Franz Grillparzer
Studien zur deutschen Literatur – Zum eigenen Schaffen
Franz Grillparzer

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4. Goethe und Schiller

(1836.)

Schiller geht nach oben, Goethe kommt von oben.


(1834.)

Die Natur idealisieren und vom Standpunkte des Ideals die Natur betrachten. Das erstere gibt eine Abstraktion, das andere bleibt konkret; liebenswürdige Möglichkeit, schöne Wirklichkeit; Traum, Leben; Schiller, Goethe.


(1837.)

Goethe nimmt häufig zu wenig Rücksicht auf seine Leser. Er widerspricht scharf, um sich einen Irrtum bestimmt vom Leibe zu halten, und kümmert sich nicht darum, ob der Widerspruch in all seiner ungemilderten Schärfe, unabhängig von einer gegenüberstehenden Meinung betrachtet, vielleicht selbst einen Irrtum, ein Zuwenig oder Zuviel einschließe. Goethe kann nur begriffen werden, wenn man ihn in steter Polemik sich vorstellt. Seine Polemik ist aber nicht angreifender Natur, sondern abwehrender, und am Ende bloß Selbstverteidigung. Goethe als Litterator ist der kompletteste Egoist, er ist sein eigener Hof- und Hausdichter.


(1836.)

Goethe in seinen älteren Tagen ein großartig blasierter Geist.

(1836.)

Goethe hat ganz den Gesichtsschnitt der Frankfurter Weiber. Von wo der Mensch ausgeht, dahin kehrt er endlich zurück. Goethe ist endlich so winklich und schnörkelhaft geworden als seine Vaterstadt.


(1840.)

Es ist nicht zu sagen, was wir an Goethe haben würden, wenn er mit 30 Jahren Dichter hätte bleiben können und mit 60 Minister geworden wäre, statt daß es jetzt beinahe der umgekehrte Fall ist.

*

Sonderbar mag allerdings die Lage gewesen sein, als Goethe aus Italien zurückkam, wo er die glimmenden Kohlen seines frühern Dichterfeuers zu einer nachhaltigen und wohlthuenden Glut zusammengeschürt hatte, und er nun den lohen Brand Schillers in vollen Flammen fand.

*

Die beste Kritik über seine, übrigens wohl vortreffliche, Iphigenia hat Goethe selbst ausgesprochen, wenn er in einem Briefe an Schiller sagt: er habe sie nach langer Zeit einmal wieder durchgesehen und finde sie verteufelt human.


(1846?)

Biographisch merkwürdig jene Stelle in Goethes nachgelassenen Werken: Abschied von Rom, 60. Band, S. 251, wo er eine Aehnlichkeit zwischen seinem und Tassos Schicksal findet, »Der schmerzliche Zug einer leidenschaftlichen Seele, die unwiderstehlich zu einer unwiderruflichen Verbannung hingezogen wird.« Hier ist keine Aehnlichkeit denkbar als eine Neigung zu einer gleich hoch gestellten Person. Man hat ja öfter von derlei gemunkelt. Derlei aufzuspüren ist keine Klatscherei oder Fraubaserei. Was hat man nicht, und mit Recht, gethan, um das Verhältnis des historischen Tasso zu Leonoren aufzuklären. Derlei gibt den Schlüssel zur Entwicklung eines Charakters und eines Talents. Man hat so viel geschrieen gegen die Drucklegung von Böttigers Tagebüchern, die darüber auch ins Stocken geraten ist. Mir wenigstens thut letzteres leid. Nur Knaben steht es an, ihre Helden in eitel Licht sehen zu wollen.


(1835.)

Lächerlich ist die Behauptung, Goethe habe sich nach dem Publikum gerichtet und ihm jederzeit gegeben, was es zu wünschen schien. Dem Publikum aufzudringen, was es nicht wollte, war sein Streben. Es hat sich lange genug, ja immer gegen die natürliche Tochter u. dgl. gewehrt. Kotzebue gab ihm, was es wollte.

Schiller sah ein, daß es etwas Höheres, Tieferes gebe, als Goethes Vorwürfe. Gewiß! Er ergriff sie und stellte sie dar. Gut! Aber wie? Er wurde der Lieblingsdichter des Volks. Gewiß, weil dieses auf das Wie nicht so sehr zu achten pflegt. Ich glaube selbst, daß Schillers Gattung die höhere ist, aber Goethe war als Individuum größer.

Ihr schreit immer: Goethe! Goethe! Der Mann hat so viele Formen, welche davon ist euch denn so lieb? Alle. Goethe der Jüngling, Goethe der Mann. Der Reisende, der Reife, ja selbst der Ueberreife noch. Seine vielen Gestalten werden doch nicht verschiedener sein, als Pfirsichblüte und Pfirsichfrucht, die kaum einen Aehnlichkeitspunkt haben und die gleich entzücken.

»Hoch auf dem alten Turme steht« wird als eines der schönsten Goetheschen Gedichte angesprochen. Warum nicht? Wenn der Leser gerade in der Stimmung ist, es selbstthätig dazu zu machen. Ein Hauptfehler der Goetheschen lyrischen Gedichte ist aber, daß sie dem Leser zumuten, sich durch eine Reihe von Operationen erst auf den Standpunkt zu setzen, auf dem sich der Dichter befand, da er es schrieb, und die Stimmung vorauszusetzen, statt zu erwecken.


(1836.)

In einer Beilage der Allgemeinen Zeitung stand neulich ein Aufsatz von einem unbefangen sehenden Manne, er heiße nun, wie er wolle, der den Deutschen die eigentliche Poesie absprach. Da wird nun, wenn man nicht vorzieht, mit vornehmer Verachtung darüber hinauszugehen, ein großes Geschrei in unserm lieben Vaterlande entstehen. Falsch! werden die einen losbrechen: Schiller ist zwar kein ursprünglicher, unmittelbarer Dichter, aber Goethe, Goethe! – Unverschämt! hör' ich die andern sich Luft machen: Von Goethe wollen wir's gerne zugeben, daß er kein eigentlicher Poet war, aber unser herrlicher, kräftiger, deutscher Schiller! Hier haben wir also schon Deutschland in zwei Parteien geteilt, von denen jede den einen der Koryphäen der deutschen Poesie für keinen eigentlichen Dichter gelten lassen will. Das scheint um so sonderbarer, da kein Grieche jemals an Homer, kein Italiener an seinem Dante und Ariost gezweifelt hat, so wie kein Engländer, wenigstens jetzt, an Shakespeare zweifelt. Hieraus folgt, wenn nichts anders, wenigstens so viel, daß diesen beiden vorzüglichsten deutschen Dichtern der Stempel der echten Poesie nicht so klar aufgedrückt ist, daß nur Dummköpfe, und das sind beide Parteien nicht, an der Echtheit zweifeln könnten. Es scheint vielmehr, daß jedem dieser beiden bedeutenden Männer ein Ingrediens der echten Poesie fehle, das, nach der Verschiedenheit der Ansichten, jede der beiden Parteien für das Wesentlichste hält. Und das ist es eben, was der Verfasser jenes Aufsatzes sagen will.

*

Die neueste deutsche Poesie teilt sich in zwei Klassen, die ich mit den Namen der Schlafrock-Poesie und der radikalen Poesie bezeichnen möchte.

