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Wenn sie sich des Tages entsann, an dem sie zum erstenmal empfunden, daß sie hinfort einem anderen verfallen sei, mit Leib und Seele verfallen – dann stieg auch immer das Bild einer verführerischen Landschaft vor ihr empor … Armidens lockende Zaubergärten, wie sie noch heute in der Heimat Tassos blühen … Dieses hangende Dickicht der Orangen- und Zitronenwälder, die von den Felsen Sorrents zum Meere hinabsteigen … Dieser tiefblaue Himmel, der da und dort wie ein Edelstein aus dem dunklen Rahmen ihres Grüns aufleuchtet … Der betäubende Duft, der sich aus dem Atem der Blüten und dem würzigen Reifehauch der goldenen Früchte mengt, die oft an ein und demselben Ast sitzen. Und über das Meer läuft der Wind von Capri und wirbelt durch die Luft wie ein Bacchant, bis alles bebt und ächzt und aufstöhnt wie in einer einzigen tollen Brunst.
Von der Loggia des Hotels hatte sie das mit ihm angesehen, während ihr Gatte noch am Frühstückstisch saß und ruhig seine Zeitungen durchblätterte. Und da war es geschehen …
»Hier ist alles eine einzige Leidenschaft!« hatte der andere gesagt. »Die Natur selbst eine große Verführerin. Man folgt ihr wie in einen Zaubergarten. Immer weiter, immer tiefer. Und eines Tages kann man nicht mehr zurück!«
Er hatte mit leiser, gepreßter Stimme gesprochen. Mitten in den blinkenden Aufruhr der Elemente hinein. Worte, die ihm der Sturm von den Lippen riß, die das Meer wie mit einem donnernden »Evoë!« verschlang. Aber diese Worte waren in seinem Blick dann noch einmal aufgeglüht. Wie eine einzige heiße Frage. Und ihre Seele hatte sich diesem Blicke hingegeben, stumm, wehrlos. Und ihm gestanden, was er wissen wollte: »Auch ich kann nicht mehr zurück.«
Tags darauf mußten sie scheiden.
Ihn rief sein Amt nach einem kleinen Städtchen Krains, wo er dem politischen Verwaltungsdienst zugeteilt war. Sie fuhr mit dem Gatten wieder ihrem Wiener Heim entgegen. Diesem weichen, reichen, molligen Nest, in dem alles ihrer Laune untertan war und doch auch alles sie – beherrschte. So mächtig beherrschte, daß sie um nichts mehr imstande gewesen wäre, diesem Überfluß zu entsagen. Nicht einmal ihrer Liebe zuliebe. Das war ihr früher nie so recht zum Bewußtsein gekommen. Nun hörte sie die Kette klirren. Die goldene Kette, die sie selbst am meisten liebte.
»Gemein bin ich, gemein!« dachte sie, so oft ihr Blick daheim den Gatten streifte. »Da geh' ich neben einem her, der mir von Tag zu Tag widerwärtiger wird. Und hab' doch nicht den Mut, den Geliebten glücklich zu machen. Bloß weil ich den Reichtum des anderen nicht entbehren kann.« Den Reichtum, den Reichtum …
Der Geliebte – war arm.
Aber ihr ganzes Herz blutete um ihn. Ihre Sinne schrien nach ihm. In schlaflosen Nächten weinte die Sehnsucht heiße Tränen in ihre Kissen … Dann war ihr, als könne sie gleich am nächsten Morgen alles von sich werfen, was sie bisher geliebt. Diesen ganzen, törichten Luxus. Alles verlassen, was ihr bis heute unentbehrlich geschienen. Mit dem Schrei eines wilden Tieres die Kette von sich streifen, die sie an dem Ungeliebten festhielt. Diese lange, lange, goldene Kette.
Der Geliebte war arm. Lebte bloß von seinem Gehalt. Mußte alles vermeiden, was sein Avancement stören konnte. Um mit ihm glücklich werden zu können, hätte sie reich, sehr reich sein müssen. Um ihn auch vor der Welt besitzen zu dürfen, erst die Bürgerin eines fremden Staates werden.
Und sie wollte ihn besitzen, für immer vor aller Welt ihm angehören – ihm allein. Endlich, endlich ganz bei ihm sein können. All diese Stunden und Tage und Monde, die ihn immer weiter von ihr zu entfernen schienen. Trotz seiner heißen, sehnsüchtigen Briefe. Wußte sie denn, ob nicht doch eines Tages eine – andere kam? Die Sehnsucht quälte sie, aber die Eifersucht war wie eine Bestie. Sie hatte Krallen, die zerfleischten.
Und dann war er so ganz allein!
