Franz Grillparzer
Der Traum ein Leben
Franz Grillparzer

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Rustan (leise).
Kohlen, Zanga, glühnde Kohlen!

Zanga (ebenso).
Laßt die Furcht den Henker holen!

Gülnare.
Doch du sprichst nicht? Doch du schweigest?

Rustan (auf die Knie stürzend).
Herrin, oh, ich bin vernichtet!

König (entschuldigend zu Gülnare).
Wohl das Neue unsers Anblicks –

Gülnare.
Laß ihn, Vater! Es erquickt mich,
Einen Mann beschämt zu sehn!
Oh, ich sah sie brüstend gehn,
Mit gedunsnen Worten prahlend,
Mit Versprechen Taten zahlend,
Doch kam der Erfüllung Zeit,
Wie war Held und Tat so weit!
Dieser kommt uns, als von oben,
In der Stunde der Gefahr,
Tut, was seiner würdig war,
Und verstummt, wenn wir ihn loben.
Vater, sag es selbst! fürwahr,
Stellt er nicht die Zeit dir dar,
Nicht die Zeit, die einst gewesen,
Und von der wir staunend lesen,
Wo noch Helden höhern Stammes,
Wo ein Rustan weltbekannt
In der Parsen Fabelland –

Zanga.
Rustan ist auch er genannt.

Gülnare.
Rustan! Hörst du, Vater? Rustan!
Oh, die Zeiten sind noch immer,
Wo, wenn Menschenkräfte enden,
Götter ihre Hilfe senden.
Er kommt uns von ihrer Hand.
(Zu ihrem Vater.) Und so wird gefaßt dich finden,
Was soeben Boten künden:
Jener blut'ge Khan von Tiflis,
Mein Bewerber und mein Feind,
Hat in mächt'gen Heeres Mitten
Unsre Grenzen überschritten,
Hundert Völker stolz vereint,
Weil er hilflos uns vermeint.
(Auf Rustan zeigend.) Hier die Hilfe! Hier der Hort!
Stell ihn an der Treuen Spitze,
Laß ihn tragen deine Blitze,
Mut sein Atem, Tat sein Wort;
Und die Deinen, neu ermutet,
Sehn mit Neid, wenn einer blutet,
Und sein Beispiel reißt sie fort.
(Zu Rustan.) Sei mein Schützer, sei mein Retter,
Banne diese dunkeln Wetter,
(Nach und nach langsamer sprechend.)
Und der glänzend neue Tag
Bringt dir dar, was er vermag.

König (halblaut).
Sprichst du doch, als hättest du
Sie vernommen, die Gelübde,
Die ich tat in der Gefahr.
Dem Erretter, käme Rettung,
Schwur ich, nichts, ich nichts zu weigern,
Und wenn es das Höchste war.
Du errötest, du verstehst mich.

Gülnare.
Vater, komm und laß uns gehn.

König.
Nun so karg, und erst so warm!
Warst du hier an meiner Stelle,
Dünkte jeder Lohn dir arm.

Gülnare (nach rückwärts gewendet, wie ablenkend).
Und wo ist, wo ist die Stelle,
Die so vieles mir gedroht?

König.
Dort kam ich, und floh den Tod,
Jene Schlange mein Gefolg',
Keine Wehr als meinen Dolch.

Zanga.
Seht, hier liegt er noch am Boden,
Reich besetzt mit edlen Steinen.

(Er hebt den Dolch auf und gibt ihn seinem Herrn, der ihn dem Könige überreicht.)

König (mit ablehnender Gebärde).
Zähl, was mein ist, zu dem Deinen.
Zahlt' ich mit so armen Steinen
So beglückenden Erfolg?
Dort kam ich, und dort die Schlange;
Dieser Mann – (Auf Rustan zeigend.)

Zanga (am Boden den Platz bezeichnend).
        Hier stand er, hier.

König.
Nein, du irrst, er stand dort oben,
Eingehüllt in braunen Mantel.

Rustan.
Zanga! Zanga!

