Nikolai Gogol
Die Geschichte vom großen Krakeel zwischen Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch
Nikolai Gogol

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Das vierte Kapitel, in dem berichtet wird, was in der Amtsstube des Mirgoroder Kreisgerichts geschah

Eine wunderbare Stadt ist Mirgorod! Was es für Häuser darin gibt! Mit Strohdächern, mit Schilfdächern, sogar mit Schindeldächern. Eine Straße rechts und eine Straße links und überall ein schöner Flechtwerkzaun; der ist mit Hopfen überwachsen und mit Kochtöpfen behängt, und hinter ihm erhebt die Sonnenblume stolz ihr sonnenförmiges Haupt, glänzt rot der Mohn und schimmern dicke Kürbisse . . . Die wahre Pracht! Der Zaun ist stets mit Dingen ausgeschmückt, die ihn noch malerischer machen – hier mit einem ausgespannten Weiberrock, dort mit einem Hemde oder einer Männerhose. Mirgorod hat keine Diebe und Halunken, darum hängt hier jeder auf den Zaun, was ihm just einfällt. Und wenn ihr mit auf den Marktplatz kommt, dann werdet ihr ganz sicher eine Weile haltmachen, um euch an seinem Anblick zu ergötzen; denn dort gibt es eine Pfütze, eine ganz bemerkenswerte Pfütze! Sicherlich die einzige dieser Art, die ihr bisher gesehen habt! Sie nimmt beinah den ganzen Marktplatz ein. Eine wahrhaftig wunderschöne Pfütze! All die Häuser und die Hütten, die den Platz umgeben und die man von fern mit Heuschobern verwechseln kann, sind stumm vor Staunen ob der Schönheit dieser Pfütze.

Ich aber bin der Überzeugung, daß es überhaupt kein schöneres Haus gibt als das Kreisgericht. Ob es aus Eichen- oder Birkenholz gebaut ist, kümmert mich nicht viel, aber ich bitte zu beachten, meine Herren, es hat, wohlgezählt, acht Fenster! Jawohl: acht Stück in einer Front, gerade auf den Platz hinaus und auf die Wasserfläche, die ich schon erwähnte und die vom Herrn Polizeimeister als See bezeichnet wird! Und nur das Kreisgerichtshaus ist granitfarbig gestrichen; alle anderen Häuser in ganz Mirgorod sind schlicht geweißt. Das Dach ist durchweg aus Schindeln, und es wäre sogar rot gestrichen, wenn nicht die Kanzlisten das zu diesem Zweck bereits gekaufte Öl mit Zwiebeln angerichtet und verspeist hätten; denn es war grade Fastenzeit. Und dadurch kam es, daß das Dach nicht angestrichen wurde. Auf den Platz hinaus führt eine Freitreppe, auf der man häufig Hühner trippeln sehen kann, weil dort gewöhnlich Grütze oder sonst was Eßbares herumliegt. Übrigens wird das nicht etwa eigens und mit Absicht hingestreut, sondern die Rechtsschutzsuchenden verlieren hier nur etwas von dem Mitgebrachten. Das Gerichtsgebäude teilt sich in zwei Hälften: in der einen befindet sich das Amts- und in der andern das Haftlokal. Das Amtslokal zerfällt in zwei geweißte, saubre Zimmer, deren vorderes der Warteraum für die Parteien ist; im andern Zimmer steht ein tintenklecksverzierter Tisch mit dem Gerichtsspiegel darauf; dann gibt es noch vier hochlehnige Eichenstühle und rings an den Wänden eisenbeschlagne Truhen, um die Aktenbündel voll Provinzgezänk für künftige Geschlechter aufzuheben. Eine dieser Truhen trug eben damals einen frisch gewichsten Stiefel auf dem Deckel.