Sie hatte wenigstens das Behagen der Sorglosigkeit um sich. Die wohlige Wärme eines Daheims, in dem sich alles wie von selbst machte. Jede Stunde ihren Glanz oder ihre Schönheit hatte. Und wie verstand sie selbst es, diesem Behagen die letzte Feinheit, dieser Schönheit den letzten Reiz zu geben!
An dem Tisch, der für ihre Mahlzeiten gedeckt wurde, hätte sich ein Fürst niederlassen können. So kostbar und vornehm war auch der letzte Gebrauchsgegenstand. Durch alle Zimmer dufteten Blumen. Blumen, die sie selbst jeden Tag auswählte und dann mit raffiniertem Geschmack in Gläser und Schalen und Vasen verteilte. Kostbare Palmen wuchsen aus Majoliken, die selbst Kunstwerke waren. Nirgends ein zu greller Ton – nirgends ein Gerät, bei dem man bloß an den Preis dachte. Jeder Winkel hatte seine heimliche Poesie, jeder Teppich seine Geschichte. Bilder und Statuen lächelten auf eine Welt herab, die sie eben verlassen haben konnten. So viel Schönheitssinn und Phantasie hatte sie in ihr Heim hineingetragen. Damals, als sie noch glücklich war und eins mit dem Gatten. Jetzt –?
»Mein Frühstück mach' ich mir selbst. Zu Mittag speise ich im Gasthaus. Wie man im Gasthaus eines kleinen Ortes eben speist. Abends bedient mich meine Aufwärterin. Eine schmutzige Gottscheerin, die jedes Jahr fauler und dicker wird. Dann zünd' ich mir eine Zigarette an und träume, träume – von Italien. Das sind meine Tage, ist mein Leben hier.«
So beiläufig hatte der ferne Geliebte geschrieben. Und seitdem sah sie ihn immer so. Öd sein Heim, glanzlos seine Stunden. Ein einsamer Mann, der durch sie noch einsamer geworden. Und dem sie so gar nichts gewähren konnte dafür. Nicht eine Stunde des Behagens in dem vornehmen Heim, das sie freudlos und mechanisch weiterschmückte. Für einen, den sie nicht mehr liebte.
Den sie haßte … hassen mußte, wenn sie des Fernen gedachte.
Er freilich schien noch immer nichts zu merken. Lebte unbefangen und ruhig und glücklich an ihrer Seite dahin. Ja, so gemein war sie, daß er dies konnte …
»Reich werden, reich werden, reich werden!« dachte sie. Solang sie an der Seite des Gatten lebte, war sie es. Um reich und – frei zu werden, gab es für sie nur eine Möglichkeit: seinen Tod!
Das stand eines Tages plötzlich vor ihr. Mit derselben unheimlichen Deutlichkeit, die jeder ihrer Phantasien sofort Gestalt gab und all' diesen Gestalten dann eine so dämonische Macht über ihre Phantasie.
Noch scheute dieser Wunsch das Licht des Tages. Züngelte nur zuweilen aus ihrer Seele hervor, wie eine böse, giftige Schlange. In einem haßerfüllten Blick, den sie dem ahnungslosen Gatten nachsandte … einem Wort, das ihm wehtun sollte. Einem kalten, fremden Lachen, mit dem sie eine unwillkommene Liebkosung zurückwies. Wurde sie sich aber dieser Empfindung bewußt, dann scheuchte sie das Ungeheure in die dunkelsten Tiefen ihrer Seele zurück. Suchte irgendeine Betäubung, irgendeinen Lärm. Nur um diesen Wunsch nicht aufzischen zu hören. Ihn nicht zu sehen, wie er ihre Seele umringelte: den schillernden Schlangenleib eng an sich gezogen, in dem bösen Blick ein Geleucht, das aus der Hölle war.
Aber – es ließ sich nicht mehr verscheuchen, dieses Ungeheure! Und die Kette, an der es bei Tag ihr Wille festhielt, löste des Nachts mit grauenhaftem Lächeln der Traum. Und wenn sie dann so dalag, der Magie seiner Bilder wehrlos preisgegeben, dann erfuhr sie unter schauernden Wonnen, daß sie auch keinen Willen mehr hatte; nur mehr diesen einen, schrecklichen Wunsch.
Träume, die alle Schauer des Todes in sich bargen, wandelten über ihr Herz. Sie wurde nur mutiger und gieriger daran. In gespenstischem Schwebereigen schienen sich ihr langsam, langsam die Boten einer Welt zu nähern, in die hineinzuschauen kein Sterblicher wagte. Sie ließ sie näher kommen, immer näher … bis sie es lernte, in die grauenhaften Larven zu seh'n, den Blick zu ertragen, der – Mord hieß. Und wie aus weiter, weiter Ferne klang eine unsäglich beklemmende und doch auch wollüstig aufreizende Musik herüber. Wie aus den Abgründen aller Schauer herauf … Dort, wo der Tod seine Geige spielte.
