Nikolai Gogol
Taraß Bulba
Nikolai Gogol

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Achtes Kapitel

Die Sonne stand noch nicht wieder im Mittag, da traten die Kosaken schon zur Beratung in den Ring. Aus dem Heimatlager war Botschaft gekommen, daß die Tataren die Abwesenheit der Kosaken benutzt hätten, das Lager zu überfallen und auszuplündern. Sie hatten sogar den an geheimem Ort vergrabnen Kriegsschatz aufgespürt und mitgenommen. Die wenigen Leute, die daheim geblieben waren, hatten sie erschlagen oder gefangen weggeführt. Jetzt zogen sie mit der gemachten Beute und den geraubten Roß- und Rinderherden geradeswegs auf Perekop zu. Ein einziger Kosak, Maxim Goloducha, war unterwegs aus der Gefangenschaft entronnen. Er hatte einen Mirza der Tataren erstochen und ihm den Sack mit Zechinen vom Gurt geschnitten, er war auf einem Tatarenpferd und in tatarischer Kleidung der Verfolgung entronnen und zwei Tage und zwei Nächte geritten, hatte den ersten Gaul zu Tode gehetzt, war auf einen andern gestiegen, hatte auch den zuschanden geritten und auf dem dritten endlich das Feldlager seiner Kameraden erreicht. Daß die vor Dubno standen, war ihm unterwegs berichtet worden. Er konnte nichts tun, als kurze Meldung von der bösen Schlappe erstatten. Wie es dazu gekommen wäre: ob etwa die Kosaken wieder einmal nach leichtsinnigem Lagerbrauch gebechert hätten und trunken in Feindeshand gefallen wären, war nicht von ihm zu erfragen. Im Dunkeln blieb es auch, auf welche Weise die Tataren das Versteck des Kriegsschatzes erkundet hätten. Der Bote war gänzlich erschöpft, geschwollen an allen Gliedern, rot im Gesicht von Sonnenbrand und Wind; er sank, wo er stand, in sich zusammen und fiel in tiefen Schlaf.

In solchen Fällen war es Brauch bei den Kosaken, sich spornstreichs an die Verfolgung der Räuber zu machen und sie, wenn es irgend ging, noch auf dem Marsche zu fassen. Gelang das nicht, so dauerte es wohl nicht lange, bis die gefangnen Kosaken auf den Märkten Kleinasiens, in Smyrna, auf der Insel Kreta und wer weiß wo sonst überall in der Welt als Sklaven verkauft wurden. Deswegen strömte jetzt das ganze Heer zum Kriegsrat in den Ring. Heute behielt jeder die Mütze auf dem Kopf, denn sie kamen nicht, als Untergebne Befehle vom Hetman zu empfangen, sondern als Gleichberechtigte Rats miteinander zu pflegen.

»Sollen zuerst die Ältesten ihre Meinung sagen!« rief es aus der Menge. »Soll als erster der Hetman seine Meinung sagen!« entgegneten andre Stimmen.

Und der Hetman, der sich nicht mehr als Vorgesetzter, sondern nur noch als Kamerad zu fühlen hatte, zog die Mütze, dankte allen Kosaken für die erwiesene Ehre und fuhr dann fort:

»Es sind unter uns viele, die älter und klüger sind als ich, aber wenn ihr mir schon die Ehre gebt, so ist mein Rat: nicht eine Stunde Zeit mehr verlieren, Kameraden, und hinter den Tataren her! Ihr wißt ja selber, was für ein Pack die Tataren sind: die warten mit dem geraubten Gut nicht, bis wir kommen, sondern bringen es schleunigst durch, daß auch kein Fetzen übrig bleibt. So lautet mein Rat: marschieren! Das hier in Polen war immerhin schon ein Krieg, den man sich wohl gefallen lassen konnte. Jetzt weiß der Polack wieder für eine Weile, wer die Kosaken sind. Wir haben nach Kräften Rache genommen für die Schändung des rechten Glaubens; viel Beute ist ja doch nicht zu holen in dieser hungrigen Stadt. Und darum ist mein Rat: marschieren!«

»Marschieren!« klang es kräftig aus den Kosakenregimentern zurück.

