Franz Grillparzer
Studien zur deutschen Literatur – Zum eigenen Schaffen
Franz Grillparzer

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3. Siebzehntes und achtzehntes Jahrhundert

Spee, Trutznachtigall

(1835)

Gar schön jener Wettstreit der Nachtigall mit dem Widerhall. Auch in der Verifikation hebend und melodisch.

*

»Wann Morgenröt
Die Nacht ertöt.«

Weniger sorgfältig und dieselbe Empfindungswendung gar zu eintönig wiederholend.

*

»Der trübe Winter ist vorbei.«

Wunderschön, ja ausgezeichnet, solang die Beschauung und Empfindung der Natur vorwaltet, eintönig und wunderlich die zweite Hälfte mit ihrer jesu-christlichen Brautwerbung. Auf ähnliche Weise in zwei Hälften von verschiedenem Werte zerfallen in neuerer Zeit auch die Gedichte Lamartines.


Gottsched

(1835.)

Dieser Mann hat einst eine so bedeutende Wirkung auf seine Zeit hervorgebracht, daß man sich unmöglich von der Mühe freisprechen kann, seine Werke wenigstens durchzublättern, und ich habe mir eben jetzt vorgenommen, es zu thun.

Das erste, was ich von ihm in die Hände nahm, war seine deutsche Schaubühne in 6 Bänden, und darunter zuerst das Trauerspiel Agis, dessen Stoff mich immer ganz besonders angezogen hat, so daß ich mir schon manchmal vornahm, ihn selbst zu bearbeiten. Ich ging beinahe mit einem Vorurteile für den Verfasser an die Lesung, da das Geschrei gegen ihn doch hauptsächlich von den Formlosen herrührte, und ich auf diese Überschwenglichen wegen der Verwirrung, die sie über die deutsche Litteratur gebracht haben, nicht gut zu sprechen bin. In den ersten Scenen hielt meine gute Meinung noch ein wenig aus. Die Alexandriner sind da nicht übel, durch manchmaliges Hinüberschlagen in die Hälfte des folgenden Verses weniger steif als sonst wohl diesem Metrum zu begegnen pflegt; sogar ein paar Gedanken laufen mit unter, aber – hilf, Himmel! – je weiter man kommt, je handgreiflicher zeigt sich das poetische Untalent des Verfassers. Agis, der starkmütige Agis ohne eigenen Rat, ihn teils bei seinen Freunden, noch häufiger bei seinen Weibern suchend. Die herrliche Cheilonis eine reine Nebenperson, von all ihren heldenmütigen Entschlüssen ihr nichts gelassen, als deren Ankündigung mit wenigen geschraubten Worten: alle Handlung verbannt, um den Tiraden Platz zu machen; der Gegenstand des großen Streits, die Frage um die Herstellung des Heldentums von Sparta in eine Börsenoperation über Schuldbriefe und Güterteilungen verwandelt und dann, wie die Begebenheiten, oder vielmehr ihre Erzählung, ohne Entwicklung sich drängen, wie an einem Theatertage (länger dauert das Stück schulgerecht nicht) Dinge vorgehen, wozu kaum ein Jahr genügt, kurz, die über Gottsched als dramatischen Dichter schmähen, haben nach dieser einzigen Probe, unbezweifelt recht.


Liscow

(1817.)

Die wirksamste Gattung der Ironie ist wohl die, wenn der Satieriker das Absurdum, das aus seinen Sätzen fließt, nicht selbst ausspricht, sondern nur durch eine Reihe von Folgerungen dahin leitet, es selbst auszusprechen aber dem Leser überläßt. Liskow war hierin der größte Meister.


Klopstock

(1818.)

Man tadelt gewöhnlich an Klopstock in der Messiade den gänzlichen Mangel an Objektivität, und in der That ist es für jemand, der den Homer gelesen hat, sehr abstoßend, alles was geschieht, beinahe nur angedeutet zu finden, indes Empfindungen und Reflexionen kein Ende nehmen; aber sollte die größere Hälfte der Schuld nicht auf den Stoff fallen, und auf den Dichter nicht viel mehr, als daß er diesen Stoff wählte?


Lessing

(1851.)

