Franz Grillparzer
Der Traum ein Leben
Franz Grillparzer

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Zanga.
Herr, was nun?

Rustan.
        Das fragst du mich?
Du, der sonst so überreichlich
Mittel wußte, Kniffe, Ränke,
Der mich bis hierher geleitet;
Losgerissen von der Heimat,
Mich die Würfel hieß ergreifen
Zu des Glückes falschem Spiel?
Dessen Zunge Schmeichellaut
Ich, ein Törichter, vertraut;
Der mit Lügen und mit Leugnen
Mich verlockt, mir anzueignen,
Was ein anderer getan;
Abgelockt mich von der Bahn,
Von der ebenen, geraden,
Von des Ruhmes goldnen Pfaden.

Zanga.
Ebnen Pfaden? Schöner Wahn!
Ach, verzeiht zu hohen Gnaden,
Fast kommt mir ein Lachen an:
Wackre Faust und schlichter Geist
Fördern auch und bringen weiter,
Etwa zu 'ner Fahne Reiter,
Einer Hauptmannsstell' zumeist,
Läßt mit halbzerschoßnen Knochen
Magre Gnadensuppen kochen.
Aber wen es höher treibt,
Auf zu Glückes reichern Spenden,
Wenn auch der im Fußweg bleibt,
Mag er nur die Schritte wenden.
Ich stellt' Euch mit einem Ruck,
Sei's im Guten, sei's im Schlimmen,
Auf des Berges höchsten Hang,
Dessen Mitte zu erklimmen
Ihr gebraucht ein Leben lang.

Rustan.
Und nun gähnt der Untergang!

Zanga.
Pah! und was ist auch verloren?
Wenn Ihr nicht die Schlange schlugt,
Habt Ihr doch den Feind geschlagen,
Allen ihren künft'gen Tagen
Heil gebracht und Sicherheit.
Habt Ihr nicht das Heer für Euch?
Flüchtet Euch in ihre Reihen,
Die Euch kühn gefolgt im Streit;
Mag dann dieser König dräuen,
Und wer weiß, wer noch gebeut.
Herr, nur Mut! Dort seh ich zwei
Von den Führern unsers Heeres.
Wie sie lauern! wie sie spähn!
Bleibt nur hier und harrt der Dinge,
Ich will mal sie prüfen gehn.

(Er geht nach dem Hintergrunde auf den Halbkreis von Menschen zu, die dort zurückgeblieben sind.)

Rustan.
Folg ich ihm? benütz ich eilend
Die Gelegenheit der Flucht?
Schändlich! Niedrig! Greulich! Greulich,!

Nicht daß ich den Mann erschlug.
Hab ich ihm den Tod gegeben,
War's, verteidigend mein Leben,
War's, weil jener Brücke Pfad,
Schmal und gleitend wohl genug,
Einen nur von beiden trug.
War's, weil er mit gift'gem Hohn
Lauernd seine Tat versteckte,
Und die Hand erst nach dem Lohn,
Dem bereits gegebnen, streckte.
War es, weil – muß ich's denn sagen
Er und ich zwei Häupter tragen,
Und dies Land nur eine Kron'.
Es geschah. Allein, wenn nicht,
Ständ', genüber seiner Tücke,
Jetzt ich auf der Schauerbrücke,
Es geschähe jetzt, wie da.
Doch, daß nach durchfochtnem Krieg,
Da mein Stern zum Scheitel stieg,
Ich, verklagt, soll Antwort geben
Über ein so niedrig Leben,
Dafür tröstet mich kein Sieg.

Oh, hätt' ich, o hätt' ich nimmer
Dich verlassen, heimisch Dach,
Und den Taumelpfad betreten,
Dem sich Sorgen winden nach.
Hätt' ich nie des Äußern Schimmer
Mit des Innern Wert bezahlt,
Und das Gaukelbild der Hoffnung
Fern auf Nebelgrund gemalt.
Wär' ich heimisch dort geblieben,
Wo ein Richter noch das Herz,
Wo kein Trachten ohne Lieben,
Kein Versagen ohne Schmerz!

