Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Titelblatt

XVII. Heft.
Sylvesterfeier der Bürger Gesellschaft »Vorwärts.«

Mit einem colorirten Titelkupfer.

Zweite Auflage.

Leipzig, 1848.

Verlag von Ignaz Jackowitz.

ch bin ein Preusse! Kennt ihr meine Farben

»Ich bin ein Preusse! Kennt ihr meine Farben?«

Personen:

Kresse, Kaufmann.

Forscher, Fabrikant.

Frau Forscher.

Frau Pelzich.

Frau Edel.

Torwitzer.

Frau Torwitzer.

Herr Burfey.

Ein Greis in Silberlocken.

Ein blühender, geflügelter Knabe.

Ein Müller.

Ein Essenkehrer.

Ein Guckkästner.

Zwei Buben.

Sänger. Gäste.


(Die Scene ist ein großer Saal von vier Kronleuchtern erhellt. An der Tafel, in Hufeisenform aufgestellt, sitzen ungefähr 150 Personen; Herren und Damen bunt durcheinander. In der Mitte der Fronte präsidirt der zeitige Vorsteher der Gesellschaft, Herr Kaufmann Kresse. Zu seiner Rechten sitzen mehrere geachtete Schauspieler und Sänger, welche von Zeit zu Zeit die Tafel durch Declamation und Gesang beleben. Es ist 10 Uhr.)

 

Frau Pelzich (setzt die Tasse, aus welcher sie trank, auf den Teller und schüttelt den Kopf). Finden Sie nich, Herr Forscher, deß die Pouillon etwas dünne is?

Forscher. Eben deshalb ist sie ächt-deutsche Bouillon! Wir machen gegenwärtig viel Brühe über Kraft, aber die Sache, die That fehlt uns: Die Kraft geht durch die Brühe verloren.

Frau Forscher. Aber, mein Jott, Du bist doch ooch immer un ewig politsch, man mag Dir kommen, womit man will. Was sagen Sie dazu, Madam Pelzich, deß mein Mann sojleich aus de Bouillon in de Politik fiel? Aber so is er immer! Wenn ich jetzt über 'ne neue Haube oder 'ne neue Jarnitur mit ihm reden will, so bezieht er jleich Allens uf de Rejierung un redt von de Preßfreiheit, von Cesur, von de neue Crimunal-Ordnung, von de ständischen .... (Eine Röthe überfliegt ihr Gesicht) .... und von Jott weeß was Allens!

Forscher. Männer und Frauen haben jetzt ein Thema: sie unterhalten sich über den Staat.

Herr Buffey. Sie entschuldjen, deß ich mir da mit reinmenge. Jeder unterhält sich über Des, was ihm am meisten Jeld kost't.

Forscher. Sehr wahr! Sehr wahr! Die Interessen beziehen sich immer auf die Interessen!

Herr Buffey. Sie entschuldjen: was kommt nach de Bouillon? Ich bin hier Jast, des heißt nämlich: ich bin jeladen, un darum is mir die Ordnung hier unbekannt. Was jibt es'n nach de Bouillon?

Forscher. Das Preußenlied.

Herr Buffey. Ach so! Ick dachte Fricassé! Denn – Sie verzeihen als Mitjlied, deß ich mir als Jast Des rausnehme – es is immer besser, wenn man erst was im Magen hat, ehr man sich vor't Vaterland bejeistert. Denn natürlich, halb Elwe is es: man hat Apptit, nennt man Des. Des bischen Bouillon, des macht den Kohl nich fett, des looft so ..... ach so!

Kresse (klopft mit dem Messer gegen die Weinflasche, bis Alles ruhig ist, und steht auf). Unsere geehrten Gäste, die Sänger, werden die Güte haben, das Preußenlied vorzutragen!

(Der Baritonist singt das bekannte Lied: »Ich bin ein Preuße, kennt Ihr meine Farben etc.« mit Begleitung von Brummstimmen.)

