Franz Grillparzer
Ein treuer Diener seines Herrn
Franz Grillparzer

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König.
Verzeihung? Mit den Waffen in der Hand?
Wer sie nicht ablegt, ist ein Mann des Todes.
Ergebung fordr' ich, voll und unbedingt.
Dann soll, wie Gottes Stimme in dem Garten,
Die Gnade wandeln durch gebückte Reihn,
Nur zögernd strafen, und, wie gern, verzeihn.
Sie wollen nicht? Nun denn, so laßt sie müssen!
Stellt die Ballisten auf, das Sturmzeug ordnet!
Mit wiederholtem Stoß bedrängt die Stadt,
Bis ihre Steine ächzen, Türme nicken,
Und die Erweichung allgemach und endlich
Sich fortpflanzt bis in ein Empörerherz.
Wenn morgen hoch die Sonn' im Mittag steht,
Will ausruhn ich im Innern jener Mauern. –
Was habt Ihr sonst erforscht?

Befehlshaber.
        Es war nicht möglich
Mehr zu erkunden, denn man stand nicht Rede.
Doch heißt es, daß im Innern ihrer Stadt
Entzweiung herrsche. Auch, den Mauern nah
Vernahm ich Lärm von Stimmen, welche stritten,
Ja, selbst Geklirr von Waffen.

König.
        Und Bancbanus,
Wo weilet er?

Befehlshaber.
        Verschieden geht die Rede.
Die einen nennen ihn gefangen, tot;
Die andern lassen ihn, als Haupt des Aufruhrs,
Sich stellen selbst an der Empörer Spitze,
Und glaublich scheint es fast, wenn man bedenkt –

König.
Ich aber sage: Nein! und zweimal: Nein!
Bancbanus ein Verräter? Schlimm genug,
Wenn er nicht wehrte, wo die andern taten;
Doch er Verräter? Nun, dann bin ich's auch,
Dann sind wir's alle. Nein, Bancbanus nicht!

Befehlshaber.
Befehlt Ihr sonst –?

König.
        Bereitet euch zum Angriff!
Ist sonst noch jemand? – Wer sind diese hier?

Zweiter Anführer.
Zwei Ritter vom Gefolge Herzog Ottos,
Eu'r Gnaden Schwager, suchend ihren Herrn.

König.
O heißt sie gehn, die fert'gen Schuldgenossen
Von seiner lasterhaften Jugend. Fort!
Wie gräbt Erinnerung mit blut'gen Zügen,
Und zeigt, was ich versehn, wie ich gefehlt.
Unsittlichkeit! Du allgefräß'ger Krebs,
Du Wurm an alles Wohlseins tiefsten Wurzeln,
Du Raupe an des Staates Lebensmark!
Warum ließ ich beim Scheiden dich zurück?
Warum zertrat ich nicht, verwies dich?
Wie schlecht verwahrtes Feuer gingst du auf
Und fraßest all mein Haus, mein Heil, mein Glück!
Ich will nicht strafen, heißt sie kehren heim,
Nie mehr dies Land entweihn mit ihrem Fuß.

Zweiter Anführer (der auf einen Hügel gestiegen ist).
Ach Herr, mein Herr! Der Feind tut einen Ausfall.

König.
Bist du nicht klug?

Anführer.
        Ich seh das Tor geöffnet,
Und Mann an Mann, mit Lanzen, Fackeln, Herr!
Es gilt dem Sturmgerät. Seht Ihr nicht vor,
So stecken sie's in Brand.

König.
        Nun denn, es sei!
Führt sie ihr Unsinn selber ins Verderben.

Anführer.
Noch immer fort. Ein endlos dichter Haufen.
Die Vordersten verbirgt der Hohlweg schon;
Doch stets erneut, strömt's aus den offnen Pforten.

König.
Bleibt Ihr zurück! Mir widert's, die Verworrnen
Dahinzuschlachten, ihrer Torheit Opfer.
Ich will mich ihnen stellen, ich, ihr König,
Und wer es wagt, der mag mein Gegner sein!
Bleibt Ihr zurück, ich will's.
(Er geht gegen den Hintergrund.)
        Doch ha! steht ihnen
Die Hölle bei mit ihren dunkeln Geistern?

(Er kommt wieder nach vorne. Rechts, im Hintergrunde, tritt, von einigen Gewaffneten geleitet, ein Zug schwarzgekleideter Frauen auf.)

