Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen
Simplicius Simplicissimus
Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen

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Das 21. Kapitel

Wie es Simplicio weiters in der Moskau erging

Von dieser Zeit an wurde ich zwar nit öffentlich, sondern heimlich durch etliche Strelitzen verwachet, ohne daß ichs einmal gewußt hätte, und mein Obrister oder die Seinigen wurden mir nit einmal mehr zu sehen, also daß ichs nicht wissen konnte wo er hinkommen; damals setzte es, wie leicht zu erachten, seltsame Grillen und ohne Zweifel auch viel graue Haar auf meinem Kopf. Ich machte Kundschaft mit den Teutschen, die sich beides von Kauf- und Handwerksleuten in der Moskau ordinari aufhalten, und klagte denselben mein Anliegen und welchergestalt ich mit Gefährden hintergangen worden, die gaben mir Trost und Anleitung, wie ich wieder mit guter Gelegenheit nach Teutschland kommen könnte: Sobald sie aber Wind bekamen, daß der Zar mich im Land zu behalten entschlossen und mich hierzu dringen wollte, wurden sie alle zu Stummen an mir, ja sie äußerten sich auch meiner, und wurde mir schwer, auch nur für meinen Leib Herberg zu bekommen; denn ich hatte mein Pferd samt Sattel und Zeug bereits verzehrt und trennete heut eine und morgen die andere Dukat aus, die ich hiebevor zum Vorrat so weislich in meine Kleider vernähet hatte. Zuletzt fing ich auch an, meine Ring und Kleinodia zu versilbern, als der Hoffnung, mich so lang zu enthalten, bis ich eine gute Gelegenheit wieder nach Teutschland zu kommen erharren möchte. Indessen lief ein Vierteljahr herum, nach welchem oftgemeldter Obriste samt seinem Hausgesind wieder umgetauft und mit einem ansehenlichen adeligen Gut und vielen Untertanen wieder versehen wurde.

Damals ging ein Mandat aus, daß man gleichwie unter den Inheimischen, also auch unter den Fremden keine Müßiggänger bei hoher unausbleiblicher Straf mehr leiden sollte, als die den Arbeitenden nur das Brot vorm Maul wegfressen; und was von Fremden nicht arbeiten wollte, das sollte das Land in einem Monat, die Stadt aber in vierundzwanzig Stunden räumen. Also schlugen sich unserer bei fünfzig zusammen, der Meinung, unsern Weg in Gottes Namen durch Podoliam nach Teutschland miteinander zu nehmen, wir wurden aber nicht gar zwo Stund weit von der Stadt von etlichen reußischen Reutern wieder eingeholt, mit dem Vorwand, daß Ihr Zarische Majestät ein groß Mißfallen hätte, daß wir uns frevelhafter Weis unterstanden, in so starker Anzahl uns zusammenzurotten und ohne Paß unsers Gefallens Dero Land zu durchziehen, mit fernerem Anhang, daß Ihr Majestät nicht unbefugt wären, uns unsers groben Beginnens halber nach Sibirien zu schicken. Auf demselbigen Zurückweg erfuhr ich, wie mein Handel beschaffen war; denn derjenige so den Truppen Reuter führte, sagte mir ausdrücklich, daß Ihr Zarische Majestät mich nicht aus dem Land lassen würden, sein treuherziger Rat wäre, ich sollte mich nach Dero Allergnädigstem Willen akkommodieren, mich zu ihrer Religion verfügen, und wie der Obriste getan, ein solch ansehenlich adelig Gut nicht verachten, mit Versicherung, wo ich dieses ausschlagen, und bei ihnen nicht als ein Herr leben wollte, daß ich wider meinen Willen als ein Knecht dienen müßte; und würden auch Ihr Zarischen Majestät nicht zu verdenken sein, daß sie einen solchen wohlerfahrnen Mann, wie mich der oftgemeldte Obriste beschaffen zu sein beschrieben, nicht aus dem Land lassen wollten. Ich verringerte mich hierauf, und sagte: Der Herr Obriste würde mir vielleicht mehr Künste, Tugend und Wissenschaften zugeschrieben haben, als ich vermochte; zwar wäre ich darum ins Land kommen, Ihrer Zarischen Majestät und der löblichen reußischen Nation, auch mit Darsetzung meines Bluts, wider Dero Feinde zu dienen, daß ich aber meine Religion ändern sollte, könnte ich mich noch nicht entschließen; wofern ich aber in einzigerlei Weg Ihrer Zarischen Majestät ohne Beschwerung meines Gewissens würde dienen können, würde ich an meinem äußersten Vermögen nichts erwinden lassen.

