Rudolf von Gottschall
Schulröschen
Rudolf von Gottschall

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Siebentes Kapitel.

Der Geburtstag der Freiin Mathilde, ein stiller Sonntag, war so licht- und sonnenhell, wie es für einen doppelten Festtag sich ziemte. Juwelenkränze mit funkelnden Regenbogen bildete der Thau auf den Wiesen; durch die hohen Wipfel ging kein Rauschen; andächtig still lag der Park. Desto lauter ging's im Schlosse zu: an allen Thüren wurden Blumenguirlanden festgehämmert; alle dienstbaren Geister und auch die Knechte des Wirthschaftshofes waren in voller Thätigkeit. Für eine Illumination wurden die Ränder der bowling-greens mit Lämpchen versehen: so störten auch die festlichen Vorbereitungen den Naturfrieden des Parkes.

Ueberall, schon vom frühesten Morgen an, war Röschen thätig und geschäftig; alle fügten sich gern den Anordnungen des jungen Mädchens, das ebenso 187 viel Geschmack wie Energie zeigte und dessen liebliche Erscheinung die Herzen gewann. Je höher die Sonne stieg, desto freudiger wurde ihr ums Herz. Es war ja der schönste Tag ihres Lebens, an dem sie der Freundin ein fürstliches Geschenk machen wollte. Schön genug konnte das Schloß nicht bekränzt, der Park nicht illuminirt werden an diesem Tage; auf allen Höhen ringsum hätten des Abends Feuerwerke prasseln und weithin auflodernde Brände leuchten sollen zu Ehren der Herrin von Burgdorf, in deren Besitz die schönen Güter blieben. Doch gerade Mathilde war heute wehmüthiger gestimmt, als dies sonst in ihrer Art lag; sie blickte traurig hinaus in den hellen Morgen; sie grüßte ja heute alles wie eine Scheidende. Und an jedes Fleckchen, an dem ihre Blicke hafteten, knüpften sich ja so liebe Erinnerungen. Die hochragende Esche vor dem Fenster, deren Wachsthum sie jahraus jahrein mit warmem Antheil beobachtet hatte, der Durchblick durch den Aushau des Parkes nach dem chinesischen Häuschen, der Stätte ihrer Begegnungen mit dem Geliebten, selbst unten der kleine Hühnerhof mit dem Kaninchenstall und dem 188 Taubenschlag, wo sie so munter oft mit den geflügelten und ungeflügelten Geschöpfen gespielt hatte: das alles sollte sie jetzt missen, der Heimath beraubt durch des Vaters eigenen Willen, in die Ferne wandern. Dort am Horizont die Hügel im Sonnenduft hatten sie oft angelockt. Heute weckten sie keine Sehnsucht in ihr; heute war ihr das Nächste mehr als je ans Herz gewachsen.

Doch nicht lange vermochte Mathilde sich solchen Stimmungen hinzugeben; die frische Lebenslust, die sie beseelte, war allzu mächtig, der Spiegel, vor dem sie stand, während die Zofe ihr bei ihrer sommerlichen Toilette half, allzu freundlich und schmeichlerisch, als daß sie sich länger hätte schwärmerischen Gedanken hingeben können. Sie war ja schön und durfte sich am eigenen Bilde erfreuen; und diese Schönheit war nicht bestimmt zu verblühen, sondern sie sollte den Einzigen beglücken, den sie sich auserwählt hatte. Das Vollgefühl des Lebens erfüllte sie: was freigebig die Natur ihr verliehen, das konnte ihr der Wille der Menschen nicht rauben. Sie war fest entschlossen, heute an ihrem Geburtstage den entscheidenden Schritt zu 189 thun und die Wahl ihres Herzens, die dem Willen ihres Vaters widersprach, aller Welt zu verkünden.

Im Laufe des Vormittags fanden sich allmählich die Gratulanten ein: die Wirthschaftsinspectoren, der Pfarrer, der Schullehrer mit einigen jungen Dorfschönheiten in ausgewaschenen Festgewändern: stockend trugen sie die nicht minder ausgewaschenen Verse des Magisters vor. Allen diesen Glückwünschen war der Wunsch gesellt, Mathilde möchte noch lange auf diesem Schlosse in der Mitte ihrer Getreuen weilen.

Inzwischen rollten auch die Wagen in den Hof, welche die Gäste aus der Stadt brachten. Im raschelnden Atlasgewand, das sie mit krampfhafter Vorsicht zusammenraffte, entstieg Amanda dem Fond des wenig eleganten Wagens, während Berning ihr galant die Hand reichte. Auch Rostner, dessen sauber ausgebürsteter Hut von der Berührung mit der niedrigen Decke des Wagens einige unwillkommene Beulen davongetragen, entwand sich mühsam dem Gehege der engen Lohnkutsche.

Oben wurden die drei von Fräulein Lore empfangen, welche an diesem Festtage die Honneurs 190 machte. Ihre mit ächten Spitzen und bunten wehenden Bändern reichbesetzte Haube bewies, daß der heutige Tag für sie eine ganz besondere Bedeutung hatte. Mathilde empfing die Gratulanten einzeln oder in kleinen zusammengehörigen Gruppen in ihrem Wohnzimmer: die Begrüßung gewann dadurch an Innigkeit und mancher hatte etwas auf dem Herzen, das er bei diesem Anlaß ungestört aussprechen wollte. Im Saale, dessen vorspringender Balcon über den hier ausgetieften Teich herüberhing, warteten inzwischen die anderen, bis Lore sie in das Gemach der Freiin führte.

