Rudolf von Gottschall
Schulröschen
Rudolf von Gottschall

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Fünftes Kapitel.

Ein paar Tage waren vergangen, seitdem Röschen ihren Einzug in Schloß Burgdorf gehalten hatte. Es war ein stattlicher Herrensitz, das Schloß mit seinen beiden Flügeln . . . man konnte sich in den vielen Corridoren, in der langen Reihe der Gemächer verlaufen. Die Hausordnung verstattete, daß die Gäste den Tag über für sich lebten und ihren Vergnügungen nachgingen; nur beim späten Mittagtisch fand sich alles zusammen.

So konnte sich auch Röschen, an welche Mathilde in der ersten Zeit noch keine Ansprüche machte, bis sie sich vollkommen eingerichtet hätte, frei im Park ergehen. Und an den Park grenzte der Wald . . . und da war's noch schöner unter den hohen Buchen. Da führte der Weg bergan und ein paar verirrte Sonnenlichter spielten auf dem Schattenpfade. Und 105 oben auf dem Hügel unter einer alten Eiche . . . da war ein reizender Durchblick auf das Schloß und das Städtchen dahinter, wo der gute Vater und die lieben Mädchen weilten . . . und da ward es Röschen immer so wohl und weh um's Herz.

Einmal hatte sie den Baron Felsen den Hügel hinaufkommen sehen und hatte dann rasch die Flucht ergriffen in's pfadlose Dickicht. Mit ihm allein im Walde . . . es wäre im Märchen schön gewesen, entzückend schön; doch ihr Lebenspfad führte nicht durch den Zauberhain des Märchens. Und doch . . . wenn sie einsam durch den Park und den Wald schritt, immer glaubte sie, auf einer Biegung des Weges müsse ihr Felsen begegnen . . . und ein angstvoll süßer Schauer ergriff sie bei jedem Geräusch, welches die durch die Büsche huschenden Waldbewohner machten.

Beim Diner saß sie ihm gegenüber; sie hing an seinem Munde, wenn er von seinen Reiseabenteuern in fernen Welttheilen erzählte; sein wetterbraunes edles Gesicht, seine feurigen Blicke, sein männlicher Ton . . . es lag etwas Bestrickendes in seinem ganzen Wesen. Schweigsam saß sie da, 106 wenn er gesprochen hatte . . . oft solange die Tafel währte; nur wenn er sie nachher mit ein paar Worten freundlich ansprach . . . da ging ihr die Seele auf.

Und wenn auch der Zauber seiner Nähe sie nicht mehr gebannt hielt, weilten alle ihre Gedanken bei dem Spielgefährten ihrer Kindheit; vergebens kämpfte sie dagegen an; sie wußte jetzt, was Felsen nach Burgdorf geführt . . . die alte Lore hatte es ihr verrathen. So schien's ihr ein Frevel an der Freundin und Gebieterin, daß sie so sündige Gefühle im verborgensten Winkel ihres Herzens hegen konnte.

Am liebsten plauderte Röschen mit der stumpfen, halbtauben Lore, einem alten Inventarstück des Schlosses. Oft saßen sie beisammen in ihrem Stübchen, beim Schein der späten Lampe. Da waren lauter Roccocomöbel, uralte Schränke, welche den Raum verengten und schwere Schatten auf das verblaßte Parquet der Dielen warfen. Ueberall knarrte und knisterte es unheimlich . . . die Holzwürmer pickten und tickten im Getäfel . . . draußen lag der Mondschein auf den Wipfeln.

107 Und die alte Lore erzählte, indem sie ihre Brille hoch über die gespenstigen Augen schob, daß es im Schlosse spuke und sie habe einen Schreck bekommen . . . sie glaube, daß das Fräulein selbst nachtwandele. Sie gleite und schleiche durch die Korridore . . . und neulich um Mitternacht habe sie das Fräulein im Park gesehen. Da habe sie hinter dem Tulpenbaum gestanden, und auf einmal seien aus dem einen Schatten, den der Mond auf die Wiese gezeichnet, zwei geworden.

»Ich habe oft schlaflose Nächte,« sagte Lore, »und als ich neulich am Fenster stand, da ging ein Fremder auf der Wiese auf und ab. Ich habe dem Gärtner gesagt, er solle achtsam sein: er hat mir's auch versprochen; doch des Nachts schläft er mit seinen Blumen. Es ist nicht mehr geheuer hier!«

»Es wird Herr von Felsen sein,« versetzte Röschen, indem sie sogleich über ihre eigene Kühnheit erschrak.

»Ach nein, mein Kind . . . der ist es leider! nicht, der kann am lichten Tag mit Fräulein Mathilde soviel sprechen und kosen wie er will . . . doch er sucht sie nicht auf; es scheint mir oft, als 108 ginge er ihr aus dem Wege. Und so wird wohl nichts werden aus dem, was der Vater wünschte, und wir werden alle unser Ränzel schnüren und das Schloß verlassen müssen . . . o es wird mein Tod sein, denn ich kann nur in Burgdorf leben!«

Lore seufzte tief, schob die Brille wieder über das thränenfeuchte Auge und ihre Stricknadeln klirrten melancholisch.

Es war ein eigen Ding um die Gedankengänge der alten Lore: oft folgte sie ihnen mit ungezwungenem Behagen und dann trat plötzlich eine Stockung ein, wie wenn die heisere Wanduhr stille stand. Und es war, als wenn stets eine Feder an derselben Stelle abschnappte und die hilflosen Gedanken dann nicht weiter fortkonnten.

