Franz Grillparzer
Studien zur deutschen Literatur – Zum eigenen Schaffen
Franz Grillparzer

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5. Romantiker.

Jean Paul.

(1820-1821.)

Jean Pauls Phantasie, so herrlich im Abspiegeln innerer Zustände, ist aber beinahe gar nicht geeignet zum Darstellen äußerer Handlungen, er übergeht sie daher auch häufig ganz kurz, und indes er die Ursachen bis ins kleinste ausmalt, werden die Wirkungen oft nur leicht angedeutet. Daher sind auch seine Werke da am schwächsten, wo das dramatische Element vorgreifend wird. Ich kann mir denken, daß ein Drama von ihm leicht das elendeste Machwerk sein könnte. Er neigt zur Miniaturmalerei hinüber, ein Dramatiker soll aber al fresco malen, schon Goethe thut es zu wenig. Shakespeare kann's und auch Calderon, dieses Anlegen großer Partien mit breiten Schatten und derbem Pinseldrücken. Was mich an Jean Paul überhaupt anzieht, ist sein Verstand und sein Humor; seine Empfindung schwillt oft bis zum Ersäufen an, und seine Phantasie verflattert leicht bis zur Bildlosigkeit, d. h. bis zur Unphantasie. Wenn er gern in Bildern denkt, so malt er dafür auch manchmal mit Begriffen.


(1838.)

Auf den wahren gefühlten Brief an Jean Paul (Wahrheit aus Jean Pauls Leben 5. Bd., S. 231) Jean Pauls Hanswurstbrief als Antwort. Wenn Liebhaber und Dilettanten wüßten, was sie vor den Professoren voraushaben.


(1843.)

Jean Paul ist in Gedanken, ja in seinen Empfindungen erhaben, aber seine Phantasie ist gemein, sie malt nur niedrige Gegenstände mit Wahrheit, und gerade die Phantasie ist das Spiegelbild des Menschen. Gedanke und Empfindung zeigen nur, was er sich bestrebt zu sein; die Einbildungskraft gibt wieder, was er ist.


A. W. Schlegel.

(1817.)

Zwei der gefährlichsten Bücher für einen noch ungeübten Verstand sind Smiths Werk über den Nationalreichtum und A. W. Schlegels Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur, dadurch nämlich, daß sie mit den richtigsten Details die falschesten Prinzipien verbinden, dadurch, daß sie beschränkt gültigen Sätzen eine Allgemeinheit geben, die sie verwerflich macht; daß sie Systeme bauen wollen, wo die Grundlagen noch gar nicht gewiß sind. Von Schlegels Werk möchte ich sagen: es enthalte keinen einzigen ganz falschen, aber auch nicht einen ganz wahren Satz.


Friedrich Schlegel.

(1822.)

Dieser Friedrich Schlegel, wie er jetzt duselt und frömmelt, ist doch noch immer derselbe, der er war, als er die scheußliche Lucinde schrieb. Ich habe ihn ganz kennen lernen, bei einem Mittagsmahl, das vor vier Jahren, als ich in Neapel war, der Hamburger Kaufmann Nolte uns beiden gab. Wie er fraß und soff und, nachdem er getrunken hatte, gern mit dem Gespräch ins Sinnliche jeder Art hinüberging, wie er über mich lachte, als, da die Rede auf seine Lucinde kam, ich versicherte, ein Mädchen würde mir unerträglich sein, wenn sie ohne Schmerz daran denken könnte, sich ergeben zu haben. Dieser Mensch könnte jetzt noch einen Ehebruch begehen und sich völlig beruhigt fühlen, wenn er dabei nur symbolisch an die Vereinigung Christi mit der Kirche dächte. Bei diesen neuen Mystikern wirkt das Christentum durchaus nicht aufs Praktische. So wie nur ein wissenschaftliches Bedürfnis sie darauf hingetrieben hat, so ist die ganze Wirkung desselben auch nur ein theoretischer Glaube, und indem sie sich mit Gott vereinigt denken, glauben sie den Gang ihres Lebens ebenso nur all' ingrosso betrachten zu dürfen, wie man das Wirken der Vorsehung in der Natur anzusehen genötigt ist, wo selbst das Ueble als ein notwendiges Mittelglied zum guten Hauptzwecke allerdings sich zeigen darf.


