Rudolf von Gottschall
Schulröschen
Rudolf von Gottschall

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Zweites Kapitel.

Die früher so altersgraue Wohnung des Directors, die neben dem Gymnasium lag, hatte seit zwei Jahren einen neuen Anstrich erhalten, dank den Bemühungen seiner Gattin, welche durch ihre persönliche Liebenswürdigkeit bei den maßgebenden Behörden der Provinz diese Verschönerung durchgesetzt hatte. Indeß konnte das Haus dadurch keine modische Eleganz gewinnen; dazu waren die Zimmer zu niedrig, die Treppen zu eng; die Vorhallen mit ihren alterthümlichen Gewölbrippen hatten etwas Dumpfes; kurz, die neue Gewandung wollte nicht recht passen zum engbrüstigen und unmodernen Inneren des Hauses.

Das Zimmer des Directors lag in dem etwas höheren Erdgeschoß. Hier hatte Amanda – so hieß seine Gattin – durch Ankauf eines höchst eleganten 22 Schreibtisches von Mahagoni, durch eine ganze Niederlage von Nippsachen, die sie auf den kleineren Spiegel- und sonstigen Tischen verstreute, alles mögliche gethan, um dem Zimmer ein etwas modisches, geputztes Aussehen zu geben. Wenn nur nicht die alten, bis an die Decke reichenden Bücherregale gewesen wären, mit ihren oft unscheinbaren Lederbänden oder hin und wieder sogar zerfetzten Pappdeckeln! Das stand ja alles nicht in gerader Reihe aufmarschiert, die einen wohlthuenden Eindruck auf das Auge gemacht hätte; das war ein unregelmäßiges Durcheinander, in welches auch die Hand der Directorin keine rechte Ordnung zu bringen vermochte.

Eben saß der Director eifrig bei seiner Arbeit; er verfaßte ein neues Horazlexikon; die kleinen Tische hatte er an den Schreibtisch herangeschoben, um alle Ausgaben des Horaz gleich bei der Hand zu haben; der Nippkram war auf die Fensterbretter postirt worden, wobei einer oder der andere kleine Chinese im Getümmel etwas geschunden wurde. Dafür lachte jetzt freundlich zur Linken der Meinicke an, zur rechten der Bentley und die Scholien des Porphyrio lagen auf der Erde zu seinen Füßen. 23 Packete Zettel waren vor ihm auf dem Schreibtische aufgethürmt: das war der Buchstabe B. und jetzt war er beim E. angekommen und schrieb mit Behagen aus dem Gedächtniß die Redewendungen nieder, welche sich an das eine oder das andere mit diesem Buchstaben beginnende Hauptwort knüpften.

In dieser Beschäftigung störte ihn seine Gattin, welche bei ihrem Eintritt mit Mißvergnügen bemerkte, daß alle die kleinen Porzellangötterchen und sonstigen Nippfiguren ins Exil am Fenster geschickt worden waren.

Director Rostner war stets so in seine Arbeit vertieft, daß ihn der wildeste Schlachtlärm kaum hätte aufscheuchen können: doch wenn das seidene Gewand seiner Frau ins Zimmer rauschte, da empfand er stets ein nervöses Prickeln bis in die Fingerspitzen; ihm war zumuthe, als wäre er von dem Schlage einer elektrischen Batterie getroffen worden; er fuhr in die Höhe, auch wenn die schönste dichterische Wendung des Meisters von Venusia ihn mit ihrem Sirenenzauber gefesselt hielt.

»Wir erhalten ja Besuch . . . Frau Sturmwedel sagte mir . . .«

Rostner hoffte das Gespräch mit seiner Gattin 24 abzukürzen, indem er ihr über die Schulter hinweg die Visitenkarte des Baron Felsen überreichte.

»Ein Schüler von Dir?« fragte Amanda.

»Ja, und zwar ein guter, fleißiger Schüler!«

»Du wirst den Baron mir hoffentlich vorstellen. Du hast mir ja so viele Predigtamtscandidaten mit krummgezogenem Johannisscheitel und erst neulich einige literarische Vagabonden mit einer Wäsche von fragwürdiger Sauberkeit vorgestellt, welche alle die Ehre hatten, Deine Schüler zu sein. Ein Baron ist doch etwas anderes . . . und ich liebe den vornehmen Umgang.«

»Gewiß werde ich Dir den Baron vorstellen . . . er war ja mehrere Jahre lang in Pension bei mir und einer meiner Lieblinge!«

Rostner tauchte die Feder wieder ein, blätterte in seinen Zetteln herum und deutete damit seine Überzeugung an, daß der Gesprächstoff, der seine Gattin herbeigeführt habe, jetzt wohl erledigt sei und er wieder an seine Arbeit gehen könne.

