Nikolai Gogol
Die Geschichte vom großen Krakeel zwischen Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch
Nikolai Gogol

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Das dritte Kapitel, in dem berichtet wird, was nach dem Streit zwischen Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch geschah

So verzankten sich die beiden angesehenen Männer, Mirgorods Zier und Ehre, miteinander. Und weswegen? Um einer richtigen Lappalie willen: wegen eines Gänserichs! Sie wollten sich von Stund an nicht mehr sehen und brachen jegliche Verbindung ab und waren früher doch als unzertrennlich in der ganzen Stadt bekannt gewesen. Täglich hatten sie sich gegenseitig irgend jemand auf den Hof geschickt, um nachzufragen, wie es dem Herrn Nachbarn gehe, und hatten sich persönlich vom Balkon aus unterhalten und dabei so liebenswürdige Worte ausgetauscht, daß es wahrhaftig eine Lust war, zuzuhören. Sonntags aber gingen sie, Iwan Iwanowitsch in seiner prächtigen Pekesche und Iwan Nikiforowitsch in dem gelbbraunen Kosakenrock aus Nanking, Arm in Arm zusammen in die Kirche. Und wenn dann Iwan Iwanowitsch, der äußerst scharfe Augen hatte, vor dem andern eine Pfütze oder irgendeinen Unflat mitten auf der Straße sah, was ja in Mirgorod zuweilen vorkommt, dann sagte er sofort zu seinem Freund Iwan Nikiforowitsch: »Vorsicht, treten Sie da nicht hinein, das ist nicht recht geheuer!«

Iwan Nikiforowitsch für sein Teil zeigte sich gleichfalls rührend freundschaftlich, und wo er ging und stand, hielt er Iwan Iwanowitsch seine Dose hin und murmelte: »Bedienen Sie sich doch!«

Und was beide für famose Wirte waren! Und zwei solche Freunde konnten . . . Als ich das erfuhr, stand ich wie vom Donner gerührt. Lange wollte ich es überhaupt nicht glauben. Gerechter Gott! Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch hatten sich verzankt! Die beiden würdigen Männer! Worauf soll man sich da unter dieser Sonne noch verlassen können?

Als Iwan Iwanowitsch heimgekommen war, blieb er noch eine Weile äußerst aufgeregt. Sonst ging er wohl um diese Zeit in seinen Pferdestall, um sich zu überzeugen, ob die junge Stute richtig fraß (Iwan Iwanowitsch hatte eine junge braune Stute, ein famoses kleines Pferd mit einer Blesse auf der Stirn); auch fütterte er wohl die Puten und die Ferkel mit höchsteigner Hand und ging dann wohl in die Stube, um entweder irgendwas an Holzgeschirr zurechtzubasteln (denn darauf verstand er sich wie ein gelernter Drechsler) oder auch in einem Buch zu lesen, das bei Lubius, Garius & Popow erschienen war (den Titel wußte er nicht mehr, weil schon vor längerer Zeit die Magd das obere Stück des Titelblattes abgerissen und es einem Kind zum Spielen hingeworfen hatte); oder er streckte sich wohl unter seinem Vordach aus. Doch heute tat er nichts von alledem, was er sonst um diese Zeit zu tun pflegte. Statt dessen schalt er Gapka, die ihm in den Weg lief, aus und warf ihr vor, sie treibe sich faul herum, indessen sie doch Grütze in die Küche trug; und nach dem Hahn, der an die Anfahrt kam, dort sein gewohntes Futter zu empfangen, warf er mit einem Stock; und als ein schmutziger kleiner Junge in zerrissenem Hemdchen auf ihn zugelaufen kam und quarrte: »Vati, Vati! Ich möchte Pfefferkuchen!«, drohte er ihm so erbost und stampfte er so entsetzlich mit dem Fuß, daß das erschrockne Kind Gott weiß wohin entfloh. Endlich aber besann er sich doch auf sich selbst und ging seinem gewohnten Tagewerk nach. Die gute Rote-Rüben-Suppe mit Täubchen darin, die Gapka ihm gekocht hatte, verscheuchte gänzlich die Erinnerung an die Ereignisse von heute früh. Iwan Iwanowitsch musterte seine Wirtschaft wieder mit Genuß. Und schließlich hefteten sich seine Augen auf den Nachbarhof, und er sprach zu sich selbst: ›Ich war ja heute noch nicht bei Iwan Nikiforowitsch; ich will doch mal hinübergehn.‹ Sprach's, nahm Stock und Mütze und begab sich auf die Straße; kaum jedoch war er zum Tor hinaus, als ihm der Streit mit seinem Nachbarn ins Gedächtnis kam; er spuckte wütend aus und kehrte um. Beinah das gleiche spielte sich auch drüben bei Iwan Nikiforowitsch ab. Iwan Iwanowitsch sah das alte Weib schon drauf und dran, über den Zaun zu steigen, als mit einmal Iwan Nikiforowitschs Stimme rief: »Bleib da! Bleib da! Laß sein!« Iwan Iwanowitsch aber wurde recht betrübt. Und es mag sein, daß diese beiden würdigen Männer sich am nächsten Tag versöhnt hätten, wenn in Iwan Nikiforowitschs Hause nicht etwas geschehen wäre, was die Hoffnung hierauf schlechterdings vernichtete und neues Öl in das fast schon erstorbne Feuer dieser Feindschaft goß. Am gleichen Abend kam nämlich Agafija Fedossejewna bei Iwan Nikiforowitsch zu Besuch. Agafija Fedossejewna war mit diesem weder verschwägert noch verwandt, nicht einmal seine Gevatterin durfte sie sich nennen. Also hatte sie in seinem Hause eigentlich gar nichts verloren, und er selber freute sich durchaus nicht, wenn sie kam; sie aber kam trotzdem recht oft und blieb gleich ganze Wochen, manchmal auch noch länger da. Hinzu kam, daß sie dann die Schlüssel an sich nahm und sich der Leitung seines Hauswesens bemächtigte. Dies war Iwan Nikiforowitsch gar nicht angenehm, seltsamerweise aber folgte er ihr wie ein Kind, und wenn er jemals Streit mit ihr versuchte, so gewann Agafija doch sehr bald die Oberhand.

