Franz Grillparzer
Studien zur deutschen Literatur – Zum eigenen Schaffen
Franz Grillparzer

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8. Oesterreichische Schriftsteller.

Vierthaler.

(1822.)

Wenn man den Direktor Vierthaler kennt, so sollte man gar nicht glauben, daß die philosophische Geschichte der Menschen, die er herausgegeben hat, wirklich von ihm sei; so französisch philosophierend, voltairisierend ist das Werk, und so wacker und einfach scheint der Mann. Freilich aber muß man auch auf die Zeit der Herausgabe dieser Geschichte Rücksicht nehmen, und auf den Ton, der damals in der Litteratur herrschte!


Dem Andenken Schreyvogels (West).

(1832.)

Am 28. Juli 1832 starb hier zu Wien als ein Opfer der scheußlichen Cholera, nach einem kaum vierundzwanzigstündigen Krankenlager, der pensionierte Sekretär des kaiserlichen Hoftheaters, Joseph Schreyvogel, der Welt unter den Namen Thomas und August West, als Herausgeber der geistreichen Wochenschrift: Das Sonntagsblatt, als kongenialer Bearbeiter der Moretoschen Donna Diana und mehrerer Calderonscher Schauspiele, endlich jedem deutschen dramatischen Schriftsteller und Darsteller als der scharfsinnigste Kenner und Beurteiler ihrer beiderseitigen Künste bekannt.

Deutschland verliert in ihm mehr, als es weiß und wissen kann. Durch entgegenstehende Lebens- und andere Verhältnisse auf der schon früh betretenen Bahn der Litteratur gehemmt, kehrte er erst bei abnehmenden Jahren zu derselben zurück, und es fehlte ihm eigentlich das physische Zeitelement, um all das ans Licht der Welt zu ziehen, was sein reiches Innere verbarg. Das litterarische Publikum kennt nur die beiden West; man muß Schreyvogel gekannt haben, um nicht etwa bloß den Menschen, nein, selbst den Schriftsteller in ihm gehörig würdigen zu können.

Lessing steht einzig, ohne Gegenbild und ohne Nebenbuhler, in der deutschen Litteratur da. Es hieße sich an ihm versündigen, wenn man auf ihn hin von irgend einem der Nachgekommenen aus Parallele ziehen wollte; aber an Art und Geist war unser Verblichener jenem großen Vorgänger aufs innigste verwandt, und eine ungestörtere Laufbahn hätte ihn demselben vielleicht näher gebracht, als man jetzt sagen darf, ja zu denken sich getraut. Mit ihm hatte er jene Schärfe des Verstandes, jenen männlichen Schönheitssinn, jene glühende Liebe für das Wahre und Tüchtige gemein; ja vor ihm voraus hatte er eine jugendliche Frische der Empfindung, die bei Lessing wenigstens zum Teil sich unter dem Druck herabstimmender Erfahrungen verlor, bei unserm Landsmann aber bis zum letzten Tag seines Lebens sich ungeschwächt erhielt, obgleich es ihm an herabstimmenden Erfahrungen eben auch nicht fehlte.

Ich, der ich dieses schreibe und Schreyvogeln jahrelang gekannt und geliebt habe, der ich von ihm, gleichsam als ein halb Widerstrebender, in die Litteratur eingeführt worden bin, konnte ihn, den ältern Freund, vom ersten bis zum letzten Tage nie ohne ein immer neues Staunen, mußte ihn geradezu als ein nur halb erklärtes psychologisches Rätsel betrachten.

Dieser scharfe, eigentlich analytische Verstand in nächster Nähe von der überströmendsten Begeisterung, die weniger aus dem Gemüte hervorzugehen, als unmittelbar aus dem Verstande selbst zu entspringen schien, sich wenigstens nie früher, aber auch augenblicklich einstellte, wenn der Verstand kalt geprüft und gebilligt hatte, diese innige, gleichsam polartige Verkettung der scheinbar widersprechendsten Eigenschaften ist mir, in diesem Maße, sonst nie und bei niemand vorgekommen.

Im Suchen des Guten ein Greis und beim Auffinden desselben ein Knabe, mußte man die Gediegenheit seines Wesens genau kennen, um die Zeichen seiner ungeduldigen Freude nicht manchmal geradezu für kindisch zu halten.

So viel Besonnenheit und so viel Wärme, all diese mannigfachen Geistes- und Gemütskräfte, all, was er wußte und vermochte – und des war sehr viel – all dies nun war einem Schoßkinde, der dramatischen Kunst, zugewendet. Was das Altertum, was die mittlere und neue Zeit Vorzügliches geleistet, hatte er gelesen, geprüft, verglichen, die Empfindungen auf Gedanken gebracht und die Gedanken in seiner Brust erwärmt, bis sie wieder zu Empfindungen wurden. Insoweit man ohne ein großes, hervorbringendes Talent Kunstrichter sein kann, war er es im vollen Maße. Das ganze Gebiet der dramatischen Kunst lag wie eine Weltkarte vor ihm da, oder vielmehr wie eine Welt, denn es war Leben in seinem Umfassen. Ja, so unerschöpflich war der Born der Liebe in seiner Brust, daß nach Durchströmung des Ganzen noch Wärme, ja Glut übrig blieb für die kleinsten Einzelheiten, daß Rollenbesetzung und Bühnenausschmückung, die Betonung einer Stelle, die Miene und Gebärde der Schauspieler in einem hundertmal gesehenen Stücke seine Seele so frisch fand, als hätte sie nie ein Großes gehegt, und der Knabe, der zum erstenmal das Theater besucht, war kein so dankbarer Zuschauer als er.

So war der Mann. Er hatte Fehler, und wer hat sie nicht? Er hat im Feuereifer manche, auch Künstler beleidigt, aber eine vortreffliche Kunstleistung war für ihn stets wieder ein unwiderstehlicher Versöhnungsgrund, und nur Mangel an Talent oder innerem Wert erschwerte den Weg zur gutmütig fröhlichen Rückkehr.


(1833.)

Indem ich mich anschicke, den literarischen Nachlaß meines verewigten Freundes dem Publikum zu übergeben,Die geplante Ausgabe der Werke Schreyvogels, zu welcher Einleitung und Schlußwort hier bruchstückweise vorliegen, kam nicht zu stande. befinde ich mich in einer sonderbaren Lage. Durch Pflicht und Wahrheit genötigt, das Vorzüglichste, das Beste von ihm zu sagen, muß ich mir doch gefallen lassen, wenn man Anstand nimmt, mir Glauben beizumessen, ja selbst das, was ich in seinem Namen zu geben habe, reicht bei weitem nicht hin, die ausgezeichnete Stelle in der Geisterwelt zu rechtfertigen, die ich für ihn in Anspruch nehmen muß. Novellen! – Wer schreibt sie nicht? Hat nicht längst das poetische Unvermögen des neuern Deutschlands sich auf dieses bequeme Faulbette breit hingestreckt? – Kritische Zurechtweisungen vorübergegangener litterarischer Verirrungen, Verirrungen, über die jetzo jeder Schulknabe lacht, indes zur Zeit ihrer Prägnanz die besten Geister sich nicht ganz frei davon erhalten konnten. Wer kann solche kritische Bestrebungen schätzen, als die wenigen, die wissen, daß das nächste Jahrzehnt über unsere gegenwärtige Befangenheit ebenso lachen wird, als wir über die unserer Vorgänger; die wissen, daß von Thorheit zu Thorheit in ewigen Krümmungen der Bildungsgang der Welt geht und jede Zeitwelle ein einziges Goldkorn zu Boden fallen läßt, durch das sich der Besitzstand des Geschlechtes erhält und vermehrt. Die das wissen, sind wenige, wie gesagt, besonders in Deutschland, wo man denkt da, wo man empfinden sollte, und dafür empfindet und nebelt, wo es klares Denken gälte.

Schreyvogel (oder West mit seinem Schriftstellernamen) gehörte unter die vielbewegten Geister, die teils mit, teils ohne Schuld sich ewig aus der Bahn herausgerissen finden, auf die die Natur sie hingewiesen hat. Von sehr wohlhabenden, obgleich nur bürgerlichen Eltern geboren, schön von Gestalt, bei Weibern mehr als wohlgelitten, fanden ihn die neunziger Jahre des verflossenen Jahrhunderts mitten unter litterarischen Bestrebungen und Vorbereitungen. Schon waren außer einzelnen Aufsätzen verschiedenen Inhalts, mehrere Akte eines Trauerspiels: Die eiserne Maske im Druck erschienen, die zu den größten Erwartungen berechtigten . . . .


(1833.)