Amanda berührte ihren Mann leise mit der Spitze ihres Sonnenschirms, schob Bentleys Horazausgabe von dem nächsten Stuhl, daß sie etwas 25 unsanft zur Erde fiel und sprach dann die fatalen Worte:

»Ich habe mit Dir zu sprechen, Rostner.«

Der Director warf noch einen wehmüthigen Blick auf die Zettel, die vergeblich jetzt auf die unsterblichen Worte des Horaz harrten, spritzte die Feder aus und hörte mit stummer Ergebung.

»Ich habe mir's überlegt, Amadeus,« begann Amanda mit ihrer sonoren Stimme, die einen gewissen befehlenden Ton hatte, »es wird sich kaum anders einrichten lassen. Wenn wir drei Pensionäre nehmen, brauchen wir Röschens Zimmer.«

Rostner rückte mit einem verdrießlichen »Hm, hm,« auf seinem Stuhle hin und her.

»Ich will ja Röschen nicht verstoßen,« fuhr Amanda fort, »obschon ich finde, daß ihre gelehrten Conventikel unser Haus lächerlich machen.«

»Nun, nun,« meinte der Gatte, »Gelehrsamkeit ist doch nichts Lächerliches.«

»Bei alten Herren nur bisweilen, wenn sie zur Unzeit zutage tritt . . . bei jungen Mädchen immer!«

»Das will ich doch nicht sagen, liebe Amanda!«

26 »Aber ich will es sagen, lieber Amadeus! Natürlich giebst Du es nicht zu; denn Du trägst ja die Schuld daran, daß Röschen mit Latein und Griechisch besser Bescheid weiß als mit Plätten und Kochen.«

»Geistige Bildung,« versetzte der Director, nachdem er sich vorsichtig geräuspert hatte, um auch für eine längere Rede vorbereitet zu sein, »sie ist eine Zier auch des weiblichen Geschlechts; denn sie ist ein Theil unserer Menschenwürde und ich kann es nicht dulden, daß . . .«

Da fiel ihm Amanda in's Wort, welche gegen die längeren Reden des Gatten, die sie als »Schulreden« zu bezeichnen pflegte, eine unverhohlene Abneigung zeigte:

»Du ereiferst Dich ja ordentlich, lieber Amadeus! Mir fehlt es wohl an geistiger Bildung? Es hapert wohl mit meiner Menschenwürde? Doch lassen wir das. Galanterie ist einmal keine Tugend der Gelehrten; ich wollte über Röschen mit Dir sprechen.«

»Das arme Mädchen!«

»Arm? Warum? Reich sind auch meine Kinder 27 nicht; doch ich liebe Röschen trotz ihrer Eigenheiten nicht weniger als Du. Ich will für sie sorgen . . . sie muß heirathen.«

»Heirathen?« rief Rostner befremdet aus.

»Gewiß! Ich will doch wahrlich ihr Glück!«

»Heirathen? Sie hat nie davon gesprochen, sie denkt nicht daran.«

»Aber ich denke daran . . . und auch andere. Sie gefällt, sie macht Eindruck; sie ist ja ganz hübsch und artig. Viele Männer begnügen sich damit; sie verzichten auf das Stattliche der ganzen Erscheinung, das doch nachher für eine Frau sehr in's Gewicht fällt.«

»Du bist freilich ganz anders,« versetzte der Director . . . nicht ohne einen tiefen Seufzer, »Du imponirst.«

»Ich wünschte besonders Dir zu imponiren. Doch das beiläufig, der Geschmack ist eben verschieden. Oberlehrer Berning interessirt sich für das Mädchen.«

»Berning?«

»Er sprach mit mir von Röschen . . .«

»Wirklich? Ich glaubte, er interessire sich mehr 28 für Dich!« Etwas wie ein siegesfreudiges Lächeln glitt über Amanda's Züge; es war ja ihr Stolz und Triumph, daß sie den Männern gefiel; doch als ehrbare Gattin und Mutter mußte sie diese flüchtigen Empfindungen verleugnen, und mit einer leisen Verschämtheit sagte sie:

»Thorheit . . . er ist eben galant.«

»Sehr galant,« fügte der Gatte hinzu.