Amanda hatte Muße, den prächtigen, mit Stuckarabesken reichverzierten Saal zu bewundern, in dessen vier Ecken lebensgroße Marmorfiguren standen, Götter und Göttinnen, welche der Kunst des Bildners Ehre machten. Die Teppiche, die Trumeaux, die Lustres: alles erweckte in ihr das Gefühl des Neides; sie gedachte der niedrigen Zimmer in der Dienstwohnung ihres Mannes und empfand es tief, daß ihre eigene Existenz eine verfehlte sei. Sie trat auf den Balcon hinaus, um 191 Luft zu schöpfen: doch der Anblick des großartigen Parkes erhöhte nur ihre Beklemmungen.

Dicht an der riesigen Herkulesstatue des Saales stand eine schwerbepackte, unter dicken Blumensträußen fast erstickte Gestalt: es war Sturmwedel, der den ganzen Geburtstagsproviant, wie er es nannte, nachschleppen mußte. Es befand sich darunter auch ein elegantes Buch, eine Uebersetzung des Silius Italicus, welche Rostner der Freiin verehren wollte. Dieser sah sich inzwischen vergeblich nach Röschen um und escortirte dann seine Gattin vom Balcon herein, wohin ihr Berning gefolgt war. Das Zwiegespräch zwischen den Beiden schien ihm bedenklich zu sein; doch sie ließen sich darin nicht stören.

»Sie macht den Baron seiner Cousine gänzlich abspenstig,« sagte Berning; »ich hab' es selbst gesehen, mit welcher Koketterie sie dabei zuwerke geht. Es wäre am besten, Herr Director, sie riefen Röschen wieder ins Haus zurück.«

»Nein, nein, das geht nicht,« versetzte Amanda.

»Oder bringen sie wo anders unter; was soll aus dieser Liebelei herauskommen?«

192 »Die Eifersucht spricht aus Ihnen, Berning,« meinte Rostner.

»Ich leugn' es nicht, ich interessire mich für das Mädchen, das wissen Sie ja; doch sie darf hier kein Unheil anrichten und ihren Ruf nicht compromittiren. Dann tret' ich zurück, denn sie hat ja nichts als ihren guten Ruf!«

»Schätze hat sie freilich nicht,« sagte Rostner ärgerlich; »aber sie besitzt höhere Bildung als hundert Krösustöchter; sie ist hübsch, sehr hübsch, und wenn ich meine alten Klassiker lese, immer steht sie meiner Phantasie Modell. So denk' ich mir die Nausikaa, die Sulpicia des Tibull, die Virginia . . .«

»Warum nicht auch,« unterbrach Amanda spöttisch, »die Pallas Athene und die Aphrodite?«

»In der That, Herr Director,« sagte Berning; »ich sollte glauben, daß Ihre Gattin geeigneter sei, für die stolzen Schönheiten des Alterthums Ihrer Phantasie ein Vorbild zu geben; sie hat jene Plastik . . .«

»Die Plastik meiner Frau geht Niemanden etwas an,« sagte jetzt Rostner auffahrend; »was 193 aber Röschen betrifft, so muß ich das Mädchen in Schutz nehmen.«

»Natürlich,« meinte Amanda, »sie ist ja vollkommen in jeder Hinsicht.«

»Ich glaube nicht daran,« fuhr Rostner fort, »daß sie mit Felsen kokettirt; es sind Jugendgespielen . . .«

»Das ist eben das Gefährliche,« warf Berning ein, »da knüpft sich um so leichter etwas an.«

»Und im Uebrigen, Herr Berning . . .«

Rostner nahm die energische Miene an, vor der die Prima Angst hatte.

Amanda hielt es für nöthig, ihrem Mann in's Wort zu fallen:

»Aber, Rostner, hier ist nicht der Ort . . .«

»Laß mich! Ich bin einmal im Zuge. Sie legen Beschlag auf Röschen; das Mädchen soll's Ihnen recht machen; dann werden Sie die Gnade haben, um sie anzuhalten. Erst aber müssen Sie mir's recht machen, Herr Berning und das ist noch lange nicht der Fall!«

»Ich weiß nicht,« versetzte Amanda gereizt, »wo Du die Courage hernimmst, so zu sprechen.«

194 »Das wäre ein schlechter Vater,« sagte Rostner, »der nicht die nöthige Courage hätte, wo es das Glück seiner Tochter gilt. Man kann sich seinen Schwiegersohn in spe nicht malen, wie man ihn haben möchte, man schlägt oft die Hände über den Kopf zusammen beim Anblick des Individuums, welches die eigene Tochter entzückt. Ein Schwiegersohn ist für alle Väter ein Stein des Anstoßes; denn nach ihrem Geschmack fragt das Fräulein Tochter gar nicht, wenn sie das fremde Möbel sans façon in die Familie schleppt.«

»Ich kann mich nicht genug wundern, Rostner,« versetzte Amanda erstaunt, »über Dein degagirtes Wesen.« Doch der Direktor ließ sich dadurch nicht stören.

»Polirt aber muß das Möbel, das Bild muß etwas retouchirt werden. Ja, Herr Berning, ich brauche einen retouchirten Schwiegersohn. Sie sind mir zu sehr Junker, das gefällt mir nicht!«

»Doch wenn Röschen mich liebt, wie ich einmal bin . . .« warf Berning ein.

