Maxim Gorki
Das Leben des Klim Samgin
Maxim Gorki

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Lida saß ungekämmt, in einem orangefarbenen Kittel und mit Schuhen an den nackten Füßen in der Sofaecke, in ein Notenheft vertieft. Ohne Hast bedeckte sie ihre nackten Beine mit dem Saum des Kittels und fragte mit unfreundlichem Blick:

»Was fehlt dir? Weshalb machst du so ein Gesicht?«

Er setzte sich auf die Sofakante und sagte erst nach einer Pause, als fürchte er, etwas Falsches zu sagen:

»Verzeih mir, ich habe mich versehentlich versprochen . . .«

Lida ließ die Noten in ihren Schoß fallen und hielt ihn an:

»Ich weiß. Ich dachte mir gleich, daß du es dem Vater sagen würdest. Ich habe dich vielleicht auch nur deshalb gebeten, zu schweigen, um dich auf die Probe zu stellen. Aber ich habe es ihm gestern selbst mitgeteilt. Du bist zu spät gekommen.«

In ihrer Stimme, in ihren Augen war etwas, was Klim tief verwundete. Er schwieg und fühlte, wie die Wut ihn aufblähte. Das Mädchen jedoch fuhr zweifelnd fort:

»Ich begreife dich nicht. Du scheinst anständig zu sein und begehst doch immer wieder Schlechtigkeiten. Wie soll man sich das erklären?«

Klim fühlte in ihren Worten Abscheu, Er sprang vom Sofa auf und nun entspann sich mit unglaublicher Schnelligkeit zwischen ihnen ein Streit. Klim sagte im Ton des Älteren:

»Das ist so zu erklären, daß ich dein Betragen nicht billige.«

»Wie komisch du bist«, antwortete das Mädchen, schlug ihre Beine unter und zog sich ganz in die Sofaecke zurück.

»Dein Roman mit Makarow . . .«

Das Mädchen riß erstaunt und zornig die Augen auf und sagte leise:

»Mein Betragen? Roman? Wie wagst du es, dummer Junge! Bildest du dir ein . . .«

Sie erstickte, offenbar außerstande, ein bestimmtes Wort auszusprechen. Ihr dunkles Gesicht verfärbte sich und schien sogar anzuschwellen. Tränen traten ihr in die Augen. Sie warf ihren leichten Körper vor und flüsterte:

»Du glaubst . . .«

Klim erschrak plötzlich vor ihrem Zorn, er faßte nicht ganz, was sie sagte, und wollte nur noch das eine: den Sturzbach ihrer immer schrofferen und verworreneren Worte anhalten. Sie stemmte ihren Finger gegen seine Stirn, zwang ihn den Kopf zu heben, blickte ihm in die Augen und sagte:

»Glaubst du im Ernst, daß ich . . . daß Makarow und ich in solchen Beziehungen stehen? Verstehst du nicht, daß ich das nicht will . . . daß er sich deshalb erschießen wollte? Verstehst du nicht?«

Klim fühlte auf der Stirnhaut den spitzen Stoß von dem Finger des Mädchens und dachte, zum ersten Male in seinem Leben sei ihm eine solche Beleidigung zugefügt worden. Lida redete dumm und kindlich, aber sie benahm sich wie eine Erwachsene, eine Dame. Er sah in ihr ernstes Gesicht, in ihre traurigen Augen und wünschte ihr etwas sehr Häßliches zu sagen, aber es wollte nicht über seine Lippen. So ging er denn wortlos auf sein Zimmer. Er verspürte eine bittere Trockenheit im Munde und im Kopf wirren Lärm von Worten, trat zum Fenster und sah zu, wie der Wind das Laub von den Bäumen riß. In der Scheibe sah er sein Gesicht. Obgleich die Züge zerflossen, ähnelte es doch unverkennbar dem nüchternen, würdigen Gesicht seiner Mutter.

Mit aller Entschiedenheit, deren Klim in diesem Augenblick fähig war, prüfte er, was echt war an seinen Gefühlen für Lida. Nicht ohne Mühe und erst nach längerer Zeit entwirrte er den straffen Knäuel dieser Gefühle: die wehmütige Empfindung eines sehr schweren Verlustes, scharfe Unzufriedenheit mit sich selbst, den Wunsch sich an Lida für die Beleidigung zu rächen, erotische Neugier, daneben das angestrengte Verlangen, das Mädchen von seiner Bedeutung zu überzeugen und hinter all diesen Regungen die Gewißheit, daß er Lida schließlich doch mit der richtigen Liebe, mit jener Liebe, die in den Gedichten und Romanen vorkam und in der nichts Knabenhaftes, Lächerliches und Erklügeltes war, liebe.

