Nikolai Gogol
Taraß Bulba
Nikolai Gogol

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Elftes Kapitel

Zu jener Zeit gab es an den Landstraßen noch keine Zöllner und Grenzer. Ohne Sorge vor diesem Schrecken aller unternehmenden Handelsleute konnte deshalb jeder seine Ware durchs Land führen. Wenn doch einmal einer die Ladung untersuchte, so tat er es auf eigne Faust. Voraussetzung war dabei immer, daß er der Kraft und Schwere seiner Faust auch wirklich vertrauen durfte, und daß der Inhalt des Fuders das Wagnis lohnte.

Ziegelsteine aber lockten keinen Strauchritter an; und so rasselte Jankels Wagen denn endlich wohlbehalten unter der Torwölbung hindurch in die Warschauer Hauptstraße. Bulba merkte in seinem Versteck fürs erste nichts von der Stadt als Lärm und Kutschergeschrei. Der Jude lenkte das staubbedeckte Rößlein, auf dem er schwankend thronte, nach mancherlei Umwegen in ein enges, finstres Gäßchen, das den Namen Dreck- oder Judengasse führte. In der Tat hausten hier auch fast sämtliche Juden von Warschau. Diese Straße erinnerte stark an einen Hinterhof im Armenviertel. Es sah nicht aus, als dringe ihr jemals ein Sonnenstrahl bis auf den Grund. Düster blickten die altersschwarzen Holzhäuser darein. Vereinzelt stand wohl ein Ziegelbau dazwischen, aber auch das Rot seiner Mauern hatte sich schon fast gänzlich zu Schwarz verdunkelt. Nur an den Giebeln oben leuchtete hier und da ein verputztes Stückchen Wand in der Sonne und tat mit seiner grellen Weiße den Augen weh. Allerlei Unrat lag am Boden herum: alte Dachrinnen, Lumpen, Küchenabfall, zerbrochne Töpfe. Jeder warf, was ihm im Weg war, kurzerhand vor die Tür hinaus – mochte sich, wer vorüberkam, dabei denken, was er sich dachte. Ein Reiter zu Pferd hätte mit gestrecktem Arm beinah die Wäschestangen erreichen können, die von Fenster zu Fenster quer über die Straße liefen, und an denen Strümpfe, Hosen, geräucherte Gänse und andre Herrlichkeiten baumelten. Hübsche junge Schicksen mit schmutzigen Wachsperlenschnüren um den Hals zeigten ihre Gesichter hinter den trüben Scheiben. Ein Haufe von ungewaschnen, zerlumpten krauslockigen Judenbengeln wälzte sich schreiend im Dreck. Ein rothaariger Jude, besprenkelt mit Sommersprossen wie ein Spatzenei, streckte den Kopf zum Fenster heraus und begann, als er Jankel erblickte, in seinem Kauderwelsch auf diesen einzureden; Jankel nickte ihm zu und lenkte sein Gespann durchs Tor in den Hof. Grade kam noch ein andrer Jude des Weges, er machte Halt und mischte sich in das Gespräch. Als Bulba sich endlich unter seinen Ziegeln hervorgearbeitet hatte, erblickte er drei Hebräer, die lebhaft durcheinander mauschelten.

Jankel trat auf Taraß zu und sagte ihm, sie wollten die Sache schon machen. Ostap säße im städtischen Gefängnis. Es würde ein schweres Stück Arbeit sein, die Wärter herumzukriegen, aber er hoffe dennoch, ihm Zutritt zu dem Kerker Ostaps zu verschaffen.

Bulba begab sich mit den drei Juden ins Haus.

Wieder erhoben die Hebräer ein großes Gemauschel in ihrer unverständlichen Sprache. Taraß schaute von einem zum andern. Ein Sturm von Gefühlen schüttelte ihn; aus seinen sonst so harten und ruhigen Augen brach ein heftiger Strahl von Hoffnung – wahnwitziger Hoffnung, wie sie den Menschen grade in der tiefsten Verzweiflung zuweilen packt; sein altes Herz schlug so voll und heftig, als sei er ein Jüngling.

