Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Dieses aber stehet geschrieben über der Unterwelt der Heiden und den Toren unserer Hölle:« »Stärker denn Alle ist die Liebe.«
In schönen, festen Zügen hatte der bärtige Basilianer von San Silvestro in capite diese Worte in seine »Chronik« gemalt. Nun schloß er den dickleibigen Folianten und sah durch die Gitter seiner Zelle in den Abend hinaus, der wie ein Triumphator über die sabatinischen Berge heraufkam, ganz in Gold und Purpur gehüllt. Die Zelle lag hoch und so war es ein mächtig Stück der ewigen Stadt, das der junge Mönch von hier überschauen konnte: Paläste und Kirchen und Obelisken und Ruinen. Die ragenden Säulen der Kaiserforen und jene finsteren Türme, die einst die händel- und beutesüchtigen Barone Roms mitten ins Herz der Stadt gepfählt, bald dem Papste, bald dem Kaiser zu Trotz, allen Anderen aber gewiß zu Leide. Nun hatte der junge Mai sein flatternd Grün über all' den grauen Spuk geworfen. Dem einsamen Mönch aber kam es wieder einmal so recht zu Sinne, wie nah hier Tod und Leben nebeneinander hauseten; wie fremd und feindselig sich die steinernen Zeugen der vergangenen Jahrhunderte in die verwitterten Züge starrten, ob auch die marmorenen Säulen und Architrave dieselben waren, die nun von den Kirchen der Christen und den Palästen der Großen zu den Ruinen der toten Götter hinübersahen … Wie zwei Jahrtausende einander grüßten und wieder schroff voneinander Abschied nahmen, oft über eines einzigen Weges Breite hinüber. Ja, es war eine seltsame Stadt dieses Rom! die seltsamste und geheimnisvollste, von der die Chronik des lieben Gottes berichtet. Wer darin zu lesen verstand, der fand des Staunens kein Ende. Die geheimnisvollste und seltsamste Liebesgeschichte aber, die je in diesen Mauern gespielt, die hatte der junge Basilianer heute in die Chronik seines Klosters eingezeichnet. Und wie er sie nun in Gedanken noch einmal vor sich erstehen ließ, war ihm, als wäre sie um nichts älter und um nichts jünger, als diese ernste, wunderliche Stadt. Denn auch in ihr grüßten sich zwei Jahrtausende und nahmen zwei Jahrtausende voneinander Abschied. Auch aus ihr wuchsen die Tempel der Heiden empor, und die ersten Kirchen der Christenheit. Auch in ihr kämpften die alten Götter und der neue Gott um die Herrschaft über die eine, einzige Stadt. Zwei Menschenkinder aber standen sich darin gegenüber – durch nichts getrennt, als durch eines Weges Breite und konnten doch nicht finden zueinander, weil die Götter der Heiden und der Gott der Christen es anders wollten. Bis die Liebe die wundersame Brücke schlug über desselben Weges Breite hinüber – sie, die stärker ist denn Alles und Alle.
Was hatte der arme Chronist bisher von der Liebe gewußt, – einsam und eingeschlossen, wie er hier saß? Und Gott verhüte, daß sie jemals so kam und seinen Frieden störte, der wie eine blasse Passionsblume im Dämmer seines Klosters erblüht war. Erst auf der einsamen Höhe des Monte Soratte; nun hier, in San Silvestro in capite, das die Reste des großen Papstes und Heiligen barg, von dem eine fromme Legende berichtet, daß er es gewesen, der den Kaiser Konstantinus getauft und dessen Fest die Kirche an den Schluß des Jahres gestellt, wie an eine Grenze, die das Alte hinfort ewig von dem Neuen schied. Auch nur über eines Weges Breite.
Wie der junge Basilianer aber nun den Korso hinabsah, in der Richtung, in der heute die Kirche Santa Maria in via lata steht – sah er eine mächtige Staubwolke gen Himmel steigen; gelblich grau, wie sie der uralte Travertin von sich gibt, den sie wieder einmal dort in Trümmer schlugen. Nachdem er zuerst die Triumphbögen der Heiden, dann die Tempel der Christen und zuletzt die Raubburgen der Barone Roms bilden geholfen.
Es war das »Palatium Camillianum«, das dort in Trümmer gelegt wurde, mit ihm der finstere Turm der Aldenari und das uralte Kloster der ehrwürdigen Matres von Sankt Cyriacus. Der mächtige Gebieter Roms, Papst Innocenz der Achte, hatte Hammer und Kelle dorthinbefohlen: den Hammer, um die altehrwürdigen Bauwerke der Erde gleich zu machen, die Kelle, um der Santa Maria in via lata ein schöneres und geräumigeres Heim zu erbauen. Denn es war diese Kirche eine der ältesten Diakonien Roms und vieler Wunder und Gnaden berühmt.
Die Stätten aber, die dort in Trümmer gelegt wurden, hatte der Mönch von San Silvestro in capite Name für Name in der Liebesgeschichte verzeichnet gefunden, die er in seine Chronik eingetragen. Das »Palatium Camillianum«, den »Turm der Aldenari«, den ein Sasso de Susanna anno Domini 1193 über dem »Arcus Camilli« errichtet und den frommen Schwestern von Sankt Cyriacus geschenkt. Vor allem aber das kleine Kirchlein: » Sancti Salvatoris ad duos amantes«, das die Erinnerung an jene wundersame Liebesgeschichte solang und so treu in frommem Gedenken erhalten. Denn der Name, den jenes Kirchlein trug, war vor grauen, grauen Zeiten der Name einer Straße des annoch halb heidnischen Roms gewesen … » Ad duos amantes!« Nur eines Weges Breite lang … hinüber, herüber, und doch unerreichbar für die Zwei, die dort einmal voneinander Abschied nahmen. Bis die Liebe kam und Christus und mit den beiden das Heil und das Wunder.
Ob der Herr und sein Stellvertreter auf Erden auch heute so tun würden wie damals? Zwei Gelübde lösen, die als ewig galten, um zwei Menschen zu vereinigen, deren Liebe stärker war, denn alles und alle?
Die fromme Einfalt des Mönches wagte es nicht auszudenken. Wie ein Blitz aber fuhr es ihm plötzlich durch die Seele, daß seit jenem Geschehen und dem Tag, da er seine Chronik beendet, genau ein Jahrtausend verflossen war. Unter den Päpsten Gelasius und Symmachus hatte sich jenes Wunder der Liebe ereignet. Nun stand die ewige Stadt im achten Jahre der glorreichen Herrschaft Innocenz VIII. 492 und 1492! Wieder grüßten und schieden sich zwei Jahrtausende über eines Weges Breite hinüber.
Schier andächtig wurde dem jungen Basilianer zu Mut, daß er die Hände faltete und wie betend in die gelbgraue Travertinwolke hineinstarrte, die so viel ehrwürdiges Gedenken dort über alle Straßen Roms hinstreute. Auch über jene, von der heute nur mehr wenige wußten, wie sie einmal geheißen.
» Ad duos amantes.«
Wollen wir nacherzählen, was der Mönch in seine Chronik geschrieben!
Es waren dies die Jahre, da Italiens heiliger Leib wie ein Leichnam dalag: zertreten von den Füßen der Barbaren, zerrissen von ihrer Gier. Noch war kein halbes Jahrhundert verflossen, seit die Hufe der Hunnenpferde die via Appia zerstampft. Daß Attila Italiens Schmach nicht auch über die Sacra via getragen, dankte Rom dem Nachfolger Petri. Drei Jahre später plünderten die Vandalen die ewige Stadt und ihr Gebieter, Geuserich, sah von der Höhe des Palatins auf die geschändete Braut der Cäsaren. Es kamen die Jahre der Herrschaft Odoakers. Sie brachten einige Ruhe und den Frieden Christi denen, die da glaubten.