Doch Taraß Bulba gefielen diese Worte übel. Noch tiefer auf die Augen senkte er die struppigen schwarzen Brauen, aus denen schon viel gebleichte Haare starrten, dem Rauhfrost gleich, der hoch am Bergeshang die Latschenwipfel mit weißen Nadeln schmückt.

»Nein, Hetman, das ist kein richtiger Rat, den du uns gibst!« begann er. »Du hast leicht reden. Hast du denn ganz vergessen, daß unsere Leute, die den Polacken in die Hände gefallen sind, dann einfach gefangen bleiben? Wir sollen wohl das oberste und heiligste Gesetz der Kameradschaft verachten und unsere Brüder schmählich verlassen, sollen dulden, daß man sie bei lebendigem Leib schindet, oder sie vierteilt und die Stücke in den polackischen Städten und Dörfern zur Schau stellt, wie die Kerle es schon mit dem Hetman und den besten Recken im Grenzland gemacht haben? Und wenn man daran nicht denken will – haben sie denn nicht auch ohne das genug Schindluder getrieben mit unsern Heiligtümern? Was sind wir denn für Leute? frag ich euch allesamt. Was ist das für ein Kosak, der seinem Kameraden im Elend die Treue nicht hält und ihn in der Fremde schmählich verrecken läßt wie einen Hund? Wenn es denn schon so weit gekommen ist, daß jeder die Kosakenehre für einen Dreck ansieht und sich in seinen grauen Schnauzbart spucken läßt und die gemeinsten Schimpfnamen ruhig einsteckt – von mir soll keiner so etwas sagen. Dann bleib ich allein!«

Bulbas Worte brachten die Kosaken in starken innern Zwiespalt.

»Ja, aber hast du vergessen, tapfrer Oberst«, begann von neuem der Hetman, »daß die Leute, die von den Tataren gefangen wurden, nicht minder unsere Kameraden sind? Wenn wir sie nicht gleich heraushaun, so werden sie doch für ewige Zeiten von den Heiden zu Sklaven gemacht; und das ist schlimmer als der schmachvollste Tod. Und hast du vergessen, daß die Tataren unsern ganzen Kriegsschatz geraubt haben, für den so viel ehrliches Christenblut geflossen ist!«

Die Kosaken standen in zweifelnden Gedanken und wußten nicht, was sie sagen sollten. Keiner von ihnen mochte sich einen schimpflichen Ruhm verdienen. Da trat Kassian Bowdjug in den Kreis, der älteste im ganzen Heer. Er stand bei allen Kosaken hoch in Ansehn; zweimal war er im Frieden erwählter Hetman gewesen, und auch im Krieg hatte er sich stets als wackrer Kosak bewährt. Jetzt aber war er ein alter Mann; er sprach auch niemals mehr im Rat, gern aber lag er abends im Kreis der Kosaken und hörte zu, wenn sie von Abenteuern und Schlachten vergangner Tage plauderten. Er mischte sich niemals ins Gespräch, sondern lauschte nur schweigend und drückte mit dem Daumen die Asche in der kurzen Pfeife fest, die in seinem Munde nie kalt wurde. Lange konnte er so mit halbgeschlossenen Augen liegen, und die Kosaken wußten oft nicht, ob er schon schlafe oder noch immer auf ihre Reden horche. Schon lange war er nicht mehr ins Feld gezogen, aber diesmal hatte es den Alten doch wieder gepackt. Er hatte mit der großartig wegwerfenden Handbewegung, die die Kosaken lieben, frisch gesagt: »Was kann da sein! Ich will doch mitgehn: zu irgend was mag ich den Unsern vielleicht immer noch nützen!« – Alle Kosaken verstummten, da er jetzt in den Ring trat, denn lange schon hatte keiner mehr ein Wort aus seinem Mund gehört. Und jeder wollte wissen, was Bowdjug nun wohl zu sagen wüßte.