»Das befremdet Dich wohl? Dergleichen steht nicht in Deinen Büchern; doch es ist die Sitte der feinen Welt. Du kannst sehr ruhig sein: er liebt Röschen und hat bei mir unter der Blume um ihre Hand angehalten.«

»Berning?« rief Rostner ärgerlich, indem er die Glossen des Porphyrio, ohne es zu wissen und zu wollen, mit dem Fuße fortstieß, »er ist mir nicht genehm! Das ist so einer der modernen Herren, welche den Gentleman spielen, von Kopf zu Fuß correct nach dem Modejournal und mit so vielen noblen Passionen, als ihre Mittel nur irgend ihnen erlauben. Ich mag sie alle nicht – diese Firlefanze, die sich ihres Lehrerberufes imgrunde schämen und den großen Herren spielen wollen. Unser 29 Ideal bleibt immer der Dorfschullehrer mit dem Baculus, der Mann im schlichten Rocke, der nichts kennt als seinen Beruf. Nur wer keine anderen Gedanken hat als die Jugend zu bilden: das ist der echte Lehrer. Dieser Berning tanzt, geht auf die Jagd, ist mit den Landjunkern Du und Du, macht den schönen Frauen und Mädchen den Hof; er trinkt, ja er spielt vielleicht; er ist mir der mißliebigste von allen Lehrern der Anstalt!«

Amanda zuckte mit den Achseln:

»Das thut mir leid, aufrichtig leid! Ich hoffe Du wirft dies Vorurtheil ablegen; denn Berning ist ein geeigneter Gatte für Röschen und er wirbt um sie.«

»Das befremdet mich! Dieser Glücksjäger und unser armes Röschen . . . ich glaube nicht daran. Er ist der Mann, eine reiche Frau zu berücken, da er viel Geld braucht, und es wird ihm auch gelingen, durch sein bestechendes Wesen eine solche Goldschöne zu berücken. Er und Röschen . . . es kann nicht sein . . . ich glaube fast, Ihr wollt mich sicher machen.«

30 »Amadeus!« rief Amanda jetzt entrüstet, »ich verbitte mir solche beleidigende Annahmen.«

Sie erhob sich von ihrem Stuhle mit zornfunkelnden Augen; der Director schrumpfte auf dem seinigen etwas zusammen und trat nach dem kühnen Ausfalle den Rückzug an.

»Entschuldige nur; es war nur eine Variante, die mir so herausfuhr; es wäre ja ein Abgrund von Schlechtigkeit, wenn Ihr hinter meinem Kinde Euch vor mir verstecken wolltet.«

»Verschone mich künftig mit solchen Lesarten,« versetzte Amanda, im Zimmer auf- und abgehend, um ihre Erregung zu bemeistern.

»Es handelt sich um Röschen's Glück,« fuhr sie fort; »Berning hat Connexionen, er wird es weit bringen. Die Hochzeit kann bald stattfinden, die Aussteuer macht ja nicht viel Mühe. Sie geht in das Haus des Gatten, wir erhalten Platz für unsere Pensionäre und uns allen ist geholfen.«

»Das geht alles sehr rasch,« versetzte Rostner, »ich kann so rasch nicht folgen. Doch was sagt denn Röschen dazu?«

»Das wollen wir bald hören,« erwiederte 31 Amanda, indem sie die Klingelschnur zog und dem rasch erscheinenden Hausmädchen den Befehl erteilte, das Fräulein herbeizurufen.

Auch Rostner hatte sich jetzt erhoben; seine Züge hatten jenen energischen Ausdruck angenommen, der ihnen sonst fremd war, aber dann nicht ausblieb, wenn er sich zu einem Kampfe mit der widerspänstigen Prima rüstete.