Tieck.

(1826.)

Tieck, ein geistreicher Mann. Diese Bezeichnung zugleich als Lob und als Tadel ausgesprochen. Das will sagen: er hat Geist, wo Geist von nöten; er hat aber auch beinahe nur Geist, wo es auf Empfindung ankommt. Sein poetisches Talent äußerst schwach und ohne alles Ursprüngliche, ausgenommen im Auffassen und Wiedergeben komischer Bezüge und Charaktere. Komisch ist beinahe nicht das rechte Wort. Die Herausstellung und Verspottung des Abgeschmackten ist sein eigentümliches Feld. Dagegen ist das eigentlich Poetische, d. h. in schöner Steigerung Empfundene, bei ihm fast durchaus nur angebildet. Goethe rühmt einmal an sich die Gabe, Landschaften und andere Naturäußerlichkeiten mit den Augen dieses oder jenes bestimmten Malers anschauen zu können, und bezeichnet sich dadurch, nicht unbewußt, als Dilettant in der bildenden Kunst. Dasselbe kann man von Tieck in der Poesie sagen. Wenn er Shakespeare als eine Brille aufgesetzt hat, sieht er die herrlichsten Dinge. Deshalb hat er sich auch in diesen Meister so hineingelebt, der ihm einen Halt, gleichsam die Pappe hergibt, auf die er seine eigenen, umkippenden Papiermännerchen aufklebt. In früherer Zeit mußten ihm die Minnesänger, der Katholizismus, die Spanier ähnliche Dienste leisten. Am entschiedensten fehlt ihm der Sinn für alle und jede Form. Bei seiner Anlage zum Komischen hätte er ein guter Lustspieldichter werden müssen, wenn nicht sein haltloser Geist sich in der Formlosigkeit, als seinem eigentlichen Elemente, bewegt hätte.

Er kann nichts machen (ποιειν, ποιητης). Keine Epopöe, kein Drama, keinen Roman, ja kein lyrisches Gedicht, in dem der Gedanke scharf abgeschnitten, auf gleichen Flügeln des Rhythmus lerchenartig emporschwebte. Ein geistreicher Skizzismus der Ausdruck seines Talents. Hierzu kommt noch der Mangel eines Innern. Ich weiß nicht, ob Wahr und Falsch für ihn Gegensätze sind, oder Gut und Böse. –


(1826.)

Tieck ist ein guter poetischer Farbenreiber, wollte Gott, er wäre ein Maler auch!


(1828.)

Wieder gelesen Zerbino von Tieck. Dieser Mann hat ein wirkliches Talent, das Abgeschmackte aufzufassen und poetisch abzuspiegeln; manchmal gelingt es ihm bis zum Komischen, obgleich selten. Die ernsthaften, die soi-disant dichterischen Partien darin aber sind für mich von einer Langweiligkeit, einer Hohlheit, daß ich ihrer nicht Meister werden kann. Während des Lesens versagt mir die Aufmerksamkeit und meine Gedanken wenden sich ab. Ich kann nicht leugnen, daß einzelnes auch an diesen Scenen gut scheint, das Ganze aber ist mir nichtig und leer. Formlosigkeit, Mangel an Herzensbegeisterung, die eingestreuten Lieder Geklingel und Gewäsch. Dieser Mann ist kein Dichter, obgleich ein glücklicher Dilettant im Komischen. Ich nenne Dilettant den künstlerisch Begabten, dem der Sinn für Formgebung abgeht. Wie gestaltlos Lila und Dorus, Helikanus so knabenhaft gespreizt, daß ich glaubte, es sei damit auf Persiflage abgesehen und der Dichter werde sich gegen das Ende über ihn als über einen der Abgeschmackten lustig machen. Vielleicht thue ich dem Stück unrecht, aber ich kann es einmal nicht aufmerksam lesen.


(1836.)

Tiecks gesammelte Novellen (Band a der Wassermensch). Geradezu schlecht. Von dem unbilligen Tadel von Schillers Taucher an bis herab durch die ganze Reihe langweiliger Wassermenschen und die leblose Karikatur des Freiheitsapostels. Zum Schluß meint er, daß der ganze Verkehr sich zu einer Novelle ausbilde. Nicht, daß ich wüßte! Ebenso gut könnte jedes beliebige Theegesalbader für eine solche gelten.

