Franz Grillparzer
Der Traum ein Leben
Franz Grillparzer

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Zanga.
Herr!

Rustan.
        Umsonst! Der Alte zeugte.

Zanga.
Das mein Dank?

Rustan.
        Verräter, Dank?
Warst nicht du's, der mich verleitet,
Aus der Heimat mich gerissen,
Mich umgarnt, umsponnen mich?

Zanga.
Wohl! Nur eins dient dir zu wissen:
Stumm der Alte, doch nicht ich!
Sammelt euch! Ich will verkünden,
Wie man Reich und Krone finden,
Heben kann vom Staube sich.

Rustan.
Zanga!

Zanga.
        Nun?

Rustan.
                Du wolltest –?

Zanga.
                        Will!

Rustan.
Du hast recht! und wir sind töricht,
Uns dem dunkeln Werk der Lügen,
Unsrer Feinde Trug zu fügen,
Nun, da ihre List zerstört.
Jener Zeuge, dem sie trauten,
All ihr Treiben auf ihn bauten,
Ihres Hoffens einzig Pfand,
Stumm an Zunge, tot die Hand.
Bleib bei mir, ich will dich schützen,
Ewig sei der Treue Band!

Fürstin, ist dir sonst ein Mittel,
Muß zum letztenmal ich fragen,
Zu beweisen deine Klagen?
Noch ein Zeuge? Bring ihn her!

Gülnare.
Niemand, nein, als Gott und er.

Rustan.
Gott ist endlich über allen;
Aber nicht nur, was begangen,
Sieht das Wie auch, das Warum.
Nein, dein Zeuge hier vor Menschen
Zeuge jetzt zum letzten Male,
Schweige dann auf immerdar!
(Er ist zum Tische getreten und hat den darauf liegenden Zettel ergriffen, sich damit vor den Alten hinstellend.)
»Eures Königs Mörder« – Wer?
Warst du's selbst? Du wirst's nicht sagen.
War es jener dort, dein Neffe?
Er, ein Heuchler, und mein Feind?
War's des Königs eigner Mundschenk?
Oder sie, des Fürsten Tochter,
Die, nach Reich und Krone lüstern,
Vorgriff seinem trägen Ende?

Nicht mit Winken und Gebärden,
Deutlich zeug vor dem Gesetz!
(Mit steigender Schnelligkeit.)
War's mein Diener, den ich selber
Angeklagt im Taumelwahn?
War's ein Zufall? war's natürlich?
Waren's Krieger, waren's Bürger?
(Einzelne mit dem Finger bezeichnend.)
Jener? Der dort? Dieser?

Der Alte (der sich während des Vorigen emporgerichtet und mit blitzenden Augen und hocharbeitender Brust dagestanden hat, stammelt jetzt in höchster Anstrengung, nach einigen unartikulierten Lauten).
        D-U!

Gülnare.
Spricht er?

Rustan.
        Torheit! Aberwitz!
Abgebrochne Schmerzenslaute,
Formt ihr euch zu Sinn und Worten?
Kannst du zeugen, wohl, so zeuge!
Breche dann der Himmel ein.
Gib den Namen und vollende!
(Den Zettel hinhaltend.)
»Eures Königs Mörder« –

Der Alte (nach einigen heftigen Bewegungen plötzlich die verwundete rechte Hand aus der sie haltenden Linken loslassend und mit gebrochenen Gliedern in die Arme der Umstehenden sinkend, leise aber schnell).
        Rustan!

Karkhan.
Gott, er stirbt!

Gülnare.
        O ew'ge Vorsicht!

(Alle um den Alten beschäftigt. Pause.)

Rustan.
Zanga!

Zanga.
        Herr!

Rustan.
                Hast du vernommen?

Zanga.
Wohl!

Rustan.
        Es ist nichts Wirklichs, sag ich.
Truggestalten, Nachtgebilde;
Krankenwahnwitz, willst du lieber,
Und wir sehen's, weil im Fieber.
(Es schlägt die Uhr.)
Horch, es schlägt! – Drei Uhr vor Tage.
Kurze Zeit, so ist's vorüber!
Und ich dehne mich und schüttle,
Morgenluft weht um die Stirne.
Kommt der Tag, ist alles klar,
Und ich bin dann kein Verbrecher,
Nein, bin wieder, der ich war.