»Das wird sie nicht, da kenn' ich mein Mädchen zu gut.«

195 Diese Worte erbitterten den Oberlehrer noch mehr; er gelobte sich feierlich, Röschen müsse um jeden Preis die Seine werden.

Die Deputation der Ortsschulzen verließ gerade das Gemach der Baronesse und Lore erklärte sich bereit, die neuen Gäste beim Fräulein einzuführen. Sturmwedel wurde seiner Kränze entlastet und während der Direktor zum Silius Italicus griff, faßte Berning den Arm der Direktorin, um sie hereinzuführen; das veranlaßte aber eine heftige Interpellation des Gatten.

»Tertio non contrahitur . . . das fehlte noch! Man heirathet für sich selbst, nicht für die anderen, Herr Berning! Den Arm, Amanda! Berning kann Dir ja die Schleppe tragen, wenn er Lust hat!«

Und so schritt er siegreich ins Gemach, Amanda am Arm führend, während Berning achselzuckend folgte.

Lore, welche die Gäste eingeführt hatte, trat wieder zu Sturmwedel und bat ihn, Röschen zu rufen, sie müsse im Park sein. Der Pedell reichte dem Fräulein noch in aller Eile eine Prise, welche Lore, da Niemand zugegen war, mit Dank annahm, 196 und ging dann, um Röschen aufzusuchen, die Treppe herunter. Doch diese kam inzwischen über den Corridor, in der einen Hand einen Strauß, in der anderen das alte Buch.

Es ließ Lore keine Ruhe; Röschen hatte eine Andeutung über ihren glücklichen Fund gemacht, eine nur halbverstandene Andeutung; sie selbst aber hatte wieder im Traum den alten Großvater auf dem Lehnstuhl sitzen und mit den Quasten spielen sehen und ganz deutlich gehört, wie er sagte: »Ein jedes Testament ist ungültig, welches gegen die alte Erbordnung verstößt.«

Das erzählte sie jetzt Röschen in aller Eile; diese aber rief triumphirend aus:

»Ich habe sie ja, diese alte Erbordnung!«

Rasch setzte sich Lore die Brille auf . . .

»Es ist Lateinisch,« versetzte Röschen lächelnd, »da hilft auch die schärfste Brille nicht. Doch es ist alles in Ordnung, Lore, ich hab's durchstudirt. Es ist eine gedruckte Sammlung der alten Familienakte und der Großvater im Lehnstuhl behält jedenfalls Recht; doch ich will mein Geschenk erst machen, wenn hier alle zum Frühstück versammelt sind: die 197 Ueberraschung, die Freude muß eine gemeinsame sein.«

Inzwischen kehrte Sturmwedel unverrichteter Sache zurück. Röschen gab ihm das Buch, indem sie es ihm an's Herz legte; er solle es gut aufbewahren, bis sie aus dem Zimmer der Freiin zurückkomme; sie wolle zunächst nur mit ihrem Sträußchen in der Hand gratuliren.

Als sich Röschen und Lore entfernt, blätterte Sturmwedel in dem alten Buche, wog es in den Händen. Druck und Papier fand er herzlich schlecht; er begriff nicht, welchen Werth diese alte Maculatur haben könne. Da trat Berning aus dem Gemache der Freiin; Röschen war ihm jetzt so verhaßt, daß er nicht dieselbe Luft mit ihr athmen wollte. »Wäre nicht die Erbschaft des Onkels,« sagte er bei sich, »ich würde sie zertreten, wie eine Natter, die am Wege liegt.« Er bemerkt jetzt den alten Quarto, welchen Sturmwedel studirte. Dieser betheuerte, daß Röschen das alte Buch sehr in's Herz geschlossen habe, daß er es nicht aus der Hand geben dürfe; doch wagte er es nicht, dem Herrn Oberlehrer zu wehren, als dieser dreist danach griff. 198 In der That glaubte er, es sei vielleicht eine Quellenschrift, die er für sein Werk über die alten Familien des Kreises benützen könne. Wie erstaunte er, als er das Register durchflog und darin die Successionsordnung für Burgdorf entdeckte. Mit fieberisch zitternder Hand schlug er die Seite auf . . . und schon die ersten Zeilen ließen ihm keinen Zweifel über die Bedeutung des Actenstücks übrig. Es machte das Testament ungültig; das wußte er: dann behielt Mathilde die Güter; Felsen war nicht mehr moralisch gebunden, er konnte um Röschen anhalten. Er las und wußte nicht mehr, was er las; das Blut schoß ihm zu Kopfe; es war kaum eine Unwahrheit, wenn er zu Sturmwedel sagte, er ertrage den Blumenduft nicht, den narkotischen Odem, den ein Geburtstag ausströmt; dort an der frischen Luft werde ihm leichter zu Muthe und er werde den Sinn einer schwierigen Stelle besser entziffern können.