Indem der Unterzeichnete gegenwärtige Schlußworte zu den Schriften seines vorausgegangenen älteren Freundes, gleichsam den Epilog eines entschwundenen Daseins, in die Welt hinaussendet, ergreift ihn, auch abgesehen von dem persönlichen Verluste, ein tiefes Gefühl der Trauer,

Wenn ein gewöhnlicher Mensch nach durchgemühter oder durchgenossener Lebensfrist spurlos dahingeht, so ist dies natürlich und die Seinen mögen ihn beklagen; ebenso gewährt es auf der anderen Seite einen schmerzlindernden Triumph, am Grabe eines reichbegabten Mannes auf die bleibenden Denkmale seines Wirkens hinweisen und sagen zu können: das war er, bis dahin hat er es gebracht! Aber dem unbegleiteten Leichenbegängnisse eines nicht minder Begabten beinahe als einziger Leidtragender folgen und dem neidischen anfeindenden Haufen nichts entgegnen zu können als: Wüßtet ihr, was ich weiß! Hättet ihr ihn gekannt, wie ich! Das martert und erweckt, wie gesagt, ein tiefes Gefühl der Trauer.

Nicht als ob das, was in den gesammelten Schriften von Thomas und Karl August West dem Publikum offen liegt, unbedeutend, als ob es nicht der höchsten Beachtung wert wäre! Wenige haben es in der Gabe der Darstellung, in der Entwicklung von Seelenzuständen und Charakteren, in der kaum erst von einigen mit Glück gehandhabten Kunst, deutsche Prosa zu schreiben, so weit gebracht, als mein verblichener Freund; noch weniger erreichen ihn an festem männlichen Sinne, scharfem, unbestochenem Urteil, keiner Modeansicht huldigendem Kunstsinn und insoweit kann man wohl auf die volle Dankbarkeit der Lesewelt für das hier Gegebene Anspruch machen. Nichtsdestoweniger aber sind es doch nur Späne, aus der Werkstatt des höher Beschäftigten aufgelesen, das Werk selber hat er mit sich hinübergenommen, und nur er genießt es, und die ihn gekannt.

Damit ist nicht gemeint, daß für den Verewigten ein Platz unter jenen nur Deutschland eigentümlichen Celebritäten angesprochen werde, von denen die Hinterbliebenen gewichtigen Freunde anzurühmen pflegen: was sie gewollt, sei so ungeheuer gewesen, daß die Ausführung notwendig habe erlahmen müssen, der Stoff habe die Form überwältigt, die Sprache, die Palette, das Heptachord sei zu arm gewesen, um ihr Schauen auszudrücken, man hätte erst einen Nachtrag zum deutschen Wörterbuche, ein neuntes musikalisches Intervall, eine achte Regenbogenfarbe auffinden müssen, wenn derlei pure Geister ihre Ideale hätten verkörpern sollen, und so sei ihr Leben halb oder ganz thatenlos, nur in einem stummen Anschauen des Unaussprechlichen dahingeflossen. Wer nicht ausdrücken kann, was er auszudrücken sich vorsetzt (sein Wert als Mensch, ja als Denker sei so groß, oder so klein, als er wolle), ist in der Kunst ein Stümper oder milder ausgedrückt: ein Dilettant, und nur der in Deutschland zum Nachteile aller wahren Kunst das große Wort führende Dilettantismus kann derlei avortierten oder formlosen Bestrebungen auch außer dem Zirkel der Freunde irgend einen bestehenden Wert zuerkennen.

Der Mann, von dem hier die Rede ist, wußte sehr bestimmt, was er wollte, und zugleich wollte er nichts . . .


(1836.)

Ich habe durch Schreyvogels Tod viel verloren. Nicht seinen Rat bei meinen eigenen Arbeiten. Ich habe nie mit jemanden meine Plane oder ihre Ausführung besprochen und nie, mit Ausnahme der Ahnfrau, an einem vollendeten Stücke etwas nach seiner Meinung geändert. Aber er hatte, was Form und Technik betrifft, gleiche Ansichten mit mir, und wir konnten daher überhaupt uns über Litteratur und dergl. besprechen, ohne uns mißzuverstehen, oder erst langweilig den Standpunkt festzustellen. Seit seinem Tode ist niemand in Wien, mit dem ich über Kunstgegenstände sprechen möchte, ja auch in Deutschland wäre niemand, der mir anstände, höchstens etwa Heine, wenn er nicht innerlich ein lumpiger Patron wäre. Dadurch versauere und verstocke ich in mir, und die Produktion stellt sich immer ferner.

*

Ich habe immer mehr nach starken Anschauungen gearbeitet als nach Begriffen, daher werde ich auch, wenn die Gewalt der ersteren durch einen Zeitverlauf geschwächt ist, leicht an meinen Werken irre, und meine große Gewissenhaftigkeit läßt mich leicht auf die Seite der Tadler hinübertreten.


Ladyslaus Pyrker.

(1820.)

Es ist erstaunlich, wie der Vorteil auf die Gesinnungen nicht etwa bloß aus Verstellung, sondern in Wahrheit wirken kann. So ist der Patriarch von Venedig, sonst ein ziemlich freidenkender Mann, durch die hohe Würde, die man ihm, seiner vorausgesetzten orthodoxen Gesinnungen wegen, verlieh, und durch den aufrichtigen Wunsch, einer solchen Begünstigung nicht unwürdig zu sein, wirklich so orthodox geworden, daß er selbst nicht mehr im stande ist, zu unterscheiden, was an diesen veränderten Gesinnungen Wahrheit ist, was Selbsttäuschung und was Heuchelei. In der That haben auch alle diese Gemütszustände Anteil an seiner Orthodoxie, obwohl, wie ich überzeugt bin, die Wahrheit den meisten, sowie die absichtliche Täuschung den geringsten. Der feste Wille, etwas für wahr zu halten, ist ja doch bei jeder Ueberzeugung die Hauptsache. Menschen in ähnlichen Lagen wird oft mit dem Vorwurf der Heuchelei zu viel gethan.


Freiherr von Hormayr

(1822.)

Er (Philarchus) pflegt in seiner Geschichte, wie in einem Prozesse, immer nur den einen anzuklagen, den andern zu verteidigen. Plutarch im Aratus.


(1822.)

Der vaterländische Almanach für 1823 von Hormayr scheint mir beinahe eine neue Epoche in dem schriftstellerischen Treiben des Verfassers zu bezeichnen. Er fängt nämlich an, was er bisher nur in historisch-politischem Sinne gethan hatte, philosophisch generalisierend, zudem noch altritterlich und mystisch zu werden. (Siehe die Biographie Salms gegen das Ende.) Wenn er bisher zufrieden war, ein Johannes Müller zu sein, so hat er nunmehr noch den Baron Fouqué, Friedrich Schlegel und Zacharias Werner zum Beistand gerufen.


A. F. W. Griesel

(1820–1821.)

Gelesen: Albrecht Dürer, dramatische Skizze von Griesel.Prag 1820 Recht hübsch. Mit unverkennbaren Zeichen von poetischem, wenn auch nicht gerade von dramatischem Talent. Eine eigentliche Handlung hat das Ding durchaus nicht; denn, merkt man, daß Dürer sich verstellt, so kann seine Weigerung, die Liebenden zu vereinigen, keine Verwicklung, sondern nur eine Verzögerung herbeiführen, und merkt man's nicht (was doch nur gleich anfangs der Fall sein kann), so entsteht mehr ein widerwärtiges Gefühl gegen Dürern, als Teilnahme an dem Los der Liebenden. Wäre das Ganze mehr dahin gedrängt – was zwar angedeutet, aber nicht ausgeführt ist –, daß der ganze Anschlag, statt eine höchst überflüssige Prüfung der, Dürern ohnehin bekannten Gesinnung der jungen Leute; vielmehr eine Emanzipation, eine Probe sei, ob diese Gesinnung in ihnen tüchtig geworden und ihnen jene Selbständigkeit gegeben habe, die dem Künstler und dem Gatten not thut im Leben, so bekäme das Ganze mehr Interesse, und die Prüfung verlöre die Leerheit, die sie so undramatisch macht. Dann mußte aber auch das Gespräch mit Marien vorangehen und ganz kurz behandelt werden, da das Mädchen, wie es jetzt schon so hübsch angelegt ist, selbst dem Zeugnis ihres Oheims gegen ihn selbst, nicht glaubt. Hierauf mußte, als der eigentliche Punkt, ich möchte sagen die Katastrophe, die Prüfung Martins folgen, und die Wirkung auf diesen bis zu einem Entschluß gesteigert werden, er mußte sich entschließen, eher von seinem geliebten Meister und dadurch von seiner Liebe, als von dem zu scheiden, was ihm als das Höchste erschienen war. Dadurch könnte allenfalls das Ganze dramatisches Leben bekommen, das ihm jetzt ganz fehlt. Die Charakteristik ist übrigens rein subjektiv, und Dürer könnte sich unmöglich in seinem Abbild erkennen. Dieses Bewußtsein aus Reflexion, diese Ruhe bei Kenntnis des Widerstreites war dem Manne und seiner Zeit (in Nürnberg wenigstens gewiß) durchaus fremd.