Die erste Klasse besteht aus den Nachahmern Goethes. Wohlgemerkt! den Nachahmern, nicht den Verehrern. Wer kein Verehrer Goethes ist, für den sollte kein Raum sein auf der deutschen Erde. Dieser vielleicht Größte aller Deutschen hat, ein andrer Napoleon, seine vorher bürgerlichen Angehörigen, alle Deutsche, geadelt, so daß man ihnen noch lange ihre Unbesonnenheiten und Eingriffe um seinetwillen verzeihen wird, bis einmal, vielleicht bald, der Glanz erlischt, den er auf seine Umgebung warf, und nur der seine bleiben wird bis ans Ende der Zeiten. Für seine Feinde sollte kein Raum sein auf der deutschen Erde. Ich nehme hier einen einzigen aus, dessen großartiger, aber einseitiger Haß ihm darum verziehen werden kann, weil es ein Haß, also eine Leidenschaft ist, die, aus andern Quellen entsprungen, auf Goethe den Schriftsteller nur einen entfernten Bezug hat. Auch hat er sich selbst aus Deutschland verbannt.

Aber Goethe verehren und ihn nachahmen, sind verschiedene Dinge. Schiller kann und soll man nachahmen, weil er der Höchste einer Gattung ist und daher ein Muster für alle seiner Gattung. Goethe dagegen ist ein Ausnahmsmensch, eine Vereinigung von halb widersprechenden Eigenschaften, die vielleicht im Lauf von Jahrhunderten sich nicht wieder beisammen finden. Er gehört keiner Gattung an, oder wenn man ihn an die Spitze einer solchen stellen wollte, so wäre es eine ziemlich bedenkliche Gattung, nur daß er selbst um eine Unendlichkeit von den auf ihn folgenden Nächstbesten abstünde.

*

Es hat in diesen Blättern ein geistreicher und wohlgesinnter Mann die Frage berührt, ob auf Goethes oder Schillers Wege für die deutsche schöne Litteratur ein erwünschteres Gelingen zu hoffen sei?

So gut das dort Gesagte auch immer sein mag, so ist die Frage doch zu wichtig, als daß nicht jeder suchen sollte, sein Scherflein zu ihrer Beantwortung beizutragen.

Hier mein Beitrag.

Wenn in jenem Aufsatze gleich anfangs die Zulässigkeit der ganzen Frage aus dem Grunde geleugnet wird, weil jeder selbständige Geist die seinen Gedanken angemessene Form zugleich mit dem Gedanken an sich trage, so hat das seine volle Richtigkeit bei den selbständigen Geistern und für sie eine Regel aufstellen zu wollen, hieße allerdings sich lächerlich machen. Nur glaube ich, daß Geister dieser Art so selten sind, daß es Jahrhunderte gibt, die nicht einen aufzuweisen haben, sowie ich denn gegenwärtig in ganz Deutschland, Frankreich und seit Byrons Tode in England keinen einzigen eigentlich selbständigen Geist kenne. Die Frage muß vielmehr so gefaßt werden: Ist es für allerdings begabte aber nicht selbständige Geister geratener sich Goethe oder Schiller zum Muster und Vorbild zu nehmen?

Eine zweite Art den Knoten zu zerhauen, wäre der Ausspruch: derlei Geister minderen Ranges sollten eben gar nicht schreiben. Die Poesie verlöre dabei nichts und das vorhandene Vortreffliche könnte um so ungestörter auswirken. Ganz unrichtig, wie mir scheint. Denn erstens wäre es unbillig, denen, die einen, wie man weiß, unwiderstehlichen Drang sich auszusprechen fühlen, die Befriedigung dieses edelsten Bedürfnisses geradehin zu versagen; dann erfreut, ja bildet das größere Publikum eben das am meisten, was in der eigenen Zeit, unter gleichen Umständen, bei gleicher Gefühlsweise unter den nämlichen Freuden und Schmerzen ausgesprochen wird. Längst Dagewesenes gleichsam mit Abstraktion empfinden, wird immer nur Sache weniger sein. Endlich muß jedes Zeitalter, das nicht seine eignen Erlebnisse lebendig auszubilden sich bestrebt, über der irrigen Betrachtung des Alten, das nie der neuen Gefühlsweise ganz entspricht, notwendig in Pedanterie verfallen, die in der Kunst noch schlimmer ist als der Leichtsinn. Jedermann kennt die Pedanterie, die mit Griechen und Römern getrieben worden ist; daß man aber auch über Shakespeare zum Pedanten werden könne, davon scheinen unsere Landsleute derzeit noch keine Ahnung zu haben.

Also die nicht selbständigen Geister dürfen und sollen schreiben und sie bedürfen dazu Muster, eben weil sie nicht selbständig sind.

Wir sind auf diese Art wieder auf unseren Anfang zurückgekommen, auf Goethe und Schiller, zwischen denen wir wählen sollen.

Es kann hier nicht die Frage sein: wer von beiden der größere Dichter ist. Ich halte mit dem Verfasser des besprochenen Aufsatzes Goethen dafür. Es ist aber ein Unterschied zwischen vortrefflich als Individuum und ausgezeichnet als Kulminationspunkt einer Gattung zu sein.

Nur letzterer kann eigentlich ein Gegenstand der Nachahmung sein, für seine ganze Gattung nämlich.

Goethe ist ein nach allen Seiten scharf abgeschnittenes Individuum und wenn man ihn gewaltsam an die Spitze einer Gattung stellen wollte, so wäre diese allerdings eine ziemlich schlechte, nur daß er selbst um ein paar Unerreichlichkeiten von dem Zweitbesten seines Gefolges abstände. Diese Verwechslung Goethes mit seiner Schule oder Gattung dessen, was er war, mit dem, was seine Nachahmung hervorbrachte, ist die Quelle aller Mißverständnisse über diesen vielleicht größten aller Deutschen.


(1822.)

Goethes Manier (Leben 3. Bd., 234), Gegenstände, über die er reflektieren wollte, in Form eines Gespräches mit oder einer Erzählung an einen als anwesend gedachten dritten durchzudenken. Vielleicht manchen zu empfehlen, da es dem Nachdenken Stetigkeit gibt, das bei lebhaften Geistern oft eintretende Abspringen und Durchkreuzen der Ideen abhält, und die wesentliche Bestimmung jeder Darstellung auch nach außen zu befriedigen lebhaft vor Augen erhält.


(1822.)

Ob Goethe bei seiner neueren Prosa den Boccaz wissentlich vor Augen gehabt hat?


(1822.)

Goethes Gebrauch der Interjektionszeichen unmittelbar an der prägnanten Stelle, nicht erst am Ende des ganzen Satzes, ist sehr zu empfehlen. Vielleicht ebenso sein, den Italienern nachgeahmter, Gebrauch des Superlativs als Positiv, zur Bezeichnung eines Vorzüglichen, jedoch außer der Vergleichung.


(1830-1840.)

Form, d. h. der Inbegriff der Mittel, um den Gedanken in seiner vollen Lebendigkeit auf den Zuhörer übergehen zu machen.

Goethes Werke teilen sich nun in Werke von strenger und von loser Form.

Die strenge Form (Tasso, Iphigenie, natürliche Tochter) hat das Gefährliche, daß sie die Mannigfaltigkeit ausschließt, ohne die es minder begabten Geistern unmöglich wird, zu interessieren und zu befriedigen.

Die lose Form (Goethes früheste und letzte Arbeiten) hat den Nachteil, daß dem Leser, Beschauer zugemutet wird, die Lücken der Behandlung auszufüllen oder zu überspringen, was nur dann mit Erfolg zu erwarten ist, wenn ihm die Vortrefflichkeit des Gegebenen Lust und Schwungkraft dazu verliehen hat.


(1834.)

»Um durch Betrachtung der ewig gesetzmäßigen Natur sich über die gesetzlosen Bewegungen der Menschen zu trösten oder zu erheben.« Goethe, Geschichte der Farbenlehre II. Bd., p. 9. Paßt sehr gut auf Goethe selbst.