Noch aber lebten auch mächtige Heiden in Rom. Blutenden Herzens sahen sie den Verfall des Reiches, mit Ingrimm und Trauer, wie Tempel um Tempel verfiel. Den alten Göttern treu, schrieben sie alle Schmach und jedes Ungemach dem Zorn der Verlassenen zu. Der Tempel des Jupiter victor stand leer. Das heilige Feuer der Vesta war erloschen. Prozessionen mit flatternden Kreuzesfahnen zogen über die Stätten, die einst den Göttern heilig waren.
»Büßt, büßt, büßt!« predigten die Priester der Christen auf ihren Kanzeln. »Für die Sünden eurer Väter und dieser Stadt, die eine Buhlerin des Satans war.«
Selbst die wenigen, die annoch ungetauft geblieben, begannen christlich zu tun. Und wär' es bloß des Vorteils halber. Die letzten der vornehmen Heiden aber rafften sich noch einmal auf. Schwach und schartig war das Schwert des Römers geworden. Doch seine Zunge hatte noch Witz; sein Geist konnte noch zünden wie ein Blitz des Jupiter. Und manch' einer dieser Heiden saß noch im Senat und ließ, nun die Stunde gekommen, die Maske fallen, bekannte sich noch einmal laut und mutig zu den Göttern und Laren, die Rom groß und mächtig gemacht.
Es geschah dies in demselben Jahre, da mit den Scharen Theoderichs sich neues Unheil gegen Rom heranzuwälzen begann. Schon lag er mit dem Heer Odoakers in blutigem Streit um Ravenna. Wie in einem Krampf erbebte Italien unter dem brutalen Streit der Barbaren. Roms Bischof aber fand, es wäre nun die rechte Stunde, die letzten Bräuche des Heidentums abzutun und untersagte zum ersten Male die Feier der Lupercalien.
»Wer an dem Umzug teilnimmt, und wenn er auch nur mehr einen Scherz bedeuten will, verfällt dem Bann!« ließ der Papst von allen Kanzeln verkünden. Papst Gelasius, der Afrikaner. Dagegen setzte er für den Tag der Reinigung Maria ein neues Fest an, dessen Pomp und Weihe auch die letzten Heiden überzeugen sollte, daß Rom in Wahrheit nur mehr einen Gott und einen Herrscher habe: Jesus Christus und seinen Stellvertreter.
Schwach und gering an Zahl, wie sich die Diener der alten Götter wußten, hätten sie vielleicht auch dazu geschwiegen. An den Lupercalien teilzunehmen, war schon lange nur mehr eine Sache des heidnischen Proletariats. Die Vornehmen hielten sich abseits. Und so konnte es ihnen gleichgiltig sein, ob der Papst an diesem Tage so und so viele Kerzen weihte und in feierlichem Umzug unter die Gläubigen verteilte, oder ob eine Schar halbnackter Sklaven gröhlend und des Weines voll die sagenhaften Gründer Roms hochleben ließ und dabei ein Böcklein in Stücke fetzte. Es war mehr das, noch nie so offen zur Schau getragene Hochgefühl des Christentums und der Christen. Das reizte. Diese letzte, endgültige Besitzergreifung Roms, die wieder mit einem Fluch gegen die alten Götter begann und alles verwarf und verdammte, was an die Vergangenheit der Stadt gemahnte, die einst den Erdkreis beherrscht.
Nun traf es sich, daß zu aller Not der Tage auch wieder eine schlimme Seuche in Rom zu wüten begann. Ein Übel, von dem die Stadt im Laufe der Jahrhunderte oft heimgesucht worden und das ein uralter Volksglaube dem giftigen Atem eines Drachen zuschrieb, der in einer Höhle unter dem tarpejischen Fels hauste. Solang der Glaube an die alten Götter noch lebendig gewesen, hatte Rom auch diesem Ungeheuer seine Opfer dargebracht. Niemand wußte, wie der Kult dieser furchtbaren Gottheit nach Rom gefunden. Die ersten Legenden berichteten nur, daß sich an dieser Stelle eines Tages »der Infernus geöffnet und ganz Rom mit schwerem Verderben bedroht.« Aus dem Infernus war im Lauf der Zeit der »Drache« gestiegen, der die Stadt mit seinem Atem vergiftete, sowie Rom zögerte, ihm Nahrung und Opfer darzubringen. Die Opfer aber waren entsetzlicher Art. Und einmal in jedem Monat waren die Priester des Ungeheuers mit eingeweihten Jungfrauen die hundertsechzig Stufen hinabgestiegen, die gleichsam in die Unterwelt führend, die Opfernden und Eingeweihten Schritt für Schritt vom Licht entfernten, bis sie eine Welt umgab, über deren Erscheinungen und Geheimnisse zu sprechen, bei Todesstrafe verboten war. Und weil von dem entsetzlichen Kult dieses Ungeheuers nie etwas ruchbar geworden, hatte sich der Glaube an diesen Schreckensgott bis zur Zeit Konstantins erhalten, so daß der Drache Roms der letzte Gott war, dem die geängstigte Stadt geopfert hatte. Erst Papst Sylvester, derselbe, dem die Legende die Taufe Konstantins zuschrieb, war des Ungeheuers Herr geworden und mit vielen seiner Priester die schaurige Treppe hinabgestiegen, die zur Höhle des Entsetzlichen führte. »Allwo er ihn band und mit ehernen Ketten einschloß und fest verwahrte bis auf den Tag des letzten Gerichtes.« Und der größte Teil der Menschen der Stadt Rom bekehrte sich dieses Wunders wegen zum Christentum, wie die Legende berichtet.
Darüber waren fast zwei Jahrhunderte vergangen und nun – ja nun! So entsetzlich die böse Seuche auch wütete, fast freuten sich die Heiden darüber! War sie doch ein Beweis, daß auch der große Magier der Christen nicht stark genug gewesen, die finsteren Mächte der Unterwelt zu binden, die sich stärker und furchtbarer denn je erhoben, um Rom für seinen Abfall zu züchtigen.
»Der Drache will wieder sein Opfer haben!« schrien die letzten Heiden in der geängstigten Stadt herum und einer ihrer reichsten und annoch mächtigsten, der Senator Andromachus, verfaßte eine ganze Streitschrift, in der er den Christen deutlich bewies, wie ohnmächtig der Bannspruch Sylvesters gewesen und seinen Nachfolger Gelasius wegen der »Candelora« verhöhnte, wie die Prozession genannt wurde, die der Papst für den Tag der Reinigung Mariä und an die Stelle der Lupercalien gesetzt.
»Wer ist nun stärker?« rief Andromachus am Schlusse seines Schreibens aus. »Euer gekreuzigter Rabbi oder die Götter Roms?«
Und der Schreck, der vor der Seuche einherging, gab ihm recht. Bis die Heiden bei Tag und die Christen, die annoch schwach im Glauben waren, des Nachts zu ihm schlichen und fragten, was zu tun wäre?
Und für alle hatte Andromachus dieselbe Antwort:
Das Haus des Andromachus war eines der prächtigsten Roms und stand an der via lata, den Ruinen des Tempels gegenüber, in dem die Römer einst dem Gott der Sonne geopfert. Fünftausend Sklaven gehorchten ihm. Darunter die Nachkommen der Kriegsgefangenen, die das einst siegreiche Rom aus allen Teilen der Welt herbeigeschleppt. Parther, Griechen, Gallier, Skythen und Celten. Sie wirkten in den Mühlen, den Gärten, auf den Äckern und den Bauplätzen des Andromachus. Die stärksten, jüngsten und schönsten aber hielt er in seinem Haus an der via lata.
