Nikolai Gogol
Die Geschichte vom großen Krakeel zwischen Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch
Nikolai Gogol

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Das fünfte Kapitel, das von einem schwierigen Konzilium zwischen zwei in Mirgorod hochangesehnen Personen Kunde gibt

Kaum hatte sich Iwan Iwanowitsch wieder über seine Wirtschaft informiert und war dann aus dem Haus getreten, um sich, wie er es in der Übung hatte, unter seinem Vordach auszustrecken, als er mit unsäglicher Verwunderung an der Pforte seines Hofes etwas Rotes schimmern sah. Dies war des Herrn Polizeimeisters roter Ärmelaufschlag, der, gleichwie der Kragen dieses Würdenträgers, durch den Lauf der Jahre eine Politur erhalten hatte und dem Rande zu an Lackleder erinnerte. Iwan Iwanowitsch dachte sich: ›Wie nett vom Polizeimeister, daß er ein Plauderstündchen mit mir halten will!‹ – doch war er höchst erstaunt, als er bemerkte, daß der Polizeimeister sich sehr beeilte und gewaltig mit den Armen schlenkerte, was er nur äußerst selten tat. Der Polizeimeister hatte acht Knöpfe an der Uniform. Den neunten hatte er vor fast zwei Jahren bei der Prozession gelegentlich der Einweihung der neuen Mirgoroder Kirche eingebüßt, und leider hatten ihn die Polizisten bis zur Stunde noch nicht wiederfinden können, obgleich sich der Polizeimeister bei den Rapporten der Revieraufseher jeden Tag erkundigte, ob denn der Knopf noch nicht gefunden sei. Die acht verbliebnen Knöpfe saßen so, wie alte Weiber ihre Bohnen setzen – immer einer zu weit rechts, der nächste zu weit links. Ins linke Bein hatte der Polizeimeister im letzten Feldzug einen Schuß bekommen. Darum hinkte er mit diesem Fuß und warf ihn, wenn er ging, so stark zur Seite, daß dies alle Arbeit seines rechten Fußes fast zunichte machte. Und je schneller nun der Polizeimeister sein Fußwerk in Bewegung setzte, desto langsamer kam er vom Fleck, so daß Iwan Iwanowitsch reichlich Muße hatte, sich in staunenden Vermutungen darüber zu ergehn, warum der Polizeimeister so heftig mit den Armen schlenkre. Das machte ihm um so größeres Kopfzerbrechen, als der Polizeimeister den neuen Degen trug, den er nur in besonders wichtigen Fällen zu benutzen pflegte.

»Guten Tag, Herr Polizeimeister!« sagte Iwan Iwanowitsch, der, wie wir ja schon wissen, sehr neugierig war und seine Ungeduld kaum zügeln konnte, da er sah, wie der Beamte seine Freitreppe im Sturm nahm, wobei er aber die Augen noch nicht hob und immerzu in heftigem Konflikt mit seinem Fußwerk war, das keine Stufe gleich auf Anhieb nehmen konnte.

»Ich wünsche Ihnen einen guten Tag, verehrter Freund und Gönner«, erwiderte der Polizeimeister.

»Belieben freundlichst Platz zu nehmen! Wie ich sehe, sind Sie müde, weil Ihnen der Schuß im Bein Beschwerden macht . . .«

»Mein Bein?« sagte der Polizeimeister und musterte Iwan Iwanowitsch mit einem Blick, wie ihn der Riese auf den Zwerg und der pedantische Professor auf den windigen Tanzlehrer wirft. Und dabei streckte er das Bein und stampfte kräftig auf. Nur kam ihn dieser Mut teuer zu stehn: seine Gestalt geriet ins Wanken, und er schlug mit der Nase hart auf das Geländer. Doch der weise Hüter unserer öffentlichen Ordnung tat, als wäre überhaupt nichts geschehen, er richtete sich schleunigst wieder auf und griff in seine Tasche, als ob er da die Tabakdose suche.

»Ich kann Ihnen melden, liebster Freund und Gönner, daß ich während meiner Lebenszeit schon andre Märsche hinter mich gebracht habe. Und was für Märsche, ganz im Ernst! Zum Beispiel in dem Feldzug anno 1807 . . . Ach, ich muß Ihnen erzählen, wie ich damals über einen Zaun zu einer hübschen kleinen Deutschen stieg!« Hierbei drückte der Polizeimeister das eine Auge zu und setzte eine ganz verteufelte Spitzbubenmiene auf.

»Wo waren Sie denn heute schon?« fragte Iwan Iwanowitsch, der den Beamten unterbrechen und schnellstmöglich auf den Zweck seines Besuches bringen wollte; er hätte um sein Leben gern gefragt, was ihm der Polizeimeister eröffnen wolle; aber seine vornehme Weltläufigkeit ließ ihn natürlich klar erkennen, wie unpassend eine solche Frage wäre. Also mußte sich Iwan Iwanowitsch zusammennehmen und des Rätsels Lösung abwarten, obgleich das Herz ihm ungewöhnlich heftig schlug.

