Nikolai Gogol
Die Geschichte vom großen Krakeel zwischen Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch
Nikolai Gogol

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Das erste Kapitel. Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch

Iwan Iwanowitsch hat eine herrliche Pekesche! Einfach wunderbar! Und dieser Astrachanbesatz! Zum Kuckuck, dieser Astrachanbesatz! Schwarzblau, und gleichsam weiß bereift! Ich zahle jeden beliebigen Betrag, wenn einer mir nachweisen kann, daß sonst noch irgend jemand so ein Pelzwerk hat! Seht es euch doch in Gottes Namen an, besonders wenn er da mit einem steht und spricht – seht es euch von der Seite an: wie das sich präsentiert! Es läßt sich einfach nicht beschreiben: Sammet! Silber! Feuer! Herr mein Heiland und Knecht Gottes, heiliger Wundertäter Nikolai! Warum besitze ich keine so prächtige Pekesche! Er hat sie sich in jenen Zeiten machen lassen, als Agafija Fedossejewna noch nicht so oft nach Kiew fuhr. Ihr kennt sie doch? Es ist dieselbe Agafija Fedossejewna, die dem Herrn Assessor das Ohr abgebissen hat.

Iwan Iwanowitsch ist ein prächtiger Mensch! Na, und sein Haus in Mirgorod! Ein Vordach, das auf eichenen Pfosten steht, läuft rundherum; und lauter Bänke sind darunter aufgestellt. Wenn's ihm zu heiß wird, tut Iwan Iwanowitsch seine Pekesche und das Unterzeug von sich und hält im bloßen Hemd unter dem Vordach Siesta und beobachtet dabei, was auf dem Hof und auf der Straße vorgeht. Und was für Birn- und Apfelbäume unter seinen Fenstern wachsen! Macht man nur ein Fenster auf, so drängen sich die Zweige bloß so ins Zimmer. Das ist vor dem Haus; ihr solltet aber sehn, was es im Garten alles gibt! Was gibt's in diesem Garten nicht? Da gibt es Pflaumen, Kirschen, Vogelkirschen, jegliches Gemüse, Sonnenblumen, Gurken und Melonen, Erbsen, ja selbst eine Tenne sowie eine Schmiede.

Iwan Iwanowitsch ist ein prächtiger Mensch! Er ißt Melonen für sein Leben gern; die sind sein Lieblingsobst. Wenn er gegessen hat und sich im bloßen Hemd unter das Vordach setzt, dann läßt er sich von Gapka zwei Melonen bringen, schneidet sie selbst auf, sammelt die Kerne in ein eigenes Stück Papier und fängt zu essen an. Dann muß ihm Gapka Tintenfaß und Feder bringen, und er schreibt mit eigner Hand auf das Papier, worin die Kerne sind: ›Diese Melone ist am soundsovielten gegessen worden.‹ Und wenn noch ein Gast zugegen war, fügt er hinzu: ›Unter Beteiligung von dem und dem.‹

Der verstorbne Mirgoroder Richter hatte immer seine ganz besondre Freude daran, wenn er das Haus Iwan Iwanowitschs betrachtete. Nun, und dieses kleine Haus ist in der Tat sehr nett. Und mir gefällt es ganz besonders gut, daß sich daran von allen Seiten größere und kleinere Anbauten lehnen, so daß man von weitem nichts als lauter Dächer übereinander sieht, was fast an einen Teller voll kleiner dicker Pfannkuchen erinnert oder noch mehr vielleicht an eine Kolonie von Baumschwämmen. Alle diese Dächer sind mit Schilf gedeckt; ein Weidenbaum und eine Eiche und zwei Apfelbäume neigen ihre breiten Äste über sie. Zwischen den Bäumen durch sieht man selbst von der Straße her die kleinen Fenster mit den ausgesägten, weißgestrichenen Läden glänzen.

Iwan Iwanowitsch ist ein prächtiger Mensch! Der Herr Poltawaer Kommissar ist auch sehr gut mit ihm bekannt. Und wenn Dorosch Tarassowitsch Puchiwotschka aus Chorol vorbeikommt, kehrt er stets bei ihm ein. Und der hochwürdige Oberpfarrer Pjotr in Koliberda sagt jedesmal, wenn er fünf Gäste bei sich hat, er kenne kaum jemand, der seine Christenpflichten so erfülle und so gut zu leben wisse wie Iwan Iwanowitsch. Gott, wie die Zeit vergeht! Zehn Jahre sind es schon, seitdem er Witwer wurde. Kinder hat er nicht. Dafür hat Gapka Kinder, und sie laufen munter auf dem Hof herum. Iwan Iwanowitsch schenkt ihnen immer was, entweder einen Kringel oder auch ein Stück Melone oder eine Birne. Der Magd Gapka sind die Schlüssel zu den Kammern und Kellern anvertraut. Und nur den Schlüssel zu der großen Truhe in der Schlafstube und den zur mittleren Vorratskammer hat er selber in Verwahrung, weil er sie nicht gern andern überläßt. Gapka ist ein gesundes Frauenzimmer, stramm von Waden und von Backen. Und wie gottesfürchtig ist Iwan Iwanowitsch! Jeden Sonntag zieht er die Pekesche an und geht zur Kirche. Dort verbeugt er sich zuerst nach allen Seiten und begibt sich dann gewöhnlich auf den Chor, wo er die Baßsänger sehr tüchtig unterstützt.