Die Sitzung hatte schon in aller Frühe angefangen. Der Richter, ein recht korpulenter Mann, wenn auch ein bißchen schlanker als Iwan Nikiforowitsch, saß mit freundlichem Gesicht in seinem fettfleckigen Schlafrock da, trank Tee und rauchte Pfeife und plauderte mit seinem Beisitzer. Des Richters Lippen saßen dicht unter der Nase, also daß die Nase seine Oberlippe sehr bequem nach Herzenslust beschnuppern konnte. Diese Lippe diente ihm als Tabakdose, weil der ja eigentlich der Nase zugedachte Tabak meistens auf sie niederfiel. Also der Richter plauderte mit seinem Beisitzer. Im Hintergrund hielt ein barfüßiges Mädchen ein Tablett mit Tassen. An der einen Schmalseite des Tisches las der Sekretär ein Urteil mit so eintöniger Klageweiberstimme vor, daß sogar der Verurteilte wohl eingeschlafen wäre, wenn er zugehört hätte. Der Richter aber hätte das bestimmt erst recht getan, wenn er nicht mittlerweile in ein fesselndes Gespräch hineingeraten wäre.

»Ich habe mich bemüht, herauszukriegen«, sagte der Richter und schlürfte dazu den schon abgekühlten Tee aus seiner Tasse, »wie man sie am besten dazu bringt, recht schön zu singen, ja. Ich hatte vor zwei Jahren eine ganz famose Drossel. Na, und dann? Auf einmal taugte sie nichts mehr und fing der liebe Gott weiß wie zu singen an; von Tag zu Tage schlechter; ein Gekrächze und Geschnarr – ganz einfach, um sie wegzuschmeißen! Und dabei lag das an einem Dreck! Der ganze Grund ist der: es bildet sich hier an der Kehle eine Beule, kleiner noch als eine kleine Erbse. Diese kleine Beule muß man bloß mit einer Nadel aufstechen. Anton Prokofjewitsch hat mir das beigebracht, und wenn Sie wünschen, will ich Ihnen gern erzählen, wie das war. Ich komm also zu ihm . . .«

»Entschuldigen, Herr Richter, soll ich jetzt das nächste lesen?« fiel ihm der Sekretär ins Wort, der seine Verlesung bereits einige Zeit beendet hatte.

»Was, sind Sie schon fertig? Denken Sie mal an: wie schnell! Ich hab kein Wort gehört! Wo ist es denn? Geben Sie her, daß ich es unterschreibe! Was ist dann noch da?«

»Die Sache des Kosaken Bokitka wegen der gestohlnen Kuh.«

»Schön, lesen Sie! – Ich komm also zu ihm . . . Ich kann Ihnen sogar genau erzählen, was er mir an guten Dingen vorgesetzt hat. Erst zum Schnaps gab es gedörrten Stör, ich sag Ihnen, einzigartig! Nicht von dieser Sorte Stör«, (hier schnalzte der Herr Richter mit der Zunge und lächelte, indessen seine Nase an der stets bereiten Tabakdose schnupperte) »nicht von dieser Sorte Stör, die unser Mirgoroder Kolonialwarengeschäft uns aufhängt. Hering hab ich nicht genommen, denn Sie wissen ja, daß ich von Hering immer Sodbrennen in der Herzgrube bekomme; dafür hab ich den Kaviar probiert – ein wunderbarer Kaviar, nichts zu sagen, delikat! Dann hab ich einen Pfirsichschnaps getrunken, angesetzt auf Tausendgüldenkraut. Auch Safranschnaps war da; aber Sie wissen ja, ich trinke keinen Safranschnaps. Er ist ja, wissen Sie, ganz gut: am Anfang, sozusagen, um den Appetit zu reizen, und dann wieder zum Beschluß . . .! – Ah, was hört mein Ohr, was sieht mein Auge!« schrie der Richter plötzlich auf; er sah Iwan Iwanowitsch in die Stube treten.

»Gott schütze Sie! Ich wünsche Ihnen einen guten Tag!« sagte Iwan Iwanowitsch und verbeugte sich mit der ihm angebornen Liebenswürdigkeit nach allen Seiten. Lieber Gott, wie gut er es verstand, die ganze Welt durch seine Umgangsformen zu bezaubern! Solche Feinheit hab ich nirgends mehr gesehn. Er war sich seiner Würde sehr bewußt, und darum nahm er die Verehrung seiner Mitmenschen wie einen Tribut an, den ihm jeder schuldete. Der Richter selber brachte Iwan Iwanowitsch einen Stuhl, und seine Nase schnaufte allen Tabak von der Oberlippe ein, was bei ihm stets ein Zeichen ganz besondrer Vergnügtheit war.