Ich wurde von den andern abgesondert und zu einem Kaufherrn logiert, allwo ich nunmehr öffentlich verwacht, hingegen aber täglich mit herrlichen Speisen und köstlichem Getränk von Hof aus versehen wurde; hatte auch täglich Leut die mir zusprachen, und mich hin und wieder zu Gast luden; sonderlich war einer, dem ich ohne Zweifel insonderheit befohlen war (ein schlauer Mann), der unterhielt mich täglich mit freundlichem Gespräch, denn ich konnte schon ziemlich reußisch reden; dieser diskurrierte mehrenteils mit mir von allerhand mechanischen Künsten, item von Kriegs- und andern Maschinen, vom Fortifikationwesen und der Artollerei, etc. zuletzt als er unterschiedlich Mal auf den Busch geklopft, um zu vernehmen, ob ich mich endlich nicht ihres Zaren Intention nach bequemen wollte, und keine Hoffnung fassen konnte, daß ich mich im geringsten ändern würde, begehrte er, wenn ich ja nicht reußisch werden wollte, so sollte ich doch dem großen Zar zu Ehren ihrer Nation etwas von meinen Wissenschaften kommunizieren und mitteilen; ihr Zar würde meine Willfährigkeit mit hohen kaiserlichen Gnaden erkennen; darauf antwortet ich, meine Affektion wäre jederzeit dahin gestanden, Ihrer Zarischen Majestät untertänigst zu dienen, maßen ich zu solchem Ende in Dero Land kommen wäre, sei auch noch solchergestalt intentioniert, wiewohl ich sehe, daß man mich gleichsam wie einen Gefangenen aufhalte: »Ei nicht so Herr«, antwortet' er, »Ihr seid nicht gefangen, sondern Ihr Zarische Majestät lieben Euch so hoch, daß sie Eurer Person schier nit wissen zu entbehren.« »Warum«, sagte ich, »werde ich denn verwacht?« »Darum«, antwortet' er, »weil Ihr Zarische Majestät besorgen, es möchte Euch etwas Leids widerfahren.«

Als er nun meine Offerten verstund, sagte er, daß Ihr Zarische Majestät allergnädigst bedacht wären, in Dero Landen selber Salpeter graben und Pulver zurichten zu lassen; weil aber niemand unter ihnen wäre, der damit umgehen könnte, würde ich der Zarischen Majestät einen angenehmen Dienst erweisen, wenn ich mich des Werks unterfinge; sie würden mir hierzu Leute und Mittel genug an die Hand schaffen, und er für seine Person wollte mich aufs treuherzigste gebeten haben, ich wollte solches allergnädigstes Angesinnen nicht abschlagen, dieweilen sie bereits genugsame Nachricht hätten, daß ich mich auf diese Sachen trefflich wohl verstünde. Darauf antwortet ich: »Herr, ich sage vor wie nach, wenn der Zarischen Majestät ich in etwas dienen kann, außer daß Sie gnädigst geruhen, mich in meiner Religion passieren zu lassen, so werde ich an meinem Fleiß nichts erwinden lassen.« Hierauf wurde dieser Reuß (welcher einer von den vornehmsten Knesen war) trefflich lustig, also daß er mir mit dem Trunk mehr zusprach als ein Teutscher.

Den andern Tag kamen vom Zar zween Knesen und ein Dolmetsch, die ein Endliches mit mir beschlossen und von wegen des Zaren mir ein köstliches reußisches Kleid verehrten. Also fing ich gleich etliche Tag hernach an Salpetererde zu suchen, und diejenigen Reußen, so mir zugegeben waren, zu lehren, wie sie denselben von der Erden separieren und läutern sollten; und mithin verfertigte ich die Abriß zu einer Pulvermühlen und lehrete andere die Kohlen brennen, daß wir also in gar kurzer Zeit sowohl des besten Pürsch- als des groben Stückpulvers eine ziemliche Quantität verfertigten, denn ich hatte Leut genug und daneben auch meine sonderbaren Diener, die mir aufwarten, oder besser zu sagen, die mich hüten und verwahren sollten.

Als ich mich nun so wohl anließ, kam der vielgemeldte Obriste zu mir, in reußischen Kleidern' und mit vielen Dienern ganz prächtig aufgezogen, ohne Zweifel durch solche scheinbarliche Herrlichkeit mich zu persuadieren, daß ich mich auch umtaufen lassen sollte; aber ich wußte wohl, daß die Kleider aus des Zaren Kleiderkasten waren und ihm nur angeliehen, mir die Zähne weiß zu machen, weil solches an dem zarischen Hof der allergewöhnlichste Brauch ist.

