Franz Grillparzer
Ein treuer Diener seines Herrn
Franz Grillparzer

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Fünfter Aufzug

Freie Gegend. Im Hintergrunde Hügel mit Aufgängen von beiden Seiten.

Bancbanus kommt auf einen Stab gestützt, den kleinen Bela an der Hand führend, von der rechten Seite. Herzog Otto mit bloßen Füßen, unbedecktem Haupte, und zerrißnen Kleidern folgt ihm in einiger Entfernung.

Bancbanus.
Verfolgst du mich auf jedem meiner Schritte?
Stieß ich nicht ein- und zweimal dich zurück?
Wie kamst du in das Laub, in meinen Weinberg?
Wo triebst du dich herum in diesen Tagen?
Ich dachte längst, sie hätten dich gefunden,
Geschlachtet, abgetan, wie du's verdienst.
Rühr mich nicht an, sonst brauch ich meinen Stock!
Du Wolf, du Hund, du blut'ger Mörder du!
(Zum Kinde.)
Was weinst du Herrlein! – ja, dein Füßlein blutet!
Setz dich dorthin, und ruh ein wenig aus;
Nur kurze Frist, so heißt es weitergehn,
Die bösen Menschen sind uns auf der Ferse.

(Er hat das Kind auf einen Stein gesetzt. Otto wirft sich vor dem Kleinen auf die Knie, dessen Füße streichelnd und an seine Brust drückend.)

Was aber nun beginnen? Großer Gott!
(Zu Otto.)
Berührst du mir das Kind? – Ja so – Nu Herzog,
Nehmt hier das Tuch, und trocknet ihm den Fuß,
Und wo's geritzt, da drückt mir fein gelinde!
Du blut'ger Mörder, wär' ich alt und schwach nicht,
Du solltest mir den Knaben nicht berühren!
Und dennoch, Mann des Unheils, schickt dich Gott!
Laßt, Herzog, jetzt, und hört mich sorglich an.

(Otto, noch immer vor dem Knaben auf den Knien, wendet, auf die Fersen zurückgesetzt, das Gesicht horchend nach Bancbanus.)

Es gilt, das Kind den Meutern zu entziehn,
Die nach ihm suchen. Ich nun selbst vermag's nicht,
Denn mühsam nur schleppt sich der alte Fuß.
Auch ruft die Pflicht mich nach der Stadt zurück.
Dort will ich noch zum letztenmal versuchen,
Was Treue kann im Streit mit blinder Wut.
Nimm du das Kind, und flieh! Wenn sie dich fangen,
So bist du tot. Dir zwar geschäh' dein Recht;
Doch meines Herren Söhnlein muß ich hüten.
Sorg also, daß du jenen Wald erreichst,
Der quer sich hinzieht zu den weitsten Fernen.
Dort harr, im Dickicht lauernd, meiner Botschaft.
Und wenn sie dir nicht wird in dreien Tagen,
So halte mich für tot, und rette dich;
Vielmehr den Knaben rette, blut'ger Mörder!
Sonst klag ich dich vor jenem Richter an,
Wo schwarz du ohnehin bist, schwarz wie Kohle.

(Otto ist aufgestanden und hat den Knaben angefaßt.)

Bleib noch, du Mann des Bluts! Hört dies noch, Herzog!
Rennt nicht in einem Lauf bis hin zum Walde.
Der Raum ist groß, und leicht gewahrt man Euch.
Sieh an den Rebenhügeln hier und dort
Die Haufen Reisig, nahbei wilde Rosen,
Dort duck dich unter, bette dich in Dornen,
Mach deinen Leib zum Pfühl für dieses Kind.
Erst, wenn du rings gelauscht, ob alles ruhig,
Dann komm hervor, und flieh von Busch zu Busch,
Bis euch der Wald umfängt. Verstehst du, Mörder?
Nun, Herzog, nehmt das Kind, und seht Euch vor.

(Otto trägt das Kind auf den Armen. Bancbanus im Gehen.)

