Franz Grillparzer
Der Traum ein Leben
Franz Grillparzer

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(Entfernte Trompetenklänge von der linken Seite.)

Zanga.
Horch! Was dünkt dir von dem Klang?
Die Verfolger auch im Rücken,
Eingeengt bist du, umgarnt,
Traust du noch nicht dem, der warnt?
Dort dein Weg!

Rustan (der den emporsteigenden Weg betreten hat, der zur Brücke hinanführt, stehenbleibend).
        Ich kann nicht, kann nicht!
Daß ich jemals dir getraut!

Zanga.
Fühlst du's jetzt erst, da's zu spät?

Rustan.
O mir schwindelt, o mir graut!
Fahles Licht zuckt durch die Gegend,
Fieber rasen im Gehirne,
Und die schwankenden Gestalten,
Nicht zu fassen, nicht zu halten,
Drehen sich im Wirbeltanz.
Feind! Versucher! Böser Engel!
Wohin schwandst du? Bist so dunkel!

Zanga (der Mantel und Kopfbedeckung weggeworfen hat und in ganz schwarzer Kleidung dasteht).
Mir ist warm, und ich bin schwarz.

Rustan.
Schlangen scheinen deine Haare!

Zanga (zwei flatternde Streifen, die sein Haupt umschlingen, aus den Haaren ziehend).
Bänder, Bänder! nichts als Bänder!

Rustan.
Und das Kleid auf deinem Rücken
Dehnt sich aus zu schwarzen Flügeln.

Zanga.
Böse Falten, und doch gut auch.
So trägt man's bei uns zulande.

Rustan.
Und zu deinen Mörderfüßen
Leuchtet's fahl mit düsterm Glanz.

Zanga (einen gestiegen kolbenartigen Körper aufhebend, der schon früher am Boden lag, aber erst jetzt zu leuchten anfängt).
Faules Holz und Moderschwamm!
Doch zu brauchen, dient als Leuchte.
(Den Körper emporhaltend, der ein stärkeres Licht gibt.)
Leuchtet dir hinab zum Abgrund.
Dort hinauf! dort nur ist Rettung.
Bist umsponnen, siehst du? Feinde!

(Auf der rechten Seite des Vorgrundes treten Gewaffnete auf.)

Anführer.
Ja, er ist's! Gib dich gefangen!

Rustan.
Weh!

Zanga.
        Hinauf!

(Auf der linken Seite, hinter Zangas Rücken, erscheinen Krieger.)

Anführer.
                Hier ist der Frevler.

Zanga.
Nur hinauf!

Rustan (eilt den Weg zur Brücke hinauf).

Anführer (der auf der linken Seite stehenden Krieger).
        Verrennt den Weg ihm!

(Einige folgen ihm.)

Rustan (erscheint neben der Brücke).
Zanga!

Zanga.
        Nur die Brücke frei noch!

(Rustan hat die Brücke betreten.)
(Auf der rechten Seite der Anhöhe erscheint Gülnare mit Gefolge und Fackeln.)

Gülnare.
Halt! du Blut'ger!

Zanga.
        Willst du fallen
Von des Henkers Hand, ein Feiger?
Nun stehst du am rechten Platze!
Stürz hinab dich in die Fluten,
Stirb als Krieger, fall als Held!

Gülnare.
Gib dich! gib dich!

(Von allen Seiten sind Krieger mit Fackeln aufgetreten. Die Gewaffneten dringen näher.)

Zanga.
        Mir! Verloren!

Eine Rustan ähnliche Gestalt stürzt sich in den Strom. In demselben Augenblicke bricht der Fels rechts im Vorgrunde zusammen. Rustan auf seinem Bett liegend wird sichtbar, die beiden Knaben, wie am Schlusse des ersten Aufzuges, ihm zur Seite. Ein Schleier zieht sich über die Gegend, ein zweiter, ein dritter. Die Gestalten werden undeutlich. Zanga versinkt, Wolken bedecken das Ganze.

Rustan (sich im Schlafe bewegend).
Weh mir, weh! ich bin verloren!

(Der zu Füßen des Bettes stehende, dunkelgekleidete Knabe zündet seine Fackel an der brennenden des zu Häupten stehenden buntgekleideten an, der dafür die seine gegen den Boden auslöscht. Rustan erwacht. Die Knaben versinken. Die Wolken rückwärts verziehen sich. Das Innere der Hütte erscheint, wie im ersten Aufzuge.)

Rustan (emporfahrend und seine Arme befühlend).
Leb ich noch? Bin ich gefangen?
So verschlang mich nicht der Strom?
Zanga! Zanga! O mein Elend!

Zanga (in seiner Haustracht, wie im ersten Aufzuge, tritt ein mit einer Lampe, die er hinsetzt).
Endlich wach! Der Morgen graut,
Und die Pferde stehn bereitet.

Rustan.
Unhold! Mörder! Schlange! Teufel!
Kommst du her, um mein zu spotten?
Sind gleich Vipern deine Haare,
Flammen deiner Augen Sterne,
Und ein Blitz in deiner Hand,
Doch, ein Sterblicher, Verlockter,
Will ich kühlen meine Rache,
Und der Dolch hier soll versuchen,
Ob dein Leib von gleichem Erz,
Als die Stirn, der Grimm, das Herz.