»Womit gestatten Sie mir, Ihnen aufzuwarten, Iwan Iwanowitsch?« erkundigte er sich. »Vielleicht befehlen Sie ein Täßchen Tee?«

»Nein, danke sehr, für alles überhaupt«, erwiderte Iwan Iwanowitsch, verbeugte sich und nahm Platz.

»Ach, tun Sie mir die Liebe, nur ein Täßchen!« bat der Richter noch einmal.

»Nein, danke sehr. Ich nehme Ihre Gastfreundschaft mit wärmster Anerkennung für genossen an«, antwortete Iwan Iwanowitsch, verbeugte sich und nahm von neuem Platz.

»Nur eine Tasse!« fing der Richter wieder an.

»Nein, nein, bemühen Sie sich nicht, Herr Richter.«

Abermals verbeugte sich Iwan Iwanowitsch und nahm von neuem Platz.

»Ein Täßchen?«

»Wenn es sein muß – gut: ein Täßchen!« Und Iwan Iwanowitsch streckte seine Rechte nach dem Teebrett aus.

Herr du mein Gott! Welch eine Überfülle an gesellschaftlicher Feinheit hat doch mancher Mensch! Es läßt sich gar nicht schildern, welchen angenehmen Eindruck ein derart vollendetes Benehmen macht!

»Belieben Sie nicht noch ein Täßchen?«

»Danke ganz ergebenst«, antwortete Iwan Iwanowitsch, stellte seine Tasse umgekehrt wieder auf das Teebrett und verbeugte sich.

»Seien Sie so lieb, Iwan Iwanowitsch!«

»Ich kann nicht; danke sehr.« Iwan Iwanowitsch verbeugte sich und nahm von neuem Platz.

»Iwan Iwanowitsch, tun Sie mir doch die Freundschaft an: ein Täßchen!«

»Nein, ich danke, ich bin Ihnen für Ihr gastfreundliches Anerbieten auf das äußerste verpflichtet!« sagte Iwan Iwanowitsch, verbeugte sich und nahm wieder Platz.

»Ein Täßchen, nur ein einziges Täßchen!«

Iwan Iwanowitsch streckte seine Rechte nach dem Teebrett aus und griff nach einer Tasse.

Alle Hagel! Daß es einen Menschen gibt, der seine Würde so zu wahren weiß!

»Herr Richter«, fing Iwan Iwanowitsch an, als er den letzten Schluck hinunter hatte, »ich bin in einer wichtigen Sache hier: ich möchte Ihnen einen Strafantrag einreichen.« Und Iwan Iwanowitsch stellte seine Tasse weg und zog aus seiner Tasche einen engbeschriebnen Stempelbogen. »Einen Strafantrag gegen meinen Feind, ich darf wohl sagen, meinen Todfeind.«

»Und wer ist denn das?«

»Iwan Nikiforowitsch Dowgotschchun.«

Bei diesen Worten fiel der Richter fast vom Stuhl.

»Was sagen Sie?« rief er und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Oh, Iwan Iwanowitsch, sind Sie es überhaupt?«

»Sie sehn ja selbst, daß ich es bin.«

»Herrgott und alle Heiligen! Was, Sie, Iwan Iwanowitsch, Sie sind Iwan Nikiforowitschs Feind geworden? Ist es denn Ihr Mund, der so was sagt? Nein, sagen Sie das noch einmal, damit ich mich überzeuge, ob sich keiner hinter Ihnen hingeduckt hat und an Ihrer Stelle spricht!«

»Was ist daran so unwahrscheinlich? Ich will den Menschen nicht mehr sehn: er hat mir eine tödliche Beleidigung zugefügt und mich in meiner Ehre schwer verletzt.«

»O heilige Dreieinigkeit! Was soll ich jetzt zu meiner guten Mutter sagen? Jeden Tag sagt unsere alte Dame, wenn ich mich mit meiner Schwester zanke: ›Kinderchen, ihr lebt wie Hund und Katze miteinander. Nehmt euch doch ein Beispiel an Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch! Wenn schon Freunde, dann schon Freunde! Ja, das nenne ich noch Freunde! Das sind würdige Ehrenmänner!‹ Na, da haben wir denn jetzt die Freunde! Ach, erzählen Sie doch, was geschehen ist und wie das kommt!«

»Herr Richter, diese Sache ist von delikatester Natur! Mit Worten kann man das nicht gut erzählen. Lassen Sie doch lieber meinen Strafantrag verlesen – fassen Sie ihn bitte hier an diesem Ende an –, das ist wohl passender.«

»Ja, lesen Sie ihn vor, Herr Sekretär!« befahl der Richter.