Weiter grübelnd, seufzte er erleichtert auf: wenn Lida Makarow wirklich liebte, mußte sie aus Gründen der Dankbarkeit ihr hochmütiges Benehmen gegen denjenigen, der ihrem Geliebten das Leben gerettet hatte, ändern. Aber er hatte kein einziges Wort der Dankbarkeit aus ihrem Munde gehört. Das war eigentümlich. Heute hatte sie etwas Rätselhaftes gesagt: Makarow habe aus Furcht vor der Liebe, so mußte man ihre Worte verstehen, auf sich geschossen. Richtiger aber war wohl, daß diese Furcht in ihr selbst wohnte. Klim erinnerte sich rasch einer Reihe Anzeichen, die ihn von der Richtigkeit seiner Vermutung überzeugten: Lida fürchtete die Liebe, sie hatte mit ihrer Furcht Makarow angesteckt und war folglich schuldig, einen Menschen an den Rand des Selbstmords getrieben zu haben. Dieses Ergebnis war angenehm. Klim überprüfte noch einmal den Gang seiner Gedanken, erhob das Haupt und gestattete sich ein selbstgefälliges Lächeln darüber, daß er ein so starker Mensch war und so rasch mit schwierigen Situationen fertig wurde.

Er beschloß, gegen Lida Großmut zu üben, wie die seltensten und edelsten der Romanhelden, jene, die, weil sie lieben, alles verzeihen. Es war nun schon das zweite Mal, daß er diese Position beziehen mußte, doch dieses Mal erkannte er bald, daß eine solche Rolle ihn in Lidas Augen noch unansehnlicher machen mußte. Sich im Spiegel musternd, fand er, daß die lyrische, schwermütige Miene sein Gesicht unbedeutend machte. Er war überhaupt unzufrieden mit seinem Gesicht, dessen Züge er kleinlich und im Mißverständnis zur Kompliziertheit seines Seelenlebens fand. Seine Kurzsichtigkeit ließ ihn blinzeln, durch die Gläser erschienen seine Pupillen unangenehm vergrößert. Ihm mißfiel die Nase, die gerade nüchtern und nicht groß genug war, die Lippen waren zu dünn, das Kinn übertrieben spitz, der Schnurrbart sproß nur an den Mundwinkeln in zwei lichten Büscheln. Wenn er die Stirn runzelte und die dünnen Brauen zusammenrückte, wurde sein Gesicht interessanter und klüger. Auf die lyrische Note mußte er verzichten.

Er begann, Lermontow zu lesen. Die heftige Bitterkeit dieser Gedichte schien ihm brauchbar. Immer häufiger zitierte er die beißenden Verse dieses düsteren Dichters.

Er versuchte sogar, Lida zu behandeln wie ein kleines Mädchen, für dessen Verirrungen man Verständnis hat, obwohl man sie ein wenig lächerlich findet. Wenn die Mutter und Warawka dabei waren, gelang es ihm, diesen Ton einzuhalten, doch sobald er mit ihr allein blieb, entglitt er ihm.

Lida sollte nach Moskau, rüstete sich aber nur langsam und widerwillig zur Reise. Während sie Warawkas Gesprächen mit Klims Mutter zuhörte, betrachtete sie sie mit forschendem Blick wie Fremde und, offenbar nicht einverstanden mit dem, was sie hörte, schüttelte sie heftig den Kopf unter der Kappe krauser Haare.

Makarow war gleich nach seiner Genesung auf die Universität gefahren. Er hatte dabei eine verdächtige Eile an den Tag gelegt. Zum Abschied hatte er Klims Hand fest zwischen seine Finger gepreßt, aber nur zwei Worte gesagt:

»Ich danke dir, Bruder.«

Nach seiner Abreise wich Lida noch geflissentlicher einem Zusammensein unter vier Augen aus. In ihren Augen war etwas mönchisch Lebensfeindliches und Unmutiges erstarrt, doch schien sie Klim jetzt wieder kindlicher zu sein als vor einigen Wochen. Er beobachtete, daß sie für seine Mutter nicht mehr wie früher jenen trocknen und fremden Ton hatte, daß sie zuweilen das Zimmer der Mutter aufsuchte und beide dort in stillem Geplauder beieinander saßen. Einmal, es war gegen Mitternacht, nach einem langweiligen Preferancespiel mit Warawka und der Mutter, suchte Klim sein Zimmer auf. Nach einigen Minuten trat die Mutter herein, schon im violetten Nachtkleid und Pantoffeln, setzte sich auf das Kanapee und begann besorgt, während sie nervös mit den Quasten ihres Gürtels spielte:

»Seit dem Sommer bist du eigentümlich farblos. So schlaff, dir selbst gar nicht ähnlich.«

Er schwieg, zupfte an den Büscheln seiner Barthärchen und sagte sich, dies sei nur die Einleitung zu einem ernsten Gespräch. Er täuschte sich nicht. Mit beinahe grober Direktheit sagte die Mutter und blickte ihn dabei mit ihren immer ruhigen Augen an, sie sehe sein Interesse für Lida. Klim fühlte, wie er tief errötete, und fragte dabei ironisch lächelnd:

»Irrst du dich auch nicht?«

Als habe sie seine Frage nicht gehört, fuhr sie lehrhaft fort:

»Die Liebe ist in deinem Alter noch nicht jene Liebe, welche . . . Es ist noch nicht Liebe, nein . . .«

Sie schwieg einige Sekunden, dann seufzte sie:

»Als ich deinen Vater heiratete, war ich achtzehn Jahre alt, und schon zwei Jahre später wußte ich, daß ich mich geirrt hatte.«

Wieder verstummte sie, da sie wohl nicht das gesagt hatte, was sie wollte. Klim, der abwesend einige Sätze auffing, suchte sich klar zu werden, weshalb diese Worte seiner Mutter ihn empörten.

»Mein Verhältnis zu deinem Vater«, hörte er, während er erwog, mit welchen Worten er sie daran erinnern sollte, daß er ein erwachsener Mensch war. Plötzlich sagte er stirnrunzelnd in achtlosem Ton:

»Ich empfinde freundschaftlich für Lida, und natürlich schreckt mich ein wenig ihre Affäre mit Makarow, einem Menschen, der selbstredend ihrer unwürdig ist. Mag sein, daß ich mit ihr ein wenig zu hitzig, zu unbeherrscht über ihn gesprochen habe. Das ist, denke ich, alles und alles übrige nur Einbildung.«

Während er so sprach, war er überzeugt, nicht zu lügen, und fand, daß er gut sprach. Ihm schien, er müsse noch etwas Gewichtiges hinzufügen, und dozierte:

»Weißt du, nur der Mensch existiert, alles übrige besteht in seiner bloßen Einbildung. Ich glaube, das hat Protagoras gesagt.«

Die Mutter kniff ein wenig die Augen zu und sagte:

»Das ist nicht ganz so, aber klug gesagt. Du hast ein wunderbares Gedächtnis, Und natürlich hast du recht: die Mädchen sind immer voreilig in ihren Schlüssen, wenn sie sich mit dem Unvermeidlichen beschäftigen. Du hast mich beruhigt. Ich und Timofej legen so viel Wert auf die Beziehungen, die sich zwischen uns entwickelt haben und die immer inniger werden . . .«

Klim, betreten über diesen offenherzigen Egoismus seiner Mutter, senkte den Kopf. Er verstand, daß sie in diesem Augenblick nur das Weib war, das für ihr Glück fürchtete.

Er sagte:

»Mir scheint, du bist jetzt netter zu Lida?«

»Mein Urteil kennst du, es wird sich nicht ändern«, antwortete die Mutter. Sie stand auf und küßte ihn. »Geh schlafen!«

Sie ging und ließ auf den Lippen ihres Sohnes den aufreizenden Geruch von starkem Parfüm und ein leichtes Lächeln zurück.

Die Gespräche mit ihr bestärkten ihn immer in seiner Selbstsicherheit, nicht so sehr durch ihre Worte wie durch ihren unerschütterlich überzeugten Ton. Wenn er ihr zuhörte, glaubte er, daß alles im Grunde sehr einfach war, und daß man leicht und angenehm leben konnte. Die Mutter lebte nur sich selbst und lebte dabei nicht schlecht. Sie litt nicht an Einbildungen!