Die zweite Novelle: der Mondsüchtige, ebenso gut als die erste schlecht ist. Wahrlich dieser Mensch ist ein Stück Goethe, aber nur ein Stück, und zwar ein kleines. Vortrefflich, was die eine der Schwestern über die deutsche Poesie im Gegensatze der französischen und namentlich über Goethe und Werther sagt. Ja, den Franzosen ist die Poesie, was sie eigentlich dem Menschen, mit Ausnahme des Dichters selbst, sein sollte: Ausschmückung des Lebens, indes sie den Deutschen Gehalt des Lebens scheint, daher all das Schwankende, Knabenhafte in dem Charakter des letzteren. Sehr gut! Dagegen aber, wie sprungweise unvermittelt die Art, wie der Held sich seiner Neigung für die älteste der drei Schwestern bewußt wird. Tieck scheint manchmal Gefühl zu haben, er ist aber nur fein. Er weiß auf den Punkt der Empfindung mit dem Finger zu zeigen, den Weg dahin legt er aber nicht zurück.

In der Folge ergibt sich, daß das Urteil über die deutsche und französische Poesie nicht so gemeint war, wie früher ausgesprochen ward. Schade! Es war leicht einer der besten Gedanken, die Tieck jemals gehabt.

Die letzte Hälfte matt, schwach, unbedeutend.

Zweiter Band. Weihnachten. Ist auf Naturwahrheit abgesehen. Ich finde es herzlich unbedeutend, ja den Magenkrampf und das Treten mit Füßen gemein und widerlich. Hübsch, wenn, als die Mutter am Bette des scheinbar schlafenden Kindes betet, dieses sich plötzlich aufrichtet, wie eine Erhörung. Aber auch nur der einzige Moment; die darauffolgende Rede und der Schluß nicht viel sagend.


(1837.)

Die Klausenburg von Tieck. Schöne, ja ausgezeichnete Partien. Die Einführung des Wunderbaren aber so absurd, als man von diesem, innerlich unwahren Patron nur immer erwarten kann. Ein Ganzes zu machen liegt außer der Möglichkeit dieses Menschen. Ein eigentlich zusammengeflickter Lumpenkönig, dessen Partie im Hamlet er so sehr nimmt.


Novalis

(1828)

Novalis-Vergötterung des Dilettantismus. Ein Franz Sternbald, Objekt und Subjekt zugleich. Ein Wilhelm Meister, ohne Freibrief, in seinen Lehrjahren verfangen ewiglich.

*

Daß die Deutschen diesem schaukelnden Träumen, dieser bild- und begrifflosen Ahnungsfähigkeit einen so hohen Wert beilegen, ist eben das Unglück dieser Nation. Daher kommt es, daß sie sich so gern jedem Irrtum in die Arme werfen, wenn er nur irgend einen Halt darzubieten scheint, an den sie jenes flatternde, verworrene Gewebe anknüpfen können. Daher kommt es, daß von zehn zu zehn Jahren die ganze Nation mit einem Schlage ihr geistiges Glaubensbekenntnis ändert und die Götzen des gestrigen Tages (Schelling) heute wie Schatten von Verstorbenen umherwandeln. Unmännlich! herabwürdigend! Sie glauben, das sei etwas ihrer Nation Eigentümliches, aber andre Völker kennen diesen Zustand auch, nur werden bei ihnen die Knaben endlich Männer. Ich spreche hier nicht als einer, dem dieser dumpf träumende Zustand fremd ist, denn er ist der meine. Aber ich erkenne wenigstens, daß man sich aus ihm herausarbeiten muß, wenn etwas geleistet werden soll. Mönche und Klausner mögen »Hymnen an die Nacht« heraustönen, für thätige Menschen ist das Licht!


