Franz Grillparzer
Der Traum ein Leben
Franz Grillparzer

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Rustan.
Laß uns von was anderm sprechen!
Von was anderm, Zanga.

Zanga.
        Seht Ihr?
Da kommt Euer weiches Herz,
Und der Vorsatz ist zum Henker.
Oh, daß ich Euch draußen hätte,
Draußen aus dem dumpfen Tale,
Auf den Höhen, auf den Gipfeln,
In der unermeßnen Welt!
Herr, Ihr solltet anders sprechen!
Seht nur erst ein Schlachtgefild',
Hört nur erst Trompeten klingen,
Und es soll Euch Kraft durchdringen,
Wie sie diese Adern füllt.
Herr, ich war mal auch so wählig,
Als ich, freilich jung genug,
Meine ersten Waffen trug.
Ging im Kopf mir hin und her,
War das Herz mir zentnerschwer;
Als es hieß: dem Feind entgegen!
Schlug's da drin mit harten Schlägen,
Und die Nacht
Vor der Schlacht
Ward gar bange zugebracht.
Doch beim ersten Sonnenstrahl
Ward mir's klar mit einem Mal.
Ha! da standen beide Heere,
Zahllos, wie der Sand am Meere,
Still und stumm
Weit hinum,
Düster, wie das Nebelgrauen,
Das noch lag auf Feld und Auen.
Durch den Duftqualm sah man's blitzen
Von dem Strahl der Eisenspitzen,
Und als jetzt der Nebel wich,
Zeigte Roß und Reiter sich,
Da fühlt' ich mein Herz sich wandeln,
Jeder Zweifel war besiegt,
Klar ward's, daß im Tun und Handeln,
Nicht im Grübeln 's Leben liegt.
Und als nun erschallt das Zeichen,
Beide Heere sich erreichen,
Brust an Brust,
Götterlust!
Herüber, hinüber,
Jetzt Feinde, jetzt Brüder
Streckt der Mordstahl nieder.
Empfangen und geben,
Der Tod und das Leben
Im wechselnden Tausch,
Wild taumelnd im Rausch.
Die Lüfte erschüttert,
Die Erde zittert
Von Pferdegestampf,
Laut toset der Kampf.
Die Gegner, sie wanken,
Die Gegner, sie weichen,
Wir, mutig und jach
Den Fliehenden nach,
Über Freundes und Feindes Leichen.

Jetzt auf weitem Feld
Der Würger hält,
Überschaut die gefallenen Ähren,
Doch kann er der Freude nicht wehren.
Sieg, rufet es, Sieg!
Herr, das heißt leben! Es lebe der Krieg!

Rustan.
Oh, halt ein! Du tötest mich!

Zanga.
Wenn so ein Gefangener,
Ein Verkaufter spricht, ein Sklave,
Was muß erst – doch still! Genug!

(Er zieht sich zurück.)
(Mirza kommt aus der Hütte.)

Mirza.
Rustan!

Rustan.
        Ha, man kömmt!

Mirza.
                Du bist es!
Konntest du so lange weilen?
Oh, wir zitterten um dich.

Rustan.
Ist es denn so ungewöhnlich?

Mirza.
Ungewöhnlich? Das wohl nicht,
Aber schmerzlich drum nicht minder.
Sag ich mir gleich jeden Morgen:
Spät erst wird er wiederkehren,
Hoff ich dich doch immer früh;
Und der Wunsch und die Erwartung
Sind gar reich an Möglichkeiten.
Weil du ruhig bist und sorglos,
Glaubst du denn, wir wären's auch?
Immer fließen meine Tränen,
Was auch die Erfahrung spricht;
Für den Mut gibt's ein Gewöhnen,
Aber für die Sorge nicht.
Warum wendest du dich ab?

Rustan.
Horch! Mich dünkt, dein Vater ruft.

Mirza.
Ich soll gehn? Oh, komm du mit!
Du bist heiß, die Nachtluft kühl,
Und der müde Fuß will Ruhe.

