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Titelblatt

XXVIII. Heft.
Eine Volks-Jury in Berlin

Mit einem colorirten Titelkupfer.

Leipzig, 1848.

Verlag von Ignaz Jackwowitz

.

Motto:

Es erben sich Gesetz und Rechte
Wie eine ew'ge Krankheit fort;
Sie schleppen von Geschlecht sich zu Geschlechte,
Und rücken sacht von Ort zu Ort.
Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage;
Weh dir, daß du ein Enkel bist!
Vom Rechte, das mit uns geboren ist,
Von dem ist leider! nie die Frage.

Göthe.


Personen:

Bolle, Viktualienhändler.

v. Bergen, Referendarius.

Frischer, Privatgelehrter.

Knusprig, Bäcker.

Triesel, Briefträger.

Zwecker, Schuster.

Spitzel, Schneider.

Brille, Hofrath.

Hellmuth, Kaufmann.

Dachte, Seifensieder.

Leiseken, Stubenmaler.

Kiczo, Lohndiener.

Mehrere Handwerker u. s. w.


( Hellerleuchteter Saal in einer abgelegenen Straße Berlins. In der Mitte eine Tribüne, an den Seiten Bänke und Stühle, auf denen bereits einige Fünfzig Personen Platz genommen haben. Vor der Tribüne ein leerer Stuhl.)

v. Bergen (Frischer die Hand reichend). Guten Abend, lieber Bruder! Brrr, ist das draußen eine Kälte!

Frischer. Draußen ist's kalt, hier ist's warm, das ist der Inhalt.

Brille (zu Frischer). Guten Abend, guten Abend, lieber Doctor! Wie befinden Sie sich?

Frischer (macht einen Kratzfuß). Guten Abend, wohlgeborener Herr Hofrath, danke ergebenst, unterthänigst aufzuwarten, (stampfend). Der Teufel hole diese Dummheiten! Es geht mir naturgesetzlich, Bürger Brille: wenn's regnet, werde ich naß. Aber die Aufgabe der Menschheit ist die, die Natur zu unserer Magd oder vielmehr zur Freundin, zum Weibe des Geistes zu machen, ihren Geist aufzuthauen und, wie Roloff in seiner Reform der Naturwissenschaften sagt, mit dem unsern zu assimiliren. Deshalb trage ich einen Regenschirm.

Brille (lächelnd). Nun, jetzt werden Sie doch keinen Regenschirm tragen? Das wäre nicht in der Ordnung. Es friert ja draußen.

Frischer. Ja, Mann des Tintenstaates, der Du mehr Aehnlichkeit mit einem Lineal, als mit dem weisen Winkelmaaß hast: es friert draußen. Es ist draußen Alles eingefroren: die Spree, die Tugend, die Naturweisheit, das Recht, die Wahrheit und die Liebe. Man geht auf glattem Eise, gute hofräthliche Seele; man verbindet sich die Ohren, deckt's Herz sechsmal zu, legt sich russischen Pelz über Kopf und Brust, hängt den Mantel nach dem Winde, und wenn die Frühlingssonne kommt, wird man einbrechen und um Hülfe schreien.

Leiseken (im Eintreten zu Bolle). Na, wie jesagt, Sie haben es zu verantworten, wenn es nich erlaubt is vor Jeden. Weil ich blos Stubenmaler bin.

Bolle. Ach wat, hier kann Jeder rin; hier is Jeder dem Andern janz einjal; hier in de Volks-Jury find wir Alle Bürjer un so jleich, als ob wir nackt wären, (laut.) Ju'n Abend, Bürjer! (Allgemeine fröhliche Erwiederung.) Bolle, Bürjer und Victewalienhändler is anjekommen un wird Recht sprechen. (Er sieht sich um.) Dunnerwettsteen, det is heute zahlreich! Die Volks-Jury macht sich; des freut mir, des is nett. Bürjer, ick stelle Euch hier einen neuen Volksjuristen vor, den Stubenmaler Leiseken aus de Heiljejeiststraße. Det is een wichtiger Mann; er hat schon mehrere Bureaus anjestrichen, un sein Pinsel war immer der erste, der da zu dhun hatte. (Gelächter.) Un als Juriste hat er sich ooch ausjebild't. Er rührt sich 'ne Farbe zusammen, un denn überstreicht un bemalt er des weiße Recht durch die vorhandne Schablone.

Frischer. Bravo, Bürger Bolle!

Bolle. I Jott jrüß Dir, Menschenbruder Frischer!

Frischer (auf Bolle deutend, zu der Gesellschaft). Das ist ein Bürger, der nicht richtig spricht, aber mehr Recht sprechen wird, als der richtigstsprechende Rechtsprecher. (Die Uhr schlägt Sieben.) Ah, da kommen ja noch vier Völker zur rechten Zeit! Bürger und Briefträger Triesel, Bürger und Bäcker Knusprig, Bürger und Schuster Zwecker und Bürger und Schneider Spitzel. Nun bitte ich, die Thür zu schließen; wer über Andere richten will, muß pünktlich, muß ein Mann, keine alte Jungfer sein. Wer nachkommt, wird nicht hereingelassen, denn wir sind hier, um voranzugehen.

Brille. Ich finde das nicht ganz in der Ordnung: wir sind keine geschlossene Gesellschaft.

Frischer. Ach was, wir sind Deutsche! Ob wir uns so nennen oder nicht. – Doch gut, wir sind öffentlich. Aber Gesetze umgehen ist nur in der Sclaverei erlaubt; in der Freiheit müssen die Gesetze, die wir uns selbst gegeben haben, auf's Strengste gehalten werden. Man hat mich hier zum Vorsitzenden gewählt, darum bin ich der strafbarste Verbrecher, wenn ich unser Gesetz nicht halte. Es ist sieben Uhr; die Sitzung, welche durch keine Nachzügler gestört werden darf, beginnt.

Brille. Ich finde es nicht ganz in der Ordnung, daß wir uns immer Bürger nennen. Das erinnert an eine Schreckenszeit, in ....

Bolle. Ach was, des erinnert an keene Schreckenszeit, sondern des erinnert uns blos daran, deß wir Bürjer sind, deß wir zum Staat jehören; deß, wenn der Staat krank is, wir Schmerzen haben, un deß, wenn der Bürjer jesund un wohl is, der Staat ooch nich in't Bette zu liejen braucht!

Spitzel. Ne! Denn wo der Staat zu viel einnimmt, da is Er un der Bürjer krank.

Knusprig. Richtig! Un wenn dem Bürjer der Kopp verbunden wird, denn is der Staat erscht recht nich jesund.

v. Bergen. Hier kann das Wort Bürger an keine Schreckenszeit erinnern. Denn wir leben in einem Staate, der selbst den Weg der Reformen eingeschlagen hat, um allem Unheil aus dem Wege zu gehen. Ja, der Erste und Oberste unserer Regierung, dem wir die Reformen verdanken, hat es selbst als Wunsch ausgesprochen, daß sich Jeder im Volke Bürger fühlen und an den Interessen des Staats betheiligen möge, Er, der nicht nur eine gesinnungsvolle Opposition gestattet, sondern sogar liebt. Wir nennen uns hier Bürger im guten, treuen Sinne, und das Uebel, das wir hier besprechen, ist ein Uebel fast der ganzen civilisirten Welt, nicht eines einzelnen Staates. Der Bürger Brille ist Beamter und wird als solcher sicher wissen, daß die Broschüre des Staatsanwaltes v. Kirchmann »Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft« in Berlin, und bereits in dritter Auflage erschienen ist.