»Gestatten Sie mir, Ihnen zu erzählen, wo ich war«, begann der Polizeimeister. »Vor allem aber möchte ich feststellen, daß wir heute wundervolles Wetter haben . . .«

Diese Worte führten fast Iwan Iwanowitschs Tod herbei.

»Aber gestatten Sie«, fuhr der Beamte fort, »ich komme heute in einer sehr wichtigen Angelegenheit zu Ihnen.« Das Gesicht des Polizeimeisters und seine Haltung nahmen wieder den besorgten Ausdruck an, mit dem er vorhin die Freitreppe im Sturm genommen hatte.

Iwan Iwanowitsch horchte auf und bebte wie im Fieber, ließ sich aber doch nicht abhalten, so unschuldsvoll wie stets zu fragen: »Was soll daran wichtig sein? Wo liegt denn da die Wichtigkeit?«

»Ja, sehn Sie mal – vor allem, lieber Freund und Gönner Iwan Iwanowitsch, gestatte ich mir, Ihnen zu vermelden, daß . . . Und sehn Sie mal – was mich betrifft, so will ich keineswegs . . . Bloß die Prinzipien der Regierung, die Prinzipien der Regierung fordern es . . . Sie haben doch die Polizeiverordnung verletzt!«

»Was reden Sie denn da, Herr Polizeimeister? Nein, ich versteh kein Wort.«

»Gestatten Sie, Iwan Iwanowitsch, wieso verstehn Sie kein Wort? Ihr eignes Vieh hat ein sehr wichtiges amtliches Dokument verschleppt, und Sie, Sie sagen noch, daß Sie kein Wort verstehn?«

»Was für ein Vieh?«

»Ja, mit Respekt zu sagen: Ihre eigne schwarzbraune Sau.«

»Kann ich denn was dafür? Warum läßt der Gerichtsdiener die Türen offen?«

»Aber Iwan Iwanowitsch, es ist ja doch Ihr eignes Tier – und also sind Sie schuld.«

»Ich danke Ihnen ganz ergebenst, daß Sie mich mit einer Sau vergleichen!«

»Das hab ich nicht gesagt, Iwan Iwanowitsch! Bei Gott, das hab ich nicht gesagt! Ja, überlegen Sie doch bitte selbst nach Ihrem eignen besten Wissen und Gewissen. Es ist Ihnen zweifellos bekannt, daß es in Übereinstimmung mit den Prinzipien der Obrigkeit in unserer Stadt, und um so mehr in deren Hauptstraßen, verboten ist, unreine Tiere frei herumlaufen zu lassen. Sie müssen selber zugestehn, daß das verboten ist.«

»Weiß Gott, was Sie da reden! Große Wichtigkeit, wenn eine Sau zufällig auf die Straße läuft!«

»Gestatten Sie mir, zu bemerken . . . Gestatten Sie, gestatten Sie, Iwan Iwanowitsch, das geht ganz einfach nicht. Wer kann da etwas tun? Die Obrigkeit befiehlt – wir müssen ihr gehorchen. Ich will ja nicht bestreiten, daß sich manchmal auf der Straße und zuweilen sogar auf dem Marktplatz Hühner oder Gänse zeigen, bitte zu bemerken: Hühner oder Gänse. Was jedoch die Schweine und die Ziegen angeht, hab ich erst voriges Jahr eine Verordnung publiziert, daß sie sich nicht auf öffentlichen Plätzen zeigen dürfen. Und die fragliche Verordnung habe ich noch dazu vor der Versammlung der Gemeinde und somit vor allem Volke ausdrücklich verlesen lassen.«

»Nein, Herr Polizeimeister, ich seh hier weiter nichts, als daß Sie mich auf jede Art beleidigen wollen.«

»Nein, das können Sie nun nicht behaupten, liebster Freund und Gönner, daß ich Sie beleidigen will. Erinnern Sie sich doch: hab ich im vorigen Jahr auch nur ein einziges Wort gesagt, als Sie Ihr Dach um eine ganze Elle höher bauten, als das festgesetzte Maß erlaubt? Im Gegenteil, ich tat, als ob ich es nicht merkte. Glauben Sie mir, liebster Freund, ich würde heute doch genausogut . . . Bloß meine Pflicht, mit einem Worte, meine Schuldigkeit verlangt von mir, auf Reinlichkeit zu achten. Nun bedenken Sie doch selber: grade auf der Hauptstraße . . . «

»Herrliche Hauptstraße, die Sie da haben! Jedes alte Weib wirft ja hinaus, was es nicht brauchen kann.«

»Iwan Iwanowitsch, gestatten Sie mir, zu bemerken, daß vielmehr Sie mich beleidigen! Natürlich kommt das manchmal vor, dann aber größtenteils doch nur an Zäunen, Scheunen, Speichern. Wenn dagegen auf der Hauptstraße und auf dem Marktplatz eine trächtige Sau herumläuft, heißt das doch . . .«