Ha, und doch! zurück es lassen,
Was mir anbeut das Geschick?
Diese Stadt mit lauten Gassen,
Eines Reiches fürstlich Glück?
Wornach heiß mein Wunsch getrachtet,
Leibhaft, wirklich, schau ich's an
Und beim Griff der Hand umnachtet
Mich ein gaukelhafter Wahn?
Standen nicht der Vorzeit Helden
Oft auf gleicher Zweifelbahn?
Tu's! ließ Geist und Mut sich hören;
Tu's nicht! rief das Herz sie an;
Und sie ließen sich betören,
Um den Zaudrer war's getan;
Oder taten's, und wir schwören
Nun bei dem, was sie getan.

Ich will harren, ich will bleiben,
Gähnte weit des Todes Schlund;
Und wer's wagt, mich zu vertreiben,
Stehe fest auf seinem Grund.

(In einer Öffnung des Halbkreises, den die in der Ferne stehenden Menschen bilden, wird Zanga sichtbar.)

Rustan.
Zanga! Zanga!

Zanga (kommt nach vorn, von einem graugekleideten alten Weibe gefolgt, das einen Becher trägt).
        Fort, du Hexe!

Die Alte.
Zanga, komm! gib's deinem Herrn!

Zanga.
Laß mich! Laß mich!

Die Alte.
        Böser Diener!
Sorgst du nicht um deinen Herrn?

Rustan.
Was ist das?

Zanga.
        Weiß ich es selber?
Sie verfolgt mich mit dem Becher,
Nennt's ein Mittel, nennt's Arznei.

Die Alte.
Wohl Arznei! Du böser Diener!
Nimm es nur, gib's deinem Herrn!

Zanga.
Laß mich, laß!

Rustan.
        Wer sendet sie?

Die Alte.
Ich mich selbst, mein schöner Herr!
Du bist krank; sieh, das erfuhr ich –

Rustan.
Krank?

Die Alte.
        Ei, Sohn! Bedenklich krank!
Wie glimmt wild dein dunkles Auge,
Wie zuckt gichterisch der Mund!
Gib die Hand mir, reich den Arm,
Und ich deute dir dein Fieber.

Rustan.
Laß!

Die Alte.
        Wohl krank! ansteckend krank!
Einer starb schon, der dir nahte,
Draußen liegt er auf dem Sand.
Und der König fürchtet auch wohl,
Daß dein Übel ihn ergreife,
Darum harrt er, weilt mit Vorsatz,
Will dir Zeit, mein Söhnlein, geben,
Zu entweichen, zu entfliehn.

Rustan.
Zanga!

Die Alte.
        Nun! Nur nicht verzagt!
Sieh, mein Sohn, hier ist ein Mittel,
Sieh den glimmernd schäum'gen Saft.
Kaum benetzt er deine Lippen,
Sinkt die Brandung ebbend nieder,
Lösen sich die müden Glieder,
Schweigt der Schmerz, erlischt der Tag,
Zürne dann, wer zürnen mag!

Rustan.
Greulich! Greulich!

Die Alte.
        Ei, ich seh wohl,
Dich erschreckt des Trankes Anblick,
Weil er gar so brausend zischt.
Ei, das gibt sich, ei, das legt sich,
Wie Begeisterung der Jugend.
Auch, mein Sohn, in Wein gegossen,
Wirkt ein Tropfen wie das Ganze.
Hier steht Wein. Ha, und der Becher,
Sieh! wie gleicht er hier dem meinen.
Nun, ich mische dir den Trank.

(Sie nähert sich dem Tischchen neben dem Ruhebette, auf dem des Königs Becher steht.)

Rustan (sie anfassend).
Halt! – Und Zanga! – Laß den Vorhang
Laß des Zeltes Vorhang nieder!