Zwecker. Ich sehe überhaupt jar nich in, worum wir uns nich Bürjer nennen sollen! Des jetzt ja keenen Menschen was an! Wir könnten uns ebenso jut »deutsche Brüder« oder »meine Herren Unterthanen« oder »jebildete Nachtmützen« oder »Talg- oder Irr-Lichtfreunde« nennen.

Dachte. Soll des 'ne Stichelei auf mir sind? Ich bin Seifensieder.

Frischer. Ruhig, Seifensieder! Wer wird so stark Seifensieder sein, überall persönliche Angriffe vorauszusetzen! Wenn Sie in der kleinen Residenz eines faulen Stäätchens lebten, wollte ich Ihnen diese Lächerlichkeit verzeihen. Wir aber sind hier keine Lakaienseelen.

Kiezo (aufstehend, sehr indignirt). Erlauben Sie, ich bin Lohnbediente!

Frischer. Ich erlaube Ihnen, Lohnbediente zu sein. (Zur Versammlung.) Die Sitzung beginnt; der Bürger Hellmuth hat das Wort. Damit unsre Diskussion aber nicht mißverstanden wird, spreche ich noch einmal den Zweck aus, der uns hier zusammengeführt hat. Wir bilden eine Volks-Jury. Auf der Bank der Angeklagten, auf jenem leeren Stuhle dort, sitzt das Recht, welches wir gegenwärtig genießen. Der Kläger ist das natürliche Menschenrecht. Ich ersuche den Bürger Hellmuth, die Rechtskanzel zu besteigen.

Hellmuth (auf der Tribüne). Liebe und werthe Bürger. Ich bin zu wenig Redner, um besseren Kräften Zeit rauben zu dürfen. Ich erlaube mir nur die Vorlesung eines kurzen modernen Mährchens, dessen Mittheilung gewiß hier am Orte ist. Der ehrenwerthe Bürger von Bergen ...

v. Bergen (ihn unterbrechend). Mein Von steckt draußen in meinem Paletot. Ich heiße Bergen!

Hellmuth. Der sehr ehrenwerthe Bürger Bergen erwähnte vorher der Abhandlung eines erleuchteten und geistvollen Juristen: »Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft«, welches Thema später der Bürger Frischer behandeln wird. Aber schon im Jahre 1846 erschien in einem vielgelesenen Volkskalender nachfolgendes Mährchen, das durch sich selbst aussprechen mag, wie nothwendig es hierher gehört. Es ist betitelt: » Die Gesetze ohne Herz« und lautet folgendermaßen:

»Vor vielen, vielen Jahren trat ein altes graues Männchen in die Richterstube des Landes Turpia, welches Viertausend Meilen hinter Pasewalk liegt. Die Richter, welche furchtbar ernste Gesichter machten, so ernst, wie sie der liebe Gott, der ewige Richter aller Sterne, nicht macht, waren durch die Ankunft des grauen Männchens so betroffen, als ob sie plötzlich selbst Verbrecher wären und ihre Verurtheilung oder Freisprechung von einem höhern Gerichte zu erwarten hätten. Alle sahen von ihren Acten auf, blickten das graue Männchen schüchtern und verzagt an, und keiner wagte, es zu fragen, was es hier wolle und wie es sich unterstehen dürfe, die irdische Gerechtigkeit zu stören.

»Das graue Männchen aber trat vor sie und erhub seine tiefe, wehmüthig-geisterhafte Stimme und sprach: »»Ihr Männer, stehet auf von euren Stühlen, denn ihr seid ungerechte Richter! Ihr urtheilt nach dem Buchstaben der Gesetze, aber diese Gesetze sind falsch, denn es sind Gesetze ohne Herz!««

»»Lächelt nicht über diesen Ausspruch, sondern bedenkt, daß ihr Wesen seid, deren Geist die alte Hexe Gewohnheit verzaubert hält, und daß ihr immer verblüfft seid wie das gehörnte Thier, sobald ein neuer Gedanke an eure vertrocknete Welt klopft.««

»»Ich sage euch, ihr wäret eher gerechte Richter, wenn ihr keine Buchstaben hättet, so eng aneinander gepreßt, daß das Herz nicht hindurch kann, und euer Urtheil von den Empfindungen eures Herzens abhinge.««

»»Denn eure Buchstaben sind höchstens Verstand. Der Verstand aber ist weltlich, das Herz ist göttlich.««

»»Der Verstand allein ist kalt wie der Tod; das Herz ist blühend wie das Leben.««

»»Der Verstand ist an die einzelne Zeit gebunden, das Herz pocht in den beiden Kammern der Vergangenheit und der Zukunft, – und sein Schlag ist der Puls der Ewigkeit.««

»»Noch ist kein Verstand gewesen, den eine andere Zeit nicht verhöhnt hätte; was aber das Herz der ältesten Welt gefühlt hat, fühlt die heutige und wird die späteste Welt fühlen.««

»»Der Mensch lebt nicht allein mit dem Verstände, er lebt auch mit dem Herzen. Ihr aber setzet dieser süßen Verbindung des Irdischen mit dem Göttlichen, der Zeitigkeit mit der Ewigkeit, den Verstand allein als Richter gegenüber, und folglich seid ihr ungerechte Richter.««

»»Die Gerechtigkeit ist ewig unveränderlich, ihr aber verändert von Jahr zu Jahr eure Gesetze, folglich sind eure Gesetze falsch und betrüglich.««

»»Sie sind eben falsch und betrüglich, weil sie ohne Herz sind und dem Bewußtsein und dem Gefühle des Volkes nachhinken.««

»»Wenn ihr gerechte Gesetze hättet, so könnte ein verständiger Anwalt und Richter keinen Prozeß gewinnen machen, den ein ungeschickter Anwalt und Richter verloren hätte.««

»»Eure Gesetze ohne Herz fragen weder nach Geburt, Erziehung, Schicksale und Blut des Menschen, noch nach einem ewigen, göttlichen Rechte, das ihm ein einzelner Despot mit Buchstaben erdrücken will.