»Hört einmal zu, ihr Juden!« sagte er, und seine Stimme hatte fast etwas Verzücktes. »Ihr bringt ja alles fertig in der Welt; und liegt ein Schatz auf dem Grunde des Meeres – ihr fischt ihn heraus. Es ist ja ein altes Sprichwort: Ein Jude ist fähig, den eignen Kopf zu stehlen, wenn er sonst nichts zum Stehlen erwischt. Befreit mir meinen Ostap! Helft ihm aus den Krallen dieses Teufelsgesindels! Ich hab dem Mann da fünftausend Dukaten versprochen, ich leg noch einmal fünftausend dazu. All mein Geld, das ich habe, meine kostbaren Becher und mein vergrabnes Gold, mein Haus und meine letzten Kleider verkauf ich; und ich geb es euch schriftlich auf Lebenszeit, daß ihr von allem, was ich noch jemals im Krieg erbeute, die Hälfte bekommt!«

»Es geht nix, goldner Herr, es geht nix!« sagte Jankel mit einem tiefen Seufzer.

»Gott straf mich, nein, es geht nix!« stimmte der rote Jude ein.

Die drei Juden wechselten Blicke.

»Nu–u, aber probieren . . .?« sagte der dritte und schaute, fast über sich selbst erschrocken, scheu auf die andern. »Wenn Gott will . . .«

Und nun begannen die drei auf deutsch zu verhandeln. So eifrig Bulba die Ohren spitzte, er verstand keine Silbe. Nur daß häufig der Name »Mardochai« fiel, wurde ihm klar.

»Horcht ämal, Herr!« sagte Jankel. »Mer müssen besprechen die Sache mit einem Mann – einem Mann, wie es noch niemals hat keinen gegeben ßu sein in der Welt. Straf mich Gott! Der is so weise als wie der grauße Salomo; und wenn er es nix macht – kä andrer macht es erst recht nix. Bleibt nur hier sitzen! Da is der Schlüssel. Und laßt bloß kä Seele von Menschen ins Zimmer!«

Die Hebräer verließen das Haus.

Taraß verschloß die Tür, stellte sich an das kleine Fenster und sah auf die schmutzige Gasse hinaus. Die drei Juden standen draußen und führten eine hitzige Unterhaltung. Ein vierter gesellte sich zu ihnen, und dann noch ein fünfter. Immer wieder erklang der Name: »Mardochai, Mardochai.« Die ganze Schar blickte nach dem einen Ende der Straße hinunter. Endlich trat dort über die Schwelle eines schmutzigen Hauses ein Fuß in jüdischem Schuh, über dem die Schöße des Kaftans flatterten.

»Mardochai, Mardochai!« schrieen die Hebräer wie aus einem Munde.

Ein hagrer Jude, dem aus dem faltenreichen Gesicht eine ungeheure Oberlippe ragte, etwas kleiner von Wuchs als Jankel, näherte sich der ungeduldigen Schar; alle seine Glaubensgenossen schnatterten in wildem Durcheinander rasend schnell auf ihn ein. Mardochai ließ die Augen öfter zu dem Fenster wandern, hinter dem Taraß stand. Dieser konnte leicht merken, daß von ihm die Rede war. Mardochai focht mit den Händen in der Luft, hörte zu, stellte hie und da eine Zwischenfrage, spuckte häufig zur Seite, hob die Schöße des Kaftans, wobei er eine äußerst schäbige Hose enthüllte, versenkte die Hände tief in die Taschen und holte irgendwelchen Klapperkram hervor. Schließlich erhoben die Hebräer ein solches Geschrei, daß der eine von ihnen, der den Auftrag hatte, Wache zu halten, das Warnungszeichen geben mußte. Taraß begann schon für seine Sicherheit zu fürchten, beruhigte sich aber bald wieder, kannte er doch den jüdischen Brauch, alles immer auf offner Straße zu verhandeln, und wußte er doch, daß aus diesem Gemauschel nicht einmal der Teufel selber klug werden konnte.

Nach einer kleinen Weile strömte die Judenschar zu ihm ins Zimmer. Mardochai trat auf Taraß zu, klopfte ihm auf die Schulter und sagte: »Wenn mir und der liebe Gott uns annehmen um de Sach, denn werd gewiß nix versäumt, was geschehn kann.«

Taraß musterte prüfend diesen weisesten Salomo, der je auf der Welt gelebt hatte, und schöpfte wieder einige Hoffnung. Mardochais Äußeres vermochte in der Tat Vertrauen einzuflößen. Diese Oberlippe war einfach ein Monstrum – sie konnte ihre Dicke nur Einwirkungen von fremder Hand verdanken. Der Bart des Juden zählte höchstens fünfzehn Haare, und die befanden sich alle auf der linken Seite. Sein Gesicht wies soviel Spuren von Püffen auf, die dem »weisen Salomo« für seine Frechheit versetzt worden waren, daß er sicher selber längst nicht mehr Buch über diese Beulen führte und sich entschlossen hatte, sie schlechtweg als Muttermale zu betrachten.