Und ist der Gottesdienst vorbei, dann kann Iwan Iwanowitsch sich's einfach nicht versagen, alle Bettler aufzusuchen. Möglich, daß ihm das langweilig ist und keine Freude macht – die angeborene Güte aber treibt ihn doch dazu.

Er stellt sich vor das ärmlichste, in dürftige Lumpen eingehüllte Frauchen hin und sagt:

»Na, Gott zum Gruß! Wo kommst du her, Ärmste?«

»Aus unserm Dorfe, gnädiger Herr . . . drei Tage nichts gegessen und getrunken; von den eignen Kindern fortgejagt.«

»Du Arme, du! Und warum kommst du grade hierher?«

»Gnädiger Herr, um milde Gaben zu erbitten, ob mir nicht ein guter Mensch ein Stückchen Brot schenkt.«

»Hm, soso, du möchtest also Brot?« pflegt dann Iwan Iwanowitsch zu fragen.

»Ja, freilich möcht ich welches! Ich bin so hungrig wie ein Wolf.«

»Hm«, pflegt Iwan Iwanowitsch dann zu erwidern, »und du möchtest wohl auch Fleisch?«

»O ja, für alles, was mir Euer Gnaden schenken wollen, werd ich herzlich dankbar sein.«

»Hm, und scheint Fleisch dir nicht noch schmackhafter als Brot?«

»Wer Hunger leidet, ist nicht wählerisch! Was Ihr mir gebt, dafür sag ich Euch Dank.« Und dabei hält die Bettlerin ihm gewöhnlich ihre Hand hin.

»Also, geh mit Gott!« sagt dann Iwan Iwanowitsch. »Wozu stehst du noch da? Ich tu dir nichts.«

So fragt er wohl noch einen zweiten, dritten, vierten aus und geht zum Schluß nach Hause oder auch auf einen Schnaps zu seinem Nachbarn Iwan Nikiforowitsch oder zum Richter oder zum Polizeimeister.

Iwan Iwanowitsch hat es gern, wenn man ihn freihält oder ihn beschenkt. Das schätzt er sehr.

Iwan Nikiforowitsch ist gleichfalls ein famoser Mensch. Sein Hof grenzt an den Hof, der seinem besten Freund, Iwan Iwanowitsch, gehört. Ja, eine solche Freundschaft hat es, seit die Welt besteht, kaum gegeben. Anton Prokofjewitsch Pupopus, der bis zum heutigen Tag einen zimtbraunen Rock mit blauen Ärmeln trägt und an den Sonntagen beim Richter zu Mittag ißt, pflegte zu sagen, daß der Teufel selbst Iwan Nikiforowitsch und Iwan Iwanowitsch an ein und denselben Bindfaden gebunden hätte: wo der eine sei, sei auch der andere nicht weit.

Iwan Nikiforowitsch war nie verheiratet. Man hat ja zwar behauptet, daß er doch verheiratet gewesen wäre; das ist aber eine glatte Lüge. Denn ich kenne ihn genau, und ich kann bezeugen, daß er nicht einmal daran gedacht hat, eine Frau zu nehmen. Wer bloß all die Klatschgeschichten aufbringt? So hat man erzählt, Iwan Nikiforowitsch hätte von Geburt an hinten einen Schwanz. Doch finde ich diese läppische Erfindung so witzlos und auch so unpassend, daß ich es für ganz überflüssig halte, sie zu widerlegen, und zumal vor meinen aufgeklärten Lesern, die selbst wissen, daß nur Hexen, und sogar von diesen längst nicht alle, hinten kurze Schwänze haben. Hexen aber sind doch im allgemeinen, dächt ich, eher weiblichen als männlichen Geschlechts.

Trotz ihrer gegenseitigen Zuneigung kann man doch nicht behaupten, daß sich diese selten guten Freunde so besonders ähnlich wären. Und am besten kann man ihre beiderseitige Eigenart erkennen, wenn man sie vergleicht. Iwan Iwanowitsch besitzt in einem Maß, das nicht alltäglich ist, die Gabe, angenehm zu sprechen. Lieber Gott, wie gut er spricht! Man hat dabei so ein Gefühl, als würde man am Kopf gekrault oder als streichle einen jemand leise, leise mit dem Finger an der Ferse. Und man horcht und horcht und läßt den Kopf behaglich sinken. Das tut wohl, so wohl wie eine Schlummerstunde nach dem Bad.