Das Weib des Andromachus war tot. Nur ein einziges Kind sollte einmal all' seinen Reichtum erben: die schöne, kaum vierzehnjährige Acte. Und Acte liebte den Vater. Denn solang sie denken konnte, hatte er sie mit Glück und Glanz umgeben. Was ihr Gutes und Liebes geschah, hatte sie aus seiner Hand empfangen: die köstlichen Leckerbissen des Tages, erlesenes Spielzeug, herrliche Juwelen und prächtige Gewänder; seltene Tiere, mit denen sie spielen konnte, als wären es Menschen und hinwiderum Menschen, die ihre Laune nicht höher zu achten brauchte, denn ein Tier, ob sie nun mit ihnen spielte oder ihnen wehtat. Als aber Acte klug genug war, das entgegenzunehmen, was ihr Vater selbst als seinen köstlichsten Schatz erachtete und als sein heiligstes Erbe, gab er ihr den Glauben an die alten Götter. Wenn auch die meisten der Sklaven, denen Andromachus und Acte geboten, schon heimlich oder offen ihr Kreuz schlugen. Und das sonnige Kind des Glückes nahm diesen Glauben unbesehen hin, wie es bisher Speise und Trank genommen und Kleider und Puppen und Juwelen. Der Gott der Christen war für sie der Gott der Sklaven. Jeden Sklaven aber konnte Acte töten lassen, so es ihr gefiel.
Jeden – nein!
Da war einer, mit dem sie von kleinauf spielte: der blonde Succat, eines gälischen Sklaven Sohn. Wie ein Tier hatte er bisher ihrem Winke gehorcht. Wie ein guter Genius all' ihre Schritte bewacht. Wußte Andromachus den Succat bei Acte, hatte er weiter keine Sorge um sein Kind.
Von Schmetterlingen und Blumen, von fernen Ländern und märchenhaften Schätzen hatten die Kinder bei ihren Spielen gesprochen. Nie aber von ihren Göttern. Darüber waren sie groß geworden und gute Freunde geblieben, schöne, sonnige Jahre lang.
Wo Succats kurzgeschorener Blondkopf aufleuchtete, flatterten sicher auch Actes braune Locken im Wind.
» Quis separabit?« scherzte Andromachus oft hinter ihnen her, wenn er sie Tag für Tag so nebeneinander sah.
»Wer wird sie trennen?«
Und der Himmel Roms leuchtete zu ihren Spielen. Eine Welt der wunderbarsten Pflanzen und Blumen umduftete sie wie ein Atem steten Glückes. Reichtümer, die Generationen in aller Welt gesammelt, um sie in diesem einen Hause aufzuhäufen, umgaben sie mit ihrem Glanze.
Und die jonischen Säulen des Peristyls stiegen wie die Tempelhallen der alten Götter um sie empor und trennten sie von allem, was draußen Streit hieß und Hader.
Je näher der Tag kam, an dem Papst Gelasius zum erstenmal die »Candelora« zu feiern gedachte, desto seltsamer und geheimnisvoller wurde das Treiben im Hause des Andromachus. Boten kamen und gingen. Vornehme Römer, die ihr Heidentum schon abgeschworen oder lange nicht mehr zur Schau getragen, wurden tägliche Gäste. Eifriger denn je opferte Andromachus den Laren seines Hauses. Waren die Tempel der Götter doch geschlossen und ihre letzten Priester zerstreut in alle Welt, so sie nicht als Diener des Gekreuzigten den neuen Glauben verkünden halfen.
Und eines Tages, als die violenfarbige Dämmerung des frühen Winterabends schon schwer und traurig über der Stadt lag, pochte ein seltsamer Gast an das Tor des Andromachus. Er trug eine purpurne Toga, darüber einen scharlachfarbenen, schwer in Gold gestickten Mantel. Das greise Haupt bedeckte ein diademartig zulaufender Kopfschmuck. Seltsam geformte Sandalen aus weißem Riemenzeug umschlossen seine Füße. Ein langer, eisgrauer Bart wallte ihm bis an den Gürtel.
Es war ein stürmischer Abend und die Wenigen, die auf der Straße seinen Weg kreuzten, sahen verwundert hinter dem Alten drein. Blieben auch eine Weile steh'n und sannen kopfschüttelnd nach, welcher Zeit er wohl entstammen möchte? Der heidnische Sklave aber, der in diesen Tagen auf Geheiß des Andromachus allein den Dienst an der Pforte versehen mußte, hatte ihn kaum erblickt, als er schon voll Ehrfurcht zu seinen Füßen lag und einen Gruß stammelte, in dem ein frommer Schreck und eine scheue Unterwürfigkeit sich mischten. Und während er den bernsteinfarbigen Seidenvorhang hob, der das Atrium abschloß, bebten die Finger seiner Rechten.
» Ave Pontifex maxime!« stammelte er noch einmal. Darauf glitt er hinweg und legte sich wie ein Hund an der Schwelle nieder, die er nun doppelt zu hüten hatte, wie er wußte.
Andromachus und sein Gast waren allein.
Auf dem Altar der Laren verschwelte ein kostbares Räucherwerk. Die Flamme, die unter dem bronzenen Dreifuß brannte, gab dem weiten Raum im Augenblick das einzige Licht. Und ihr Schein, der an den marmornen Wänden emporzüngelte, da und dort ein murrhinisches Gefäß aufleuchten ließ, oder die in Gold gefaßten Berylle und Amethyste, die im Getäfel der Decke saßen, ließ den vornehmen Raum wie die Vorhalle eines Tempels erscheinen, der kein anderes Licht kennt, als das Geflacker der Opferfeuer.
Andromachus hatte sich mit gekreuzten Armen vor dem Greis verneigt. Nun stand er stumm vor ihm. Den obersten Priester des Jupiter zuerst anzusprechen, war nur ein Recht der Cäsaren gewesen. »Du hast mir sagen lassen, daß es an der Zeit wäre!« sprach der Greis. Seine Stimme klang leise aber fest und während er die dürre Rechte langsam durch die Silberwelle des Bartes gleiten ließ, lag sein Blick wie forschend auf dem Antlitz des Andromachus.
»Ich bin meiner Sache gewiß«, entgegnete der Senator. »Aber geruhe deine Heiligkeit, erst Platz zu nehmen!« Damit schob er dem Pontifex den elfenbeinernen Thronsessel unter den Leib, auf dem sonst nur der Herr des Hauses zu sitzen pflegte und als der Greis Platz genommen hatte, beugte er sich tief vor ihm und sprach: »So ist meinem Hause Heil widerfahren! Die Götter kommen mit dir.«
»Aber weißt du gewiß, daß wir zwei nicht die letzten sind, die noch an sie glauben?« fragte der Greis. Und sein Blick glitt zur Seite, in seiner Stimme war ein Flackern, wie von einem verlöschenden Feuer.
»Fünftausend sind noch bereit, dem Infernus zu opfern«, erwiderte Andromachus rasch. »Ich habe ihr Wort und ihren Schwur. Wenn Rom aber sieht, daß fünftausend zum Opfer ausziehen, können es auf dem Wege dahin leicht zehntausend werden. Und wenn die Seuche erlischt, wer weiß wie viele noch?«
»Dein Glaube ist noch stark,« sprach der Pontifex maximus leise.
»Du bist doch bereit?« stammelte Andromachus betreten. »Oder glaubst du mir nicht?«
»Wenn du es sagst …« wich der Priester aus. »Nur – es war bitter, was ich soeben erlebt.«
»Hat man deine Heiligkeit beschimpft?« fuhr der Senator auf.
»Es wäre nicht das Schlimmste gewesen«, kam es leise zurück. »Aber niemand erkannte mich mehr, wie ich so durch die Straßen ging. Fremd, fast belustigt sahen sich alle nach mir um. Ob ich auch im Opferstaat des Jupiter victor einherschritt, vor dem einst die Könige der besiegten Völker erblichen. So ging ich wie ein seltsames Tier dahin. Wenn ich wollte, könnt' ich jetzt wieder in der Regia wohnen. Der christliche Pöbel selbst hat mich vergessen. Schweigen wir!« Und er hob die purpurne Toga empor und verhüllte darin sein Antlitz.