Mardochai empfahl sich mit seinen Freunden, die voll von Staunen ob seiner Weisheit waren. Bulba blieb allein. Er hatte Gefühle durchzukosten, die ihm bisher völlig fremd geblieben waren: zum erstenmal in seinem Leben befand er sich in fieberhafter Unruhe. Er war nicht mehr der unbeugsame, unerschütterliche, baumstarke Mann von einst, er war kleinmütig und schwach. Jedes Geräusch, jede Judengestalt, die am Ende der Gasse auftauchte, machten ihn zittern. In solchen Ängsten verbrachte er den Tag; er aß nicht, er trank nicht, seine Augen schweiften rastlos durch das niedrige Fenster auf die Straße.

Endlich, spät am Abend, erschienen Jankel und Mardochai. Taraß stand das Herz still.

»Nun? Wie ist es?« fragte er, ungeduldig wie ein wilder Steppengaul.

Aber bevor die Juden sich noch zu einer Antwort gesammelt hatten, sah Bulba, daß Mardochai seiner letzten einsamen Locke beraubt war, die sich heute früh, wenn auch in ziemlich ruppigem Zustand, doch immer noch hübsch kraus unter seinem Käppchen hervorgeschlängelt hatte. Der »weise Salomo« wollte augenscheinlich etwas sagen, aber er stammelte solch einen wirren Blödsinn hervor, daß Taraß nicht eine Silbe verstand. Auch Jankel hielt sich in einem fort die Hand vor den Mund, als hätte er sich heftig erkältet.

»Waih geschrien, mein goldner Herr!« sagte Jankel. »Es geht nix, de Zeiten sind ßu schlecht! Gott soll mich strafen: es geht nix! So ä gemeines Volk! Mer sollt ihnen spucken auf die Köpf! Mardochai muß es selber sagen! Mardochai hat Sachen gemacht – so was war noch nix da! – Dreitausend Soldaten bewachen das Gefängnis, morgen früh werden hingerichtet de ganzen Kosaken.«

Taraß schaute den Juden fest in die Augen. Zorn und Ungeduld waren aus seinem Blick verschwunden.

Jankel fuhr fort: »Und wenn der Herr noch möcht sehn den Herrn Sohn, dann muß es morgen sein ganz in der Früh, bevor daß aufgeht die Sonn! De Wächter lassen es ßu, und einer von de Aufseher hats üns versprochen. Bloß – se sollen haben kein Glück im ewigen Leben: waih geschrien, wie diese Gannefs aufs Geld sind! Schlimmer noch als wie ünsere Leut! Fufzig Dukaten hat ä jeder verlangt, und der Aufseher erst . . .!«

»Ist schon recht. Führ mich nur hin!« sagte Bulba entschlossen. Die Kraft war in sein Herz zurückgekehrt.

Jankel schlug ihm vor, er solle sich verkleiden und einen fremdländischen Grafen spielen, der grade aus Deutschland gekommen wäre. Das Gewand dafür hatte der schlaue Jude vorsorglich mitgebracht. Bulba erklärte sich einverstanden.

Es war schon Nacht. Der Hausherr, jener rothaarige Jude mit den Sommersprossen, schleppte so etwas wie eine dünne Matratze herbei, legte sie auf die Bank und breitete eine Matte darüber. Dies sollte Bulbas Lager sein. Jankel bettete sich am Boden auf eine Matratze von gleicher Art. Der rote Jude trank ein Schnäpschen und zog seinen Kaftan aus. Als er dann in Strümpfen und Schuhen durchs Zimmer stieg, glich er ganz merkwürdig einem magern Küken. Er kroch zum Schlafen mit seiner Schickse in eine Art Schrank. Vor dem Schrank lagen die beiden Söhne des Paares wie Hündchen auf dem bloßen Estrich. Taraß machte von seinem Lager keinen Gebrauch. Er saß, ohne sich von der Stelle zu rühren, und seine Finger trommelten leise auf der Tischplatte. Er hatte die Pfeife im Mund und rauchte so mächtig, daß der rote Jude im Halbschlaf niesen mußte und seine Nase unter der Decke versteckte.