Und der Sekretär ergriff den Strafantrag und schneuzte sich auf die Art, wie sich Sekretäre bei derartigen Gerichten überhaupt zu schneuzen pflegen: mit zwei Fingern, und begann zu lesen:

»›Strafantrag des im Mirgoroder Kreis begüterten Edelmanns Iwan Iwans Sohn Pererepenko; worüber Näheres in untenstehenden Punkten folgt:

I. Der jedermann durch seine gottlosen, den Ekel aller Welt erregenden und alles Maß verletzenden gesetzwidrigen Handlungen bekannte Edelmann Iwan Nikifors Sohn Dowgotschchun hat mir am 7. im Juli laufenden Jahres 1810 eine tödliche Beleidigung zugefügt, die sich sowohl persönlich gegen meine Ehre richtete als auch im gleichen Maße zur Erniedrigung und Konfusionierung meines Ranges und Familiennamens diente. Fraglicher Edelmann ist zu dem allen selbst von abstoßendem Äußeren und zänkischem Charakter und angefüllt von Gotteslästerung und Schimpfworten der mannigfachsten Art.‹«

Hier hielt der Vorleser ein wenig inne, um sich noch einmal zu schneuzen, und der Richter legte andachtsvoll die Hände ineinander und sprach halblaut zu sich selbst: »Nein, solch eine gewandte Feder! Herr, mein Gott! Wie dieser Mann zu schreiben weiß!«

Iwan Iwanowitsch bat den Sekretär, mit der Verlesung fortzufahren, und der Sekretär fuhr fort:

»›Fraglicher Edelmann, Iwan Nikifors Sohn Dowgotschchun, hat mir, als ich mit einem freundschaftlichen Vorschlag zu ihm kam, öffentlich eine kränkende und ehrenrührige Benennung beigelegt, und zwar den Namen ›Gänserich‹, während es doch dem ganzen Mirgoroder Kreis bekannt ist, daß ich mich bisher noch nie nach diesem widerlichen Tier genannt habe und auch in Zukunft nicht gewillt bin, mich danach zu nennen. Als Beweis für meine adlige Abstammung führe ich an, daß in der Taufmatrikel der Drei-Heiligen-Kirche sowohl der Tag meiner Geburt verzeichnet steht als auch gebucht ist, daß ich dort die heilige Taufe, wie es sich gehört, empfangen habe. Ein ›Gänserich‹ hingegen kann, wie jeder weiß, der halbwegs in der Wissenschaft beschlagen ist, in keine Taufmatrikel eingetragen werden, weil ein ›Gänserich‹ kein Mensch, sondern ein Vogel ist, was jeder Mensch, auch wenn er nicht einmal ein Seminar besucht hat, zuverlässig weiß. Aber der fragliche bösartige Edelmann, der dies genausogut wie jeder andre weiß, hat mir aus keinem andern Grund, als um mir eine meinem Rang und Stand höchst abträgliche Kränkung zuzufügen, fragliche mich beschimpfende und häßliche Bezeichnung beigelegt.