Kresse (gebietet nach Beendigung des Liedes und des lauten Beifalls der Versammelten wieder Ruhe, steht auf und hält sein volles Glas in die Höhe). Was stände uns nach dem Verklingen dieses Preußensanges, dessen Brummstimmen-Begleitung wohl nichts Anderes als das Murren der Neider und Feinde unseres lichten Vaterlandes ausdrücken soll, besser an, als unserm hochverehrten, geistvollen Monarchen ein tiefgefühltes Lebehoch auszubringen? Mag es anderwärts in der Ordnung, mag es Sitte sein, bei allen größeren, öffentlichen Festmahlen zuerst den König leben zu lassen: wir beobachten diese Ordnung nicht, uns Vorwärtsern ist diese Sitte fremd. Wir lassen unsern König nicht leben, weil er König, sondern weil Er König ist! Friedrich Wilhelm der Vierte, unser weiser und milder Fürst, der uns den Blumenweg des Lichtes, der Freiheit, der Tugend und des Friedens führt, er lebe hoch! – Und abermals hoch! – Und zum dritten Male hoch!

Herr Buffey (indem er sich niedersetzt). Des war ein Jubel bei den Tusch, bei den Toast, nennt man Des! So beliebt muß ein König sind, denn is es ein König.

Forscher (nachdem er sein Glas geleert). Man weiß nicht recht, wie man mit dem Wein hier dran ist. Bald scheint er jung, bald alt, bald feurig, bald zähe; bald kommt es einem vor, als habe er Blume, bald stört uns ein Juchtengeschmack.

Herr Buffey. Darf ich Ihnen vielleicht ein Glas von meinen Schade-Major anbieten? Sie würden mir sehr verbinden, Herr ..... mit wen habe ich die Ehre?

Forscher. Forscher, Fabrikant.

Herr Buffey. Schön, Herr Forscher, Fabrikant, sehr anjenehm! Mein Name is Buffey, Rentier, Intressen! Ich bin nämlich zwar hier bei Vorwärtzens jeladen, aber des heeßt: Couvert un Wein un Allens vor mein Jeld. Blos weil ich mal hier dabei sein wollte, und weil mein Willem zu meine Tochter un zu meinen Schwiejersohn, Eidam, jereist is, un ich den Sylvester nich mit mir alleene feiern wollte, weil Des sehr langweilig is; aus den Jrunde hab' ich mir durch meinen Freund Torwitzer als Jast einführen lassen.

Forscher. Ich verschmähe niemals ein gut GlaS Wein.

Herr Buffey (die Flasche ergreifend). Denn erlauben Sie mir, deß ich .....

Forscher. Sie erzeigen mir dafür späterhin die Ehre, Ihnen ein Glas Giesler u. Comp. einschenken zu dürfen.

Herr Buffey. Von den Champagner!

Forscher. Von dem vortrefflichen Giesler, der lieblich ist und doch Wein hat.

Herr Buffey. Na schön! Da können Sie sich drauf verlassen, Herr Forscher, Fabrikant, deß Sie von den Giesleer manche Pulle leer jießen sollen, denn Sekt kann ich sehr viel trinken, weil mir Sekt – schmeckt. Des reimt sich. Na, nu krieg' ich den verdammten Proppen nich raus! (Er bricht den Kork entzwei.) Herrjees, nu bricht er mir ooch noch ab! Ne, det is zum Schlagtreffen! Jrade, wenn wat schnell jehen soll, denn ..... Marqueur, bringen .... (während dieser Worte hatte der Vorsteher Ruhe geboten, weshalb das Nachfolgende von der ganzen Gesellschaft gehört wird) bringen Sie mir mal en Proppenzieher!

(Allgemeine« Gelächter.)

Herr Buffey. Ach Herrjees! (Er senkt beschämt die Augen nieder.)

Kresse (laut). Zur Verherrlichung der Frauen, welche der alten deutschen Sitte zufolge heut am Sylvesterabend eigentlich das Regiment führen sollten, sich aber dieses Rechtes freiwillig begeben haben – eine seltene Tugend! – werden unsere verehrten Sänger so gut sein, das Quartett: »Den Schönen Heil!« vorzutragen.

Viele Stimmen. Bravo! bravo!

Herr Buffey. Man muß es überjens jestehen, der Herr Präsident red't sehr schön.

Frau Pelzich. Jewiß! Allens, was er sagt, hat Styl.

Herr Buffey. Un in Deutschland is des was Seltnes, weil wir blos schreiben un lesen.