»»Wenn ein Mensch von Bären erzogen ist, so verurtheilt ihr ihn, wenn er Honig leckt.««

»»Wenn ein Mensch von Dieben erzogen ist und die Tugend übte, Das zu thun, wozu ihn die einzigen Wesen anhielten, die ihn liebten und ernährten, so werft ihr ihn als Verbrecher in's Gefängniß.««

»»Wenn eine Mutter in der Verzweiflung dem Hunde eines reichen Verschwenders ein Brod wegnimmt, um ihre Kinder nicht verhungern zu sehen, so gilt sie euch als Diebin. Denn eure Buchstaben sagen euch nicht, daß die Menschen die Verbrecher sind, wo solche Noth herrscht, nicht der einzelne Mensch.«« – –

»»Wenn ein Weiser mit einem neuen Gedanken kommt, der für die Zukunft eine Welt voll Moral in sich birgt, aber gegen eure unsinnigen, ungerechten und herzlosen Buchstaben verstößt, so steckt ihr ihn in tiefe, faule Mauern und laßt seinen Leib und seinen segenvollen Geist verwelken und verderben.««

»»Wenn ein Dichter singt, was er von Gott empfangen, so bestraft ihr Gott in seiner Person, sobald sein Gesang die Verruchtheit eurer Buchstaben nicht lobpreist.«« –

»»Ihr nennt eure Aussprüche Erkenntniß und Gerechtigkeit, und nehmt oft Demjenigen Freiheit und Leben, dessen Bildsäule vielleicht kurze Zeit später mit Lorbeerkränzen geschmückt wird.«« –

»»Für die fürchterlichsten Verbrechen, die sich in feinere Form hüllen, und dadurch um so mehr schaden, habt ihr keine Strafen. Eben so wenig habt ihr Strafen gegen geistige Verbrechen, welche ganze Nationen vergiften und elend machen. Eure Zustände sind so falsch und faul wie eure Gesetze.««

»Da die Richter niemals eine solche Sprache gehört hatten, wurden sie erschrecklich grimmig, schlugen ihre Bücher auf, deuteten auf eine Stelle hin und riefen Alle:

»»Nach Paragraph 1846 des Allgemeinen Rechtes ist Inculpat schuldig und verbunden, lebenslängliche Zuchthausstrafe zu erdulden und die Kosten dieses Prozesses zu tragen. Von Rechts Wegen. Büttel, ergreift ihn und legt ihn in Ketten!««

»Als aber die Büttel nach dem grauen Männchen griffen und es mit ihren Ketten umschlingen wollten, verwandelte es sich in ein blutendes Herz.

»Das ist ein« Geschichte, die vor langen Jahren passirt ist. Noch heut zu Tage hängt in der Richterstube zu Turpia, welche Viertausend Meilen hinter Pasewalk liegt, ein Herz in Ketten, das immerfort blutet.«

(Tiefe Stille. Hellmuth verläßt die Tribüne.)

Frischer. Ich glaube, daß in diesem Augenblicke Jeder von uns ein blutendes Herz hat. Dennoch danken wir dem Bürger Hellmuth für seine Mittheilung. Bürger Bergen hat das Wort.

v. Bergen (auf der Tribüne). Liebe Mitbürger! Das Mährchen vom blutenden Herzen und ein wirklicher erleuchteter Jurist sprechen es Beide aus, daß das Rechtbewußtsein früher im Volke lebt als in unsern Gesetzbüchern. Das ist unbestreitbar. Aber ich will Ihnen auch den spottleichten Beweis führen, daß die Ueberzeugung von der Werthlosigkeit der Jurisprudenz, des langsamen Buchstabenrechtes und seiner Ausübung, eine alte Ueberzeugung des Volkes ist. Denn im Volke lebt die Naturweisheit, die sich von unsrer verschrobenen Bildung eben so wenig berücken läßt wie die Natur selbst. Und wenn die Sprache die Krystallisation alles Geistes und Wissens ist, so weiß der kernige und spitze Witz des Volkes schon dafür zu sorgen, daß sich nach unten hin keine falschen Tropfen anformen. Vor so viel Jahren, als wir gegenwärtig schreiben, ließ Quinctilius Varus, der Feldherr des Kaisers Augustus, eine Schaar Advocaten aus Rom kommen und schlug in seinem Kriegslager an der Weser Gerichtsstühle auf –

Bolle. Gerichtsstühle, aha, drum werden wir ooch –

v. Bergen. – um über freier deutscher Männer Leib und Gut zu Recht zu sitzen. Im spitzfündigen Justiz-Netze der Knechtschaft sollte die Freiheit und die gesunde Vernunft der Deutschen gefangen werden. Die damaligen Deutschen aber waren Männer, und es währte nicht lange, so waren die römischen Juristen zum Teufel gejagt. Luther sagt: der geschickteste Advocat ist der, der am meisten Hundshaare in's Recht zu mischen versteht. In der Weisheit auf der Straße, in den Sprüchwörtern, finden wir folgende: »Der beste Advocat,« sagte das Volk, »der schlimmste Nachbar.« – »Advocateu und Soldaten, sind des Teufels Spielkameraden.« – »Advocaten und Taschenspieler spielen den Leuten das Geld aus der Tasche; diese durch Geschwindigkeit, Jene durch Langsamkeit.« – »Je gelehrter, je verkehrter!« – »Je mehr Gesetz, je mehr Sünde.« – »Je weniger Gesetze, je besser Recht.« - »Der Russe sagt: Die Gesetze sind Spinnweben; die großen Hummeln brechen durch, die Fliegen aber werden gefangen.« – »Wo Gewalt Recht hat, hat das Recht keine Gewalt.« – »Eine Hand voll Macht ist besser, als ein Sack voll Recht.« – »Wer einen Prozeß um eine Henne hat, nehme lieber das Ei dafür.« – »Heimlich Gericht, öffentlich Recht bricht.« – »Das Recht ist ein guter Mann, aber nicht immer der Richter.« – »Das Recht wäre wohl gut, wenn man's nicht krumm machte.« – »Das Recht hat eine wächserne Nase.« – »Richter, Dichter!« – »Das Recht ist des Stärksten.« – »Vergleichen und Vertragen, ist besser als Zanken und Klagen.« – »Ein magerer Vergleich ist besser als ein fetter Prozeß.« – » Advocaten, Schadvocaten!« u. s. w.

Eine Stimme. Aber damit sind doch unmöglich die jetzigen Advocaten gemeint!

v. Bergen. Nein, diese Sprüchwörter stammen aus früherer Zeit, und der jetzige Advocatenstand ist ein so achtbarer, daß sich aus ihm die meisten Vertheidiger der Volksrechte und Kämpfer gegen das Staats– –unrecht erheben. Auch trifft der Witz des Volkes die früheren Advocaten nicht allein. Das Volk hielt sich und hält sich an Personen, da ihm die abstracten Dinge zu fern liegen. Seine Satyre trifft zuerst das Recht, die Gerichtsbarkeit, die Werthlostgkeit der Jurisprudenz.

Bolle. Ick weeß mir ooch noch uf en Paar hübsche Verse zu besinnen, die detselbe besagen:

Er ist ein jeder Ju–rist
Halb Jude und halb Christ!

un:

Prozesse, ach, bedächten« die Leute vor der Zeit,
Sie gehn die Wege Rechtens, nicht der Gerechtigkeit.

v. Bergen (leise zu Frischer). Schon Cicero sagt: Servari enim Justitia, nisi .....

Zwecker: Wenn das Volk noch nischt von's Jus versteht, so .....