Kaum zeigte sich das erste Dämmern des Morgens am Himmel, da gab Bulba Jankel einen Stoß mit dem Fuß. »Steh auf, Jude, und gib mir dein Grafengewand!«

Im Nu war Bulba umgezogen. Er schwärzte sich den Schnauzbart und die Brauen und zog sich ein dunkles Mützchen über den rasierten Schädel. So hätte ihn nicht einmal ein Kosak aus der eignen Gemeinde erkannt, keiner hätte ihm mehr gegeben als fünfunddreißig Jahre. Frische Röte lag auf seinen Wangen, und auch die Narben dienten nur dazu, ihm etwas Gebieterisches zu verleihen. Das goldgestickte Gewand kleidete ihn prächtig.

Die Straßen schliefen. Noch trug kein Handelsmann seinen Korb durch die Stadt. Bulba und Jankel gingen auf ein Gebäude zu, das im Umriß etwas von einem brütenden Reiher hatte. Es war sehr groß, niedrig, breit gelagert und düster, an seinem Ende erhob sich, gleich einem Vogelhals, ein langer, schlanker Turm, der oben ein überhängendes Satteldach trug. Dies Gebäude diente mannigfachen Zwecken: es vereinte in seinen Mauern die Kaserne, das Gefängnis und das Halsgericht. Unsere Wandrer traten durch das Tor in einen riesigen Saal, oder vielmehr einen überdeckten Hof. An die tausend Mann schliefen in dem einen Raum. In der Rückwand war eine niedrige Tür, vor der zwei Wachtposten saßen und ein sonderbares Spiel spielten, bei dem der eine dem andern abwechselnd mit zwei Fingern in den Handteller schlagen mußte. Sie schenkten den beiden Fremden keine Beachtung und hoben die Köpfe erst, als Jankel sagte:

»Wir sinds! Pst, pst, die Herren: Wir sind es!«

»Passiert!« brummte der eine Posten und öffnete mit der Linken die Tür, während er die Rechte dem Kameraden zum Schlage hinhielt.

Sie durchschritten einen schmalen, finstern Gang und kamen in einen zweiten Saal, der so groß wie der erste war und hoch oben in den Mauern kleine Fenster hatte.

»Wer da?« riefen mehrere Stimmen. »Hier darf keiner durch!« Eine ganze Schar von bis an die Zähne bewaffneten Kriegern verstellte den beiden den Weg.

»Wir sinds doch!« rief Jankel. »Gott der Gerechte, wir sind es, erlauchteste Herren!«

Aber das machte nicht den geringsten Eindruck. Da trat zum Glück ein dicker Kerl heran, der eine Art Vorgesetzter zu sein schien. Jedenfalls schimpfte er noch unflätiger als die andern.

»Wir sind es, bester Herr«, wendete Jankel sich an diesen Mann. »Ihr kennt uns doch schon: und der Herr wird Euch seine Dankbarkeit beweisen noch extra!«

»Laßt sie in drei Teufels Namen passieren, Kreuzsakrament!« brüllte der Dicke. »Sonst aber kommt mir keiner hier durch! Und wer seinen Säbel ablegt oder sich auf den Boden fläzt . . .!«

Den Schluß dieses gemessenen Befehls vernahmen Taraß und der Jude nicht mehr. Wieder hatte sie ein langer, finstrer Gang aufgenommen.

»Wir sind es . . . Ich bin es . . . Gut Freund!« sagte Jankel zu allen Leuten, die ihnen begegneten. Und den Posten am Ende des Ganges fragte er: »Nu–u, können wir rein?«

»Das schon; ich weiß nur nicht, ob ihr in das Gefängnis selbst hineinkommt. Der Jan ist abgelöst – für ihn steht jetzt ein andrer da«, erwiderte der Posten.

»Waih geschrien!« flüsterte der Jude. »Das is ä windige Geschicht, lieber Herr!«

»Vorwärts!« befahl Taraß verbissen.

Jankel gehorchte.

An der schmalen Treppe, die zur Tür des unterirdischen Verlieses hinabführte, stand ein Heiduck mit einem dreistöckigen Schnauzbart. Das oberste Stockwerk war nach hinten gebürstet, das zweite nach vorn, das unterste abwärts. Das gab dem Burschen große Ähnlichkeit mit einem Kater.