Forscher. Ich kenne noch Mehrere, denen man nicht abstreiten kann, daß sie vortreffliche Redner sind. Ließen sie nur den Gedanken Anderer ebenfalls freien Ausfluß! Aber Ich und Ich und Ich! Die Millionen anderer Männer sind Kinder, denen man Alles vordenken, vorsagen, vorschreiben muß!

(Gesang.)

Kresse (zu Forscher). Willst Du nun so gut sein?

Forscher. Nur zu!

Kresse (gebietet Ruhe).

Forscher (steht auf und spricht): Meine Herren! Die lieblichen Frauen, deren Wirkungskreis außerhalb der Tendenzen unserer Gesellschaft liegt, sind heut' unsere Gäste, aber nicht nur deswegen haben wir ihnen mit süßen Tönen ein Heil gesungen, wollen wir ihnen ein Hoch aus voller Mannesbrust bringen. Unser ist das Draußen, das Heimische gehört den Frauen. Je mehr es aber da draußen Ernst, je wichtiger der Beruf des Mannes wird, je dringender ihn der Geist der Zeit auffordert, seinem Schlachtrufe »Vorwärts!« muthig und thatkräftig zu folgen, um so bedeutsamer wird ihm das Weib, das in seiner Hütte liebend sorgt, das ihn tröstet und versöhnt, an dessen mildem Herzen er ausruhen kann von den Mühen und Kämpfen des Tages. Die Frauen sind unsere Muße, unser Asyl, unsere stille, glückliche Welt des Friedens. Darum ihnen das höchste Hoch, und –

Wer ein holdes Weib errungen,
Mische seinen Jubel ein!

(Er setzt sich mit ernster Miene nieder und stimmt nicht in den allgemeinen Jubel ein.)

Frau Forscher (bestürzt ihm in's Ohr). Albert, willst Du nicht mit mir anstoßen?

Forscher (leise vor sich hin).

Wer ein holdes Weib errungen,
Mische seinen Jubel ein.

Frau Edel (steht auf; plötzlich ist Alles still und aufmerksam). Ich fürchte nicht den Kreis der Weiblichkeit zu verlassen, wenn ich schlichten Wortes laut den innigen Dank ausspreche, welchen wir, die Frauen, über unsere liebevolle Anerkennung bei den Männern empfinden. In dem Wenigen, was der verehrte Ausbringer des Lebehochs der Frauen sagte, liegt ein großer Trost für uns. Viele meiner Schwestern mögen gefürchtet haben, daß das hohe Streben dieser Zeit den Mann immer mehr von uns entfernen, daß das Interesse für allgemeines Wohl ihn der Sorgfalt für sein Weib und seine Familie entziehen dürfte. Das aber ist Täuschung. Wir fühlen die Wahrheit der tröstlichen Worte, daß das Weib dem Manne je bedeutsamer werde, je mehr die Zeit sein ernstes Wirken in Anspruch nimmt. Und darum möchten wir auch nicht versäumen, den Männern gegenüber auszusprechen, nicht nur, daß wir mit ihrem Streben nach allgemeiner Freiheit und Menschenliebe einverstanden sind, sondern daß wir sie dafür mit unserer innigsten Liebe begeistern, und sie nimmer durch kleinliche Rücksichten entnerven wollen, wo es einem so hohen Ziele gilt. Denn – das haben uns die Dichter gesagt und wir erkennen und fühlen es – mit der Freiheit wächst die Tugend im Volke, und mit der Tugend die Würde des Weibes. Vielleicht zuckt man außerhalb dieser Gesellschaft darüber die Achsel, daß eine Bürgersfrau so spricht. Aber macht Geburt und Rang die edle Frau, oder Bildung und ein warmes, tugendhaftes Herz? Wenn die Männer den Geist der Menschheit repräsentiren, so sind wir das Herz derselben, und das Herz darf auch sprechen. Ich schäme mich also nicht, öffentlich den Männern ein Lebehoch auszubringen. Aber den Männern! Nicht den in Saus und Braus dahinlebenden Wüstlingen, nicht den geputzten, galanten Laffen, nicht den philisterhaften und pedantischen deutschen Micheln, nicht den frommen Heuchlern, nicht den Kriechern, sondern den geistesmuthigen, kräftigen, stolzen Männern, insbesondere den Männern, weß Standes sie auch seien, welche ihren Stein am Dombau der Freiheit herbeibringen! Sie leben hoch!