Bolle. Ach was Jus! Des janze Jus is blos en Juß über's Recht!

Zwecker (fortfahrend) ... so spricht doch Des, deß des, deß des ....

Bolle. Du, verheddere Dir nich wie 'n Prozeß!

Zwecker (fortfahrend) ... deß des Jemälde von 'n Prozeß so jemalt is, deß Der, der den Prozeß jewonnen hat, im Hemde steht, un deß Der, der den Prozeß verloren hat, nackt is, des spricht doch dafür, deß des, deß des Bewußtsein im Volke, wie – wie Bürjer Berjen sagt, deß des so is!

Bolle. Donnerwettsteen, jetzt dhm et mir leid, deß deß deß wir noch keene orndtliche Conschtitution un Preßfreiheit haben! Bürjer Schuster Zwecker, Dir wählte ick, denn Du würdest wahrhaftig viel Jutes stiften. Jejen Dir hätten wir lauter jute Redner, un wat die Jedanken-Freiheit betrifft, so würdest Du sie nie mißbrauchen. Denn eh'r Du eenen Jedanken rauswürgtest, stürbe eine janze Jeneration aus, un die nächste Jeneration hätte ooch keenen Schaden davon, denn Deine Conschtructionen hätten den Jedanken unterwegs schon so abjemartert, det selbst die schlimmste Pollezei über det Resteken lachen würde.

Zwecker. Ick habe ooch nich ausjesprochen, deß ick meene, deß ick en Redner bin.

Bolle. Ne, Deine Bescheidenheit in Ehren! Im Jejentheil: Du hast Dir so ausjesprochen, deß De keen Redner bist.

Brille. Ich finde es nicht ganz in der Ordnung, ....

Bolle. Ne, ich ooch nich! (Drückt ihm die Hand.) Ju'n Abend, Bürjer Brille, Hofrath. Wie jefalle ick Ihnen als Victewalienhändler un Volks-Jury?

Brille (verlegen). Ich habe eigentlich nicht die Ehre, ...

Bolle. Ne, die haben Sie nich. Aber ich kenne Ihnen. Ihr Dienstmädchen hat sich neulich, weil ihr so hungerte, 'ne Schrippe bei mir jekooft, un uf diese Weise habe ich Ihre werthe Bekanntschaft jemacht. Außerdem war ick neulich so frei, den Armen, (er zischelt ihm in'r Ohr), den Sie mit Hülfe der Jesetze so weit gebracht haben, .... vier Wochen bei mir zu beherbergen, bis er wieder Brod fand. (Plötzlich sehr freundlich.) Sagen Sie mal, Bürjer Brille: wie denken Sir über natürliches Recht?

Leiseken. Du, Bolle, Du wirst eeklich!

Bolle (sieht sich um). Wer?

Leiseken. Dir meen' ich.

Bolle. Mir, Bolle'n meenst Du? Du, Leiseken, bleibe leiseken jejen mir, verstehste? Ick kann nich davor, ick bin Bolle: wenn ick Dir zu nah' an de Nase trete, denn loofen Dir de Oogen über. Det is ja eben unser natürliches Recht, deß wenn die andern Stände schändlich sind, deß wir wenigstens eeklich werden derfen. – Aber nanu wieder ernst: Bürjer Frischer, der prächtigste Mensch, den ich kenne, steigt uf de Kanzel.

(Frischer wird mit allgemeinem Applaus begrüßt.)

Frischer (auf der Tribüne). Meine lieben Menschenbrüder und Bürger! Wo ist Recht und Gerechtigkeit? Bei Gott! Bei Gott, sie sind nur bei Gott! Es gießt gerechte Könige, gerechte Minister, gerechte Richter, aber das Volk hat kein Recht, obwohl das Volk immer Recht hat, da seine Stimme Gottes Stimme ist. Wie die schöne einfache christliche Lehre durch die Theologie zerrissen ist, so das einfache und natürliche Recht durch die Jurisprudenz. Ich bin Reactionär, denn ich will aus unseren verschrobenen Zuständen und unsrer überladenen und verderblichen Gelehrsamkeit zur Natur zurück, zu dieser weisesten und einzigen Gesetzgeberin. Die heilige Justitia, sagt der Staatsanwalt v. Kirchmann, ist noch heut Gegenstand des Spottes im Volke, und mit Recht. Sie hat eine Binde um den Kopf und sieht und hört nicht. Ich habe alle Achtung vor den Männern dieser Wissenschaft, aber nicht vor ihr. Was ist eine Wissenschaft, die ohne Einfluß auf das wirkliche Leben und lebendige Wirken der Nationen bleibt? Was ist eine Wissenschaft, die keinen Augenblick sicher ist, daß Das, was sie in Jahrhunderten mit unsäglicher Mühe und Kramerei gewonnen, durch Auffindung eines alten Pergamentes oder durch eine neue Welt-Idee lächerlich wird? Wenn wir uns in andern Wissenschaften irren, was schadet's? Die Erde drehte sich schon um die Sonne, bevor Galilei den Jesuiten, welche die Bewegung hassen, sein berühmtes »Und sie bewegt sich doch!« zurief. Was aber die Jurisprudenz irrt, das leiden wir, das zwingt sich durch ihre dienstfertige Magd, die Polizei, auf. Die Naturwissenschaft, der wir Alles verdanken, hat uns jetzt Eisenbahnen gegeben; die Jurisprudenz aber gab uns von je nur krumme, stolprige Wege, bei denen wir froh sind, wenn wir ohne zerbrochene Füße wieder herauskommen. Die Juristen rufen selbst aus: welche Masse von Gesetzen, welche Lücken; welches Heer von schwerbesoldeten Beamten, welche Langsamkeit der Rechtspflege; welcher Aufwand von Studien und Gelehrsamkeit, welches Schwanken und welche Unsicherheit in Theorie und Praxis! Allah, was sollen Wir erst sagen, rufen und schreien, die wir außerhalb des Rechtes und innerhalb derjenigen Gesetze stehen, die wie Hagel über uns gekommen sind und meist gegen unser heiligstes und sicherstes Bewußtsein streiten! Was ist eine Wissenschaft, die viele, viele Jahrhunderte lang die Gesetze, nicht das Recht, einer abgestorbenen und fremden Welt auf unser deutsches, fortblühendes Leben pfropfte? Eine Wissenschaft, die sich erst in zehn, zwanzig oder fünfzig Jahren Das zum Rechte ausprägt, was in der Seele, im Glauben, in der Gesinnung des Volkes längst als unumstößliches Recht lebte! Noch heut zu Tage ist z. B. die göttliche Kunst, diese Himmel und Erde, Natur und Ideal, Mensch und Gott verbindende Psyche, in der Jurisprudenz gemeine Arbeit, und der Künstler hat kaum das Recht und die Sicherung eines Handwerkers und Krämers. Was ist eine Wissenschaft, in welcher das heutige Verbrechen, durch einen Regierungswechsel, morgen Tugend wird, die heutige Tugend morgen Verbrechen? In despotischen Staaten ist das sogenannte Recht Nichts weiter als der Wille eines Einzelnen, und ein Wille ist nie ein Recht, selbst wenn's ein guter Wille wäre. Denn das Recht ist Herz und Wille der Gesellschaft, die Strafe deren sittliches Uebereinkommen. »Was Du nicht willst, das Dir geschicht, das thu' auch keinem Andern nicht!« Das ist die ganze Logik, das ganze Recht, die ganze ächte Wissenschaft. Was ist aber eine Wissenschaft, die baare Willkühr ist; die eben so gut »Von Rechts Wegen« schreibt, ob sie zwei oder drei Jahre Gefängniß giebt, und weder für die Richtigkeit des Einen, noch für das Andere den geringsten Grund angeben kann? Eine Wissenschaft, die hier den Schuldner einsperrt, dort frei läßt; die den kleinsten Diebstahl mit Entehrung bestraft, und den größten Betrüger in der glänzenden Equipage fahren lassen muß? Ein Phantom ist solche Wissenschaft, ein Uebel! Sie hat ihre Grundideen, ihre Principien und sogar die meisten Gesetze aus einer Welt geholt, in der Antigone vermauert wird, weil sie ihren Bruder begraben will, und in welcher Tausend poetische Götter statt Eines großen Gottes lebten; – und in eine Welt gebracht, in welcher man nicht auf der Straße rauchen darf, und einen Paß haben muß, um von Stolpe nach Danzig zu reisen! Aus einer Welt, in welcher Sclaven in Teiche geworfen wurden, um fettere Froschkeulen zu fressen; – in eine Welt, in welcher jeder Hausknecht Hochedelgeboren ist! Es ist dieselbe edle Wissenschaft, welche früher Daumschrauben anlegte, etc. etc. um durchaus dasjenige Geständniß herauszuquetschen, welches sie haben wollte, und die Hexen verbrannte – und gegenwärtig solche Schriftsteller und Dichter als Hexen betrachtet, welche Das offen aussprechen, was in Herz und Kopf und Mund der Völker seit Jahren lebendig ist. Aus allen diesen Gründen und vorzugsweise darum, weil das natürliche Recht der Wissenschaft ewig voraus ist, weil das schneckenlangsam kommende positive Gesetz Gefühl und Geist des Volkes niemals erreichen kann: darum muß das Volk öffentlich durch seine Vertreter selbst dir Beleidigungen gegen die Gesellschaft richten. Denn, ich wiederhole es: das Recht ist Herz und Wille der Gesellschaft, die Strafe deren sittliches Uebereinkommen. Und wohin anders zielen die Thaten unsrer Regierung? Die furchtbare Vehme des heimlichen Gerichts ist aufgehoben, und gegenwärtig arbeiten tüchtige, vom Volk erwählte Männer am neuen Strafgesetzbuche. So gebe denn der große Geist der Geister seinen Segen auch für diese Reform! Die Sonne der Aufklärung und der Liebe und den Regen lebendiger Thatkraft! Aber noch ein anderer Regen falle auf die Seelen der Leitenden und befruchte sie. Der Regen aller Thränen, welche das heimliche und starre Recht vergießen ließ.