Immer wieder brummte sie vor sich hin, daß der Vater Mathildens gar nicht berechtigt gewesen sei, ein solches Testament zu machen. »Das habe einmal der Großvater gesagt . . . und der Vater habe auch stets ein böses Gewissen gehabt. Sie müsse dahinter kommen, wie das zusammenhinge; denn sie wisse es eigentlich, aber sie könne sich jetzt nicht darauf besinnen.« Und da griff sie denn 109 krampfhaft einigemale mit den Händen in der Luft umher, als wolle sie etwas fangen, was ihr vor den Augen flimmerte: aber es ließ sich nicht fangen, und so oft sie die Geschichte zu erzählen begann, stockte sie stets wieder an derselben Stelle: es war da eine Lücke in ihrem Gedächtniß, über die sie nicht hinüberkonnte.

Einmal war Röschen auch im Ahnensaal gewesen und hatte dem Maler Norbert bei seiner stillen Arbeit zugesehen. Es war ein eleganter Herr, dieser Maler, mit einem feinen Künstlergesicht, und auch wenn er im luftigen Malerkleide an seiner Staffelei saß, machte er einen wahrhaft vornehmen Eindruck. Feine Augenbrauen wölbten sich in zierlicher Rundung über einem Paar schwärmerisch dunkeler Augen und wenn er sich grüßend erhob, so zeigte sich seine hohe schlanke Gestalt im günstigsten Lichte. Da saß er nun und malte den garstigen Vater, den Röschen gar nicht leiden konnte, indem er seine Züge aus einem Gruppenbild der Familie loslöste und ein selbständiges Porträt daraus schuf.

Der Maler Norbert wohnte nicht im Schlosse: 110 das war ein Vorrecht der Verwandten. Früher war er bisweilen bei Tische erschienen: jetzt seit der Graf und der Baron zum Besuche da waren, ließ er sich nicht mehr sehen. Er galt für ein Original, welches am liebsten in einer Osterie sein Wesen treibe, wie weiland in Rom, sich gar mit den Bauern unterhalte, Nachts durch die Wälder schweife: ein Künstler, dem der Zwang der fashionabeln Welt unerträglich ist. Nach diesen Schilderungen glaubten Graf Bergheim und Baron von Felsen, Norbert müsse zu jener burschikosen Sorte von Künstlern gehören, die sich wenn die Muse nicht ihren Pinsel führt, mit dem Ellenbogen Bahn durch die Welt brechen, denen es nur in Hemdärmeln wohl ist und die aller conventionellen Form mit Behagen Trotz bieten. Wie erstaunten sie indeß, als sie im Ahnensaal die Bekanntschaft eines Künstlers machten, der, was sein Wesen und Benehmen betrifft, jedem Hofcirkel zur Zier gereicht haben würde. Doch er gab jener Begegnung weiter keine Folge, er hielt sich nach wie vor von jedem Umgang mit den Gästen des Schlosses zurück. War das nun Künstlerlaune oder lag dabei irgend ein 111 Geheimniß zugrunde? Da er fast nie aus seinem Ahnensaal hervorkam, so vergaß man bald, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.

Am wohlsten fühlte sich Röschen in der Bibliothek, in diesem weiten luftigen Saal mit den hohen auf den Park hinausgehenden Fenstern. Alle anderen Wände waren mit Repositorien bis hoch hinauf bedeckt . . . und da standen überall Quartos, Folianten, alle in Unordnung und mit Staub bedeckt; denn Mathildens Vater war weit davon entfernt gewesen, ein Gelehrter zu sein und hatte überdies eine ganz unerklärliche Abneigung gegen das Bibliothekzimmer, das er fast nie betrat, ebensowenig wie das kleine Cabinet hinter demselben, eine Art von Hausarchiv mit hohen verschlossenen Schränken. Röschen war glücklich, wenn sie die dicken Bände aufschlagen und durchblättern konnte: da war ja fast überall ihr geliebtes Latein zu lesen, und sie verstand das alles, was da mit bunten Initialen und schwerfälligen Buchstaben gedruckt war. Was sie da zur Hand nahm, waren meistens alte Bücher; die neuesten waren aus dem vorigen Jahrhundert, erste Ausgaben der deutschen Klassiker, 112 die Nikolai'sche Bibliothek. Das füllte eine ganze Wand bis hoch zur Decke! Der Vater und Großvater hatten keine Bücher mehr gekauft: und am wenigsten geraten die reichen Leute in neuester Zeit auf solche Liebhabereien; da waren die guten Alten bessere Literaturfreunde! In der Handbibliothek des Schlosses befanden sich nur Werke über Schafzucht, Forstwirthschaft und Bodenklassification . . . und nur das Fräulein hatte in ihrem Boudoir eine Bibliothek neuer Dichter und Romanschriftsteller, die gerade Mode waren, in eleganten Einbänden, und die kleinen Tische seufzten unter den illustrirten Albums: Hellas, Rom, Aegypten, Palästina . . . die ganze illustrirte Prachtgeographie lag da zur Schau.

Röschen hatte Mathilde oft nach ihren Verpflichtungen gefragt und sich ihr zur Verfügung gestellt; doch diese bat sie, sich zunächst überall umzusehen, es habe das alles Zeit, bis die Gäste das Schloß verlassen hätten. Doch eines Abends nach dem Essen, als Röschen die allein Wandelnde im Garten traf, schien diese geneigter zu vertraulichem Gespräch. Beide setzten sich unter die hohe Linde, 113 dicht neben der Veranda des einen Schloßflügels, Röschen den Strickstrumpf in der Hand, schwärmte von der Schönheit des Parkes, von der herrlichen Beleuchtung des Abends, welche den Springbrunnen in einen Jongleur verwandelte, der mit dem Regenbogen Fangball spielte, auf die Wipfel seine Rosen streute und hinter den lichten Buchenstämmen den Himmel wie mit rothem, aus Walddunkel leuchtendem Sammt ausschlug.