2. Jener selbe unanständige und unerzogne Edelmann hat ferner einen Anschlag auf mein Erbgut ausgeübt, das mir nach dem Hinscheiden meines Vaters zugefallen ist, des ehemaligen Geistlichen Iwan Onissijews Sohn Pererepenko seligen Angedenkens, indem er in Mißachtung sämtlicher Gesetze seinen Gänsestall aus Bosheit grade an die Stelle gegenüber meiner Anfahrt hinverlegte, was derselbe aus gar keiner andern Absicht tat, als um die mir vorher schon zugefügte Kränkung zu verschärfen, weil fraglicher Stall bis dahin an einem sehr guten Platze stand und noch vollkommen haltbar war. Aber die widerwärtige Absicht des erwähnten Edelmanns war einfach, mich zum Augenzeugen unanständiger Verrichtungen zu machen; denn es ist wohl sicher, daß kein Mensch in einen Stall, und gar in einen Gänsestall, zu anständigen Zwecken geht. Bei dieser unrechtmäßigen Verlegung griffen noch dazu die beiden vordern Pfosten unbefugt auf meinen Grund und Boden über, welchen mir mein Vater seligen Angedenkens, Iwan Onissijews Sohn Pererepenko, noch bei seinen Lebzeiten als Erbteil übergeben hat und welcher von dem Speicher angefangen in grader Linie bis zu dem Platz reicht, wo die Weiber ihre Töpfe waschen.

3. Der oben bereits ausreichend gekennzeichnete Edelmann, bei dessen Namen man schon Widerwillen fühlt, bewegt in seiner Seele die boshafte Absicht, mich in meinem eignen Hause zu verbrennen. Die zweifellosen Anzeichen dafür erhellen klar aus folgendem: Erstens kommt fraglicher bösartiger Edelmann in letzter Zeit sehr oft aus seinen Zimmern, was er früher wegen seiner Faulheit sowie seiner widerlichen Leibesfülle niemals tat; zweitens brennt jetzt ungewöhnlich lange Licht in seiner Leutestube, die grade an den Zaun stößt, der den mir von meinem Vater seligen Angedenkens, Iwan Onissijews Sohn Pererepenko, erblich überkommnen Grund und Boden abgrenzt – was ein überzeugender Beweis für meine obige Behauptung ist; denn früher wurde seines unflätigen Geizes wegen stets nicht bloß das Talglicht, sondern selbst das Öllämpchen gelöscht. Und stelle ich deshalb den Antrag, fraglichen Edelmann Iwan Nikifors Sohn Dowgotschchun als überführt der Brandstiftung sowie der Beleidigung gegen meinen Rang und Stand und Namen sowie auch der räuberischen Ansichraffung meines Eigentums, vor allem aber der gemeinen und unanständigen Verkupplung meines Namens mit der Bezeichnung ›Gänserich‹ zur Zahlung einer Strafe sowie einer entsprechenden Entschädigung, ingleichen in die Kosten zu verurteilen, ihm selber aber als Verbrecher schleunigst Ketten anzulegen und ihn in das städtische Gefängnis einzusperren sowie in der Sache Urteil meinem Strafantrag entsprechend schnellstens und ohne Verzögerung zu erlassen.

Geschrieben und verfaßt durch Iwan Iwans Sohn Pererepenko, Mirgoroder Edelmann und Gutsbesitzer.‹«

Nachdem der Sekretär den Strafantrag verlesen hatte, trat der Richter auf Iwan Iwanowitsch zu, faßte ihn an einem Knopf und sagte eindringlich: »Was tun Sie da, Iwan Iwanowitsch! Ja, fürchten Sie sich denn nicht vor dem lieben Gott? Werfen Sie diesen Strafantrag in den Papierkorb! Fort mit ihm! (Der Satanas soll ihm im Traum erscheinen!) Geben Sie Iwan Nikiforowitsch die Hand und einen Kuß! Und kaufen Sie sich santurinischen oder Nikopolsker Wein, oder brauen Sie auch einfach einen Punsch, und laden Sie mich mit ihm ein! Dann wollen wir zusammen fröhlich trinken und das dumme Zeug vergessen!«

»Nein, Herr Richter! Die Sache ist nicht von der Art«, sagte Iwan Iwanowitsch mit der Würde, die ihm so vortrefflich zu Gesicht stand, »die Sache ist nicht von der Art, daß man sie auf dem Wege gütlichen Vergleichs beilegen könnte. Leben Sie nun wohl! Sie gleichfalls, meine Herren!« fuhr er mit derselben Würde fort und machte allen eine sehr gemessene Verbeugung. »Und ich hoffe, meinem Strafantrag wird geziemend nachgegangen werden.« Damit ging er und ließ das Gericht im Zustand äußerster Verwunderung zurück.