Das sind die Weiber meiner hingeschiednen Frau.
Ihr Toren, stachelt ihr noch auf die Rache?

(Ein gleicher Zug schwarzgekleideter Personen kommt und geht, gleich den vorigen im Hintergrunde vorüber.)

Noch mehr der Trauer? Wer sind diese da?

Anführer.
Bancbanus' Farben trägt man ihnen vor.
Auch seine Frau ward – Sie ist auch gestorben.

König.
Ich weiß, ich weiß! – O himmlischer Vergelter!
Kann ich nicht zürnen? und bin so verletzt!

(Von einem zahlreichen Haufen Volks, jeden Geschlechts und Alters gefolgt, kommt Bancbanus. Zu seinen beiden Seiten, etwas nach rückwärts, gehen die Grafen Simon und Peter, ohne Waffen, Ketten an den Händen. Graf Peter und alles Volk kniet.)

Bancbanus.
Knie nieder, Simon! – Simon, beug dein Knie!
Es ist dein Herr, du kannst es ohne Schande.

(Simon kniet nieder.)

Mein königlicher Herr, und mein Gebieter!
Wir nahen dir, die Bürger einer Stadt,
Die ihrer Pflicht vergaß zu diesen Stunden,
Doch schnell zur Reu', und rasch zurückgekehrt,
Die Pforten öffnet, in den Staub sich beugt.
Zu deiner Gnad' und Ungnad' sich ergebend.
Aus liefert auch die Häupter der Empörung,
Hier, Grafen Simon, der mein Bruder war –
Nein, ist, noch immer ist, mein teurer Bruder,
Und Grafen Peter, meiner armen Erny –
Den Bruder meines früh verblichnen Weibs.
Dich bittend auch –
(Näher tretend.)
        Wir haben viel gelitten,
Seit du nicht bei uns warst, mein Herr und König.
Dahingegangen sind der Lieben viele;
Und eh' ich weiterrede, so erlaub,
Daß ich, das Aug' gedrückt an deine Knie,
In Tränen derer denke, die gewesen.

(Er fällt vor ihm nieder und umfaßt seine Knie.)

König (nach einer Pause, zurücktretend).
Bancban, Bancban! Du ungetreuer Knecht!
Wie hast du deines Herren Haus verwaltet?

Bancbanus (der aufgestanden ist).
Herr, gut und schlimm, wie's eben möglich war.

König.
Ich gab mein Land dir ruhig und in Frieden.

Bancbanus.
Nu, Herr! Beruhigt geb ich's Euch zurück.

König.
Wo ist mein Weib?

Bancbanus.
        Daß Gott! die kehrte heim.
Sie wollte sehn, wie's meinem Weib erging!

König (ihm näher tretend und die Hand auf seine Schulter legend).
So stehen wir als Witwer beide denn!
Doch noch ein Punkt furchtbarer Ähnlichkeit!
Du hattest nie ein Kind. Wo ist das meine?
Bancban, wo ist mein Sohn?

Bancbanus.
        Ich glaube, Herr
Das Knäblein ist gerettet.

König.
        Ha, du glaubst? du glaubst?
Bancban, ich glaub, du bist ein Ehrenmann,
Ich glaube, daß du treu an deinem König hältst,
Ist's darum wahr?

Bancbanus.
        Ich gab ihn, Herr, dem Mann,
Der ihn nächst Gott am treuesten beschützt,
Dem er das letzte Band an dieses Leben,
Schutz vor Verzweiflung ist und Selbstverwerfung.
Es hat ihn Euer Schwager von Meran,
Der Mörder meines Weibs und Eures Weibes.
Schon sandt' ich Boten und sie finden ihn
An jenen Hügeln dort am Saum des Waldes.

(Auf den Wink des Königs gehen einige.)

Sei sicher, daß dein teures Knäblein lebt.
Doch bis sie wiederkehren, im Gefühl
Noch des Verlusts, die Vaterangst im Herzen,
Wend ich dein Aug' nach jenen beiden hin.
Sie haben auch das Teuerste verloren;
Mit ähnlichem Gefühl in ihrer Brust
Umstanden sie die Leiche ihrer Schwester.
Den ungestraften Trotz des Mörders sahn sie,
Da wich der gute Geist von ihnen, und –
Sie taten, was nicht recht. Sei mild, o Herr!

König.
Den Mördern meines Weibs?

Bancbanus.
        Sie waren's nicht;
Der Zufall tat's, des höchsten Gottes Bote.