»Nun haben uns die Götter aber ihr Zeichen gegeben«, beharrte Andromachus. »Und nur du allein weißt noch um ihren Brauch.«
»Die letzte der Vestalinnen ist Christin geworden,« murmelte der Priester vor sich hin. »Wer soll mir die mola salsa bereiten?«
Da erhob sich Andromachus und wie Jubel brach es aus seiner Stimme, als er erwiderte: »Die schönste und vornehmste Jungfrau, die in Rom noch zu den Göttern betet: Mein Kind!«
Der Pontifex spähte eine Weile wie lauschend um sich, neigte das bleiche Antlitz dem Andromachus entgegen und leise, wie verhauchend, kam es von seinen Lippen: »Daß der Infernus auch Menschenblut will, weißt du? » Nama sebesio« heißt es in den Annalen seiner Priester. Und ein Neugeborener muß es sein.«
»Eine meiner Sklavinnen hat gestern ein Knäblein geboren,« hauchte Andromachus zurück. »Es soll dem Infernus bluten.«
»Und du glaubst, daß der Zug der Opfernden sich unbehindert durch die Straßen Roms wird bewegen können? So, wie er immer gegangen? Vom Hause der Vesta aus über die Sacra via, am Lacus Orphei vorüber und von da nach dem tarpejischen Fels, wo die Eingeweihten zur Tiefe steigen … Am Hellen Tage und nach dem Verbot der letzten Cäsaren?«
»Rom hat keinen Cäsar mehr!« fuhr Andromachus auf. »Außer dir, wenn du im Namen der Götter kommst wie einst Numa Pompilius!« Und sein graues Haupt neigte sich wie in Anbetung vor dem Greis, der starr vor ihm saß, ein seltsames Lächeln auf den Lippen, im Aug' ein Geleucht', das mit heimlicher Gier die Wände entlangstrich, und allen Reichtum des Hauses in acht nahm.
»Übrigens werden wir schweigen, bis die Stunde kommt,« versicherte Andromachus ernst. »Und dann wird es sich zeigen.«
»Noch eines«, sprach der Pontifex wieder mit sinkender Stimme. »Der Ritus des Infernus gebietet, daß dieselbe Vestalin, die die mola salsa für das Opfer bereitet, sich im Angesicht des Gottes entkleide. Ist dein Glaube so stark, daß du dein Kind dem Blick des Unaussprechlichen preisgeben willst, ohne zu fürchten, daß er ihre Unschuld versehre? Bedenk' es wohl: nackt soll sie vor ihm stehen und nackt ihm den Becher reichen, aus dem sie und ertrinken müssen, nachdem ihm das Neugeborene geopfert wurde. Erwäg' es noch einmal, Andromachus. Es wird erst die Probe für deinen Glauben sein!«
Eine ganze Weile blieb es still. Nur die starren Gewänder des Pontifex knisterten in das Schweigen hinein. Die mühsam geretteten, heiligen Priesterkleider, die einst die Cäsaren beim Schlachten der Opferstiere getragen und die siegreichen Feldherren Roms während des glorreichen Umzuges, den ihnen der Neid ihrer Mitbürger gestattet.
Das Haupt des Andromachus aber sank tiefer und tiefer. Der Schauer der Götter ging über ihn hin.
Endlich erhob er sich und seine Stimme klang fest als er erwiderte: »Warum soll mein Kind nicht tun, was alle Jungfrauen der Vesta getan? Ich bin ein Römer.«
»So will ich ihr meinen Enkel schicken, damit er sie unterweise,« versprach der Pontifex und erhob sich. »Am Tag des Opfers aber werd' ich an ihrer Seite sein.«
»Uns geschehe, wie du sagst,« nickte Andromachus. Keinen Sklaven rief er, den Priester hinauszugeleiten. Er selbst hob die bernsteinfarbigen Vorhänge des Atriums über dem greisen Haupt des Pontifex maximus empor und folgte ihm wie ein Diener bis an die Schwelle, die das »Cave canem« trug.
Hinter den Beiden erschauerte der Sklave, dessen Weib in dieser Nacht ein Knäblein geboren.
Der Enkel des Pontifex kam. Mehr noch ein Jüngling, denn ein Mann, aber von seltsam ernstem, fast düsterem Wesen. Sein Großvater selbst hatte ihn zum Priester geweiht – zum Priester von Göttern, die nicht mehr waren. Er hieß Gratianus, wie alle Erstgeborenen seiner Familie Gratianus geheißen hatten, Jahrhunderte zurück, bis in den Nebel der Sage hinein.
Finster und hochfahrend war er und hatte große, mächtige Augen, die bannen und rätselhaft festhalten konnten. Schwere, dunkle Brauen schatteten wie Rabenflügel in das blasse Antlitz hinein. Um die Lippen lag ein Zug verhaltener Gier.
Als Acte ihn zum erstenmal erblickte, kroch es ihr wie ein Frost an die Seele. Sie, die nichts und niemanden gefürchtet hatte bis heute, fühlte Angst vor dem Priester. Und als sein Aug' auf ihr ruhte, kalt, stechend, mit einem seltsam grünlichen Schein, kam ihr die Schlange in den Sinn, die sie einmal zwischen den Büschen ihrer Villa in Tuskulum gesehen. Weil sie aber fromm war, wie ihr Vater, wußte sie, was dem Priester der Götter gebührte und tat in allem, wie er ihr sagte. Und er lehrte sie das Speltschrot und die Salzlake bereiten, wie einst die Vestalinnen getan. Die heilige »mola salsa«, mit der die Opfer bestrichen wurden und die nur einer makellosen Jungfrau Hand bereiten durfte. Von dem geheimnisvollen Gott der Unterwelt erzählte er ihr, den die Römer zu Unrecht den »Drachen« nannten und der nicht immer eines Ungeheuers Leib trug. Der eingeweihten Jungfrau vielmehr oft in strahlender Schönheit erscheine, wenn sie ihm ohne Schreck und Grauen nahe und ihr Gleiches mit Gleichem lohne.
»Was unter diesem »Gleichen« zu verstehen sei?« forschte Acte neugierig. Da glitten die Blicke des Priesters von ihr ab und seine Stimme sank zu einem Geflüster, als er entgegnete: »Nun, seine Schönheit. Die Schönheit seines göttlichen Leibes. Wie du selbst vor ihm stehen wirst. Enthüllt und doch keusch!«
Eine dunkle Blutwelle schoß in die Schläfen der Jungfrau. Eine heißere benahm ihr den Atem. Es war ein Gefühl, das ihr bis heute fremd gewesen. Als wäre sie nicht mehr ihres Leibes Herrin und käme eine fremde Macht über sie, vor der ihr graute und die doch lockte. Ihr Herz stand eine Weile stille, dann begannen ihre Pulse zu pochen. Aber der Priester der Götter, zu denen sie betete, hatte es gesagt! Es mußte also wahr sein und gut!
So nahm er ihr langsam und mit großer Kunst das Grauen vor dem Letzten, daß sie nichts mehr fürchtete und bereit war, wie blind dem Gotte zu gehorchen, der sie rief. Wenn sie nur ihrem geliebten Vater dadurch gefiel und Rom von der Seuche befreit wurde.
Am Vorabend jenes Tages aber erschien Gratianus noch einmal und brachte ihr die priesterlichen Kleider, die sie tragen sollte: den weiten, faltigen Mantel der Vestalinnen, die weiße Stirnbinde und den Schleier, sowie eine kleine, kostbare Amphora, die mit einem kunstvoll zugeschliffenen Onyx-Stöpsel verschlossen war. Sie barg den Wein, den Acte dem Gott in einem herrlichen Onyx-Becher zu reichen hatte, nachdem sie selbst davon getrunken. Sie wußte, daß sie diesen geweihten Wein auf ihrem Haupte bis an die Pforte der Unterwelt zu tragen hatte, ohne nach rechts oder links zu sehen und mit leiser Stimme die dunklen Worte der uralten Opferhymne vor sich hersagen mußte, ohne auf anderes zu hören, was auch um sie geschehen mochte.
Als der Weihegaben letzte aber zog Gratianus ein spinnwebdünnes Hemd hervor. Es war aus dem kostbarsten Byssus gearbeitet, ein Gewebe, wie es nur in Ägypten gefertigt wurde.
»Nimm hin der Gaben heiligste«, sprach er dabei. »Es ist dies Hemd unter dem Kleid der Vestalin zu tragen und das einzige Gewand, das im Antlitz des Gottes deinen Leib bedecken darf.«
Damit schied er.