(1821.)

Gelesen: Monaldeschi nach dem Englischen von Griesel.Prag 1821. Wenn ich bei Griesels erstem Werke: Albrecht Dürer fast geneigt war, den Verfasser für etwas Besseres zu halten, so widerlegt das gegenwärtige Drama jene gute Meinung fast von Grund auf. Das Ganze ist rein verkehrt; schon die Wahl des Stoffes zeugt beinah von gänzlichem Mangel alles dramatischen Sinnes. Halb unbewußt mag den Bearbeiter Goethes Egmont geleitet haben, die Führung des Ganzen, die Anlegung der Charaktere und vorzüglich der bis aufs kleinste nachgebildete Dialog zeigen das an, aber, Himmel! welche Verschiedenheit. Die Rolle des spanischen Machtkolosses und seines Organs Alba spielt hier eine zusammengeflickte Lumpenkönigin, eine Königin, die keine ist und durch nichts Anspruch machen kann, eine zu sein. Wenn Egmont durch jene ungeheure Macht, wie durch ein zweites Schicksal, zermalmt wird, so fällt Monaldeschi durch den widerwärtigsten, prosaischsten Meuchelmord, der je, von der Kunst verschmäht, in einer Spitzbubenkneipe verübt ward. Wenn in Egmont die größten Interessen der Menschheit auf dem Spiel stehen, so ist hier ein Bergami, der den Stallbesen bekömmt, weil er seiner fürstlichen Hure nicht mehr nach Pflicht prästieren will. Wie lächerlich obendrein das Ganze dadurch wird, daß ewig die Gnade und Ungnade Christinens als etwas Entscheidendes behandelt, Monaldeschi seines – Stallmeisteramtes! pomphaft entsetzt wird u. s. w., ist nicht zu sagen. Vergaß Griesel denn, daß in Christinens Lage nicht von dem Verhältnis zwischen König und Unterthan, sondern zwischen Herrn und Bedienten die Rede sein kann, besonders da seine Personen keine geborne Schweden, also wenigstens vormalige Unterthanen Christinens sind, sondern Italiener, aufgenommene, bezahlte Bediente! Dann die Charaktere, dieser Monaldeschi, dieser Brackenburg, vor allem aber diese Christina – Pfui Teufel, der Karikatur!


Mayrhofer.

(1823.)

Mayrhofers Gedichte.Wien 1824. Diese Gedichte hätten nie gedruckt werden sollen! Sie erklären den Verfasser und der Verfasser erklärt sie; Freunde mochten ihnen im Manuskript vielseitiges Interesse abgewinnen: aber für den Fremden sind sie Rätsel, schwer zu lösen, und nach der Lösung oft kaum der Mühe wert, die es gekostet.


(1843).

Mayrhofers GedichteNeue Sammlung. Aus dessen Nachlasse mit Biographie und Vorwort herausgegeben von Ernst Freiherr von Feuchtersleben, Wien 1843 sind immer wie Text zu einer Melodie. Entweder zur anticipierten Melodie eines Tonkünstlers, der das Gedicht in Musik setzen sollte, oder es schimmert die Melodie eines gelesenen fremden Gedichtes durch, das er im Innern reproduzierte und mit neuem Texte und neuer Empfindung sich vorsang.


Ferdinand Raimund

(1836.)

Man hat oft bedauert, daß es Ferdinand Raimund, dem beliebten Volksdichter, an Bildung fehle; wenn diese noch dazu gekommen wäre, stünde der leibhafte Shakespeare noch einmal da. Ich glaube, es fehlt Raimund nicht sowohl an Bildung, als an der Fähigkeit, sich eine Bildung zu nutze zu machen. Andererseits merken seine Bewunderer nicht, daß gerade dieser Zusammenstoß von Geahnet-Poetischem und Gemein-Unkultiviertem es ist, was den Hauptreiz von Raimunds Hervorbringungen ausmacht. Das Barocke ist sein Verdienst, aber sein großes Verdienst.


(1837.)

Der erste Band von Ferdinand Raimunds Werken ist erschienen (Wien, bei Rohrmann und Schweigerd, 1837). Je lebhafter im Publikum Wiens noch die Erinnerung an jenen vortrefflichen Zustand des Leopoldstädter Theaters ist, an jenes Zusammenwirken ausgezeichneter Talente, welche diese Bühne zu einer der merkwürdigsten Erscheinungen im Kreise der deutschen Dramatik machten, je wärmer die Anhänglichkeit ist, welche dasselbe Publikum dem begabtesten unter diesen Darstellern, dem Verfasser der hier angezeigten Schauspiele, widmete, um so erfreulicher muß eine Gabe sein, die, nachdem die Befangenheit des ersten Eindrucks zu wirken aufgehört hat, nunmehr auch dem Urteil sein unbestreitbares Recht auszuüben gestattet.

Allerdings hat die vortreffliche Darstellung von Raimunds Stücken, seine eigene mit eingeschlossen, zu den glänzenden Erfolgen derselben vieles beigetragen; aber die Darstellung gehört auch dem Verfasser, wie die Schlacht dem Feldherrn gehört, ohne daß deshalb das Verdienst der einzelnen Krieger das Geringste an seinem Werte verliert. Die glänzendste Tapferkeit ist wirkungslos, wenn ein leitender Geist ihr nicht die gehörige Stelle anweist, und der begabteste Schauspieler wird nie mehr leisten, als der wahre Dichter nicht etwa bloß gewollt (das wäre leicht), sondern selbst in die Rolle hineingelegt hat.

Es gibt wohl dramatische Konzertstücke, die, bei schwacher Versinnlichung von Seite des Verfassers, dem Schauspieler Gelegenheit bieten, in der Entwicklung seines eigenen Talentes Halt und Verbindung zu suchen und zu finden; das sind aber nur, um in der Kriegssprache fortzufahren, gelegentliche Scharmützel, Ueberfälle, Husarenstreiche, deren Erfolg zur Würdigung des Feldherrn wie des Dichters eben nichts beiträgt. Der wahre dramatische Dichter sieht sein Werk darstellen, indem er es schreibt, und die Darstellung auf der Bühne kann ihn höchstens durch die Genauigkeit der Kopie angenehm überraschen.

So hat Raimund in seiner besten Zeit geschrieben. Aber diese beste Zeit war seinem Entwicklungsgange nach nicht seine erste. Er fing, durch die ungünstigsten Verhältnisse sich selber Bahn brechend, damit an, eigentliche Theaterstücke (was ich oben Konzertstücke nannte) zu schreiben. Er wollte sich und seinen Kameraden Gelegenheit geben, ihre Darstellungsgabe an einem die Aufmerksamkeit fesselnden Kanevas zu zeigen, wo dann die eigentliche Ausmalung der Charaktere und Situationen dem Talente, ja der Persönlichkeit jedes einzelnen überlassen blieb. Ein wenig zu dieser Gattung gehört, man muß es gestehen, das erste der in dem vorliegenden Bande gebotenen beiden Stücke: Der Diamant des Geisterkönigs. Voll guter Einfälle, mit einer nicht unglücklich geführten Handlung, würde doch niemand, z. B. in dem leicht skizzierten Entwurf der Geliebten des Bedienten Florian, jene Naturwahrheit und Grazie erkennen, welche die unnachahmliche Krones in diese Rolle zu legen wußte. Korntheuer spielte sich selbst, als er den Geisterkönig gab, und die Figur gewann dabei offenbar. Nichtsdestoweniger aber ist das Ganze auch im Lesen unterhaltend und lobenswert.

Was aber von Raimund oben Rühmliches gesagt worden ist, gilt in ganzer Ausdehnung von dem zweiten Stücke: Der Alpenkönig und der Menschenfeind. Man muß die Wüste der neuesten Poesie durchwandelt haben, gefühlt haben, wie Naturwahrheit und Leben aus dem begriffsmäßigen Gerüste talentloser Ueberschwenglichkeiten sich nach und nach ganz zurückzuziehen droht, um das Erquickende dieser frischen Quelle ganz zu empfinden.

Zuerst der Gedanke des Ganzen, die etwas barocke Einkleidung des auf der Volksbühne auch der Form nach stationär gewordenen Zauberhaften abgerechnet, hätte selbst Molière eine vortrefflichere Anlage nicht erdenken können. Ein Menschenfeind – oder vielmehr, um den Namen für die Sache zu gebrauchen – ein Rappelkopf, dadurch geheilt, daß er sein eigenes Benehmen sich selbst vor seine eigenen Augen gebracht sieht: ein psychologisch wahreres, an Entwicklungen reicheres Thema hat noch kein Lustspieldichter gewählt.