Ich dacht' Euch mir schon viele Meilen weit!
Dankt immer Gott, der Euch vergönnt ein Tröpflein
Von Gut zu tun in Euer Meer von Bösem.
(Stehenbleibend.)
Der Knabe trägt in seinen Taschen Brot,
Das rührt nicht an. Das soll für ihn. Ihr selber
Sucht Beeren Euch, und fehlen die, so hungert.
Es ist Euch nütz, wenn Ihr den Leib kasteit.
Dort, Herzog, dort!
(Er weist ihn auf den Hügel, der links in die Szene führt.)
        Und seid Ihr auf der Höhe,
So lauft, was Ihr vermögt. Man kommt! – Macht fort!

(Ein Soldat tritt rechts im Vorgrunde auf, seinen Bogen spannend.)

Soldat.
Wer da? Halt!

(Otto entflieht.)

Bancbanus (am Fuße des Hügels, mit gehobenem Stocke drohend).
        Du, schieß nicht! Dein bißchen Leben
Wär' viel zu arm als Preis für solchen Schuß!
(Näher zu ihm tretend.)
Wer bist du? und wer hat dich hergestellt?

Soldat.
Die Vorwacht halt ich und – gebt Euch gefangen!

Bancbanus.
Gefangen, ich? Gib du dich selbst gefangen!
Du Schelm! Die Vorwacht hältst du? Und für wen?
Für jene Meuter, Friedensstörer? – Räuber,
Mein guter Schurke, stellen Kundschaft aus,
Nicht Vorwacht, so wie ehrlich wackre Krieger.
Vorwacht! – Wie heißt denn Euer Losungswort?
Wirst du nicht reden? Schurke, kennst du mich?
Ich bin Bancban, der Diener deines Herrn.
Wie heißt die Losung? – Kehrt mein König heim,
So laß ich dich in hundert Stücke schneiden.
Wie heißt das Losungswort?

Soldat.
        Ungarn und Ruhm!

Bancbanus.
Ungarn und Ruhm. Ein altes, wackres Paar!
Ihr trenntet sie, doch nicht auf lange, hoff ich.
Geh wieder nur auf deinen Platz und schweig!
Vielleicht, daß diese Stunde dir noch frommt.

(Er wendet sich nach dem Mittelgrunde rechts, um fortzugehen. Ein Hauptmann mit Soldaten tritt heraus.)

Hauptmann.
Wer da?

Bancbanus (vor sich hin).
        Ei frag den Henker du!

Hauptmann.
                Wer da?

Bancbanus.
Ungarn und Ruhm. Wenn's nur denn sein doch muß!

Hauptmann.
Bancbanus! – Herr, ich weiß nicht, darf ich Euch
Einlassen nach der Stadt?

Bancbanus.
        Indes Ihr zweifelt,
Geh ich nur meines Wegs!

(Graf Peter erscheint im Hintergrunde rechts, auf der Anhöhe mit Begleitung.)

Peter.
        Bancban!

Bancbanus.
                Noch einer?
Das ist wohl gar eines Verräters Stimme.
(Hinaufblickend.)
Lauf, Peter, lauf! Du kommst wohl noch ans Ziel.
Pfui, über alle Schelmen! (Er geht.)

Hauptmann.
        Soll ich, Herr!
Zurück ihn halten?

Peter (der herabgekommen ist).
        Laß ihn! Daß er recht hat!
Daß ich mir's selbst in meinem Innern sage!
Ein Schurk' und ein Verräter! Großer Gott!
Ein Mörder noch dazu. – O meine Hände!

Hauptmann.
Allein, der Herzog, laßt ihn uns verfolgen!
Des Königs Sohn ist uns ein teures Pfand,
Als Geisel wichtig, kehrt der Vater wieder.

Peter.
Tut, was Ihr wollt, nur laßt mich.

Hauptmann.
        Seht, dort drüben,
Dort läuft ein Mann, er trägt, so scheint's, ein Kind.
Der Herzog ist's. Man folgt ihm. – Jetzt und jetzt!
Sie haben ihn! Noch nicht! – Eilt ihr hinauf,
Verrennt ihm hier den Weg! – Nun aber – halt!
Er springt. – Er sprang vom Felsen. – Walt' es Gott!