Der Jude machte sich ganz klein und pürschte sich von der Seite an den furchterregenden Kerl heran. »Eure hohe Erlaucht! Allerdurchlauchtigster Herr!«

»Du, Jude, meinst du eigentlich mich?«

»Wen soll ich denn meinen, wenn nix den allerdurchlauchtigsten Herrn?«

»Hm . . . aber ich bin doch bloß ein gemeiner Heiduck!« sagte der dreistöckige Schnauzbart und grinste geschmeichelt.

»Straf mich Gott, und ich hab geglaubt, es muß sein der Herr Marschall selbst in Person. O waih geschrien!« Der Jude drehte den Kopf hin und her und spreizte alle zehn Finger in die Luft. »Waih mer, bei der graußartigen Figur! Gott der Gerechte, genau wie ein Oberst, ausgespuckt wie ein Oberst! Da fehlt nich mehr so viel, denn is es ein Oberst! Man braucht den Herrn bloß ßu setzen auf einen feinen Gaul, welcher dahinsprengt ßu galoppieren so schnell wie ne Fliege, dann kann er gleich reiten entlang die Front und mustern de Regimenter!«

Der Heiduck strich sich das unterste Stockwerk seines Schnauzbartes und zog vor Vergnügen das Maul bis an die Ohren.

»Nu–u, ich sags ja! De Herren Soldaten!« fuhr der Jude fort. »Waih geschrien, was sind das fer prächtige Leut! Tressen und Litzen – das blänkert als wie de Sonn! Und de schönen Fräuleins – wenn se bloß ganz von weitem sehn, es kommt ä Soldat . . . hehehe . . .!« Der Jude legte schelmisch den Kopf auf die eine Schulter.

Der Heiduck zwirbelte das oberste Stockwerk seines Schnauzbartes und ließ vor Befriedigung eine Art Wiehern hören.

»Der Herr könnte mir tun eppes a kleinen Gefallen!« sagte Jankel. »Hier der Herr Fürst is gekommen ßu reisen aus fremde Länder und möcht sich ämal ä bissel anschaun de gefangnen Kosaken. Er hat noch niemals in seinem Leben gesehn, was das fer ä Volk is.«

Besuche von fremdländischen Grafen und Baronen waren in Polen durchaus keine Seltenheit. So manchen Gast dieser Art lockte die Neugier herbei, einmal diesen halbasiatischen Zipfel Europas kennen zu lernen. Moskowien und das Grenzland gehörten für die Begriffe dieser Leute zu Asien.

Der Heiduck verneigte sich also sehr tief und fand es am Platze, sich mit ein paar Worten als Europäer zu zeigen.

»Ich versteh nicht«, sagte er, »was Euer Durchlaucht an den Kerlen sehn will. Das sind ja Hunde und keine Menschen. Und ihren Ketzerglauben verachtet jeder.«

»Das lügst du in deinen Hals, elender Schurke!« wetterte Bulba. »Selber ein Hund, daß du's weißt! Nur noch einmal wag zu sagen, daß einer unsern Glauben verachtet! Euern Ketzerglauben verachtet allerdings jeder!«

»Hehe, mein Lieber«, sagte der Heiduck, »nun hab ich dich schon durchschaut. Du bist selbst einer von diesem Pack, grade so einer wie die da drinnen. Das werden wir gleich haben: ich ruf die Wache heraus!«

Taraß bereute seine Unbesonnenheit. Aber in seinem Zorn fiel ihm kein Weg ein, den Schaden wieder gutzumachen.

Zum Glück war Jankel geistesgegenwärtiger und nahm schleunigst das Wort: »Allerdurchlauchtigster Herr! Wenn ich Euch sag, der Herr is ä Graf – wie kann er da sein ä Kosak! Und setzen mer, nur ßum Beispiel, den Fall, er sollt sein ä Kosak – woher sollt er da haben genommen das feine Gewand und de gräfliche Positur?«

»Das erzähl einem Dummen!« sagte der Heiduck und riß schon sein großes Maul auf und wollte Lärm schlagen.