Die Mutter ihres Gatten war schon lange tot. Aber sie hatte sie einst geliebt und verehrt, um ihrer strengen Rechtlichkeit willen, ihrer weisen Milde – dieser schönen Ausgeglichenheit, die ihr ganzes Wesen geadelt hatte. Auch im Traum war sie ihr zuweilen so erschienen. In den Tagen ihres Glückes, ihrer Reinheit. Dann – hatte sie ihrer nicht mehr gedacht. Und nun kam sie wieder. In einem dieser bösen, tückischen Träume.
Auf einer langen, langen Straße sah sie sich mit ihr dahingeh'n. Und so weit sie gingen, lagen Friedhöfe. Rechts und links. Friedhöfe und ihr ganzes, beklemmendes Schweigen … Die Natur schien dem Herbst entgegenzuwelken. So dicht lagen die Leichen der Blätter auf den Gräbern ringsum. Und zwischen ihnen hingestürzte Kreuze, sturmzerrissene Totenkränze, vergilbte Schleifen, zusammengebrochene Grabsteine – der ganze traurige Pomp des Todes. Darüber eine Stille, als hielte die ganze Welt den Atem an. Wie in der Erwartung irgendeines ungeheuren Frevels.
Endlich hielten sie vor einer Reihe offener Gräber. »Was sollen wir hier?« fragte sie. Obgleich ihr war, als wüßte sie es sehr wohl. In demselben Augenblick, in dem sie fragte.
»Such' das Grab aus für mein Kind!« gab ihr die Mutter zur Antwort.
»Stirbt er dann?« hörte sie sich fragen.
»Wenn du es tust!« nickte die Mutter. Und sah sie dabei so traurig an … so unsäglich traurig.
Sie aber hob einen Stein vom Boden und warf ihn in das tiefste der Gräber. Wer dort drinnen lag, kam nicht mehr zurück.
So stark war sie im Traum.
Am nächsten Morgen beklagte sich ihr Gatte über eine seltsame Müdigkeit. »Ich fühle das schon seit einiger Zeit«, setzte er hinzu. »Diese Schwere in den Gliedern. Als trüg' ich eine schleichende Krankheit mit mir herum. Aber ich wollte dich nicht beunruhigen.«
Langsam kroch ihr Blick über sein Antlitz … Es war blaß und welk. Und eine gewisse Hilflosigkeit darin rührte sie plötzlich. Schien er ihr nur hinfälliger oder –?
Und mit einemmal schauerte sie in sich zusammen. Wenn das von Seele zu Seele ging? Ihrem frevlen Wunsch vielleicht wirklich die Kraft innewohnte, ihn zu töten? Langsam, sicher. Mit unblutigen Mörderhänden. Hatte er bisher nicht auch doppelt gelebt durch ihre Liebe?
Und wieder erschrak sie vor sich selbst. Glaubte in ihrer Hand die Kälte des Steines zu fühlen, mit dem sie sein Grab bezeichnet.
Dann kam aber wieder die Nacht …
»Wenn du mir opferst, erlös' ich dich!« hörte sie eine Stimme sagen. Zugleich sah sie sich vor einem schwarzen Marmortempel steh'n, aus dem ein wüstes Geigenspiel klang. Sie war nicht allein. Viele, viele Menschen standen ringsum. Schienen mit ihr etwas zu wagen, etwas zu – erwarten.
»Da drinnen tanzt der Tod!« sprach ein junger Mann neben ihr. Und dann, mit einem Seufzer: »Wenn er doch mein Weib dazu lüde! Ich – hab' sie ja schon geopfert. Aber er tanzt noch immer allein!«
»Dort ist doch sein Schatten!«
»Wo?«
»Dort an der Wand. Denn ihn selbst kann man nicht anseh'n, ohne zu sterben …«
Und richtig: An der weißen, langen Friedhofmauer gegenüber lief etwas wie mit langen Spinnenbeinen hin und her, auf und nieder. Während die Geige immer unheimlicher rief und lockte. Der Schatten eines tanzenden Geripps …
Aber sie fühlte wieder keine Angst. Nur diesen wilden brennenden Wunsch, der wie der Schauer einer Wollust über sie kam. »Ich opfere, ich opfere!« schrie sie auf. Und mit ihr zugleich heulten es hundert andere. Alle, die vor dem Tempel standen, in dem der Tod seine Orgie feierte.
