und macht so enge Schrittlein, als etwa Achilles getan, da ihn seine Mutter dem Lycomedi rekommendierte, ich war aber kaum außer Dach hervorkommen, da mich etliche Fouragierer sahen und besser springen lehrten, denn als sie schrien: »Halt, halt!« lief ich nur desto stärker und kam ehender als sie zu obgemeldten Offiziererinnen, vor denselben fiel ich auf die Knie nieder und bat um aller Weiber Ehr und Tugend willen, sie wollten meine Jungferschaft vor diesen geilen Buben beschützen! Allda meine Bitt nicht allein stattfand, sondern ich wurde auch von einer Rittmeisterin für eine Magd angenommen, bei welcher ich mich beholfen bis Magdeburg, item die Werberschanz, auch Havelberg und Perleberg von den Unsern eingenommen worden.

Diese Rittmeisterin war kein Kind mehr, wiewohl sie noch jung war, und vernarrete sich dermaßen in meinen glatten Spiegel und geraden Leib, daß sie mir endlich nach langgehabter Mühe und vergeblicher umschweifender Weitläufigkeit nur allzu teutsch zu verstehen gab, wo sie der Schuh am meisten drücke; ich aber war damals noch viel zu gewissenhaft, tat als wenn ichs nicht merkte und ließ keine anderen Anzeigungen scheinen, als solche, daraus man nichts anders als eine fromme Jungfrau urteilen mochte: Der Rittmeister und sein Knecht lagen in gleichem Spital krank, derowegen befahl er seinem Weib, sie sollte mich besser kleiden lassen, damit sie sich meines garstigen Baurenkittels nicht schämen dürfte. Sie tat mehr als ihr befohlen war und putzte mich heraus wie ein französische Pupp, welches das Feuer bei allen dreien noch mehr schürete, ja es wurde endlich bei ihnen so groß, daß Herr und Knecht eiferigst von mir begehrten, was ich ihnen nit leisten konnte, und der Frauen selbst mit einer schönen Manier verweigerte. Zuletzt setzte sich der Rittmeister vor, eine Gelegenheit zu ergreifen, bei der er mit Gewalt von mir haben könnte, was ihm doch zu bekommen unmöglich war, solches merkete sein Weib, und weil sie mich noch endlich zu überwinden verhoffte, verlegte sie ihm alle Päß und lief ihm alle Ränk ab, also daß er vermeinte, er müsse toll und töricht darüber werden. Einsmals als Herr und Frau schlafen war, stund der Knecht vor dem Wagen, in welchem ich alle Nacht schlafen mußte, klagte mir seine Lieb mit heißen Tränen und bat ebenso andächtig um Gnad und Barmherzigkeit! Ich aber erzeigte mich härter als ein Stein und gab ihm zu verstehen, daß ich meine Keuschheit bis in Ehestand bewahren wollte; da er mir nun die Ehe wohl tausendmal anbot und doch nichts anders dagegen vernahm, als daß ich ihn versicherte, daß es unmöglich sei, mich mit ihm zu verehelichen, verzweifelt' er endlich gar oder stellte sich doch aufs wenigst nur so, denn er zog seinen Degen aus, setzte die Spitz an die Brust und den Knopf an Wagen und tat nicht anders, als wenn er sich jetzt erstechen wollte: Ich gedachte, der Teufel ist ein Schelm, sprach ihm derowegen zu und gab ihm Vertröstung, am Morgen frühe einen endlichen Bescheid zu erteilen, davon wurde er content und ging schlafen, ich aber wachte desto länger, dieweil ich meinen seltsamen Stand betrachtete: Ich befand wohl, daß mein Sach in die Länge kein gut tun würde, denn die Rittmeisterin wurde je länger je importuner mit ihren Reizungen, der Rittmeister verwegener mit seinen Zumutungen und der Knecht verzweifelter in seiner beständigen Liebe, ich wußte mir aber darum nicht aus solchem Labyrinth zu helfen. Ich mußte oft meiner Frau bei hellem Tag Flöh fangen, nur darum, damit ich ihre alabasterweißen Brüst sehen und ihren zarten Leib genug betasten sollte, welches mir, weil ich auch Fleisch und Blut hatte, in die Läng zu ertragen schwer fallen wollte; ließ mich dann die Frau zufrieden, so quälte mich der Rittmeister, und wenn ich vor diesen beiden bei Nacht Ruhe haben sollte, so peinigte mich der Knecht, also daß mich das Weiberkleid viel saurer zu tragen ankam als meine Narrnkapp; damal (aber viel zu spät) gedachte ich fleißig an meines seligen Herzbruders Weissagung und Warnung und bildete mir nichts anders ein, als daß ich schon wirklich in demjenigen Gefängnis, auch Leib- und Lebensgefahr steckte, davon er mir gesagt hatte, denn das Weiberkleid hielt mich gefangen, weil ich darin nicht ausreißen konnte, und der Rittmeister würde übel mit mir gespielet haben, wenn er mich erkannt und einmal bei seiner schönen Frauen über dem Flöhfangen ertappt hätte. Was sollt ich tun? Ich beschloß endlich dieselbe Nacht, mich dem Knecht zu offenbaren, sobald es Tag würde, denn ich gedachte, »seine Liebsregungen werden sich alsdann legen, und wenn du ihm von deinen Dukaten spendierest, so wird er dir wieder zu einem Mannskleid und also in demselbigen aus allen deinen Nöten helfen.« Es wäre wohl ausgesonnen gewesen, wenn nur das Glück gewollt hätte, aber es war mir zuwider.