*

In einem Aufsatze zur Erklärung von Goethes getadelter Teilnahmlosigkeit an dem politischen Schicksal seiner Nation. – Ein hervorstechender Zug in Goethes Charakter war immer seine Abneigung gegen das Fratzenhafte, Uebertriebene. Als Italiener wäre er vielleicht Carbonaro gewesen (?), aber die Deutschen mischen in alles eine solche knabenhafte Phantasterei, daß es Goethen bei jenem Charakterzug durchaus zur Last, eigentlich verhaßt sein mußte. Mit solchen Leuten gemeine Sache zu machen, war nicht denkbar, und da er trotz seiner Ruhe immer höchst praktisch und thätig war, sich also gegen nichts passiv verhalten konnte, so stieß er ab, was ihn nicht anzuziehen vermochte. Dazu kam noch die ewige Antastung und Verkümmerung seiner eigentlichen Göttin, der Wahrheit, und wohl auch die Furcht, daß die Deutschen durch das täppische Hineinmengen in die Fragen des Tages, ohne Gewinn auf einer Seite, auf der andern jene stillen wissenschaftlichen Vorzüge verlieren möchten, die so lange ihr eigentlicher Ruhm gewesen waren. Ob er recht gehabt hat?


(1817.)

Goethes Talent ist, meiner Meinung nach, vorherrschend episch. Daher die wenige drastische Kraft seiner Dramen. Das Drama überhaupt soll ein Spiegel sein, in dem sich die lebendige Handlung malt, sein Drama ist ein Gemälde. Goethe ist als Dichter in allem unendlich groß, was er macht; als dramatischer Dichter scheint er mir durchaus ohne Belang. Die äußere Form des Dramas erstlich besteht im Dialog; zum dramatischen Dialog ist aber nicht genug, daß verschiedene Personen abwechselnd sprechen, sondern das, was sie sagen, muß unmittelbar aus ihrer gegenwärtigen Lage, aus ihrer gegenwärtigen Leidenschaft hervorgehen, jedes Wort muß überdies eine unverkennbare Richtung nach dem Zwecke des Stückes oder der Scenen haben und dieses letztere ist bei Goethen größernteils nicht der Fall. Seine Personen sagen gewöhnlich alles, was sich über einen Gegenstand Großes und Schönes sagen läßt; das ist recht schön, und ich möchte um alles in der Welt keine der schönen Reden in Tasso und Iphigenia vermissen, aber dramatisch ist es nicht. Daher kommt es, daß Goethes Stücke sich so schön lesen und so schlecht darstellen. Ueberhaupt ist es höchst traurig, daß Goethe sich kein großes episches Sujet gewählt hat, er oder niemand wäre der Mann gewesen es auszuführen, doch im strengen, dem Antiken sich nähernden Stile; eine romantische Behandlung dürfte ihm schwer geworden sein. Die erste Hälfte der Achilleis spricht für meine Meinung, in der zweiten Hälfte ist er freilich sehr aus dem Ton gefallen.


(1826.)

Wie Goethe im Wilhelm Meister die tieferen, gewaltigeren Leidenschaften und Empfindungen gewissermaßen doch nur effleuriert. Das Wunder, immer über seinem Stoffe zu stehen, vermindert sich doch etwas, wenn er sich weigert, in demselben unterzutauchen. Shakespeare thut es und beherrscht ihn doch, er steigt in den Schacht hinab und erzählt, was er darin gesehen; Goethe schaut, oben stehend, hinunter, ohne darum weniger davon zu wissen. Nicht, als ob ich der innigen Verehrung für Goethe dadurch eine Beschränkung beifügen wollte; es ist nur, um Erscheinungen zu erklären und den Armen einigen Trost zu geben, die, nur in den Stoff selbst eingehend, etwas daraus zu machen wissen und sich so leicht darin verlieren.


Wilhelm Meisters Wanderjahre von einem Ungenannten.(Fr. Wilh. Pustkuchen) Wilhelm Meisters Wanderjahre. Quedlinburg 1821.

(1821.)

Die Lesung dieses Buches ist für jeden Fall von nicht geringem Interesse. Wenn von der einen Seite schon die Anmaßlichkeit Aufmerksamkeit erregt, mit der ein Ungenannter, er sei nun wer er wolle, die versprochene Fortsetzung eines Meisterwerkes aufnimmt und in dem auf so sonderbare Art erzeugten Buche auftritt gegen das Buch, das das seinige erzeugt! so bietet es außer dem noch gar mannigfache Betrachtungen dar.

Die Wirkung, welche der Gottschedianismus der neuesten Zeit auf verkehrt-poetische Köpfe hervorbringt, ist leider bekannt genug! die Almanache, Tageblätter und poetischen Erzeugnisse von gestern und heute liefern dazu die kläglichsten Belege! nicht so leicht aber kommt man zur Anschauung, welche Kontraktionen und Extensionen derselbe in einer prosaisch-verständigen Anlage bewirkt, welche Anlage dem Verfasser des vorliegenden Buches in der ganzen guten und schlimmen Bedeutung des Wortes zugesprochen werden muß.

Schubarth in seinem Buch über Goethe hatte bei einer gleich verkehrten Beurteilungsweise den Vorteil voraus, daß er für ein Meisterwerk sprach und daß daher die Anwendung seiner Sätze immer das Angehörige derselben scheinbar wieder gut machte. Der Verfasser der Wanderjahre aber steht mit seinen Grundsätzen in völliger Blöße da, und gerade das macht sein Buch merkwürdig.Goethe hat Schubarths Werk gebilligt, und es ist auch wirklich recht interessant; doch meinte es gewiß Goethe nicht so, und sollte auch Schubarth nicht meinen, daß durch seine Abhandlung an die goethischen Schriften auf irgend eine Art ein poetischer Maßstab angelegt worden sei. Goethes Werke könnten all das enthalten, was Schubarth an ihnen herausrechnet, und doch dichterisch schlecht sein, so wie sie davon in Wahrheit gerade so viel haben, als die sieben Sterne des Polargestirns von der Gestalt eines kleinen Bären, und doch der Stolz der deutschen Poesie sind und bleiben werden.

Er würde sich ohne Zweifel sehr wundern, wenn man ihm sagte, daß in seinem Buche die Kritik nach der Weise der neuesten Schule gehandhabt werde, denn gerade gegen diese Schule zieht er, besonders in der Person ihrer ersten Gründer: der Gebrüder Schlegel, Tieck, Novalis, gleichmäßig zu Felde; aber das ist eben das Eigentümliche jeder Zeitbildung und Verbildung, daß sie alle unselbständigen Geister, selbst wider Wissen mit sich fortreißt, indem sie sie zwingt, wenn auch nicht mit ihren Waffen, doch immer auf ihrem Felde zu kämpfen.

Denn was wäre es anders, als die Grundsätze dieser neuern Schule, daß der Verfasser jedes dichterische Werk als eine Gattung äsopische Fabel betrachtet, wo Tiere oder Menschen so lange reden, bis die Anerkennung irgend eines moralischen Satzes, einer Wahrheit, eines Begriffs, will's Gott, einer Idee zu stande gebracht worden ist, daß er die Poesie für eine Normalschule der zweiten Potenz für erwachsene Kinder hält, worin ihnen das Lesen mittels in Zucker gebackener Buchstaben recht angenehm beigebracht würde?


(1822.)

Die falschen Wanderjahre sind dadurch entstanden, daß ihr Verfasser Goethes Wilhelm Meister nicht verstanden hat.

