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Dreizehntes Kapitel.

Es war das letztemal, daß ich meine Gattin mit Augen sah. Wohin sie gegangen, wo sie Zuflucht gefunden, habe ich nie erfahren. Meinen Vater hatte der Auftritt so sehr erschüttert, daß seine Kräfte rasch abnahmen. Während ich mit seiner Pflege beschäftigt war, bemerkte ich nur zu wohl, wie sehnsüchtig er oft den Blick nach der Türe wandte und mich dann wieder fragend anschaute. Schon damals stieg in mir der Gedanke auf, daß ich die Ruhe und das Glück meines Lebens vielleicht auf immer zerstört hatte. Erst nach meines Vaters Tode aber trat mir das Bild des schönen, jungen, verzweifelnden Geschöpfes, dem ich meinen Namen gegeben, wieder mit furchtbarer Deutlichkeit vor die Seele. Eine düstere Schwermut bemächtigte sich meiner; ich wußte nicht, rührte sie aus einem Gefühl der Scham her, beim Rückblick auf die Vergangenheit, oder war das rätselhafte Verschwinden meiner Frau, die ich doch nicht geliebt hatte, die Ursache meiner Trauer.

Mein Zustand verschlimmerte sich noch, als bald darauf die Verlobung meiner Cousine mit dem Grafen de Mirac veröffentlicht wurde. Meine leidenschaftliche Liebe zu ihr hatte mich niemals dagegen blind gemacht, daß sie Rang und Reichtum als erste Lebensbedingung ansah; ich hatte auch durch meine stillschweigende Entsagung und die Heirat mit einer andern jedes Recht verloren, mich über ihre Handlungsweise zu beklagen, dennoch war jene Nachricht ein furchtbarer Schlag für meinen Stolz. Daß sie imstande war, für Glanz und Schimmer alles hinzugeben, was einer Frau das höchste Gut auf Erden sein sollte, erschütterte meinen Glauben an die echte Weiblichkeit ihrer Natur. Hatte sie auch im Grunde nichts anderes getan als ich selbst, so diente ihr das in meinen Augen nicht zur Entschuldigung. Sie als edles Weib durfte dem Mammon das Opfer nicht bringen, sie hatte der Versuchung widerstehen müssen, welcher ich, der Mann voll Schwachheit und Mängel, unterlegen war.

Ich zog mich mehr und mehr von der Gesellschaft zurück; aber während die andern Gesichter und Gestalten aus meiner Erinnerung schwanden, begann jetzt Luttras Bild, wie ich sie zuletzt gesehen, mich bei Tag und Nacht zu beschäftigen. Das erhöhte nur meine Qual. Ich sehnte mich danach, meine Heirat zu vergessen, die mir vor der Welt nur Schmach und Schande bereiten konnte; die Missetaten ihres Vaters und Bruders waren soeben ans Licht gekommen, und mein Weib war die Tochter eines überführten Verbrechers.

Aber sie kam mir nicht aus dem Sinn. Ihr Abschiedsblick brannte in meiner Seele, er verfolgte mich wachend und schlafend, bis ich zuletzt beschloß, ihr Bild auf der Leinwand festzuhalten, um es aus meinen Träumen zu verbannen.

So entstand das Gemälde, welches Sie heute abend gesehen haben. Bei meiner natürlichen Begabung für die Kunst, die mir unter andern Umstanden vielleicht hohen Ruhm eingebracht hätte, bot die Arbeit meiner geübten Hand nur geringe Schwierigkeiten. Tag für Tag wuchs die Aehnlichkeit unter meinem Pinsel, ihre Schönheit nahm einen immer geistigeren Ausdruck an, der mich selbst in Erstaunen setzte, und ich widmete mich meinem Werke mit wahrem Feuereifer. Immer tiefer schien der Blick der zärtlichen Augen in mein Inneres zu dringen, und oft stand ich mitten in der Nacht auf, um die Fülle des goldenen Haares zu betrachten, das ihre Stirn umflutete.

Endlich war das Bild vollendet, und ich glaubte, sie lebendig vor mir zu sehen, wie in jenem unvergeßlichen letzten Augenblick, in derselben Kleidung, sogar die Rose in der Hand, mit welcher ich am Hochzeitsmorgen meine Braut geschmückt hatte. Nichts fehlte, um dem Bilde Wirklichkeit zu verleihen, und ich dachte nun Ruhe zu finden. Allein diese Hoffnung erwies sich als trügerisch.

Ich hatte das Gemälde hinter Evelinens Bildnis angebracht, das seit zwei Jahren über meinem Lehnstuhl hing. Am Morgen drehte ich es nach der Wand, aber die Nacht hindurch sah es auf mich nieder, und oft vertiefte ich mich stundenlang sinnend in den Anblick. Keine Kunde kam zu mir über Luttras Geschick, ich hätte ihr nicht beistehen können, selbst wenn Not und Mangel sie bedrängten. Wäre auch die Liebe zu ihr in meinem Herzen erwacht, ich würde nicht gewußt haben, wo ich sie suchen sollte, und ob nicht das schöne, junge Geschöpf längst im Grabe ruhte.