Peter.
Schnell hin, und seht und sorgt. Mein bestes Habe
Dem, der mir sagt, sie blieben unverletzt.

(Graf Simon kommt von der linken Seite.)

Peter (ihm entgegen).
Hast du gesehn?

Simon.
        Du auch?

Peter.
                Der Herzog stürzte.

Simon.
Laß stürzen! Anderes gibt's nun zu schauen.
Der König kommt.

Peter.
        Der König?

Simon.
                Samt dem Heer!
Ich sah im Tal schon ihre Speere blitzen.
Bancbanus ist bei ihm.

Peter.
        Bancban?

Simon.
                So heißt's.

Peter.
Er ging nur eben nach der Stadt.

Simon.
        Und du,
Du ließest ihn?

Peter.
        Warum?

Simon.
                Daß uns sein Wort
Die furchtsamen, die wankenden Gemüter
Abwendet völlig, da der König nah?
(Zum Hauptmann.)
Eilt Ihr zur Stadt, und trefft Ihr meinen Bruder,
Bringt ihn zurück, mit Güte, mit Gewalt.

(Der Hauptmann geht ab.)

Der König also naht.

Peter.
        Wir sind verloren.

Simon.
Bist du verloren? Ich, ich bin's noch nicht.
Noch bleibt uns diese Stadt, im Lande mancher,
Den gleiche Schuld auf gleichen Bahnen hält.
Der König mag Verzeihung erst gewähren,
Dann öffnen wir die Pforten, eher nicht,
Und Krieg mag wüten, Krieg –

(Trompetenstoß von der linken Seite.)

Peter.
        Horch!

Simon.
                Seine Boten,
Des Königs Boten. Bruder, Fassung nun!

(Ein Befehlshaber des Königs tritt links auf. Vor ihm ein Trompeter.)

Befehlshaber (zu einigen Kriegern, die auf der Seite seines Auftrittes stehen).
Unglückliche! Verblendete! Verlockte!

Simon.
Zu jenen nicht, zu mir mit Euren Worten!
Sie folgen, wie zum Streit, mir zum Vergleich.

Befehlshaber.
Doch seh ich Reue hier, bei dir nur Trotz.

Simon.
Ich liebe, daß man vor der Tat erwäge,
Nachher ertrage, was die Folge beut.
Wen reut, was er getan, fehlt zweimal:
Weil er's getan, und dann, weil's ihn gereut.
Doch will ich wohl mich auf Bedingung geben,
Ein neuer Umstand ändert den Verhalt.
Ich zog das Schwert, weil man mir Recht verweigert,
Spricht uns der König Recht, so steck ich's ein.
Fürs erste also: Strafe jener Tat,
Die blutig lebt in jedes Manns Gedenken.

Befehlshaber.
Habt Ihr mit Blute Blut nicht aufgewogen?
Und dann: heißt Euer König der Gerechte
Und hast du doch gezittert um dein Recht?

Simon.
Demnächst Verzeihung, unbedingt und völlig,
Für jeden, der das Schwert in unsrer Sache zog.

Befehlshaber.
Der König aber fordert Unterwerfung,
So unbedingt und völlig als das Wort.
Wem zu verzeihn, wird seine Huld entscheiden.

Simon.
So wisse denn: Eh' feig wir uns ergeben,
Und anders, denn auf billigen Vergleich,
Eh' soll mein Haupt, wie dieser schlechte Filz
(Er wirft seine Mütze auf den Boden.)
Hinkollern auf den Boden, so gestoßen;
Eh' soll mein Schwert, (er zieht es) von meinem Blute naß,
Zur Scheide haben dies mein Eingeweide,
Einstürzen jene Stadt mit ihren Zinnen,
Vom Brande schwarz, von Hunger menschenleer
Auf unser Haupt und auf der Unsern Häupter; –
Eh' soll –

(Der Bancbanus nachgesendete Hauptmann ist zurückgekehrt, und tritt jetzt zu Simon hin.)