Bettina von Arnim

(1844)

Dies Buch gehört dem König.Berlin 1843 Als Motto sollte man darüber setzen die Worte der Frau Rat S. 496: So Redensarten, die nach etwas lauten und gar nichts bedeuten, kann ich nicht leiden. Die Frau Rat ist, wo sie allgemein wird, über den Hegel gekommen und taumelt, hat aber, um ihr eigenes Bild zu brauchen, die leeren Flaschen gleich den vollen versiegelt und kann sie jetzt selbst nicht mehr unterscheiden. Wo sie dagegen das Einzelne bespricht, ist es nichts als der seit Rousseau oft wiederholte Versuch, die Individualität gegenüber dem Ganzen geltend zu machen, wobei aber übersehen wird, daß das Individuum in seiner jetzigen Fassung neun Zehnteile seines Wertes durch die nur als Teil des Ganzen möglichen Fortschritte gewonnen hat. Dies Buch ist nicht gefährlich, ein Hüter bewacht es: die Langeweile. Wer es auslesen kann, dem ist es nicht schädlich, und wem es schädlich wäre, der kann es nicht auslesen. Damit ist nicht gesagt, als ob kein Geist in dem Buche wäre. Aber das Geistige kann nur durch den Gehalt oder durch die Form wirken. Beide Elemente jedoch sind hier zu schwach, um jedes für sich zu bestehen oder auch nur sich zu unterstützen. Erlaubt es zu lesen, das Buch verbietet sich selbst.


Zacharias Werner

Die Mutter der Makkabäer.Tragödie in 2 Akten, Wien 1820.

(1820)

Was der Gefangennehmung der Salome vorausgeht, kann nur als Exposition betrachtet werden. Dadurch wird der Knoten nicht geschürzt und nichts zur Lösung beigetragen; nur die Lage und die Gesinnungen der Hauptpersonen werden anschaulich gemacht. Es reicht also die Exposition bis zum 4. Akt, woher es kommt, daß die Fabel keine Ausdehnung (μεγεϑὸς) des Aristoteles) hat. Es kann nämlich Salomes und ihrer Söhne Flucht nach der Höhle für keinen Schritt zur Zustandebringung der Handlung angesehen werden, da es für das Ganze gleichgültig ist, ob Salome in der Höhle oder in der Hütte gefangen wird. Selbst die Enthüllung der Verbindung, in der Judas mit den verräterischen Großen des Antiochus steht, trägt zum Gang der Handlung nichts Wesentliches bei, da sie in Salome keinen Entschluß und keine That bewirkt. Hier ist der Punkt, wo der Fehler des Ganzen liegt. Wenn Salome, um der Sache der Ihren das doppelte Schrecknis zu ersparen, daß entweder der Feldherr seinen Schwur breche, oder teilnehmen müsse an dem Verrate von Antiochus' Höflingen, wenn Salome da . . .


(1822.)

Werner gibt in seiner Vorrede zu Gilberts Uebersetzung des Thomas von Kempis ein Mittel an, wie man nach Jägerart binnen vier, acht oder zehn Tagen par force Vorstehhunde Jesu Christi dressieren kann.

Das Wort Halleluja wird darin als Einschiebwort gerade so gebraucht, wie das Juhu! auf Bauernhochzeiten. Z. B. der Halleluja, nicht mehr verlorene Sohn.


(1834.)

Es wäre interessant, zu wissen, ob Werner den historischen Vorbericht zu seinem Kreuz an der Ostsee selbst geschrieben oder durch einen Freund hat schreiben lassen. Im ersten Falle sticht der kühle Ton, in dem er daselbst vom heiligen Adalbert, dem Bischof Christian, dem katholischen Wunderglauben und dergleichen spricht, ungemein von der fanatischen Weise ab, wie dieselben in dem darauffolgenden Schauspiele aufgeführt werden. Ja, diese Weise hat etwas Verrückt-Kirchlichdogmatisches, daß sie in dem Munde eines, dem diese Weise nicht Glaubenssache ist, schlechter als verrückt, eigentlich abscheulich wird. Uebrigens wie viel Vortreffliches in diesem Stücke, Werner war der Anlage nach bestimmt, der dritte große deutsche Dichter zu sein, er mußte viel dagegen arbeiten, um sein Geburtszeugnis unwahr zu machen.


Heinrich von Kleist

(1818.)

Ich habe einige von Heinrich von Kleists (dessen, der sich erschoß) Erzählungen gelesen. Die Sujets sind interessant, die Erzählung ist gut, zum Teil vorzüglich, und doch wandelte mich ein äußerst widerliches Gefühl bei der Lesung an. Es ist offenbar die Haltlosigkeit, die Selbstzerstörung des Verfassers, die, aus allem hervorleuchtend, diesen Eindruck hervorbringt.