Erstlich scheint jener anzunehmen, daß Meister wirklich ein des Reifens und Früchtebringens fähiges Kunsttalent gehabt und sich nur im Wege, in den Mitteln geirrt habe; daß er aber ein solches nicht hat, ist eben der Faden, der das Ganze zusammenhält. Ferner glaubt er, daß Meister durch Lehre, durch Zurückführung auf moralische Anhaltspunkte zu heilen gewesen wäre, darin zeigt er aber, daß er solche Charaktere gar nicht kennt. Alle Lehre führt sie nur tiefer ins Brüten und Grübeln. Für sie gibt es nur ein Heilmittel: Thätigkeit. Dahin ist das Ganze gerichtet. Als Wilhelm in Weib und Kind, in der Notwendigkeit, um ihretwillen praktisch ins Leben einzugreifen, einen Bestimmungsgrund zur Thätigkeit gefunden hat, sind seine Lehrjahre vorbei.

*

Wer hat je in einer mehr oder weniger verderbten Zeit gelebt, ohne sich aufgefordert zu fühlen, die Fehler seines Zeitalters zu untersuchen, ihren Gründen, ihrem Zusammenhange mit dem Reinmenschlichen nachzuspüren? Wenn er nun den Lichtpunkt in dem dunkelnden Gewirr gefunden hat, und er sich hinsetzt und ausruft: Introite, nam et heic Dii sunt! Wenn einer thut, wie Goethe so oft that, wer tadelt ihn? Der Pastor Pustkuchen!

*

Goethes neueste Schriften gehen aus der Opposition gegen die Richtung der Zeit hervor. Wenn man diesen Standpunkt nicht aufgefaßt hat, muß man auch diese Schriften falsch beurteilen. Wer aber in Opposition ist, sagt immer mehr, als er eigentlich selbst für wahr hält, gleichsam in der Ueberzeugung, daß das entgegengesetzte Streben der Widersacher schon von selbst das wegnehmen werde, was daran zuviel ist. Wenn Goethe in seinen Schriften Selbstbeschränkung oder vielmehr Selbstbegrenzung predigt, so lehrt er durch sein Beispiel sie erst für den Fall, wenn man sich vorher nach Erforderlichkeit selbst erweitert hat.

*

Wenn der »falsche Wanderer« Goethen beschuldigt, er verstehe keinen Charakter zu zeichnen, keine seiner Personen habe einen Charakter, so zeigt er, daß ihm die Bedeutung dieses Wortes in künstlerischer Beziehung ganz fremd ist, da er es, statt in dieser, immer im moralischen Sinne nimmt, wo es für Festigkeit, Unwandelbarkeit des Charakters, Begründetheit desselben auf feste Ueberzeugungen, gilt. Meister und Philine, Serlo und die Gräfin haben bestimmt geschiedene, künstlerisch völlig begründete Charaktere, obwohl sie sämtlich in Gefahr sind, moralisch als charakterlos beurteilt zu werden. Dieses Schicksal teilen sie mit Hamlet und Phädra, mit Lear und Richard II.; vielleicht sogar mit Macbeth und Othello.

*

Diese Thoren, die verkennen, daß Goethes Poesie allerdings einen Mittelpunkt hat; aber nicht einen durch Grübeln gesuchten, im Traum gefundenen, sondern einen ewig geltenden, für alle Zeiten bestehenden, sich allein genügenden, herrlichen, großen: die Menschheit, das Wirkliche, das Faktum, die Welt.

*

Die Deutschen haben immer gern eine Art Ostracismus in ihrer Litteratur ausgeübt. Man könnte den falschen Wanderer, der, um Goethe zu bekämpfen, so viel möglich Goethes Stil borgt, mit jenem Athenienser vergleichen, der, weil er selbst nicht schreiben konnte, sich des zu verbannenden Aristides Namen vom Aristides selbst auf sein Täfelchen schreiben läßt.


(1841.)

Was in diesen Wahlverwandtschaften am meisten stört, ist gleich von vornherein die widerliche Wichtigkeit, die den Parkanlagen, kleinlichen Baulichkeiten und dergleichen Zeug, fast parallel mit der Haupthandlung, gegeben wird. Es ist, als ob man ein Stück aus Goethes Leben läse, der auch seine unvergleichlichen Gaben dadurch zum Teil paralysiert hat, daß er fast gleichen Anteil an derlei Zeitvertreib, wie an den wichtigsten Angelegenheiten seines eigentlichsten Berufes, nahm. Es soll aber eine Abstufung des Interesses geben, und was man an Nebensachen verschwendet, wird immer der Hauptsache entzogen. Durch dieses Ausspinnen der Nebensachen hat er sich zugleich zweitens den Raum genommen, den Chemismus seiner Wahlverwandtschaften gehörig ins Psychologische oder vielmehr Moralische zu übertragen. Die Charlotten springen nicht so leicht mit ihrer Neigung ab, und es braucht eine große Stufenleiter von Ereignissen und Empfindungen, bis die Ottilien der Verirrung, ja dem Vergehen auch nur im Gedanken Raum geben. Angedeutet ist manches: z. B. daß Charlotte früher selbst ein Verhältnis zwischen Eduard und Ottilien habe einleiten wollen, aber die abgeschmackten Parkgeschichten nehmen allen Raum zur genaueren Entwicklung fort. Abscheulich ist, wie sie jetzt dasteht, die Geschichte jener ehelichen Nacht, gleich in Verbindung mit der Gelegenheitmacherei zwischen dem Grafen und der Baronesse.

Aber all das zugegeben, welch ein unendliches Meisterstück ist dieses Werk. An Menschenkenntnis, Weisheit und Empfindung, Darstellungsgabe, Charakterzeichnung und dichterischer Veredlung des scheinbar Gewöhnlichen hat es in keiner Litteratur seinesgleichen. Vor dem fünfzigsten Jahre kann man es kaum völlig würdigen, aber es gehört ebensowohl zum Fluch als zum Segen des Gereiftseins, daß man es kann.

Wenn man mir es übrigens schenken wollte, ich möchte es nicht geschrieben haben. Die leidenschaftliche Steigerung eines Byron mag es immerhin mit Grenzen und Schranken nicht genau nehmen, ja die Poesie lebt zum Teil in diesem Sichhinaussetzen; je näher ein Werk aber dem gewöhnlichen Leben steht, je mehr muß es dasjenige achten, ohne welches dieses Leben ein Greuel und ein Abscheu ist.


(1833.)

Ueber jenen zweiten Teil des Faust. Was läßt sich sagen? Goethe hatte teils durch das höhere Alter, größtenteils wohl aber durch die kanzleiartige Geschäftigkeit seiner letzten Jahre von jener lebendig-versinnlichenden Kraft eingebüßt, welche allein Gestalten gibt und Gemütsinteressen erweckt. Die Figuren, die er aus seinen Jugendschätzen bereichert, hatten sich ihm daher zu Träumen und blutlosen Schatten verdünnt, die man noch immer billigen, ja bewundern muß, denen man sich aber nicht mehr mit Teilnahme verwandt fühlt. Auch mag dazu noch gekommen sein jener begreifliche Wunsch von Goethes letzter Zeit, keines seiner geistigen Kinder unversorgt zurückzulassen. So wie ihn das veranlaßte, mit weitem, allgemeinem Streben in individueller Besonderheit angefangene Werke fortzusetzen und abzuschließen, so scheint es ihn sogar verleitet zu haben, Teile und Bruchstücke, die ursprünglich nicht füreinander bestimmt waren, gewaltsam in einen Verband zusammenzudrängen, und die Sorge für die Herstellung der Einheit zum Ganzen, der Bewunderung der Zeiten und der Gewalt seines Namens überlassen zu haben. Was bei Wilhelm Meisters Wanderjahren sichtlich geschehen ist, dürfte bei dieser Fortsetzung des Faust zum Teile auch der Fall gewesen sein. Die darin aufgenommenen antikisierenden Bestandteile wenigstens sind offenbar Bruchstücke aus einer Tragödie Helena, die Goethe in früherer Zeit entwarf, in der Folge aber wieder aufgegeben hat. Ebenso trägt die klassische Walpurgisnacht deutliche Spuren eines antiquarischen Scherzes, unabhängig von Faust, den mittelalterlichen Wunderlichkeiten der Brockenscene ähnliche Monstrositäten der griechischen Zeit gegenüberzustellen. Es ist ein poetisch ausgeführtes Schema, wie Goethe sie zu machen liebte.