Hauptmann.
        Ach Herr, mein Herr!

Simon.
                Wer stört mich? Willst du sterben?

Hauptmann.
Ach, Wichtiges –

Simon.
        Was ist nun wichtig sonst?

Hauptmann.
Im Innern Eurer Stadt –

Simon.
        Sprich leise!

Hauptmann.
                Brütet Gärung.
Des Königs Ankunft, furchtsam Gerüchte.

Simon.
Wo ist Bancban?

Hauptmann.
        Die Euren haben ihn.
Sie fingen ihn am Markt. Allein das Volk,
Zu dem er rief, wogt tobend um ihn her,
Und wehrt Ihr nicht, sie machen ihn noch frei.

Simon.
Er oder ich. Es gilt das Äußerste.
(Zu Peter.)
Geh du mit diesem. Laß von ihm dir sagen.
Bald folg ich selbst. Und eh' Bancban du losgibst,
Hab ihn das Grab, dich, mich, uns alle!

(Graf Peter geht mit dem Hauptmann ab. Simon zum Abgesandten.)

Man meldet mir – und doch, wozu der Lüge?
Was auch geschehn, und was der Pöbel meint,
Der Entschluß bleibt der größern, bessern Menge,
Und der heißt Krieg, heißt Widerstand, wenn ihr
Verzeihung nicht gewährt, vollgült'ge Gnade.

Befehlshaber.
Dir Gnade mit dem Schwert.

Simon.
        Nun denn, so habt's!
(Zu den Seinen.)
Zieht euch zurück, und keiner trete vor,
Und keiner spreche hier mit diesem Mann.
Zurück! Wer vorgeht, fühlt mein scharfes Eisen.
Ich will die Nachhut halten, und mein Säbel
(zum Abgesandten)
Soll dir den Abstand zeigen, der sich ziemt
Für einen Boten, der du bist, der Schande.
Nur fort, mit raschem Schritt. – Du bleib zurück.

(Die Aufrührer ziehen sich nach der rechten Seite hin zurück, Graf Simon der letzte, mit vorgehaltenem Säbel die Annäherung des königlichen Befehlshabers abhaltend. Alle ab. König Andreas tritt von der linken Seite auf mit Gefolge.)

König.
O schmerzenvoller Anblick! Meine Kinder,
Sie fliehn vor mir, sie fliehn vor ihrem Vater.

(Im Hintergrunde schickt sich ein Haufe an, die Feinde zu verfolgen.)

Halt ein! Zu viel! Schont eurer Brüder Blut!
Bis alles erst versucht, das Letzte fruchtlos.
Bin ich in meinem Land? Ist dies mein Volk?
Wenn sonst ich heim aus fernen Kriegen kam,
Wie drängte sich der Schwarm in meinen Weg,
Mit Jubelruf, mit Dank- mit Freudentränen;
Und wessen Aug' des Königs Auge traf,
Der war ein Glücklicher, der Neid der andern.
Nun schließen sie das Tor, und von den Zinnen
Blinkt Speer an Speer mir seinen trotz'gen Gruß.
Hier war der Ort, da kam sie mir entgegen,
Mit ihrem Sohn, mein Weib, mein teures Weib!
Nun ist sie tot, und ungewisses Bangen
Wird mir als Antwort, frag ich um den Sohn.
Bancban, Bancban, wie hast du mich getäuscht
Um mein Vertraun, das ich auf dich gewendet!
Und haben sie das Ärgste dir getan;
Ich dachte dich, den Mann, zu stehn dem Ärgsten.

(Er starrt vor sich hin. – Der Befehlshaber, der den Aufrührern gefolgt ist, kommt zurück. Die Umstehenden bedeuten ihn, auf den König zeigend, sich stille zu halten.)

Wer kommt? Was ist? – Hast den Rebellen du
Mein Wort verkündet?

Befehlshaber.
        Ja, o Herr!

König.
                Wie nun?

Befehlshaber.
Sie weigern sich. Verzeihung fordern sie.


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