Franz Grillparzer
Der Traum ein Leben
Franz Grillparzer

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Dritter Aufzug

Offener Platz in Samarkand. Die ersten Kulissen des Vorgrundes bilden eine zeltartige Estrade, deren hintere Vorhänge offen sind. Rechts ist ein Sofa von Kissen angebracht, nach oben mit einem Baldachin, nach rückwärts mit einer herabhängenden Draperie geziert. Daneben ein Tischchen. Gegenüber auf der linken Seite ein größerer Tisch, dunkelrotbehangen.
Der Platz von außen ist mit Volk beiderlei Geschlechts besetzt. Jubelruf, kriegerische Musik, Truppenaufzüge.

Volk.
Heil dem Sieger! – Heil dem König!
Rustan! Rustan! – Hoch Gülnare!

(Der König kommt, zu beiden Seiten Rustan und Gülnare an der Hand führend. Reichgekleidete Große hinter ihm. Sie gehen in dem Raume außer dem Zelte quer über die Bühne und auf der linken Seite ab.)

Zanga (durch das Volk kommend, zu denen, die am Eingange des Zeltes stehen).
Platz da! Platz! Ich bin vom Hause!
(Er kommt nach vorn.)
Nun, bei Gott! Das geht vortrefflich!
Unser Rustan wirkte Wunder!
Tritt hervor aus jenem Wald,
Und der Ruf der Tat durchschallt
Rings das Land nach allen Seiten.
Nieder von den Bergen schreiten
Hirten, jetzt zum erstenmal,
Völker ohne Maß und Zahl,
Die sich sammeln, die sich scharen
Um den Retter in Gefahren.
Und der Feind, er steht verblüfft;
Ihm, der kam zu leichtem Krieg,
Dünkt der Rückzug jetzt schon Sieg.
Rasch wir nach, und weit und weiter!
Schon sind handgemein die Streiter.
Da sieht Rustan jenen Khan,
Der so überstolz getan,
Sprengt auf ihn, – zwar, wie mich dünkt,
Ist das just der Punkt, der hinkt –
Rustan stürzt. Allein, was tut's!
Unsre Völker, hohen Muts,
Sehen bange Zweifel schweben
Ob des Führers teurem Leben,
Dringen nach, und – sahst du's nicht!
Bald kein Feind mehr im Gesicht.
Also sich's begeben hat;
Ich bin selbst das Zeitungsblatt,
Schwarz gekommen schon zur Erden,
Darf's nicht erst durch Lügen werden.

Da kommt Rustan mit dem König,
Tut schon vornehm, blickt schon stolz.
Ei, umgüldet's nur ein wenig,
Dünkt sich Edelstein das Holz.

(Der König und Rustan kommen.)

König.
Hörtest du? vernahmst du? sahst du?
Ihres Mundes freundlich Lächeln,
Ihrer Rede Sommerfächeln,
Fühltest du den Druck der Hand?
Ja, Gülnare, meine Tochter,
Sinnt nicht länger Widerstand.
Freude, Wonne, sondergleichen!
Ihre Hand will sie dir reichen;
Und was an des Todes Toren
Ich mir selber zugeschworen,
Und was Nacht bisher verhüllt,
Glänzend, herrlich wird's erfüllt.
Du, an meiner Tochter Seite,
Sitzest auf der Väter Thron,
Breitest aus in alle Weite
Mit der Kriegsdrommete Ton
Dieses Landes Macht und Ruhm,
Noch vor wenig kurzen Tagen
Stolzer Nachbarn Eigentum.
Und sie zittern und sie beben
Vor dem Dräun der starken Hand,
Und des Ruhmes Säulen heben
Hoch den Thron von Samarkand.
Sieh dies Land, es ist das deine,
Sieh mein Selbst, es folgt dem Land;
Oh, des sel'gen Abends Scheine,
Da ich dich, den Retter fand! (Er setzt sich.)
Ich bin müd, bringt mir zu trinken,
Selbst die Freude schwächt die Kraft.
Alles scheint mir zuzuwinken:
Tu, was neu das Alte schafft.

Gebt mir Wein, die Zunge lechzet,
Und verschließt des Zeltes Hüllen.
Freuden, wie sie mich erfüllen,
Hegt man gern bei sich allein.

(Zanga gibt den Auftrag. Man geht um Wein. Die Vorhänge des Zeltes fallen herab.)

Rustan.
Wenn auch das, was ich getan,
Voll und wirklich Lohn erheischet,
Doch so übermäß'ge Gunst –

König (aufstehend).
Laß du über dem Geschick,
Auszugleichen Wert und Glück!
Wär's Verdienst denn, wenn der Regen
Niederträuft auf unsre Flur?
Ist Verdienst es, wenn der Leu,
Reichbegabt und stark und frei
Hineilt auf des Wildes Spur;
Wenn die kreisende Natur
Aus der Gaben Reichtum spendet,
Achtlos, wer ihn zu sich wendet?
Auch der Zufall will sein Spiel.
Nimm, was dein; und scheint's zuviel,
Dieses als zuviel Erkennen
Macht dich wert, es dein zu nennen.