(Allgemeiner Beifall.)

Bolle. Die Rede war jewiß schön, nich wahr, Bürjer? (Auf Frischer deutend.) Denn erst hingen wir an seinem Mund un zum Schluß waren wir in seinem Herzen. Wir sind Alle Frischer jeworden.

Kiezo. Ich habe nich mitjeklatscht, weil ich conservativ bin un die Rede nich konservativ war.

Spitzel. Sie haben nich mitjeklatscht, Bürjer Lohnbediente Kiezo? Herrjee, Sie klatschen ja noch mit! (Gelächter.)

Frischer. Bürger Kiezo! (Alle sind aufmerksam.) Ich hatte einst eine Kuh, die mir zubrüllte, sie sei conservativ. Dennoch vernichtete sie Gras und Kräuter zwischen ihren Zähnen –- und Das gab Milch. Nun aber wollte sie durchaus ihrem Principe treu bleiben. Dadurch häufte sich die Milch dermaßen an, daß die Kuh erbärmlich krank wurde und mich um die Reform bat, sie melken zu lassen. Nun aber wurde ich konservativ und ließ die Milch stehen, bis sie sauer ward. Dann bildete sich eine Art Käse, der einen höchst conservativen Gestank verbreitete. Endlich geriethen Maden in die Fäulniß und diese sangen im Chor: Wir kommen über Alles, was stehen oder liegen bleibt! Diese Lehre war das Einzige, was ich aus der frischen und nahrhaften Milch gerettet hatte. Ich bitte Sie, conservativer Bürger Kiezo, werden Sie kein Käse.

(Allgemeines Gelächter.)

Brille (aufstehend). Ich finde es nicht ganz in der Ordnung, daß hier bei dieser ernsten Angelegenheit Witz gemacht wird!

Frischer. Verehrtester Bürger Brille, Witz wird nicht gemacht, der kommt. Wenn Sie Witz machen könnten, was aber wirklich nicht der Fall ist, so müßten Sie ihn auch zerlegen können. Der Witz kommt. Er kommt wie sein Reim, der Blitz, und just dann am meisten, wenn sich schwere Wolken zusammenziehen und die Atmosphäre am unreinsten und drückendsten ist. – Er fährt mit hellem Feuer zwischen die düstren Wolken, und wenn sie dann auch grollen und murren und donnern, so lacht doch bald die ganze Gegend und Alles athmet freier. Der Witz ist keine Krankheit des Ernstes, vielmehr seine übersprudelnde Gesundheit. Erst, wenn der Ernst witzig wird, hat er seine größte Kraft erreicht. Wir armen, traurigen Erdenwürmer mit unserm wunderlichen Ameisen-Ernst sollten doch Gott danken, daß er uns diese Blüthe der Speculation, diese Blume des Geistes gelassen hat, ohne die wir Alle Philister wären. Die Alten vergötterten ihn, die Weisheit aller Völker nimmt seine Form an; Shakspeare sagt in der Betrachtung eines Todten: Das Bischen Witz ist hin; Kant sagt: Der gute Mensch ist dann am besten, wenn er froh ist; Jean Paul ist Erhabenheit und Witz in einer Seele; Lessing sagt: Kann man denn nicht lachen und doch ernst sein?; Hegel stellt den Witz über die ganze naive Natur und ist selbst der höchste Witz der Philosophie, und ich endlich – ich bedaure nur, daß unser ganzes Staatsleben und unser Gelehrtenthum so verdammt sauertöpfig und murrköpfig, so schrecklich ernstkrank und ohne allen gesunden Witz ist.

(Lärm und Gelächter.)

Knusprig (steigt auf die Tribune). Meine Herren! Wollt' ich sagen ....

Mehrere Stimmen. Ruhe!!

Bolle (aufstehend). Ne, Bewegung!!

Frischer. Stille!

Bolle (schreiend). Des is was anders! (Er setzt sich.)

