Rudolf von Gottschall
Schulröschen
Rudolf von Gottschall

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Viertes Kapitel.

Freiin Mathilde von Bergheim, die Herrin von Burgdorf, war in der ganzen Gegend als eine wilde Reiterin bekannt und auch sonst als junge Dame, die sich in das Hergebrachte schwer zu fügen verstand. Stattlich von Gestalt, eine feurige Brünette, mit edlen Zügen, in denen ein kühner Schwung lag, war sie eine jener Schönheiten, die mehr für die Welt als für den häuslichen Herd bestimmt scheinen, eine jener Damen, die in den Salons der Hauptstädte glänzende Eroberungen zu machen pflegen, während sie den engeren Kreisen der Nachbarschaft in der Provinz unbequem sind und dort Unbehagen erwecken und fühlen.

In der That hatte auch nach dem Tode ihres Vaters Freiin Mathilde, die schon bald nach ihrer Geburt die Mutter verloren, die große Tour durch 64 die europäischen Salons gemacht und längere Zeit in Italien verweilt. Rom besonders fesselte sie und zu den stolzen Römerinnen fühlte sie sich hingezogen; sie hatten etwas geistig Verwandtes in ihrem Wesen. Bei dem römischen Carneval konnte sich Mathilde ihren ausschweifendsten Launen hingeben; doch in dem wilden lustigen Treiben ging sie nicht auf; sie bewahrte einen Rest von Ehrfurcht vor den Trümmern einer großen Vergangenheit, und mit der Kunst und den Künstlern der Gegenwart stand sie in regem Verkehr.

Sie hatte als Reisebegleiterin nur ein altes Inventarstück der Familie, ein Fräulein Lown, mitgenommen, welche gerade ausreichte, um den gesellschaftlichen Anstand zu wahren, im Uebrigen aber den Vorzug besaß, halbtaub zu sein, sodaß sie niemals eine unbequeme Lauscherin werden konnte. Auch besaß sie eine erhabene Gleichgültigkeit gegen alle Dinge dieser Welt, wenn sie sich nicht auf das Schloß Burgdorf und die häusliche und ländliche Wirthschaft bezogen oder mit der Geisterwelt im geheimen Zusammenhang standen; denn sie machte kaum einen Unterschied zwischen den Dingen dieser 65 und jener Welt; sie sah erstere alle in jenem Halbdunkel, in welchem die übrige Menschheit letztere zu sehen pflegt.

Den exzentrischen Zug ihres Wesens hatte Mathilde von ihrem Vater geerbt: dieser war freilich nur ein ruhiger Sonderling, der seinen bizarren Launen im Stillen nachhing, während sich dies Alles bei Mathilden in gährende Leidenschaftlichkeit umsetzte. Solche Naturspiele finden sich oft bei der Erbschaft des Blutes. Der Vater war ein stiller Mann gewesen, der seine Absichten verschwieg, wenn er sie auch mit einer Ausdauer verfolgte, die vor keiner Härte und Sonderbarkeit zurückschreckte; die Tochter war von einer Lebhaftigkeit, welche ihre Eigenheiten vor aller Welt zur Schau stellte.

In welche grillenhaften Pläne sich der Vater hineingelebt hatte: das sollte bei der Eröffnung des Testamentes zu Tage kommen. Er hatte einen Vetter, Baron von Felsen, der in einer Ehrensache für ihn eingetreten war und mit eigener Gefahr die Ehre des verwandtschaftlich nahestehenden Freundes gerettet hatte; doch es war nachher zwischen den beiden zu Zerwürfnissen gekommen, welche durch die 66 sonderbaren Ansprüche des Barons von Bergheim veranlaßt worden. Der letztere war außer sich darüber, als der Freund sich ganz von ihm zurückzog und jeden Dank für seine Aufopferung ablehnte. Bergheim wollte aber diesen Dank um jeden Preis zahlen, und falls sich der Lieblingswunsch seines Lebens, die Verheiratung seiner Tochter Mathilde mit dem Sohne seines Freundes, nur schwer erfüllen würde, so hoffte er diese Erfüllung durch ein Testament zu erzwingen. Mochte jener Gustav vom Vater noch so sehr abgehalten werden, die Bekanntschaft Mathilden's zu machen: das Testament sollte alle Hindernisse aus dem Wege räumen, der dauernde Bund der Kinder dem schönen Bunde der Jugend, der die Freunde verknüpft hatte, ein Denkmal der Erinnerung für alle Folgezeit stiften. Um jeden Preis wollte der eigensinnige Mann seinen Willen durchsetzen; er fragte nichts nach der Stimme des Herzens, nicht darnach, daß er seine Tochter beraubte, wenn eine Ehe nicht zustande kam, die zu schließen ja nicht einmal ihr eigener Wille genügte. Es war bei ihm zur fixen Idee geworden, daß er diese Ehe durch moralischen Zwang nach seinem Tode durchsetzen 67 könne und so hatte er denn ein wunderliches Testament gemacht. Mathilde, die von der Mutter ein eigenes, wenn auch kleines Vermögen besaß, sollte als Erbin von Burgdorf und der dazu gehörigen Güter nur unter der Bedingung eingesetzt werden, daß sie ihrem Vetter Gustav von Felsen die Hand zum ehelichen Bunde reichte. Geschah dies nicht im Laufe von zwei Jahren, so sollte Burgdorf an eine entferntere Seitenlinie fallen, deren nächstberechtigter Vertreter Graf Eduard Bergheim war. Es war das eine Art Strafbestimmung, welche eine zwingende Gewalt ausüben sollte. Der Preis war hoch, der auf diese Ehe gesetzt war; denn Burgdorf mit seinen Vorwerken war ein großer, hochtaxirter Besitz, auf dem nur landschaftliche Schulden standen. Vor allem aber rechnete der alte Baron auf den chevaleresken Sinn seiner Verwandten: konnte der junge Gustav ruhig zusehen, wenn dies Erbe seiner Cousine genommen wurde? Mußte er nicht alles aufbieten, es ihr zu erhalten? Niemals aber sollte Mathilde den schönen Familienbesitz durch eine aus freier Wahl geschlossene Ehe in fremde Hände bringen: das war die andere 68 Bedeutung jener Strafklausel, welche, beim Fehlschlagen des so künstlich aufgebauten Planes, die Güter dem Grafen Bergheim vermachte. Die Liebe des Vaters zur Tochter war niemals groß gewesen: sie standen meist auf gespanntem Fuße; das eigensinnige wilde Gebahren des Mädchens erbitterte den Alten, der in seiner Art nicht minder eigensinnig war. Gleichwohl glaubte er für ihr Glück ausreichend gesorgt zu haben; denn daß die von ihm gestellte Bedingung nicht in Erfüllung gehen könne, lag gänzlich außer seiner Berechnung. Das ist der Zauber einer fixen Idee, welche den glücklichen Besitzer gegen alle Anfechtungen durch Vernunftgründe sicher stellt. Und diese Vernunftgründe hätten nur in den Monologen des alten Barons auftauchen können, da er in seine geheimen Pläne Niemand eingeweiht hatte. Selbst die sogenannten Fixsterne bewegen sich; das einzige immobile perpetuum in der Welt sind nur die fixen Ideen.

