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Achtes Kapitel.

Gegen Abend hatte ich ein Gespräch mit Fanny am Hoftor. Sie kam, sobald sie mich sah, ganz verstört herbeigeeilt. Nein, was ich heute alles gehört habe! rief sie.

Was denn? fragte ich, darf ich es auch wissen?

So eine Angst habe ich im Leben noch nicht ausgestanden, flüsterte sie mit stockendem Atem, ich denke, mich rührt der Schlag, wie ich die vornehme Dame das Wort »Verbrechen« sagen höre –

Was für eine vornehme Dame? – Beginnen Sie doch nicht mitten in der Geschichte, sondern erzählen Sie hübsch ordentlich von Anfang an.

Frau Daniels hatte heute Besuch von einer Dame, berichtete Fanny etwas ruhiger; sie trug ein Kleid von – –

Den Anzug lassen Sie nur weg, unterbrach ich sie abermals, sagen Sie mir lieber, wie die Dame hieß und was sie wollte.

Wie soll ich ihren Namen wissen, sagte das Mädchen schnippisch, sie kam ja nicht zu mir.

Aber Sie haben sie doch gesehen – wie sah sie aus?

Das wollte ich ja gerade erzählen, aber Sie ließen mich nicht ausreden. Sie sah aus wie eine Königin; ihr Samtkleid hatte eine lange Schleppe und ihre Diamanten funkelten –

War sie blond oder braun?

Sie hatte schwarzes Haar und dunkle Augen.

Eine hohe, stolze Erscheinung?

Das Mädchen nickte: Sie kennen sie vielleicht?

Das nicht, aber ich kann mir denken, wer es ist. Und sie hat Frau Daniels besucht?

Ja, aber ich glaube, sie rechnete darauf, daß der Herr nach Hause kommen würde, solange sie da war.

So sagen Sie doch, was geschehen ist, Sie machen mich ganz ungeduldig.

Ich bin ja eben dabei, es zu erzählen. Um drei Uhr nachmittags kam ich die Treppe hinauf, und als ich am Wohnzimmer vorbeiging, blieb ich etwas stehen, weil ich sie drinnen mit Frau Daniels plaudern hörte, wie mit einer alten Freundin. Die aber antwortete ihr ganz steif und einsilbig, als sei ihr wenig an dem Besuch gelegen. Beim Herauskommen bat die Dame die alte Frau so freundlich und herzlich wie eine Schwester, sie doch einmal zu besuchen. Sie sagte, es würde ihr eine große Freude sein, aber Frau Daniels gab deutlich zu verstehen, daß sie die Dame nicht leiden könne und die schönen Reden ihr gar keinen Eindruck machten. Sie hätten wohl noch mehr miteinander gesprochen, aber da ging die Haustüre auf, und Herr Blake trat ein, die Reisetasche in der Hand. Er machte ein sehr erstauntes Gesicht und sprach einige höfliche Worte. Die Dame wollte sich entfernen, doch er hielt sie zurück und trat mit ihr ins Wohnzimmer. Frau Daniels stand zuerst wie versteinert und sah ihnen nach; dann lief sie über Hals und Kopf, ohne mich zu bemerken, den Gang hinunter und die Treppe hinauf. Ich hatte mich in eine Nische gestellt, um die schöne Dame noch einmal zu sehen. Nach wenigen Minuten kam Herr Blake zuerst wieder zur Türe heraus; das wunderte mich recht, weil er immer so höflich ist. Die Dame folgte ihm die Treppe hinauf nach seinem Studierzimmer, aber sie sah schrecklich verstört und bestürzt aus. Die Neugier ließ mir keine Ruhe, ich mußte der Sache auf den Grund kommen und sollte es mich meine Stelle kosten. So schlich ich ihnen denn leise nach und horchte am Schlüsselloch.

Fanny machte eine Pause. Was hörten Sie? fragte ich gespannt.