Nun aber die Entwicklung selbst, die eigentliche Aufgabe der Poesie: die Belebung des Gedankens! Raimund hatte den Vorteil, in der wunderlichen Hauptperson ein wenig sich selbst kopieren zu können; aber auch alle übrigen Personen: dieser in seiner Langweiligkeit ergötzliche Bediente gegenüber dem schnippischen Stubenmädchen durch einen natürlichen Antagonismus in immerwährendem Wechselspiel gegeneinander. Die Seelenreinheit, ja Seelenadel im Charakter der Gattin, deren natürlicher Sinn (es ist nicht zu sagen, wie viel Kunst darin liegt) selbst den im Stücke geforderten und von allen übrigen Personen unbedingt geteilten Glauben an den geisterhaften Alpenkönig nur als ein Halbfremdes aufnimmt. Die Tochter, anfangs nur leicht angedeutet, gegen das Ende zu aber immer bestimmter, eigentlich rührend ohne Sentimentalität. Jene Scene in dem »stillen Haus«, der an niederländischer Gemäldewahrheit ich kaum etwas an die Seite zu setzen wüßte. Und das alles zu einer Einheit der Form gebracht, die anregt, festhält und das ganze Gemüt des Zusehers in den bunten Kreis hineinbannt. Ueberall Blutumlauf und Pulsschlag bis in die entferntesten Teile des eigentlich organischen Ganzen.

Ich wollte, sämtliche deutschen Dichter studierten dieses Werk eines Verfassers, dem sie an Bildung himmelweit überlegen sind, um zu begreifen, woran es unsern gesteigerten Bestrebungen eigentlich fehlt, um einzusehen, daß nicht in der Idee die Aufgabe der Kunst liegt, sondern in der Belebung der Idee; daß die Poesie Wesen und Anschauungen will, nicht abgeschattete Begriffe; daß endlich ein lebendiger Zeisig mehr wert ist als ein ausgestopfter Riesengeier oder Steinadler.Der Schluß des Aufsatzes ist nur im Konzept erhalten.

Um wie viel leichteres Spiel ein Verfasser hat, der sich alles erlauben darf, sei übrigens gegenüber den ehrenwerten Bestrebungen, die zugleich die Ansprüche der Bildung und eines vorgerückten Bewußtseins im Auge haben, keineswegs vergessen.

Hätte Raimund drei Stücke geschrieben von dem Werte des Alpenkönigs, sein Name würde nie vergessen werden in der Geschichte der deutschen Poesie, so wenig als Gozzis Name in den Jahrbüchern der italienischen.

Alles zusammengenommen kann man Oestreich nur Glück wünschen, daß der (bisher) gesunde Sinn der Nation derlei natürlich anmutige Werke zum Vorschein bringt, denn, Raimunds großes Talent ungeschmälert, hat das Publikum ebensoviel daran gedichtet als er selbst. Der Geist der Masse war es, in dem seine halb unbewußte Gabe wurzelte, und hätte der unverständige Eifer gutmeinender Freunde ihn nicht aus seinem mütterlichen Boden losgerissen, wir hätten noch immer, was wir hatten und ganz Deutschland fehlt: ein eigentlich volksmäßiges Theater im besten Sinn des Wortes.


(1834.)

Zu Raimund. Das Ernste ist in Ihnen bloß bildlose Melancholie; wie Sie es nach außen darzustellen suchen, zerfließt es in unkörperliche Luft. Im Komischen haben Sie mehr Freiheit und gewinnen Gestalten. Dahin sollte Ihre Thätigkeit gehen.


Das Waldfräulein von Zedlitz.Stuttgart 1843.

(1843.)

Indem wir dieses Gedicht mit wahrer Befriedigung aus der Hand legen, danken wir dem Verfasser vornehmlich für zwei Dinge.

Erstens daß er sein Werk in zusammenhängender, ununterbrochener Darstellung vollendet hat, statt jener fragmentarischen Stückelepik, die gegenwärtig Mode geworden ist, wo denn guckkastenartig ein Bild nach dem andern eingeschoben wird, und man am Ende eine Reihe lyrisch-beschreibender Stellen vor sich hat, nie aber ein Epos oder überhaupt ein Ganzes. Denn das epische Gedicht wie das Drama will nicht nur gelesen, es will mitgelebt werden. Kein Leben aber ohne Zusammenhang. Non datur vacuum in rerum natura. Ja, dieses Fragmentarische ist gewöhnlich nur ein Auskunftsmittel für den Mangel an fester Anschauung und wahrer Empfindung von Seite des Dichters. Denn wie der Lügner oder Heuchler uns in prägnanten Momenten künstlich täuschen kann, in fortwährender Nähe aber, bei einzelnen Uebergängen und scheinbar gleichgültigen Anknüpfungen leicht der Unwahrheit und des Betruges überführt wird, so ist auch dem unklaren oder unwahren Dichter nichts gefährlicher als der Zusammenhang.

Wir haben zwar in letzterer Zeit das glänzende Beispiel eines zusammenhängenden epischen Gedichtes in Tristan und Isolde von Immermann. Dieser Schriftsteller aber hat schon von vorneherein darin gefehlt, daß er einen brutalen, für die gebildete Empfindung ungenießbaren Stoff gewählt und ihn noch dazu an den gefährlichen Stellen: wie der Liebestrank u. dgl., nicht etwa symbolisch, sondern rein materiell und faktisch durchgeführt hat. Dann verschwindet selbst das Lob des Zusammenhanges, wenn man sieht, wie er Einzelheiten, als die Jagd, weitläufig, ob zwar meisterhaft darstellt, dagegen Hauptmomente, wie das Erwachen des verwundeten Tristan und die Verkehrung von Isoldens Haß in Liebe, geradezu überspringt. Da ist denn eben auch der Guckkasten. Man darf vielmehr dem geistreichen und talentvollen Immermann Glück wünschen, so sehr man seinen frühzeitigen Tod bedauern muß, daß er vor Vollendung dieses epischen Gedichtes gestorben ist. Es würde sich sonst gezeigt haben, was sich bei seinen Dramen, ja selbst bei seinen Romanen gezeigt hat, daß er allerdings im stande war, ausgezeichnete Scenen und Einzelheiten zu schaffen, aber kein Ganzes, gleich den übrigen, die er so treffend als Epigonen bezeichnet.

Es ist rührend und zugleich bezeichnend für seinen Standpunkt, daß er vor seinem Ende den Wunsch geäußert haben soll, Tieck möge das zurückgelassene Gedicht vollenden. Als ob Tieck in seiner besten Zeit derlei zu machen im stande gewesen wäre! Dieser Mann, Tieck nämlich (auch ein Epiker), ist überhaupt von dem nachteiligsten Einfluß auf die deutsche Poesie gewesen. Er hat die Bessern verdorben, indes die Tageslitteratur die Schlechten verschlechtert. Wie sein eigener Prinz Zerbino hat er die Poesie überall gesucht: in den Spaniern, in den Altdeutschen, in der Romantik, in der Mystik, in den Engländern und Italienern, und nirgends gefunden, weil er sie da nicht suchte oder vielmehr nicht fand, wo sie allein anzutreffen ist: in der eignen empfindenden Brust. Sein Talent, aber sein großes Talent ist die Fratze, die Verspottung des abgeschmackten in eigentlich poetischer Weise. Sein gestiefelter Kater, sein Blaubart sind Meisterwerke in ihrer Art. Wo es aber auf ein Positives, Wahres ankommt, nimmt er proteusartig die Haut eines ausgebälgten Schriftstellers über und spricht aus ihm heraus, statt den Schriftsteller in sich aufzunehmen, das Beste desselben in den eigenen Lebenssaft zu verwandeln und dadurch zu eigner Produktion zu erstarken. So hat er den Shakespeare übergestülpt und will ihn mit Haut und Haar auf das deutsche Theater übertragen, ohne sich darum zu kümmern, ob die heutige Empfindungsweise sich den Bedingungen einer längst vergangenen anzuschließen vermöge oder nicht. Dasselbe hat er mit Calderon versucht und scheint Lust zu haben, auch Euripides nachfolgen zu lassen. Es ist aber vor allem nötig, daß die Menschheit im ganzen, das Publikum, seinen gegenwärtigen Zustand wahr und lebhaft empfinde; nur was es damit in Zusammenhang bringen kann, ist ihm lebendig. Für Totes oder mit Abstraktion empfinden ist nur die Sache des Gelehrten, der aber die Erweiterung seiner Grenzen leicht mit der Kompaktheit des Begrenzten bezahlt. Tieck verdient vor allem darum hier eine Stelle, weil man neuerlich in der Novelle ein Surrogat für das Epos hat finden wollen. Die Poesie hat aber mit der Prosa nichts gemein, die eine fliegt, die andere geht, die eine singt, die andere spricht. Ein eigentlich poetischer und poetisch konzipierter Gedanke würde sich aber in Prosa so abgeschmackt ausnehmen als ein prosaischer in Versen. Die Martyres von Chateaubriand und Jocelyn von Lamartine sind mir eben als Beispiele bei der Hand. Derlei Mischgattungen aber gefallen – außer denen, die sich eben damit amüsieren wollen – vor allem jenen Halbköpfen, die wahr und falsch, Freisinn und Beschränktheit, Vernünftiges und Traditionelles gern in einen Topf zusammenmischen und, unfähig, irgend etwas rein aufzufassen, alles zu haben glauben, wenn sie aus allem ein Nichts zusammenbrauen. Tiecks Publikum besteht vor allem aus jenen falschen Goethianern, die den Mangel an Konzentration in den letzten Werken des größten aller Deutschen als ein völlig kongeniales Element für ihren eignen Mangel an Wärme und Anteil betrachteten.