Natürlich, irgend etwas mußte man sich schon einbilden, um das Leben zu würzen, wenn es zu nüchtern, um es zu versüßen, wenn es zu bitter war. Doch man mußte ein genaues Maß finden. Es gab Empfindungen, die aufzubauschen gefährlich war. So ein Gefühl war natürlich die Liebe zur Frau, aufgebauscht bis zu Schüssen aus einem schlechten Revolver. Man weiß: die Liebe ist ein Instinkt wie der Hunger, aber wer wird sich aus Hunger oder Durst, oder weil er keine Hosen anhat, töten?

In Augenblicken solcher Auseinandersetzung mit sich selbst, fühlte Klim sich klüger, stärker und origineller als alle Menschen, die er kannte. Allmählich entwickelte sich bei ihm eine herablassende Haltung gegen sie, eine Art lächelnder Ironie, die er heimlich genoß. Schon erregte zuweilen auch Warawka dieses neue Gefühl in ihm, – er war ein Tatmensch und dennoch ein wunderlicher Schwätzer.

Klim erhielt endlich das Zeugnis der Reife und sollte demnächst an die Petersburger Universität, als seinen Weg noch einmal Margarita kreuzte. Die Begegnung verwunderte ihn nicht, er wußte, daß er die Näherin einmal wiedersehen mußte, er erwartete diese zufällige Begegnung, aber seine Freude darüber verbarg er.

Sie wechselten vorsichtig nichtssagende Redensarten. Margarita erinnerte ihn an seine Unhöflichkeit gegen sie. Sie schritten langsam. Sie sah ihn scheel, mit aufgeworfenen Lippen und stirnrunzelnd an. Er bemühte sich, freundlich zu sein, blickte ihr milde in die Augen und überlegte, auf welche Weise er sie veranlassen könnte, ihn zu sich einzuladen.

Ihn zog sowohl der Wunsch, noch einmal ihre Liebkosungen zu empfangen, wie ein plötzlicher, dringender Einfall zu ihr. Als er sich teilnahmsvoll nach Dronow erkundigte, widersprach sie:

»Es ist nicht wahr, er hat das Buch nicht gestohlen.« Und erklärte kurz und bündig:

»Er schämte sich, Geld zusammenzuscharren, und ließ es auf meinem Buch in der Sparkasse stehen. Und als wir uns mal gezankt hatten . . .«

»Weswegen?«

»Na, weswegen zanken Männer mit Frauen? Wegen Männer, wegen Frauen natürlich. Er bat mich um sein Geld, aus Scherz gab ich es ihm nicht. Da hat er mir das Buch entwendet, und ich mußte es dem Friedensrichter melden. Daraufhin hat Wanjka es mir zurückgegeben. Das ist alles.«

An der Ecke eines dunklen, nebelerfüllten Gäßchens lud sie ihn ein:

»Kommst du ein wenig mit? Ich habe eine neue Wohnung. Wir trinken zusammen Tee.«

In dem engen Stübchen, das sich durch nichts von dem früheren unterschied, verbrachte er wohl vier Stunden. Sie küßte ihn, schien es, heißer und hungriger als früher, aber ihre Zärtlichkeiten vermochten Klim nicht so sehr zu berauschen, daß er vergessen hätte, was er erfahren wollte. Sich ihre Müdigkeit zunutze machend, pirschte er sich bedächtig an das Gewünschte heran und fragte sie zunächst etwas, was ihn niemals interessiert hatte:

»Wie hast du früher gelebt?«

Die Frage wunderte sie.

»Wie alle.«

Aber Klim drang beharrlich in sie. Da rückte sie ein wenig von ihm ab, gähnte und sagte:

»Ich lebte wie alle Mädchen. Erst verstand ich gar nichts. Dann begriff ich, daß man euch lieben muß, da liebte ich eben einen. Er versprach, mich zu heiraten, hat es sich aber anders überlegt . . .«

Sie sagte das ruhig, ohne Erbitterung und schloß die Augen. Klim streichelte ihr Wange, Hals und Schulter. Dann richtete er seine Hauptfrage an sie:

»Wie bist du Weib geworden?«

»Auf die gleiche Weise wie alle«, antwortete die Frau und bewegte die Schultern. Sie öffnete die Augen nicht.

»Und hattest du Angst?«

»Wovor?«

»Beim ersten Mal, in der ersten Nacht?«

Margarita dachte ein wenig nach, als müsse sie sich erinnern und leckte sich die Lippen.