Iwan Nikiforowitsch ist im Gegensatz dazu recht schweigsam von Natur; wirft er jedoch einmal ein Wörtchen hin, da kann man jedem raten: halt dich fest! Das wirkt dann schärfer als das schneidigste Rasiermesser. – Iwan Iwanowitsch ist mager und von hohem Wuchs; Iwan Nikiforowitsch ist nicht ganz so groß, lädt dafür aber kräftig in die Breite aus. – Iwan Iwanowitsch hat einen Kopf, der einem Rettich mit dem Schwanz nach unten gleicht, Iwan Nikiforowitsch hat einen Kopf, der einem Rettich mit dem Schwanz nach oben gleicht. – Iwan Iwanowitsch hält nur nach Tisch im bloßen Hemd Siesta unter seinem Vordach; abends zieht er die Pekesche an und geht ein bißchen fort, entweder in das städtische Magazin, wohin er Mehl zu liefern hat, oder aufs Feld hinaus, wo er den Wachteln Schlingen stellt. Iwan Nikiforowitsch liegt den ganzen Tag auf seiner Anfahrt und läßt sich, wenn es kein gar zu heißer Tag ist, unentwegt die Sonne auf den Buckel scheinen und geht äußerst ungern fort. Am Morgen geht er höchstens einmal, wenn er Lust dazu verspürt, über den Hof und sieht ein bißchen in die Wirtschaft, legt sich aber dann gleich wieder hin. In früheren Zeiten ist er hie und da wohl mal zu Iwan Iwanowitsch hinübergegangen. – Iwan Iwanowitsch ist ein Mann von großem Zartgefühl, er gebraucht im Lauf der Unterhaltung nie ein unanständiges Wort und ist entsetzt, wenn er ein solches hören muß. Iwan Nikiforowitsch aber läßt sich hierin manchmal etwas gehn. Und dann springt Iwan Iwanowitsch sofort vom Stuhl empor und sagt: »Hören Sie auf, Iwan Nikiforowitsch; legen Sie sich schleunigst wieder in die Sonne, statt so gottvergessene Worte zu gebrauchen!« – Iwan Iwanowitsch ist sehr empört, wenn er in seiner Suppe eine Fliege findet: er gerät dann außer sich, feuert den Teller an die Wand und liest dem Wirt entrüstet die Leviten. Iwan Nikiforowitsch badet leidenschaftlich gern, und wenn er bis zum Hals im Wasser sitzt, dann läßt er einen Tisch vor sich ins Wasser stellen und die Teemaschine darauf. So sitzt er schön im Kühlen und trinkt mit Behagen Tee dazu. – Iwan Iwanowitsch rasiert sich zweimal wöchentlich, Iwan Nikiforowitsch nur einmal in der Woche. – Iwan Iwanowitsch ist furchtbar neugierig: Gott schütze jeden, der ihm was erzählt und damit nicht zu Ende kommt! Wenn er mit irgend etwas unzufrieden ist, läßt er es sich gleich anmerken. Iwan Nikiforowitsch sieht man es so leicht nicht an, ob er zufrieden oder wütend ist; wenn er sich über etwas freut, so zeigt er es doch nicht. – Iwan Iwanowitsch ist furchtsam von Natur. Iwan Nikiforowitsch trägt, im vollen Gegensatz dazu, so faltenreiche weite Hosen, daß sie in aufgeblasenem Zustand seinen ganzen Hof samt Wohnhaus, Stallungen und Scheunen in sich fassen könnten. – Iwan Iwanowitsch hat große, ausdrucksvolle, tabakfarbene Augen, und sein Mund erinnert etwas an ein V; Iwan Nikiforowitsch hat gelbliche kleine Augen, die unter den dichten Brauen und zwischen seinen wohlgenährten Backen fast verschwinden, seine Nase aber ähnelt einer reifen Pflaume. – Wenn Iwan Iwanowitsch einem eine Prise offeriert, leckt er vorher den Deckel seiner Tabakdose ab, knipst mit dem Finger daran und sagt, wenn's ein Bekannter ist, mit dem er spricht: »Darf ich Sie bitten, werter Gönner, mir die Ehre anzutun?« Doch wenn es sich um einen Fremden handelt, sagt er: »Darf ich bitten, werter Gönner, den zu kennen ich den Vorzug leider nicht genieße, mir die Ehre anzutun?« Iwan Nikiforowitsch hingegen gibt einem seine Dose in die Hand und sagt dazu nur: »Bitte sehr!« – Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch haben beide einen großen Widerwillen gegen Flöhe. Darum läßt Iwan Iwanowitsch so wenig wie Iwan Nikiforowitsch einen jüdischen Hausierer weitergehn, bevor er ihm nicht eine Reihe Büchsen mit verschiednen Arten von Insektenpulver abgekauft und ihn bei der Gelegenheit auch tüchtig wegen seines falschen Judenglaubens ausgescholten hat.

Im übrigen waren Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch, so wenig sie sich auch in manchen Punkten glichen, alle beide prächtige Menschen.


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