Außer der rein poetischen, unzerstückelten Durchführung hat Zedlitzens Werk noch einen zweiten Vorzug: daß es uns mit jenem Ideenkram verschont, der die Hervorbringungen der neuesten Zeit so widerwärtig macht. Allerdings muß jedem Gedicht, wie jedem menschlichen Bestreben, eine Intention, ein Gedanke oder, in höchster Bezeichnung gefaßt, eine Idee zum Grunde liegen, andererseits aber soll das Gedicht ein lebendiges sein und alles Lebendig-Wirkliche ist ein Konkretum, der Gedanke aber oder die Idee ist und bleibt ein Abstraktes. Derjenige muß sich einer großen belebenden Kraft bewußt sein, der, wie Shakespeare und Lope de Vega selten, die alten Tragiker aber und Calderon häufig gethan haben, eine Idee von vornherein als Träger seiner Handlung hinstellt. Glücklicherweise aber – um jene beiden Faktoren: Leben und Idee miteinander zu verknüpfen – findet sich, daß bei jedem vollkommenen Wirklichen, und wäre es nur ein Baum oder eine Landschaft, sich aus dem Beschauen heraus von selbst eine Idee dem Sinneseindrucke zugesellt, indes die Idee für sich allein nie und nimmer einen Körper, eine sinnliche Existenz gewinnt, und um letzteres wäre es eben zu thun; denn das Gedicht soll leben, es soll dasein, eine wenn auch nur Schein-Wirklichkeit haben. Große Dichter wie Homer und Ariost haben daher im Laufe ihres Werkes allerdings Gedanken in Fülle angeregt, den Abschluß aber, wie Gott es mit der Welt gemacht hat, mehr dem Gemütseindrucke des Ganzen, als irgend einer praktischen oder theoretischen Ideenspitze anvertraut. Aber, wie gesagt, beinahe ebenso große Dichter haben hievon das Gegenteil gethan, mit beinahe gleichem Erfolg; nur muß man eben ein großer Dichter sein, um diesen gefährlichen Weg mit Glück zu betreten. Nun kommen aber unsere neueren poetischen Stümper und raffen von allen Seiten Riesenideen zusammen, die, wie natürlich, ihnen nicht gehören, indes, was ihnen gehört: Darstellung, Formgebung, Belebung, so erbärmlich ist, daß man damit nicht eine Maus beleben könnte, viel weniger Elefanten, Drachen und sonstige Weltungetüme, die sie wie Haushühner aus Gedankeneiern ausbrüten. Es wird einem dabei zu Mute, als ob man Gassenbuben mit dem Degen Napoleons oder dem Scepter Friedrich des Einzigen spielen sähe.

Mit diesem Ideenkram hat uns nun Zedlitz in seinem Waldfräulein großmütig verschont. Es ist, als ob man einmal wieder eine Blume vor sich hätte, nachdem man sich lange von Medizinalkräutern hat anstinken lassen müssen. Es fehlt übrigens nicht an einem durchgehenden Gedanken, obwohl er vielleicht – um so besser! – dem Verfasser selbst nicht deutlich geworden ist. Der kunstsinnige Leser fühlt ihn, ohne ihn formulieren zu können oder zu wollen. Der Kunstsinn ist eben die Gabe, den Gedanken im Bilde und nur im Bilde zu genießen.

Nackt und für sich allein gehört die Idee der Wissenschaft oder der Phantasterei, welche beide mit der Kunst nichts zu thun haben. Die Herren Menzel und Gervinus, und wie die blödsichtigen Kunsthistoriker und Kunstphilosophen alle heißen mögen, werden freilich höchst ungehalten sein, von ihren volkstümlichen, vaterländischen, sozialistischen und utilitarischen Rezepten hier nichts in Anwendung gebracht zu sehen, wir raten aber dem Verfasser, sich um das sachunkundige Geplapper dieser Matadore, Totschläger (der Kunst nämlich) wenig zu kümmern.

Zedlitz scheint hier in seinem eigentlichen Fache zu sein. Er ist zwar früher im Drama glänzend aufgetreten, aber die strenggeschlossene dramatische Form dürfte seiner mehr lebhaften als konzentrierten Anlage weniger zusagen. Wenn er sich einen ausgedehnten epischen Stoff, ein Rittergedicht im eigentlichsten Sinne, zum Vorwurf nähme, wo die Freiheit des einzelnen nicht durch die unverwandte Rücksicht aufs Ganze sich beschränkt und eingeengt fände, könnte er sein poetisches Streben mit dem würdigsten Abschlusse krönen.

Was nun das vorliegende Gedicht betrifft, so ist die zweite Hälfte entschieden besser als die erste. Es ist, als ob der Verfasser anfangs nicht den rechten Ton hätte finden können, als ob das Werk zur eignen Unterhaltung begonnen worden wäre, ohne noch zu wissen, ob es je zu Ende kommen werde. Nach und nach aber wird die Darstellung freier, die Figuren treten schärfer heraus, und gegen den Schluß zu wird Waldfräulein ein wirkliches Individuum, eine Existenz. Ebenso ist der Vers anfangs knapp, altertümelnd, was man den neuern deutschen Dichtern verzeihen muß, weil sie keinen Rhythmus im Ohr haben und derjenige mit Recht eine fremde Form nachahmt, der in sich keine eigne findet; aber ein so vortrefflicher Versifikateur, als Zedlitz sich in seinen übrigen Werken gezeigt hat, muß auch in der Form wahr sein, d. h. diejenige gebrauchen, die dem Standpunkt der Zeit und seinem eigenen entspricht.

Die einzelnen Schönheiten des Gedichtes aufzuzählen ist hier nicht die Absicht. Der geneigte Leser mag es nur selbst lesen. Dazu auffordern und lächerlichen Einwendungen des Pedantismus zu begegnen, so viel und nicht mehr hat man gewollt.

Die hypochondrische und nur in ihren politischen Abirrungen mitunter cholerische deutsche Poesie hat in diesem Gedichte einmal wieder ein sanguinisches Element gewonnen, und Erheiterung des Lebens ist ja die ursprüngliche und am Ende aller Ende die schönste Aufgabe aller Poesie.


Gedichte von Prokesch.

(1844.)

Diese Gedichte machen mir den Eindruck, als ob jemand das arpeggierende Accompagnement eines Liedes spielte, die Melodie selbst aber nicht sänge. Man kann allerlei bei diesen Gedichten denken, und der Verfasser hat wahrscheinlich auch allerlei dabei gedacht; aufgedrungen wird einem aber nichts.


Wlasta von Karl Egon Ebert1829.

(1830.)

Ein Nachteil, der diesem Nibelungenversmaß anklebt gegenüber dem Alexandriner, mit dem es denn doch am meisten übereinkommt, ist die Schwierigkeit des enjambement, da nämlich keine so bestimmt ausgesprochene Cäsur wie beim Alexandriner den gestörten Rhythmus wiederherstellt, z. B. S. 38.

»Ich trat hinein – doch plötzlich, wie aus dem Himmel bricht
Ein Wolkenbruch, so stürzte der Zauber auf mich los.«

Die beiden Verse lösen sich beim Recitieren in vollkommene Prosa auf, wie denn überhaupt die Nibelungenstrophe nur dann ein eigentliches Versmaß ist, wenn der Sinn der Worte erlaubt, nach dem weiblichen Einschnitt der ersten Hälfte des Verses einen kleinen Ruhepunkt zu machen.

*

»Und wie die Pest, die grimme, wenn Götterzorn sie ruft,
Als gift'ge Pfeile brauchet den Atem, ja die Luft:
So fliegt der Freiheitstaumel, bethört vom Scheingewinne,
Mit Luft und Wind vom Haupte zum Haupt, vom Sinn zum Sinne.«
            (Unerträglich wegen Mangel der Cäsur.)

*

(Doch die andern fechten.) Doch fechten die andern. – Fechten doch die andern. Der Gebrauch dieser beiden doch, des vor dem Zeitworte (Bindewort) und des nach ihm stehenden (Partikel) häufig vermischt (die doppelte Natur dieses doch doch näher zu entwickeln).