Goethes Briefwechsel mit einem Kinde.Berlin 1835

(1835.)

Da ist vor allem eines, das ein schiefes Streiflicht hereinwirft. Bettina ist im Jahre 1807, wo dieses wunderliche Verhältnis seinen Anfang nimmt, 23 Jahre alt, da ist ein Mädchen, vor allem ein so frei erzogenes, kein Kind mehr. Das verändert sehr die Lage der Dinge.

Von Goethes Mutter hat mich gestört, daß sie, die alte Frau, so wenig Ehrfurchtgebietendes gegenüber dem kindnahen Mädchen hat. Uebrigens sind ihre Briefe köstlich, reizend möchte ich sagen, als ob sie dem Sohne bei seinen ersten Jugendwerken geholfen hätte. Viel Phantasie, ein guter Teil Leichtsinn. Goethe, sonst ein Meister im Darstellen, war nicht glücklich im Schildern seiner eigenen Mutter. Er hat sie in Dichtung und Wahrheit viel zu allgemein gehalten. In diesen Briefen erst macht man ihre Bekanntschaft. In solch glücklichen, leichten Boden der Pedantismus des Vaters eingelegt, mußte einen Goethe als Frucht geben. Bewegliche Konsequenz ist das Erste und Letzte alles Genies.

Wenn Bettinens Briefe und Leidenschaft vor Wilhelm Meister gekommen wären, hätten sie hundertfachen Wert. So kann man sich des Verdachts von Phantasie und Mignon denn doch nicht entschlagen.

(Tagebuch S. 4:) »Wie du bist, will ich dir dienen« – das mignont.

Diese Ergüsse des Tagebuches streifen manchmal ganz gelinde an dem Unsinn hin, manchmal greifen sie ein derbes Stück herunter. Häufig fehlt ihnen aber auch nicht jene symbolisierende Wahrheit und Innigkeit, die derlei Erleichterungen gesteigerter Zustände gewöhnlich eigen ist.

*

»Er (der Wind) wollte mir das Licht auslöschen, da sprang ich auf den Tisch und schützte es.« Auf den Tisch? Wer springt auf den Tisch, um ein Licht zu schützen? Die ist sich bewußt, daß das burschikose Wesen sie kleidet.

*

Was immer Sonderbares in dem Verhältnis Goethes zu dem Kinde sein mag, es ist zugleich etwas Wunderbares in dem Mädchen und in dem Verhältnisse. Wenn sie nachts zum Fenster hinaussehen und begeisterte Gespräche über Tugend und Schönheit führen, begeisterte wie Platos; wer erkennt da den starren Goethe, wie sie ihn heißen und wie er Unkundigen manchmal scheint. Das Gute: die Ruhe des Geistes, um sich zu einem andern Dasein vorzubereiten. Einpuppung. Schönheit: der Leib, der von seinem Geiste ganz durchdrungen ist. Goethen war die Nachtseite des Ich und der Natur nicht fremd, er wußte aber auch, daß nur die Sonne Früchte reift.

»Die Kunst ist es, die dir ein sinnliches Ebenmaß des Geistes vor die leiblichen Augen zaubert.«


(1853.)

Die Briefe Goethes an Frau von SteinWeimar 1848-1851 (von denen ich erst zwei Bände gelesen habe) sind für mich das Interessanteste, was ich bisher von Goethes Korrespondenz gelesen habe, obschon sie, einzeln genommen, ziemlich langweilig sind, da sie alle das Nämliche ausdrücken. Daß aber dieser starre Charakter so hingebend, so weich sein konnte, ist ein merkwürdiger Beitrag zur Geschichte seines Innern. Diese Frau war also das Ideal, das ihm bei seinen Iphigenien und der Prinzessin im Tasso vorschwebte. Die Briefe selbst jedoch zeichnen wohl den Liebhaber, nicht aber die Geliebte. Dies geschieht nur mit ein paar Zeilen, aber hinlänglich, in einem andern, sonst ziemlich unbedeutenden Lebensbilde aus jener Zeit: Charlotte von Kalb von Ernst Köpke in folgender Stelle, Seite 82: Von der liebenswürdigen Fr. v. Schardt . . . . wurde sie der Fr. v. Stein . . . von neuem bekannt gemacht. Schon vor zehn Jahren hatten sie sich in Meiningen gesehen, und Frau von Kalb trug noch die ersten Eindrücke, die jene damals im weißen Taffetgewande, eine dunkle Rose im braunen Haar, von einem Blondenschleier fast verdeckt, auf sie machte, in frischer Erinnerung . . . Freilich war Frau v. Stein nun wohl verändert, aber der Schein des Glückes war über sie ausgegossen, und die ruhige Gleichmäßigkeit lag in ihren Bewegungen, wie auch ihre Rede ohne Betonung eben dahinfloß.


Goethes Gespräche mit Eckermann.Leipzig 1836.

(1836.)

Da ist denn wieder eine Sammlung von Aeußerungen Goethes, wie alles, was diesen außerordentlichen Mann betrifft, von unschätzbarem Wert, für den Einsichtigen nämlich, für den Uneinsichtigen aber eine gefährliche Klippe; ein Doppelschicksal, das Goethe und sein Streben mit allem Bedeutenden und Großen teilt. Wenn man den rechten Standpunkt zur Beurteilung oder vielmehr Benützung dieser Aussprüche gewinnen will, darf man vor allem nicht vergessen: wann diese Gespräche gehalten wurden und zu wem?

Wann? Zu einer Zeit, als Goethe im hohen Alter teils die thätige Energie seines Innern von der Kunst ab und der Wissenschaft zugewendet, teils, von den abgeschmackten Bestrebungen der jüngern Welt ennuyiert, sich in ein ablehnendes Verhältnis zu jeder stärkern Wirkung gesetzt hatte.

Zu wem? Zu einem jungen Mann, den er im allgemeinen und zu seinen Privatzwecken bilden wollte, und in dem er vielleicht mehr Talent zu einer anschließenden ruhigen Entwicklung als zu großartigem Selbstschaffen entdecken mochte.

In dieser letzten Beziehung ist z. B. hauptsächlich dasjenige zu nehmen, was er gegen künstlerische Arbeiten von größerer Ausdehnung warnend ausspricht, obwohl nicht zu leugnen ist, daß wir alle durch Aufgaben über unsere Kräfte uns selbst mannigfachen Schaden gethan und vielleicht der Kunst wenig genützt haben. Andererseits aber würde ein Zeitalter bald ganz verflachen, das, auch bei beschränktem Vermögen, das Streben nach Großartigkeit, dem Gehalt und der Form nach, ganz und völlig aufgeben wollte. Das Bedürfnis des in Ruhe zurückgezogenen älteren Beobachters und der im Lebensstrudel fortgerissenen, zuletzt doch ewig jungen Welt geht hier mit Recht einen ganz entgegengesetzten Weg.