Zanga.
        Heißer Tag!

König (auf Zanga).
Erst warfst du, allein du fehltest,
Dann schoß er, die Schlange lag.
In der Sinnenkraft Vergehen
Hab wie träumend ich's gesehen.
Du standst hier, und er stand dort,
Und war bleich und schien viel kleiner,
Wohl gebückt zum Wurf sich neigend.
Wo auch blieb der braune Mantel?

Zanga.
Irgend dort wohl in den Sträuchen.

Rustan (leise).
Zanga, Zanga!

Zanga.
        Mut, nur Mut!

König.
Nun genug, und damit gut!
Dort auf jener Klippe Zinnen
Soll ein Tempelbau beginnen
Dem, der waltend niederblickt,
In der Not den Retter schickt.
Tochter, komm!

Gülnare (zu Rustan).
        Du folg uns bald!
(Gehend und vor der getöteten Schlange zurückschaudernd.)
Oh, des Anblicks Nachtgewalt
Übt von neuem seine Rechte.
Oh, verzeih es dem Geschlechte,
Das der Seele Kraft bezwingt,
Kindisch solche Schauer bringt.

König.
Reich den Arm ihr, gib die Rechte.

Gülnare.
Vor dem Toten schütze mich,
Lebt' es noch, ich zagte nicht.

(Sie stützt sich auf Rustans Arm. Alle bis auf Zanga ab.)

Zanga (ihnen nachschauend).
Das geht gut, bei meiner Treu!
Das Prinzeßchen hat gefangen.
Tat zwar noch ein bißchen scheu,
Kämpft noch Stolz mit dem Verlangen.
Wie sie fest an ihm sich hält.
Nun ein Graben – Hupp! gesprungen!
Ha, sie gleitet, strauchelt – fällt?
Nein, er hat sie rasch umschlungen.
Nichts so köstlich in der Welt,
Als wenn eins das andre hält.

Rustan (zurückkommend).
Zanga, Zanga! Ich bin selig!

Zanga.
Ei, es geht? nicht wahr? es geht!

Rustan.
Und nun komm! Dort deinen Bündel,
Wirf ihn in den nächsten Fluß.
Nichts laß unsern Stand verraten,
Wir sind Kinder unsrer Taten,
Und nach aufwärts strebt der Fuß.
Komm nur, komm!

Zanga.
        Doch früher, Herr,
Laßt die Gegend uns durchspüren,
Ob nicht jener Mann vom Felsen –

Rustan.
Zanga, ich hab's überdacht;
Jener Mann war kein Lebend'ger!
Bote einer höhern Macht,
Kam er in des Schreckens Nöten,
Um zu treffen, um zu töten,
Und entschwand, da er's vollbracht.

Zanga.
Nun, der Dank wär' abgemacht!

Rustan.
Laß ihn Mensch auch sein, wie wir,
Kommen, und sich stellen mir;
Will mit Gold ihn überhäufen,
Fülle auf ihn niederträufen,
Groß ihn machen, groß und reich,
Wenn auch nicht dem Geber gleich,
Stellen auf des Glückes Zinne,
Und wer wirft mir Unrecht vor?
Zanga, denn, was ich gewinne,
Ist nicht das, was er verlor.
Laß ihn tun sie, jene Tat,
Bittend dann nach Lohn sich wenden,
Man gibt Gold mit spröden Händen,
Und er geht, wie er genaht.
Doch bei mir, mit mir war's anders:
Unerklärt, ein dunkles Etwas,
Zog des Vaters, zog der Tochter –
Oh, des Weibs voll hehrem Sinn!
Beider Blicke nach mir hin.
Gleich gilt nicht von gleichem Scheine,
Und ich nehme nur das Meine.
Komm und fort, dem Glücke nach!
Heut ums Jahr ist auch ein Tag.

Zanga.
Herr, ach Herr!

Rustan.
        Was ist?

Zanga.
                O schaut!