Knusprig. Meine lieben Mitbürger! Ich bin ein schlichter Handwerker, wenn ooch ein sehr orjineller. Denn während alle andern beten: jieb uns unser tägliches Brod! bete ich: nimm mir mein tägliches Brod. Ich bin Bäcker. Eine gute Rede is aber kein Salzkuchen, wenn ooch des Wort dafür sehr bezeichnend is. Deshalb müssen Sie mir verzeihen, wenn ich hier was zusammenknete un backe, was nich janz jenießbar is. Der Sauerteig is wenigstens jut, daruf können Sie sich verlassen. Der Bürjer Bergen sprach vorher von der Kry-stall-isation – ich bin froh, deß ich des schwere Wort jut 'rausjezogen habe aus meinen Jedächtniß-Backofen – der Sprache, un ich habe des so verstanden, deß sich da aller Jeist, alles Wissen in seiner besten Wahrheit festsetzt, formt.

v. Bergen. Richtig!

Knusprig. Denn aber kommt, nach meinem einfältigen Denken, die Jerichtsbarkeit un die Jurisprudenz schlimm fort. Denn denn bekommen wir unser Recht nich, sondern wir müssen es erstreiten. Wir strengen einen Prozeß an, oder machen ihn anhängig, un nachher schwebt er – was an einen nich sehr anjenehmen Zustand unsers Rechts erinnert. Un denn wird nich jehört, sondern vom Richter verhört. – Un denn sind die Richter Räthe, die blos rathen, sonst hießen se Wisser. In Criminalsachen wird also erst ein Verbrechen verrathen, dann berathen und dann wird das Recht gerathen. Nachher verfassen sie nich ein Urtheil, sondern sie fassen ein Erkenntniß ab, wie einen Unjlücklichen, der sich durchaus nich kriejen lassen wollte. Un denn haben sie ooch keen Urtheil, sondern nur ein Erkenntniß, irgend eins, also mich 'mal die Erkenntniß der Sache. Nachher wird mir nich mein Recht oder Unrecht, sondern ich jewinne oder verliere den Prozeß, wodurch mir die deutsche Sprache anzeigt, daß ich Hazard jespielt habe, weshalb denn ooch die Richter hinter'n jrünen Tisch sitzen mögen. Am allerschlimmsten is es, wenn man in einen Prozeß verwickelt wird! (Helles Gelächter.) Man jeräth hinein, man weiß nich wie, un wie man wieder 'rauskommt, des muß man den Himmel überlassen, denn in solchen verwickelten Prozeß machen die Behörden ost noch mehr Knoten, als schon in der heilijen Justiz sind, un sich durch all die jroßen un kleenen Stricke durchzuarbeiten, des is für'n Unkundigen 'ne schwere Sache. Am besten kommen natürlich Die durch, die ihren Schnitt dabei machen, denn des rejelrechte Ufknüppern is kaum möglich. En wahres Jlück is es, deß, wenn man des erste Jericht un de Kosten un seinen Aerjer 'runtergeschluckt hat, deß man denn appelliren kann. Zuletzt wird der Unschuldige, wenn er Jlück hat un jewinnt, frei jesprochen. Denn jeht er, nach alle seine Sorgen un seinen Kummer un seine Angst un seine verlorne Zeit, nach Hause, un hat weiter jar keene Entschädigung, als den Aerjer darüber, deß der Jerichts hof – ooch sehr bezeichnend! – der Eenzije im Lande is, der frei sprechen darf

(Beifall und Gelächter.)

Brille (besteigt die Tribüne). Ich muß wirklich gegen diese Art der Behandlung opponiren. Ich finde es nicht ganz in der Ordnung, daß hier gelacht und applaudirt wird. Das erinnert ja an die französische Deputirtenkammer. Am Ende werden wir auch noch die Redner glückwünschend umringen. Das sind Verhältnisse, die hier nicht herpassen. Ruhe, Anstand und ehrenwerthe Scheu vor dem Überschreiten der Grenzen sind preußische Tugenden! (Lohnbediente Kiezo: Bravo!) Ich trage daher darauf an, daß hier nicht mehr applaudirt und gelacht werden darf. (Der Redner verläßt die Tribüne.)

Bolle (sehr lebhaft applaudirend). Bravo, bravo, bravo! (Allgemeiner, stürmischer Applaus; Brille wird von Glückwünschenden umringt.)

Hellmuth. Der ehrenwerthe Redner hat von einer ehrenwerthe» Scheu vor dem Ueberschreiten der Grenzen als von einer preußischen Tugend gesprochen. Ich erwidere darauf nur durch Erinnerung an eine Zeit, in welcher Preußen in seiner hellleuchtendsten Tugend war, als es Grenzen überschritt. Als aber die Grenzen unseres Vaterlandes wieder weit waren, wurden es auch unsre Herzen, und für diese wurden die Grenzen so eng gezogen, daß die besten Herzen sie gewiß alle überschritten haben. Der Geist hat übrigens keine Grenze; er ist eben darum Geist, weil er grenzenlos ist. Auch der Bürger Brille hat einen grenzenlosen Geist. (Helles Gelächter.)

Frischer. Der Bürger Brille hat den Antrag gestellt, daß hier nicht mehr gelacht und applaudirt werden soll.

Spitzel. Wenn ich für den ersten Theil des Antrags stimmen soll, so muß der Bürger Brille aus unsre Volks-Jury ausscheiden. (Gelächter.)

Frischer. Ich will fragen, ob der Antrag die nothwendige Unterstützung findet. Er hat sie nicht gefunden.

Kiezo. Ich un der Bürjer Stubenmaler Leiseken sind aufjestanden.

Frischer. Zwei kluge Leute sind nicht hinreichend. – Nehmen Sie gefälligst wieder Platz. (Wieherndes Gelächter.)

Kiezo (indem er sich setzt). Es is sehr wenig Conservativheit hier.

Bolle. Sehr richtig, aber eine jroße Conserva flachheit! Hören Se mal, Bürjer Lohnbediente Kiezo, wollen Se keenen Antrag uf 'ne freie Serviettenpresse stellen? Wat ick sagen wollte: die meiste Tiefheit habe ick, denn ick wohne in'n Keller, un habe den eijentlichen Rechtsboden unter mir, die Erde.