Draußen ging ein herrlicher Abend zur Neige. Stand man doch im Februar, dem Vorfrühling Roms, der die ersten Veilchen und Primeln bringt und Gärten und Hecken mit den rosa-weißen Wolken der Pfirsich- und Mandelblüten verhängt. Der warme Atem des Scirocco brütete in der Luft. Und weil es draußen gar so lenzlich war, und die Krokus- und Tulpenkelche wie bunte Flämmchen auf den Beeten des Peristyls leuchteten, ging Acte hinaus, um den letzten Abend zu genießen, der sie von dem geheimnisvollen Tage schied.
Wie sie aber so zwischen den Säulen auf- und abwandelte, stand plötzlich Succat, der gälische Sklave vor ihr. Und sein Antlitz war so blaß, seine Mienen so verstört, er selbst schien plötzlich ein so ganz Anderer geworden, daß Acte den Genossen ihrer Spiele kaum wieder erkannte.
»Was ist mit dir geschehen?« forschte sie.
Mit einem leisen Wehlaut brach der Sklave vor ihr zusammen.
»O Herrin, sie wollen dich verderben!«
»Wer?« stammelte Acte betroffen.
»Die Priester des Drachen, dem du opfern sollst!«
Acte sah ihn eine Weile an, dann lächelte sie. »Aber Succat, was weißt du davon?«
»Mehr als du«, gab Succat zurück, »weil ich ein Christ bin und weiß, daß der Gott des Infernus der Böse selbst ist! Der die Menschen verführt hat von Anbeginn und immer wieder darauf aus ist, sie zu verderben. Wie kannst du ihm opfern und zu ihm niedersteigen? Du, die so schön und rein war bis heute!«
Acte schwieg eine Weile. Zuletzt schüttelte sie das Haupt. Und während sie die Rechte sanft auf die Stirne des Knienden legte, sprach sie vorwurfsvoll: »Hab' ich den Gott, zu dem du betest schon einmal verunglimpft, Succat?«
»Aber deine Seele wird verloren gehen«, brach Succat voll Leidenschaft aus.
»Meine Seele?« staunte Acte. »Was meinst du damit, Succat? Ich lebe ja noch. Und wenn ich einmal sterbe … Mein Schatten steigt zu demselben Gott hinab, dem ich morgen opfern werde!«
»Davor behüte dich Christi Blut!«, schrie Succat auf. Und war die Angst, die in seinen Zügen geschrieben stand, so echt und entsetzlich, daß sich die Jungfrau eines leisen Schauers nicht erwehren konnte. Weil sie aber bis dahin von den Christen nichts anderes gehört, als daß sie wie Besessene darauf aus seien, die ganze Welt dem Kreuze zu unterwerfen … und die stolze Tochter der römischen Patrizier im Kreuze noch immer nichts anderes sah, als den Marterpfahl der Sklaven, sprach sie hochmütig: »Was hat das Blut eines Gerichteten mit meinem Heile zu tun? Du faselst, Succat!«
»Weil er auch für dich gestorben ist!«, erwiderte Succat fest. »Für dich und für alle, aus Liebe!« Wie er dies aber sagte, breitete sich eine solche Verklärung über sein Antlitz, daß Acte erst nun gewahr wurde, wie schön ihr Sklave war und um wie vieles vornehmer seine Züge, denn jedes Mannes Antlitz, in das sie bis heute geschaut. Und wieder schoß eine Blutwelle nach ihrer Stirne – eine zweite nach ihrem Herzen. Wie an dem Tage, da ihr Gratianus von dem mystischen Dienst des Schlangengottes gesprochen. Während ihr aber damals die erste Beklemmung der Unlauterkeit den Atem benommen, ohne daß sie recht wußte, was da an ihr emporkroch, und sie schwach machte und trunken – war ihr nun, als dehne ein Gefühl unermeßlichen Glückes ihr Herz aus; als steige ein Jubel in ihr empor, so rein und selig, wie sie nichts gekannt hatte bis dahin und es nichts anderes gab auf dieser Erde. Auch nicht in dem reichen Hause ihres Vaters. Aus welchem Himmel kam diese Seligkeit über sie?
Ihr schien, es wären die verklärten Augen des Succat.
Und plötzlich streckte sie die Hände nach ihm und leise, wie verhauchend kam es von ihren Lippen:
»Was soll ich also tun?«
»Deines Vaters Haus verlassen«, eiferte Succat, »um im Blute Christi wiedergeboren zu werden! Die Dämone, denen ihr dient, haben euer Blut gefordert. Unser Gott gab das seine hin, für die Menschen. Entscheide, wer besser ist und größer!«
Er hatte es noch nicht zu Ende gesprochen, als ein zorniger Schrei das Echo des Peristyls weckte.
»Hund … verführst du mein Kind?«
Gleich darauf stand Andromachus vor den Beiden – mit funkelnden Augen, in den Händen einen blitzenden Dolch.
»Christ!« zischte er. »Hast du vergessen, daß Roms Patrizier wenigstens noch die Herren ihrer Sklaven sind?«
Da neigte Succat das Haupt und während er ihm die entblößte Brust entgegenhielt, rief er wie in einer Verzückung: »Laß mich sterben für Christus!«
Aber Acte warf sich mit einem wilden Schrei zwischen die Beiden. »Schon' ihn Vater, mir zuliebe!«
Eine Weile blieb es still. Nur der Frühlingswind, der in den Lorbeerbüschen raunte, strich wie ein Seufzer an den Dreien vorüber.
»Es sei!« sprach Andromachus leise. »Und noch mehr will ich dir zuliebe tun, mein Kind, das du den Göttern geweiht bist und dem Heile Roms! Er sei von heute an frei! Aber den Freien jag' ich von meiner Schwelle! Möge er draußen mit den getauften Hyänen heulen, die sich gütlich tun am Aase Roms!«
Und Succat ging … langsam, schwer … durch das Peristyl, durch das Atrium, bis er den feuchten Blicken Actes für immer entschwand.
Wie leicht und froh war der Sklave hier aus- und eingegangen!
Sie standen vor dem ehernen Tor am Fuße des tarpejischen Felsen, das mit ehernen Ringen geschlossen war und gewaltsam geöffnet werden mußte, damit man auf die Treppe gelange, die über einhundert und fünfzig Stufen in den Schoß der Erde hinabführte. Und sie staunten, daß sie so unbehelligt bis hierher gekommen. Obwohl ihrer Fünftausend waren und noch mehr, wie Andromachus dem Priester des Jupiter versprochen. Aber niemand wehrte ihnen den Weg.
Ein Teil des Pöbels dachte, daß der seltsame Umzug eine Nachäffung der verbotenen Lumpercalien bedeuten wolle und lachte höhnisch hinter ihnen drein. Die Frommen Roms aber hielt die Candelora in Atem. Zudem war es früh am Tag, als die Heiden sich aufmachten. Denn das Opfer mußte gebracht sein, ehdenn die Sonne heraufkam. Die Schauer der Nacht gingen noch vor ihm her.
Mit den schlanken Armen die Amphora auf dem Haupte festhaltend, war Acte wie in einem Traum durch die hallenden Straßen geschritten. Neben ihr wandelte der Pontifex maximus – eine goldene Truhe auf den Armen, die fest verschlossen war. Nicht einmal Acte wußte, was er darin barg.
Wort um Wort die orphische Hymne vor sich hersagend, war sie bis ans Ziel gelangt. Hatte weder nach rechts gesehen noch nach links und nichts gehört, als die eigenen Worte.
Nun hielt der Zug.
Mit einem einzigen Axthieb zerschlug ein Sklave des Andromachus das eherne Schloß, das Papst Sylvester an die Pforte des Infernus gelegt. Ein wildes Gejauchz brach aus den Reihen der Heiden als das Erz barst. Trug es doch das Zeichen des Kreuzes!
Im gleichen Augenblick aber wandte sich der Pontifex dem Volke zu. Und während er die geheimnisvolle Truhe hoch emporhob, rief er mit weithin schallender Stimme:
»Zurück, die ihr nicht geweiht seid!«
Und die Römer verhüllten ihr Haupt und wichen zurück – scheu, lautlos, mit erbleichenden Antlitzen, auf den zitternden Lippen ein vages Gebet.