»Jetzt mag die Reihe an mir sein, ein Wörtlein zu sprechen, ihr Herren und Brüder!« begann er. »Hört zu, ihr Kinder, was euch der Alte sagt! Sehr weise hat der Hetman gesprochen; er ist ja auch das Haupt des ganzen Heeres, und es ist seines Amtes, für alle zu denken und sich um den Kriegsschatz zu kümmern: er konnte nicht weiser reden, als er getan hat! So ist es! Und dies soll meine erste Rede sein! Jetzt aber hört gut zu, was meine zweite Rede ist. Meine zweite Rede heißt aber so: die reine Wahrheit hat auch der Oberst Taraß gesagt – Gott schenk ihm lange Jahre und schenke dem Grenzland noch manchen Führer von solcher Art! Die erste Pflicht und die höchste Ehre des Kosaken ist treue Kameradschaft. Solange ich schon auf der Erde lebe – ich habe nie gehört, daß irgendwo und irgendwie jemals ein Kosak den Kameraden verlassen und verkauft hat. Die einen wie die andern sind unsere Kameraden; und mögen es ihrer viel sein oder wenige – darauf kommt es nicht an: Kameraden sind sie uns alle, und alle sind sie uns lieb und wert. Darum heißt meine Rede so: alle, denen die Kameraden lieber sind, die in die Hände der Tataren fielen, sollen den Tataren nachsetzen, alle aber, denen die Kameraden lieber sind, die in die Hände der Polacken fielen, und die das gerechte Werk nicht halb getan verlassen wollen – die bleiben hier. Der Hetman zieht, wie es auch seine Pflicht ist, mit der einen Hälfte gegen die Tataren, die andre Hälfte aber wählt sich einen Hetmanvertreter. Und wenn ihr einem grauen Haupt folgen wollt, sag ich euch dies: zum Hetmanvertreter kann keiner besser taugen als der Oberst Taraß Bulba allein. Keiner von uns ist ihm an Ruhm und wackern Taten gleich.« Also sprach Bowdjug und verstummte.

Alle Kosaken aber freuten sich dessen, wie klug ihnen der Alte geraten hatte. Sie warfen ihre Mützen in die Luft und riefen: »Wir danken dir, Alter! Lange, lange, gar lange hast du kein Wort gesagt; jetzt sagst du uns gleich etwas Rechtes. Das war nicht in die Luft geredet, als du beim Abmarsch meintest, du kannst uns vielleicht immer noch nützen. So ists auch gekommen.«

»So seid ihr einverstanden mit dem Rat?« fragte der Hetman.

»Ja!« schrieen die Kosaken.

»Dann schließe ich die Versammlung . . .?«

»Schließe sie nur!« schrieen die Kosaken.

»Hört jetzt die Ordre, Kinder!« sagte der Hetman. Er trat in den Ring und bedeckte sein Haupt, alle Kosaken vom ersten bis zum letzten aber zogen die Mützen und standen barhaupt mit gesenkten Blicken, wie es der Brauch war, wenn ein Vorgesetzter befahl: »Nun teilt euch, ihr Herren und Brüder! Wer mitziehen will, der geht zur Rechten, wer lieber dableibt, geht zur Linken! Jeder Oberst stellt sich dahin, wo der größere Teil seines Regiments ist; der kleinere Teil tritt dann drüben unter die Fahne eines andern Regiments.«