König.
Aufrührer!

Bancbanus.
        Nun, sieh hin, o Herr! Sie knien.

König.
Und jetzt, da noch der blut'ge Zweifel schwebt!
Ob nicht mein Weib nur, ob mir auch den Sohn
Ihr Frevel stahl –

Bancbanus.
        Ach, jetzt, und eben jetzt!
Sei ganz wie Gott, o König! Straf den Willen,
Und nicht die Tat, den launischen Erfolg.
Nur kurze Frist, so hast du deinen Sohn,
Schon sind gesendet jene, die ihn suchen.
O raube nicht der Huld den schönsten Schmuck!
Jetzt, mit der Vaterangst in deinem Herzen,
Sei mild und gütig, daß auch Gott dir's sei.
Laß in Verbannung sie ihr Leben enden;
Befleck dich nicht mit Blut!

König.
        Du forderst viel; doch sei's!
Und auf zu Gnaden nehm ich eure Stadt.
Doch nun –

(Freudengeschrei in der Ferne.)

Bancbanus.
        Hörst du der Engel Chor! Beglückter Vater,
Sie bringen jubelnd dir den Sohn zurück.
Nie bringt ein Engel mir mein Weib.
Beglückter Vater, siehst du deinen Sohn?

(Herzog Otto stürzt herein, in der rechten Hand ein zerbrochenes Schwert, auf dem linken Arm den kleinen Bela tragend. Hinter ihm jubelnd Krieger und Landleute.)

Otto.
Bancban, sie rauben mir dein Kind!

(In die Mitte der Bühne gekommen, erblickt er den König. Er steht einen Augenblick still, dann fällt er, das Kind in den Armen, auf die Knie. Der Kleine läuft zu seinem Vater. Herzog Otto liegt auf dem Angesicht am Boden.)

König.
        Mein Sohn!
Mein wieder mir geborner, teurer Sohn!

(Er hält ihn in den Armen.)

Bancbanus (auf der andern Seite).
Nu, herzt euch satt, und ich muß trocken stehn.
Kann nicht einmal den Mund an seinen legen.

König (den Knaben emporhaltend).
Hier, euer Fürst! Hier euer künft'ger König!
Verzeihung jedem, was er auch gefehlt;
Des Frevels Häuptern selbst, doch fern vom Lande.
Säh' uns mein Weib aus weit entlegnen Fernen,
Sie winkte: Ja! nachtönend: Ich verzeih!
(Zum Gehen gewendet.)

Bancbanus (auf Otto zeigend).
Hier ist noch einer, der gar bitter harrt.

König.
Steht, Herzog, auf! Steht auf vom Boden!
(Otto steht auf.)
Ihr habt ein kleines Gutes hier getan,
Zu schwach, um zu vergelten so viel Böses.
Doch streck ich nicht die Hand als Richter aus,
Wo Sünde selber straft, braucht's da noch Strafe?
Für meinen Teil entlaß ich Euch der Schuld.
Doch hier ist einer, dem Ihr mehr getan.
Geht hin, und fragt ihn, was ihn mag versöhnen?

(Otto zu Bancbanus gewendet.)

Bancbanus.
Du guter Mörder, gib mir deine Hand!
Und doch – war sie es nicht, die meiner Erny –
Fort, Mörder, fort! und laß mich dich nicht schaun!

König.
Er wendet sich von Euch. Laßt ab!

Simon (vortretend).
        Und doch! Noch eins!
Mein König, und mein hoher Herr! Verzeiht,
Wenn Euch ein Mann, der selbst dem Recht verfallen,
Und kaum begnadigt, angeht um sein Recht;
Doch ist's der Lohn für dieses Mannes Treue,
Und unsers Hauses Ehre fordert's laut.
Befehlt, daß Euer Schwager von Meran,
Vor Euch, des Landes Herrn und höchstem Richter,
Mir Rede steh, antwortend, wenn befragt.

König.
Ihr hört, was man begehrt. Gebt Antwort denn!

Simon (zu den Versammelten).
Ihr aber lauscht, und zeugt vor allem Land!
(Zu Otto, auf Graf Peter und Bancbanus zeigend.)
Hat dieses Mannes Schwester, seine Frau,
Euch Anlaß je gegeben, Grund und Ursach',
Sie zu verfolgen mit verbotner Werbung?

Otto.
Sie tat es nie.

Simon.
        Hat sie sich sonst vergangen
An Euch und Eurer Schwester, sonst und wie?
So, daß ihr Tod die Strafe des Vergehens?