»Sie haben Sinn für Natur,« sagte Mathilde, »das ist schön. Sie sind mir überhaupt ein Wunder: trotz der vielen Gelehrsamkeit noch ein so heiteres kindliches Gemüth. Wenn man wie Sie immer über den Büchern sitzt . . .«

»O im Verkehr mit den alten Dichtern,« versetzte Röschen, »verlernt man nicht die Heiterkeit des Gemüths . . . doch manches andere verlernt man: wie die weiblichen Handarbeiten.«

»Das kann man jetzt in allen Läden kaufen . . .«

»Für theures Geld!«

»O nein! Die Arbeit hat fast gar keinen Werth mehr; es sind ja lauter Hungerpreise: Das 114 will alles leben und kämpft um's Dasein und der Kampf mit der Nadel ist immer einer der traurigsten.«

»Ich kämpfe auch um's Dasein,« sagte Röschen seufzend, »ich bin ein armes Mädchen.«

»Sie sind meine Gesellschafterin, mein Fräulein, wie ich hoffe!«

»Und bald außer Dienst, wie ich fürchte.«

»Außer Dienst? warum?«

»Sie werden bald bessere Gesellschaft haben . . . für's ganze Leben.«

»Sie phantasiren!«

»O wie Sie glücklich sind . . . so umworben, so begehrt zu werden. Es muß ein schönes Gefühl sein: solch' ein Leben hat Werth für andere. Unsereins ist so überflüssig in der Welt . . . wer kümmert sich um uns? Sie aber, so schön, so jung, so reich . . . .«

»Einen Strich durch das alles,« sagte Mathilde; »Schönheit ist Sache des Geschmacks, Jugend von Hause aus zum Tode verurtheilt . . . und im Uebrigen bin ich fast so arm wie Sie.«

»Das glaub' ich nicht . . . und die Bewerber werden sich darum nicht kümmern. Da ist Graf Bergheim, kein Jüngling mehr, es ist wahr, doch 115 ein liebenswürdiger Herr mit dem Humor eines Horaz und dem Witze eines Lucian . . . und dann . . . der Baron von Felsen.«

»Der gefällt Ihnen wohl?« fragte Mathilde.

»Es ist ein lieber guter Mensch; ich kannte ihn, als er noch Primaner war, und da war er so freundlich gegen mich. Und klug ist er . . . er hat das beste Abiturientenexamen gemacht von allen, wie Papa sagt; er war sein bester Schüler. Und dann ist er auch später nicht dumm geworden, was guten Schülern oft passirt; nein, er ist sehr angesehen und Landschaftsdirector, wie sie's nennen. Das ist ein Vertrauensposten. Er ist auch zum Abgeordneten im Landtag gewählt, wie Papa sagt. Und man merkt's ihm gar nicht an, daß er solch' ein Cicero ist, ein pater patriae, ein Vater des Vaterlandes; denn er ist noch sehr jung und bescheiden: doch wenn er spricht, das klingt wie Metall, wie tönendes Erz; er hat das os magna sonaturum, das heißt den Vollklang der Rede, der für große Dinge paßt . . . und wie stattlich er dabei aussieht. Und integer vitae ist er auch, das heißt, es ruht kein Makel auf ihm.«

116 »Sachte, sachte, mein Kind,« sagte Mathilde, nicht wenig erstaunt über diesen Strom der Beredtsamkeit.

»O wie Sie glücklich sind, Fräulein,« rief Röschen aus, »einen solchen Bewerber zu haben.«

»Und wie glücklich er ist,« versetzte Mathilde, »eine solche Lobrednerin zu finden. Ob er so viel Lob ertragen würde? Röschen, ich habe fast ein Recht, um eifersüchtig zu sein.«

»Wie können Sie denken . . .«

»Doch da kommt er ja selbst, er kommt aus dem Walde zurück, der gute Vetter! Sie meinen, er macht mir den Hof, er bewirbt sich um mich? Da gebietet's die Koketterie, ihm möglichst aus dem Wege zu gehen und sich suchen zu lassen. Ich fürchte mich ja ordentlich vor diesem Vetter Felsen . . . er muß erstaunlich gefährlich sein. Sie müssen sich diesmal für mich opfern . . . thun Sie mir den kleinen Gefallen, Röschen, decken Sie meinen Rückzug!«

Und mit fröhlichem Lachen begab sich Mathilde ins Haus. Röschen hatte Lust, ihr zu folgen; doch schon klangen ihr in's Ohr die Verse des Goethe'schen Liedes: 117

»Sah ein Knab' ein Röslein stehn,
Röslein auf der Haiden,
War so jung und morgenschön . . .«

und sie kannte ja den Sänger; sie stand willenlos und erwartete ihn.

»Wie, heute nicht hinter den Büchern?« sagte Felsen.

»Nein, mit dem Strickstrumpf in der Hand, wie Sie sehen.«.