Die Kosaken wimmelten durcheinander, die einen zur Rechten, zur Linken die andern. Der Oberst stellte sich dahin, wo der größere Teil seines Regiments war; der kleinere Teil trat dann drüben unter die Fahne eines andern Regiments. Und es erwies sich, daß beide Haufen bis auf ein Geringes gleich groß wurden. Bleiben wollten: fast das ganze Regiment Nesamoiko, die größere Hälfte des Regiments Popowitsch, das ganze Regiment Uman, das ganze Regiment Kanew, die größere Hälfte des Regiments Stebliki, die größere Hälfte des Regiments Tymoschew. Alle übrigen wollten sich zur Verfolgung der Tataren aufmachen. Unter denen, die gegen die Tataren reiten wollten, waren Tscherewaty, ein wackrer alter Kosak, Pokotypole, Lemisch, Choma Prokopowitsch; auch Demid Popowitsch gehörte zu dieser Partei, denn er war ein unruhiger Geist und hielt es nicht lange auf einem Fleck aus; an den Polacken hatte er sich jetzt versucht, nun wollte er sich wieder einmal an den Tataren versuchen. Die Obersten dieser Schar waren: Nostjugan, Pokryscha, Newylytschki; und noch gar so mancher andre berühmte und tapfre Kosak gedachte die Schärfe seines Schwertes und die Kraft seines Arms zu erproben im Kampf gegen den Tataren. Nicht klein war auch die Zahl der tüchtigen Kosaken, die bleiben wollten. Da waren die Obersten Demytrowitsch, Kukubenko, Wertychwist, Balaban, Ostap Bulba, und außerdem noch eine Menge von ruhmreichen und mutigen Kriegern: Wowtusenko, Tscherewytschenko, Stepan Gußka, Ochrim Gußka, Mykola Gusty, Sadoroschni, Metelitza, Iwan Sakrutyguba, Moßi Schilo, Degtarenko, Sydorenko, Pißarenko, noch ein Pißarenko, ein dritter Pißarenko, und weiter eine Menge von wackern Kosaken. Sie waren fast alle weitgereiste Leute: sie kannten die Küsten Anatoliens, die Salzsümpfe und Steppen der Krim, die kleinen und die großen Flüsse, die in den Dnjepr münden, die geheimen Schlupfwinkel im Grenzland und die Dnjeprinseln, sie kannten die Moldau, die Walachei, das Türkenland; sie hatten auf ihren zweirudrigen Kosakenkähnen das weite Schwarze Meer unsicher gemacht; mit fünfzig Kähnen hatten sie die reichsten und größten Schiffe geentert, manche türkische Galeere hatten sie versenkt und eine schwere, schwere Menge Pulver in ihrem Leben verschossen. Gar oft hatten sie kostbare Tücher und edeln Samt zu Fußlappen zerrissen, sich gar oft die Hosensäcke mit blanken Zechinen vollgestopft. Wieviel aber jeder von ihnen vertrunken und verjubelt hatte – Summen, die andern Leuten bis ans Lebensende gereicht hätten –, das rechnet keiner aus. Sie hatten nach Kosakenart mit ihrem Beutegeld gehaust, die ganze Welt zu Gast geladen und die Musik aufspielen lassen, daß jeder sein Teil habe an ihrer Freude. Manch einer aus ihrer Schar hatte auch heute noch irgendwo einen Schatz vergraben: silberne Kannen und Becher und Armringe, irgendwo im Schilfdickicht der Dnjeprinseln, damit es der Tatar nicht finde, wenn es einmal das Unglück wollte, daß ihm ein unvermuteter Überfall auf das Lager glückte; aber es wäre ein schweres Stück Arbeit für den Tataren gewesen, die Schätze zu heben – wußte doch oft ihr Besitzer selber kaum noch, wo er sie vergraben hatte. Leute von dieser Art waren die Kosaken, die dableiben und Rache an den Polacken nehmen wollten für ihre treuen Kameraden und die Schändung des rechten Christenglaubens!