»Nichts geschieht ohne Röschen's freie Zustimmung. Will sie den Berning, nun . . . da knöpf' ich meinen Rock zu und stecke meine Bedenken in die Tasche. Will sie ihn nicht, so wird sie nicht gequält, so wahr ich Rostner heiße!«

Es öffnete sich die Thüre und ein allerliebster Mädchenkopf sah herein. Wer da von Schulröschen's gelehrtem Cirkel gehört, der mußte glauben, daß das junge Mädchen blasse Wangen habe, abgehärmt durch unzeitige Studien, daß sie ein kleiner eckiger weiblicher Pedant sei mit jener Verdrossenheit, welche für eine Mitgift aller Gelehrsamkeit gilt. Doch Röschen war ein munteres frisches Mädchen, mit ungetrübten blauen Augen, die nur bisweilen aus einem schalkhaften Hinterhalt hervorzublicken schienen, mit 32 feingeschnittenen Lippen, um die meistens ein gewinnendes Lächeln spielte, mit dunklem vollem Haar, das losgelöst die ganze schlanke Gestalt umfließen mochte.

»Ist es denn wahr?« rief sie hereinhüpfend, »wir bekommen Besuch? Du ließest mich ja rufen. Gustav, Papa? O, ich besinne mich sehr wohl auf ihn: er war ein großer Junge und ich ein kleines Mädchen, aber er spielte oft mit mir.«

»Ja«, versetzte Rostner, »der Baron kommt, um die Stätte wiederaufzusuchen, wo er einen Theil seiner Jugend verlebt hat.«

»Das ist schön!« rief Röschen in die Hände klatschend, »o, wie das alles wieder vor meiner Seele aufgeht, wenn ich darüber nachdenke. Wie oft hat er mit mir gekegelt! Ich hatte solch' ein kleines Kegelspiel für's Zimmer. Es lärmte nicht allzusehr, aber wir lärmten destomehr, wenn alle Neune fielen. Da blies ich Trara in der hohlen Hand und er nahm die Kindertrompete und blies eine Fanfare!«

»Das muß sehr hübsch gewesen sein«, warf Amanda spöttisch ein; »hat Euch denn Niemand verboten, solchen Lärm zu machen?«

33 »O, nein«, versetzte Röschen, »Mama saß dabei und lachte. Einmal trug er mich Huckepack.«

»Pfui, der große Mensch!« rief die zweite Mutter aus mit einer Miene tiefgefühlten Abscheus über diese Tactlosigkeit.

»Doch ich war damals umso kleiner«, sagte Röschen ganz unbefangen, ohne sich durch diese Bemerkung stören zu lassen. »Wir waren mit Papa im Walde . . . Papa, weißt Du noch? Und Mama war auch dabei, meine gute liebe Mama . . . und da war auch ein Wolkenbruch gefallen, es war, als wäre der ganze schwarze Himmel herniedergebrochen. Die Wege waren schlecht geworden und die Bäche geschwollen. Da nahm er mich zuerst auf den Arm und dann trug er mich Huckepack weit, weit und lange und meine Strümpfchen waren so trocken, als wäre ich in Ballschuhen über das Parquet geglitten. Der brave Junge . . . ich hab' es ihm nie vergessen!«

»Ich besinne mich«, sagte Rostner mit einer Miene, welche zeigte, wie sein Herz von diesen Erinnerungen durchwärmt wurde; »es war anfangs ein so schöner Tag . . . und Ihr pflücktet Blumen 34 für Mama, Glocken und Sternblumen, und sie freute sich so darüber. Und dann kam das böse Wetter . . .«

»Ein Dritter«, warf Amanda ein, »ist sehr überflüssig, wenn solche Erinnerungen wachgerufen, so nichtssagende und langweilige Geschichten erzählt werden. Ich habe jedenfalls Wichtigeres mit Dir zu besprechen, Röschen. Ist Dein Herz noch frei?«

»Gewiß«, versetzte Röschen heiter, »beide Kammern und Vorhöfe. Alle Zimmerchen zu vermiethen. Hängt mir der Zettel nicht im Gesicht?«

»Ich wüßte eine Partie für Dich!«

»Ach nein, Mama, ich bin keine Chloë für einen Horaz, keine Sulpicia für einen Tibull.«

»Junge Mädchen müssen heirathen!«^

»Doch nur, wenn sie lieben«, ergänzte Röschen nachdenklich, und der Vater nickte zustimmend: »Darin hat sie Recht.«

»Das findet sich«, versetzte Amanda mit der überlegenen Klugheit der Weltdame; »man muß sich kennen lernen, um sich lieben zu können. Doctor Berning interessirt sich für Dich . . . wie gefällt er Dir?«

35 »Sie sagen ja«, meinte Röschen, »daß er ein schöner Mann sei; warum sollt' er mir nicht gefallen? Er sieht recht stattlich aus und gelehrt ist er ja auch.«

»Darf ich ihn ermuthigen?« fragte die Mutter.