v. Bergen (auf der Tribune). Mein lieber Bruder Frischer bemerkte vorher, wie die göttliche Kunst in der Jurisprudenz noch als gemeine Arbeit gelte, wie der Künstler kaum das Recht und die Sicherung eines Handwerkers und Krämers habe. Dies will ich Ihnen beweisen und zwar durch ein Factum. Ein junger, hochbegabter Schauspieler wird an dem Theater einer großen preußischen Stadt engagirt. Der Director, zuerst entzückt über ihn, ist ein roher Mensch, mit dem es Niemand lange aushalten kann. Als der junge Schauspieler den Grobheiten und Unverschämtheiten des Directors nur die gerechte Künstlerwürde entgegen gestellt, wird er nach Paragraph so und so der üblichen Theater gesetze entlassen. Plötzlich aus seiner Stellung, die ihn ernährte: entlassen! Auf welche Weise erlaubten ihm nun die Gesetze, sein Recht zu suchen, und welches Recht gewährten sie ihm? Er mußte sich zur Dienstleistung jeden Augenblick bereit erklären, und die Direction auf Zahlung seiner ihm entzogenen Gage verklagen. Sein Contract lief noch anderthalb Jahr; anderthalb Jahr schwebte der Prozeß. Der Künstler mußte so viel Geld aufborgen, so viele seiner Habseligkeiten verkaufen, um leben, um Prozeß führen zu können. Die ihm angetragenen Gastrollen und Engagements mußte er ablehnen, da er sich nicht vom Orte entfernen durfte, um zu seinem sogenannten Rechte zu kommen! Zu seinem sogenannten Rechte, denn nach anderthalb Jahren gewann er seinen Prozeß und erhielt seine Gage ohne das mitcontrahirte Spielhonarar, da ihn ja die Direction nicht spielen ließ! Anderthalb Jahr lang war der junge Künstler den Sorgen, dem Kummer, dem moralischen und materiellen Untergange blosgestellt; anderthalb Jahr lang war er aus seiner Laufbahn und seinem Streben gerissen; anderthalb Jahr lang mußte er außer Routine, außer Repertoir, außer kritischer Besprechung bleiben und Das verlernen und aufgeben, was er durch Studium und rastlosen Eifer errungen hatte!! Das war das Recht, welches ihm die Gesetze gewährten; Das war die Gerechtigkeit, welche die Wissenschaft der Jurisprudenz nach zweitausendjähriger Speculation für diesen Fall herausgeklügelt hatte! (Tiefe Bewegung.) Wie verhält sich Dem gegenüber unser natürliches Rechtsbewußtsein? Es schreit über solch ein Unrecht! Vor einer Volks-Jury hätte es niemals stattfinden können. Sie hätte die Unschuld des Klägers, welche die Richter nach anderthalb Jahren anerkannten, binnen zwei Stunden erprüft; der Direktion auferlegt, den Kläger in Amt und Gage wieder aufzunehmen oder ihm den ganzen Contract auszuzahlen, in keinem Falle aber Lebensglück, Ehre und Ruhm des jungen Künstlers auf's Spiel gesetzt! Denn die Männer des Volkes urtheilen nicht nur nach den todten, abgelebten, eiskalten Buchstaben des Verstandes; in der Richterstube der Volks-Jury hängt kein Herz in Ketten, das immerfort blutet!

(Große Aufregung.)

Brille. Ich finde es nicht ganz in der Ordnung, daß man hier, wo wir es nur mit der Idee zu thun haben, specielle Fälle aufführt. Das schickt sich nicht!

Bolle. Ne, des schickt sich ooch nich, des jeht von selbst.

Frischer. Unser treffliche Bürger Bergen wollte noch einen Vortrag über heimliches Gericht halten; ich glaube aber, daß dies heutzutage nicht mehr nöthig ist. Die Scheußlichkeiten desselben sind durch Traditionen aus alter Zeit, und durch Zeitungs- und Broschüren-Tradition aus neuer Zeit so populär geworden, daß man unartigen Kindern nicht mehr zuruft: Der schwarze Mann kommt! sondern: Du mußt vor ein heimliches Gericht!

Mehrere Stimmen. Ja! Ja!

Kiezo. Wenn der Bürjer Bergen für die heimlichen Jerichte sprechen will, so is es wohl nöthig, denn wir haben es in Paris jesehen un sehen es heute hier, welchen Schkandal die Oeffentlichkeit macht.

Bolle. Der Bürjer Kiezo hat als Lohnbedienter bei Schmausereien die Bratenreste in eine Nebenstube zu dragen, un darum is es sehr natürlich, deß er für die heimlichen Jerichte is.

(Tobendes Gelächter.)

Kiezo. Der Victualienhändler Bolle kennt keiten Ernst; ihm is Alles Wurscht!

(Gelächter.)

Bolle. Mein Lieber, ick bin sehr ernst inwendig, wenn ick ooch auswendig lache. Ick bejreife man nich, worum man allen Ernst muckerhaft bedreiben soll. Ick wollte übrijens, deß mir Alles Wurscht wäre! AlSdenn hätte ick von allen Dingen die beeden Zippel in Händen, während die Jelehrten immer weder Anfang noch Ende wissen, un denn bejriffe ick als Politiker, deß man mit de Preßwurscht die Blutwurscht vermeiden kann. Un denn würde ick die bloße Zungenwurscht un die jeräucherte Leberwurscht der politischen un reljösen Muckerei meinen Baubau vorsetzen.

Frischer. Ich kenne den Bürger Bolle; die Bolle ist pikant, aber sie weiß auch zu rühren. Der Bürger Bolle scherzt gern, aber er ist ehrenwerth, tugendhaft, von den ernstesten Grundsätzen und mit lebendigem Sinn für alles Schöne. Eine Bolle, aus deren Kern die reizendste Glockenblume blüht. Die Philister aber sind Philister, weil ihnen der trockenste Ernst das Würdigste und Höchste ist. Der trockne Ernst ist wie Steinboden, unerquicklich, ohne Frucht, ohne Schöpfung, ohne Einfluß. Er erstickt allen Keim, allen guten Willen; er stumpft die Seelen ab. Alle Institute, in denen der trockne Ernst verwaltet; die nicht durch Geist, Begeisterung, Witz, heitere und schöne Form belebt werden, erreichen just da» Gegentheil von Dem, was sie bezwecken. Sie belehren nicht, sondern verdumpfen die Köpfe und entkräften die Herzen; sie schaffen nicht Tugend, sondern Indifferentismus und Heuchelei. – Wir kommen nun zum Schlusse der heutigen Versammlung. Hat noch Jemand ...

Hellmuth. Ich erlaube mir noch, dem angeklagten Rechte gegenüber, ihm einige Beschuldigungen des natürlichen Rechtes zuzurufen. Das natürliche Recht jedes Menschen ist, seine Gedanken mitzutheilen. Das angeklagte Recht stopft ihm den Mund zu. – Das natürliche Recht eines jeden Menschen ist, durch Arbeit Lohn und Freude zu haben. Das angeklagte Recht stopft sich die Ohren zu. – Das natürliche Recht jedes Menschen ist, auf seine eigene Weise fromm zu sein, auf seine eigene Weise selig zu werden. Das angeklagte Recht ist inhuman.–Das natürlicheRecht jedes Menschen ist, alle Menschen Brüder nennen zu dürfen. Das angeklagte Recht hat eine Bedientenseele und Tausend verschiedene Krümmungen seines Rückens. – Das natürliche Recht der Menschen ist die Vereinigung. Das angeklagte Recht kriegt einen Schreck, wenn Männer zusammenkommen. – Das natürliche Recht des Menschen ist, seine äußere Ehre der innern zu opfern. Das angeklagte Recht kennt gar keine innere Ehre, und entzieht zwar die äußere Ehre, berücksichtigt dieselbe aber nicht. – Das natürliche Recht der Gesellschaft ist, ihren Haushalt zu führen. Das angeklagte Recht läßt diesen Punkt fallen und – ist sehr wohlhabend. – Das natürliche Recht der Gesellschaft ist, stch einzurichten, sich zu leiten, Kummer und Freude gemeinschaftlich zu tragen, und sich zu belohnen und zu bestrafen. Das angeklagte Recht zerstört die Gesellschaft und hat chinefische Tücken. – Ich spreche das Schuldig aus. (Er verläßt unter lautem Beifall die Tribüne.)