Zuerst einen Ausruf der Freude aus ihrem Munde und die Worte: »Wenn Sie das immer vor Augen behalten haben, kann ich Ihnen doch unmöglich so gleichgültig sein, wie Sie behaupten.« Er antwortete nichts, ich hörte ihn nur durch das Zimmer gehen, sie aber stieß einen Schrei aus wie bei einer unangenehmen Ueberraschung. Nun fing er an zu reden, ganz leise, er sprach und sprach, aber ich verstand kein Wort. Nach einer Weile begann sie zu schluchzen, und das erschreckte mich so, daß ich gern fortgelaufen wäre; auf einmal stöhnte sie laut und rief: »Nicht weiter, hören Sie auf, Holman; wie konnten Sie das tun! Wer hätte je gedacht, daß unsere Familie, die stolzeste im ganzen Lande, mit dem Verbrechen in Berührung kommen würde.« Ja, das sagte sie, beteuerte Fanny mit glühenden Wangen, sie hat ihn bei seinem Taufnamen genannt und von Verbrechen gesprochen.

Und was erwiderte Herr Blake darauf? fragte ich, selbst erschreckt über des Mädchens Enthüllung.

Das weiß ich nicht; ich hatte genug gehört und lief schnell auf und davon. Wo man von so furchtbaren Dingen spricht, werde ich mich wohl hüten, am Schlüsselloch zu horchen.

Wie vielen Leuten haben Sie denn schon erzählt, was Sie gehört haben?

Keiner Menschenseele, erwiderte sie gekränkt; wie können Sie denken, daß ich mein Versprechen nicht halten werde!

*

Ich hatte in Erfahrung gebracht, daß die Gräfin de Mirac, gleich vielen unserer vornehmen Damen, eine große Schwäche für alte Raritäten besaß. Dies beschloß ich mir zunutze zu machen, um bei ihr, der einzigen Person, welche um Blakes dunkles Geheimnis wußte, Zutritt zu erlangen. Ich borgte mir eine wertvolle antike Schale von einem Freunde und begab mich am nächsten Tage in das Hotel der Gräfin, welche ich dringend zu sprechen begehrte.

Die Zeit schien schlecht gewählt, denn die Dienerin brachte mir Bescheid, daß die Frau Gräfin krank sei und niemand empfangen könne. Ich ließ mich jedoch dadurch nicht abschrecken, sondern händigte dem Mädchen den Korb mit meiner Kostbarkeit ein, um sie ihrer Herrin zu zeigen, die sich ein so seltenes Kunstwerk gewiß nicht werde entgehen lassen. Das Mädchen tat mir den Willen und kehrte bald ohne den Korb zurück, um mir zu melden, daß die Frau Gräfin mich zu sprechen wünsche.

Als ich eintrat, übersah die vornehme Dame zuerst meine Gegenwart völlig; sie ging zerstreut im Zimmer auf und ab, in der Hand einen Brief schwenkend, den sie eben geschrieben hatte und der noch feucht zu sein schien; meine Schale stand unbeachtet auf einer Ecke des Tisches.

Ich war ehrerbietig auf der Schwelle stehen geblieben; endlich gewahrte mich die Gräfin, legte schnell den Brief in ein Buch und griff nach der Schale. Unterdessen hatte ich Zeit gehabt, die Veränderung zu bemerken, die seit jenem Ballabend mit ihr vorgegangen war. Freilich hatte ich sie damals reich geschmückt und in angeregter Stimmung gesehen, während sie jetzt nur ein einfaches, loses Morgenkleid trug, und körperliches Unbehagen ihre sonst blühenden Wangen bleich färbte, aber eine so völlige Verwandlung mußte noch einen tieferen Grund haben. Es war, als ob ihre Kraft gebrochen und das Feuer ihrer Seele erloschen sei.

Sie hat alle Hoffnung verloren, sagte ich mir und fühlte mich schon durch diese wichtige Entdeckung für meine Mühe belohnt.