Drei Monate fehlten noch bis zu dem Termine, der die Entscheidung bringen sollte. Die stolze Mathilde hatte sich um den ihr testamentarisch verordneten Bräutigam nicht im Geringsten gekümmert; 69 Gustav selbst war auf großen Reisen abwesend und erst vor kurzem zurückgekehrt. Da traf in Burgdorf die überraschende Nachricht von dem bevorstehenden Besuche des jungen Barons ein, der sich mit höflichen Worten bei der Schloßherrin angemeldet hatte. Sein Vater hatte ihn doch jetzt sehr entschieden auf das großartige Erbe hingewiesen, und da sein Herz noch frei war, so nahm er keinen Anstand, dieser Weisung zu folgen und sich der schönen Mathilde, die er seit langen Jahren nicht gesehen, dieser reichen Portia, zu deren Kästchen er ja von Hause aus den Schlüssel hatte, einmal vorzustellen.

Natürlich erregte diese Nachricht auf dem ganzen Schlosse das freudigste Aufsehen . . . nur bei Mathilde nicht! Sie schien sich schon dadurch gekränkt zu fühlen, daß Gustav eine so lange Zeit hatte verstreichen lassen, ehe er diesen Besuch machte. Die Lore dagegen, der Schloßverwalter, alle Wirthschaftsbeamten, Förster und Diener waren außer sich vor Freude, daß sie doch noch Aussicht hatten, im Dienste bei ihrer Herrin zu verbleiben, die bei allen trotz ihrer Capricen sehr beliebt war.

Noch einen Unzufriedenen im Schlosse gab es: 70 das war der Maler Norbert, der, seitdem ihm die Lore diese Kunde gebracht, vor seiner Staffelei im Ahnensaale mit verdrossenen Mienen saß. Mathilde hatte den jungen Künstler in Rom kennen gelernt, sich an seinen vorzüglichen Portraits erfreut und ihn vor kurzem nach Schloß Burgdorf eingeladen. Sie wollte von einigen Familienbildern des Ahnensaals, die dem Schloß erhalten bleiben mußten, Copien mit hinaus in die Fremde nehmen, besonders einige Portraits, auch das ihres Vaters, von größeren Tableaux loslösen lassen, die den Saal schmückten; denn davon war sie fest überzeugt, daß sie diesen Besitz und allen Glanz des Lebens werde aufgeben müssen, um mit bescheidenen Mitteln eine höchstens sorgenfreie Existenz zu führen. Jetzt aber war der Besuch des Barons von Felsen angekündigt; es war möglich, ja wahrscheinlich, daß er um ihre Hand werben würde. Da war ja Norbert mit seiner Kunst ganz überflüssig geworden; die Bilder des Ahnensaals blieben das Eigenthum der Schloßherrin; er konnte seinen Pinsel auswaschen und nach der ewigen Stadt zurückkehren.

Außer Norbert hielt sich noch ein Gast im 71 Schlosse auf; es war jener Graf Eduard von Bergheim, welchem die Güter zufallen sollten, wenn sich die beiden Herzen nicht fänden.

Der Graf war schon längst über die Vierziger hinaus und hatte ein Leben von Stürmen und Abenteuern hinter sich. Seine Züge waren etwas verwittert; doch ein feines, geistreiches Lächeln ließ sie angenehm erscheinen. Er war von hoher, schlanker Gestalt und hatte etwas vornehm Zugeknöpftes; doch wenn er einmal aufthaute, da ließ er seiner sarkastischen Laune freies Spiel und war ein munterer Gesellschafter. Er kannte Burgdorf noch nicht und war gekommen, um das Schloß, die Vorwerke und Dörfer, Felder und Wälder einmal in Augenschein zu nehmen; denn es war ja doch nicht unmöglich, daß er der Besitzer aller dieser Herrlichkeiten würde. Dabei lag nichts Habsüchtiges in seinem Wesen; er betrachtete dies alles als ein Schicksal, das über ihn kommt, mag er nun wollen oder nicht, und wenn er ein Interesse dabei im Auge hatte, so war es dasjenige seiner Familie, deren Ansehen durch diesen Besitz gewann.

Mathilde behandelte den Junggesellen, der ihr 72 seinerseits mit der größten Courtoisie begegnete, mit vieler Aufmerksamkeit; sie spielte mit ihm Schach und Piquet, ritt mit ihm spazieren, kutschirte ihn in ihrem Phaëton und that überhaupt alles, was dazu dienen konnte, sie bei den Nachbarn ins Gerede zu bringen.

»Er könnte ja mein Vater sein«, sagte sie dann entschuldigend,

Auch ruderte sie mit ihm gern auf dem Teiche herum . . . und das war ein Vergnügen, welches der alten Lore stets die lebhafteste Angst einflößte. Ihre Stellung als Gesellschafterin und Tugendwächterin war überhaupt eine sehr schwierige: nicht als ob der Tugend des muthigen Mädchens irgend eine Gefahr gedroht hätte; aber es galt ja den Schein zu wahren . . . und das verschmähte allzusehr Mathildens Stolz. Zu dieser Herzensangst um den stets bedrohten Ruf kam nun noch die begründete Furcht, daß Mathilde bei ihren halsbrechenden Künsten einmal auch das Leben einbüßen könne.