(Der Mann, dessen Wurf die Schlange getötet, ist hinter dem Felsen hervor und in den Vorgrund rechts getreten. Er hat den ihn umhüllenden braunen Mantel auf die Moosbank gelegt, und steht nun in kurzem schwarzem Leibrocke, nackten Armen und Beinen, mit schwarzem Bart und Haar, das Antlitz leichenblaß, da.)

Rustan.
Ha! wie mir's im tiefsten graut!

Zanga.
's ist derselbe, dessen Speer
Jenes Tier, vom Felsen her –

Rustan.
Unheil! nie dein Köcher leer?

Der Mann vom Felsen (ist einige Zeit, unbeweglich vor sich hinschauend, auf der Moosbank gesessen, jetzt neigt er sich zur Quelle und trinkt).

Zanga.
Herr, er lebt! ist leibhaft, trinkt!

Rustan.
Meines Traums Gebäude sinkt.
Zanga!

Zanga.
        Herr?

Rustan (die Hand am Dolche).
                Ist's nicht Osmin?
Der Verweichlichte, Verwöhnte,
Der mich jüngst beim Jagen höhnte?

Zanga.
Seht doch nur den Bart, das Haar.

Rustan.
Du hast recht, und es ist wahr.
Aber erst nur glich er ihm.
Jeder Blick, mit neuer Lüge,
Zeigt mir anders seine Züge.
Was je greulich und verhaßt,
All in sich sein Anschaun faßt.

Der Mann (richtet sich empor, legt den zusammengefalteten Mantel über den Arm, und macht sich gefaßt, quer nach dem Hintergrunde zu, fortzugehen).

Zanga.
Schaut, er geht.

Rustan.
        Nicht so! Und halt!
Steht mir Rede! Wohin geht Ihr?

Der Mann vom Felsen (mit klangloser Stimme).
Hin nach Hofe, vor den Thron.

Rustan.
Was dort suchend?

Der Mann vom Felsen.
        Meinen Lohn.

Rustan.
Lohn? Wofür?

Der Mann vom Felsen (auf das erlegte Tier zeigend).
        Für meine Tat.

Rustan.
Deine? – Meine! – Unsre Tat!

Der Mann vom Felsen.
Arme Schützen! Ha, ha, ha!
Lernt erst treffen! Arme Schützen!

        (Zum Fortgehen gewendet.)

Rustan.
Halt, noch einmal! Er, der König,
Dankbar dir für dein Bemühn,
(Den Dolch des Königs aus dem Gürtel ziehend.)
Sendet dir dies edle Kleinod,
Diesen reich besetzten Dolch,
Wo des Demants klares Scheinen –

Der Mann vom Felsen.
Zahlt Ihr mit so armen Steinen
So beglückenden Erfolg?

Rustan.
Nun, der Dolch hat eine Spitze,
Sie auch zahlt.

Der Mann vom Felsen.
        Ei ja! Ja doch!

Rustan.
Scheusal! Teufel! Greulich Untier!
Zieh nicht deine grimmen Fratzen,
Denn der Dolch in meinen Händen
Zuckt und mahnt mich, rasch zu enden.
Zanga!

Zanga.
        Herr?

Rustan.
                Sieh hin! Nur hin!
Gleicht er wieder nicht Osmin?
Wenn er grinset, wenn er lacht.

Zanga.
Fassung, Herr! Und kühl bedacht!

Rustan.
Nun, es sei! Ich will mich fassen.
Mensch, was willst du? was begehrst du?
Geizest du nach Reichtum, Schätzen?
Will dich in ein Goldmeer setzen,
Gießen aus ob deinem Haupt,
Was die Welt das Höchste glaubt.
All dein Wünschen, dein Verlangen,
Eh's zu keimen angefangen,
Soll's verwirklicht vor dir stehn,
Sollst du's reif in Garben sehn.

Der Mann vom Felsen.
Langes Rinnen trübt die Welle –
Ich trink gerne aus der Quelle.