Rustan.
Laß nur! Hier –

Mirza.
        Nicht doch! Du sollst!
In der Hütte ruht sich's besser
Und das Abendessen wartet.
Komm! Der Vater zürnt nicht mehr,
Alles ist vergessen. – Komm!

(Mit Rustan in die Hütte ab.)

Zanga.
Deut mir eins der Liebe Werke,
Ob Verlust sie, ob Gewinn?
Gibt dem Weibe Männerstärke
Und dem Manne – Weibersinn!

Sei's! Man muß nicht gleich verzweifeln!

(Er folgt ihnen.)

Das Innere der Hütte.
Im Mittelgrunde ein Tisch mit den Resten einer Abendmahlzeit und Licht, an dessen einem Ende Massud nachdenklich sitzt. Rechts im Hintergrunde ein Ruhebett.

Mirza führt Rustan herein; bald nach ihnen Zanga.

Mirza.
Hier ist Rustan, lieber Vater,
Seht, er hatte sich verirrt.
Wo? – Ei gleichviel! Er ist hier.
Ja, die Wege dort im Walde
Sind verworren und verschlungen;
Bricht der Abend noch herein,
Braucht es Glück, den Pfad zu finden.
Nun, er fand ihn, Dank dem Himmel!
Künftig eilt er wohl ein wenig,
Sieht er sich die Sonne neigen.

Setze dich!
(Da Rustan neben dem Alten niedersetzen will, sich zwischen beide drängend.)
        Nicht hier! Nein dorthin!
Ich muß bei dem Vater sitzen.
Seht doch! 's ist mein Ehrenplatz.

(Rustan setzt sich an das andere Ende des Tisches.)

Massud (sanft, doch ernst).
Rustan!

Mirza (rasch einfallend).
        Vater, könnt Ihr's glauben?
Racha, unsre Magd will wissen –

Massud.
Liebe Tochter!

Mirza.
        Wollt Ihr Wein?

Massud.
Gönne mir ein Wort mit ihm!
Nur ein Tor verhehlt den Brand;
Wir, mein Kind, wir wollen löschen.

Mirza.
Ihr verspracht mir –

Massud.
        Fürchte nichts!
Doch es muß einmal zur Sprache.

Sohn, seit lange schon bemerk ich,
Daß du unsern Anblick meidest.
Die Bewohner dieses Hauses
Und ihr stilles Tun und Treiben
Scheint dir nicht mehr zu gefallen.
Auf den Bergen ist dein Lager,
In den Wäldern deine Wohnung,
Und das Heulen wilder Tiere,
Sturmbewegter Bäume Dröhnen
Scheint dir lieblicher zu tönen,
Als der Nahverwandten Wort.
Rauh und düster ist dein Wesen,
Zank und Hader dein Geschäft.
Heute nur, ich hab's vernommen,
Daß du mit Osmin im Walde
Streit erregt.

Zanga (der sich um den Tisch beschäftigt hat, einfallend).
        Erregt? Mit Gunst,
Das kann ich Euch besser sagen.

Massud.
Du?

Zanga.
        Ich hab's mit angesehn.

Massud.
Hüte dich!

Zanga.
        Ei, wahr ist wahr!
Und erlaubt Ihr, so erzähl ich's.

Mirza.
Hört ihn Vater, mir zulieb!

Zanga.
Mittag war es, und die Jäger,
Von der Arbeit Last zu ruhn,
Kamen alle, wie sie pflegen,
Auf dem Wiesengrund zusammen,
Um am Rand der klaren Quelle
Mit des Weidsacks kargem Vorrat
Und Gespräch sich zu erlaben.
Unter ihnen war Osmin,
Ein verwöhnter trotz'ger Junge,
Der von Öl und Salben duftet,
Wie 'nes Blumenhändlers Laden.
Der tat denn gar breit und vornehm,
Sprach von seinen Heldentaten,
Seinem Glücke bei den Weibern,
Wie des Königs Tochter selber
Bei der Tafel nach ihm schiele,
Und was denn des Zeugs noch mehr.