So ging die alte Lore, mit dem Strickstrumpf in der Hand, unruhig am Ufer des Teiches auf und ab, während Mathilde mit dem Grafen in dem 73 Kahn das Ruder führte und das kleine Fahrzeug bedrohlich hin- und herschaukelte. Die Sonne warf schon schräge Strahlen durch die Trauerweiden, die den Uferpfad beschatteten, glühende Sprühlichter in die Fluth und auf die Thürme des Schlosses, dessen Altan über das Wasser hinausgebaut war. Die langen Fensterreihen schimmerten im Abendlicht, als wäre das Schloß zu einem festlichen Empfang illuminirt. Der Blick auf den stattlichen Herrensitz, der gerade jetzt im Prunkgewand der Abendsonne so glänzend dalag, hätte Mathilde schwermüthig stimmen müssen. Denn dies Zauberschloß sollte ihr ja bald für immer verloren sein; doch in ihrem Wesen lag nichts Trauriges, Melancholisches; sie ergötzte sich darüber, daß der Graf bei dem Geschaukel des Kahns sich ernstlich unbehaglich zu fühlen anfing; sie trieb diesen Sport nur um so wilder und rücksichtsloser, bis ihr würdiger Vetter sie ersuchte, ihn an's Land zu setzen. Endlich gab sie seinen Wünschen nach: nicht weit vom Teiche stand ein Wirthshaus an der vorübergehenden Landstraße; es war an einen Gastwirth verpachtet, der gute Geschäfte machte, weil eine hölzerne Veranda und sein Gärtchen einen 74 Blick auf Teich und Schloß gestatteten, der nicht ohne malerischen Reiz war. So kehrten hier viele Besucher aus dem nahen Städtchen ein. Hier ließ Mathilde den Grafen aussteigen.

»Ich bin etwas seekrank«, sagte er; »in der That, ich kann das fatale Geschaukel nicht vertragen; ich bin mir darüber ganz klar: ich bin kein Amphibium.«

»Nun, Sie sind ja geborgen«, rief Mathilde übermüthig; »mir aber werden Sie erlauben, noch ein wenig mit den Nixen zu plaudern.«

Und Heine's Lorelei singend, stieß sie wieder mit dem Kahn vom Ufer.

Der Graf fuhr mit der Hand an die Stirne und schloß die Augen, um sich von den Folgen der schaukelnden Bewegung zu erholen und auf festem Boden das Gleichgewicht wahren zu können. Dann trat er zur Lore, die sich mit ihrem Strickstrumpf an einen Wirthshaustisch gesetzt hatte und vergeblich die junge Freiin durch ein verständliches warnendes Geberdenspiel, bei welchem der Strumpf ein sehr störendes Requisit war, von der Wiederholung ihrer kühnen Fahrt abzuhalten suchte.

»Ich habe eine Aversion gegen das Wasser«, 75 sagte der Graf zu Lore; »es enthält ja nur Ungeheuer im Ocean wie im Wasserglas. Sehen Sie einmal durch's Mikroskop, Fräulein Lore, was da alles durcheinanderkrabbelt in so einem Tropfen Wasser. Und im Meere . . . was da alles zu scheußlichen Klumpen geballt ist . . . davon singt ja der Dichter.«

»Sie wollen mir den Geschmack an meinem liebsten Getränk verderben.«

»Um's Himmelswillen nicht! Der schlechte Geschmack . . . das ist ja das Einzige, was Hunderttausende glücklich macht; ohne den schlechten Geschmack würde die Welt aussterben. Hunger und Liebe erhält das Weltgetriebe. Hunger ist der beste Koch und Liebe der blindeste Gott: damit ist alles gesagt.«

Während dieses Gesprächs fuhr ein Wagen am Wirthshaus vor: ein Livreebedienter sprang vom Bock und holte Koffer und Reisetasche aus dem Gefährte. Es war Baron von Felsen, der in dem Grafen und Lore alsbald einen Herrn und eine Dame vom Schloß erkannte und sich ihnen vorstellte. Graf Bergheim begrüßte mit freundlichem Entgegenkommen den Vetter, den er hier zum erstenmale sah 76 und Lore beeilte sich, auf den Uferpfaden dem Kahn der Freiin nachzugehen, um den neuen Ankömmling, der auf dem Schlosse seine Aufwartung machen wollte, anzumelden.

»Mein lieber Felsen,« sagte Graf Bergheim, indem er ihn mit der Miene eines Grandseigneurs Platz zu nehmen einlud, allerdings auf einem wackeligen Wirthshausstuhle; »es freut mich, Sie kennen zu lernen. Wir treffen uns hier, wie es scheint, fast in einer feindlichen Begegnung. Sie halten mich gewiß für einen Glücksjäger, der hier auf seinen Raub lauert?«

»Herr Graf!«

»Seien wir offen! Wir kennen beide das Testament, und mehr noch als der verwandtschaftliche Verkehr führt uns dies hier zusammen.«

»Ich leugn' es nicht! Mein Vater drängte mich zu diesem Besuche. Der letzte Wille des Vaters . . .«

»Also mit einem offenen Visir!« sagte der Graf, indem er dem Vetter die Hand schüttelte. »So haben es die Bergheim stets gehalten. Offen bekenne ich, daß ich Ihnen von Herzen den besten 77 Erfolg wünsche. Sie gefallen mir: jeder Zoll ein Gentleman! Das ist mein Ideal!«

»Ich habe stets in meiner Familie gehört, daß Sie es erreicht haben.«

»Ich bin nicht eitel; doch dies Lob erfreut mich; es zu verdienen ist das Ziel meines Ehrgeizes. Sie werden also meinen Worten glauben: das verlangen ja selbst die guten Leute, die keinen point d'honneur haben.«

»Es bedarf solcher Versicherung nicht!«

»Verständigen wir uns, lieber Vetter! Ich bin Ihr Bundesgenosse, wenn es gilt, Ihnen die Hand der schönen Mathilde zu gewinnen. Sie passen zusammen: Jugend, Schönheit, geistiges Vollblut. Man muß stets für die Race sorgen.«