Eins nur ist noch zu bericht'gen:
Rustan, alle, die ich fragte
Nach den Eltern, die du nanntest,
Nach den Deinen, deiner Abkunft,
Niemand will die Namen kennen,
Und den Stamm, das Volk, den Ort.

Zanga.
Ist's doch auch ein kleines Völkchen,
Seiner Herden Zucht ergeben,
Und da sie nomadisch leben,
Kommt's heut an, zieht morgen fort.

Rustan.
Dann, o Herr, wenn erst das Was
Des Geschehnen klar und deutlich,
Forscht man viel noch hinterher
Um das Wie und um das Wer?

König.
Du hast recht! und wer auch immer,
Bist du immer doch derselbe,
Der mein Land, mein Volk befreit;
Der an jenem grausen Morgen
Meiner Tage Rest geborgen,
Dessen Mute, dessen Schlag
Jenes Untiers Grimm erlag.
Bist derselbe, und bist's nicht;
Und wenn nicht, mir so viel teurer,
Als mir teuer dies dein Selbst.

Wenn ich dich so vor mir sehe,
Hochgewachsen, stark und kühn,
Mit der hellen, klaren Stimme,
Freu ich doppelt mich und dreifach,
Daß du anders, als ich damals
In der Sinne wirrem Wanken,
Mehr ein Wahnbild der Gedanken,
Meines Retters Bild gesehn.
Du schienst damals klein und bleich,
Eingehüllt in braunen Mantel,
Und die Stimme scharf und schneidend –

(Man hört aus der Ferne Gemurmel von Stimmen, dazwischen klagend ausgestoßene Laute.)

König.
Welch Geräusch? – Seht zu, was ist.
(Es geht jemand.)
Widerlich stört's meine Rede,
Und dazwischen Klagetöne,
Fast wie jene – (Zu Rustan.) Warst du damals
Auch mit diesem ganz allein? (Auf Zanga weisend.)
War kein dritter, war kein andrer
Neben dir?

Rustan.
        Nur er und ich.

König.
Eine Stimme, dumpf und schaurig,
Die ich früher schon gehört,
Sonst im Leben schon vernommen,
Schien da in mein Ohr zu kommen,
Wie ich lag von Angst betört.
Du standst damals –

Rustan.
        Herr, am Felsen.

Zanga.
Oben, oben, auf dem Felsen.

König.
Oben, recht! Je mehr ich sinne,
Um so widerlicher wird's.
Auf dem Felsen, klein und bleich,
Eingehüllt in braunen Mantel,
Und die Stimme –

(Die vorigen Klagelaute wiederholen sich.)

König.
        Pfui des Lauts!
Schafft sie fort, die ekle Stimme,
Die Erinnerung mit ihr.

(Zanga geht ab.)
(Ein Diener hat Wein gebracht.)

König.
Hier ist Wein. Komm, laß uns trinken!
Weg es waschen dieses Bild!
Was ich damals dumpf geträumt,
Lieblich hat's den Platz geräumt
Dem Erfreulichen, dem Wahren.
Wo sich Götter offenbaren,
Kündigt sie ein Schauder an,
Daß, wenn ein die Mächt'gen fahren,
Schon die Pforten aufgetan.
Hier ist Wein. Komm, laß uns trinken!
Und noch diesen Abend sollen
Laute Zimbeln und Trommeten
Hoch von dieser Feste Türmen
Es in alle Lüfte stürmen,
Daß du Erbe mir und Sohn.
Ja, du Edler, ja, du Guter,
Schutzgeist, Lebensretter du,
Sieh dein Vater trinkt dir's zu!

(Indem er den Becher emporhebt und Rustan sich vor ihm auf ein Knie niederläßt, kommt Zanga eilig zurück; hart hinter ihm ein Kämmerling.)

König (einhaltend).
Was begab sich?

Zanga (zu Rustan leise).
        Herr, nur Mut!

König.
Soll ich länger noch erwarten –?

Kämmerling.
Herr, die Stadt beinah in Aufruhr.

König (den Becher abgebend).
Aufruhr? Torheit! Und warum?

Kämmerling.
Herr, die Wellen des Tschihun,
Die an unsern Mauern nagen,
Haben auf den flachen Sand
Eines Mannes Leib getragen,
Der durch Mord sein Ende fand.

König.
Laßt sie das dem Richter klagen!