In höchster Aufregung hatte er rasch einen Plan gefaßt, der diesen verhängnißvollen Schachzug Röschens pariren sollte; es war ein gewagtes Mittel der Gegenwehr, aber er sah kein anderes, das sich ihm geboten hätte. Er trat auf den Balcon, 199 neigte sich über das Geländer, wobei er dem Pedell den Rücken zukehrte, riß in krampfhafter Hast zwei Blätter aus dem Buche und ließ es dann von dem Balcon herab in den Teich fallen. Mit den Worten: »Mir schwindelt . . . mein Gott, . . . das Buch!« hielt er sich halb zusammenbrechend am Geländer. Sturmwedel eilte herbei, indem er laut um Hülfe rief. Doch der Oberlehrer erholte sich bald wieder und schien nur untröstlich über das in den Teich gefallene Buch. Noch untröstlicher war natürlich Sturmwedel; er wußte, wieviel Röschen gerade an diesem Buche gelegen war und als Oberlehrer Berning wieder fest auf seinen Füßen stand, eilte er von dannen, um alle Kahnschiffer mobil zu machen; vielleicht lasse es sich wieder herausfischen; doch gerade an dieser Stelle war das Wasser sehr tief, da das Schloß auf einem Felsen errichtet war, der dem Teich hier ein steil abstürzendes Ufer gab. In seiner Bestürzung vergaß der Pedell sogar zu dem unfehlbaren Mittel zu greifen, womit er seine Aufregung sonst beruhigte; er zog zwar die Schnupftabaksdose hervor, doch klagte er sich, ehe er noch den knirschenden quiekenden Deckel abgehoben, der 200 Zeitversäumniß an und stürzte wie sinnlos von dannen.

Berning sah zwar die Anklagen voraus, die man gegen ihn erheben würde: doch es waren Verdächtigungen, die sich nicht beweisen ließen. In der That litt er bisweilen an Schwindelanfällen und konnte dafür ein Zeugniß seines Arztes beibringen. Das entscheidende Attentat aber machte alle Berechnungen Röschens zu schanden, die mit ihrem verwünschten Latein solches Unheil anzustiften suchte.

Während Berning sich diesen Erwägungen hingab, war Graf Bergheim in den Saal getreten; er hatte etwas Kampfbereites, Herausforderndes in seinem Wesen; vernichtende Sarkasmen schwebten auf seinen Lippen; er suchte seine Opfer. Gegen Felsen wäre er zurückgetreten; aber jeden andern Bewerber betrachtete er als einen Gegner, der ihm vor die Klinge müsse. Vielleicht war es dieser elegante, und, wie es schien, sehr selbstbewußte junge Herr, der dort auf dem Balcon stand, eine kokette männliche Schönheit, und schon als solche ihm höchst zuwider.

201 »Sie suchen?« fragte Berning mit einem anmaßlichen Tone, als ob er hier zu Hause wäre.

»Sie nicht, mein Herr!«

Nun nannte Berning seinen Namen und auch der Graf warf ihm den seinigen von oben herab wie ein Almosen zu.

»Es freut mich sehr, Herr Graf . . .«

»Warum denn eigentlich, mein Bester?«

»Ich habe schon viel von Ihnen gehört, auf der letzten Jagd beim Grafen Ottomar hier; auch beim Grafen Udo, mit dem ich auf dem besten Fuße stehe.«

»Was mich betrifft,« versetzte Bergheim achselzuckend, »so meß ich mir selbst den Schuh für den Fuß, auf den ich mich mit jemand stelle. Geben Sie hier im Hause Unterricht?«

»Was denken Sie, Herr Graf? Ich bin mit dem Prinzen Woldemar gereist.«

»Meinetwegen,« murmelte Bergheim, »in's Land, wo der Pfeffer wächst.«

»Nach Italien und Ägypten . . .«

»Berning – Berning« sagte der Graf nachdenkend, »richtig, ich täusche mich nicht. Ja, ja, 202 der Begleiter des Prinzen. Nachher sah man Sie in der Hauptstadt mit einem ganzen Bandladen von Ordensbändern herumlaufen; man zerbrach sich den Kopf über Ihre zahlreichen Verdienste; man fragte den Prinzen, er wußte von nichts. Weder der König Johannes von Abessynien noch ein Häuptling der Galla's hatte Sie decorirt; man gab Ihnen einen Wink – und die Ordensbänder verschwanden.«

»Das ist eine Verwechselung, Herr Graf!«

»Nein, nein, Berning . . . ich habe ein gutes Gedächtniß. Man kann Sie nicht einmal einen Ordensjäger nennen, Sie sind ein Ordenswilddieb.«

»Herr Graf!«

»Lassen wir das! Ich halte nicht viel von dem Zeug, wenn es auch ächt ist; doch solche falsche Garnituren . . . das erinnert ja an Cartouche und Schinderhannes.«

»Ich bin glücklicherweise in der Lage, das nicht auf mich zu beziehen.«

»Ich bin unglücklicherweise in der Lage, nur von Ihnen zu sprechen. Es ist unangenehm, wenn man Antecedentien hat; das ist wie Schlemihls 203 Schatten: man wird sie nicht los; doch da Sie einmal mit diesen unangenehmen Geschichten behaftet sind, was suchen Sie denn eigentlich hier?«

»Ich bin ein Freund des Hauses, ein Freund der Freiin Mathilde.«

»Zum Donnerwetter, mein Herr . . .«, fuhr jetzt der Graf auf, den schon die Möglichkeit, dieser Berning könne sein Nebenbuhler sein, in Feuer und Flammen versetzte.

»Ich begreife nicht . . .«

»Herr, sollten Sie die Dreistigkeit haben, die Freiin zu lieben?«

»Wer könnte mir das wehren?« sagte Berning, indem er dem Grafen trotzig gegenübertrat.