Otto.
Niemals.

Bancbanus.
        O hört Ihr's? Niemals! Nie!
Ihr Innres weiß, so weiß als ihre Hand.

Simon.
Und wer vollbrachte jene Tat des Bluts! Wart Ihr's?

Otto.
Sie tat es selbst.

Simon.
        Dir zu entgehn?

Otto.
                So war's!

Bancbanus.
Mein Kind! Mein Kind! Laßt mich, ich will nach Hause!

König.
Bancbanus, bleib! – Euch, Herzog, halt ich nicht!
Kehrt heim, und merkt, wie man in diesem Land,
Das Ihr verachtet einst, Beleid'gung rächt.
Glimmt noch ein Funke einer bessern Glut
In Eurer Brust, so facht ihn sorglich an,
Und tilgt durch Reue, mildert Eure Schuld.
Zieht hin, mit Gott! Kein Fluch sei über Euch!

(Otto macht einen Schritt gegen den König. Dieser zieht sich zurück. Da beugt sich Otto tief, und geht, in der Mitte zweier Begleiter, die während des Vorigen vorgetreten sind, und ihm von rückwärts einen dunkeln Mantel umgeworfen haben, ab.)

Man geb' ihm das Geleit bis an die Grenze,
Und sorge, daß kein Unfall ihn verletzt.
(Zu Bancbanus.)
Wie aber soll ich dir die Treue lohnen,
Zum Teile nur vergelten, was du tatst,
Was du erlittst im Dienste deines Herrn?
Der Erste sei nach mir in meinem Reich,
Dein Wort dem Worte deines Königs gleich,
Und so ernenn ich dich –

Bancbanus.
        Halt ein, o Herr!
Ich bin ein alter Mann, dem Tode reif;
Laß ruhig sein mich harren! – Mich belohnen?
Darf ich doch frei den Kummer wieder tragen,
Die Trauer um mein Weib. Darf jeden ansehn,
Die Antwort lesen, ach! in jedes Auge:
Unschuldig war sie und gerecht. Ei Lohns genug!
Der Glanz, womit du deinen Diener schmücktest,
Er hat als unheilvoll sich mir bewährt.
Gebeut nicht, daß aufs neu ich Gott versuche!
Mein Arm wird schwach, dies Haupt neigt sich zur Ruh'.
Und so entkleid ich denn, mit deinem Urlaub,
Mich all der Würden, Ämter und Gewalt,
Die deine Huld an deinen Knecht verschwendet;
Dich bittend, daß du gnädig mir vergönnst,
Auf meiner Väter Schloß, bei meinem Weib
Bei meines Weibes Leiche still zu harren,
Bis zwei der Leichen liegen in der Gruft.
Wenn des dir Botschaft wird, und eine Träne,
Wie jetzt, o Herr, in deinem Auge schimmert,
Dann hat dein Diener fruchtlos nicht gelebt,
Braucht andre Grabschrift nicht, noch güldne Zeichen.
Und wenn du ja in deinem hohen Sinn,
Belohnung jetzt schon rätlich glaubst und gut,
Ach so erlaub, daß jenes edle Kind,
Für dessen Heil ich auch mein Schärflein bot,
Daß ich sein Händlein drück an meinen Mund,
Mich Überzeugend, daß es lebt und atmet.
(Kniet vor dem Kinde.)
Glück auf! Glück auf! Du hohes Fürstenkind,
Bestimmt, dereinst zu herrschen hier im Lande!
Ein alter Mann, der lang dann nicht mehr ist,
Wenn du als Fürst gebeutst in diesem Lande,
Er heißt willkommen dich, und ruft dir zu:
Sei mild, du Fürstenkind, und sei gerecht!
Auf dem Gerechten ruht des Herren Segen.
Bezähm dich selbst, nur wer sich selbst bezähmt,
Mag des Gesetzes scharfe Zügel lenken.
Laß dir den Menschen Mensch sein, und den Diener
Acht als ein Spargut für die Zeit der Not.
Gedenk als Mann der Zeit, da du ein Kind,
Und hilflos lagst in eines Mörders Armen.
Wie da der Aufruhr an die Pforten pochte
Und jeder Rat und jede Hilfe fern;
Da tat ein alter Mann, was er vermochte.
I nu! Ein treuer Diener seines Herrn!
(Er neigt sein Haupt auf die Hand des Knaben.)


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