Man ist gegenwärtig sehr geneigt, Lessing als den Ausgangspunkt unserer Litteratur hinzustellen. Das ist aber nicht wahr. Der Vater unserer Litteratur ist Klopstock. Er hat zuerst den Funken der Begeisterung in die träge und pedantische Masse geworfen, und erst als in der Mitte von Klopstock und Goethe, mit Wieland zur Seite, kann Lessings Wirken als ein heilbringendes bezeichnet werden. Ueberhaupt ist des Mannes Wahrheitsliebe nicht ohne Streitsucht, und seine Kritik nicht ohne Neid. Statt Klopstock mit offenen Armen als den einzigen deutschen Dichter aufzunehmen, hat er an ihm gequängelt, Wielanden hat er die Freude an seinen harmlosen Produkten gestört, den Wert von Goethes ersten Hervorbringungen hat er verkannt. Seine Freundschaft mit Ramler und Nicolai ist nicht ohne erklärende Bedeutung. Wenn er gegen die Fehler der französischen Tragiker zu Felde zog, so hatte die Derbheit seiner Natur daran so viel Anteil, als sein kritischer Scharfsinn, und seine syllogistische Aesthetik hat ihn weit schlechtem Gattungen in die Arme geführt, der weinerlichen Komödie und dem bürgerlichen Trauerspiel. Sein Kultus für Shakespeare konnte ihn vor der Nachahmung Diderots nicht bewahren. Damit sollen nicht die unendlichen Verdienste Lessings geleugnet, sondern nur der Vergötterung in den Weg getreten werden, die ihm Leute zukommen lassen, die eine Aehnlichkeit zwischen ihm und sich finden und sich loben, wenn sie ihn preisen. Lessing hat aber nur Wert als der höchste einer nichts weniger als wünschenswerten Gattung; der nächste nach ihm ist schon ein Klopffechter und ein poetisierender Prosaiker.


(1849.)

Was den Wert Lessing ausmacht, ist die Vereinigung des Kunstsinns mit der Logik. Es ist zwar weder der Kunstsinn so rein, noch die Logik immer so echt; aber in dieser Vereinigung sind sie vielleicht noch nie dagewesen; ja gewöhnlich schließen sie sich sogar aus.


(1857.)

Gegenwärtig treibt man die metaphysische Aesthetik, Lessing trieb die syllogistische. Von der richtigen Ansicht ausgehend, daß, wo die Ursache rätselhaft ist, man die Wirkungen im Auge behalten muß, erkannte er mit Aristoteles Furcht und Mitleid als die Quellen des Wohlgefallens an der Tragödie. Aber nun schloß er logisch weiter. Je mehr Furcht und je mehr Mitleid, um so größer die Wirkung, Da nun, je näher uns die Personen stehen, um so größer der Anteil an ihrem Schicksale sein muß, ergo. – Und so kam er auf das bürgerliche Trauerspiel und in weiterer Folge auf das weinerliche Lustspiel: die zwei schlechtesten Gattungen, die es gibt. Wenn man syllogistisch zu Werke gehen will, so muß man vor allem einen unzweifelhaften und vollständigen Begriff vor sich haben, sonst kommt man um so mehr in den Irrtum, je richtiger die Schlüsse sind.


(1856.)

Wenn Lessing gerecht sein will, so ist er selten frei von Übertreibung und Streitsucht. So vergißt er bei Martial, daß er ein unverschämter Bettler und Schmeichler war, und daß er die schreienden Unflätereien nicht etwa bloß, um die Laster zu züchtigen und zu verspotten, sondern, wie er selbst sagt, darum aufgenommen hat, weil er wußte, daß man davon gerne las.


(1851.)

»Ich habe überhaupt von der Liebe des Vaterlandes (es thut mir leid, daß ich Ihnen vielleicht meine Schande gestehen muß) keinen Begriff, und sie scheint mir aufs höchste eine heroische Schwachheit, die ich wohl gerne entbehre.« Lessing an Gleim 29. Bd., S. 77. Ein merkwürdiges Geständnis, das viele andere entbehrlich macht.


(1817.)

Wer behauptet, daß der Ekel als solcher in seiner Mischung möglicherweise gar nichts Angenehmes habe (Lessing Laokoon), kennt die Natur dieser Empfindung nicht.


(1817.)

Ein Kunstgriff, den Lessing in seinen Streitschriften oft gebraucht und der seines Zweckes nie verfehlt, ist: wenn man ein an sich selbst noch mancher Bestreitung unterliegendes Faktum für seine Meinung anführen kann, dieses Faktum anfangs zu verschweigen und immerzu mit Schlüssen und den spitzfindigsten Erörterungen auf den Punkt hinarbeiten, wo das Faktum verborgen lauert. Wenn nun der Hörer hingerissen von Bewunderung des angewandten Scharfsinnes bei sich ausrufen muß, wie bündig, wie schließend! Nur schade, daß all der Aufwand von Geist wohl die Möglichkeit, aber nicht die Wirklichkeit erweist. – Jetzt losgedonnert mit dem Faktum aus dem Hinterhalte, und – ließe sich gleich gegen dasselbe an sich manches einwenden – der Zuhörer ist verloren.


(1822.)

Von Lessings Fabeln sind mehrere vortrefflich, gut erzählt sind sie alle. Im ganzen haben sie aber doch mehr Ruf, als sie verdienen. Die besten darunter werden oft durch die angehängten moralischen Anwendungen entstellt, die der Leser lieber selbst zöge.


(1822.)