»Es war nicht nachts, sondern am Tage, am Tage Allerheiligen, auf dem Kirchhof . . .«

Sie machte die Augen auf und warf die Haare zurück, die ihr über Ohren und Wangen gefallen waren. In ihren Gesten bemerkte Klim eine alberne Hast. Sie machte Klim wütend, weil sie ihn nicht in den eigentlichen Vorgang einweihen wollte oder konnte, obwohl Klim bei seinen Fragen kein Blatt vor den Mund nahm.

»Sehr einfach, es schwindelt einem und ade, Jungfernschaft!«

Außer diesem sagte sie nichts weiter über die Technik der Sache, dafür begann sie wohlwollend, ihn mit der Theorie bekanntzumachen. Um behaglicher sprechen zu können, richtete sie sich sogar im Bett auf:

»Ich hörte, dein Freund hat aus einem Revolver auf sich geschossen. Wegen der Mädchen und Weiber erschießen sich viele. Die Weiber sind niederträchtig und launisch. Sie haben so einen Eigensinn, ich kann nicht sagen, wie er ist. Der Mann ist hübsch und gefällt ihr auch, aber es ist nicht der Richtige. Nicht weil er arm oder nicht schön genug wäre. Er ist wohl schön, aber nicht der Richtige.«

Während sie sich den Zopf flocht, sagte sie immer nachdenklicher:

»Wenn du heiratest, nimm dir ein Mädel mit Charakter. Die mit Charakter sind dümmer, die passen selbst auf sich auf. Vor den Stillen, Züchtigen sei auf der Hut, sie betrügen dich zweimal in einer Stunde.«

Ihr Gesicht veränderte sich plötzlich. Ihre Pupillen verengten sich wie bei einer Katze, auf die gelblichen Augäpfel legte sich der Schatten der Wimpern. Sie schien mit fremden Augen auf etwas hinzustarren, sich rachedurstig zu erinnern. Klim hatte den Eindruck, daß sie früher nicht so böse von den Frauen gesprochen hatte, sondern wie von entfernten Verwandten, von denen sie weder Gutes noch Schlechtes erwartete, die sie nicht interessierten und die sie fast vergessen hatte, und während er ihr zuhörte, dachte er nochmals ängstlich daran, daß alle Menschen, die er kannte, sich gleichsam verschworen hatten, ihm zuvorzukommen, klüger und geheimnisvoller zu sein als er und sich schlau hinter ihren Worten zu verstecken. Ja, geheimnisvoller wollten sie sein, das war es, sie fürchteten, Klim Samgin könne sie allzu rasch durchschauen.

Margarita aber sagte:

»Ich kann auch nicht glauben, daß es heilige Frauen geben soll. Wahrscheinlich werden es alte Jungfern sein, und heilig werden sie wohl nur sein, weil sie alte Jungfern sind.«

Müde, sie anzuhören, sagte Klim endlich gelangweilt:

»Du bist heute in philosophischer Stimmung.«

Margarita besah sich hastig und fragte dann:

»In was?«

Als er ihr seine Worte erklärt hatte, sagte sie:

»Oh je! und ich glaubte, du hast Blut gesehen. Ich muß meine Blutung bekommen.«

Klim zuckte angewidert zusammen und sprang vom Bett auf. Die Einfalt dieses Mädchens war von ihm auch früher zuweilen als Schamlosigkeit und Unsauberkeit empfunden worden, aber damals hatte er sich damit ausgesöhnt. Jetzt jedoch verließ er Margarita mit einem Gefühl heftiger Abneigung gegen sie, und er tadelte sich hart wegen dieses ergebnislosen Besuchs. Er war froh, daß er am nächsten Tag nach Petersburg abreiste. Warawka hatte ihn überredet, in das Ingenieurinstitut einzutreten, und alle Schritte zu Klims Aufnahme getan.

Die Nacht war naßkalt und schwarz. Die Lichter der Laternen brannten träge und trist, als hätten sie die Hoffnung, jemals die dichte, klebrige Finsternis zu besiegen, aufgegeben. Klim war qualvoll ums Herz, er konnte an nichts denken. Aber unvermittelt durchzuckte ihn der Gedanke, daß zwischen Warawka, Tomilin und Margarita etwas Gemeinsames bestand. Sie alle belehrten, warnten und schreckten ab, und hinter der Tapferkeit ihrer Reden schien Angst zu lauern. Wovor? Vor wem? Doch nicht vor ihm, dem Menschen, der einsam und furchtlos seinen Weg durch das Dunkel suchte?

 


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