*

An höchst widerlich häufig statt auf gebraucht.

*

In dem Abenteuer des Ctirad hätte von vornherein verborgen werden sollen, daß das angebundene Mädchen Scharka und das Ganze ein angelegter Plan sei.

*

Nach der Schlacht scheint das Gedicht ermatten zu wollen. Die Forderung kränkelt an dem schon von vornherein unglücklichen Bestreben, dem Ganzen eine höhere Begründung und epische Einheit zu geben. Der Besuch verspricht von vornherein etwas, wird aber im folgenden ganz unbedeutend. Ja selbst die sonst löbliche Form verliert alle Merkmale der Begeisterung.

*

Dem Hiatus, gegen den man freilich im Deutschen mitunter zu streng eifert, hier wohl zu häufig Raum gegeben.

*

Radka und Stiason – wohl der hergebrachte deutsche Gemütsjargon.

*

Gegen Ende erhebt sich das Gedicht wieder. Das Ganze würde sehr gewinnen, wenn es sich, statt als Heldengedicht, etwa als ein Romanzencyklus ankündigte. Aus letzterem Gesichtspunkte ist es wirklich teilweise von großem Verdienst.

Auf dem Titel wird es als ein böhmischnationales Gedicht angekündigt. Es ist deutschen Mustern nachgeahmt, die darin herrschende Denk- und Sinnesweise ist deutsch, das Versmaß ein deutsches, ja die Sprache ist die deutsche; wo steckt da das Böhmischnationelle? Wegen des Stoffes? Da müßte Schillers Jungfrau von Orleans auch ein französisches Werk sein. – Derlei unhaltbaren Winkelnationalitäten wäre zu raten, sich lieber an eine bedeutende äußere anzuschließen (von der ihnen ohnehin auch das wenige von Bildung gekommen ist, das sie etwa besitzen), als in einem immerwährenden Wechsel von Ablehnen und Annehmen sich und jede Kraft zu verzehren.


Bauernfeld

Meine Ansicht.

(Februar 1835.)

Herr Saphir berichtet in einem der jüngsten Blätter der Wiener Theaterzeitung: Ein mittelmäßiger Schriftsteller habe gesagt: es wäre eine glückliche Zeit gewesen, da es noch keine Kritik gab. Da nun unser Landsmann Bauernfeld sich vor kurzem auf eine ähnliche Art über die Nachteile der Kritik geäußert hat, sind einige auf den Gedanken verfallen, Herr Saphir habe mit seinem mittelmäßigen Schriftsteller auf Bauernfeld anspielen wollen. Ich glaube es nicht. Erstens weiß Herr Saphir, wie ganz Deutschland es weiß, daß Bauernfeld kein mittelmäßiger, sondern ein sehr guter Schriftsteller ist. Dann – wollte man auch das Wort gut in einer so übertriebenen Steigerung gebrauchen, daß es mit fehlerlos zusammenfiele – auf welcher Stufe müßte derjenige selbst stehen, der über Bauernfeld das Mittelmäßig aussprechen wollte? Nein, nein, Herr Saphir denkt nicht daran.

Grillparzer


Theater.

(März 1835.)

Herr Saphir hat sich in seiner Eigenschaft als litterarischer Possenreißer über Bauernfelds neuestes Schauspiel »Fortunat« lustig gemacht. Man kann ihm das kaum verübeln. Wen völlige Kenntnislosigkeit und das Bewußtsein einer schmachvollen schriftstellerischen Laufbahn unfähig machen, mit Gründen und zu Gebildeten zu sprechen, thut wohl, sich an die Lachlust des Pöbels zu wenden. Da es aber doch unter seinen, d. h. den Lesern der Wiener Theaterzeitung mehrere geben mag, bei denen gedankenlose Spaßliebhaberei das Interesse an Kunst und Bildung nicht völlig erstickt hat, so wollte ich diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne Herrn Saphir meine völlige Verachtung zu erkennen zu geben und jene Spaßliebhaber darauf aufmerksam zu machen, daß man in Gefahr kommt, dem ähnlich zu scheinen und zu werden, was man billigt, eine Gefahr, die nicht gering ist, wenn man Herrn Saphirs Schicksale, Leben, Thaten und Leiden kennt.

Was Bauernfelds Stück betrifft, so teilt es mit mehreren geistreichen Produktionen der neuern Zeit den Uebelstand, daß der Verfasser aus zu unbedingter Vorliebe für die großen Schriftsteller der vergangenen Zeit, nebst dem Streben, sich ihren Geist anzueignen, auch zum Teil die Form ihrer Darstellung gewählt hat, welche, als eine vergangene, der Empfindungsweise der Gegenwart nicht immer, wenigstens nicht augenblicklich zusagt. Das hieraus entspringende Befremdliche machte es auch einer Clique erwachsener Straßenjungen möglich, am Tage der ersten Vorstellung durch Störungen aller Art die Aufmerksamkeit des Publikums von dem innern Werte der Dichtung abzulenken, der ein so bedeutender ist, daß durch Verteilung einer einzigen Scene man sämtlichen Rezensentenpöbel, Herrn Saphir mit eingeschlossen, litterarisch ehrenhaft machen könnte. Was keine kleine Sache wäre.


(1836.)

Bauernfeld ist glücklich in der Charakteristik der Nebenpersonen, weil er diese negativ halten kann und nur abgerissen, sprungweise einzuführen braucht. Die Charaktere der Hauptpersonen sind unbedeutend oder höchst allgemein. Dasselbe gilt von den meisten der neueren Dichter. Wo sie den Charakter einer Hauptperson festhalten, wird er ihnen zum Begriff, wenn nicht zur Karikatur, oder die Handlung des Ganzen leidet darunter und sinkt auf Null herab. Nicht die Charakteristik ist schwer, sondern die Verschmelzung der Charaktere mit dem Stoffe.


Lenau.

(7. Januar 1884.)

Lenaus Gedichte haben wunderliche Eigenschaften. Ein unleugbares poetisches Talent, das manchmal sogar ans Bedeutende streift. Der Vers gut gebaut, obwohl er sich selten bis zum Rhythmus erhebt. Der Verlauf der Empfindung oft untadelhaft, nur daß selten ein Ganzes der Empfindung daraus wird; denn wenn es nun darauf ankommt, die einzelnen Strahlen in einen Brennpunkt zu sammeln, schnappt das Ganze falsch ab, und irgend ein fern Herbeigeholtes oder Wunderliches stempelt, was wir bis dahin für gedacht und empfunden gehalten hatten, zur hohlen Grübelei. Der Ausdruck findet fast immer ein schickliches, selten aber das prägnante Wort. Dabei herrscht eine unselige Schwermut vor, d. h. eine solche, die sich nicht durch das Gedicht kopf-aufwärts befreien, sondern kopf-abwärts tiefer hineinarbeiten will. Das alles verbreitet einen Qualm über diese Gedichte, der mir wenigstens, bei aller Anerkennung, höchst widerlich ist.


Feuchtersleben

(1851.)

Ich bin mit Feuchtersleben verhältnismäßig spät bekannt geworden. Ich weiß daher – besonders da unsere Beziehungen vorzugsweise litterarisch waren – von seinen früheren Lebensverhältnissen so gut als nichts, und muß mich daher darauf beschränken, von seinen Charakter- und Geistes-Eigenschaften, überhaupt von demjenigen zu sprechen, worin wir der Beurteilung anderer unterliegen, und worauf auch nur entfernt hinzudeuten, ihn selber eine, nicht geheuchelte, sondern mit seinem innersten Wesen verbundene Bescheidenheit unter allen Umständen gehindert hätte.

Schon daß wir uns so spät kennen lernten, deutet auf eine Grundverschiedenheit in unserem beiderseitigen Wesen hin. Ich war durch meine poetischen Arbeiten, wenigstens unter meinen nächsten Landsleuten, zu Achtung und Geltung gekommen, und doch fühlte Feuchtersleben, der sich so gerne anschloß, kein Bedürfnis, mir näher zu kommen. Er mochte wohl in dem Verfasser der »Ahnfrau« Lebens- und Kunst-Ansichten voraussetzen, die mit jenen allerdings etwas barocken Ausbrüchen in einem nächsten Zusammenhange stünden. Ja, als ein gemeinschaftlicher Freund uns zum ersten Male einander gegenüber brachte, waren Feuchterslebens Aeußerungen und Haltung nicht frei von einer gewissen oppositionellen Schärfe, die er sich fruchtlos Mühe gab, zu verhehlen. Aber ein erstes Gespräch reichte hin, uns in geistige Gemeinschaft zu bringen; obwohl er gewissermaßen in sich fertig, und ich nicht geneigt war, von meinen Ueberzeugungen, irgend jemand zuliebe, auch nur ein Haar breit nachzugeben. Wir waren Freunde, ehe wir's wußten; wobei der Unterschied der Jahre in keine Rechnung kam, da das Systematische seiner Bildung seinem Alter vorauseilte, indes von meiner Seite die poetische Anschauung immer etwas Jugendliches mit sich führt.