(Er hat den Dolch ergriffen, der neben seinem Bette hängt, im Begriff ihn zu schleudern.)

Zanga.
Hilfe! Weh, er ist von Sinnen!
Mirza! Massud! Hört denn niemand?

(Er entflieht.)

Rustan.
Er entfloh! Ich bin nicht machtlos,
Seine Macht nicht unbezwinglich!
Und nun fort aus diesen Räumen,
Rings umstellt mit Todesgrauen!

Nur noch erst verlöscht das Licht
Das mich kund gibt meinen Feinden.
(Er bläst die Lampe aus. Durch das breite Bogenfenster, das die größere Hälfte des Hintergrundes einnimmt, sieht man den Horizont mit den ersten Zeichen des anbrechenden Tages besäumt.)
Wo die Türe? Ist kein Ausgang
Aus den Schrecken dieser Orte?
Muß ich hier denn untergehn?
Horch! man kommt! So will ich teuer
Nur verkaufen dies mein Leben;
Tod empfangen, doch erst geben.
(Er ergreift den neben seinem Bett stehenden Säbel.)

(Massud und Mirza kommen. Letztere trägt eine hellbrennende Leuchte in der Hand.)

Rustan.
Ha, der König? und Gülnare?
Nicht der König! – Wär' es möglich?
Du scheinst Massud. – Mirza! Mirza!
Seid ihr tot, und bin ich's auch?
Wie kam ich in eure Mitte?
Sehe wieder diese Hütte?

Oh, verschwende nicht dein Anschaun,
Diese liebevollen Blicke,
An den Dunkeln, den Gefallnen!
Denn was mir die Liebe gibt,
Zahl ich rück mit blut'gem Hasse. –
Und doch nein, dich haß ich nicht!
Nein, ich fühl's, dich nicht. – Und dich nicht. –
Haß? – Oh, mit welch warmen Regen
Kommt mein Innres mir entgegen?
Hasse euch nicht! Hasse niemand!
Möchte aller Welt vergeben,
Und mit Tränen, so wie ehmals
In der Unschuld frommen Tagen,
Fühl ich neu mein Aug' sich tragen.

Mirza.
Rustan!

Rustan.
        Nein, bleib fern von mir!
Wüßtest all du, was geschehn,
Seit wir uns zuletzt gesehn.

Mirza.
Uns gesehn?

Rustan.
        Den Tagen, Wochen –

Mirza.
Wochen? Tagen?

Rustan.
        Weiß ich's? Weiß ich's?
Furchtbar ist der Zeiten Macht.

Mirza.
War's denn mehr als eine Nacht?

Zanga (in der Türe erscheinend).
Herr, befiehlst du nun die Pferde?

Mirza.
Ach, erinnre dich doch nur!
Gestern abends – Sag ihm's, Vater,
Mir wird gar zu schwer dabei.

Massud.
Gestern abends, weißt du nicht?
Wolltest du von uns dich trennen,
Du befahlst für heut die Pferde.
Es ist Tag, und sie sind hier.

Rustan.
Gestern abends?

Massud.
        Wann nur sonst?

Rustan.
Gestern abends? Und das alles,
Was gesehen ich, erlebt,
All die Größe, all die Greuel,
Blut und Tod, und Sieg und Schlacht –

Massud.
War vielleicht die dunkle Warnung
Einer unbekannten Macht,
Der die Stunden sind wie Jahre
Und das Jahr wie eine Nacht,
Wollend, daß sich offenbare,
Drohend sei, was du gedacht,
Und die nun, enthüllt das Wahre,
Nimmt die Drohung samt der Nacht.
Brauch den Rat, den Götter geben,
Zweimal hilfreich sind sie kaum.

Rustan.
Eine Nacht? und war ein Leben.

Massud.
Eine Nacht. Es war ein Traum.
Schau, die Sonne, sie, dieselbe,
Älter nur um einen Tag,
Die beim Scheiden deinem Trotze,
Deiner Härte Zeugnis gab,
Schau in ihren ew'gen Gleisen
Steigt sie dort den Berg hinan,
Scheint erstaunt auf dich zu weisen,
Der so träg in neuer Bahn;
Und mein Sohn auch, willst du reisen,
Es ist Zeit, schick nur dich an!

(Die durch das Fenster sichtbare Gegend, die schon früher alle Stufen des kommenden Tages gezeigt hat, strahlt jetzt im vollen Glanze des Sonnenaufganges.)

Rustan (auf die Knie stürzend).
Sei gegrüßt, du heil'ge Frühe,
Ew'ge Sonne, sel'ges Heut!
Wie dein Strahl das nächt'ge Dunkel
Und der Nebel Schar zerstreut,
Dringt er auch in diesen Busen,
Siegend ob der Dunkelheit.
Was verworren war, wird helle,
Was geheim, ist's fürder nicht.
Die Erleuchtung wird zur Wärme,
Und die Wärme, sie ist Licht.