Meinem Herrn dort stieg die Röte
Ungeduldig ins Gesicht,
Doch, ob kochend, dennoch schwieg er.
Aber als Osmin nun fortfuhr,
Daß der Fürst von Samarkand,
Hart bedrängt von Feindeshand,
Seine Tochter und ihr Erbe,
Seines weiten Reiches Krone
Gerne gönnte dem zum Lohne,
Der ihn rette aus der Not,
Und mein Herr, von Glut ergriffen,
Angeregt von dem Gedanken,
Solcher Tat und solchen Lohns,
Aufsprang und voll Eifer fragte:
Wo der Weg nach Samarkand?
Da schlug Osmin auf ein Lachen,
Und vor Rustan hin sich stellend,
Rief er aus: »Ei, welch ein Helfer!
Heil dir, Fürst von Samarkand!
Guter Freund, bleibt fein zu Hause,
Hinterm Pfluge zeigt die Kraft!«
Da –

Rustan (aufspringend).
        Bei Gott! ich mag's nicht denken,
Daß er lebt, der das gesagt!

Massud.
Sohn, nur ruhig!

Rustan.
        Ruhig? Ich?
Und fürwahr, hat er nicht recht?
Was hab ich getan noch, um mich
Solchen Werks zu unterwinden?
Er hat recht, hat heute recht,
Morgen nicht mehr, leb ich noch.
Oheim, gebt mir Urlaub!

Massud.
        Wie?

Rustan.
Seht, mich duldet's hier nicht länger.
Diese Ruhe, diese Stille,
Lastend drückt sie meine Brust.
Ich muß fort, ich muß hinaus,
Muß die Flammen, die hier toben,
Strömen in den freien Äther,
Drücken diesen heißen Busen
An des Feindes heiße Brust,
Daß er in gewalt'gem Anstoß
Breche, oder sich entlade;
Muß der auf geregten Kraft
Einen würd'gen Gegner suchen,
Eh' sie gen sich selber kehrt
Und den eignen Herrn verzehrt.
Seht Ihr mich verwundert an?
»Nur ein Tor verhehlt den Brand«,
Spracht Ihr selber, laßt mich löschen.
Gebt mir Urlaub und entlaßt mich.

Massud.
Wie, du wolltest –?

Rustan.
        Was ich muß.

Massud.
Und denkst nicht –?

Rustan.
        's ist bedacht.

Massud.
So vergiltst du unsre Liebe?

Rustan.
Nimmer sie hinfür mißbrauchen,
Das ist alles, was ich kann.

Massud.
Rauh und dornicht ist der Pfad.

Rustan.
Sei es! Führt er nur zum Ziele.

Massud.
Und das Ziel, es ist verderblich.

Rustan.
Also sagt man. Ich will's kennen.
Was man weiß, befriedigt nur.

Massud.
Diese, mich willst du verlassen?

Rustan.
Lange nicht, kehr ich zurück
In der Teuern liebe Mitte,
Teile wieder eure Hütte,
Oder ihr mit mir mein Glück.

Mirza.
Rustan!

Rustan.
        Mirza! Ich verstehe.
Doch wir sehen uns ja wieder,
Doppelt glücklich, doppelt froh.

Massud.
Magst du ihre Tränen schauen
Und dich kalt –

Rustan.
        Ich kann nicht anders.

Massud.
Wisse denn nun auch das Letzte:
Diese hier, sie liebt dich.

Rustan.
        Mirza!
Hier auch – doch es ist beschlossen!
Niemals, oder deiner wert!

Mirza.
Rustan!

Massud.
        Halt! So meint' ich's nicht!
Kann er deiner, Kind, entraten,
Massuds Tochter bettelt nicht.
Zieh denn hin, Verblendeter,
Ziehe hin! und mögest du
Nie der jetz'gen Stunde fluchen.

Rustan.
Heute noch?

Massud (sich abwendend).
        Sobald du willst.

Rustan.
Zanga, nach den Pferden!

Zanga.
        Gern!

