Johann Wolfgang von Goethe
Naturwissenschaftliche Schriften 1792 - 1797
Johann Wolfgang von Goethe

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Zu Optik und Farbenlehre

[Die Kraft, Farben hervorzubringen]

Die Kraft, Farben hervorzubringen, ist von der Refraktion unabhängig.

1. Wirkt sie, wo sich keine Refraktion denken läßt, ist also einem höhern Gesetz unterworfen.

2. Wirkt sie selbst im Refraktionsfalle nicht gleich mit der Refraktionskraft. Verschiedne Mittel, die gleiche Refraktionskräfte haben, bringen Farben in verschiedenen Graden der Stärke hervor.

3. Wirkt sie nicht in der refringierten Lichtmasse anders als an den Rändern, die ganze refringierte Lichtmasse erscheint nur unter sehr wenigen Umständen ganz farbig, und diese Umstände kommen immer darin überein, daß die Ränder nahe genug gerückt werden, daß sie sich in der Mitte [er]reichen können.

 

Es ist hier ein Dilemma, fast dem ähnlich, ob sich die Sonne um die Erde oder die Erde um die Sonne dreht, aus beiden lassen sich die Phänomene mehr oder weniger erklären. Nimmt man das Neutonische an und fängt von dem farbigen Bild an, so erklärt sich der weiße Raum sehr schwer. Fängt man von den farbigen Rändern an, so nimmt man den weißen Raum für das, was er ist, für unverändertes Licht und das Grün aus Gelb und Blau, das Purpur aus Blau- und Gelbrot erklärt sich durch Mischung sehr schön.

 

Über das Blau

1.

Auf den höchsten Gebirgen erscheint der Himmel bei Tage hochblau, bei Nacht schwarz wie Ebenholz. 253

 
2.

Man nehme von dem besten Berlinerblau in Stücken so hoch und rein an Farbe als möglich, man bringe es bei mäßigem Tagslichte in den Winkel eines Zimmers, in dem sich noch alle Farben deutlich unterscheiden lassen, nur verhindre man die unmittelbare Wirkung des Lichtes auf die Stücken; so wird man tote Kohlen zu halten scheinen, bei der geringsten Wendung, die einen stärkern Grad von Licht herbeiläßt, wird gleich ein tiefes Blau dem Auge erscheinen, welches heller wird, wie man sich dem Lichte nähert. Stücken Berlinerblau im Schatten, wenn keine reflektierende . . .

 
7.

entsteht, so nah und an Orten, wo sich keine Dazwischenkunft von Dünsten denken läßt, so glaubte man dieses Phänomen von dem Widerschein der Atmosphäre herzuleiten. Aber um sich zu überzeugen, daß diese nicht den mindesten Einfluß haben kann, wähle man zur Beobachtung einen bedeckten Tag, wenn sich keine Spur von Blau am Himmel zeigt, man ziehe weiße Vorhänge vor die Fenster, man trete tief in das Zimmer, in welchem kein blauer Gegenstand sich befindet, und man wird den schönsten hellblauen Schatten sehen und sich überzeugen: daß eine reine Beraubung des Lichts an und vor sich blau sei.

 
8.

Ich habe oben gesagt, daß der Schnee im Schatten blau erscheine, ebenso erscheint er auch bei eintretender Nacht, je dunkler es wird, desto tiefer wird die Farbe desselben werden. Um sich zu überführen, setze man vor ein Fenster, aus welchem man eine Schneefläche sehen kann, zur Abendzeit einen weißen Rahmen mit Papier überspannt, man mache in dasselbe eine Öffnung, so daß man auf den Schnee sehen kann, man trete in einiger Entfernung davon, und die Öffnung wird uns das schönste Himmelblau zeigen. Man mache mehrere Öffnungen in das Papier und um 254 dieselben Kreise von verschiedenen blauen Schattierungen: so wird man das Zunehmen des Blaues stufenweis beobachten können, und eben so des Morgens das abnehmende Blau, und man wird finden: daß der Schnee noch lange blau ist, wenn er einem ungeübten Auge weiß erscheint.

 
9.

Man kann sich die zu- oder abnehmende Finsternis nicht reiner denken, als wenn von einer ungeheuren weißen Fläche das Licht entweicht, wenn nun auch diese blau sich dem Auge darstellt: so wird die oben gewagte Theorie immer mehr überzeugen.

 


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