»Oder sollten Sie gar das grenzenlose Malheur haben, von ihr wiedergeliebt zu werden?«

»Das wäre ein seltenes Glück und ich würde stolz darauf sein.«

»Ein grenzenloses Malheur wäre es, sage ich Ihnen, denn Ihr letztes Stündchen hätte geschlagen!«

»Ich bin bereit,« sagte Berning, der nicht ohne Muth war, »Ihnen Revanche zu geben; ich 204 bin Cavalier wie Sie, wenn ich auch nicht von alten Raubrittern abstamme.«

»Alte Raubritter, diable,« rief Bergheim im höchsten Zorn, »der Drache spuckt Feuer und Flammen, ich will ihm den Kopf zertreten. Auf Pistolen, mein Herr!«

»Auf Pistolen!«

»Halt, halt!« rief der Graf plötzlich. »Alter schützt vor Thorheit nicht . . ., welche Unbesonnenheit! Ich hatte ja in der Eile die ganze kleine Geschichte vergessen, Sie wissen ja, die Affaire mit dem Knopfloch! Doch wenn Sie sich unterstehen sollten, Ihre Augen zur Freiin Mathilde zu erheben . . . wer weiß? Die Mädchen lassen sich täuschen. Ihr Schneider hat dafür gesorgt, daß Sie aussehen wie ein Gentleman, und auch Ihr Barbier hat Geschmack. Sie haben einen Bart, um den Sie die Prima beneiden muß. Gleichviel . . . Sie und Freiin Mathilde dürfen nie in Einem Athem genannt werde. Da greif' ich eher zur Reitpeitsche, mein Herr, und mit Hülfe einiger Hofhunde jag' ich diesen Romeo zum Teufel, daß 205 er nicht mehr wissen soll, ob die Lerche oder die Nachtigall zuletzt gesungen hat!«

»Das ist meine Sache!« ertönte plötzlich eine Stimme hinter den Beiden; es war Norbert, der die letzte Rede des Grafen gehört und daraus entnommen hatte, daß Berning ein Nebenbuhler sei, der sich der Gunst der Freiin rühme, »lassen Sie mich diesen Herrn zur Rede stellen!«

In dem eleganten jungen Manne erkannte der Graf, der sehr erstaunt war über den neuen aus dem Boden wachsenden Paladin der Freiin, nicht gleich den Maler, den er nur unten im Ahnensaale in sehr fragwürdiger Toilette gesehen. Norbert wandte sich heftig gegen Berning und zieh ihn der Verleumdung; vergeblich erklärte dieser, daß hier ein Mißverständniß obwalte; doch als Norbert erwiderte, es sei schlimm genug, wenn durch ein Mißverständniß die Ehre einer jungen Dame angetastet werde, die ihm am Herzen liege wie seine eigene Ehre, da hielt sich Graf Bergheim nicht länger zurück, er fragte diesen so plötzlich in die Schranken tretenden Ritter nach seinem Recht, von der Freiin Mathilde in solchem Ton zu sprechen.

206 »Darf ich fragen,« entgegnete Norbert, »wer Ihnen zu solcher Frage ein Recht giebt?«

Jetzt empfand der Graf die ganze Freude, einen ebenbürtigen Gegner zu finden; er schob Berning beiseite, wie um den Kampfplatz frei zu machen für ein ritterliches Kampfspiel, und dieser zögerte nicht, das Feld zu räumen, gedemüthigt durch die traurige Rolle, die er hier spielte, aber doch froh, dem doppelten Angriff, der sich gegen ihn gerichtet hatte, zu entgehen.

Der Graf hatte Norbert inzwischen erkannt.

»Ich bin,« sagte er zu ihm, »wie Sie wissen, ein Verwandter der Gutsherrin und Sie werden einsehen . . .«

»Nichts seh' ich ein. Die Freiin ist ihre eigene Herrin und hat Niemandem Rede zu stehen, am wenigsten den Verwandten, die auf ihr Erbe lauern.«

»Nein,« sagte der Graf, »die verhüten wollen, daß sie das Erbe verliert. Es ist keine Kunst, einen leichtsinnigen Liebesroman anzuzetteln, aber man überlege die Folgen. Es ist unverantwortlich, das arme Kind um einen schönen Besitz zu bringen. 207 Und was tauscht sie dafür ein? Die Poesie des Ateliers, die Concurrenz der Modelle; sie tritt aus dem Rahmen ihrer Familie, sie steigt unter ihren Stand herab. Das alles für eine Liebe von gestern, die vielleicht ›kein Morgen‹ hat.«

»Niemand soll über meine Gefühle zu Gericht sitzen. Sie wollen mir hoffentlich nicht den Weg zur Herrin des Schlosses versperren? Doch wer ist der Herr, der es wagte, sich ihrer Gunst zu rühmen?«

»Wenn Sie einen Rivalen suchen,« sagte der Graf, »er steht vor Ihnen!«

»Jetzt ist nicht der Augenblick; ich bin im Begriff, der Baroneß meinen Glückwunsch darzubringen. Sie verwalten hoffentlich hier kein Thürsteheramt und der Schlüssel zu diesem Himmelreich liegt nicht in Ihren Händen.

Raum ihr Herrn, dem Flügelschlag
Einer freien Seele!«

Mit diesen Worten eilte Norbert an dem Grafen vorüber in's Boudoir Mathilden's, während dieser mit dem Stock in der Luft herumfocht. Es gelüstete ihn schon lange nach einer solchen blutdürstigen Motion; er war bereit, sich mit dem 208 Maler zu schlagen, da die Künstler für Gentlemen gelten, obgleich den sogenannten Adelsbrief des Genies oft nur die Reklame ausstellt. Das junge Geschlecht tauge nichts: man müsse ihm zeigen, daß man eine gute Klinge führe, und ihnen ein memento mori ins Gesicht schreiben.