Auch der alte Bowdjug blieb mit ihnen da. Er sagte: »Ich bin jetzt nicht mehr in den Jahren, wo's einem Freude machen kann, hinter den Tataren herzujagen. Hier aber ist ein Platz, wo einen ein ehrlicher Kosakentod wohl finden mag. Lange schon hab ich den lieben Gott gebeten, er soll mir den Tod bescheren im Krieg für eine heilige, christliche Sache. Und so hat er es jetzt gefügt. Ein ruhmvolleres Ende gibt es für einen alten Kosaken an keinem andern Platz.«

Als sich endlich alle, nach Regimentern abgeteilt, in zwei langen Reihen gegenüber standen, schritt der Hetman in der Mitte die Front ab und sagte:

»Wie ist es nun, ihr Herren und Brüder, hat eine Partei der andern einen Vorwurf zu machen?«

»Nein!« schrieen die Kosaken.

»Also, dann küßt euch und sagt einander Lebewohl – der Himmel allein weiß, ob ihr euch auf dieser Erde wiederseht. Gehorcht eurem Hetman! Was ihr zu tun habt, wißt ihr selbst. Ihr selbst wißt, was die Kosakenehre von euch verlangt.«

Und alle Kosaken, so viele ihrer da waren, tauschten Küsse. Zuerst traten die Obersten vor, sie strichen ihre grauen Schnauzbärte gegen die Ohren, küßten sich über Kreuz und drückten sich kräftig die Hände. Da hätte wohl der eine den andern gern gefragt: »Nun, Herr und Bruder, ob wir uns wiedersehn?« Aber sie blieben stumm, und ernste Gedanken gingen durch ihre grauen Köpfe. Auch die Kosaken alle sagten sich Lebewohl, denn jeder wußte, daß beiden Teilen harte Arbeit bevorstand.

Es war aber nicht die Absicht, sich gleich zu trennen, sondern sie wollten dafür das Dunkel der Nacht abwarten, damit der Feind nichts von der Schwächung des Kosakenheers merke. So gingen sie jetzt auseinander und setzten sich, Regiment für Regiment, zum Mittagsmahl.

Nach dem Essen streckten sich alle, die abmarschieren sollten, zur Ruhe aus und fielen in einen tiefen, langen Schlaf, wie wenn sie ahnten, daß dies der letzte Schlaf sei, den sie in solcher Freiheit genießen sollten. So schliefen sie bis Sonnenuntergang; und da die Sonne verschwand und leichte Dämmerung einfiel, begannen sie die Wagen zu schmieren. Als dann alles bereit war, schickten sie die Wagen voraus, schwenkten noch einmal die Mützen gegen die Kameraden und zogen stumm, jedes Geräusch vermeidend, hinter dem Troß drein – zuerst das Fußvolk, zum Schluß die Reiterei; kein Ruf wurde laut, kein Pfiff trieb einen Gaul an; und bald war alles vom Dunkel verschluckt. Gedämpft nur hallte das Hufgetrappel aus der Nacht herüber und hie und da das Kreischen eines Rades, das sich noch nicht eingelaufen hatte oder bei dem Zwielicht nicht gut geschmiert worden war.

Noch lange winkten die Kameraden ihnen nach, wenngleich nichts mehr von ihnen sich blicken ließ. Und als sie dann wieder zu ihren Lagerplätzen gingen, sahen sie im heller gewordnen Sternenlicht, daß die Hälfte der Wagen und viele, viele ihrer Genossen fehlten. Da wurde es den Kosaken wunderlich ums Herz, wider Willen verfielen sie in Grübeln und ließen die sonst so muntern Köpfe hangen.

Taraß sah wohl, wie traurig seine Leute um die Feuer saßen, wie weichliche Wehmut, deren ein tapfrer Mann sich schämen sollte, die Kosakenherzen beschlich; aber er sagte nichts: er wollte ihnen Zeit lassen, den Trübsinn auszukosten, mit dem sie der Abschied von den Kameraden erfüllte. Und derweil rüstete er sich in aller Stille, sie mit einem Schlag durch gut kosakischen Zuspruch emporzureißen, auf daß mit verdoppeltem Feuer der Mut in ihnen entbrenne, der kühne Mut, wie ihn nur die slawische Seele kennt. Weiträumig und gewaltig macht er die slawische Seele vor den Seelen der andern Völker, wie es das Meer ist vor allen den flachen Flüssen: stürmt es, so brüllt und donnert das Meer, Wellenberge entspringen aus seinem Schoß, hundertfach höher, als die schwachen Flüsse sie kennen; schweigen die Winde, so breitet es unabsehbar, klarer als jemals ein Fluß, seinen gläsernen Spiegel, eine ewige Weide den Menschenaugen.