(Eine Dienerin der Königin, die sich früher entfernt, kommt mit einem Fläschchen zum Beistande des Verwundeten zurück.)

Rustan.
Sieh, ist das nicht Muhme Mirza?
Auch ein Nachtgebild', wie jene,
Die dort um den Alten stehn!
Sieh, ich hauche, sie vergehn.

Wie? sie bleiben? nahen? dräuen?
Eingetaucht denn nur von neuen,
Laß uns nach dem Weitern sehn.

Gülnare (sich von dem Alten emporrichtend).
All umsonst! die Pulse stocken;
Nur zu sicher, er verging.
(Rustan erblickend.)
Du noch hier? noch immer trotzend?

Rustan.
Fürstin, halt! und ohne Hast!
Was hier wirklich, was geschehen,
Wieviel mir dran fällt zur Last,
Laß uns rechnen, laß uns abziehn,
Mir, was mein, dir, was du hast.
Manchen Dienst bist du mir schuldig,
Manches Gute dies dein Land,
Und doch schenk ich dir's zur Stunde,
Lasse los all was dich band.
Wähle von den reichsten Schätzen,
Nimm die köstlichsten Provinzen,
Kleinod, Perlen, Edelstein;
Mir laß eine leere Wüste,
Wo Verlangen buhlt mit Armut,
Wo kein Gold als Sonnenschein.
Doch die Herrschaft, sie sei mein.

Gülnare.
Dir die Herrschaft? Herrsch in Ketten!
Nehmt gefangen ihn!

Rustan.
        Bedenkt
(Der Hintergrund hat sich nach und nach mit Soldaten gefüllt.)
Nur ein Wort, und diese Krieger,
Deren Abgott ich in Schlachten –

Gülnare.
Für mich, doch nicht gegen mich!
Schau, sie fliehen deine Reihen!
Kommt zu mir her, meine Treuen!

(Die Krieger, die auf Rustans Seite gestanden haben, schließen sich einer nach dem andern, samt den Anführern, der gegenüberstehenden Reihe an.)

Rustan (ihnen zurufend).
Halt!

Gülnare.
        Verlaßt ihn, der mein Feind!

(Alle, bis auf einige wenige, sind übergetreten.)

Rustan (den Säbel ziehend).
Nun, wohlan, so gilt's zu fechten!
Hier mein Säbel, Zanga, bind ihn,
Bind ihn fest mit ehrnen Ketten.
Will den Kampfplatz denn betreten,
Erst im Tod laß ich den Stahl.

Zanga (vor sich hin).
Hier wird's heiß nun allzumal.
(Er entfernt sich hinter Rustans Rücken durch die Seitentüre links, die offenstehen bleibt.)

Rustan (in Fechterstellung).
Kommt nur an! Ihr alle, alle!

Gülnare (ihm entgegentretend).
Diese nicht, sie sind nur Diener;
Triff mich selber, hast du Mut!

Rustan (zurückweichend).
Alle, nur nicht dich!

Gülnare.
        Ei, Kühner!
Trafst den Vater; scheust du Blut?

Rustan (sich vor ihr zurückziehend).
Zanga! Zanga!

Gülnare.
        Nun mag's gelten!
Nun an euch! Nun nehmt ihn fest!

(Sie tritt nach der rechten Seite des Vorgrundes. Die dort Aufgestellten, Karkhan an ihrer Spitze, wenden sich nach dem Hintergrunde. Gefecht.)

Rustans Stimme.
Zanga! Zanga! Meine Pferde!

Karkhan.
Fürstin, schau dort durch die Zimmer,
Wo der Schwarze kaum entwich,
Sieh, mit hellentflammter Fackel
Ihn das weite Schloß durcheilen,
Und ich sorg, er steckt's in Brand.

Gülnare.
Mag das Schloß, ich selbst vergehen,
Fällt nur er von ihrer Hand!