Rustan (vor ihm niederstürzend).
Sieh mich denn zu deinen Füßen,
Sieh ein flehendes Geschöpf.
Heut zu allen künft'gen Tagen
Hat des Glückes Stund' geschlagen;
Geh und schreite über mich,
Tritt ein Dasein unter dich!

Der Mann vom Felsen.
Willst mit andrer Taten prahlen,
Willst mit fremdem Golde zahlen?
Glück und Unrecht? Luft'ger Wahn!
Rühm dich des, was du getan!

(Er geht nach dem Hintergrunde, indem er den Mantel wieder um die Schultern wirft.)

Rustan (nach vorn kommend).
Er hat recht, und ich will fort.
Zanga, komm! Wir kehren heim.
In der Nahverwandten Mitte
Sei das Glück der ersten Schritte,
Sei die Schmach – Und dennoch! Nein!
Nein, es darf, es soll nicht sein!

Der Unbekannte (ist den Steig, der zur Brücke führt, hinaufgeschritten).

Rustan (folgt ihm).
Unmensch! halt! Nicht von der Stelle!
Diese Brücke wölbet sich
Als des Glücks, der Hoheit Schwelle,
Sei es dir, sei es für mich.
Unmensch, halt!

(Er hat den Mantel des vor ihm Hinschreitenden angefaßt.)

Der Mann.
's ist nur mein Kleid.

Rustan.
Nun, der Herr ist auch nicht weit.
Halt! Ich, oder du! (Er faßt ihn an.)

Der Mann.
        Nicht ich!

(Sie ringen auf der Brücke.)

Rustan.
Sein Berühren ist Entmannen.
Zanga, Zanga, rette mich!

(Der Fremde drängt Rustan bis hart an den Rand der Brücke, im Begriff, ihn hinabzustürzen.)

Rustan.
Ich erliege!

Zanga.
        Braucht den Dolch!
Braucht den Dolch! Ihr seid bewaffnet.

Der Fremde.
Ganz nun mein!

Rustan.
        Noch nicht! Noch nicht!

(Er hat den Dolch gezogen und stößt ihn nun dem Fremden in die Brust.)

Der Fremde (auf der Brücke niedersinkend).
Blutig! Blutig! Schwarzer Tag!

Rustan (von der Höhe herankommend).
Zanga! Zanga! Lebt er? Bin ich?

Zanga.
Herr, Ihr seid! Und seht, er blutet.

Rustan.
Oh, daß ich's getan! Entsetzen!

Der Fremde (halb emporgerichtet).
Kinderjahre! Kinderjahre!
Folgt der Unschuld Leichenbahre! (Zurücksinkend.)
Rustan! Rustan! Mirza, Rustan!

Rustan.
Zanga, schnell! Sieh, ob noch Rettung,
Ob noch Hilfe möglich. Eile!

Der Fremde (der sich im Todeskampfe auf der Brücke gewälzt, stürzt jetzt in die Flut).

Zanga.
Herr, zu spät! Ihn hat die Flut.
(Zu Rustan, der, die Hände vors Gesicht geschlagen, dasteht.)
Schlimm genug, und dennoch gut.
Wenn nicht er, wart Ihr verloren.

Rustan.
Oh, und wär' ich nie geboren!

(Hörnerschall.)

Zanga.
Herr, nur Fassung! Fassung! Mut!
Fall der Notwehr. – Hört, man ruft uns.
Seht, man kommt. Nun ausgehalten!

Ein Kämmerer (kommt von der linken Seite).
Herr, des Königs hohe Gnaden
Lassen Euch zur Heimkehr laden,
Und zum Heereszug demnächst.
Dort sie selbst.

(Der König und Gülnare erscheinen im Hintergrunde auf der Anhöhe, rechts der Brücke.)

König.
        Nun, Rustan, folgt ihr?

Rustan.
Hoher Herr, ich bin bereit. (Zu Zanga.)
Nun gilt's fallen, oder siegen!
Ausgedauert und – geschwiegen!

(Indem er sich zum Gehen wendet und die Hörner von neuem ertönen, fällt der Vorhang.)


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