Am nächsten Morgen mußte der Arzt geholt werden. »Ängstige dich nicht,« sagte ihr Gatte mit einem müden Lächeln. »Das bischen Fieber wird mich nicht gleich niederwerfen.«
Nein, sie ängstigte sich nicht. Aber – sie empfand auch keine Freude mehr, nun es so weit war. Und während sie ihn pflegend ab- und zuging, kam ein seltsames Mitleid über sie. Ein Mitleid, das nicht bloß Schwäche und Schuldgefühl war. Das wie eine leise Erinnerung an ferne, reine Tage durch ihr Herz ging. An Tage, da sie alles gemeinsam hatten. Das Glück und die Freude und das – Leben …
Aber wenn es sein sollte? War es ihre Schuld? Wie töricht, zu glauben, daß ein paar dumme Träume stark genug wären …
»Nur jetzt nicht in sich hineinlauschen!« dachte sie beklommen. Und ihr Wille schien heimlich wieder zu erstarken, so daß ihr selbst jene Träume fern blieben.
»Ich bin noch nicht recht im klaren!« sagte der Arzt, »Es kann vielleicht auch ernster werden.«
So kam die Nacht der Krisis.
Sie hatte gewacht und den Kranken gepflegt, solang es ihr möglich war. Da fiel vor Mitternacht plötzlich eine bleierne Müdigkeit über sie. Mit aller Kraft kämpfte sie gegen den Schlaf an. Denn sie wußte, daß es die entscheidende Stunde war. Aber etwas Stärkeres schien sie niederzuwerfen. Lähmte erst ihren Willen, dann ihren Leib, Glied für Glied. Bis ihr endlich auch die schweren Lider über die brennenden Augen sanken und ihr Kopf langsam, langsam in die Lehne des Stuhles zurückfiel, in dem sie all' diese Nächte durchwacht.
Und dann kam ein Traum über sie …
Wieder war ihr, als stünde sie vor einer verschlossenen Pforte. Vor einer Pforte, die schwarz war. Schwarz und geheimnisvoll wie jener Tempel des Grauens. Aber sie stand ganz allein davor. Und als sie die Hand hob, um jene Pforte zu öffnen, fühlte sie genau, daß ihr einer daraus entgegentreten würde, der dem Tode geweiht war … Von ihr dem Tode geweiht – und sterben mußte, sterben. So gewiß, als ihr Wunsch ihn dort hineingezwungen. Und sie öffnete die Pforte, rasch, ungeduldig. So gierig schrie alles in ihr nach Erlösung. So stark war sie wieder – im Traum …
Da stand er, den sie einmal geliebt hatte – stand in seinem Bräutigamsgewand und sah sie an, hell und leuchtend wie damals. Und doch auch mit einem Blick, in dessen durchdringendem Glanz alles lag – alles, auch das Wissen von ihrem Frevel.
»Wie konntest du das tun?« schien dieser Blick zu fragen. Aber seine Lippen blieben stumm. Kein Vorwurf – nur ein Ausdruck himmlischer Güte, überirdischen Verstehens brach sterbend aus seinem Antlitz. Dann reichte er ihr die Hand – zum letztenmal.
Und plötzlich war es, als risse sich etwas mit ungeheurer Gewalt aus ihrem Herzen los. Etwas, das stärker war als sie und ihre Leidenschaft und der ganze böse Wille, der sie bis heute beherrscht. Etwas unsäglich Reines, etwas, das süß war und herrlich und wonnig, selbst im Schmerz. Das tief, tief in ihrer Seele gelegen, ihr selbst unbekannt. Vielleicht mit dieser Seele schon geboren ward. Und nun mit einem Male aus ihr hervorbrach und sie hinnahm. Eine göttliche Macht, der nichts widerstehen konnte.
Mit einem wilden Geschluchz warf sie sich dem Toten zu Füßen. Und während sie die Füße umklammerte, die so willig bereit schienen, jene letzte, dunkle Straße zu geh'n, schrie sie in herzauflösender Pein: »Laß mich für dich dorthin geh'n. Oder nimm mich mit dir. Und verzeihe … verzeih' mir!« Von einem Schauer geschüttelt, wachte sie auf …
Was glitt so weich an ihrer tränenüberströmten Wange nieder? Die Hand des Gatten. Ein Geretteter war er zum erstenmal aus der schweren Betäubung des Fiebers erwacht und sah sie sorgenvoll an. Noch blaß und verfallen, auf der Stirn aber schon den rettenden Schweiß, den der Arzt so ängstlich erwartet. Im Aug' einen Blick, der wieder dem Leben gehörte. Dem Leben und ihr, die ihm alles war.
»Verzeih',« hauchte er, »aber du hast so bitterlich geweint im Traum, daß mir war, ich müsse dich wecken!«
Mit einem Schrei stürzte sie vor ihm nieder, preßte den Mund auf seine durchsichtigen Hände. Und während ihre Tränen darüber hinflossen, lächelte sie … stumm, selig, eine – Erlöste!