Massud.
Wozu diese hast'ge Eile?
Halt! Es ist jetzt dunkle Nacht.
Ungebahnet sind die Pfade
Und gefahrvoll jeder Schritt.
Davor wahr ich dich zum mindsten.
Schlaf noch einmal hier im Hause,
Denk noch einmal, was du willst,
Trifft der Tag dich gleichen Sinnes,
Nun, wohlan, so ziehe hin!
Mirza, komm! wir lassen ihn.

Mirza.
Vater! nur dies einz'ge Wort.
Rustan, jener alte Derwisch,
Der dort wohnt in nahen Bergen
Und den du, ich weiß, nicht liebst,
Ja, kaum einmal wolltest sehen,
Während er besorgt um dich:
Er versprach mir, heut zu kommen,
Und nur erst glaubt' ich zu hören
Seines Saitenspieles Ton,
Das er führt auf allen Wegen.
Oh, versprich mir, eh' du scheidest,
Ihn zu hören, ihn zu sprechen;
Erst, wenn fruchtlos, zieh mit Gott.

Rustan.
Und wozu?

Mirza.
        Die letzte Bitte!

Rustan.
Kommt er morgen früh genug,
Mag er wie die andern sprechen.

Massud.
Nun zur Ruh'! Laß ihn sich selbst.
Jedem Sprecher fehlt die Sprache,
Fehlt dem Hörenden das Ohr.
Gute Nacht denn! (Er geht mit Mirza.)

Mirza.
        Rustan!

Rustan.
                Zanga!
Morgen früh die Pferde!

Zanga.
        Wohl!

(Er folgt den beiden. Alle drei ab.)

Rustan.
Sie sind fort! – Es pocht doch ängstlich!
Sie ist gar zu lieb und gut. –
Ob auch! – Fort! – Ich bin erhört,
Und was lang als Wunsch geschlummert,
Tritt nun wachend vor mich hin.
Seid gegrüßt, ihr holden Bilder,
Seid mit Jubel mir gegrüßt!
Ich bin müd, die Stirne drückt,
Mattigkeit beschleicht die Glieder.
(Nach dem Lager blickend.)
Nun, wohlan! Noch einmal ruhn
In dem dumpfen Raum der Hütte,
Kräfte sammeln künft'gen Taten,
Dann befreit auf immerdar.
(Er sitzt auf dem Ruhebette, Harfenklänge erklingen von außen.)
Horch! Was ist das? Harfentöne?
Wohl der alte Klimprer nah?
(In halb liegender Stellung, mit dem Oberleibe aufgerichtet. Er spricht die Worte des Gesanges nach, die sich jetzt mit den Harfentönen verbinden.)

»Schatten sind des Lebens Güter,
Schatten seiner Freuden Schar,
Schatten Worte, Wünsche, Taten;
Die Gedanken nur sind wahr.

Und die Liebe, die du fühlest,
Und das Gute, das du tust,
Und kein Wachen als im Schlafe,
Wenn du einst im Grabe ruhst.«

Possen! Possen! Andre Bilder
Werden hier im Innern wach.
(Er sinkt zurück. Die Harfentöne währen fort.)
König! Zanga! Waffen! Waffen!

Mehrstimmige leise Musik greift in die Harfentöne ein. Zu des Bettes Häupten und Füßen tauchen zwei Knaben auf. Der eine, buntgekleidet, mit verlöschter Fackel, der zweite in braunem Gewande mit brennender. Über Rustans Bette hin nähern sie einander die Fackeln. Die des Buntgekleideten entzündet sich, der Dunkle verlöscht die seine gegen die Erde.

Da öffnet sich die Wand des Hintergrundes. Wolken verhüllen die Aussicht. Sie heben sich. Die Gegend, in der der zweite Akt spielt, wird sichtbar, von Schleiern bedeckt. Auch diese schwinden. Ein erster, ein zweiter. Die Gegend liegt offen da. Neben dem im Vorgrunde stehenden Palmbaum hebt sich in weiten Ringen eine große goldglänzende Schlange, bis zu seinen untersten Blättern hinanstrebend nach und nach empor. Rustan macht eine Bewegung im Schlafe.)

(Der Vorhang fällt.)


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