»Ihm fehlt es doch sonst nicht an Courage«, versetzte Rostner, »mag er sehen, wie weit er mit dem Mädchen kommt!«

»An's Heirathen denk' ich nicht, Mama«, sagte Röschen; »da müßt ich ja meine schönen Bücher beiseite legen und könnte meinen Freundinnen keine Lectionen mehr ertheilen und nicht mehr mit Papa plaudern über die Aeneïde und die ars poetica

»Das wäre auch ein rechtes Unglück«, warf die Mutter ein; »wie schön für Dich und uns, wenn Du versorgt wärst.«

»Ist dazu ein Mann nöthig? Das ist etwas so Fremdartiges, so Unerhörtes . . . man könnte das Gruseln bekommen, wenn man daran denkt. Muß denn für uns immer von anderen gesorgt werden? Wir können ja für uns selbst sorgen . . . nicht wahr, Papa? Wer soviel gelernt hat, wie ich. . . .«

36 »Lauter brotlose Dinge«, warf Amanda ein, »was soll ein Mädchen mit Latein und Griechisch? Das ist gerade so wie wenn ein Mann Strümpfe strickte.«

»Du gehst hierin zu weit, Amanda«, bemerkte Rostner.

»Ja, ich weiß schon . . . die Bildung, die tiefe Bildung! Damit bleibt man aber ewig festsitzen, wird weder sich noch anderen nützlich.«

»Liebe Mama«, sagte Röschen, »ich will mich nützlich machen; ich fühl's, daß ich hier im Hause zu vielen Platz fortnehme. Nur ein wenig Geduld noch, Mama! Ich habe schon daran gedacht . . . nicht an einen Mann, bewahre! Daran darf kein Mädchen denken; das muß kommen unverhofft, über Nacht, wie ein Wunder; nein, an eine Stellung!«

Vater und Mutter sahen das Mädchen verwundert an. Rostner seufzte dann:

»Gutes Kind . . . es sollte mir leid thun!«

»Ohne unseren Rath?« sagte Amanda; »uns kann es nicht gleichgültig sein, in welche Kreise Du geräthst.«

»Das ist mir auch nicht gleichgültig; ich habe 37 mir schon etwas Nobles ausgesucht. Nur eine Bedingung hab' ich gemacht: wenn diese erfüllt wird, dann soll hier im Hause Platz werden. Es muß sein . . . ich weiß es: Dira necessitas cum clavis

Rostner hielt es für nöthig, seiner Gattin den horazischen Vers zu übersetzen: »›Die grausame Nothwendigkeit mit ihren Klammern‹, sagt der römische Dichter; es paßt hier recht gut.«

»Ich bitte«, meinte Amanda verdrießlich, »in meiner Gegenwart nur ehrliches Deutsch zu sprechen.«

Bei diesen Worten klopfte es und der Oberlehrer Berning trat ein, der alsbald das Zimmer mit einer Atmosphäre von Patchouliduft und anderen modischen Essenzen erfüllte. Es war derselbe Herr, den Gustav von Felsen im Thorweg des Gymnasiums bemerkt und nach welchem er sich bei dem Pedell erkundigt hatte. Berning machte in der That nicht den Eindruck eines Schulmannes: auch schimmerte nichts vom Pädagogen durch seine eleganten Manieren hindurch, kein schwerfälliger unerquicklicher Rest, der im Weltmann nicht aufgegangen wäre. Alles an ihm war aus Einem Gusse, und mancher 38 Landedelmann hätte ihn um seine vornehme Erscheinung beneiden können.

Heute hatte er etwas besonders Siegsgewisses in seinem Auftreten; er wandte sich zuerst der Dame des Hauses zu; denn die Strategie der Liebhaber, durch die Mutter die Tochter zu erobern, befolgte er in einer so nachdrücklichen Weis, daß viele zweifelhaft darüber waren, ob er nicht durch die Tochter die Mutter erobern wolle. In nachdenklichen Augenblicken hegte der Gymnasialdirector selbst diesen Zweifel; jedenfalls war ihm die aufdringliche Galanterie Berning's unangenehm.