Mein Hans ließ sich gleich nach Mitternacht tagen, das Jawort zu holen, und fing an am Wagen zu rapplen, als ich eben anfing am allerstärksten zu schlafen; er rief etwas zu laut: »Sabina, Sabina, ach mein Schatz steht auf und halt mir Euer Versprechen!« also daß er den Rittmeister eher als mich damit erweckte, weil er sein Zelt am Wagen stehen hatte; diesem wurde ohne Zweifel grün und gelb vor den Augen, weil ihn die Eifersucht ohnedas zuvor eingenommen, doch kam er nicht heraus unser Tun zu zerstören, sondern stand nur auf, zu sehen wie der Handel ablaufen wollte; zuletzt weckte mich der Knecht mit seiner Importunität und nötigte mich, entweder aus dem Wagen zu ihm zu kommen oder ihn zu mir einzulassen, ich aber schalt ihn aus und fragte, ob er mich denn für eine Hur ansehe? meine gestrige Zusag sei auf den Ehestand gegründet, außer dessen er meiner nicht teilhaftig werden könnte; er antwort, so sollte ich jedennoch aufstehen, weil es anfing' zu tagen, damit ich dem Gesind das Essen beizeiten verfertigen könnte, er wollte Holz und Wasser holen und mir das Feuer zugleich anmachen; ich antwortet: »Wenn du das tun willst, so kann ich desto länger schlafen, gehe nur hin, ich will bald folgen.« Weil aber der Narr nicht ablassen wollte, stund ich auf, mehr meine Arbeit zu verrichten, als ihm viel zu hofieren, sintemal wie mich deuchte ihn die gestrige verzweifelte Torheit wieder verlassen hatte. Ich konnte sonst ziemlich wohl für eine Magd im Feld passiern, denn Kochen, Backen und Waschen hatte ich bei den Kroaten gelernet, so pflegen die Soldatenweiber ohnedas im Feld nicht zu spinnen, was ich aber sonst für Frauenzimmerarbeit nicht konnte, als wenn ich etwa die Frau bürsten und Zöpf machen sollte, das übersah mir meine Rittmeisterin gern, denn sie wußte wohl, daß ichs nicht gelernet.

Wie ich nun mit meinem hinter sich gestreiften Ärmeln vom Wagen herabstieg, wurde mein Hans durch meine weißen Arm so heftig inflammiert, daß er sich nicht abbrechen konnte mich zu küssen, und weil ich mich nicht sonderlich wehrte, vermochte es der Rittmeister, vor dessen Augen es geschah, nicht zu erdulden, sondern sprang mit bloßem Degen aus dem Zelt, meinem armen Liebhaber einen Fang zu geben, aber er ging durch und vergaß das Wiederkommen; der Rittmeister aber sagte zu mir: »Du Bluthur, ich will dich lehren« etc. mehrers konnte er vor Zorn nicht sagen, sondern schlug auf mich zu, als wenn er unsinnig gewesen wäre; ich fing an zu schreien, darum mußte er aufhören, damit er keinen Alarm erregte, denn beide Armeen, die sächsische und kaiserliche, lagen damals beieinander, weil sich die schwedische unter dem Banier näherte.


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