Fouqué

(1817.)

Ein neuer Beweis, wie sehr die Idee vom Schicksal mit unserer ganzen Denkweise verknüpft ist, gibt Fouqué, derjenige unter den neueren Dichtern, der die Religion wieder Mode gemacht hat. In seinem: Karl dem GroßenKarls des Großen Geburt und Jugendjahre, ein Ritterlied, Nürnberg 1816 sagt er, bei Erwähnung von Pipins Tode, mitten unter den salbungsvollsten Sprüchen:

Ich weiß nicht, war es Schicksals neid'ges Hassen,
Schon jetzt den Held zu fällen.

Um so komischer, als bald darauf folgt:

Der König starb ergeben
Vertrau'nd der Christes Hulden. pag. 111 und 112.


(1820.)

Wie dieser Fouqué den Stoff hinwirft und in seiner rohen Gewalt wirken läßt als Stoff; und weil nun die Leute beim Lesen eine Wirkung spüren, so meinen sie ein Kunstwerk vor sich zu haben; aber eine Hinrichtung wirkt auch. Da ist keine Verbindung der Teile, keine strenge Motivierung der Leidenschaften, und weil es in der Natur Wirkungen gibt, deren Ursachen sich oft nicht nachweisen lassen, so glaubt er, es ginge auch in der Kunst so, indes die Kunst gerade darin besteht, dasjenige, was in der Natur als unzusammenhängende Teile erscheint, zu verbinden als ein Ganzes. Daher bewegt er sich auch so gern in der Zauberwelt, weil hier ein, das Verschiedenartigste leicht verbindendes Gefühl des Wunderbaren in der Brust des Lesers dem Dichter die Mühe des Verknüpfens am besten erspart. Nur wo die Natur selbst schon poetisch geworden ist und als Mythe und Sage aus der Vorwelt herüber klingt, wird er, durch Aneignung dieser Naturpoesie, poetisch. Ueberhaupt hat er nie unmittelbar aus der Natur geschöpft, sondern immer nur fremde Behandlung der Natur nachgeahmt. Sein Name wird noch vor seinem Leben aufhören. Das ward mir vorzüglich deutlich bei Lesung seines Alboin.


Chamisso

(1836.)

Wie hat mir dieser Peter Schlemihl von Chamisso gefallen, als ich ihn vor Jahren das erstemal las. Ich habe ihn jetzt wieder in der Hand und kann nicht weiter lesen. Ist das Buch wirklich, bei einer ungezweifelt sehr guten Grundidee, schlecht gemacht (wie fast scheint), oder ist meine Phantasie so trocken geworden?

Ueberhaupt muß dieser Chamisso jetzt für einen namhaften Dichter zählen. Ein guter Mensch ist er wenigstens, wie ich weiß, und ein poetischer dazu.


(1842.)

Eine barocke, um nicht zu sagen romantische Idee beim Luzian (νεκυομαντεία), daß der Schatten des Menschen ihn in der Unterwelt über seine Vergehen anklagt. Der Keim zu Chamissos Peter Schlemihl liegt wohl in diesem luzianischen Dialog.


Baggesen

(1831.)

Dieser Briefwechsel BaggesensAus Jens Baggesens Briefwechsel mit K. L. Reinhold und F. H. Jacobi, Leipzig 1821. kam mir zum Teil wie ein widerliches Trauerspiel vor. Welche süßlich-abgöttische Freundschaft und Liebe von vorn herein, und Bündnisse für die Ewigkeit, und nach sieben oder acht Jahren spottet Baggesen Reinholds als eines starrgedienten metaphysischen Kamaschenhelden, was er denn wirklich wohl auch war. Und dieser mir von jeher widerliche Jacobi, wie er Baggesen zuträgerisch hinterbringt, was dessen Freunde in der ersten Irritation von ihm Nachteiliges glaubten und sagten.


Oehlenschläger

(1817.)