Der Richter saß und brachte keinen Ton hervor; der Sekretär nahm eine Prise; die Kanzlisten warfen den Flaschenscherben um, der als Tintenfaß benutzt wurde; der Richter selber aber fuhr in der Zerstreutheit mit dem Finger in der Tintenpfütze auf dem Tisch herum.

»Was sagen Sie dazu, Herr Beisitzer?« fragte der Richter, als er einige Zeit geschwiegen hatte.

»Ich sage gar nichts«, antwortete der Beisitzer.

»Nein, Sachen gibt es, Sachen . . .!« fuhr der Richter fort. Kaum aber hatte er dieses Wort gesprochen, da erklang ein Knarren von der Tür her, und Iwan Nikiforowitschs vordere Hälfte drängte sich in das Gerichtszimmer, indes die andre noch im Vorzimmer verblieb. Daß sich Iwan Nikiforowitsch fern vom Hause zeigte, und dazu noch bei Gericht, war etwas ganz Erstaunliches; der Richter schrie vor Schrecken auf, der Sekretär erhob den Blick von seinen Akten, einer der Kanzlisten, der eine Art von kurzschößigem Frack aus grober Wolle trug, steckte die Feder in den Mund, der andre verschluckte eine Fliege. Selbst der Invalide, dem das Amt des Feldjägers und Wächters übertragen war und der bis jetzt still an der Tür gestanden und sich unter seinem schmutzigen Hemd gekratzt hatte, selbst dieser Invalide riß den Mund auf und trat irgend jemand auf den Fuß.

»Was führt Sie her? Was ist denn los? Wie geht's gesundheitlich, Iwan Nikiforowitsch?«

Iwan Nikiforowitsch aber war nicht tot und nicht lebendig, weil er in der Tür feststeckte und nicht vorwärts und nicht rückwärts konnte. Ganz umsonst rief auch der Richter in das Vorzimmer hinaus, es möge jemand von den Leuten, die da warteten, Iwan Nikiforowitsch mit Gewalt von hinten her ins Amtszimmer hereinbefördern. Denn im Vorzimmer befand sich nur noch eine alte Bittstellerin, die trotz der Mühe, die sich ihre knochigen Hände gaben, keinerlei Erfolg erzielen konnte. Da erhob sich einer der Kanzlisten, ein Mensch mit dicken Lippen, breiten Schultern, dicker Nase, schielenden, versoffnen Augen und an den Ellbogen zerrissenen Ärmeln, latschte auf Iwan Nikiforowitschs vordere Hälfte zu, legte ihm wie einem Säugling beide Arme über Kreuz und winkte dann dem Invaliden. Dieser stemmte resolut sein Knie gegen den Bauch des armen Eingeklemmten, und Iwan Nikiforowitsch, mochte er auch noch so schmerzlich stöhnen, wurde wieder in das Vorzimmer geschubst. Darauf zog man den Riegel weg und öffnete den zweiten Türflügel, indessen der Kanzlist und der hilfreiche Invalide, die nach dem gemeinsam ausgeführten Werk entsetzlich schnaufen mußten, einen Duft verbreiteten, der aus dem Amtszimmer für eine Weile einen Schnapsausschank zu machen schien.

»Haben Sie sich auch nicht weh getan, Iwan Nikiforowitsch? Ich will's meiner Mutter sagen, die schickt Ihnen einen Branntweinaufguß. Wenn Sie sich damit den Rücken und das Kreuz einreiben, ist gleich alles wieder gut.«

Iwan Nikiforowitsch aber sank auf einen Stuhl und konnte lange Zeit nur stöhnen und kein Wort hervorbringen. Dann endlich flüsterte er mit vor Müdigkeit ganz schwacher Stimme: »Ist's gefällig?«, zog die Tabakdose aus der Tasche und fuhr fort: »Bedienen Sie sich doch!«

»Ich bin erfreut, Sie hier zu sehn«, erwiderte der Richter. »Nur kann ich mir noch nicht vorstellen, was Sie eigentlich veranlaßt, sich so zu bemühen und uns durch Ihr überraschendes Erscheinen zu beehren.«

»Ich hab ein Gesuch«, brachte Iwan Nikiforowitsch angestrengt heraus.