»Aber, lieber Vetter . . .«

»Mißverstehen wir uns nicht! Race ist der geistige Adel: der Teufel hole die Plebejer, die von Kopf zu Fuß ein untergeordneter Schlag sind. Die Erbschaft des Blutes ist mehr werth als Millionen Erdschollen und Fidibusse von Bankscheinen. Ich wünsche Ihre Ehe mit Mathilde: da ist die rechte 78 Ebenbürtigkeit von Geist und Herz, Gestalt und Familie.«

»Sie wissen aber, lieber Vetter,« versetzte Felsen, »daß Gott Amor ein Querkopf ist, und selbst dort sein Veto einlegt, wo das Schicksal alles auf's passendste zusammengefügt hat.«

»Das sollte mir leid thun, herzlich leid . . . sans phrase. Dann würden freilich die Güter an mich fallen und ich würde sie nehmen ruhigen Blutes. Das bin ich meiner Familie schuldig und dem Willen des Verstorbenen, der zu verhüten wünschte, daß sie durch eine Heirath Mathilden's in fremde Hände kämen.«

»Ich denke hierüber anders,« warf Felsen ein; »mir geht der Familiensinn ab, der an Grund und Boden haftet.«

»Die solide Grundlage muß den vornehmen Familien erhalten bleiben: in Grund und Boden der heimathlichen Erde, da liegen die starken Wurzeln ihrer Kraft. Doch ich bin nicht ungalant und weiß, was mir als Gentleman zukommt.«

»Sie wollten . . .«

»Sehen Sie mich an, lieber Felsen! Ich bin 79 in meinen besten Jahren, obschon ich noch bessere gekannt habe. Durch Wind und Wetter hab' ich mich durchgeschlagen, die Saison in allen europäischen Hauptstädten mitgemacht . . . auch in Paris und Petersburg . . . und das sind die schlimmsten. Einige Haare habe ich dabei lassen müssen, wie Sie sehen . . .«

Graf Bergheim nahm bei diesen Worten den Hut ab und zeigte eine hohe Denkerstirn mit ringsum sehr gelichtetem Haupthaar.

»Auch fühl' ich hin und wieder eine gewisse Unbequemlichkeit und Schwerfälligkeit in diesen meinen Spazierstöcken.«

»Sie machen durchaus,« versetzte Felsen tröstend, »den Eindruck eines rüstigen Mannes.«

»Nun, das freut mich, der Eindruck ist immer die Hauptsache. Drinnen in Kopf und Herz sieht's freilich etwas wüst aus: da finden sich ausgebrannte Ideale, verräucherte Götter und Göttinnen, abgetakelte Wracks von Gedanken und Gefühlen, die mit stolzen Segeln hinausfuhren . . . bah! der Humor ist geblieben, ein verteufelter Humor . . . 80 und dann . . . ich bin stets auf dem Platze, ich stehe meinen Mann, wo es die Ehre gilt!«

»Daran zweifelt Niemand, bester Graf!«

»Sehen Sie, sowie ich hier vor Ihnen stehe, hab' ich noch Glück bei den Frauen. Es überrascht mich oft selbst . . . weiß Gott, man thut den Schönen Unrecht: sie richten sich nicht nach dem Kalender. Wenn man einen Zauberstab besitzt, in welchem recht viele Liebesgeschichten eingekerbt sind, da kommen immer neue dazu: es ist das eine Art von Magie; ich komme mir oft vor, wie der Rattenfänger von Hameln.«

»Ich wünsche Ihnen Glück zu Ihren Eroberungen,« sagte Felsen trocken; »das hat freilich für einen Dritten wenig Interesse.

»Nicht so schnell fertig mit dem Wort, junger Vetter,« versetzte jetzt der Graf, indem er sich zu seiner ganzen Höhe aufrichtete, »nicht aus Eitelkeit erzähl' ich Ihnen dies alles! Ich weiß sehr wohl, dergleichen imponirt jungen Leuten überhaupt nicht: die wissen besser, wo Bartel den Most holt. Nein, ich will nur mein Benehmen, meine Anwesenheit auf diesem Schlosse rechtfertigen. Sehen Sie, wenn 81 mir diese Güter zufallen, dann halt' ich es für meine Pflicht, dem Fräulein meine Hand anzubieten, und mit allem, was ich da erzählte, wollt' ich nur vorbeugen, daß sie mich nicht auslachen.«

»Welches Recht hätte ich dazu?«

»Nicht wie ein Dieb in der Nacht will ich geschlichen kommen, und ihr den schönen Besitz rauben; ich will ihr denselben wiederbieten, das verlangt mein point d'honneur. Darum mußte sie mich kennen lernen und ich sie; darum bin ich hier auf dem Schlosse. So . . . nun hab' ich alle meine Karten auf den Tisch gelegt. Ich bin ein Nebenbuhler in der Rückhand; ich trete erst vor, wenn Sie das Spiel verloren haben . . . sonst Renonce, total Renonce . . . schütteln wir uns die Hände!«

Felsen schlug herzlich ein: »Ich freue mich Ihrer Offenheit! Was mich betrifft, so kennen Sie ja meine Karten.«

Während dieses Gespräches hatte die alte Lore die Schloßherrin an's Ufer gewinkt. Nicht weit von dem Wirthshause stieg diese aus und beide bemühten sich, den freizügigen Kahn am Ufer festzubinden.

»Da kommt die Donna Diana,« sagte 82 Bergheim, indem er etwas beiseite trat, um das Wiedersehen nicht zu stören; »an's Werk, Don Cesar! Ich bin nur Prinz Luis, oder begnüge mich auch wie Perin mit einem Kammerkätzchen.« Die Baroneß ging mit freundlicher Begrüßung auf den Baron zu und hieß ihn mit einer gewissen Herzlichkeit willkommen.