»Das steht Ihnen ganz gut.«

»Wirklich?«

»Stricken ist doch immer nöthiger als Latein und Griechisch.«

»Das sagen Sie?«

»Das sagt alle Welt! Die Bücher sind gewiß schön, doch es ist ein Leben aus zweiter Hand; schöner ist das aufgeschlagene Buch der Natur und des Lebens; schöner die Arbeit, die Nützliches schafft.«

»Mein Papa ist anderer Ansicht: Bildung ist ihm die Hauptsache!«

»Bildung . . . gewiß,« sagte Felsen; »doch das ernste Studium geziemt nur den Männern, der leichtere Gewinn der Arbeit komme auch den Frauen zugute.«

118 »Sie tadeln mich,« sagte Röschen, indem sie sich erhob, als wenn sie die Flucht ergreifen wolle; »wie mir das wehe thut . . . ich mache es Ihnen nicht recht.«

»Man putzt die Lichte,« versetzte Felsen, »damit sie um so heller brennen. Röschen . . . ich darf Sie wohl so nennen.«

»Sie machen mich glücklich!«

»Sie sind mir der wiederauferstandene Genius meiner Kindheit: ich sehne mich danach, wieder Schmetterlinge zu jagen und Sie sitzen auf dem Rasen und sehen mir zu . . . ich bringe Ihnen die Pfauenaugen, die Schwalbenschwänze, doch erst wenn sie todt sind; denn ich will Ihrem kindlichen Gemüthe den Anblick der Todesqual ersparen. Dann sehen Sie mich an mit einem so dankbaren Blicke; wahrhaftig, Sie haben noch immer denselben Augenaufschlag . . .«

»Ach nein,« sagte Röschen, »es liegt eine so lange Zeit dazwischen.«

»Und darum sollten Sie minder freundlich und herzlich sein? Freilich, Sie haben jetzt ein Urtheil und vor dem mag ich nicht bestehen. Damals 119 war's anders! Das kleinere Mädchen hing an dem viel älteren Spielgefährten und wär' er auch ein Taugenichts gewesen: sie wäre ihm gefolgt, wohin er wollte.«

»Damals durfte sie ihm folgen.«

»Sie durfte? Und jetzt?«

»Darf sie es eben nicht! Doch das ist ja alles thöricht, was wir hier sprechen.«

»So wollen wir thöricht sein . . . wer darf's uns wehren? Es giebt eine Thorheit, die mehr werth ist als alle Weisheit dieser Welt. Freilich, ich seh's, ich bin Ihnen nicht mehr ein guter Kamerad, seit ich diesen Bart trage.«

»O, er steht Ihnen ganz prächtig!«

»Wenn Sie das meinen, dann soll nie ein Scheermesser sich an ihn wagen! Doch was hilft mir der Bart, wenn der ganze Gustav, wie er jetzt geworden ist, von Ihnen in Acht und Bann gethan wird.«

»Ach nein,« versetzte Röschen verlegen, »warum sagen Sie mir solche Dinge?«

»Ich will nur wissen, ob noch ein Wiederschein jener Jugendzeit in Ihrem Herzen geblieben ist.«

120 »Das könnte mich nur wehmüthig, nur traurig stimmen!«

»Um wieviel glücklicher bin ich . . . Jenes schüchtern holde Frühroth ist jetzt zu einem taghellen Glanze geworden. Röschen . . . wenn ich Sie ansehe . . .«

»O ich bitte, sehen Sie mich lieber nicht an, doch hören Sie auf meine Worte. Sie stehen an der Schwelle eines großen Glücks; Sie werben um die Hand einer liebenswürdigen Dame; ich hoffe bald ganz die Vertraute derselben zu sein. Rechnen Sie auf mich . . . das kleine Mädchen von damals, das Sie so oft erfreut und beschützt haben, es soll Ihre Bundesgenossin sein!«

»Röschen!«

»Liebe kommt ja von selbst, man weiß nicht wie; aber sie ist oft scheu und zaghaft und bedarf der Ermuthigung . . . ich will sie ermuthigen. Ja, Mathilde ist stolz und sträubt sich vielleicht gegen eine Liebe, die ihr zur Pflicht gemacht, die ihr vom eignen Vater verordnet worden ist, eine Liebe, die ihr Geld und Gut einbringt. Ich will diesen Stolz beugen . . . rechnen Sie auf mich! 121 Sie soll ihrem Herzen folgen . . . und das kann ja keine andere Wahl treffen . . .«

»Und das glauben Sie selbst?«

»Und dann noch eine Bitte! Vermeiden Sie es, mich unter vier Augen zu sprechen: es ist nur der Leute wegen und es könnte Ihnen bei Mathilde schaden . . . sonst wollen wir gute Freunde sein.«

»Von Herzen . . . und ich parire gleich Ordre, doch nicht für alle Zukunft thu' ich das Gelübde, Sie unter vier Augen nie zu sprechen: zwei dieser Augen sind so bezaubernd, daß die anderen nichts besseres thun können als immer hineinzublicken . . . tief, recht tief bis in die innerste Seele. Nein, nein, Röschen, ich bin jetzt gehorsam aus alter Freundschaft; doch ich werd' es nicht immer sein und es kommt vielleicht der Tag, wo die Freundschaft ein Ende nimmt.«

»Nein, nein, der Tag soll nimmer kommen!«

»O, wir begraben sie dann, doch der Grabstein wird eine schöne Inschrift tragen und wir werden nicht zu traurig sein. Auf Wiedersehen!«

Baron Felsen drückte Röschen herzlich die Hand und begab sich durch die Veranda in's Schloß. Sie 122 blieb nachsinnend stehen; sie verstand nicht recht, was er damit meinte; doch allerlei frohe Ahnungen zogen durch ihr Gemüth.