(Zanga zieht den Vorhang, er schließt sich.)

Die Alte.
Hi, hi, hi! Warum den Vorhang?
Warum Decken denn und Hüllen,
Wenn wir Rechtes nur erfüllen?
Ei, du möchtest wohl den Trank,
Aber auch, daß man dich zwänge!
Ei, ich zwinge niemand, Sohn!
Bietend reich ich meine Gaben,
Wer sie nimmt, der mag sie haben.
Und so stell ich hin den Becher,
Der dich reizt, und der dich schreckt.
Wird dein Übel, Söhnlein, schlimmer,
Weißt du, was dir Heilung weckt.
Doch nicht bloß an dich gebunden,
Andern auch hilft dieser Trank,
Macht die Kranken schnell gesunden,
Die Gesunden freilich krank.
(Sie hat den Becher auf den links stehenden Tisch gestellt.)
Nun, mein Söhnlein, Gott befohlen!
Ohne Abschied, ohne Dank!

Rustan (der mit gesenktem Haupte sinnend im Vorgrunde gestanden, fährt jetzt empor und faßt die Alte an).
Halt! und nimm zurück den Becher,
Nimm zurück ihn, deinen Trank!

(Er ergreift den auf dem Tischchen rechts stehenden Becher und drückt ihn der Alten in die Hand.)

Die Alte.
Hi, hi, hi! Hast dich vergriffen!
Dort steht er, der edle Trank.
Das hier ist ja Saft der Trauben.
(Sie trinkt.)
Wie das labt – wie das erquickt!
(Den Becher umwendend.)
Leer und aus! – Nu, dir zum Heile!
Und den Becher mir zum Lohn.
(Sie steckt den Becher in ihr Gewand.)
Wohlgemut, mein teurer Sohn.
Nicht die Hand vors Aug' geschlagen!
Was dir kommt, das mußt du tragen,
Eine Leiche, auf dem Thron.
Bist nun deines Schicksals Meister,
Sprichst ein Wort im Rat der Geister,
Trägst dein eigen Los davon.

Horch! man kommt. Nun, ich will gehen.
Unbesorgt! Sie sehn mich nicht.
Ob gleich alle zu mir flehen,
Scheut doch jeder mein Gesicht.
Sieh dort offen eine Spalte
In des Zeltes dünner Wand,
Raums genug für eine Alte.
Nun, mein Sohn, die Zukunft walte!
Glück, Entschlossenheit, Verstand!

(Sie hinkt nach der rechten Seite des Zeltes und zieht sich hinter die Umhänge des dort stehenden Ruhebettes zurück, blickt noch einmal, die Vorhänge aufhebend, hervor und wird dann nicht mehr gesehen.)

Rustan.
Sieh! wo kam sie hin, die Alte?

Zanga.
Herr, ich weiß nicht. Sie entschwand.
War's dort durch des Umhangs Spalte,
War's – mir bleibt es unerkannt.

Rustan.
Schweig, und gib das Tuch.

(Auf ein dunkelrotes Tuch zeigend, das Zanga lose um den Hals geschlungen trägt.)

Zanga.
        Das Tuch?

Rustan.
Wohl, das Tuch – so! – und nun stille!

(Er hat das dunkelrote Tuch über den gleichbehangenen Tisch links und den darauf stehenden Becher gebreitet und steht in banger Erwartung.)
(Die Vorhänge des Zeltes tun sich auf. Der König tritt ein, hinter ihm Kaleb, Karkhan und zwei Begleiter.)

König.
Du noch hier?

Rustan.
        Wo sonst, mein König?

König.
Nun, ich dachte dich entfernt.
Geht, ihr andern. (Zu Kaleb.) Du nur bleib!

(Das Gefolge entfernt sich, die Vorhänge des Zeltes werden geschlossen.)