Ich muß gestehen, ich begreife nicht, warum es sein muß, daß die Frauen uns so einfach an der Nase packen, wie man eine Teekanne am Henkel faßt. Ob ihre Hände schon mal so gebaut sind oder unsere Nasen zu nichts anderm taugen? Kurz, obschon Iwan Nikiforowitschs Nase einer Pflaume ziemlich ähnlich sah, hielt ihn Agafija sicher daran fest und führte ihn auf diese Art wie einen Hund hinter sich her. Wenn sie im Hause war, veränderte er unwillkürlich sogar seine sonstige Lebensweise: lag nicht ganz so lange wie gewöhnlich in der Sonne, und wenn er es tat, doch wenigstens nicht nackt, sondern zog sich dazu Hemd und Hose an, obschon Agafija das gar nicht von ihm verlangte. Sie war frei von Prüderie und hatte einmal, als Iwan Nikiforowitsch am Fieber litt, ihn eigenhändig von den Füßen bis zum Kopf mit Terpentin und Essig eingerieben. Agafija trug ein Häubchen auf dem Kopf, drei Warzen auf der Nase und ein kaffeebraunes, gelbgeblümtes Morgenkleid am Leib. Ihre Gestalt glich einem Faß, und darum war es ebenso schwierig, ihre Taille zu entdecken, wie die eigne Nase ohne Spiegel zu betrachten. Ihre Beine waren kurz und so gebaut wie ein paar Kissen. Klatschgeschichten und zum ersten Frühstück rote Rüben waren ihre Leidenschaft, und schimpfen konnte sie bemerkenswert; aber bei allen diesen mannigfaltigen Beschäftigungen blieb der Ausdruck ihrer Züge sich stets gleich – eine Erscheinung, die man nur bei Frauen finden kann.

Kaum war sie da, als alles schon verkehrt zu gehen anfing. »Nein, ich sag dir eins, Iwan Nikiforowitsch, du versöhnst dich nicht mit ihm und bittest ihn nicht um Entschuldigung; er will dich schlechterdings zugrunde richten; so ist dieser Mensch! Du kennst ihn bloß noch nicht.« So blies und blies sie ihm ins Ohr, das gottverfluchte Weib, und brachte es so weit, daß schließlich Iwan Nikiforowitsch überhaupt nichts mehr von Iwan Iwanowitsch hören wollte. Und so wurde alles anders, als es sonst gewesen war. Sobald ein Hund des Nachbarn auf den andern Hof gelaufen kam, wurde er mit dem ersten besten Gegenstand verprügelt, den man grade fand; und stieg einmal ein Kind über den Zaun, so kam es heulend wieder, hob das Hemdchen hoch und ließ die Rutenstriemen sehen, die es auf dem Rücken trug. Sogar das alte Weib vollführte, als Iwan Iwanowitsch es nach irgend etwas fragen wollte, eine solche Unanständigkeit, daß sich Iwan Iwanowitsch, als Mann von großem Zartgefühl, damit begnügte, auszuspucken und zu sagen: »So ein ekelhaftes Weibsbild! Noch viel schlechter als ihr Herr!«

Und endlich ließ dann der verhaßte Nachbar, all diesen Kränkungen die Krone aufzusetzen, ihm grade vor der Nase, eben dort, wo man sonst immer über den Zaun zu steigen pflegte, einen Gänsestall erbauen, wie wenn er es eigens darauf abgesehen hätte, die Beleidigung zu verdoppeln. Und zwar wurde dieser für Iwan Iwanowitsch so widerwärtige Bau mit teuflischer Geschwindigkeit an einem einzigen Tag errichtet.