Da trat Graf Bergheim plötzlich aus dem Gebüsche; er hatte in der That gelauscht und wenn er auch nicht jedes Wort verstanden, so war ihm doch klar geworden, daß Baron Felsen dem Mädchen den Hof mache, ja daß nicht viel zu einer ausdrücklichen Liebeserklärung gefehlt habe.

Er war sehr unzufrieden mit Röschen, der er den Text lesen wollte; doch als ächter Cavalier suchte er eine liebenswürdige Anknüpfung für das bedrohliche Gespräch. Röschen selbst war etwas erschrocken über das plötzliche Hervortreten des Grafen; ihr ahnte, daß ihre Begegnung mit Felsen nicht unbelauscht geblieben sei.

»Wir dürfen gute Freunde sein, liebes Fräulein,« sagte der Graf, »ich habe die junge gelehrte Damengesellschaft nach Hause begleitet und dafür das Diplom als Ehrenmitglied ihres Kränzchens erhalten.«

»Das geht nicht ohne mich!«

»Ei sieh!«

123 »Ich bin die Vorsitzende.«

»Allen Respect . . . doch ich bin examinirt worden und habe gut bestanden.«

»Verstehen Sie Lateinisch, Herr Graf?«

»Ich habe studirt.«

»Das ist gerade die Zeit, in der man das Latein vergißt. Und wie steht's mit dem Griechischen?«

»Da konnt ich nicht viel vergessen; das war immer meine schwache Seite. Doch das werden Sie mir wohl nicht einreden, daß Ihre jungen Damen mit dem spiritus asper und lenis auf einem guten Fuße stehen: selbst die kleine Sabine nicht, die mir mehr vom spiritus asper als vom spiritus lenis zu haben scheint . . .«

»Wir lesen den Homer, Herr Graf! Und wie steht's mit der alten Geschichte?«

»O da glänz' ich . . . fragen Sie nur Ihre Freundinnen. Ich kenne den großen Alexander und den kleinen Astyanax: ich weiß, daß Aspasia eine sehr liebenswürdige Dame war, die aber bei aller Gelehrtheit ihre Verehrer nicht examinirte, ich weiß, daß die Cleopatra . . .«

124 »Lassen wir diese Damen!«

»Aber ces dames tragen einen großen Theil der Kosten der Geschichte des Alterthums. Sie haben sehr viel Unheil angerichtet, diese Messalinen und Agrippinen und diese Schlange vom Nil . . . es waren großartige Ungeheuer. Doch es giebt auch ganz niedliche Schlänglein, welche die Weltgeschichte nicht in den Käfig ihrer Menagerie sperrt und die doch recht gefährlich sind und in aller Stille viel Unheil anrichten.«

»Was meinen Sie damit?« fragte Röschen befremdet.

»Es giebt junge, allerliebste, etwas kokette Dämchen, welche die schönen Pläne würdiger Männer zu vereiteln wissen . . .«

»Herr Graf,« sagte Röschen jetzt mit fester Bestimmtheit, »Sie haben gelauscht.«

»Ich hörte unfreiwillig . . .«

»Und das ist Wasser auf Ihre Mühle! Sie werden Herrn von Felsen bei der Baronesse anschwärzen. Sie werden ihn, wegen der paar nichtssagenden Worte, die Sie gehört, als leichtfertig und 125 ungetreu hinstellen, ihn aus dem Felde zu schlagen suchen.«

»Mademoiselle« rief jetzt der Graf erblassend mit dem Ton äußerster Entrüstung, der Röschen erschreckte; »wären Sie ein Mann, Sie müßten mir vor die Klinge! So denken Sie von einem Grafen Bergheim? Schämen Sie sich, Sie kleines Schulmädchen!«

Verlegen nach geeigneter Rechtfertigung suchend, brachte Röschen nur die Worte hervor:

»Doch das würde jeder Andere an Ihrer Stelle thun.«

»Eben was jeder Andere aus der Plebs thun würde, das thun die Grafen Bergheim gerade nicht. Zwischenträgereien . .  pfui! Intriguen um des Geldes willen . . . abermals pfui! Wissen Sie, was point d'honneur ist? Sie können es nicht wissen; die Römer und Griechen hatten keinen: Die Helden und selbst die Götter schimpften sich ungenirt, und ein Stück von dem buckligen Thersites steckte in allen Unsterblichen. Nein, nein, Mademoiselle. Sie haben mich wahrhaft beleidigt . . . Freilich! 126 ein Mückenstich, und Ihnen gegenüber brauch' ich den Fliegenwedel statt des Degens.«

»Herr Graf . . . Sie vergessen ganz, daß Sie zuerst eine böse Anklage gegen mich vorbrachten.«

»Ich klage Sie nicht an, ich will Sie warnen, daß Sie durch Ihr kokettes Wesen den Baron Felsen nicht ablenken von dem rechten Wege, daß Sie sich nicht zwischen ihn stellen und sein Glück.«

»O Gott, wie fern mir das liegt!«

»Ich habe genug gehört; er interessirt sich für Sie; seine Worte hatten jene bedrohlichen Accente, in denen sich eine Leidenschaft ankündigt.«

»Um alles in der Welt nicht. Sie irren, Herr Graf.«

»Sie sind nicht übel, Mademoiselle! Ich sag' es offen, mein Geschmack wären Sie nicht, schon wegen Ihrer erstaunlichen Gelehrsamkeit; ich würde befürchten, daß mir ein Kürbiß auf die Nase fiele, wenn ich unter diesem Baume der Erkenntniß in süßem Schlummer läge; daß unter diesem Baume die Schlange lauerte und daß irgend eine lateinische oder griechische Sentenz auf mich loszüngelte, wenn ich mir einen deutschen Kuß erbäte.«