Kämmerling.
Und der Mann, er ward erkannt
Als derselbige mit jenem,
Den, aus deiner Kämmrer Scharen,
Nie hat man den Grund erfahren,
Du vorlängst vom Hof verbannt.

König.
Wohl, ich weiß. – Doch diese Laute?
Schaurig, widrig, wirren Klanges –?

Kämmerling.
Herr, es ist sein alter Vater,
Den du kennst, der stumme Mann;
Eine Schrift in seinen Händen,
Fleht er um Gericht dich an.

König.
Wohl, es sei ihm, doch er schweige!
Rustan!

Rustan.
        Herr!

König.
                Du kanntest nie
Jenen Mann, der nun getötet?

Rustan.
Herr, so meinst du –?

König.
        Nun, nur Gutes.
Doch die Stimme, deren Klang
Damals mir zu Ohren drang,
Als du mich befreit beim Jagen,
Schien des Manns, der nun erschlagen.
Es kommt näher, wächst im Raum,
Wie ein halbvergeßner Traum.

Und wen klagt man an als Täter?

Kämmerling.
Herr –

König.
        Du zögerst?

Kämmerling.
                Wag ich's?

König.
                        Sprich!
Wen zeiht man des Mordes?

Kämmerling.
        Dich!

König.
Mich? Ha Torheit und Verrat!
Nicht nur ein Sinn fehlt dem Alten,
Alle fehlen in der Tat.
(Die Vorhänge auseinanderschlagend.)
Komm herein, du Mann der Torheit,
Stumm an Zunge, an Verstand,
Und beweise deine Klagen,
Oder stirb von meiner Hand!

(Der alte Kaleb, grau gekleidet, mit schwarzem Überwurf, weißem Bart und Haar, tritt, von Karkhan geleitet, eine Schrift emporhaltend, ein und wirft sich vor dem Könige nieder, wobei er, nach Art der Stummen, unartikulierte Laute ausstößt.)

König.
Nicht berühre meine Kleider,
Bis du Widerruf getan.

Zanga (leise).
Herr, was dünkt euch?

Rustan.
        Harr und schweig!

Zanga.
Diesen Mann sah ich schon früher.
Gleicht er nicht –?

Rustan.
        Ob auch! Wem immer!
Laß uns hören, was er bringt.

König (dem der Alte eine Schrift emporgereicht hat).
Was soll ich mit diesen Zeilen?
Zorn quillt mir im Auge heiß.
(Zu dem Führer des Greisen.)
Bist du einer, der da weiß?

Karkhan.
Seinem Hause nah verwandt.

König.
Nun, so sprich, was dir bekannt.

Karkhan.
Was man sagt, nicht was ich meine.
Jenen Toten, dir bewußt,
Fanden wir im Abendscheine,
Einen Dolch in seiner Brust.
Und der Dolch – er war der deine.

König.
Mein Dolch? Wie? (Seinen Dolch halb ziehend.)
        Hier ist mein Dolch.

Karkhan.
Jenen Dolch, den du beim Jagen
Pflegtest in dem Gurt zu tragen,
Und auch trugst zu jener Zeit,
Da ein Wunder dich befreit.

König (zu Rustan tretend, halblaut).
Rustan, dir gab ich den Dolch,
Der im Wahnwitz der Gefahr
Meiner Hand entfallen war.
Bring ihn her! Gib mir ihn wieder!
Du entfärbst dich? – Rustan! Rustan!
Jener Mann, den sie beschrieben,
Ward durch mich vom Hof vertrieben,
Weil sein Trachten, frech gesinnt,
Sich erhob zu meinem Kind.
Also denn dein Nebenbuhler!
Rustan! Rustan! Und die Stimme,
Die von jenem Felsen sprach,
Und nun auftaucht, hell und wach,
Sie glich jenes Mannes Stimme,
Der nur jetzt des Mörders Grimme,
Unbekanntem Tod erlag.
Rustan, gib den Stahl mir wieder. (Laut.)
War's ein Dolch mit grünen Steinen?

Karkhan.
Mit Smaragden reich besetzt;
Tief im Busen eingetrieben,
Wo er graß zusammenhielt
Den durchnäßten braunen Mantel.

König.
Braunen Mantel? – Stand am Felsen
Bleich und hager – du standst seitwärts.
Oben er, und schoß – Wer traf?
Rustan, Rustan! – Sprich nicht jetzt!
Nicht ein Wort, das dich gereuet.
Ich will hin, den Toten sehn,
Du magst nach dem Dolche gehn.

Alter, folg! und folget ihr! (Zu Rustan tretend.)
Auf! zerstreue diese Wolke!
Denn Rechtfert'gung schulden wir,
Ich, der Fürst, dem ganzen Volke,
Du, der Sohn und Bürger, mir.

(Er geht, von Kaleb und seinem Gefolge begleitet ab.)


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