Ich will aber nicht von mir reden, sondern von ihm. Von seinen Lebensumständen also ist mir nichts bekannt, als seine beispiellos glückliche Ehe. Mit einer Frau verbunden, die, bei freilich vortrefflichen Eigenschaften, doch an Lebhaftigkeit, an Gewohnheiten, ja von vornherein sogar an Bildung, das Gegenteil seiner selbst war, hatte er sich doch durch Nachgeben und Beharren, durch geistigen Einfluß und harmloses Sichgehenlassen, ein Musterbild von Ehe geschaffen, wie es ein zweites Mal nicht leicht vorkommen wird und, indem es allein schon seinen Charakter verbürgt, ihn als das bezeichnet, was er war: als Weisen in der That.

Die Grundlagen seines Charakters waren: Rechtschaffenheit, Wahrhaftigkeit, Wohlwollen und Bescheidenheit.

Er hat mit Recht von sich selbst gesagt: ich habe mir alles erkämpfen müssen! Denn nie ist ihm ein Vorteil geworden, den er durch Aufgeben einer Ueberzeugung oder durch Abweichen von dem strenggezogenen Pfade der Rechtlichkeit sich erworben hätte. Manche sind zwar in der letzten Periode seines Lebens irre an ihm geworden, aber da war er nicht mehr bloß Feuchtersleben, der Mensch, sondern mit der Sorge für andere betraut; und auch der pflichtgetreue Schiffer wirft im Sturme anvertraute Ballen über Bord, wenn er dadurch das Fahrzeug zu retten hofft. –

Wenn ich von seiner Wahrhaftigkeit sprach, so meinte ich nicht die gegen andere, denn diese ist wohl schon an sich in der Rechtschaffenheit mitbegriffen, ich meinte die in unsern Zeiten, besonders in Deutschland, selten gewordene Wahrhaftigkeit gegen sich selbst. Er hat sich nie große Ideen angelogen, Ueberzeugungen erkünstelt oder Bedürfnisse eingebildet. Nicht nur sein Denken, auch seine Empfindung war einig mit sich und wahr. Er kannte die Grenzen seiner Begabung, und nie ist es ihm eingefallen, darüber hinauszugehen, wenn ihm auch hundert Journale dafür eine papierene Geltung angeboten hätten.

So war das erste Streben seiner Jugend ein poetisches. An Verstand und Gefühl stand er so manchem Dichter voran, aber die Phantasie ging nicht gleichen Schritt. Darauf haben ihn nicht andere aufmerksam gemacht, sondern er selbst hat es bei reiferen Jahren erkannt, und er war ein so strenger Richter seiner selbst, daß er sich geradezu jedes poetische Talent absprach. Hundertmal mochte ich ihm sagen: das Reflektive und Gnomische sei zwar nicht die Poesie, aber auch Poesie; er blieb unerschütterlich und verurteilte sich selbst.

Beinahe kein Feld des menschlichen Wissens blieb ihm fremd. In der Philosophie war Kant sein Mann. Diese Philosophie der Bescheidenheit, die das demütige: »Ich weiß nicht« an die Spitze des Systems stellt, das Gegebene, als eines Beweises ebensowenig fähig als bedürftig, zum Ausgangspunkte nimmt, völlig zufrieden, wenn sie das logisch Richtige, Würdige und allen Förderliche damit in Uebereinstimmung bringen kann; die, gerade weil sie dem Denken seine Grenzen setzt, der Ahnung und Empfindung möglich macht, die leergewordenen Räume als Religion und Kunst auszufüllen – Kants Philosophie war die seinige. Daß er als Arzt, ohne eine Spur von Materialismus gar zu gerne Brücken zwischen der Physiologie und Psychologie gebaut hätte, ist wohl begreiflich.

Das Ziel seines Strebens und der Mittelpunkt seines Wesens war übrigens die Bildung, insofern damit die möglichste Erweiterung und harmonische Durchdringung aller Fähigkeiten und Erkenntnisse gemeint ist. Die entgegengesetzte Ansicht, daß jedes Wirken und jedes Talent eine gewisse Einseitigkeit, ein Uebergewicht nach einer Seite, voraussetze, gab er zwar zu, war aber nicht geneigt, die Übereinstimmung seines Innern einer solchen, wenn auch geistreichen, Störung preiszugeben.

Daß unter diesen Umständen Goethe sein Ideal sein mußte, leuchtet von selbst ein. Nie ist vielleicht der Kultus für diesen, allerdings Größten aller Deutschen weiter getrieben worden, als von ihm. Er war nicht geneigt, einen Wertunterschied zwischen den früheren und späteren Arbeiten des außerordentlichen Mannes zuzugeben; ja, ich habe alle Ursache zu glauben, daß ihn die späteren mehr befriedigten als die früheren; wie denn auch Goethe als Mensch und Mann bis zu seinem Ende immer im Fortschreiten begriffen war, nur daß die Bildungskraft, schon nach Naturgesetzen, ebenso sehr abnahm. Soweit es Feuchtersleben bei seiner Gutmütigkeit möglich war, grollte er mir vielleicht ein wenig, wenn ich jenen Unterschied, nach seiner Meinung zu sehr, hervorhob. Wir ließen uns daher über diesen Punkt nicht leicht in ein Gespräch ein. Freunde müssen auch Geheimnisse vor einander haben.

Seiner Begeisterung für die Kunst machte er – da er sich die eigene Begabung unbilligerweise selbst absprach – dadurch Luft, daß er sich dem Streben anderer auf das innigste anschloß. Nicht auf jene in Deutschland beliebte Weise, daß man sich in irgend einen großen Schriftsteller hineinbegibt, und nun von der fremden Höhe auf alles andere mit wegwerfender Verachtung herabsieht. Gerade das Gegenteil. Er war mit der hingehendsten Liebe vorzugsweise dem Streben seiner Zeitgenossen, ihm Näherstehenden zugewendet. Auf die Bildung junger Talente einzuwirken, aber auch bei Werken, die ganz unabhängig von ihm entstanden waren und eine solche Hingebung nur irgend vertrugen, jede gute Seite hervorzukehren, jede Wendung, jeden Gedanken zur Geltung zu bringen, überall ein Tieferes vorauszusetzen, zu supplieren, zu ergänzen, sich ganz in das Fremde hineinzuleben; er war unermüdet in solch liebevollem Anerkennen. Diese seine Weise hatte für einzelne seiner Freunde sogar etwas Gefährliches, und ich selbst mußte auf der Hut sein, seine optimistischen Deutungen in Bezug auf meine eigenen Arbeiten, bei mir selbst auf ihre wahre Geltung zurückzubringen.

Das ist, was ich das Wohlwollen des Mannes nannte. Und diese selbstvergessende Liebe war es, was ihm, verbunden mit seinen übrigen Vorzügen, den Stempel der vollkommensten Liebenswürdigkeit aufdrückte.

Als ein solcher wurde er in die Bewegungen des Jahres 1848 hineingeworfen. Ich weiß, wie sehr die Annahme der von ihm bekleideten StelleEr wurde im Juli 1848 Unterstaatssekretär im Unterrichtsministerium, doch legte er diesen Posten bald nieder und starb am 2. September 1849 seinem Innern widerstrebte, und daß man sein ganzes vaterländisches Gefühl in Anspruch nehmen mußte, um ihn zur Nachgiebigkeit zu bewegen. Er wäre für ruhige Zeiten der bestgedenkbare Unterrichtsminister gewesen. Hier aber kam er mit etwas in Konflikt, was seiner Natur rein entgegengesetzt war: mit der Roheit. Wie er in dieser Zeit – wo jede Bitte eine Sturmpetition und jede Verweigerung der Anlaß zu einem Aufstande war, – wie er also in dieser Zeit seiner Amtsführung gewirkt, wie weit er beharrt oder nachgegeben, bewilligt oder versagt hat, kann ich nicht sagen, denn seine Ueberhäufung mit Geschäften hatte eine Lücke in unserem Verkehr zur Folge. Aber das weiß ich, daß das Bewußtsein, nicht immer das Beste haben thun zu können und notgedrungen mancher seiner Ueberzeugungen untreu geworden zu sein, ihn getötet hat. Er ist vom Geiste aus gestorben. –


Friedrich Halm

(1836.)

Man spricht jetzt viel von der Griseldis des Baron Münch, eines allerdings nicht talentlosen jungen Mannes. Nach diesem ersten Produkte zu urteilen aber, glaube ich, es fehlt ihm, woran es Raupach fehlt: an Richtigkeit der Empfindung, der ersten und notwendigsten Eigenschaft eines Dichters.