»Wie freue ich mich, Sie kennen zu lernen; doch warum sind Sie nicht im Schlosse abgestiegen? Geh, Lore, das Fremdenzimmer neben Graf Bergheim soll zurecht gemacht werden. Sie sind mein Gast. Und so sehen wir uns, als wär' es zum erstenmale; denn unsere frühere Bekanntschaft zählt nicht.«

»Sie waren nur ein kleines Mädchen . . .«

»Und Sie ein hochgewachsener Gymnasiast, zu dem ich mit Ehrfurcht emporsah. Sie dürfen sich nicht wundern, wenn ich jetzt weniger Ehrfurcht an den Tag lege.«

»Wir jungen Leute sind zu eitel, um solche Gefühle einflößen zu wollen.«

»Damals kam ich ja bald fort . . . in Pension.«

83 »Zu meinem Leidwesen, denn ich spielte gern mit Ihnen.«

»Aber, lieber Felsen, wir wollen doch zum alten Comment zurückkehren; wozu das feierliche Sie? Wir dutzten uns, als wir zusammen den Ball schlugen; so wollen wir auch jetzt uns dutzen, wo wir andere Dinge in die Luft schlagen, als Bälle; ich mache es wenigstens so mit allen guten Lehren, die ich erhalte.«

»Gewiß, wir sind ja auch Cousin und Cousine.«

Graf Bergheim war ein aufmerksamer Beobachter der Begegnung gewesen; es schien ihm, als würde Felsen reüssiren, und dies gab ihm ein behagliches Gefühl; er trat etwas aus dem Hintergrund hervor und wurde sehr rasch von Mathilde in die Debatte verwickelt.

»Das mußt Du nicht glauben,« sagte sie zu Felsen, »daß ich viel gescheuter geworden bin als damals . . ., ich bin noch immer ein sehr launenhaftes Kind, nicht wahr, lieber Graf?«

»Das muß ich bescheinigen,« versetzte Bergheim, »doch es ist kein Unglück. Ein weibliches Wesen ohne Capricen wäre eine Mißgeburt. Frauen sind 84 für die Liebe bestimmt, und was ist denn die Liebe als eine Caprice?«

»Das ist die Weisheit des Philosophen aus der Tonne,« sagte Mathilde lachend. »Sieh Dir unsern Vetter Bergheim an, . . . der ächte Diogenes.«

»Nur daß ich keinen zerrissenen Mantel trage und mehr auf die Dehors sehe als der alte Cyniker. Und mit der Laterne such' ich schon längst keine Menschen mehr, weil ich weiß, daß ich keine finden würde.«

»Ich muß,« sagte Mathilde zu Felsen mit übermüthigem Ton, »Dich doch mit meinem armen Selbst bekannt machen, damit Du nicht erstaunst und erschrickst. Ich reite wie der wilde Jäger . . . nicht wahr, Bergheim?«

»Es ist ein halsbrechendes Vergnügen,« versetzte dieser bestätigend, »die Cousine zu Roß zu begleiten.«

»Ich schwimme wie die Melusine . . . . nicht wahr, Bergheim?«

»Fehlt nur der Fischschwanz!«

»Ich rud're wie der preisgekrönte Sieger einer Regatta . . . nicht wahr?«

85 »Mir schwindelt noch von der Kahnfahrt.«

»Ich bin lustig, singe und tanze, behaupte, was mir durch den Kopf geht und will immer Recht haben . . . nicht wahr, Bergheim?«

»Man muß es eben mit ihr aushalten,« meinte dieser zu Felsen.

»Nun, ich will's mit Dir versuchen, Cousine!« sagte der Baron; »ich habe Muth und den besten Willen.«

»So gieb mir die Hand, mein Leben, und komm auf mein Schloß mit mir. Du sollst mit mir alle Räume besuchen, durch die wir uns im munteren Spiele gejagt, als ich noch ein Kind war. Gieb mir Deinen Arm, lieber Vetter! Bergheim, Sie sind abgelöst! Gewehr bei Fuß! Das ist hier die nähere Linie: sie hat den Vorrang vor einem so weitverzweigten Vetter! Allons, marchons!«

Und mit heiterem Lachen schritt die Baroneß an Felsen's Arm dem Schlosse zu und verschwand hinter den Gebüschen des Teichufers, durch welche ein Pfad nach der Seitenpforte des stolzragenden Gebäudes führte. Wo der Teich sich verschmälerte, da führte er über eine schwanke Brücke, über eine 86 mit Hängebirken bewachsene und mit Schwertlilien besetzte Insel, und dann wieder über ein Brückchen in's Schloß.

Die alte Lore schritt als Duenna, den Strickstrumpf in der Hand, hinter den jungen Herrschaften einher, und der Eifer, mit dem sie ihre Nadeln klappern ließ, legte Zeugniß ab von der hochgradigen Erregung des halbtauben Schloßfräuleins, dessen Herz mit Freude und schönen Hoffnungen erfüllt war.

Graf Bergheim sah nachdenklich dem jungen Paare nach und zeichnete Figuren in den Sand mit seinem Stocke. Als dasselbe über die Brücke nach der Insel schritt, da überhauchte es gerade das Abendroth mit einem verklärenden Licht. Auch alle Schloßfenster leuchteten nach wie zur festlichen Begrüßung. Der Graf hatte seine eigenen Gedanken. Das ging ja nach Wunsch und er konnte hoffen, die Bescherung bald los zu sein. Dann zog er mit ruhigem Gemüte heimwärts, und alles war, wie es vorher gewesen. Und doch . . . es war ihm nicht ganz so wohl zumuthe, wie er sich selbst zu überreden suchte: er konnte doch ein fatales 87 Gefühl nicht unterdrücken. Diese Mathilde war doch ein verzweifelt appetitliches Geschöpf, und daß er so daneben stehen mußte . . . doch er verscheuchte mit einem gewaltsamen Ruck solche Gedanken; der Cavalier in ihm richtete sich stolz auf und jene plebejischen Neigungen, die allen Menschenkindern gemeinsam sind, mußten sich ducken.