König (der einem der Abgehenden den braunen Mantel und den Dolch abgenommen hat, die dieser trug, den Mantel auf den Boden hinwerfend).
Rustan! kennst du diesen Mantel?
Diesen Mantel, diesen Dolch?

Rustan.
Schlecht versteh ich mich auf Kleider;
Doch auf Waffen gut, du weißt's.

König.
Nun denn: kennst du diese Waffe?

Rustan.
Wohl; es ist derselbe Dolch,
Den du einst verlorst beim Jagen.

König.
Ich verlor? Den ich dir gab.

Rustan.
Ja, nachdem du ihn verloren,
Und ich ihn gefunden, Herr;
Wie ihn wohl ein andrer fand,
Als ich selbst ihn drauf verloren.

König.
Du verlorst ihn?

Rustan.
        Wohl.

König.
                Ein andrer
Fand ihn?

Rustan.
        Also scheint's.

König.
                Und tat
Jener andre das Verbrechen,
Das laut aufmahnt, es zu rächen?

Rustan.
Laß mich Herr, von dem nur sprechen,
Was ich selber tat und weiß.

König.
Und der Mantel?

Rustan.
        Herr, ich sagt' es:
Schlecht versteh ich mich auf Kleider.

König.
Doch die Züge jenes Toten,
Sie sind auch des Mannes Züge,
Der mich auf der Jagd befreit.

Rustan.
Du warst damals kaum bei Sinnen,
Erst nur hast du's selbst bekannt.

König (die Schrift emporhaltend, die ihm Der alte Kaleb gab).
Und die Schrift hier sagt so vieles,
Zeigt, wie dem so graß Verblichnen
Hohes Unrecht ich getan.

Rustan.
Tatst du dem Verblichnen unrecht,
Tu nicht Gleiches dem Lebend'gen.
Was soll mir die tote Schrift?
Laß dir meine Taten sprechen!
Wer schlug jene blut'ge Schlacht,
Die dir Heil und Sieg gebracht?
Wer befestigte die Krone,
Halb von einem Feind geraubt,
Wieder dir auf deinem Haupt?
Dankst du's nicht, wenn du noch dräust,
Dem Bedrohten, mir, zumeist?
Ha, ich find es wohl bequem,
Dadurch sich den Dank zu sparen,
Daß dem Retter, daß wir dem,
Durch den Heil uns widerfahren,
Häufen auf des Vorwurfs Last;
Den Berechtigten, mit Lachen,
Zum Verpflichteten uns machen.
König, mir gib erst mein Recht!
Was geschehn an jenem Knecht,
Laß uns künftig sehn und rächen.
Jetzt erst halte dein Versprechen,
Gib, was du mir zugesagt!

König.
Halt! Was damals ich versprach,
Zogen andre Gründe nach!
Wer mein Höchstes sein will sehn,
Muß, ein Reiner, vor mir stehn.
Reine dich vor meiner Macht!
Noch hat niemand es erfahren,
Was dich drücket für Verdacht;
Zeit geb ich dir diese Nacht
Mit dir selbst zu Rat zu sitzen,
Was dir frommen mag und nützen.
Aber bricht der Morgen an,
Ohne daß du's dargetan,
Samml' ich einen andern Rat
Aus den Besten meines Heeres;
Der soll sitzen und entscheiden,
Wer im Recht ist von uns beiden.
(Er wendet sich von ihm; zu Kaleb.)
Alter, komm! Ich will nun lesen
Deine Schrift, so weit sie geht.
Was dein armer Sohn gewesen,
Zeigt sie deutlich – nur zu spät.
(Am Sofa rechts stehend.)
Doch erst geh nach Licht und Wein.
Es wird dunkel, und mich dürstet.
Hier ließ ich, da erst ich ging,
Stehen einen vollen Becher,
Einen Becher Freudenwein.
Sog ihn denn der Boden ein?
Zwar, die Freude ist vergangen,
Und verging denn auch der Wein?


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