*

Es ist nur zu gewiß und Eckermanns Gespräche mit Goethe 2. Bd., p. 264 bestätigen es: Der zweite Teil von Faust wurde redigiert, statt gedichtet; Vorhandenes angefügt, die Lücken hinterher ausgefüllt, Anspielungen, absichtlich dunkel, gehäuft, und so entstand jenes Werk, von dem man jedes Einzelne billigt, indes das Ganze ohne Eindruck bleibt.

p. 266. »Im Grunde ist es auch von dem, der einen Rat verlangt, eine Beschränktheit, und von dem, der ihn gibt, eine Anmaßung.« Das war der Grund, warum ich Goethen nicht um Rat fragte, und was ihn, trotz jener Maxime verdrossen hat.

p. 269. Die schöne Stelle über die Verkleinerer des Euripides. Ich selbst habe eine Ehrenrettung des Euripides schreiben wollen, es kam aber nicht dazu.

p. 271. Es ist auch gegen die Intentionen des Groß-Kophta nichts einzuwenden, die Darstellung ist aber ohne alle künstlerische Gewalt.

p. 276. Schellings Kabiren zum Verständnis einer »famösen Stelle« in der klassischen Walpurgisnacht dienlich.

p. 298. »Das Dämonische ist dasjenige, was durch Verstand und Vernunft nicht aufzulösen ist. In meiner Natur liegt es nicht; aber ich bin ihm unterworfen.«


(1836.)

Unter den vielen Stimmen über Goethe ist auch in ganz neuester Zeit die eines bekannten Publizisten (um nicht zu sagen Staatsmannes) hinzugekommen, der in einem seiner Briefe (Rahel) von dem großen Meister sagt: Aus dem persönlichen Umgang mit ihm kommt in Ewigkeit nichts heraus. Ich glaube es: besonders mit Rücksicht auf die Personen, die eben mit Goethe in persönlichem Umgang standen. Goethe hatte allerdings auch etwas Mephistophelisches in seiner Natur, was sich besonders darin zeigte, daß er auch den Mephistopheles in den andern leicht erriet. Dann habe ich immer bemerkt, daß im Gespräche über die letzten und erhabensten Dinge niemand unerschöpflicher ist, als erstlich jene Gutmütigen, Tugendhaften, denen es bei vollem Ernst um die Sache an einem Talente fehlt, ihre Gesinnungen wissenschaftlich oder künstlerisch darzustellen und so abzuschließen. Diese sind unerschöpflich, weil das Gespräch ihre einzige Produktivität ist. Dann aber auch jene Halbspitzbuben, welche, indes sie nicht geneigt sind, dem Wahren und Guten auch nur den mindesten Einfluß auf ihr Leben zu gestatten, doch Geschmack genug haben (besonders in den Zwischenzeiten, der crapule aller Art), auch in dem Erhabenen eine Quelle ästhetischen Genusses zu finden.


(1837.)

Man muß GervinusUeber den Goethischen Briefwechsel, Leipzig 1836. gut sein, auch wo man ihn nicht ganz billigt. Es ist eine solche Rechtlichkeit der Gesinnung in ihm, eine so richtige Empfindung, wenn er über abgeschlossene Werke urteilt, nur über die Zustände des Dichters, aus dem die Werke hervorgegangen sind, ist er nicht so kompetent, aber er ist eben Literarhistoriker und der hat es mit den Werken zu thun. Goethes früheste und späteste Epoche beurteilt er mit Begeisterung und gerecht. Selbst wenn er über die Erzeugnisse des Greises streng abspricht, merkt man, es ist mehr der Aerger, daß er nicht alles vortrefflich finden kann, wie er wünscht, als eine Anfeindung, was ihn so hart macht. Und in der That, man mag Goethen noch so hoch verehren: die Wanderjahre sind kein Werk, der zweite Teil des Faust kein Gedicht, die versifizierten Maximen der letzten Zeit keine Lyrik. Aber alles gehört zusammen. Goethe der Jüngling, Goethe der Mann und Goethe der Greis sind ein Riesenbild, an dem sich die kommenden Jahrhunderte erquicken, dessengleichen sie nicht sehen werden. Aber er war eben ein Mensch. Nicht der Dichter, sondern ein Dichter und das in der vollsten Bedeutung des Wortes.

Nur in Bezug auf Goethes Mannesalter, die kräftigste Periode seines Wirkens, bin ich nicht ganz mit Gervinus einverstanden. So sehr er ihn anerkennt. – Hier obige Bemerkung.


(1837.)

Gervinus wundert sich über Goethes Erklärung, daß er sich für unfähig halte, eine wahre Tragödie zu schreiben, und daß er fürchte, durch das bloße Unternehmen sich aufzureiben. Er sieht eben nicht ein, daß Goethes Art, sich in die innerste Natur des Darzustellenden hineinzusehen, ihm die Identifizierung mit den Personen einer Tragödie notwendig grauenhaft machen mußte, indes Schiller die Charaktere von der Oberfläche aufnahm, das Innere aus seinem eigenen, reichen Wesen supplierte und so mit einer bald abzuschüttelnden Fieberaufregung leicht zu Ende kam. Von den neuern hat nur Shakespeare sich tragischen Stoffen in Goethes Sinne hingegeben. Selbst die großen Alten haben es mehr in Schillers Sinn gethan, mit Ausnahme des Euripides, der daher seine beiden Mitbewerber in dieser Hinsicht übertrifft, nur daß sie ihn wieder an Großartigkeit übertreffen, wie Schiller Goethen, aber nur aus demselben Grunde.


Göschel, Unterhaltungen mit Goethe.Unterhaltungen zur Schilderung Goethescher Denkweise. Schleusingen 1834 bis 1838.

(1838)

Vorrede.

VI. Durch Erkennung von Seite anderer wird das Individuelle des Menschen persönlich, d. h. durchdringlich? Was ist das für ein abgeschmackter Gebrauch der Worte?

Ist das ein Geträtsch über längstgewußte Dinge! Ein Auslegen ohne Hineinlegen! p. VI.

I.

Der neue Paris.

Der Gedanke, in diesem Knabenmärchen eine Art symbolischer Andeutung von Goethes künftiger Bestimmung zu finden, wäre ganz artig, aber diese nun einzeln zu durchgehen und mit den Begebenheiten des Märchens zu parallelisieren im höchsten Grade geschmacklos. Lustig ist der blaue Sand, mit dem im Märchen die Gänge des Gartens bestreut sind und der vorbedeuten soll jenes:

Wundert euch ihr Freunde nicht,
Wie ich mich gebärde.
Wirklich ist es allerliebst
Auf der lieben Erde.

Aber die Erde ist ja grün, wie soll das der blaue Sand andeuten? Ja, es ist der Reflex des Himmels, der die Erde blau macht! Dazu war denn freilich eben Goethe der Mann.

*

p. 7. . . . Die Ironie, welche der Puls der Poesie ist . . . Die Weisen des Liedes, die sich vereinigen und die einseitigen Formen erweichen. Aha! ist das ein Solger-Tieckischer Waldvogel!

Die ganze Umdeutung des Märchens höchst widerwärtig. Goethe selbst hätte es dem Kommentator nie verziehen, den heitern Scherz in so pedantische Fußblöcke gesetzt zu haben.

Was für eine Abgeschmacktheit, Goethen das Aufgeben seiner Liebesverhältnisse für Entsagungen anzurechnen. Der hat ihn nicht recht gekannt. Entsagen wäre ihm gewesen: sie heiraten.

II.

Hans Sachsens poetische Sendung.