»Königliche Majestät!« jammerte Jankel. »Nix rufen! Um Gottes willen nix rufen! Wenn Ihr wollt halten reinen Mund, denn sollt Ihr kriegen von uns so schrecklich viel Geld, als wie Ihr noch niemals gesehn habt auf einem Haufen. Ihr sollt kriegen – ßwai goldne Dukaten.«

»P–hü! Zwei Dukaten. Zwei Dukaten sind für unsereins ein Dreck! Zwei Dukaten zahl ich dem Bader, wenn er mir bloß den halben Bart kratzt! Hundert Dukaten, Jude, und bar auf die Hand!« Grimmig zwirbelte der Heiduck seinen obersten Schnauzbart. »Her mit den hundert Dukaten, sonst ruf ich die Wache!«

»Waih geschrien! Ä so ä sündhaftes Geld!« klagte der Jude weinerlich und band zögernd den ledernen Beutel auf. Im Grund seiner Seele war er aber froh, daß er überhaupt nicht mehr im Sack hatte, und daß der Heiduck nur bis hundert zu zählen verstand. Und als er dann sah, wie der Kerl das Geld in seinem Handteller zweifelnd musterte, als bereue er schon, nicht mehr gefordert zu haben, da flüsterte Jankel Bulba erschrocken ins Ohr: »Gnädiger Herr! Wir müssen schnell schaun, daß mer uns dünnmachen! Ihr seht ja selber: das is ä so ä gemeines Volk . . .!«

»Was fällt denn dir ein, du Satansheiduck!« schrie Bulba. »Das Geld nimmt er, und die Gefangnen zeigt er uns nicht? Sofort zeigst du uns die Gefangnen! Wenn du das Geld nimmst, hast du kein Recht mehr . . .«

»Schert euch zum Teufel! Verstanden? Sonst schlag ich Alarm, und dann könnt ihr etwas erleben . . . Nehmt die Beine unter die Arme – ich rats euch im Guten . . .!«

»Gnädiger Herr!« rief Jankel ängstlich. »Schaun mer, daß mer verschwinden! Gott der Gerechte, es gibt sonst ä Unglück! Kriegen soll er de Kränk! Träumen soll er so schlecht, daß sichs ihm hebt zum Kotzen in seinem Hals!«

Bulba ließ den Kopf hangen, drehte sich auf dem Absatz um und ging langsam den Weg zurück, den er gekommen war.

Jankel, an dem die Trauer um die nutzlos geopferten Dukaten nagte, überhäufte ihn mit Vorwürfen. »Woßu habt Ihr ihm müssen machen den Krach? Laß er doch ruhig schimpfen, der Hundsfott, der ganz gewöhnliche! Das is doch ä Volk, was überhaupt nix gelernt hat wie Schimpfen. Waih geschrien, und das unverschämte Glück, was muß haben ä solchener Kerl! Hundert Dukaten fer nix, als daß er üns rausschmeißt! Und ünsere Leut – mer kriegen vom Kopfe gerissen de Peißes und kriegen so ßugerichtet de Nos, daß es is schmerzhaft ßum Anschaun; aber üns gibt keiner nich hundert Dukaten! Gott der Gerechte, was soll mer da sagen!«

Dem alten Bulba ging der Schmerz um den Fehlschlag viel tiefer – man sah es an dem schwelenden Feuer in seinen Augen.

»Vorwärts!« sagte er plötzlich und straffte die Schultern. »Ich will es sehen, wie sie ihn martern!«

»Waih geschrien, gnädiger Herr! Was is denn dabei ßu sehen? Helfen könnt Ihr ihm doch nix!«

»Vorwärts!« sprach Bulba.

Der Jude seufzte schwer und schlich ihm nach wie eine Wärterin ihrem Pflegebefohlnen.

Es hielt nicht schwer, den Marktplatz zu finden – von allen Seiten strömte das Volk ihm zu. In jenen rohen Zeiten galt eine Hinrichtung nicht nur dem Pöbel, sondern auch der vornehmen Welt als das beliebteste Schauspiel. Die frömmsten alten Betschwestern, die zartesten Mädchen und Frauen drängten sich in den Ring der Zuschauer – mochten ihnen auch nachher die ganze Nacht im Traum blutüberströmte Leichen erscheinen und sie aus dem Schlaf auffahren lassen mit einem wilden Gebrüll, wie man es sonst nur von betrunknen Kriegsknechten vernimmt. »Scheußlich, entsetzlich!« stöhnten diese gebrechlichen Wesen in wollüstigem Fieber und wendeten sich fröstelnd ab und drückten sich die Hände vor die Augen, rührten sich aber nicht vom Fleck, bis der Kopf des letzten Delinquenten gefallen war. Manch einer unter den Gaffern stand mit offnem Mund und gierig vorgereckten Händen und wäre am liebsten seinen Vordermännern auf die Köpfe gesprungen, die Exekution nur ja recht genau zu erblicken. Über die Schar der verschrumpften, kleinen, elenden Gesichter hob sich der rote, pausbackige Kopf eines Schlächters, der die Arbeit der Henker mit Kennerblicken verfolgte und sachkundige Bemerkungen darüber mit einem Schwertfeger tauschte, den er seinen Gevatter nannte, weil sie sich an einem schönen Feiertag einmal in der gleichen Kneipe besoffen hatten. Es gab Leute unter den Zuschauern, die sich lebhaft über die Einzelheiten der Hinrichtung stritten, und andre, die sogar Wetten abschlossen; die Mehrzahl aber gehörte zu der Menschensorte, die die ganze Welt und alles, was auf Erden geschehen kann, mit dem gleichen Stumpfsinn betrachtet und sich dadurch nicht einmal im Nasenbohren stören läßt.