Dank dir, Dank! daß jene Schrecken,
Die die Hand mit Blut besäumt,
Daß sie Warnung nur, nicht Wahrheit,
Nicht geschehen, nur geträumt;
Daß dein Strahl in seiner Klarheit,
Du Erleuchterin der Welt,
Nicht auf mich, den blut'gen Frevler,
Nein, auf mich, den Reinen fällt.

Breit es aus mit deinen Strahlen,
Senk es tief in jede Brust:
Eines nur ist Glück hienieden,
Eins, des Innern stiller Frieden,
Und die schuldbefreite Brust.
Und die Größe ist gefährlich,
Und der Ruhm ein leeres Spiel;
Was er gibt, sind nicht'ge Schatten,
Was er nimmt, es ist so viel.

So denn sag ich mich auf immer
Los von seiner Schmeichelei,
Und von dir, noch auf den Knien,
Fleh ich, Ohm, der Gaben drei.

Mirza.
Rustan! Vater!

Rustan.
        Erst verzeih!
Nimm, geneigt der heißen Bitte,
Wieder auf in deine Hütte
Den Verirrten, seine Reu'!

Mirza.
Hörst du, Vater?

Massud.
        Oh, wie gerne!

Rustan.
Dann gib dem Versucher dort,
Ihm, vor dem gewarnt die Sterne,
Gib die Freiheit ihm, gib Gold,
Laß ihn ziehn in alle Ferne!

Zanga.
Herr!

Rustan (zu Zanga).
        Ich will's! – Ich bitte, Vater!

Massud.
Du begegnest meinen Wünschen.
(Zu Zanga.)
Ziehe hin, denn du bist frei!
Nimm dir eins der beiden Pferde.
Was des Säckels Inhalt faßt,
Den ich gab als Reisezehrung,
Es sei dein, nur aber scheide!

Zanga.
Wirklich frei?

Massud.
        Du bist's!

Zanga (gegen Rustan).
                Was sag ich?

Rustan.
Zeig den Dank, indem du gehst.

Zanga.
Ich benütz die erste Freude.
Lebt denn wohl, ihr Guten beide!
Schöne Jungfrau, seid bedankt.
Und nun fort, durch Busch und Heide!

(Mit einem Sprung zur Türe hinaus.)

Rustan (der aufgestanden ist).
Nun zur letzten meiner Bitten!
Gestern abend, noch beim Scheiden,
Ließest du mich hoffen, glauben,
Daß hier diese, deine Tochter –

Massud.
Davon schweig, und sprich nicht weiter!
Dies mein Haus und jede Gabe
Teil ich mit dem Reu'gen gern,
Doch was mehr als Haus und Habe,
Meines Lebens tiefsten Kern,
Damit laß für jetzt mich sparen,
Bis die Zeiten offenbaren,
Ob, was floh, auf immer fern.

Rustan.
Oheim, wie? und du kannst zweifeln?

Massud.
Nicht, daß jetzo du so fühlst,
Doch vergiß es nicht, die Träume,
Sie erschaffen nicht die Wünsche,
Die vorhandnen wecken sie;
Und was jetzt verscheucht der Morgen,
Lag als Keim in dir verborgen,
Hüte dich, so will auch ich.

Rustan.
Oheim, höre!

Mirza.
        Hör ihn, Vater!

Massud.
Du auch trittst auf seine Seite?

Mirza.
Ist er doch so mild und gut.

(Leise Klänge lassen sich hören.)

Massud.
Horch!

Mirza.
        Mein Vater!

Massud.
                Leise Töne!

Mirza.
Sprich ein Wort!

Massud.
        Sie kommen näher.

(Zanga und der alte Derwisch gehen außen am Fenster vorüber. Der Alte spielt die Harfe, Zanga bläst auf der Flöte dazu. Es ist die am Ende des ersten Aufzuges gehörte Melodie.)

Massud.
Ist das Zanga nicht, der Schwarze?
Und der Greis an seiner Seite –

Rustan.
Weh! Entsetzen!

Mirza.
        Und warum?
Ist es doch der güt'ge Derwisch,
Er, der wundertät'ge Mann,
Der mit Raten und mit Lehren
Vatergleich an mir getan.

Rustan.
Nun hinab, ihr dunkeln Träume!
Vater, sprich ein gütig Wort!

Massud.
Schau, sie nahen, schau, sie kommen!
Neigen nun sich vor der Sonnen.

Mirza.
Vater! sprichst du nicht?

Massud (leise).
        Ei später!
Laß uns horchen jetzt. Nur leis!

Rustan (ebenso).
Aber dann –?

Mirza. (ebenso).
        Versprich es!

Massud.
                Stille!

Rustan und Mirza (sich umfassend).
Vater! Oheim!

Massud (noch immer nach außen hinhorchend, mit der linken Hand das Zeichen der Einwilligung gebend, leise).
        Ja doch; sei's!

(Die beiden sinken, ihn und sich umfassend, auf die Knie. Die Töne klingen noch immer fort.)

(Der Vorhang fällt.)


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