Aus meinem dumpfen Grübeln schreckte mich die Nachricht, daß meine Cousine ihren Gatten nur wenige Monate nach der Hochzeit durch den Tod verloren habe und nach Amerika zurückgekehrt sei. Ich glaubte, nun würden meine Pulse wieder rasch schlagen – allein es regte sich nichts in meinem Herzen. War denn meine alte Liebe gestorben? – Das mußte ich ergründen.

Ich traf die stolze Gräfin in der Gesellschaft. Aber siehe da, ihre Schönheit hatte keinen Reiz mehr für mich; zwischen uns tauchte stets in sonnigem Glanz ein junges, hochherziges Wesen auf, das alle meine Gedanken gefangen nahm. Jetzt wußte ich, daß die Liebe in meinem Herzen nicht tot sei, wie ich geglaubt, aber sie galt einzig und allein einem Gegenstand, der für mich unerreichbar schien – meinem verschwundenen jungen Weibe.

Sobald ich zu dieser Erkenntnis gekommen war, raffte ich mich zu neuen Taten empor. Das Leben bot mir jetzt nur noch eine Hoffnung. Ich wollte die Verlorene suchen gehen durch die ganze Welt und sie in mein Haus zurückführen, selbst wenn ich sie im Gefängnis, an der Seite ihrer verbrecherischen Verwandten wiederfände.

Aber wo sollte ich meine Nachforschungen beginnen? Gab es einen Faden, mit dessen Hilfe ich durch das Labyrinth zu ihr gelangen konnte? Ich wußte keinen als ihre Liebe, die sie vielleicht gehindert haben mochte, sich allzuweit von dem Hause zu entfernen, aus dem sie sich freiwillig verbannt hatte. Wenn Luttra noch war wie sie gewesen, würde sie schwerlich die Stadt verlassen haben; irgendwo in dem endlosen Gewirre mußte sie zu finden sein. Die Klugheit riet mir, mich der Hilfe der Polizei zu bedienen, aber dies siel meinem Stolze so schwer, daß ich zuvor jedes andere Mittel versuchen wollte. Unermüdlich begann ich die Straßen zu durchwandern, in der vergeblichen Hoffnung, irgendwo unter dem Schwarm der Vorübergehenden ihre Gesichtszüge zu entdecken. Ein törichtes Unternehmen, das zu keinem Ergebnis führte. Von Unruhe verzehrt, litt es mich nie lange an einem Ort. Einmal stand ich sogar mitten in der Nacht wieder auf und ging in den Hof hinunter, um frische Luft zu schöpfen. Es war, wie ich später erfuhr, dieselbe Nacht, in der die Näherin, nach welcher Sie suchen, aus meinem Hause verschwand. Ich ahnte hiervon jedoch nichts; ja ich war so völlig in meine Gedanken vertieft, daß ich sogar einen Augenblick glaubte, das Gesicht meiner verlorenen Gattin, welches mir Tag und Nacht vor der Seele stand, durch die Gitterstäbe zu mir hereinblicken zu sehen.

Sie sagen, jenes Mädchen habe wirklich durch das Gitter geschaut; das mag sein, denn die, welche ich sah, war wie eine Arbeiterin gekleidet. Ich hielt die Erscheinung damals für ein Spiel meiner Phantasie, doch beschloß ich, nicht mehr in den vornehmen Stadtteilen nach Luttra zu suchen, sondern in den ärmeren Gegenden und Arbeitervierteln. Daß ich dies tat, wissen Sie, denn die Polizei hat seitdem meine Schritte unablässig verfolgt, wie Sie sagen.

Meine vergeblichen Nachforschungen brachten mich fast an den Rand der Verzweiflung. Zwar traute ich fest auf die Lauterkeit von Luttras Gesinnung, aber in welchen Abgrund von Jammer und Elend mochte sie inzwischen geraten sein! Und ihr Vater, ihr Bruder – wie tief mochten die verworfenen Menschen das unschuldige, liebevolle Kind erniedrigt haben!

Eines Tages sah ich ein Mädchen – nein, die Verlorene war es nicht – die Aehnlichkeit lag nur in der Farbe ihres Haares. Ich ging ihr nach und sprach sie an, um zu erfahren, ob sie mir keine Kunde geben könne von einer, deren Locken so goldenrötlich waren wie die ihrigen. Das arme Geschöpf ließ mich nur einen tiefen Blick in ihr eigenes jammervolles Dasein tun, von Luttras Geschick war ihr nichts bekannt.

Tags darauf trat ich meine Fahrt nach Vermont an; ich hoffte an dem Ort, wo ich sie zuerst gesehen, irgendeinen Fingerzeig über ihren jetzigen Aufenthalt zu finden, aber auch hierin sah ich mich getäuscht.

Für den Inhalt jener Kommode weiß ich keine Erklärung. Hat das Mädchen, welches auf so seltsame Weise verschwunden ist, wirklich die darin befindlichen Kleidungsstücke hier ins Haus gebracht, so bieten sie uns vielleicht einen Anhaltspunkt, um das Ziel zu erreichen, nach dem ich einzig trachte; mit Freuden würde ich alle Schätze der Welt dafür hingeben. Eine Frage muß aber vor allem entschieden werden, ehe wir weiterreden, und nur Frau Daniels kann – –

In diesem Augenblick ging die Türe auf und die Haushälterin trat ein.


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