127 »Einen deutschen Kuß?« fragte Röschen, über die auf einmal ihre ganze Schalkhaftigkeit kam, »o Herr Graf, die Küsse sind international!«

»Doch die aus dem Alterthum lieb' ich nicht! Indeß, was ich auch fürchten würde: ich muß gestehen, Sie gehören nicht zur Dutzendwaare, Sie haben ein paar hübsche Augen und sind ein niedliches Geschöpf, dem man die verwetterte Gelehrsamkeit gar nicht ansieht. Und das Aparte macht einen Eindruck . . . ich begreife das.«

»Ich lasse mir nicht gern einen Spiegel vorhalten, Herr Graf.«

»Ein wenig müssen Sie es sich doch gefallen lassen. Ich will's glauben, daß Sie nicht so schuldig sind; doch ich appellire an Ihr gutes Herz, Mademoiselle! Felsen und Mathilde sind für einander geschaffen; die Freiin behält ihre Güter, wenn sie das Bündniß schließt; es ist ein Verbrechen, Felsen's Sinn von ihr abzulenken oder sie selbst ihm abgeneigt zu machen, indem man ihr Grund zur Eifersucht giebt. Deshalb nur tadl' ich Sie und warn' ich Sie, Mademoiselle . . .«

»So hab' ich Ihnen Unrecht gethan und bitt' 128 es Ihnen ab von ganzem Herzen. Was Sie da sagen, ist nur ein Echo meiner inneren Stimme. So denk' ich, so fühl' ich, so will ich handeln.«

»Bravo, bravo Mademoiselle! Wir wollen zusammenwirken, viribus unitis, daß die Verbindung zustande kommt.«

»Gewiß! Liebe läßt sich zwar nicht zwingen,« sagte Röschen nachdenklich; »doch ihr Herz ist ja noch frei. Sonst wär's ein Verbrechen, ihr das heil'ge Recht einer freien Wahl zu verkümmern. Das wäre etwas anderes, ganz anderes! Dann möchte kommen, was will . . . ich würde ehrerbietig beiseite stehen; für Sie aber hätte die Stunde des Glückes geschlagen.«

»Von mir ist nicht die Rede,« sagte der Graf; »die Bergheim stehen gern im Schatten, wenn die Sonne über den Gerechten aufgeht.«

»Sie haben vorhin nur halb gehört,« versetzte Röschen, »ich selbst habe den Baron dorthin gewiesen, wohin seine Pflicht und sein Glück ihn rufen.«

»Bleiben Sie tapfer,« sagte der Graf, »ich nehme alles zurück, was ich vorher gesagt . . . ich irrte mich! Jetzt erscheinen Sie mir in einem ganz 129 anderen Lichte und ich muß bekennen, wenn man das bischen Schulstaub von ihnen bläst, kleines Schulmädchen, da sind Sie charmant, ganz charmant, eine zierliche Lacerte und wenn ich mich nicht in Acht nehme, schlüpfen Sie mir selbst in's Herz hinein. Das wäre eine kleine Diversion im Dienste der guten Sache, wenn nur meine Waffen selbst nicht zu schartig wären: und wenn Ihnen ein Kuß aus dem Alterthum . . .«

»Ich will nicht wieder an Ihnen irre werden. Herr Graf! Bedenken Sie: noblesse oblige!«

»Den Teufel auch,« sagte Bergheim ärgerlich, »kein Wappen verbietet das Küssen; doch wenn's denn sein muß, so mag das schöne Siegel unserem Bunde fehlen. Doch es könnte mir gefährlich werden, länger in Ihrer Nähe zu weilen: ich würde immer von neuem siegeln wollen und mir dabei nur die Finger verbrennen. Adieu denn, Lateinerin, Griechin, deutscher Engel . . . adieu!«

Und ihr ein Kußhändchen zuwerfend, verließ der Graf den Park.

Inzwischen war es Abend geworden; der Mond war voll am Himmel aufgestiegen und in seinem 130 traumhaften Silberschein neigten sich die Wipfel des Parks. Unter den Sternen durch den Nachthimmel flog das nachtwandernde Rothkehlchen einsam dahin und ließ seinen hellen Ruf ertönen; um eine nahe Tannengruppe strich ein feuerköpfiges Goldhähnchen: alle die niedlichen Geschöpfe, die sich in der Nacht sicherer fühlen, als am Tage, wiegten sich in den Lüften.

Da durften ja auch Röschens Gedanken, die kleinen Nestlinge ihres Herzens, sich hervorwagen, und sie hatten nur einen Lockruf: den Sternen durfte sie's zugestehen, sie liebte Felsen!

Dickköpfige Spinner huschten geisterhaft mit fledermausartigem Flug um die Pappeln und Weiden: es sind unheimliche Nachtgeister und Röschen sucht vorübergehend ihrem Bann zu entkommen.

Und sie wandert immer weiter durch den mondhellen Park. Mögen die Thüren des Schlosses abgesperrt sein . . . sie weiß, die Gärtnerin wird ihr öffnen, wenn sie an's Fenster klopft. Sie kann nicht zurück in's enge Zimmer . . . sie dürstet nach seliger Freiheit.

Welch ein berauschender Duft aus den Büschen, 131 von den Gartenbeeten! Jetzt trat sie unter die Linden . . . die Bienen schlummerten, die sie sonst umsummten; aber die Abendwinde kosten mit den Blüthen, und da strömten sie einen Duft aus von würziger Süßigkeit: es war, als gäb's nichts in der Welt als Wonne und Glück!