Taraß schickte seine Diener zu einem Wagen, der seitab von den andern stand. Es war der größte und stärkste Packwagen im ganzen Troß; schwere doppelte Eisenreifen umspannten die plumpen Räder; die Ladung war mit Pferdedecken und derben Rinderhäuten verhüllt, über die sich stramm die geteerten Seile spannten. Der Wagen trug nichts als Gebinde und Fäßchen voll köstlichen alten Weins, der lange in Bulbas Kellern gelagert hatte. Er führte ihn für irgendeinen besonders feierlichen Augenblick mit sich. Käme einmal eine große Stunde, da das Heer vor einer Aufgabe stände, die würdig wäre, den kommenden Geschlechtern überliefert zu werden, dann sollte jeder Kosak bis zum letzten Mann einen Schluck von dem sonst im Feld verbotnen Weine trinken, auf daß in der großen Stunde ein großes Gefühl die männischen Herzen regiere.

Die Diener eilten, zu tun, was ihnen der Oberst befahl: sie gingen hin, durchschnitten die Seile mit den Säbeln, taten die derben Ochsenhäute und die Decken herunter und hoben die Gebinde und Fäßchen vom Wagen.

»Und jetzt«, sagte Bulba, »halte jeder, soviele ihr da seid, her, was er hat: einen Becher, oder den Eimer, mit dem er seinen Gaul tränkt, oder einen Fausthandschuh, oder die Mütze, oder meinetwegen auch die zwei hohlen Hände.«

Alle Kosaken, soviele ihrer da waren, hielten her, was jeder hatte, der eine einen Becher, der andre den Eimer, mit dem er seinen Gaul tränkte, dieser einen Fausthandschuh, jener die Mütze, manch einer auch die zwei hohlen Hände. Und die Diener des alten Taraß schänkten allen vom Wein aus den Gebinden und Fässern. Taraß aber verbot ihnen zu trinken, bevor er ihnen das Zeichen gäbe; denn sie sollten alle zugleich trinken. Sie sahen, daß er ihnen vorher noch etwas sagen wollte. So stark auch der gute alte Wein ganz von selbst ist, und so gut er ein Mannesherz mit Kraft zu erfüllen versteht – kommt noch ein gutes Wort dazu, so doppelt das die Kraft des Weins und der Herzen. Dies wußte Bulba.

Und also sprach er: »Ihr Herren und Brüder, zum Wein geladen hab ich euch nicht, meine Erwählung zum Hetman zu feiern, so sehr ich euch danke für diese große Ehre, und auch nicht zur Feier des Abschieds von unsern Kameraden – nein, jedes Ding zu seiner Zeit; dafür ist nicht die Stunde. Schwere Mühe liegt vor uns, große Kosakentaten werden von uns verlangt! Laßt uns darum, alle vereint, zuerst auf den heiligen rechten Glauben trinken; kommen soll endlich die Zeit, da der eine heilige Glaube sich über die ganze Erde ausbreitet und alles beherrscht und alle Ketzer zu wahren Christen macht! Zum zweiten trinken wir auf das Heimatlager; lang soll es stehen und blühen, allen Ketzern zum Verderben, frische Jungmannschaft soll mit jedem neuen Jahr von ihm ausziehn, einer immer tapfrer als der andre, einer immer schmucker als der andre. Zum dritten trinken wir auf unsern eignen Ruhm – mögen noch unsere Enkel und Enkelsöhne von uns singen und sagen, wie wir so treu die Kameradschaft in Ehren hielten und den Freund nicht verrieten. Wohlan denn: auf den Glauben, ihr Herren und Brüder, auf unsern Glauben!«

»Auf unsern Glauben!« fielen die zunächst Stehenden mit tiefen Stimmen ein.