Es war der Infernus, der dort heraufatmete …
Da fühlte Acte plötzlich ihren Arm berührt … Wie ein Hauch von Menschenlippen strich es an ihrem Ohr vorüber: »So du von dem Weine nicht trinkst, kannst du gerettet werden!«
»Succat!« fuhr es ihr durch den Sinn. Denn seine Stimme war es, wenn sie jemals seine Stimme gehört hatte! Doch als sie den Blick erhob, war alles leer um sie.
»Folge mir nach!« gebot der Pontifex. Wie blind schritt sie hinter ihm her – immer weiter in die Nacht hinein, die sie umgab … immer tiefer und tiefer. Aber die Stimme, die sie oben gehört, begleitete sie auch hier herab … »Trink nicht von dem Wein … trink nicht!«
Was half es, daß sie noch immer Wort für Wort die uralte Hymne vor sich hinsprach? Es war wie der Zauber einer fremden Macht, die sie mehr und mehr von dem Bann befreite, den die Künste des Gratianus um ihre Seele gelegt. Wie gut, daß er nicht auch mit herunterstieg! Ihr hätte gegraut, wenn sie ihn jetzt an ihrer Seite gewußt.
Plötzlich schlug ein leises Gewimmer an ihr Ohr. Wurde lauter und lauter. Schien mit ihr von Treppe zu Treppe zu steigen. Verhallte wieder, dumpf, seltsam, wie erstickt.
Was war das?
Aber sie wußte, daß sie auch nicht eine Frage wagen durfte. Und die Tiefe, die sich wie mit kalten Schlangenringeln um ihren schauernden Leib legte, starrte ihr immer dunkler und drohender entgegen.
Plötzlich – ein fahler Lichtschein.
Wie ein bläulicher Funke glimmt es auf, tanzt wie ein Irrlicht vor ihnen her …
Die letzte Stufe!
Aber – da ist wieder eine Pforte!
»Der Infernus!« spricht der Priester wie mit einem Schauer. Zugleich stellt er die kleine Truhe nieder.
Vor der ehernen Pforte steht ein marmorner Opferblock, über und über von einer geronnenen Masse besudelt. Ein Beil lehnt daran. Das züngelnde Licht, das wie ein infernalischer Widerschein über den Altar hinspielt, beleuchtet eine dunkle, niedrige Höhle.
Der Pontifex hat sein Gewand emporgeschürzt.
»Halte den Trank bereit!«, raunt er der Jungfrau zu. Er greift nach dem Beil, legt die Onyxbüchse mit der mola salsa auf den Altar. Nun öffnet er die Truhe. Ein Kind wimmert ihm daraus entgegen – streckt die Ärmchen ins Licht hinein, atmet auf wie halb erstickt.
Mit einem Griff reißt es der Priester heraus … streut die mola salsa auf das blonde Köpfchen.
»Was – willst du tun?« schreit Acte. Da springt die Pforte vor ihr auf, öffnet sich weit, gähnt sie an wie der Rachen eines Ungeheuers … Das Beil zischt nieder, das Blut stürzt in die Opferschale. Und wie der dampfende Strom mit leisem Gegurgel verrinnt und versickert ist es, als schlürfe es die Tiefe selbst mit wollüstigem Gegluckse in sich hinein, gierig, unersättlich.
Da – eine Stimme dumpf, hohl, scheinbar noch ferne …
»Das Blut des Unschuldigen hat mich versöhnt … Gebt mir die Unschuld!«
»Stell die Amphora nieder und trinke!« gebeut der Priester. Der züngelnde Lichtschein erlischt. Wie die Flamme wieder aufleuchtet ist Acte allein.
»Trinke nicht … trinke nicht …!« geht es ihr durch den Sinn. Und sie trinkt nicht.
Wie zwischen zwei geheimnisvolle Gewalten gestellt steht sie da und wartet, welche die stärkere ist.
Plötzlich fühlt sie sich erstarren. Ein schillerndes Etwas wird in der Öffnung der Pforte sichtbar – schiebt, drängelt und ringelt sich ihr entgegen: der schuppige Leib einer Schlange, die wie auf zerquetschten Beinen herankommt, blaugrün, entsetzlich – ungeheuer. Und diese Schlange hat ein Menschenhaupt, glinsert sie mit Augen an, die nur der Unterwelt gehören können, so machtvoll, tückisch und gierig haften sie an ihrem Leib. Ein bärtiges Mannesantlitz ist es, das zu ihr emporblickt – mit einem Lächeln, das ihr das Blut gerinnen macht. Die Priesterbinde einer assyrischen Gottheit verhüllt die Stirne. Der Bart hängt in einem edelsteinfunkelnden Goldnetz.
»Komm näher, mein Kind«, schallt es zu Acte empor. Eine weiche, süße einschmeichelnde Stimme. Sie gleißt wie der Leib.
Acte steht wie gebannt.
»Laß mich trinken«, befiehlt der Gott.
Mit einem Schauder greift sie nach dem Onyxbecher, füllt ihn, doch keinen Schritt kommt sie weiter.
»Entkleide dich«, gebietet das Ungeheuer, »daß auch ich mich dir ganz enthüllen kann.«
»Er wird dir seine Schönheit zeigen«, klingt es wie ein fernes Echo in der Erinnerung der Jungfrau wider. »Die Schönheit eines Gottes …«
Arglos, mit bebender Hand beginnt sie die Nesteln und goldenen Fibeln ihres Mantels zu lösen. Rasch, rasch … Je flinker sie ist, desto schneller wird die entsetzliche Zwittergestalt verschwinden … und der Gott erscheinen, der Gott an den sie noch glaubt!
Wie eine Wolke gleitet der weiße Mantel der Vestalin nieder. Der Leib einer jungen Göttin leuchtet durch die Dämmerung.
Ein Ruck geht durch den entsetzlichen Schlangenleib. Knapp zu ihren Füßen glinsern nun die Augen – ein heißer Atem steigt zu ihr empor.
Wie sie aber niederblickt, was sieht sie? Eine Hand stiehlt sich aus dem Leib der Schlange hervor, tastet sich wie verstohlen über den Boden hin.
Beginnt der Gott sich so zu enthüllen?
Näher und näher kommt die Hand.
Und plötzlich fühlt Acte – nein, weiß es, diese Hand will ihren Fuß erfassen, ihn festhalten, damit sie nicht mehr fliehen kann.
Mit einem Sprung weicht sie zur Seite.
»Ah!« zischt es ihr nach. Und die dunklen Brauen im Antlitz des Gottes ziehen sich zusammen. Seine Zähne knirschen und schlagen aneinander … Ein Blick entgleitet den Augen, ein Blick, den sie kennt.
»Gratianus!« schreit sie wie aus einem fürchterlichen Traume heraus. Schreit es und greift auch schon nach dem Beil, das noch immer am Opferstein lehnt, schwingt es hoch mit einer Kraft, die ihr wie von oben kommt – schleudert es nach dem Haupt mit den glinsernden Augen.
Ein Wehlaut … ein Zucken, das durch den ganzen Leib des Ungeheuers geht. Kein Gott – ein Mensch ist es, der sich in Todesqual vor ihr windet!
»Acte, Acte!« schallt es plötzlich von der Höhe der Treppe her, auf der sie herabgestiegen.
Die Stimme des Pontifex! An ihm kommt sie nicht mehr lebend vorüber, sie weiß es!
Aber die Pforte, aus der sich der Betrug herausgeschlängelt? Wohin führt sie?
Über die Leiche des Betrügers hinweg, über den kalten Metallleib des Ungeheuers, das nie ein Ungeheuer gewesen, stürzt Acte in die dunkle Pforte hinein.
Stufen!
Wie vom Tod gehetzt fliegt sie empor, höher, immer höher … Licht kommt ihr entgegen. Erst ein fahler Schein, dem sie folgt. Plötzlich der goldene Gruß des Tages.