»Wie? Ein Gesuch? Und was für eins?«

»Ja, einen Strafantrag . . .« (Der Atem ging ihm aus, und er schob eine lange Pause ein) . . . »Ja, einen Strafantrag gegen den Lumpenkerl Iwan Iwanowitsch Pererepenko.«

»Herrgott! Sie auch? Und zwei so seltne Freunde! Wie, einen Strafantrag gegen diesen als so tugendhaft bekannten Mann?«

»Er ist der Satan selbst!« entgegnete Iwan Nikiforowitsch schroff. Der Richter schlug ein Kreuz.

»Da, nehmen Sie den Strafantrag und lassen Sie ihn gleich verlesen!«

»Nichts zu machen! – Lesen Sie, Herr Sekretär!« sagte der Richter mit verdrossener Miene, während seine Nase unwillkürlich an der Oberlippe schnüffelte, was sie sonst nur zu tun pflegte, wenn er besonders guter Laune war. Die Eigenmächtigkeit der Nase ärgerte den Richter noch viel mehr – er zog sein Taschentuch heraus und fegte damit allen Tabak von der Oberlippe, um die Nase so für ihre Frechheit zu bestrafen.

Und der Sekretär vollführte die einleitende Zeremonie, die er gewöhnlich vor Beginn einer Verlesung ohne Hilfe eines Schnupftuchs zelebrierte, und begann mit seiner uns bereits bekannten Stimme so:

»›Strafantrag des im Mirgoroder Kreis begüterten Edelmanns Iwan Nikifors Sohn Dowgotschchun; worüber Näheres in untenstehenden Punkten folgt:

1. In seiner gehässigen Bosheit und seinem offenbaren Übelwollen fügt der sich selbst als Edelmann bezeichnende Iwan Iwans Sohn Pererepenko mir allerhand Gemeinheiten, Schaden und sonstige hinterlistige, schreckenerregende Untaten zu und hat sich gestern spät um Mitternacht als Räuber, Einbrecher und Dieb mit Beilen, Sägen, Stemmeisen und andern Schlosserwerkzeugen in meinen Hof geschlichen und meinen mir gehörenden, auf fraglichem Hof gelegenen Stall mit eignen Händen und in für ihn ehrenrühriger Art zerstört, zu welchem offenbar gesetzwidrigen räuberischen Anschlag meinerseits nicht die geringste Ursache gegeben war.

2. Fraglicher Edelmann Pererepenko plant außerdem noch einen Anschlag auf mein Leben und kam, nachdem er vor dem 7. des vorigen Monats diesen Plan schon längst in aller Heimlichkeit gehegt hatte, an diesem Tag zu mir und suchte mir auf heimtückisch freundschaftliche Art die Flinte abzuschwatzen, welche ich in meinem Zimmer habe, und bot mir zum Tausch mit dem an ihm gewohnten Geize eine Menge unbrauchbarer Dinge, als da sind: eine schwarzbraune Sau und zwei Sack Hafer, an. Ich aber, der die hinterlistige Absicht, die er hatte, schon vorausahnte, versuchte, ihn auf alle Weise von fraglicher Absicht abzubringen; fraglicher Schurke und Halunke Iwan Iwans Sohn Pererepenko aber schimpfte mich mit bäurischen Ausdrücken und hegte seit diesem Tage eine Feindschaft gegen mich, die unversöhnlich ist. Des weiteren ist fraglicher, des öfteren bereits erwähnter hemmungsloser Edelmann und Räuber Iwan Iwans Sohn Pererepenko von höchst unanständiger Herkunft: seine Schwester war eine stadtbekannte liederliche Weibsperson, die durchging, um der Jägerkompanie zu folgen, die vor jetzt fünf Jähren hier in Mirgorod garnisonierte; ihren Ehemann aber ließ dies Weib kaltblütig in die Bauernliste eintragen. Der Vater und die Mutter dieses Menschen waren gleichfalls höchst verbrecherische Leute sowie alle beide fürchterliche Trunkenbolde. Aber der erwähnte Edelmann und Räuber Pererepenko hat durch seine viehischen und tadelswürdigen Verbrechen seine ganze Sippschaft übertrumpft und tut, so fromm er sich auch stellt, die lästerlichsten Dinge: er hält nicht mal die Fasten ein, was klar daraus hervorgeht, daß sich dieser Gottesleugner einen Tag vor den Adventsfasten noch einen Hammel kaufte und ihn tags darauf von seiner unehelichen Beischläferin namens Gapka schlachten ließ, unter dem Vorwand, daß er grade um diese Zeit den Talg des Tieres für Lichter brauchte. Und deshalb stelle ich den Antrag, fraglichem Edelmann als Räuber, Kirchendieb und Spitzbuben, dem Raub und Diebstahl nachgewiesen wurden, Ketten anzulegen und ihn in das städtische oder staatliche Gefängnis einzusperren und ihn dann nach billigem Ermessen seines Ranges und des Adels quitt zu sprechen, ihn recht fest mit Berberitzenreisig durchzuwichsen, ihn gegebenenfalls zur Zwangsarbeit nach Sibirien zu schicken, ihn zur Zahlung aller Kosten und zu angemessener Entschädigung anzuhalten sowie in der Sache Urteil meinem Strafantrag entsprechend zu erlassen.