»Ich küsse der gnädigen Frau die Hand«, sagte dieser, indem er der Ankündigung sogleich die That folgen ließ; »ich bringe Grüße von Ihrem Vetter Udo und Ihrem Onkel Ottomar . . . ich war gestern auf der Jagd mit ihnen zusammen.«

»Danke verbindlichst . . . wie geht es ihnen?«

»Udo giebt seine Millionen wie immer mit Grazie aus. Bei Onkel Ottomar, der einen stolzen Zwanzigender geschossen, machten wir ein Jeuchen.«

»Sie benutzen«, warf der Director ein, »in der That Ihre Ferien zur Erholung.«

39 »Sie sollten auch mehr ins Freie hinaus und die Arbeit an Ihrem Lexikon etwas ruhen lassen. Im Wald . . . da geht uns das Herz auf. Wenn man so einem Vierfüßler etwas auf den Pelz brennt, das ist doch ein anderes Gefühl, als wenn man einen Bock in einem Schulheft roth anstreicht, und solch' ein Jagdessen mit köstlichen Weinen . . . es bechert sich herrlich, wenn die Mordlust gestillt ist.«

»Es ist grausam«, meinte Röschen, »die armen Thiere zu tödten.«

»Gewiß . . . doch die Grausamkeit macht eben Vergnügen.«

Berning nahm jetzt eine sehr gewinnende Miene an, trat auf Röschen zu und sagte mit einem halb flüsternden, vertraulichen Ton:

»Mein Fräulein, ich habe etwas für Sie!«

Röschen erschrak; sie glaubte, er wolle ihr ein Geschenk machen.

»Ums Himmelswillen nicht, Herr Berning; ich kann, ich darf nichts annehmen.«

Sie hatte dabei Mühe, den lateinischen Vers: »Timeo Danaos et dona ferentes« niederzukämpfen, der sich auf ihre Lippen drängte.

40 »Nur eine Überraschung, Fräulein.«

»Ach nein, Herr Doktor! Ich liebe die Überraschungen nicht. Das hat so etwas Aufreizendes und bringt mich aus dem ruhigen Tempo meines Denkens und Empfindens heraus.«

»Fürchten Sie keinen gewaltsamen Eingriff in Ihr friedliches Dasein: ich habe nur einen Brief für Sie.«

»Doch nicht von Ihnen?«

Röschen hätte gern das flüchtige Wort zurückgenommen, welches ihren Lippen zu schnell entflohen war; sie empfand selbst, daß der Ton, in dem sie diese Frage vorgebracht, etwas Verletzendes für den Doktor haben müsse; doch der Pfeil war einmal vom Bogen abgeschnellt. Berning zeigte indeß durchaus keine Empfindlichkeit.

»Ich würde es lieber vorziehen, einem so liebenswürdigen Mädchen persönlich zu sagen, was ich auf dem Herzen habe. Der Brief kommt nicht von mir, sondern von Freiin von Bergheim.«

Jetzt wurde es Röschen etwas bang ums Herz.

»Ein so rascher Bescheid . . . das verkündet nichts Gutes!«

41 »Ich lernte die Dame,« sagte Berning, »in Italien kennen, als ich mit dem Prinzen Rudolf reiste und folgte jetzt mehrfach ihrer Einladung nach Burgdorf. Sie hat mir diese Zeilen für das Fräulein mitgegeben.«

Er überreichte bei diesen Worten Röschen einen Brief, den er in zierliches Rosapapier eingeschlagen hatte.

»Was sie nur in Burgdorf sucht,« sagte Amanda, während Röschen mit krampfhafter Hast das Schreiben öffnete.

»Sie kennt ja die Baroneß,« erwiederte der Direktor; »sie war mehrfach mit ihr auf unserem Casino zusammen.«

Indeß hatte Röschen gelesen und begann händeklatschend im Zimmer umherzuhüpfen.

Alles bewilligt . . . alles! Papa, Mama, wie bin ich glücklich! Freut Euch! Platz für die Pensionäre! Rückt heran im Geschwindschritt, ihr guten Jungen! Röschen ergreift die Flucht; ich bin Gesellschaftsfräulein geworden!«

»Wie . . . bei Fräulein von Bergheim?« fragte Amanda.