(Sie eilt mit ihren Dienerinnen durch die Seitentüre rechts ab. Der Alte ist schon früher weggebracht worden. Das Gefecht hat sich zur Türe des Hintergrundes hinausgedrängt. Waffenlärm. Kurze Pause. Dann ertönen aus der Türe links Rustans Stimme, die wiederholt »Zanga!« ruft. Die Szene schließt.)

Kurzes ländliches Zimmer mit einer Türe im Hintergrunde und einer Seitentüre rechts. Dichtes Dunkel.

Mirza (tritt mit einer Lampe, vom Hintergrunde her, auf).
Horch! war das nicht seine Stimme?
Übrall, dünkt mich, hör ich ihn,
Hilfeflehend, Beistand rufend,
Wie in tödlicher Gefahr. (An der Türe links horchend.)

Und ich bin allein, und niemand
Hört mich an und tröstet mich,
Schilt mich töricht, nennt ihn sicher,
Wahrhaft nichts als meinen Schmerz.

Nein, ich kann es nicht ertragen!
Muß ein nahes Wesen suchen,
Auszuschütten meinen Kummer,
Zu erleichtern dieses Herz! (An der Türe rechts.)
Vater, kannst du ruhig schlafen,
Denkst nicht mein und meiner Angst?

Massuds Stimme (aus der Seitentüre rechts).
Mirza, du?

Mirza.
        Ich bin's, bin's selber.
Wachst du, so wie ich in Kummer?
Bist besorgt um ihn, gleich mir?

Massud (von innen).
Ist's schon spät?

Mirza.
        Drei Uhr vor Tage.

Massud.
Tritt nur ein.

Mirza.
        Zu dir?

Massud.
                Jawohl!
Gehn zusammen dann hinüber.

Mirza.
Wirklich? – O mein guter Vater!
Sieh, ich komme! – Und ihr Götter,
Euch sei er indes vertraut!
Während ich auf andres denke,
Während ich von anderm spreche,
Schützet ihr den teuren Mann!
Nicht vor Leiden nur und Nöten,
Auch vor Wünschen und Gedanken,
Daß kein Unheil mir ihn anficht,
Bis mein Innres wieder bei ihm,
Und ich wieder beten kann.

Massuds Stimme.
Kommst du nicht?

Mirza.
        Sie nur, hier bin ich.
(Die Türe öffnend.)
Schon vom Lager? Schon gekleidet?
Oh, mein Vater! Oh, wie gut! (Sie geht hinein.)

Waldgegend. Rechts im Vorgrunde der hereinspringende Fels, im Hintergrunde die Brücke, wie zu Anfang des zweiten Aufzuges. Dunkel.

Ferner Schlachtlärm, der sich allmählich verliert.
Dann kommt Rustan, verwundet, auf Zanga gestützt.

Rustan.
Zanga, schau, wie steht das Treffen?

Zanga.
Treffen? Sag vielmehr: die Flucht!
Rings verlassen dich die Deinen,
Und der Rest, er liegt erschlagen
Unter Feindesschwerter Wucht.

Rustan.
Dahin kam es? Das das Ende?

Zanga.
Ei, verklage deine Hände!
Wie man schlägt, so fliegt der Ball.
Hättest du, so wie ich wollte,
Als der Feind uns hart bedrängte
In der buntverworrnen Stadt,
Wenn du damals mir vergönntest,
Feuerbrände einzuschleudern
In die schreckgeleerten Gassen,
In der Häuserreihe Zahl,
Hätten uns wohl ziehen lassen,
Stünde besser allzumal.

Rustan.
Ungeheuer! So viel Leben! –
Und wer weiß, ob es gelang?