Dies erregte in Iwan Iwanowitsch Empörung und den Drang nach Rache. Doch er zeigte nichts von seinem Zorn, obschon der Stall zum Teil sogar auf seinen eignen Grund und Boden übergriff; aber das Herz schlug ihm so heftig, daß es ihm nicht leichtfiel, diese äußere Ruhe zu bewahren.

So verbrachte er den Tag. Es kam die Nacht . . . Oh, daß ich doch ein Maler wäre und den ganzen Zauber dieser Nacht recht packend wiedergeben könnte! Welches Bild: ganz Mirgorod schläft, und reglos blicken Sterne ohne Zahl herab; Hundegebell erklingt von fern und nah und unterbricht die Stille; ein verliebter Küster scheut die Hunde nicht und steigt als Ritter ohne Furcht und Tadel über einen Zaun; die weißen Hüttenwände werden in dem Mondschein weißer und die Bäume, die sie beschatten, dunkler; schwärzere Schatten fallen von den Bäumen, schwüler weht der Duft der Blumen und der stillen Wiesen; und die Heimchen, nimmermüde Ritter der Mittsommernacht, vereinen ihre schrillen Stimmen zu inbrünstigem Gesang. Oh, malen wollte ich auf ihrem Bett in einer von den niedern Lehmhütten die schwarzlockige Maid, die mit erregter junger Brust vom Schnurrbart und von den Sporen eines schneidigen Husaren träumt, indes der Mondenglanz auf ihren Wangen spielt. Ja, malen wollte ich die Fledermaus, die um die weißen Schornsteine der Hütten fliegt, indes ihr schwarzer Schatten flüchtig über die hellen Wege streift. Doch schwerlich könnte ich Iwan Iwanowitsch malen, wie er mit der Säge in der Hand in diese Nacht heraustritt – gar zu mannigfaltig waren die Gefühle, die auf seinen Zügen wechselten. Und leise, leise pirschte er sich an und kroch unter den Gänsestall. Iwan Nikiforowitschs Hunde wußten noch nichts von dem Streit zwischen den beiden Nachbarn und erlaubten ihm als altem Freunde, sich dem Stall zu nähern, der auf vier soliden Eichenpfosten ruhte. An dem nächstgelegenen Pfosten setzte er die Säge an und begann zu sägen. Das Geräusch, das seine Säge machte, zwang ihn alle Augenblicke, ängstlich in die Nacht zu spähen, aber der Gedanke an die Kränkung, die ihm widerfahren war, verlieh ihm neuen Mut. Der erste Pfosten war schon durchgesägt; Iwan Iwanowitsch fing mit dem zweiten an. Die Augen brannten ihm und sahen nichts vor Angst. Auf einmal schrie Iwan Iwanowitsch auf und wurde beinah ohnmächtig: er hatte einen Geist gesehn! Bald aber kam er wieder zu sich und erkannte, daß es eine Gans war, die den Hals zu ihm herunterstreckte. Ärgerlich spuckte Iwan Iwanowitsch aus und fuhr in seiner Arbeit fort. Nun war der zweite Pfosten durchgesägt – der Bau kam schon ins Wanken.

So entsetzlich schlug Iwan Iwanowitsch das Herz, als er sich an den dritten machte, daß er seine Arbeit mehrmals unterbrechen mußte. Und kaum war der Pfosten gut zur Hälfte durchgesägt, als plötzlich der nicht sehr solide Bau gewaltig wackelte. Iwan Iwanowitsch hatte kaum noch Zeit, sich aus dem Staube zu machen, da brach auch schon der Stall mit einem Krach in sich zusammen. Er ergriff die Säge, lief in fürchterlichem Schrecken ins Haus und warf sich auf sein Bett. Er hatte nicht einmal den Mut, durchs Fenster nach den Folgen seiner schauderhaften Tat zu schauen. Und ihm war, als ob sich seines Nachbarn ganzer Hausstand dort zusammenrotte und als ob das alte Weib, Iwan Nikiforowitsch und der Junge in dem endlos langen Rock, jeder mit einer Keule in der Hand, unter der Führung von Agafija Fedossejewna angezogen kämen, sein Haus in Schutt und Trümmer zu verwandeln.

Auch den ganzen nächsten Tag brachte Iwan Iwanowitsch wie im Fieber zu. Er hatte immer das Gefühl, daß sein verhaßter Nachbar ihm als Rache und Vergeltung mindestens das Haus anzünden müsse; deshalb gab er Gapka immer wieder den Befehl, beinah minütlich nachzusehen, ob nicht an verdächtigen Stellen trockenes Stroh herumläge. Endlich faßte er, um so Iwan Nikiforowitsch zuvorzukommen, den Entschluß, wie jener Hase als der erste loszurennen und beim Mirgoroder Kreisgericht eine Strafanzeige gegen seinen Nachbarn einzureichen. Worin aber die bestand, wird der geneigte Leser aus dem folgenden Kapitel ersehn.


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