Und auf das Glück der Erde sollte sie verzichten . . . wo war es als bei ihm? O jenes unselige Testament . . . daß die Todten solche Macht haben über die Lebenden, daß sie ihre Hand aus dem Grabe herausstrecken können, um sie zurückzuhalten auf dem Wege zum Glück!

Und doch . . . es ist ja schön zu verzichten und sich am Glücke der Anderen zu freuen. Die Pflicht . . . das ist kein dämmerndes Mondlicht, das in die Verstecke schlüpft; das ist der Sonnenstrahl, der fest die Wege zeichnet. Es ist auch süß, der Pflicht zu gehorchen. Röschen beschwor diesen Schutzgeist ihres Lebens aus der Tiefe ihrer Seele empor; sie war bereit, ihm zu gehorchen; aber jetzt im Mondesdämmer, im Blüthenduft . . . Jetzt durfte sie von ihrer stillen Liebe träumen.

Sie war in einen abgelegenen Theil des Parkes 132 gekommen; hier stand ein chinesischer Pavillon, eine Bank davor: auf jeder Seite des Eingangs in gewaltigen Töpfen ein Lorbeer- und ein Myrthenstrauch . . . ringsum ein dichter Perrückenstrauch, der, vom Winde bewegt, im Mondschein wunderlich gestikulirte.

Da war es Röschen, als wenn sie Schritte aus dem Kiesgang hörte; sie fürchtete sich nicht, doch sie wollte Niemand begegnen; sie schlüpfte hinter den Perrückenstrauch, der undurchdringlich die Lauscherin verbarg.

Die Schritte kamen näher; sie erkannte den Maler Norbert, der, vor dem Pavillon angekommen, sich nach allen Seiten umsah und dann wie wartend auf die Bank setzte.

Wartete er hier auf ein chinesisch Märchen? War das hier ein »Hundertblumenpavillon«, vor welchem beim Castagnettengeklapper die Damen des grünen und rothen Gürtels ihre munteren Tänze feiern? Oder sollte irgend eine anmuthige Fan-su in grüner Seide kommen, mit dem Perlgeschmeide, das der Thau des Himmels näßt?

Und eine Fan-su kam, eine deutsche Fan-su; der Wind rührte zum Gruße die Glöckchen auf dem 133 Pagodenthurm und der Perrückenstrauch regte flüsternd sein wirres Gezweig.

Röschen hörte die nahenden Tritte, der Maler stand auf, um der Kommenden entgegenzugehen. Endlich konnte sie die Züge derselben erhaschen . . . sie erstaunte und erschrak: es war Mathilde!

»Ich trag' es nicht länger,« sagte Norbert, »ich muß mit Ihnen sprechen und ich danke Ihnen dafür, daß Sie mir diese Gunst bewilligt haben und sich in die Nacht herauswagen an diese Stätte . . . zur einsamen Begegnung mit mir.«

»Ich hoffe,« sagte Mathilde, »das wird das Mißtrauen entwaffnen, das Sie mir seit einiger Zeit zeigen.«

»Nirgends konnte ich Sie ungestört sprechen . . . und ich weiß es! Sie haben mich getäuscht, Mathilde.«

»Sachte, sachte, mein Herr.«

»Sie haben Hoffnungen in mir erweckt, die nie erfüllt werden können, glühende Hoffnungen, die meine Seele verzehren. Der Händedruck in der blauen Grotte von Capri . . . der Abschied auf 134 jener Ballustrade am Strande von Sorrent, von wo einst Tasso hinausgesehen hat auf die heilige Meerfluth . . .«

»Es ist derselbe Mond,« versetzte Mathilde, »der uns heute scheint wie damals, und es ist dasselbe Licht in meiner Seele, wenn wir auch hier im kalten Norden sind.«

»Ich habe Ihnen nichts verschwiegen,« erwiderte Norbert; »Sie wissen, daß ich ein armer Maler bin, daß die gräfliche Familie, deren Namen ich trage, in ihrem äußeren Glücksstand zurückgekommen ist, daß ich nur für meine Kunst und von meiner Kunst lebe.«

»Ich weiß das alles.«

»Dennoch riefen Sie mich hierher, allerdings mich, den Künstler . . . doch in dem Auftrage, der nur meiner Kunst galt, glaubte ich auch die Stimme der Neigung zu hören. Die schönen Abende von Sorrent tauchten wieder auf in meiner Seele. Neue Blumen hofft' ich zu flechten in den unfertigen Kranz, den wir dort zu winden begonnen . . . und jetzt erfahre ich, daß Sie nicht mehr frei sind!«

»Nicht mehr frei?«

135 »Daß ein Familienpact Sie bindet, daß Ihre Hand . . . wie sag' ich doch gleich . . . testamentarisch vergeben ist. O Sie haben ein unwürdiges Spiel mit meinem Herzen getrieben.«

»Norbert!«

»Keine Macht der Welt hätte mich bestimmen können, meine Kunst in Ihre Dienste zu geben, wenn ich das vorher gewußt. Ich bin nicht hierhergekommen, um Zeuge fremden Glückes zu sein, auch nicht blos, um mit Pinsel und Palette Ihre Ahnen von den Wänden loszulösen . . . ich kam, weil ich an Ihre Liebe glaubte; ich kam, um Ihre Hand zu werben: ich sag' es offen, jetzt wo es zu spät ist. Und nun steh' ich da wie Don Quixote, der seiner Dulcinea von Toboso nachläuft mit dem Barbierbecken auf dem Kopfe.«