Ein sehr hübsches Kunstwerk, äußerte sie, während ihre abgespannten Mienen sich sichtlich belebten. Wo kommt es her, und welche Gewähr können Sie leisten, daß Sie ein Recht haben, es mir zum Verkauf anzubieten?

Es bedarf keiner besonderen Beglaubigung, Frau Gräfin, erwiderte ich; meinetwegen könnte die ganze Neuyorker Polizei erfahren, was ich hier mit Ihnen verhandle.

Sie setzte die Schale verdrossen wieder auf den Tisch. Ich brauche nichts mehr von solchen Dingen, sagte sie in gleichgültigem Tone, auch bin ich heute in keiner Stimmung, um Einkäufe zu machen. Nach einer Weile fragte sie kurz:

Welchen Preis verlangen Sie dafür?

Ich nannte eine fabelhafte Summe.

Sie warf mir einen erstaunten Blick zu: Wenden Sie sich an andere Leute, ich habe kein Geld wegzuwerfen!

Zögernd packte ich meine Schale wieder ein. Ich hätte diesen seltenen Artikel gern an eine Kunstkennerin verkauft, sagte ich. Vielleicht –

Im Vorzimmer vernahm man jetzt die Stimme einer Dame, welche nach der Gräfin fragte.

O, da kommt Emmy, rief sie und eilte, die Schale rasch wieder ergreifend, in das Nebengemach, dessen Türe offen blieb. Ich sah, wie sie nach der Begrüßung ihre Freundin beiseite zog, um ihr das Kunstwerk zu zeigen und ihre Meinung darüber zu hören. Diesen Augenblick mußte ich benutzen. Das Buch mit dem Brief lag dicht vor mir, rasch schlug ich den Deckel zurück und überflog das beschriebene Blatt, ohne jedoch dabei die Damen aus dem Auge zu lassen, welche mir jetzt den Rücken Mehrten. Ich las:

»Liebe Cäcilie!

Zu der Probe, die du mir geschickt hast, konnte ich leider selbst in den größten Läden keinen passenden Samt finden; wenn ich dir raten soll, wähle lieber eine dunklere Farbe. Alles Nähere können wir, wenn du herkommst, mit Frau Dudevant verabreden. Gestern in der Gesellschaft bei Cary traf ich auch unsere Freundin Lulu; sie ist noch ebenso lebhaft wie früher, aber doch recht alt geworden. Du fragst mich nach Nachrichten über meinen Vetter Holman. Ich treffe ihn von Zeit zu Zeit; er sieht wohl aus, ist aber der schwermütigste Mensch, den ich kenne. Was die Hoffnungen betrifft, auf welche du zuweilen Anspielungen machtest, so muß ich dir sagen, daß sie sich nicht mehr verwirklichen lassen. Er hat getan, was – –«

Hier brach die Unterhaltung im Nebenzimmer plötzlich ab, die Gräfin näherte sich der Türe und ich schloß das Buch, innerlich seufzend über mein Mißgeschick.

Die Schale ist sehr hübsch, sagte sie mit matter Stimme; wenn Sie sie für die Hälfte der Summe geben wollen, so könnte ich es mir ja überlegen.

Entschuldigen Sie, Frau Gräfin, aber ich muß auf meinem Preise bestehen, erwiderte ich, da ich durchaus keine Lust hatte, das Kunstwerk dort zu lassen. Herr Blake in der zweiten Avenue ist vielleicht Liebhaber dafür.

Herr Blake? Sie warf mir einen argwöhnischen Blick zu; ist er Ihr Kunde?

Ich verkaufe jedem, mit dem ich handelseinig werde, und da er viel Kunstverständnis besitzt, so –

Sie runzelte die Stirne und wandte sich ab. Ich verzichte darauf, sagte sie, verkaufen Sie es, an wen Sie wollen.

Nun packte ich meine Kostbarkeit ein und verließ das Zimmer.


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