Sie steht auf der Höhe des Kapitols, im Tempel Jupiters. Unter ihr liegt Rom im vollen Glanz der Sonne.
Ein Gewirr zorniger Stimmen schlägt von der anderen Seite zu ihr empor, der heidnische Pöbel, der sie steinigen wird, wenn sie nicht entkommt. Wohin?
Da hallt von links her ein vieltausendstimmiger Weihgesang zur Höhe des Kapitols. Tausend und abertausend Lichter flackern die Straße entlang, die zur Kirche der heiligen Marina führt, verschwinden in der Porticus curva, tauchen wieder auf, zwischen dem Sekretarium des Senates und der Apsis, die den Leib der Märtyrerin birgt.
Die »Candelora« der Christen! Hoch und rein und allen sichtbar flammt über den Häuptern der Gläubigen das Kreuz, das dem Bischofe Roms vorangetragen wird.
Und plötzlich kennt Acte ihren Weg.
Über die steilen Treppen des Kapitols eilt, nein fliegt sie der Candelora entgegen, halbnackt, wie eine Rasende, der hier der Unwille Raum gibt und dort die Scheu, bis sie vor dem Kreuze zusammenbricht.
»Nehmt mich auf. Ich bin die Tochter des Andromachus!«
»Ein Wunder! Ein Wunder!« schauert es durch die Reihen der Christen.
Und Papst Gelasius nimmt den goldenen Vespermantel von seinen Schultern und wirft ihn wie schützend über die Nacktheit des Mägdleins:
»Sehet, die neue Braut Christi!«
»Und Acte empfing noch am selben Tage die Taufe«, heißt es in der Chronik. »Mit ihr Andromachus, als er von dem Betruge der Priester erfahren. Das christliche Volk aber stieg nun doppelt dreist in die »Höhle des Drachen« und zerrte den Leichnam des Gratianus ans Licht, wie es ihn fand: noch in der schillernden Hülle des Drachen steckend, mit der die Jugend Roms nun ihren Spaß trieb. Denn sahe nunmehr jeder, daß der wirkliche Drache ein- für allemal verschwunden war. In die Hölle gebannt, dahin ihn Papst Sylvester verwiesen.
Den letzten Pontifex maximus aber fand man zu Füßen seines Götzen, dem Jupiter des Kapitols, von einem Beilhieb getroffen. Und wurde der Tempel des Götzen noch am selben Tage gesperrt und die Treppe zur Höhle des Ungeheuers verschüttet. Damit dem lebendigen Gotte, der zuletzt auch die Seuche besieget, allein die Ehre sei!
Es starb aber bald darauf auch der Senator Andromachus und gehet die Sage, daß es einzig und allein sein so tief gedemütigter Stolz gewesen, der ihm das Herz abfraß, so daß Acte nun ganz allein und verlassen dastand, die Herrin ungeheurer Güter, jedoch traurig und arm im innersten ihrer Seele. Ihre Sklaven gab sie frei, in Erinnerung an dem einen, der sie vor Schmach und Tücke bewahrt. Denn fest glaubte sie, daß es Succats Stimme gewesen, die sie an der Pforte des Infernus gewarnt, von dem Taumeltrank der Priester zu trinken, der mit den Giften der lybischen Aphrodite gewürzt war. Und glaubte sie viele Jahre daran, obgleich ihr Papst Gelasius noch vor seinem Tode die Versicherung gab, daß er den Succat noch am Tage seiner Freilassung zum Diakon geweiht und ihn mit anderen Glaubensboten nach Irland geschickt, an demselben Abend, damit er den Gälen in seiner Sprache die Botschaft des Heiles bringe.
Wohl hatte Acte der Freier viele, doch wies sie jeden ab, wurde stiller und stiller. Und als ein Jahrzehnt vergangen war, entsagte sie der Welt, schenkte der Kirche, was sie hatte und zog sich mit einer Schar frommer Jungfrauen in ein Cönakel zurück, Armut und Keuschheit gelobend für Lebenszeit. Dem Bräutigam aber, dem sie sich gelobte und der hochgelobet sei in Ewigkeit – Jesus Christus – ihm gab sie ihren Ring hin, wie es damals Brauch war und Sitte. Es trug dieser Ring ihren Namenszug eingraviert und Tag und Jahr ihres Gelöbnisses und der Priester, der ihr die Gelübde abgenommen, brachte den Ring dem Stellvertreter Christi, der ihn mit den Ringen der anderen Schwestern in einem goldenen Schrein verwahrte, allwo nur seine Hand hinkam, des Nachfolgers des Gelasius Symmachus. So daß sie nun in Wahrheit geworden, als die sie der Bischof Roms bei der Candelora zum erstenmal begrüßt: eine Braut Christi.
Um so seltsamer war es nun, daß die Jungfrau auch im Dienste des Herrn keinen Frieden fand. Vielmehr von einer heimlichen Unrast gepeinigt wurde, wider die sie Stärkung und Trost suchte an allen Altären Roms. Am liebsten aber in dem Oratorium der Santa Maria an der via lata, welche Kirche eine der ältesten der ganzen Christenheit ist und hochgebenedeiet durch die Anwesenheit Petri und Pauli, die nach der Legende in eben diesem Oratorium sollen gewohnet haben. Da es noch eines römischen Bürgers Haus war, der heimlich das Christentum angenommen.
Wen immer aber die Kirche ausgesandt, das Evangelium zu predigen, der las, so es ihm vergönnt war, lebend wieder nach Rom zurückzukehren, in dem Oratorium der Santa Maria an der via lata die heilige Messe: zum Angedenken der Apostelfürsten, die auch als Missionäre und Pilger hier geweilet, in eben diesem selben Hause.
So daß es ein Kommen und Gehen war aus allen Ländern der Welt und jeden Tag ein anderer Glaubensbote der Christenheit das heilige Opfer darbrachte.
Wie Acte eines Tages wieder hier betete, das blasse Antlitz tief geneigt, fuhr sie plötzlich, wie von einem Schlage getroffen, empor.
» Dominus vobiscum!« sprach der Priester mit lauter Stimme.
Alle Andacht aber wich bei dem Klang dieser Stimme aus dem Herzen Actes. Daß sie nicht mehr hörte, nur sah und sahe. Denn es war Succat, der dort stand und die Messe las, das Antlitz dem Volke zugekehrt, wie es damals noch Brauch war.
Ein leiser Schrei floh von ihren Lippen, daß der Priester erstaunt nach ihr spähte. Und da geschahe, was Gott nur begreifen kann, der solches zuläßt: die Beiden ruhten Aug' in Auge eine selige Minute lang. Ob auch Succat an dem Altar des Herrn stand und Acte die Braut des Gottes war, dessen sie in diesem Augenblicke vergaß.
Und als sie nach der Messe vor den Priester trat, ruheten auch ihre Hände eine ganze Weile ineinander und lag eine Verzückung auf ihren Antlitzen, die keine Sprache kennt und keine Scham.
So daß die Sünde ganz Besitz von ihnen nahm. Wenn sie vorerst auch nur ein Wunsch war und eine einzige, zehrende Sehnsucht.
Wie aber sollten sie genesen?
War doch all' ihr Heil in Christo versiegelt!
Am Abend dieses Tages traf es sich nun, daß Papst Symmachus in der Katakombe des Callistus weilte, um an dem Grabe der Heiligen Cäcilia zu beten. Tiefe Ruhe war um ihn und kein Licht als die silberne Ampel, die vor der marmornen Nische brannte, so den Leib der Heiligen barg: zwischen dem Vestibulum und dem Gang, der zur Krypta führet, so die Leiber beider Päpste umschloß. Und war es eine Stunde, spät am Tage, daß Symmachus hoffen konnte, allein und ungestört zu der Märtyrerin zu beten, der seine Seele vor allem untertan war.