Doch das kostete einen durchgreifenden Entschluß . . . und von dieser Anstrengung mußte er sich erholen, indem er auf einsamen Pfaden frische Luft schöpfte. Er ging einen Steg, der sich durch Hagedorn- und Haselnußbüsche schlängelte und einen Durchblick auf die Landstraße und die Kornfelder gestattete, welche ihr zur Seite hin wogten und wallten. Da war es ihm, als ob auf einmal die blauen und rothen Kornblumen in den Feldern mobil geworden wären und sich auf dem Rain, der zwischen den wallenden Ähren hindurchrührte, hin und her bewegten. Und vor den Kornblumen einher schritt etwas eintönig Graues mit breitem Hut wie ein spazierengehender Pilz aus dem Walde. Als die hohen Aehren nicht mehr ihr hin und her schaukelndes goldenes Gespinnst über diese 88 fleurs animées breiteten, als ein höchst prosaisches Rübenfeld sie ablöste, da sah der Graf, daß diese tanzenden bunten Farben Bänder waren, die von Mädchenhüten herabwehten, und daß diese ganze Wallfahrt sich nach Burgdorf hinbewegte. Der graue Pilz schien allerdings ein merkwürdiges Fabelwesen zu sein; doch bei näherem Hinblick zeigte es sich, daß dies Wesen mit dem grauen breitkrämpigen Hut ein Begleiter der jungen Damen war, der etwas Schweres trug. War das ein Mädchenpensionat? Ein Lehrer konnte dieser Herr nicht sein: dagegen sprach der etwas martialische Schnurrbart, der sich allmählich im Abendlicht deutlich abzeichnete. Die jungen Damen aber schienen ganz hübsche Geschöpfe zu sein. Die Schönen im Plural . . . das war etwas, welchem Graf Bergheim nie zu wiederstehen vermochte, und das war nicht seine einzige Ähnlichkeit mit Mephistopheles. Er trat daher sogleich seinen Rückweg an, um der Wallfahrt der jungen Schönen auf dem Fuße zu folgen.

Röschen hatte den raschen Entschluß gefaßt, noch heute nach Burgdorf überzusiedeln. Ihr lebhaftes Naturell, das dem Entschluß rasch die That 89 folgen ließ, das schöne Wetter, das in's Freie lockte, und eine unbestimmte Sehnsucht, den Baron von Felsen wiederzusehen; ließen ihr in dem Städtchen keine Ruhe mehr. Sturmwedel wurde mit einer Tasche beladen, welche Bücher und die nöthigen Toilettengegenstände enthielt; das schwere Gepäck sollte am nächsten Tage nachfolgen; die Freundinnen aus dem Kränzchen gaben ihr das Geleit. Es war schon am Abend, und die jungen Damen hatten wenig Aussicht vor der Dunkelheit zurückzukehren: doch der Abend versprach herrlich zu werden; der Vollmond ging in diesen Tagen so früh auf, daß sein breites Gesicht schon hinter den Bergen hervorguckte, wenn die Sonne am glühenden Westhimmel versank, und überdies war Sturmwedel ein sicherer und kräftiger Schutz.

So hatte die Karawane der jungen Damen in heiterster Laune ihren Weg angetreten; sie schritten durch die Kornfelder singend und Blumen pflückend und wanden Cyanen und Kornraden zum Kranze. Auch Sturmwedel erzählte viel von seiner Alten, die er den jungen Damen als ein Ideal hinzustellen beflissen war, obschon alles, was er im Eifer 90 mittheilte, nur dazu dienen konnte, den Glauben an dieses Ideal zu erschüttern. Die Mädchen ruhten nicht, ihrem Begleiter die Geheimnisse seiner Häuslichkeit abzufragen, und jede Antwort, die er gab, nahm einen dicken Strahl aus dem Heiligenschein der Frau Sturmwedel, bis die Alte, ihrer Glorie entkleidet, als eine böse Sieben dastand. Sehr ergötzten sich dabei die jungen Damen über die verkehrten Auffassungen des Pedells, der ein Eulenspiegel wider Willen war und eine seltene Gabe hatte, die Fragen und Absichten anderer Leute mißzuverstehen.

Da das Kränzchen heute Morgen unterbrochen worden war, so suchte Röschen mit der Gewissenhaftigkeit, die sie auszeichnete, das Versäumte nachzuholen. »Geschichten aus dem Alterthum,« . . . das war eine jener Lectionen, die man auch beim Spazierengehen und in frischer Luft absolviren konnte. Sie waren noch nicht mit der Geschichte der Nausikaa zu Ende gekommen, welche Sabine von Bomst mit einem gewissen pikanten Humor erzählte, als sie schon das Wirthshaus erreicht hatten, wo das 91 Comitat sich von der Heldin des Tages verabschieden mußte.

Sturmwedel sorgte für den erquickenden Trank, indem er durch sein energisches Auftreten bei der Bedienung Aufsehen erregte. Kellner und Wirthsmädchen flogen herbei mit Bierseideln und der Pedell säumte nicht, den Damen zuzutrinken: eine Höflichkeit, die er möglichst oft wiederholte, um sich von den Anstrengungen des Tages zu erholen.

Unbemerkt war Graf Bergheim den jungen Damen gefolgt: so viel fröhliche Jugend übte selbst auf sein blasirtes Herz einen wohlthuenden Einfluß. Er setzte sich in eine dichtumwachsene Laube hinter dem Tische, an dem die Mädchen Platz genommen und lauschte mit sarkastischem Lächeln auf ihre Gespräche.

Unerbittlich waltete Röschen ihres pädagogischen Amtes. Kaum hatten die Damen sich etwas mit dem frischen Trank erquickt, so mußte fortgefahren werden mit den Erzählungen aus dem Alterthum.

»Gretchen . . . erzähl' uns den Mythos von Iphigenie!«

Das kleine enfant terrible machte ein sehr verlegenes Gesichtchen.

92 »Ach Gott, das weiß ich nicht mehr genau. Die Griechen lagen mit ihren Schiffen an einer Insel fest, weil durchaus kein Wind blies. Da glaubten sie, die Göttin Diana zürne ihnen, und um den Zorn derselben zu beschwichtigen, nahm Menelaos seine Tochter Iphigenie . . .«

»Menelaos?« fragte Auguste mit überlegenem Lächeln.