*

Die Richtigkeit der Empfindung, die erste und wesentlichste Eigenschaft des Dichters, ist nicht eins und dasselbe mit der Wahrheit des Gefühls. Letztere geht den Menschen an und bestimmt seinen Wert, nicht aber den Wert des Gedichtes. Die Richtigkeit der Empfindung besteht in der Fähigkeit, sich durch starke Anschauung in die Gemütslage eines wahr Fühlenden zu versetzen. Verstand und Phantasie haben dabei ebensoviel zu thun, als das Gefühl.


Siegmund Engländer

(1847–1848.)

Es hat sich in ein hiesiges Blatt,Der Humorist von Saphir dessen Ausdruck bisher die Gemeinheit war, in dem Direktor Carl gelobt und Jenny Lind herabgerissen wurde, wie ein Paradiesvogel in einem Hühnerhof, ein Herr Sigmund Engländer verirrt, der mit den Abfällen der neuesten Theorien plattiert, und Hoffnung gibt, die Fortschritte, welche die deutsche Poesie seit Schiller und Goethe bis auf den gegenwärtigen Höhepunkt gemacht hat, auch unter uns heimisch zu sehen. Es würde die Sache sehr abkürzen, wenn man Herrn Engländer dumm nennen könnte. Das ist er aber so eigentlich nicht. Er macht mitunter eine richtige Bemerkung, wie sie allenfalls eine verständige Köchin auch machen könnte, er findet hie und da einen glücklichen Ausdruck, wo einem aber immer die Erinnerung anwandelt, daß man ihn schon irgend sonstwo gelesen habe. Das eigentliche Unglück ist, daß Herr Engländer, der selbst ohne Talent scheint, von den Bedingungen und Grenzen jedes Talentes keine Vorstellung hat. Auch ist seine Manier, die in den hiesigen Blättern neu erscheint, im übrigen Deutschland schon bis zur Lächerlichkeit verbraucht.


(1837.)

Man hat lange und oft von einer schwäbischen Dichterschule gesprochen. Neulich habe ich in einem BucheDie Poesie und die Poeten in Oesterreich im Jahre 1836 von Dr. Julius Seidlitz. Grimma 1837. auch von einer östreichischen gelesen. So absurd es nun eigentlich ist, in etwas, das, wie die Litteratur, aller Menschen Gemeingut sein sollte, von Absonderungen und winkelmäßigen Unterscheidungen zu sprechen, so mag es dagegen in einer Zeit, die in einem betäubenden Wirbel fieberhafter Anregungen Genuß und Befriedigung findet, nicht unrätlich sein, durch ein näheres Anschließen Gleichgesinnter Rückhalt und Stützpunkt zu finden.

Wenn nun also schon von östreichischen Dichtern im Gegensatz zu andern, die Rede wäre, worin müßten sie sich eben von den übrigen unterscheiden? Worin anders, als in dem, was den Oestreicher zu seinem Vorteile – so sehr er in vielen andern im Nachteile steht – von den übrigen gegenwärtigen Deutschen auszeichnet. Das dürften nun ungefähr drei Eigenschaften sein. Bescheidenheit, gesunder Menschenverstand und wahres Gefühl.

Bescheidenheit. Die Deutschen waren durch Jahrhunderte eine bescheidene und dadurch eine höchst liebenswürdige, wiewohl oft verkannte Nation. Die Unverschämtheit der Schlegelschen Schule, die als Vermächtnis auf Wolfgang Menzel u. s. w. überging, fand damals nur in einzelnen Köpfen Widerhall und der Ton der Litteratur blieb mäßig, ja, Fremden gegenüber submiß. Die Befreiungskriege der Jahre 1813 und 14 warfen dagegen ein Ferment in die Gemüter, das fortgor und wohl noch einige Zeit fortgären wird, eben weil es zu einem Abschluß nicht kommen kann, und erst im Gefühle der Leere aufhören wird, das seiner Natur nach so spät als möglich eintritt. Die gewonnene oder geträumte Wirksamkeit im Praktischen ward auch in das stille Reich der Gedanken übergetragen, da man einmal im Anfechten der Autoritäten mitten inne war, so wurden auch die litterarischen nicht verschont, und man kann seitdem wohl sagen, daß die übrigen Nationen nicht froher sind, einen neuen großen Schriftsteller gewonnen zu haben, als die Deutschen, einen längst Besessenen los geworden zu sein. Die eine Hälfte der Nation feindete Schillern an, die andere Goethen, ein neuerer kritischer Tropf hat sich nicht entblödet, Johannes Müller einen – Schurken – zu nennen, und die Urbarmachung des deutschen Bodens schreitet so rasch vorwärts, daß nach völliger Ausreutung der alten ehrwürdigen Stämme es bei eintretender Kälte bald an Erwärmungsmitteln fehlen wird. Hat man nun einen Riesen erschlagen, so muß sich der Ueberwinder notwendig selbst als ein Riese fühlen, und das thut denn auch die rüstige Schar, der innern Kraft bewußt, gegen alle Unternehmungen ins Ungeheure, Grenzenlose. Das nicht zu Umfassende wird angefaßt, das Nichtzubewirkende versucht, das Nichtauszusprechende gesagt.

Nun beruht aber alle Kunst nicht auf der Ausdehnung, sondern auf der Erfüllung. Sie ist ein Gestalten, ein Formgeben, ein Lebendigmachen. So wenig du in einem Lebenden einen leeren Raum findest, so wenig kann ein solcher in einem Kunstwerke zugestanden werden. Jede Lücke ist ein Tod. Nimmst du nun Stoffe, die über deine Kraft gehen, womit willst du sie erfüllen? Das Sittengesetz begnügt sich mit einem Wollen, die Kunst ist ein Können, davon heißt sie. Der Wert der Wissenschaft beruht auf der Idee, die Kunst auf der Darstellung der Idee. Sie führt den Gedanken ins Leben. Nun sieh aber ein Lebendiges an! Welche Masse der Muskeln und Fasern, welche Welt von Bezügen und Verbindungen in dem kleinsten Teile, und du willst Meerwunder und Riesenbilder schaffen? Wo nimmst du die Fülle des Innern her, um in jedem Atom deines Stoffes du zugleich und er zu sein? Ein aufgeblasener Lederbeutel ist noch kein Herz. Dank mit mir Gott, daß es Männer gegeben hat, im stande, sich in so großem Maßstabe mit der Natur eins zu fühlen, uns aber laß bescheiden sein, und nur das unternehmen, wozu die Kraft in uns ausreicht.

Das Zweite wäre der gesunde Menschenverstand. Da laß uns denn nicht verkennen, daß das übrige Deutschland an wissenschaftlicher Bildung uns Oestreichern weit voran steht. In die Gründe einzugehen führte hier zu nichts; es ist aber einmal so. Nun haben sie aber bei all ihrem Vorgeschrittensein einen unglücklichen Hang zur Grübelei, der sie oft um den besten Gewinn bringt. Die Grübelei unterscheidet sich aber von dem Denken darin, daß letzteres die Gründe des Vorhandenen aufsucht, aber zuletzt demütig vor den unauflöslichen Grundfakten stehen bleibt, an denen es ebensowenig eine Befugnis zu zweifeln hat, als an sich selbst, da dieses Selbst eben auch ein unerklärliches Grundfaktum ist. Die Grübelei aber ist eine in Gang gesetzte Mühle, die, wenn einmal das Aufgeschüttete verarbeitet ist, immer fort geht, bis sie die Mühlsteine, die Vorrichtung, und so sich selbst zermahlen hat. Wenig hilft es nun in der unseligen Leere, wenn das unabweisbare Positive wieder durch eine Hinterthür hereingelassen wird, denn es kommt als ein Abstraktum zurück, als ein willkürliches Gedankending; die Kunst hat es aber mit der Natur und ihrer Notwendigkeit zu thun. Für die Poesie gibt es ein Glauben und ein Hoffen, ein Lieben und ein Fürchten, und selbst die phantastischen Gebilde, die durch ihr immerwährendes Wiedervorkommen in allen Zeiten und Orten sich als notwendig verbunden mit der Menschennatur zeigen, gleichsam als die natürlichen Schatten, die das Licht des Geistes in die Dämmerung des Gemütes wirft, haben für sie mehr Realität, als die scharfsinnigen Spekulationen, die jedes Jahrzehent hervorbringt und das nächste verlacht. Dieser gesunde Menschenverstand nun, der nur halb im Kopfe wurzelt, halb aber in der fühlenden Brust, über den nicht versuchen hinauszugehen eine Schande für den forschenden Geist ist, zu dem aber bei allen Anlässen der Wirklichkeit nicht zurückzukehren das größte Unglück, das dem Menschen begegnen kann – diesen gesunden Menschenverstand haben wir Oestreicher ziemlich rein und unverfälscht erhalten. Laß uns froh darüber sein und ihn brauchen!



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