Zanga.
Ob's gelang? Da sitzt der Knoten!
Nicht, weil's Frevel, weil's gefährlich,
Macht's der frommen Seele bang.
Und mit also schwankem Gang,
Mit so ärmlich halbem Mute
Wolltest du der Herrschaft Sprossen,
Du den steilen Weg zum Großen,
Du erklimmen Macht und Rang?
Bunt gemengt aus manchen Stoffen
Ist das Roherz der Gewalt,
Kaum der Brand von zehen Reichen
Gnügt, die Mischung auszugleichen,
Die im Tiegel kocht und wallt;
Doch ein Säkul erst im Nacken,
Dem Vergangnen ist man hold,
Feuer reint Metall von Schlacken,
Und der König glänzt wie Gold.
Doch du konntest's nicht ertragen,
Eng der Sinn, das Aug' nur weit,
Willst du siegen, mußt du wagen;
Kehre denn zur Niedrigkeit!

Rustan.
Das zu hören von dem Diener,
Von der Frevel Stifter, Helfer!

Zanga.
Helfer? Stifter? Das vielleicht!
Aber Diener? Laß mich lachen!
Wessen Diener? wo der Herr?
Bist du nicht herabgestiegen,
Nicht gefallen von der Höhe,
Die mein Finger dir gewiesen,
Weil dem mächt'gen Willensriesen
Fehlte Mut zur kühnen Tat?
Gleich umfängt uns Schuld und Strafe,
Gleich an Anspruch, Rang und Macht;
Und wie gleich im Mutterschoße,
Schaut als Gleiche uns die Nacht.

Rustan.
Nun, wohlan, so rett uns beide!
Sinn auf Mittel, steh bei mir!
Denn welch Ausweg bliebe dir,
Der gewußt um solche Taten?

Zanga.
Welcher Ausweg? Dich verraten!
Oder glaubst du, kleinen Sold
Zahlt man dem, der aus dich liefert?
Ei, dein Kopf ist eitel Gold!

Rustan (einen Hieb nach ihm führend).
Teufel! Ungeheuer!

Zanga (mit dem Schwert, das er entblößt unter dem Mantel getragen, den Streich auffangend und ihm den Säbel aus der Hand schlagend).
        Halt!
Darauf war ich vorbereitet.
Vorsicht übt man mit euch Herrn,
Die Verzweiflung schlägt gar gern!
Und was hält mich nun noch ab,
Dir den langgedehnten Stahl
Gradaus in die Brust zu stoßen,
Übend so die eigne Rache,
Des zertretnen Landes Sache
Eines Streichs mit einem Mal?
Und doch nein; schrick nicht zurück!
Warst du gleich ein schwacher Schüler,
Warst mein Schüler immer doch,
Das Gebilde meiner Hände
Ehr ich selbst zerschlagen noch.
Fliehe du, ich bleibe hier;
Sammle deines Glückes Trümmer,
Sonne mich in neuem Schimmer,
Du giltst tot. der Lohn wird mir.
(Nach dem Hintergrunde zeigend.)
Dort dein Weg! Nach dorthin flieh!

Rustan.
Zanga, noch zum letzten Male!
Geh mit mir! Denk, was ich war;
Wie die Menschen mir gehuldigt;
Denk der Gnaden, die ich häufte
Auch auf dich, ob deinem Haupt.

Zanga.
Als du mich des Mords beschuldigt,
Weil du hilflos mich geglaubt?

Rustan.
Eins und alles sei vergessen!
Bin verwundet, steh mir bei!
Nicht des Pfads, der Gegend kundig.

Zanga.
Nicht der Gegend? Ha, ha, ha!
Sieh um dich, es ist dieselbe,
Wo den König du gerettet,
Du und einer noch zumal;
Wo du jenen andern trafst.
Siehst du dort die dunkle Brücke?
Sie, der erste Weg zum Glücke,
Sei nun auch des Unheils Pfad.

Rustan.
Weh mir, weh!

Zanga (auf die Brücke zeigend).
        Nach dorthin flieh!

Rustan.
Nimmermehr betret ich sie!
Dort hinaus! (Nach der rechten Seite gewendet.)

Zanga.
Ei ja! ei ja!
Doch bemerk nur erst die Flämmchen,
Die die Gegend rings durchziehn.
Sind nicht Geister der Erschlagnen,
Krieger sind's, die Fackeln tragen,
Suchend dich!

Rustan (nach links gekehrt).
        Nun denn, zurück!
Rück den Weg, auf dem wir kamen.


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