»Halten Sie ein, Norbert!«

»Weiß Gott, wozu Sie mich brauchten! Vielleicht hatten Sie einen Anbeter nöthig, der im Stande war, die Eifersucht jenes Verwandten zu erregen, welchem Ihre Hand bereits zugesprochen ist, und seinen zögernden Entschluß zu beschleunigen; oder Sie brauchten ein Spielzeug Ihrer Launen, 136 gleichviel, ich bin verrathen, verhöhnt, herabgewürdigt! Zerreißen will ich die Bilder, die ich gemalt, daß sie als Fetzen von der Staffelei herunterhängen, und auf immer kehr' ich dem verzauberten Schloß den Rücken, wo ich eine Julia zu finden hoffte und nur eine Circe fand.«

»Sind Sie zu Ende, Norbert? Ich will Ihnen Ihre maßlosen Ungerechtigkeiten verzeihen.«

»Verzeihen?«

»Ja, denn auch ich trage eine Schuld. Sie mußten glauben, daß ich die unumschränkte Herrin dieses Schlosses, die Besitzerin großer Güter bin; Sie wußten nicht, daß all' dieser Besitz hinfällig ist, weil er an einer Clausel hängt, die ich nicht erfüllen kann.«

»Was kümmert mich Ihr Hab und Gut?« sagte Norbert ärgerlich, »danach hab ich nie gefragt!«

»Ja, Norbert, ich bin arm wie Sie selbst. Heirath' ich meinen Vetter, so bleiben diese Güter mein eigen; doch . . . ich werde ihn nicht heirathen.«

»Diesen schönen, liebenswürdigen Vetter?«

»Trotzige Freiheit ist mein Wahlspruch im Leben, mein Herz darf keinen Zwang erleiden, nicht um die Millionen eines Rothschild. Diesem freien Zuge 137 meiner Seele würd' ich folgen, auch wenn kein anderes Gewicht in der Wagschale läge. Doch so ist es nicht, denn ich liebe!«

»Mathilde . . . so täuscht ich mich?«

»Ich liebe den bösen Mann, der mich so schnöde verdammt hat, dem mein Herz gehört seit den schönen Tagen von Sorrent, den ich in meine Nähe rief, weil ich nicht leben konnte ohne ihn, mit dem ich das bescheidenste Loos der Erde theilen will, dem ich alle Glücksgüter mit Freuden opfere; ja ich liebe Dich, Dich allein, Norbert!«

»Mathilde«, rief Norbert mit vollem Ausbruch glühender Leidenschaft, »o ich bin allzuglücklich, nichts soll uns mehr trennen!«

Jetzt war Röschen näher getreten; sie hatte mit einem unbeschreiblichen Gefühl das ganze Gespräch mit angehört; ihr Herz klopfte so heftig, als gälte ihr selbst die Liebeserklärung des feurigen Malers; und als die Beiden sich in den Armen lagen und glühende Küsse wechselten, da trat sie aus dem Perückenstrauch hervor, in's volle Licht des Mondes und rief, in die Hände klatschend, ein dreimaliges Bravo.

138 »Mein Gott, wir wurden belauscht?« rief Mathilde erschreckt zurückfahrend.

»Was kümmert's uns?« fragte Norbert.

»Es ist Röschen,« versetzte Mathilde etwas beruhigter.

»Ja ich bin's und überselig, so wie Ihr! Laß Dich umarmen und küssen, liebe Mathilde! Du liebst Felsen nicht . . . das ist entzückend!«

»Doch Sie gerade riethen mir ja . . .«

»Weil ich glaubte, Dein Herz sei noch frei; doch nein, wenn Du einen andern liebst . . . das ändert alles! Wie könnt' ich da für Felsen sprechen? Er verlangt doch ein ungetheiltes Herz. Erlaube, daß ich Dich duze . . . in diesem Augenblick bin ich Du und Du mit der ganzen Welt. Meinen Segen habt Ihr, Kinder!«

»Tiefes Schweigen, Röschen!«

»Seid unbesorgt! Ich stör' Euch nicht länger. Es ist ein wunderbarer Abend; ein flammend Licht ist mir aufgegangen, das hell auch in mein Leben hineinscheint . . . das wird heller, immer heller! Ich muß hinaus in den Wald, ich fürchte mich 139 nicht vor den Schatten, ich will die Nachtigall hören . . . sie hat mir jetzt viel, viel zu sagen.«

Sie pflückte einen Lorbeer von dem Lorbeerstrauch und reichte ihn Norbert.

»Den Lorbeer dem Künstler!«

Dann ging sie zum Myrtenstrauch gegenüber und riß einen Myrtenzweig ab, den sie Mathilden reichte:

»Die Myrte der Geliebten!«

»Mir aber blüht ein bescheidenes Blümchen Wunderhold . . . die Hoffnung!«

Und so schritt Röschen dem Walde zu, in höchster Erregung, Felsen's Bild stand hell vor ihrer Seele, nicht mehr unnahbar, aber doch noch so fremd . . . der Baron und das schlichte Bürgermädchen! Dann aber ward's ihr wehmüthig zu Sinn: die schönen Güter verloren . . . o könnte sie Mathildens rettender Engel werden.

Die beiden Liebenden aber schritten trunken durch die Nacht. Nicht an Hab und Gut dachten sie . . . es war ihnen nur die Puppenhülle, die den Schmetterlingsflug um alles blühende Glück des Lebens nicht hemmen durfte. 140

 


 


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