Und damit der Leser verstehe, wie es damit pfleget herzugehen, will ich ein Exempel von mir selbst erzählen: Ich war einsmals geschäftig auf den Pulvermühlen, die ich außerhalb Moskau an den Fluß bauen lassen, Verordnung zu tun, was der ein und ander von meinen zugegebenen Leuten denselben und folgenden Tag für Arbeit verrichten sollte; da wurde ohnversehens Alarm, weilen sich die Tartarn bereits vier Meilen weit auf 100 000 Pferd stark befanden, das Land plünderten und also immerhin fort avancierten; da mußten ich und meine Leut sich alsobald nach Hof begeben, allwo wir aus des Zaren Rüstkammer und Marstall montiert wurden; ich zwar wurde anstatt des Küraß mit einem gesteppten seidenen Panzer angetan, welcher einen jeden Pfeil aufhielt, aber vor keiner Kugel schußfrei sein konnte, Stiefel, Sporen und ein fürstliche Hauptzierde mit einem Reigerbusch, samt einem Säbel der Haar schur, mit lauter Gold beschlagen und mit Edelgesteinen versetzt, wurden mir dargeben, und von des Zaren Pferden ein solches untergezogen, dergleichen ich zuvor mein Lebtag keins gesehen, geschweige beritten; ich und das Pferdgezeug glänzten von Gold, Silber, Edelgesteinen und Perlen, ich hatte einen stählernen Streitkolben anhangen, der glitzerte wie ein Spiegel, und war so wohl gemacht und so gewichtig, daß ich einen jeden dem ich eins damit versetzte, gar leicht totschlug, also daß der Zar selbst besser montiert daher nicht reiten können; mir folgte ein weiße Fahne mit einem doppelten Adler, welcher von allen Orten und Winkeln gleichsam Volk zuschnie, also daß wir ehe zwei Stund vergingen bei vierzig-, und nach vier Stunden bei sechzigtausend Pferd stark waren, mit welchen wir gegen die Tatarn fortrückten; ich hatte alle Viertelstund neue mündliche Ordre von dem Großfürsten, die nichts anders in sich hielten, als: Ich sollte mich heut als ein Soldat erzeigen, weil ich mich für einen ausgegeben, damit Seine Majestät mich auch für einen halten und erkennen könnten. All Augenblick vermehrte sich unser Hauf beides von Kleinen und Großen, so Truppen als Personen, und ich konnte doch in solcher Eil keinen einzigen erkennen, der das ganze Corpus kommandieren und die Battaglia anordnen sollte.

Ich mag eben nicht alles erzählen, denn es ist meiner Histori an diesem Treffen nicht viel gelegen; ich will allein dies sagen, daß wir die Tatarn, so mit müden Pferden und vielen Beuten beladen, urplötzlich in einem Tal oder ziemlich tiefen Geländ antrafen, als sie sich dessen am allerwenigsten versahen, und von allen Orten mit solcher Furi dareingingen, daß wir sie gleich im Anfang trennten. Im ersten Angriff sagte ich zu meinen Nachfolgern auf reußische Sprach: »Nun wohlan, es tue jeder wie ich!« Solches schrien sie einander alle zu, und damit rennete ich mit verhängtem Zaum an die Feinde, und schlug dem ersten den ich antraf, welcher ein Mirsa war, den Kopf entzwei, also daß sein Hirn an meinem stählernen Kolben hängen blieb. Die Reußen folgten meinem heroischen Exempel, so daß die Tatarn ihren Angriff nicht erleiden mochten, sondern sich in eine allgemeine Flucht wendeten. Ich tat wie ein Rasender, oder vielmehr wie einer der aus Desperation den Tod suchte und nicht finden kann; ich schlug alles nieder was mir vorkam, es wäre gleich Tatar oder Reuß gewesen. Und die so vom Zaren auf mich bestellt waren, drangen mir so fleißig nach, daß ich allezeit einen sichern Rücken behielt; die Luft flog so voller Pfeil, als wenn Immen oder Bienen geschwärmt hätten, wovon mir denn einer in Arm zuteil wurde, denn ich hatte meine Ärmel hinter sich gestreift, damit ich mit meinem Säbel und Streitkolben desto unverhinderlicher metzeln und totschlagen könnte. Ehe ich den Pfeil auffing, lachte mirs Herz in meinem Leib an solcher Blutvergießung, da ich aber mein eigen Blut fließen sah, verkehrte sich das Lachen in eine unsinnige Wut. Demnach sich aber diese grimmigen Feinde in eine hauptsächliche Flucht wendeten, wurde mir von etlichen Knesen im Namen des Zarn befohlen, ihrem Kaiser die Botschaft zu bringen, wasgestalt wir die Tatarn überwunden; also kehrete ich auf ihr Wort zurück und hatte ohngefähr hundert Pferd zur Nachfolg. Ich ritt durch die Stadt der zarischen Wohnung zu und wurde von allen Menschen mit Frohlocken und Glückwünschung empfangen; sobald ich aber von dem Treffen Relation getan hatte, obzwar der Großfürst von allem Verlauf schon Nachricht hatte, mußte ich meine fürstlichen Kleider wieder ablegen, welche wiederum in des Zaren Kleiderbehältnis aufgehoben wurden, wiewohl sie samt dem Pferdgezeug über und über mit Blut besprengt und besudelt und also fast gar zunichte gemacht waren, und ich also nicht anders vermeint hätte, weil ich mich so ritterlich in diesem Treffen gehalten, sie sollten mir zum wenigsten samt dem Pferd zum Rekompens überlassen worden sein: Konnte demnach hieraus wohl abnehmen, wie es mit der Reußen Kleiderpracht beschaffen, deren sich mein Obrister bedient, weil es lauter gelehnte War ist, die dem Zaren, wie auch alle anderen Sachen in ganz Reußen, allein zuständig.


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