Die hier eingeschaltete Biographie Hans Sachsens doch gar zu weitläuftig und dem Zwecke fremd. Wenn übrigens als Grund, warum Hans Sachsens Lieder so viel Eingang unter seinen Landsleuten gefunden, angegeben wird: es sei die darin ausgesprochene Liebe Gottes gewesen, so denke ich, es werde ihm in dieser Eigenschaft mancher seiner Nebenbuhler gleichgekommen sein, ohne daß seine Lieder ebenso berühmt wurden. Das kam wohl daher, weil sie im übrigen schlechter waren.

*

»Alle Poesie ist wahr« – gut! aber »alle lebendige Wahrheit ist poetisch« – was ich sehr bezweifle.

III.

Wilhelm Meisters Lehrbrief.

1. Von der Kunst.

Diese Erläuterungen der ohnehin klaren Sätze des Lehrbriefs sind eigentlich nur Paraphrasen und haben als solche wenigstens den Vorzug, daß sie mit Ausnahme einiger Stellen, ihren Text nicht dunkler machen, als er zum Glück ohnehin nicht ist.

p. 49 in der Anmerkung wird vom flachen Scherze und philisterhaften Dünkel des Horatius gesprochen, weil er von der Nachahmung anders denkt, als eben gelegen ist.

p. 50 wird das Treffliche als unkenntlich angesprochen; da geht denn doch die Erläuterung über den Text hinaus.

Am schlechtesten der herrliche Absatz: Die Höhe reizt uns u. s. w.

Die Thätigkeit, die sich Selbstzweck ist, nennt man geschäftigen Müßiggang. Wer etwas Großes vollbringen will, muß immer den Zweck, auch im Mittel nur den Zweck vor Augen haben.

Als Motto zu Göschels Buche schlage ich vor: Wer sie (die Kunst) halb kennt, ist immer irre und redet viel (Lehrbrief.)

In der weitern Entwicklung Nr. II vom Leben, vieles recht sehr Gutes, bis er endlich mit seinem Hegelischen Tetraeder dazwischen kommt und jede vernünftige Ansicht mit Schulbegriffen niedertölpelt.

Die Interlinear-Interpretation der Einleitungsgedichte zu den Wanderjahren doch gar zu peinlich. p. 120 eine herrliche Stelle Spinozas durch die Übersetzung zum Unsinn gemacht.

Endlich kommt er gar mit dem . . . vom Christentume und will Goethen rechtfertigen, der die Salbaderei dieser blökenden Glaubensherde verachtet hat, und geblieben ist, der er war, indes die Lumpe, gleich den lichtenbergischen Wilden sich truppweise mit der Feuerspritze taufen ließen.

Goethes Leben als Phänomenologie des Geistes. – Potz! Hegelisches Waschmaul!

p. 145. Lustig ist, wenn er nach seiner sinnreichen Art das arme Märchen der neuen Melusine zu erklären, hinzusetzt: andere werden anderes (darin) entdecken. Jawohl!

Die beste Erklärung des Buches jene Geschichte von des Verfassers Rheinfahrt p. 165, wo der schönste Tag, die beste Gesellschaft auf ihn die Wirkung macht, daß er, weil er sich nicht entschließen kann, die Hälfte seines Reisegeldes ohne Anlaß den Armen zu schenken, und sich dadurch die Partie zu verderben, traurig wird, sein ganzes Leben als ein rein kreatürliches und unfreies verwirft, wobei er denn beiläufig von seiner Hypochondrie zu sprechen kömmt. Hinc illae lacrimae! Im eigentlichsten Verstande: Es ist ein hypochondrisches Buch.

Die kasuistisch-rabulistische Auslegung des Paktes, den Faust mit dem Teufel schließt, für einen Obergerichtsrat, was der Verfasser sein soll, höchst merkwürdig.

*

II. Bd., p. 56. In Wilhelm Meister, dem Wanderer, dem Entsagenden, Goethen erkennen wollen, heißt Wilhelm Meister in den Lehrjahren vollkommen verkennen. Wilhelm, der Lehrling, wird nicht als Mensch überhaupt der Kunst entzogen und ans Leben verwiesen, sondern als mangelhaft Begabter. Die strenge Lehre dieses Romans, wenn je von Lehre die Rede sein soll, ist keine andere, als: Mensch, treibe, wozu du berufen bist, und versplittere nicht Leben und Kraft an Unerreichbares. Daher ist das Buch auch nicht so unpoetisch als der über-poetische Novalis glauben machen will. Sonst wär' er's.

p. 72. »Wenn ihm jenes Christentum wirklich fehlt, so fehlt ihm auch die Poesie.«

Wie aber, wenn er die Religion des Sophokles gehabt hätte?

»Hat er doch nicht einmal ein regelrechtes Trauerspiel zu schreiben vermocht, das mit irgend einem Geschick direkt aufs Theater gebracht werden könnte.« – Wirklich?

p. 74. Als Beweis seiner christlichen Gesinnung jenes Karlsbader Lied auf den heil. Johann von Nepomuk angeführt. Also nicht nur Christ, sogar Katholik war Goethe!

p. 75. Die höchste Blüte des Heidentums kommt in der Braut von Korinth zur Verzweiflung. Die Erklärung ist wenigstens neu.

p. 76. In der natürlichen Tochter trägt die Ehe (in dieser Verbindung: als religiöse Anstalt) den Sieg über Stand und Neigung davon.

p. 82 nennt er Salomo größer als Goethe! Ochse!

Statt all dieses Krams über Goethes Religiosität und Sittlichkeit hätte jene einzige Stelle hingereicht: p. 102, zu spezieller Seelsorge sind überhaupt seine Schriften nicht bestimmt.

Diese elende Begriffvermischung der neuern Deutschen. Die Bitte: Gib uns heute unser tägliches Brot! wird S. 144 umgedeutet als Flehen: »daß er uns auch im täglichen Brote gegenwärtig sei – verbum accedat ad elementum, et fit sacramentum!«

*

Obschon ich das Buch nicht bloß berochen, sondern gekostet und gekaut habe, so muß ich doch in meinem Urteile darüber mehr mit dem ersten als dem darauffolgenden Präopinanten übereinstimmen. Es ist bei manchem Guten ein verkehrtes Buch.

Widerlich ist vor allem zweierlei. Erstens in künstlerischer Hinsicht die ewige Verlegung der philosophischen Absichten und Ansichten aus der zweiten Reihe, wohin Goethe sie gestellt, in die erste, die bei Goethe immer der Darstellung vorbehalten ist, ja das Unterschieben solcher Absichten, wo jener im Schlafe nicht darauf gedacht.

Zweitens im Philosophischen die unaufhörliche Begriffsverwirrung und ‑Erschleichung, die freilich gegenwärtig in Deutschland an der Tagesordnung ist. Da ist nichts so klar, es wird ihm ein anderer Sinn untergelegt. Christentum und Pantheismus verfließen wunderlich ineinander. In der Bitte des Vaterunser, gib uns heute unser tägliches Brot, sieht er II. Bd., S. 144 eine Anspielung auf das Sakrament des Altars. Goethe ist ihm ein Entsagender, weil er alle seine Geliebten sitzen ließ (sie zu heiraten, wäre die eigentliche Entsagung gewesen). Das Lied an Johann von Nepomuk beweist ihm Christentum und in der Braut von Korinth erkennt er die Verzweiflung des Heidentums!!

Daß er Obertribunalrat ist, hätte ich aus der kasuistisch-rabulistischen Auslegung des Paktes, den Faust mit dem Teufel schließt, nicht erraten.