Wie er nun aber so kniete, in sich versunken und aller Erdenlast entrückt, schlug plötzlich das Geschluchz eines Mannes an sein Ohr und ein Gestammel, das ein Gebet schien und doch auch wieder nicht. Nun war es ein frommer Brauch aller Pilger, so nach Rom kamen, die Papstgruft zu besuchen, am Altar der Krypta zu beten und ihre lauten Anrufungen und Exklamationen in den Tuff oder Marmor einzuritzen. Wie denn diese »Proscynemen« von Anbeginn ein Zeichen für die späteren Christen waren, wo sie die Loculi der Märtyrer zu suchen hatten.
Fern lag es deshalb dem Symmachus, des Mannes Andacht zu stören. Hatte die Zärtlichkeit und die Sorge frommer Christen für die Seelen jener, die sie liebten, in solchen Anrufungen der Märtyrer sich doch niemals genug getan und war die Krypta der Päpste ringsum bedecket mit den Namen der Toten und Lebenden, für die ein liebend Herz hier gebetet.
Je länger aber die Invokationes des Pilgers an das Ohr des Papstes drangen, seine eigene Andacht störend, desto klarer wurde ihm, daß die Gebete, die er hörte, mehr ein Frevel waren, denn anderes, daß er sich zuletzt erhob und verstört hinaus lauschte. Denn ihm schien, es könne nur ein Rasender sein, der sich an heiligem Orte so geberde.
Der Pilger aber, der Stab und Hut von sich gelegt hatte und keines Menschen gewärtig, noch immer schluchzend vor dem Altare lag, sprach und stammelte solches:
»O du, die sie jetzt Sophronia nennen und die ich geliebet, da sie noch Acte hieß … Jungfrau, deren Reiz ich zu entfliehen geglaubt, da ich noch Sklave, um nur doppelt jetzt zu werden ihres Reizes Sklave … Warum kann ich dich nicht vergessen? Und wenn ich dich nicht vergessen konnte, warum, o du, den sie den Allmächtigen nennen, hast du mich wieder unter ihr Antlitz geführt? Hab' ich sie gesucht? Nimmermehr! Verborgen hab' ich mich vor ihr, der ich wähnte, nur ihre Seele zu lieben! Mißgönnest du sie mir, o Herr? Daß du sie zur Deinen machtest? Dann wisse: ihr Blick, ihrer Hände Druck, hat dir heute die Treue gebrochen, wie ich sie dir brechen muß, bei jedem Gedanken an dich. Ich, Patricius, den sie einst Succat genannt haben!«
So klagte der Unselige. Aber plötzlich sprang er empor. Und während das Lächeln eines Wahnwitzigen sein Antlitz verklärete, schrie er laut: » Sophronia vives! Sophronia vives!« Und begann mit fiebernder Hand in den Tuff der Katakombe zu ritzen, was ihm die Raserei seiner Seele eingab.
Still stand der Papst, sagte kein Wort. Wie sollte er auch hindern, was Gott selber geschehen ließ? Gott mußte wissen, warum; den Menschen ziemt es zu warten.
Eine Woche verging oder deren zween, da hatte Papst Symmachus an der via lata zu tun, allwo er ein Wegkapellchen erbauen ließ, den Heiland zu ehren und die bösen Dämonen zu verscheuchen, von denen die Sage ging, daß sie in der Saepta Julia noch ihr Wesen trieben. Denn war in dieser Basilika unter der Herrschaft der Cäsaren viel Böses beraten und beschlossen worden. Wie er aber nun, des Tagwerkes froh heimging, und es dämmerte schon des Abends Friede um ihn, beschloß er, den Fuß auch in das Oratorium der Santa Maria zu setzen, das immer einsam war um diese Stunde. Vor dem Bilde des Erlösers, das fromme Hand in den ersten Tagen des Christentums dort an eine Wand gemalet, wollte er beten. Und war dieses Bild hinter dem Altar, ganz im Dunkel und halb verblichen. Es stellete aber den Heiland dar, wie ihn die ersten Christen gemalt. Jung, bartlos, auf den Schultern das verirrte Lamm.
Eine gute Weile mochte er so gebetet haben. Da naheten Schritte und kam ein Geräusch, wie vom Kleid eines Weibes und plötzlich klagte eine Stimme durch das Dunkel hin: »O du, dessen Ring ich nicht wert bin zu tragen, gib mir den meinen zurück. Sophronia bin ich, einst Acte genannt, des Andromachus Tochter! Meinen Reichtum hab' ich zu deinen Füßen gelegt, aber nicht wein' ich dem Gelde hier nach, o mein Jesus! Mein Herz gib mir wieder, das immer dem Succat gehört, – mein Herz und mein Wort! Sophronia war deine Braut – sie ist es nimmer!«
Still blieb der Papst auch jetzt auf seinem Antlitz liegen und rührte sich nicht. Wie konnte er lösen, was der Heiland also gebunden? Nur beteu konnte er und er betete.
Als aber die Nacht kam und Symmachus schlafend auf seinem Pfühle ruhte – siehe, da hatte er ein Gesicht:
Christus stand vor ihm, wie ihn die Hand des Evangelisten an die Wand des Oratoriums in Santa Maria gemalet: hoch, bartlos, jugendschön, auf dem Rücken das verirrte Schäflein. Und er sprach:
»Warum lässest du den Succat und die Acte also leiden? Du, dem ich alle Macht gegeben für diese Welt?«
Fiel Symmachus auf sein Antlitz und stammelte:
»Wie soll ich dich verstehen, o Herr?«
»Du frägst noch?« zürnte der Herr. »Ist es nicht besser, tausend Eide zu lösen, denn einen zu brechen und zum Verräter zu werden, an seinem Gott?«
»Haben sie doch die Gnade!« hauchte der Papst.
»Die ist mein Geheimnis!« rief der Heiland. Und während seine Linke zärtlich über das Vließ des Lämmchens hinstrich, das er trug, sprach er innig: »Siehe! Tausende wandeln rein vor mir, aber dieses eine hat meine Sorge heimgetragen, damit es nicht falle!«
»Was befiehlst du, daß ich tue?« hörte der Papst sich fragen. So laut, daß ihm war, er wache schon.
Und der Heiland erwiderte: »Lösen und erlösen sollst du, wie ich es getan!«
Damit erwachte der Papst. Als er aber das Zeichen des Kreuzes schlagen wollte, glitt ihm ein Ring in den Schoß. Er trug den Namen der Acte.
Noch am selben Tage befahl Symmachus die beiden Liebenden vor sein Antlitz. Löste den Eid des Patricius, daß er wieder Succat wurde und frei. Band die Sophronia von ihren Gelübden los.
Und als die Beiden vor ihm standen, nicht wissend, was sie denken sollten, sprach er: »Werdet des Wunders froh, das der Herr getan, um euch zu behalten als die Seinen. Sehet, hier ist der Jungfrau Ring! Ich steck' ihn an den Finger Succats, damit sie ihm die Gattin sei, die er begehrt. Denn ein großes Geheimnis ist die Ehe, aber in Christo!« Und während er die Beiden also aufs neue band, lächelte er und sprach: » Quis separabit!«
Und sagt die Legende weiter, daß die Gatten sich in seliger Nacht vereinigt. Des Morgens aber war Acte tot. Und Succat, der das Wunder des Erlösers nun erst ganz zu verstehen meinte, trat vor den Heiligen Vater und bat wieder das Evangelium predigen zu dürfen: Im grünen Ireland, der Heimat seiner Väter.
Und soll er es sein, der unter dem Namen Patrick dort gewirket und heilig geworden. Der Bund der Ritter aber, die sich ein Jahrtausend später in seinem Namen zu frommen und fürnehmen Christentaten zusammengetan, führt bis auf den heutigen Tag den Spruch im Wappen, der für alle Liebe gilt, auch vor Gott:
» Quis separabit?«
Seit jenem Tage des Wunders hieß die schmale Straße, die von der via lata nach dem »Palatium Camillianum« führte, » ad duos amantes.« Das Wegkapellchen aber, das Papst Symmachus an eben derselben Stelle erbaute, nannte er » San Salvatore ad duos amantes.«
Damit Laien – und Priester und selbst der Heilige Vater eingedenk blieben, daß Gott selbst in der Liebe der Menschen wohnet. Amen.