In der vordersten Reihe, dicht hinter den schnauzbärtigen Stadtgardisten, stand ein adliger Junker – und war er keiner, so wollte er doch dafür gelten –, ein Bursch im Kriegerwams, der sich gewiß alles, was er besaß, auf den Leib gehängt hatte. Daheim in seiner Wohnung konnte schwerlich mehr zurückgeblieben sein als ein zerrissenes Hemd und etwa ein Paar alte Stiefel. Er trug gleich zwei Ketten mit Schaumünzen um den Hals, eine über der andern. Neben ihm stand seine Dulcinea, die Jungfer Wanda, und er drehte in einem fort den Kopf und gab acht, daß ja keiner ihr seidnes Gewand beschmutze. Dabei erklärte er ihr alles so erschöpfend genau, daß wirklich niemand in der Lage gewesen wäre, seine Mitteilungen nach irgendeiner Richtung hin zu ergänzen. »Holdseligste Wanda«, sagte er, »das ganze Volk, das Ihr hier versammelt seht, ist gekommen, weil es zusehn will, wie die Kosaken hingerichtet werden. Und der Mann, Holdseligste, den Ihr da oben seht: der das Beil und das andre Werkzeug in Händen hält – das ist nämlich der Henker. Der richtet nachher die Delinquenten hin. Und wenn er den Verbrecher rädert und die andern Martern anwendet, dann ist der Verbrecher noch am Leben; aber wenn er ihm den Kopf abhaut, dann, Holdseligste, ist er sofort tot. Zuerst wird er schreien und zappeln, aber wenn sein Kopf mal herunter ist, dann kann er nicht mehr schreien und nicht mehr essen und nicht mehr trinken, weil er dann nämlich keinen Kopf mehr hat, holdseligste Wanda.« So sprach der Junker, und sein Schatz horchte mit schaudernder Spannung auf seine Worte.

Die Dächer wimmelten von Menschen. Aus den Mansardenfenstern sahen die buntbemützten, schnauzbärtigen Köpfe des Gesindes. Auf den Balkonen saß unter Baldachinen der Adel. Um die Gitterstäbe der Brüstungen schlossen sich die hübschen Händchen lachender Damen, deren Zähne in zuckriger Weiße leuchteten. Erlauchte Herren mit kühnen Wänsten blickten gewichtig drein. Diener in prunkvollen Wämsern mit geschlitzten Hängeärmeln reichten Erfrischungen und Süßigkeiten herum. Hie und da warf eine übermütige schwarzäugige Schöne Kuchen und Früchte unter das Volk. Dann hielt die Menge der Hungerleider von Rittern die Kappen auf, und Sieger wurde, wer unter diesen Junkern in schäbigen roten Wämsern mit schwarz gewordnen Goldstickereien die längsten Arme hatte; er hauchte geziert einen Kuß auf die glücklich erhaschte Beute, drückte sie höflich ans Herz und schob sie ins Maul. An einem Fensterkreuz hing in vergoldetem Käfig ein Falke, der gleichfalls zuschauen durfte. Den einen Fuß hochgezogen, musterte er mit schiefgestelltem Kopf über den Schnabel hinweg neugierig die Menge.

Plötzlich erhob sich ein Murmeln; ringsum wurden Stimmen laut: »Sie kommen! Sie kommen! Das sind die Kosaken!«

Die Gefangnen schritten barhaupt einher; ihre Schöpfe waren lang, wilde Bärte starrten ihnen um Kinn und Wangen. Sie zeigten nicht Furcht, noch Trauer – stiller Hochmut sprach verhalten aus ihren Gesichtern. Die Kleider aus kostbarem Tuch waren verschlissen und hingen ihnen in elenden Lumpen um die Glieder. Die Kosaken schenkten dem Volk nicht Blick noch Gruß. – Allen voran schritt Ostap.