Gelesen: Minna von Barnhelm zum zweitenmal. Was für ein vortreffliches Stück! Offenbar das beste deutsche Lustspiel. Lustspiel? Nu ja, Lustspiel; warum nicht? So echt deutsch in allen seinen Charakteren, und gerade darin einzig in der deutschen Litteratur. Da ist kein französischer Windbeutel von Bedienten der Vertraute seines Herrn; sondern der derbe, grobe, deutsche Just. Der Wirt freilich ganz im allgemeinen Wirtscharakter; aber dagegen wieder Franziska! Wie redselig und schnippisch und doch so seelengut und wacker und bescheiden. Kein Zug vom französischen Kammermädchen, der doch die deutschen im Leben und auf dem Theater ihren Ursprung verdanken. Minna von vornherein herrlich. Wenn man diesen Charakter zergliedern wollte, so käme durchaus kein Bestandteil heraus, von dem man sich irgend Wirkung versprechen könnte, und doch, demungeachtet, oder wohl eben gerade darum, in seinem Ganzen so vortrefflich. Ganz aus einer Anschauung entstanden, ohne Begriff. Ihre Vorstellung gegen das Ende zu möchte zwar etwas über ihren Charakter hinausgehen, aber in der Hitze der Ver- und Entwicklung, und über der Notwendigkeit zu schließen, ist ja selbst Molièren oft derlei Menschliches begegnet. Tellheim wohl am meisten aus einem Begriff entstanden, aber begreiflich, weil er nach einem Begriff handelnd eingeführt wird. Der Wachtmeister herrlich, sein Verhältnis zu Franziska, sowie der Schluß, göttlich! In der Behandlung des Ganzen vielleicht zu viele Spuren des Ueberdachten, Vorbereiteten, aber auch so viel wahre glückliche Naturzüge! Die Sprache unübertrefflich! deutsch, schlicht und ehrlich. Man sollte das Stück durchaus in einem Kostüm spielen, das sich dem der Zeit des siebenjährigen Krieges annäherte: nicht ganz dasselbe, um nicht lächerlich zu sein; aber auch nicht ganz modern, denn die Gesinnungen des Stückes stechen zu sehr von den heutigen ab.


(1860.)

Bedeutende Schauspielerinnen (Mad. Rettich) wissen sich in der Rolle der Emilia Galotti nur so zu helfen, daß sie eine verborgene Neigung zu dem Prinzen voraussetzen, besonders um das widerliche: »meine Sinne sind auch Sinne«, und ihren Wunsch zu sterben, zu motivieren. Lessing scheint aber einer solchen Geheimlehre nicht geneigt gewesen zu sein, da er einmal an Nicolai schreibt: »Die Rolle der Emilia erfordert gar keine Kunst. Naiv und natürlich spielen kann ein junges Mädchen ohne alle Anweisung.« Wie aber nun diesen Widerspruch erklären? Damit, daß Lessing erwiesenermaßen mit dem Schlusse nur spät und da mit einer Art Uebereilung zu stande kam. Er hatte sich das ganze Stück deutlich gemacht, nur den Schluß nicht, und da merkte er vielleicht, daß er ein vortreffliches Schauspiel, aber ein schlechtes Trauerspiel geschrieben hatte.


(1867.)

Lessing gibt in Nr. 11 seines Anti-Göze (VI, p. 178) Aufklärung über sein Verfahren beim dramatischen Dialoge, das aber weniger das Natürliche, als das Gekünstelte darin erklären dürfte.


Justus Möser

(1844.)

»Armut muß verächtlich bleiben.« Worte Mösers in den patriotischen Phantasien (XI. Etwas zur Verbesserung der Armenanstalten); der ganze Aufsatz merkwürdig in seiner scheinbaren Härte, besonders von einem so weichmütigen Manne.

*

»So lange ist es schon, daß ich ihn verliere« statt: verlor. Es ist eine ungeheure Gewalt der Empfindung in dieser Verwechslung der Zeitformen. Justus Möser hat häufig solche Gewaltstreiche, die dadurch ihre Wirkung erhalten, daß sie ungesucht sind.

*

Dieses Schreiben einer Frau an ihren Mann, im Zuchthause, Mösers patriotische Phantasien LVII, ist ein Meisterstück, oder vielmehr ein Naturstück, wie wenige. Diese eingestreuten »O Geliebter« an den Stellen, wo er ihren Haß verdiente und: »O Mann, Mann!« ohne Vorwurf, wo er es am wenigsten gewesen; »Liebster unglücklichster Mann!« Da sie einmal in den Superlativen der Liebe und des Schmerzes ist. »Du warst redlich: ich bin's auch.« Sie macht ihn wieder halb redlich durch dieses auch, statt noch. Dieser Möser ist eine bedeutende Natur.


(1849.)

Justus Möser in seiner vortrefflichen Vorrede zur Osnabrückischen Geschichte bezeichnet das Verfahren der meisten deutschen Geschichtschreiber sehr treffend, wenn er von ihnen sagt, daß sie mit Sammeln den Anfang machen und dann mit ermüdetem Geiste die Feder ansetzen.

*

Die Kraft des Stils liegt in der Ueberzeugung, und oft werden Unbehilflichkeiten des Ausdrucks zu Schönheiten, weil man merkt, daß der Verfasser den Inhalt lebhaft gefühlt, und Empfindungen sich bekanntlich nur sehr entfernt in Worten ausdrücken lassen.



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