Ich habe Oehlenschlägers neuestes Trauerspiel Hagbarth und Signe im Manuskript gelesen. Es hat mich entzückt. Diese Gesondertheit, dieses individuelle Hervortreten der Charaktere, die Heiterkeit, mit der selbst die Mißtöne des Schmerzes in der allgemeinen Harmonie des Ganzen zerfließen, ist einzig, und wenn man Oehlenschlägern persönlich kennt, glaubt man immerwährend sein großes helles blaues Auge wie ein ausgleichendes Aug Gottes über dem Ganzen schweben zu sehen. Mit alledem scheint mir der Eindruck dieses Trauerspieles, wie aller dramatischen Werke Oehlenschlägers überhaupt, mehr ein allgemein poetischer als ein eigentlich dramatischer zu sein. Sie haben durchaus etwas Balladenmäßiges und versieren häufig zu sehr auf dem schwankenden Boden der Phantasie. Ich kann mir diesen Unterschied selbst nicht recht klar machen. Aber z. B. in Hagbarth und Signe wird ersterer gefangen. Er zerreißt die Bande, die man ihm anlegt, und die Königin kommt auf den Gedanken, ihn mit einer von Signes Locken zu binden. Es geschieht, und Hagbarth preist gebunden sein Glück. Das ist eine äußerst liebliche Idee; aber, wie mir dünkt, bloß für die Ballade, nicht auch fürs Drama. Nur in dem halb träumenden Nachempfinden einer Ballade kann dieser Zug wirken, wo wir uns von dem, was geschieht, kein deutliches Bild machen, wo Sehen, Empfinden, Vorstellen und Denken ewig ineinander fließen, und das Bild, das vor uns schwebt, weniger ein Werk der Anschauung als ein Produkt aller Gemütskräfte zusammen genommen ist. Beim Lesen des Drama hingegen (vom Zuschauer versteht sich's ohnehin) wollen wir ein körperlügendes Bild vor uns haben; eine eigentliche Anschauung (wenn auch nur der Phantasie), scharf von allem neben sich abgeschnitten, – Wendet man das auf jenes Beispiel an, so zeigt sich, daß das Binden mit der Locke in der Ballade unvergleichliche Wirkung thue, weil wir hier das Bild nur halb außer uns hinzustellen brauchen, die andere Hälfte aber in uns durch das Gefühl ausmalen lassen. Wer hat noch keine Locke von der Geliebten empfangen? Wie wert war sie uns! Wie haben wir sie auf dem Busen getragen, geküßt! Das fällt uns alles dabei ein, und wir sind entzückt. Aber im Drama! Eine Locke ist uns für die Anschauung ewig ein Büschel Haare, und ein Haarzopf nichts weniger als ein reizendes Bild. Man versuche es einmal und male sich das Bild ganz aus. Ich frage jedermann: wenn er in einem Drama einen Liebhaber aufzuführen hätte, der ein Andenken seiner Geliebten an den Mund drückt, was würde er für dieses Andenken lieber wählen, einen Ring oder eine Locke? Ganz gewiß das erstere; und doch ist uns eine Locke, gleichsam ein Teil der Person der Geliebten, so teuer, und welche Erinnerungen knüpfen sich daran! Ja wohl für den Geliebten, aber auch für einen dritten? – Etwas Aehnliches kommt noch in demselben Stücke vor. Hagbarth nimmt Abschied, pflückt ein Blatt von Signes Kranze und steckt es in den Busen. Gut in der Ballade, da ist ein Blatt zarter, schöner als der Kranz selbst. Aber im Drama. Hier muß es offenbar der ganze Kranz sein. Denn welches ärmliche Bild für die eigentliche Anschauung nur ein einzelnes, halb formloses Blatt. – Ich glaube recht zu haben, obschon ich mir's selbst nicht recht verdeutlichen kann.


Franz Horn.

(1823.)

Keine Litteratur hat einen Schriftsteller aufzuweisen, der es in der Kunst, immer neben der Wahrheit zu treffen, so weit gebracht hätte, als Franz Horn. Wenn man bei manchen seiner Schriften, z. B. dem Kommentar über ShakespeareShakespeares Schauspiele erläutert. Erster Band, Leipzig 1823. in Versuchung gerät, sich über ihn zu ärgern, so söhnt eine über all sein Wirken verbreitete unschuldige Gehaltlosigkeit einen unvermerkt wieder mit ihm aus. Er hat durch seine Schriften durchaus weder genützt, noch geschadet, nichts von der Stelle und nichts an die Stelle geschoben; ihre Positivität in der litterarischen Welt ist gleich der der Loches in der körperlichen: es ist, als ob er sie nie geschrieben hätte.



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