Diesen Strafantrag hat eigenhändig unterschrieben Iwan Nikifors Sohn Dowgotschchun, Edelmann zu Mirgorod.‹«

Sobald der Sekretär mit der Verlesung fertig war, faßte Nikiforowitsch ungesäumt nach seiner Mütze und verbeugte sich zum Abschied.

»Halt! Wohin, Iwan Nikiforowitsch?« rief ihm der Richter nach. »So setzen Sie sich doch noch einen Augenblick! Und trinken Sie ein Täßchen Tee! Oryschko! Steht das dumme Mädel da und wechselt Blicke mit den Schreibern! Marsch, hol Tee!«

Iwan Nikiforowitsch aber war vor lauter Angst, weil er sich gar so weit von seinem Haus befand und weil er vorhin jene schlimme Quarantäne hatte dulden müssen, schon zur Tür hinaus und sagte nur: »Bemühen Sie sich nicht, ich werde mit Vergnügen . . .« Damit fiel die Tür hinter ihm ins Schloß; das ganze Amt blieb höchst erstaunt zurück.

Hier war gar nichts zu machen. Beide Strafanzeigen wurden angenommen, und der ganze Handel hatte zweifellos bereits das Zeug dazu in sich, ein äußerst interessanter Fall zu werden, als ein Umstand, den kein Mensch hatte voraussehn können, ihn noch bedeutend interessanter machte. Als der Richter in Begleitung seines Beisitzers und seines Sekretärs das Amtslokal verlassen hatte und nun die Kanzlisten die von den Parteien mitgebrachten Hühner, Eier, angeschnittnen Brotlaibe, Maultaschen, Weißbrote und andern Kram in einen Sack verstauten – just um diese Zeit kam eine Sau, schwarzbraun von Farbe, in das Amtszimmer gelaufen und ergriff zum Staunen der Versammelten nicht etwa eine Maultasche oder ein Stückchen Brotrinde, nein, ganz im Gegenteil: den Strafantrag des wackeren Nikiforowitsch, der an der einen Schmalseite des Tisches lag und über dessen Rand hinunterhing. Als sie das Dokument im Maule hatte, lief die schwarzbraune Übeltäterin so schnell davon, daß keiner der Gerichtsbeamten sie einholen konnte, und bekümmerte sich wenig um die Lineale und die Tintenfässer, die ihr nachgeworfen wurden. Dieser unerhörte Vorgang hatte eine schreckliche Verwirrung im Gefolge, weil der in Verlust gegangene Strafantrag noch gar nicht abgeschrieben war. Der Richter oder vielmehr sein Beisitzer beriet sich mit dem Sekretär sehr lange über diese noch nie dagewesene Komplikation; endlich entschloß man sich zu einem schriftlichen Bericht darüber an den Polizeimeister, weil die Recherchen in dieser verzwickten Angelegenheit wohl in die Kompetenz der städtischen Polizei gehörten. Fraglichen Bericht, welcher die Aktenzahl 389 trug, erhielt der Polizeimeister noch an demselben Tag, und das zog eine sehr interessante Auseinandersetzung nach sich, über die der wohlgeneigte Leser sich im folgenden Kapitel näher unterrichten kann.


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