»Das war ja der Mann der schönen Helena,« versetzte Sabine; »der hatte glücklicherweise keine erwachsene Töchter. Na, die Mama würde die gut erzogen haben!«

»Agamemnon,« ergänzte Anna, »war Iphigeniens Vater.«

»Darauf kommt's doch bei dieser alten Geschichte nicht an,« sagte Gretchen ärgerlich. »Kurz, die Tochter wurde an den Altar geschleift, der Vater zückte das Messer . . . doch welche schmerzliche Enttäuschung! Statt der Tochter hatte er eine Hirschkuh geschlachtet. Iphigenie aber fuhr durch die Wolken und fiel in Tauris nieder. Und die Griechen bekamen wieder Wind.«

»Du hast eine trostlose Manier,« versetzte 93 Röschen, »diese Sagen aus dem Alterthum zu erzählen, so burschikos, so gar nicht stilvoll. Fahre fort, Lisa, wie ging's der Tochter des Atriden in Tauris?«

»Ach, das ist langweilig,« sagte Lisa gähnend, »sie hatte einen abscheulichen Bruder Orestes, der seine Mutter gemordet hatte.«

»Abscheulich?« warf Auguste ein, »er rächte doch seinen Vater, den die Mutter erschlagen hatte.«

»Na die ganze Familie taugte eben nicht viel; den Bruder verfolgten die Furien, die unangenehmsten Frauenzimmer aus der griechischen Mythologie. Die arme Iphigenie! In Aulis sollte sie geschlachtet werden, in Tauris sollte sie selber schlachten: sie kam aus der Schlächterei gar nicht heraus.«

»Das waren Opfer,« meinte Auguste altklug, »die den Göttern gebracht wurden.«

»Das weiß ich auch, Mutter Weisheit; doch das ist ganz egal, die Sache bleibt dieselbe.«

»Was wollte denn Orestes in Tauris?« fragte Röschen.

»Seine Schwester holen, wie das Orakel 94 verlangte,« erwiderte Lisa, »damit sein Wahnsinn ende. Doch es war ein Rebus des guten Apollo. Orestes glaubte, er solle das Bild der Diana, der Schwester des Gottes aus dem Tempel entwenden; doch dieser hatte des Orestes eigene Schwester gemeint . . . und die nahmen sie auch mit nach Hause. Die Geschichte ist sehr langweilig . . . Apollo konnte sich deutlicher aussprechen, da gab's alle die Trauerspiele nicht!«

»Wie prosaisch!« sagte Röschen ärgerlich, »dann würde ja auch das schönste Schauspiel uns fehlen, Goethe's ›Iphigenie‹. Das zarte edle Weib voll Seelengröße und Hoheit ächter Empfindung: o wie fühl' ich mit ihr!

Und an dem Ufer steh' ich lange Tage,
Das Land der Griechen mit der Seele suchend.

Auch ich such's mit der Seele, das Land der Schönheit und der Musen.«

Sturmwedel hatte inzwischen neue Erquickungen bestellt, und als sie angekommen, ergriff Sabine das Wort:

»Ich sehe nicht ein, warum unser gelehrtes Kränzchen nur die Strapazen der Wissenschaft 95 ausstehen soll: sind wir einmal Studentinnen, so wollen wir auch wie Studentinnen leben. Wir können unser Latein auch zum Commerschiren brauchen. Beginnen wir:

»Gaudeamus igitur,«

und die Mädchen, welche alle die erste Strophe des Liedes kannten, sangen dieselbe in fröhlichem Chorus mit.

Da duldete es den Grafen nicht länger in der Laube, mit einer höflichen Verbeugung sich den Mädchen nähernd, rief er:

»Das geht ja hoch her . . . bin auch dabei!«

»Vivant omnes virgines,
Faciles, formosae!
«

»Ich habe die Ehre . . . Graf Bergheim, meine Damen!«

Die jungen Mädchen erhoben sich etwas betroffen von ihren Sitzen. Röschen ergriff indeß mit Geistesgegenwart das Wort:

»Ich bin die neue Gesellschafterin der Baroneß, Röschen Rostner . . . und diese hier meine Freundinnen!«

Sie stellte dieselben der Reihe nach vor.

96 »Ich bin entzückt,« sagte der Graf, »so viele junge und hübsche Damen kennen zu lernen und erstaunt über ihre Gelehrsamkeit . . . ich habe gelauscht.«

»Wie bin ich beschämt,« flüsterte Gretchen.

»Und ich kann viel besser erzählen,« meinte Lisa. »Sie haben uns in unserem geistigen Negligee belauscht, wir hätten sonst eine viel geschmackvollere Toilette angelegt.«

»Das Negligee stand Ihnen ganz reizend,« sagte der Graf, »trinken Sie, singen Sie, meine Damen. Ich will nicht stören.«

»O nein,« versetzte Röschen, »es ist Zeit, daß ich auf's Schloß komme. Sturmwedel, mein Gepäck! Adieu, liebe Freundinnen!«

Sie küßte sie alle ab, eine nach der anderen, Graf Bergheim stand als Flügelmann daneben, als hoffte er, daß die Reihe auch an ihn kommen werde.

»Sie, Herr Graf,« sagte Röschen, »habe ich wohl die Ehre auf dem Schlosse wieder zu begrüßen. Lebt wohl, und besucht mich bald! Grüßt Papa und Mama . . . ach, es ist doch am schönsten zu Hause. Ich wäre auch nicht fortgegangen, doch 97 res ad triarias venit, es kam zum Aeußersten, es ging nicht anders. Jetzt wandele ich wie eine Patricierin auf der heiligen Straße Roms, den servus hinter mir. Sturmwedel, folge mir!«

Und lachend machte sich Röschen auf den Weg nach dem Schlosse, während Sturmwedel mit ingrimmiger Miene hinter ihr herschritt; er war stets herausfordernd, wenn er getrunken hatte. Die jungen Damen sollten seine Rückkehr abwarten, daß er sie nach Hause geleite; doch da trat der Graf, der diese Sorte von Backfischen ganz charmant fand, als unerwarteter Ersatzmann vor.

»Sie sind ganz allein, meine Damen! Darf ich mir erlauben, Sie auf dem Rückweg zu geleiten?«

Sabine und Auguste fanden das sehr liebenswürdig und schmeichelhaft, Gretchen hatte den Muth zu erklären, daß sie alle das mit Dank annähmen; und Lisa flüsterte zu Anna:

»Gott, wie langweilig! Ein so bejahrter Herr!«

»Doch Sie werden mir verzeihen, ich weiß mit den Alten nicht recht Bescheid.«

»Das wundert mich,« sagte Auguste zu Sabine, »es ist doch sein Genre, die Alten.«

98 »Wer präsidirt denn,« fragte der Graf, »in Ihrem gelehrten Kränzchen?«

»Röschen,« antwortete Sabine, »in ihrer Abwesenheit bisweilen ich selbst, Sabine von Bomst!«

»Muß man ein Examen bestehen, um in Ihren Kreis aufgenommen zu werden?«

»Gewiß,« sagte Sabine, indem sie eine sehr würdige Miene annahm, »erzählen Sie uns eine Geschichte aus dem Alterthum!«

»Ja, ja,« riefen Alle und umhüpften händeklatschend den Grafen, der sich vorkam, wie der Meergreis unter den Najaden der Fluthen.