»Was denn, Herr Polizeimeister? Ist eine Sau vielleicht kein Gottesgeschöpf?«

»Gewiß. Das weiß die ganze Welt, daß Sie ein Mann von Bildung und in allen Wissenschaften und auch in sonst jeder Hinsicht unterrichtet sind. Ich hab selbstverständlich keine Wissenschaft gelernt. Ich hab die kurrente Schrift ja erst gelernt, als ich schon dreißig Jahre war. Ich hab, wie Sie wissen, als Gemeiner angefangen.«

»Hm«, erwiderte Iwan Iwanowitsch.

»Ja«, fuhr der Polizeimeister gemessen fort, »im Jahre 1801 stand ich als Leutnant bei der vierten Kompanie des zweiundvierzigsten Jägerregiments. Mein Kompaniechef, den Sie vielleicht kennen, war der Hauptmann Jeremejew.« Und der Polizeimeister versenkte seine Finger in die Tabakdose, die Iwan Iwanowitsch ihm geöffnet hinhielt, und zerrieb den Tabak, statt zu schnupfen.

»Hm«, erwiderte Iwan Iwanowitsch.

»Ja, es ist aber meine Pflicht«, sagte der Polizeimeister, »den Anordnungen der Regierung zu gehorchen. Wissen Sie denn auch, Iwan Iwanowitsch, daß einer, der bei Gericht ein amtliches Papier entwendet, ganz wie jeder andre Verbrecher vor das Kriminalgericht zu ziehen ist?«

»Das weiß ich so genau, daß ich Sie, wenn Sie wollen, darin unterrichten könnte. Doch bezieht sich dies auf Menschen. Wenn zum Beispiel Sie so ein Papier entwendet hätten . . . Aber eine Sau ist ja ein Tier, Gottes Geschöpf.«

»Ganz recht, nur heißt es im Gesetz: ›Wer sich so eines Aktendiebstahls schuldig macht . . .‹ Ich bitte sehr, beachten Sie das wohl, ganz einfach: ›wer sich schuldig macht‹! Hier ist von Art, Geschlecht und Stand gar nicht die Rede; folglich kann ein Tier sich gleichfalls schuldig machen. Tun Sie, was Sie wollen, jedenfalls ist doch das Tier als Ordnungsstörer, bis das Urteil ausgesprochen ist, der Polizei zu übergeben.«

»Nein, Herr Polizeimeister«, erwiderte Iwan Iwanowitsch kaltblütig, »nein, das tu ich nicht!«

»Ganz, wie Sie wollen; ich meinesteils muß den Vorschriften der Obrigkeit gehorchen.«

»Ach was, Sie wollen mir wohl bange machen? Schicken wohl den einarmigen Invaliden her, um meine Sau zu holen? Wenn ihm nur nicht meine Gapka mit dem Schüreisen den Marsch bläst und ihm auch den letzten Arm kaputtschlägt!«

»Ich will nicht mit Ihnen streiten. Wenn Sie sie der Polizei nicht übergeben wollen, dann bedienen Sie sich ihrer ganz nach eigenem Ermessen; stechen Sie sie, wenn Sie meinen, vor Weihnachten ab, und lassen Sie die Schinken räuchern oder essen Sie sie so. Nur hätte ich da eine Bitte: wenn Sie Würste machen, schicken Sie mir doch ein paar von Ihren Blutwürsten mit Speck, auf die sich Ihre Gapka so famos versteht. Sie wissen, meine Agrafjona Trofimowna ißt sie so gern.«

»Ja, ein paar Würste können Sie schon haben, bitte sehr!«

»Ich werde Ihnen herzlich dankbar sein, verehrter Freund und Gönner. Jetzt gestatten Sie mir aber noch ein Wort! Ich habe den gemessenen Auftrag einerseits vom Richter, andrerseits von unseren sämtlichen Bekannten, Sie mit Ihrem Freund Iwan Nikiforowitsch auszusöhnen.«

»Was? Mit diesem ungebildeten Patron? Mich aussöhnen mit diesem Grobian? Niemals! Nein, das geschieht gewiß nicht! Nie!« Iwan Iwanowitsch war sehr entschieden aufgelegt.

»Ganz, wie Sie wollen«, rief der Polizeimeister und führte seinen Nüstern Tabak zu. »Ich darf mir nicht erlauben, Ihnen einen Rat zu geben; nur gestatten Sie mir die Bemerkung: jetzt sind Sie verfeindet; wenn Sie sich versöhnen . . .«

Doch Iwan Iwanowitsch begann vom Wachtelfang zu sprechen, was er meistens tat, wenn er die Rede auf etwas andres bringen wollte. Und so mußte sich der Polizeimeister ohne den kleinsten Schatten von Erfolg nach Hause trollen.


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