Als der Graf noch mit diesen Fechtübungen beschäftigt war, trat das festlich geschmückte Kränzchen ins Zimmer, das sich etwas verspätet hatte. Dafür waren es nicht nur junge, sondern auch gelehrte Damen.

»Aber Herr Graf,« rief Sabine, »warum fuchteln Sie denn so lebensgefährlich in den Lüften herum?«

»Willkommen, meine Damen,« sagte Graf Bergheim mit galanter Verbeugung, »ich wehre mich, Fräulein von Bomst.«

»Wogegen?«

»Gegen meine eigenen dummen Gedanken: ich komme mir so entsetzlich überflüssig in der Welt vor. Eine Whist- und L'hombrepartie, eine Unterhaltung im Casino, zu Hause das Studium der . . . Wirthschaftsrechnungen.«

209 Da declamirte Auguste pathetisch:

»Beatus ille, qui procul negotiis
Paterna rura bobus exercet suis.
«

»Das klingt recht schön,« sagte Bergheim, »es ist ja sehr anständig, wenn man die väterlichen Gefilde mit seinen Ochsen durchpflügt; doch wenn die Bestien die Klauenseuche bekommen . . . nein, nein, was mir fehlt, ist die Jugend, und die Jugend ist eben alles. Hat man gar ein junges Herz, so ist man ein Tantalus.«

»Ach,« meinte Lise, »das muß zu langweilig sein, in alle Ewigkeit mit offenem Munde nach einer Frucht zu schnappen, die immer wieder fortschnellt.«

»Ganz so ergeht es mir,« sagte der Graf, »man wird nicht mehr geliebt.«

»Das käme auf den Versuch an,« meinte Sabine.

»Diese Worte klingen sehr tröstlich,« versetzte der Graf. »Fräulein von Bomst, Sie laden viel auf Ihr Gewissen!«

»Und was denn?« fragte Sabine.

»Die Verantwortung dafür, daß ich mich 210 vielleicht in einen Gecken verwandle, der auf Eroberungen ausgeht, sich den Schnurrbart kräuselt und jungen Mädchen mit ausdrucksvollen Mienen die Hand drückt.«

»Das geht ganz gut,« sagte Sabine, als der Graf mit ihrer Hand die Probe machte. »Das steht Ihnen gar nicht übel. Ich bin allerdings nicht für die jungen Leute passionirt; ich liebe die Albums nicht, in denen nur die erste Seite beschrieben ist; sie müssen dick und vollbeschrieben sein. daß man darin herumblättern kann.«

»Bei mir können Sie blättern, Fräulein von Bomst.«

»Sie sind alt,« fuhr Sabine fort, »und haben ein junges Herz; ich bin jung und habe ein altes; ich lache gern über die Thorheit der Menschen. Was heirathet man denn bei einem jungen Manne? Die Zukunft, das ist eine obscure Gegend; bei einem alten heirathet man die Vergangenheit; da weiß man doch, was man hat.«

»Oft 'was Rechtes,« meinte Auguste.

»Von Ihren Lippen,« sagte der Graf zu 211 Sabine, »quillt süße Weisheit . . . Nectar und Ambrosia!«

Jetzt trat Mathilde mit dem großen Gefolge ihrer Gäste aus dem Boudoir; es war doch dort zu eng geworden, da Lore als Oberceremonienmeisterin allmählich vergessen hatte, ihres Amtes zu walten.

Die jungen Damen des Kränzchens brachten ihre von der klassischen Muse angehauchten Geschenke dar: Sabine eine Stickerei in deutsch-lateinischen Buchstaben, das Latein in Gold, die Uebersetzung in Silber; Auguste eine elegant eingebundene Ode des Horaz in deutschen Reimversen; Anna ein Kissen, auf welches Amor und Psyche gestickt waren; Gretchen ein Armband nach dem Modell desjenigen, welches Schliemann in den Löwengräbern von Mykene gefunden hatte; Lise eine Häkelarbeit: »Ich habe den Herkules am Spinnrocken der Omphale hineingehäkelt; die Männer gefallen uns doch am besten, welche Ordre pariren; die Häkelei ist riesig groß und ich habe mich bodenlos dabei gelangweilt.«

Mathilde empfing nicht ohne Rührung alle diese Geschenke; es freute sie, daß diese jungen 212 Mädchen ihr so warme Theilnahme zuwendeten. Gleichwohl konnte sie ein leises Lächeln nicht unterdrücken über diese weiblichen Arbeiten, bei denen die Gelehrsamkeit Pathen gestanden hatte.

»Ich werde,« sagte sie, »diese Geschenke als eine liebe Erinnerung an Ihr schönes Kränzchen aufbewahren. Eine Erinnerung . . . denn ich muß das Schloß in den nächsten Tagen verlassen.«

Diese Ankündigung erregte allgemeine Bestürzung; Graf Bergheim erklärte, das dürfe nicht sein und bat das Fräulein, es noch einmal wohl zu erwägen. Doch Mathilde fuhr fort:

»Ich kann den Wunsch meines Vaters nicht erfüllen, meinem Herzen nicht Zwang anthun. So muß ich den Bestimmungen des Testamentes gehorchen und auf diese Güter verzichten. Allen Freunden und Freundinnen sage ich den wärmsten Dank für ihre Liebe; es ist mein Abschiedsgruß!«

Vergeblich hatte sich Röschen nach Sturmwedel umgesehen, doch er mußte ja in der Nähe sein; jetzt war der entscheidende Augenblick gekommen.