Frischer. Tritt noch Jemand für den Angeklagten auf?

Brille. Ich!

Kiezo. Auch ich!

Frischer. Bürger Brille hat das Wort.

Brille (aufstehend). Ich finde es nicht ganz in der Ordnung, daß ...

Frischer. Sie sind immer mit Ihrer Ordnung da! Unsre Sprache sagt schon, daß das Außerordentliche das Bedeutendere ist. Nur die Polizei- und Juristensprache legt ihm einen andern Sinn bei.

Brille. Man geht dem Angeklagten, der schneeweiße Haare hat und 2000 Jahre auf seinem Rücken trägt, mit lauter Vorwürfen zu Leibe, die aus der destructiven Epoche stammen. Er muß darüber in seiner Altersweisheit lächeln. Sein Kopf hat seit 2000 Jahren die Wissenschaft aller Männer vom Fach in sich aufgenommen, und nun kommen einige Laien und einige gute Bürger, die ihr Handwerk verstehen mögen, und wollen ihm den Verstand absprechen. Wie gesagt, der Angeklagte lächelt darüber.

(Er setzt sich mit triumphirender Miene nieder.)

Kiezo. Bravo, bravo!

Frischer. Lieben Bürger und Brüder! Es war einmal eine alte Chaussee, zu welcher Leute vom Fach seit 2000 Jahren Steine und Steinchen zusammengetragen hatten. Der Eine warf seine Steine dahin, der Andre dorthin. Die Chaussee hatte Lücken, Löcher, Unregelmäßigkeiten in Höhe und Tiefe, so daß Alle, welche hinüber mußten, Schmerz und Aerger empfanden, und Viele verletzt wurden und sich Hals und Beine brachen. Als aber eine schnaubende Locomotive, die 4000 Menschen fliegen ließ, ihr höhnisch in's Gesicht pfiff, zeigte die Chaussee auf ihren grauen, zweitausendjährigen dicken Staub und – lächelte. (Beifall.) Bürger Kiezo hat das Wort.

Kiezo (aufstehend). Ich habe man blos zwee Worte zu sagen, wodurch allens Des, was hier jejen den Anjeklagten vorjebracht wird, zunichte wird. Der Anjeklagte besteht, also is er jut. Denn Allens, was bestehl, is jut!

(Lautes, lange anhaltendes Gelächter.)

Bolle (zu Kiezo, der noch sprechen will). 'S is jut, 's is jut! 's is Allens jut!

Frischer. Dem hohen Gedankenfluge des ehrenwerthen Redners, welcher so eben gesprochen, bin ich nicht im Stande zu folgen. Wenn er den Satz, den er aufstellt, richtig verstanden hätte, so ließe sich mit ihm darüber disputiren. (Rufend.) Zur Abstimmung!

Bolle. Bürjer Frischer, ick schlage vor: wir stimmen nich ab. Es is nich nöthig. In alle bessern Brüste, die hier schlagen: is schon abjestimmt. Wir wollen den Anjeklagten noch sitzen lassen, damit er sieht, wie det dhut, wenn man blos wejen Jedanken sitzen muß. – Doch seh' ich nich ein, worum wir so kurzen Prozeß mit ihm machen sollen, da Er immer so langen Prozeß mit uns jemacht hat! (Gelächter; allgemeine Einstimmung.)

Triesel (seinen Hut aufsetzend). Des is janz jut, aber knusprig, Spitzel, Zwecker un ich, wir sind so aufjeregt, deß wir 'n paar Flaschen Wein drinken jehen wollen, un ich hatte daruf jerechnet, deß der Anjeklagte in de Kosten verurtheilt werden würde.

Brille (Hut und Mantel nehmend). Ich bin froh, daß ich diese destructive Versammlung verlassen kann! Ich rette mich wieder zur Loyalität.

Bolle, (der das Fremdwort nicht verstanden hat). Loyalität? Sagen Se mal, wat frißt so 'n Biest, so 'n Loyalität? (Brille geht ohne Antwort ab.) Schlafen Se wohl, Bürjer Brille! Wat det eijentlich vor 'ne Brille sein mag? Jeschliffen, aber kurzsichtig. (Er nimmt seinen Hut ab und verbeugt, sich vor dem leeren Stuhle bei der Tribune.) Ju'n Nacht, Anjeklagter! Wir jehen jetzt essen un drinken und verjnügt sind: nehmen Se't nich übel! Amüsiren Se sich jut alleene. Wenn Sie Hunger haben, soll Ihnen der Wirth en paar heimliche Jerichte ruf-* bringen. Ueberjens wer' ick Ihnen morjen meine jerichtliche Kostenrechnung bringen. De vor'je Nacht hab' ick von Ihren Prozeß jeträumt, macht Einen Dhaler Acht Jroschen, un diese jetzige mündliche Unterhandlung, wo ick Ihnen ju'n Nacht sage, macht zwee Dhaler dreizehn Jroschen un Sieben Pfennje, j'nau berechnet. Wenn Se mal wieder was brauchen: ick bin der Victewalienhändler Bolle un wohne in de jroße Friedrichsstraße No. 218, sehr parterre, am parterrsten, un det natürliche Recht wohnt in mir, Belletage, jleich linker Hand, vorneraus, Sie derfen man ankloppen. Et is man en kleenes Quartier von zwee Kammern, aber et is immer warm drinn. Ju'n Nacht! (Er nimmt seinen Mantel um und rüstet sich zum Gehen.)

Frischer. Gute Nacht, Hyacinthen-Bolle!

Bolle. Ju'n Nacht, Ewig-Frischer! (Er kehrt nach dem leeren Stuhle um.) Sagen Se mal, Anjeklagter: wie denken Sie über Jründe?

Frischer (lachend). Gründe wie Heidelbeeren!

Bolle (fortfahrend). Wie denken Sie über: bis auf Weiteres? Hm? Lassen Se sich Zeit, übereilen Se sich nich! Ick kenne Ihnen; ick werde mal nach en paar Jahren anfragen, ob Ihre Antwort vielleicht schon schwebt. Vielleicht haben Sie ooch denn schon 'ne Ahnung davon, wie et jetzt in de neue Welt aussieht, un wie det Volk über Alles anders denkt als Sie. Na ju'n Nacht! Schlafen Se recht wohl! Oder: schlafen Se wohl, Recht! (Indem er mit seinen Freunden hinausgeht.) Kinderkens, verjeßt nich unten den Wirth zu sagen, deß er hier de Lichter auslöscht. Der Anjeklagte kann det nich verdragen.


Druck von Bernh. Tauchnitz jun.

 


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