»Auf unsern Glauben!« antworteten die ferner Stehenden, und alle, Alte und Junge, tranken auf den heiligen rechten Glauben.

»Auf unser Lager!« rief Taraß und stieß die Hand hoch über seinen Kopf in die Luft.

»Auf unser Lager!« hallte es dumpf aus den vordern Reihen wieder.

»Auf unser Lager!« sagten leise die Alten, ihre grauen Schnauzbärte zuckten.

Und die Jungen fuhren empor wie erwachende junge Falken und riefen: »Auf unser Lager!«

Weithin dröhnte das Feld von dem Schrei der Kosaken.

»Und nun den letzten Schluck, Kameraden: auf unsern Ruhm, und auf jeden Christenmenschen, der in der Welt lebt!«

Alle Kosaken, vom ersten bis zum letzten Mann, tranken die Neige auf ihren Ruhm und auf jeden Christenmenschen, der in der Welt lebt. Und oft noch scholl es aus den Reihen zurück: »Auf jeden Christenmenschen, der in der Welt lebt.«

Geleert waren die Becher, doch wie erstarrt standen die Kosaken, die Hand noch gen Himmel geschwungen. Fröhlich glänzten die Augen vom Wein, aber jeder war tief in Gedanken. Nicht an Plünderung dachten sie jetzt und Beute, nicht daran, wieviel ihnen zu gewinnen glücken möchte an goldnen Dukaten, kostbaren Waffen, gestickten Röcken und tscherkessischen Gäulen. Sie spähten gedankenschwer in die Weite, wie Adler, die auf den Gipfeln der Berge thronen, auf schwindelndem Felsgrat, von dem der Blick das unendliche Meer umfaßt. Über seinen Spiegel gleiten, gleich kleinen Vögeln, Galeeren, Korvetten und allerhand Schiffe, fern blauen die dünnen Striche der Küsten, an denen, winzigen Fliegen ähnlich, die Städte liegen und die Wälder zu niedrigem Rasen zusammenschrumpfen. Wie Adler sahen die Kosaken über das Blachfeld, schauten sie in dämmernder Ferne ihr eignes Schicksal. Kommen, fern daherkommen sahen sie die Stunde, da dieses Blachfeld mit allen den Schluchten und Straßen starren würde von ihrem weißen Gebein, getränkt sein würde von ihrem Blut, bedeckt von den Trümmern ihrer Wagen, vom schartigen Eisen zerhauener Säbel und Lanzen. Ringsum, so weit ihre Blicke trugen, würden Kosakenköpfe verstreut sein mit wirrem, blutverklebtem Schopf und hangendem Schnauzbart; und niederstürzen würden die Schwärme der Geier, ihnen die Augen aus ihren Höhlen zu hacken.

Aber ein Schönes und Großes hat solch ein weites und freies Totenbett: keine herrliche Tat kann sterben! Mag der Pulverrauch aus der Büchse verwehen – niemals verweht der Kosakenruhm.

Wahrlich, es kommt die Zeit, da einst ein Pandoraspieler, ein rüstiger Graukopf mit wallendem Bart, prophetischen Geistes voll singen und sagen wird vom Ruhme der Helden. Über die Welt hin hallt dann ihr Name; und alles, was lebt, wird ihn nennen. Denn hellen Klang hat das mächtige Wort, gleich dröhnendem Glockenerz, darein der Meister viel köstlichen Silbers verschmolz, daß stark und lieblich der Ton in die Ferne dringe, über Stadt und Dorf, über Schloß und Hütte, und alle Welt vereine zu frommem Gebet.


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