»Nein, Baroneß Mathilde«, sagte sie vortretend, »Sie dürfen nicht von hier scheiden. Ihnen bleibt 213 der Väter Besitz und zugleich des Herzens freie Entscheidung: daß Sie dies dürfen, das ist mein Geburtstagsgeschenk.«

»Sie sprechen in Räthseln«, versetzte Mathilde.

»Was will die kleine Hexe?« meinte Graf Bergheim.

»Herr Graf,« fuhr Röschen fort, »eine Successionsordnung, vom Kaiser bestätigt, darf durch kein Testament willkürlich geändert werden?«

»So ist's«, sagte der Graf, »wenn's eine solche gäbe.«

»Ich habe sie gefunden und mein Latein gab mir den Schlüssel dazu.«

»Doch wo ist die Urkunde?« fragte der Graf.

Jetzt erschien Sturmwedel mit gesenktem Haupte und irren Mienen. Röschen eilte auf ihn zu.

»Sturmwedel . . . das Buch!«

Doch dieser sprach wie gestört vor sich hin:

»Der Teich ist zu tief, sagen sie . . .«

»Das Buch, das Buch!«

»Da drunten . . . plumps!«

»Reden Sie, was ist geschehen?« rief Mathilde. Als auch der Graf ihn sehr energisch aus seinen 214 wachen Träumen weckte, da sammelte Sturmwedel seine Gedanken und erzählte, was vorgegangen. Allgemein war der Ausdruck der Entrüstung über Berning, den nur Amanda vertheidigte, trotzdem Rostner erklärte, er werde dafür Sorge tragen, daß der Oberlehrer aus seinem Amte entlassen werde. Es drängten sich die verschiedensten Vorschläge, wie man das Buch aus der Tiefe hervorholen könne; doch Mathilde sagte entschlossen:

»Nein, nein! Es soll nicht sein! Nicht Hab und Gut, nur die Liebe soll uns glücklich machen. Ich habe keinen anderen Besitz mehr, als den reichen und unverwüstlichen meines Herzens. Am heutigen Tage wollt' ich Ihnen allen meine Verlobung anzeigen; jetzt ist der Augenblick dazu gekommen, nachdem das flüchtige Aufleuchten eines äußeren Glückssterns wieder erloschen ist. Dies ist mein Bräutigam . . . Maler Norbert mit seinem Künstlernamen, sonst Graf Rainsberg!«

Der ersten Überraschung folgten herzliche Glückwünsche. Auch Bergheim trat näher und bat den Maler um Entschuldigung: er erkenne jetzt seine begründeten Ansprüche und sehe sein Unrecht ein.

215 »Meine Glückwünsche haben Sie schon,« sagte Röschen, Mathilde küssend; »doch glauben Sie nicht, daß ich Sie jetzt so ohne Ausstattung ziehen lasse. Es ist ja ganz schön, ein Herz und eine Hütte; doch wenn man die Hütte in einen Palast verwandeln kann, so ist's noch schöner . . . und ich kann das!«

Alle blickten auf Röschen erstaunt; doch so seltsam auch ihre Worte klangen, mit vollem Vertrauen.

»Credo, quia absurdum est«, sagte Sabine.

»Ich habe den Zauberschlüssel,« fuhr Röschen fort, »ich verdank' ihn meinem guten Vater. Mögen die Wogen zusammenschlagen über dem alten Buche: ich trotze ihnen wie dem bösen Willen und der mangelhaften Weisheit des Herrn Dr. Berning, der nicht zu Ende zu lesen versteht. Ich bin die gute Fee aus dem Märchen und thue mein gutes Werk nicht halb. Ich bin eine Geisterseherin und höre, was ihre Ahnen darüber sprechen, wenn die alten Bücher gespenstig mit ihren Deckeln zusammenschlagen. Verzagen Sie nicht . . . die Güter bleiben in Ihrem Besitz. Ich kehre wieder und bringe Ihnen Ihr Glück!«

216 Und Röschen verschwand durch die Thüre, welche in die Bibliothek führte.

Dort saß allerdings ein Wesen, das ihr einen gelinden Schreck einflößte: es war kein gespenstiger Ahnherr, der aus dem Rahmen seines Bildes herausgetreten war; es war ein Wesen von Fleisch und Blut. Felsen hatte sich in die stillen Räume aus dem Geburtstagstrubel zurückgezogen; er hatte der Freiin noch nicht gratulirt: er war am wenigsten berechtigt, ihr einen Glückwunsch darzubringen und er zögerte damit so lange wie möglich.

Als er Röschen erblickte, sprang er auf mit solcher Hast, daß einige Bücher, die er zur Durchsicht aus den Fächern der Repositorien herbeigeholt, vom Tische auf die Erde fielen.

»So kommt Dornröschen zum Prinzen: doch wie, es ist die Fee Viviana, die den gelehrten Merlin bei sibyllinischen Büchern aufsucht. Sie kommt zu einem, der heute ein böses Gewissen hat.«

»Vielleicht kann ich's erleichtern,« sagte das Mädchen zaghaft; sie zagte vor dem Glücke, das ihr bald die Pforten öffnen mußte: ihr war zumuthe als ob die Weißdornhecke Merlin's sie mit ihren 217 Blüthen überschüttete. Rosig überhaucht stand sie da und entblätterte die Rose in ihrer Hand.