Was für Gefühle schüttelten den alten Taraß, als er den Sohn sah! Wie krampfte sich ihm das Herz zusammen! Umdrängt von der feindlichen Menge, stand er und schaute auf Ostap und verschlang jede seiner Bewegungen mit den Augen.

Die Kosaken hatten den Richtplatz erreicht. Ostap machte halt. Er sollte den bittern Todesbecher als erster trinken. Er musterte seine Kameraden zum Abschied, dann hob er die Hand gen Himmel und sprach laut und vernehmlich: »Herrgott, gönn es keinem von diesen ruchlosen Ketzern, daß er ein Stöhnen aus dem Mund eines gefolterten Christenmenschen vernimmt! Gib, daß keiner von uns sich nur ein einziges Wort entreißen läßt!« Und als er so gesprochen hatte, erstieg er das Schafott.

»Recht so, mein Sohn, recht so!« murmelte Bulba und senkte das graue Haupt.

Der Henker riß Ostap die zerlumpten Kleider vom Leib, er band ihm Hände und Füße und spannte sie in ein eigens dafür gemachtes Gestell. Und dann . . . Schweigen wir von den höllischen Qualen, bei deren Schilderung sich jedem die Haare vor blassem Entsetzen sträuben müßten! Diese Martern waren eine Ausgeburt jener rohen und wilden Zeit, da der Mensch sein Leben einzig den blutigen Greueln des Krieges weihte und sein Herz gegen jede weiche Regung verhärtete. Umsonst bekämpften einige wenige edlere Geister diese sinnlosen Grausamkeiten. Umsonst erhoben der König und viele Ritter, die von aufgeklärterem Verstand waren, warnend die Stimmen und wiesen darauf hin, daß so harte Strafen die Rachsucht des Kosakenvolkes entflammen müßten. Die Macht des Königs und das Urteil der Klügsten im Land waren wie Rohr im Wind vor der frechen Zügellosigkeit der Magnaten, die den polnischen Reichstag durch ihre törichte Kurzsichtigkeit und ihre kindische Eitelkeit zum Spottbild einer Regierung machten.

Ostap ertrug die peinliche Befragung durch die Folter wie ein Riese der Vorzeit. Kein Schrei wurde laut, kein Stöhnen, auch dann nicht, als ihm Arme und Beine gebrochen wurden. Todesschweigen lag auf der Menge. Noch die fernsten unter den Gaffern vernahmen das gräßliche Krachen der Knochen. Alle die zarten Jüngferlein wendeten erbleichend die Köpfe ab. Kein Laut des Schmerzes entriß sich den Lippen des Gemarterten, kein Zittern lief über sein Antlitz.

Taraß stand in der Menge, den Kopf gesenkt und dennoch stolz erhobnen Blicks; voll düstrer Bewunderung murmelte er: »Recht so, mein Sohn, recht so!«

Dann aber, als Ostap der letzten Todesqual unterworfen wurde, wollte die Kraft ihm versagen. Er ließ die Augen über die Menge laufen: Barmherziger Gott, nichts als kalte, fremde Gesichter! Wäre nur einer von seinen Nächsten bei ihm gewesen in der Stunde des Todes! Nicht das Weinen und Jammern der schwachen Mutter begehrte er zu hören, nicht das leidenschaftliche Schluchzen eines jungen Weibes, das sich verzweifelt vor die weiße Brust schlüge und sich um ihn die lockigen Haare raufte; doch einen starken Mann sehnte seine Seele brennend herbei, der ihn mit guter Rede aufrichte und ihm Trost zuspreche in der Bitterkeit des Verscheidens. Seine Kraft zerbrach, er schrie aus der Angst seines Herzens: »Vater! Wo bist du? Hörst du nicht, was sie mir tun?«

»Ich hör es!« klang es stark durch die Stille; und jedem einzelnen unter dem zahllosen Volk kroch kalt ein Schauer den Rücken herunter.

Die reisigen Wächter durchforschten hastig die Menge. Jankel wurde bleich wie der Tod; und als die Reiter an ihm vorüber waren, sah er sich angstschlotternd um. Taraß aber stand nicht mehr hinter ihm, er war verschwunden, als sei er nie dagewesen.


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