42 »Ja, bei der stolzen Mathilde. Doch sie ist gut und wir lieben uns. Ich empfange Gehalt . . . wirkliches baares Geld, das sich auf dem Tische aufzählen läßt, bekomme ein schönes Zimmer im Schlosse. Jetzt bin ich etwas . . . ein nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft . . . ›selbstständig,‹ wie's in den Badelisten heißt.«

»Ich danke Dir, Röschen,« versetze Amanda, »es war schön und edel von Dir, daß Du unsern Wünschen so entgegenkommst. Wo Du auch immer sein magst . . . hier bleibt Deine Heimat!«

»Mein liebes, gutes Kind,« sagte jetzt auch Rostner mit gerührter Stimme; »ja das Vaterhaus steht Dir immer offen und müßt' ich alle Pensionäre zur Thüre hinauswerfen. Doch es thut mir weh, Dein liebes Gesichtchen nicht immer um mich zu haben.«

»O es ist ja nur eine kleine Entfernung, ein Stündchen von der Stadt, ein reizender Spaziergang. Wir können uns so oft sehen, wie wir wünschen! Und denke Dir, Papa, Fräulein Mathilde hat auch meine Bedingung zugestanden.«

»Welche Bedingung?«

43 »Einmal in der Woche darf ich im Schloß mein Kränzchen abhalten. Das Bibliothekzimmer wird mir dazu eingeräumt . . . und die Baroneß betrachtet alle meine Freundinnen als ihre Gäste.«

»Das ist sehr liebenswürdig,« rief Amanda aus.

»Das ist schön,« versetzte Rostner, »da wirst Du Dein Latein und Griechisch nicht vergessen. Hat man sich einmal die höhere Bildung angeeignet, so darf sie nicht wieder verlöschen von der Tafel des Geistes!«

»Es freut mich,« warf Berning ein, »daß Sie so gastliche Aufnahme bei einer Dame finden, die ich wohl zu meinen Freundinnen rechnen darf. So wird mir auch ferner die Freude nicht versagt sein, Sie öfter zu sehen.«

»O, da draußen ist's schön,« versetzte Röschen, »der Park mit den hohen Kastanien und Silberpappeln und der Pavillon mit der reizenden Aussicht . . . ich begreife, wie man da immer wieder hinaus will! Die Dryaden plaudern so anmuthig unter den rauschenden Wipfeln, und wenn man im Schatten einer riesigen Eiche sitzt am hohen Mittag, 44 da bläst Pan die Flöte und nichts regt sich als das flüsternde Schilf im Teiche.«

»Sie beleben,« meinte Berning, »die Natur anmutig mit den Bildern und Gestalten der alten Dichter. Doch welche Göttin sind Sie selbst, wenn die Männerwelt kommt, um Ihnen zu huldigen?«

»Dann bin ich Flora, welche die Körbe austheilt . . . doch nichts für ungut; es sind Körbe mit Blumen, Herr Doktor, und schöne Blumen trösten über den häßlichen Korb.«

Röschen trat an's Fenster.

»Meine Freundinnen warten schon in der Laube.«

»Geh' zu ihnen, mein Kind,« sagte Rostner, »ich billige diesen wissenschaftlichen Verkehr. Warum soll Deutschland nicht auch seine gelehrten Damen haben, wie Italien? Auf dem Universitätshofe von Padua sind die Namen der promovirten Frauen in den Stein gegraben, um der Nachwelt erhalten zu werden. Vielleicht schmückt auch Dich einmal ein Doctorhut.«

»Da würd' ich schmuck drinn aussehen; nein, Papa, ich will den Doctor im Kopfe tragen und nicht auf dem Kopfe.«

45 »Und was tragen Sie im Herzen?« fragte Berning.

»Meinen Papa,« erwiederte Röschen, indem sie schalkhaft lächelnd zur Thüre hinauseilte.

Die Frau Directorin schüttelte mit dem Kopfe: Berning bot ihr seinen Arm, um sie aus der ungastlichen Arbeitsstube in den Salon zu führen, wo er sich mit ihr plaudernd auf die Ottomane zu setzen pflegte und jene tiefen Blicke, über die er gelegentlich verfügte, mit ihrer geheimnisvollen Magie auf das Herz der jungen stattlichen Frau wirken ließ.

Es geschah in der That um der Tochter willen; da aber das Mittel so reizend war wie der Zweck so konnte es ihm begegnen, daß er diesen bisweilen vergaß und sich ganz von der imponirenden Schönheit der Mutter fesseln ließ. Doch er besann sich rasch wieder auf seine wahre Absicht; er hatte gute Gründe, um Röschens Hand anzuhalten und er wußte, daß weder Vater noch Mutter sie durchschauen konnten. 46

 


 


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