»So sprich, was ist geschehen?« fragte Felsen.

»Freiin Mathilde hat uns allen erklärt, daß sie mit dem Maler Norbert, einem Grafen Rainsberg, verlobt sei.«

»Und mir hat sie längst erklärt,« versetzte der Baron, »daß sie mich nicht liebe. Sie hat mich freigegeben, Röschen, und jetzt –

»Halt, halt,« sagte das Mädchen schalkhaft, »Sie machen von Ihrer Freiheit einen thörichten Gebrauch.«

»Röschen,« rief jetzt Felsen, hingerissen von ihrer holdseligen Anmuth, »willst Du die Meine sein?«

»Sachte, sachte,« sagte Röschen, »alle meine Bücher erheben lauten Protest gegen solche Untreue. Nein, nein, wenn Mathilde nicht im Besitz ihrer Güter bleibt, kann ich demjenigen nicht meine Hand reichen, der sie daraus vertrieben hat. Was würde die Welt dazu sagen? Ich würde seine Mitschuldige.«

»Nehmen Sie diese Erklärung zurück, Röschen . . . . ich bitte Sie! Die Güter sind ein für allemal verwirkt, da hilft nichts mehr!«

218 »Wer weiß . . . . helfen Sie mir nur jetzt!«

»Und worin?«

»Einen Knopf suchen, an einer vom Bild des Urgroßvaters verhängten Wand.«

»Und dann?«

»Folgen Sie mir in's Archiv!«

Der Baron folgte dem Mädchen, er hängte auf ihren Wunsch das Bild des Urgroßvaters von der Wand ab; sie suchten Kopf an Kopf, Herz an Herzen nach dem verhängnißvollen kleinen Knopf in der Tapete, unter deren Arabesken er versteckt sein mußte.

Endlich . . . und Röschen hatte ihn gefunden; sie drückte darauf, eine Tapetenthür öffnete sich; in dem Fach lag ein Kistchen; daran hing ein Schlüssel am Bande. Röschen schloß auf und zog eine mit vielen Siegeln versehene Urkunde hervor.

Felsen sah erstaunt dem Treiben des Mädchens zu, das ihm eine kleine Zauberin zu sein schien: in allen ihren Bewegungen lag so viel Liebreiz, daß er darüber fast das geheimnißvolle Werk vergaß, mit dem sie beschäftigt war.

219 Sie sah die Urkunde gewissenhaft durch; dann reichte sie dieselbe Felsen mit schalkhaftem Lächeln:

»Vielleicht behält Mathilde ihre Güter doch!«

Der Baron hatte kaum Ruhe genug, das Dokument zu prüfen; er sah auf den ersten Blick, was es enthielt.

»Und Deine Bedingung ist erfüllt und Du bist die Meine!«

Er schloß Röschen an das Herz und drückte einen glühenden Kuß auf ihre Lippen.

Sie kehrten zurück zur Gesellschaft, die, auf's äußerste gespannt, Röschen's Erscheinen erwartete. Diese nahm Felsen das Document aus der Hand und reichte es Mathilden.

»Hier . . . . mein Brautgeschenk!«

»Was bedeutet das?« rief diese.

»Herrn Berning ist eine Randbemerkung am Schlusse jenes in dem alten Buche abgedruckten Documentes entgangen; eine schriftliche Randbemerkung, durch welche einer der Ahnherren darauf hinwies, daß die Urschrift in einem geheimen Fache des Archiv's enthalten sei, hinter dem Bilde des Urgroßvaters. Ich eilte in die Bibliothek . . . mit 220 Hülfe des Barons von Felsen, der dort unter seinen Büchern saß, fand ich jenes Fach: hier ist das archivalische Document!«

»Mit allen Siegeln,« fügte Felsen hinzu, »auch dem kaiserlichen behaftet. Und gleich der erste Satz lautet: ›Die Güter erben fort vom Vater zum Sohne oder auch vom Vater zur Tochter. Ungültig ist jedes Testament, das gegen die Erbordnung verstößt!‹«

Die alte Lore zerdrückte eine Thräne in ihrem Auge; die jungen Mädchen aber brachen, ihre Sommerhüte mit den wehenden Bändern schwenkend, in einen Jubelruf aus.

»So bin ich der erste,« sagte Felsen zu Mathilde, »der Dir Glück wünscht zu dem ruhigen Besitze und zugleich zu dem eroberten Bräutigam Graf von Rainsberg, meinen Glückwunsch! . . . . Röschen hat mir Alles gesagt und noch dazu Alles, was ein Mädchen sagen kann. Wir Schatzgräber haben dort auch für uns einen Schatz gefunden; das liebe Mädchen ist meine Braut.«

Mathilde umarmte Röschen mit inniger 221 Rührung und des ganze Kränzchen nahte sich glückwünschend.

»Das fabelhafte Glück,« meinte dann Auguste.

Der Graf aber trat an Sabine heran.

»Fräulein von Bomst . . . .«

»Ein anderes Mal, Herr Graf, hier kommen wir in's Gedränge.«

»Du hast Recht, Engel. Doch diese Art von Gedränge besteht schon seit Erschaffung der Welt; hier kann man beim besten Willen nicht originell sein!«

»Doch Dein Latein . . . . Röschen?«

»Hat seine Schuldigkeit gethan und ich will jetzt nur noch eine Sprache sprechen, die Sprache des Herzens!«

 


 


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