»Doch ich habe mir blos die amüsanten Geschichten behalten und die dürfen Sie nicht hören. Da müssen wir den hohen Olymp mit seiner haarsträubenden Galanterie ganz aus dem Spiele lassen. O, ich weiß, was diese jungen Damen von mir verlangen können; ich werde mich bestreben, bildend auf Ihr Gemüth zu wirken.«

»Bitte . . . bilden Sie,« sagte Sabine.

»Wir suchen«, begann Bergheim, sich räuspernd, mit pathetischem Ton, »das weibliche Ideal und zwar in jener Zeit, als sich Ilium dazu vorbereitete, 99 von Schliemann ausgegraben zu werden . . . in der Zeit des trojanischen Krieges.«

»Den Homer so schön besungen,« warf Anna ein.

»Der würdige Rapsode hätte sich einen minder frivolen Gegenstand aussuchen können.«

»Frivol?« fragte Auguste erstaunt, »der trojanische Krieg?«

»Ein Krieg, der geführt wurde um eines leichtsinnigen Weibes willen. Ja, meine Damen, die griechischen Heerführer waren meistens unglücklich verheirathet. Wie ganz anders die Troer! Diese Andromache mit dem kleinen Sohne Hectors . . . wie hieß er doch gleich?«

Alle verharrten in einem verlegenen Schweigen.

»Der liebe, artige Kleine . . . keine der Damen?«

»So hoffe ich eine Bank heraufzurücken . . ich weiß es und bin stolz darauf; die Säuglinge sind sonst nicht meine Force. Er hieß Astyanax . . .«

»Den Namen hab' ich nie gehört,« sagte Lisa.

»Astyanax,« fügte Sabine hinzu, »für ein Kind ein recht schwerfälliger Name; er steht nicht im Kalender und läßt sich gar nicht abkürzen.« . . .

100 »Homer,« sagte der Graf, »braucht lange Namen für seine Hexameter. Nun, bin ich würdig, in Ihr Kränzchen aufgenommen zu werden?«

»So rasch geht das nicht,« versetzte Sabine; »der Astyanax ist ein zu kleines Wickelkind . . . damit allein kommen sie nicht durch. Erzählen Sie weiter.«

»Lassen wir den Schreihals,« sagte der Graf; »Andromache war jedenfalls eine gute Mutter. Doch zu den griechischen Generalen zu kommen: da war Menelaos, der hatte die Helena geheirathet, die mit Paris durchging: er lief ihr nach mit einem großen Heere, und obschon sie zehn Jahre älter und häßlicher geworden, nahm er sie wieder mit nach Hause: ich, meine Damen, hätte es nicht gethan.«

»Ist das vielleicht das Ideal,« fragte Sabine, »das Sie uns vorführen wollen?«

»O nein! Agamemnon hatte gar eine tragische Frau . . . die war noch schlimmer. Sie schlug ihn todt, als er von Troja zurückkam, und hatte sich inzwischen einen Liebhaber angeschafft. Wie kann man auch seine Frau zehn Jahre lang allein lassen . . . das war sehr unvorsichtig!«

101 »Wer mich verurtheilt,« sagte Lisa, »mich zehn Jahre hindurch zu langweilen, den schlage ich auch todt.«

»Nur Einer hatte die rechte Wahl getroffen: jetzt komm ich zu meinem Ideal. Der kluge Odysseus hatte die schlaue Penelope geheiratet; sie ließ sich den Hof machen von einer ganzen Horde von Freiern, aber sie nasführte sie alle und wahrte die Treue. Gewiß war sie ein wenig kokett und legte keinen Werth auf weibliche Arbeiten, da sie dieselben stets wieder ruinirte; doch sie ist das Ideal einer guten Gattin und Hausfrau und ich habe die Ehre, sie Ihnen als leuchtendes Vorbild zu empfehlen.«

»Schlau und kokett,« meinte Gretchen, »das ist nichts für mich.«

»Jedenfalls hatte sie sich trotz ihres großen Bengels Telemachos sehr gut conservirt; sonst wäre sie nicht so von Verehrern bestürmt worden. Auch das empfehl' ich Ihnen für Ihre späteren Lebensjahre. Zunächst hat es keine Noth damit! Nun, wie hab' ich mein Examen bestanden?«

102 »Genügend,« sagte Sabine, »Sie haben Chancen für die Aufnahme.«

Alle Mädchen stimmten diesen mit feierlichem Ernst gesprochenen Worten zu.

»Es ist ein klassischer Kreis, in welchen ich trete . . . ich bin wenigstens ein alter Klassiker. Darf ich um Ihren Arm bitten, Fräulein von Bomst, und um den Ihrigen, Fräulein Auguste?«

Beide junge Damen trugen kein Bedenken, sich von einem so kundigen Thebaner führen zu lassen.

»Verstatten Sie mir eine kurze Zeit einen Platz in Ihren Herzen, bitte, nur als Trockenwohner für die künftigen Miether. Ich bin sehr abgehärtet und werde mich nicht erkälten. Und nun geleit' ich Sie:

»Gaudeamus igitur
Juvenes dum sumus
«

Die jungen Damen stimmten lebhaft ein, und so setzte sich der fröhliche Zug in Bewegung, dem Vollmond entgegen, der röthlich über den Waldbergen aufging.

Da kam Sturmwedel aus dem Schloß und als er sah, daß seine Schutzbefohlenen alle 103 ausflogen, stürzte er ihnen nach! Zu seiner größten Bestürzung erkannte er den Grafen Bergheim als den Führer der lustigen Schaar.

»Ha, der Marder im Taubenschlag,« brummte er vor sich hin; . . . »was wird meine Alte sagen«. Und schwer keuchend bot er den letzten Hauch von Roß und Mann auf, um dem Räuber die unschuldigen Opfer zu entreißen. 104

 


 


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