Der Schüler Hegels dagegen zeigt sich deutlich aus der schülerhaften Einmengung der Hegelschen Terminologie und Redeweise, wo sie auch am wenigsten hinpaßt.

Der beste Kommentar des Buches ist jene Beschreibung einer Rheinfahrt (II. Bd., p. 165), wo er sich mitten in der besten Unterhaltung auf einmal kreatürlich und unfrei fühlt, wodurch er sich zum Geständnis getrieben sieht, daß er an Hypochondrie leide. Das vorliegende Buch ist ein hypochondrisches.


(1857.)

Wenn Schiller in seinem Aufsatze über das Pathetische meint: das Tragische liege in dem Widerstande der geistigen Kraft gegen die sinnliche Gewalt, so möchte ich wissen, wo in Romeo und Julie auch nur der geringste Widerstand gegen die Empfindung geleistet wird, und doch ist Romeo und Julie im höchsten Grade tragisch. Darin soll kein Tadel gegen Schiller liegen, sondern gegen die philosophische Theorie in Kunstsachen überhaupt. Die Regel paßt nie auf alle Fälle, und darum hat Schiller in den Jahren seiner Reife ausdrücklich jede Stunde bedauert, die er mit solchen Spekulationen verloren.


(1828.)

Schiller wollte seinen Wallenstein anfangs in Prosa schreiben, hatte auch damit schon begonnen. Wieviel poetische Ausschmückung ist ihm in der Folge hineingekommen, wie sehr wich er demnach von seinem ersten Plane ab!


(1822.)

Wenn man die beiden Monologe der Elisabeth und des Leicester wegstreichen könnte in der Maria Stuart! Schillers größter Fehler ist gewiß der, daß er zu oft selbst statt seiner Personen spricht. Auch Wallensteins Monologe verderben viel, was vorher gut gemacht war. Uebrigens ist darin leichter tadeln, als besser machen. Wenn man die ungeheure Menge von Fäden kennt, die sich bei einer großen Komposition unter den Händen kreuzen, so entschuldigt man leicht, wenn einmal ein oder der andere entschlüpft.


Entwurf eines Briefes an den Schillerverein in Leipzig.

(1855.)

Sie haben mich zum Mitgliede Ihres Schillervereines gewählt; und wahrlich, Sie haben recht gethan. Nicht als wollte ich meinen eigenen Erzeugnissen damit einen besondern Wert zuschreiben, aber es gibt keinen größern Verehrer Schillers in Deutschland als mich. Goethe mag ein größerer Dichter sein, und ist es wohl auch. Schiller aber ist ein größeres Besitztum der Nation, die starke, erhebende Eindrücke braucht, Herzensbegeisterung in einer an Mißbrauch des Geistes kränkelnden Zeit. Er ist nicht zum Volke herabgestiegen, sondern hat sich dahingestellt, wo es auch dem Volke möglich wird, zu ihm hinaufzugelangen, und die Ueberfülle des Ausdrucks, die man ihm zum Fehler anrechnen möchte, bildet eben die Brücke, auf der Wanderer von allen Bildungsstufen zu seiner Höhe gelangen können. Sind seine Ansichten immer natürlich und selbst sein Uebernatürliches immer ein solches, welches durch sein Vorkommen zu allen Zeiten sich als ein in der Menschennatur unaustilgbar Begründetes darstellt, so ist seine Form geradezu musterhaft. Zwischen dem Allzuweiten der Engländer und dem Engen der älteren Franzosen bildet sie gerade jene Mitte, welche einerseits jeder Entwicklung Raum gibt und andererseits ein durch litterarische Genüsse abgenutztes Publikum hinlänglich festhält, um nicht nach allen Seiten sich zu zerstreuen. Und wahrlich: die Ansichten oder, will's Gott, die »Ideen« der Kunst sind menschlich, aber die Form ist göttlich: sie schließt ab wie die Natur.


Zur Schillerfeier

(1859.)

1.Entwurf eines Trinkspruches.

Meine Herren!

Lassen Sie uns Schiller feiern als das, was er war: als großen Dichter, als ausgezeichneten Schriftsteller und ihn nicht bloß zum Vorwand nehmen für weiß Gott was für politische und staatliche Ideen. Diese Warnung gilt nicht dem Publikum unserer Stadt, das die Schöpfungen Schillers immer mit Hingebung, mit Begeisterung, mit einer Art Andacht aufgenommen hat: wohl aber gilt sie einem Teile der Litteratur, der durch hochmütige Theorien verführt, sich Ansichten hinzuneigen scheint, die ihre Nichtigkeit schon dadurch zeigen, daß sie die Poesie in Deutschland halb vernichtet haben. Der Fortschritt ist dem Menschen natürlich: wenn aber zwei ausgezeichnete Geister, wie Schiller und Goethe, den ungeheuren Fortschritt einmal gemacht haben, so braucht die Enkelwelt eine Reihe von Menschenaltern, um sich zu jener Höhe nur emporzuarbeiten, auf der diese Männer dastehen für alle Zeiten. Und wahrlich, meine Herren! Oestreich wäre berufen – wenn auch vorderhand nicht in der Wissenschaft – doch in der Kunst eine bedeutende Stelle einzunehmen, denn wir haben bewahrt, was unsere Nachbarn durch falsche Gründlichkeit zum Teile verloren: ein warmes Herz, einen offenen Sinn und Natürlichkeit.


2.Vgl. Presse, Abendblatt vom 3. und 9. November 1859.

Es haben einige Taglöhner der Journale Anlaß genommen, über meine Stellung zur Schillerfeier sich mißbilligend auszulassen. Ich gönne ihnen die paar Groschen, die sie sich durch die paar Zeilen verdienen, wobei sie noch die Lust der Unfähigen sich an den Befähigten zu reiben mit in den Kauf haben.

Anderseits aber liegt mir daran, nicht etwa die Litteratur, sondern das Publikum, das die eigentlichen Verehrer Schillers enthält, nicht über meine Gesinnung im Zweifel zu lassen. Da muß ich nun vor allem einen Fehler eingestehen, der mir im Leben viel Schaden gethan hat: Etwas Einsames in meiner Natur, und ein Widerwillen gegen alles Oeffentliche und Gemeinsame, letzteres um so mehr, als ich selten mit der Menge und den Vielen übereinstimme.

Was die Feier selbst betrifft, so kann über meine Gesinnung für Schiller kein Zweifel sein. Ich habe ihn durch die That geehrt, indem ich immer seinen Weg gegangen bin. Wenn ich nicht Schiller für einen großen Dichter hielte, müßte ich mich selbst für gar keinen halten. Aber nun wird diese Feier mit einem solchen Lärm und einem solchen Hallo vorbereitet, daß die Vermutung entsteht, man wolle dabei noch etwas anderes feiern als Schiller, den ausgezeichneten Dichter und Schriftsteller: etwa das deutsche Bewußtsein, die deutsche Einheit, die Kraft und Machtstellung Deutschlands. Das sind schöne Dinge! aber derlei muß sich im Rat und auf dem Schlachtfelde zeigen. Es ist nichts gefährlicher, als wenn man glaubt, etwas zu haben, was man nicht hat, oder etwas zu sein, was man nicht ist. Dieser Verdacht wird dadurch zur halben Gewißheit, daß die Litteratoren sich an die Spitze der Bewegung gestellt haben. Diese haben nun durchaus kein Recht, Schillern als Dichter zu feiern. Wenn man ihre Aesthetiken, Litterargeschichten, Journalartikel und Kritiken liest, so sieht man, daß sie an die Poesie Anforderungen stellen, die gerade das Gegenteil von denen sind, die Schiller an sich selbst gestellt hat.



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