(Allgemeiner Jubel.)

Herr Buffey (sehr aufgeregt). Ne, entschuldjen Se, Herr Forscher, des war zu hübsch! Ich muß ooch 'ne Rede halten, des hilft nischt! Ich fühle mir so bejeistert, deß es mir nich an Jedanken fehlen kann.

Forscher. Worüber wollen Sie sprechen?

Herr Buffey. Worüber? Des weeß ich nich.

Forscher. Das ist ein Hinderniß.

Herr Buffey. Ne, ich will Ihnen sagen, des find't sich bei mir. Ich halte immer meine Reden so, deß ich nich weeß, worüber; aber so wie ich anjefangen habe, so find't sich des von selbst: was man Einjebung nennt.

Forscher. Bringen Sie Neujahrswünsche für Berlin und Preußen. Wünschen Sie ihnen vor allen Dingen Preßfreiheit, öffentliches Gerichtsverfahren, lebendigere Ausbildung der repräsentativen Verfassung, Herabsetzung des furchtbar theuren Briefporto's, ganz freie Versendung der Zeitungen und Zeitschriften, durch welche die Intelligenz, der Patriotismus und das politische Bewußtsein gehoben werden; Umgestaltung der schmachvoll dirigirten Königsstädtischen Bühne in ein ächtes norddeutsches Volkstheater, auf dem Humor und Witz und kräftige Poesie sich tummeln, für Tugend und Freiheit anregen und Thorheit und Nichtswürdigkeit in allen ihren Nuancen verfolgen und geißeln.

Herr Buffey (der ihm mit steigendem Eifer zuhörte). Ja, das will ich! Preßfreiheit, Verfassung, Porto, Volkstheater: haben Sie die Güte, mir als Redner zu melden.

Kresse (durch Forscher in Kenntniß gesetzt, gebietet Ruhe). Meine Damen und Herren! Unser geschätzter Gast, Herr Rentier Buffey, den wir Alle kennen, will uns die Ehre erweisen, eine Rede zu halten. Er wird uns Neujahrswünsche für Berlin und Preußen bringen. Ich bitte um Ihre ganze Aufmerksamkeit.

(Applaus und Bravorufen.)

Herr Buffey (steht auf und will sprechen. Als er aber Aller Augen auf sich gerichtet sieht, färbt sich sein Gesicht plötzlich purpurroth. Lange Pause. Große Verlegenheit des Redners wie des Publikums). Meine Damen und Herren! (Er trocknet sich die Stirn.) Sie entschuldigen! (Pause.) Es kann mir – es kann mir nur sein! Es kann mir nur sehr anjenehm sein, deß Sie mir mit Klatschen und Bravo applaudirt haben, was man Empfang nennt! (Kurze Pause.) Indessen – wenn ich sprechen soll – ich bin wirklich sehr verlejen – consternirt! Wenn ich Preußen was wünschen soll, so – so (man sieht, daß ihm plötzlich ein guter Gedanke kommt) so – wünsch' ich ihm bessere Redner als ich bin! Sie entschuldigen! (Er setzt sich schnell nieder.)

(Gelächter und Beifall.)

Herr Buffey (zu Forscher). Ich vermuthe, daß ich mir blamirt habe.

Forscher. Ich wüßte nicht. Sie haben allerdings nicht Alles ausgesprochen, was der große Stoff in Ihnen erweckt hatte; aber um so weiter ist das Feld des Nachdenkens durch Ihre Bemühung geworden. Welch einen Raum für Wünsche und Hoffnungen unseres Vaterlandes haben sie den Anwesenden eröffnet! Alles kann man sich hinzudenken, ohne daß irgend etwas wiederholt, oder von Dem umgestoßen würde, was Sie ausgesprochen. Ihre Worte hatten eine ungewöhnliche Aehnlichkeit mit gewissen Thronreden.

Herr Buffey. So? Na, des freut mir! Des hätt ich jar nich jedacht, deß ich so jut fortjekommen bin; deß ich mir so aus de Affaire jezogen habe. (Es wird ihm ein Exemplar eines gedruckten Liedes mitgetheilt). Ich danke Ihnen janz jehorsamst! Sylvesterlied? Is es denn schon Zwölwe? (Er zieht seine Uhr heraus.) Richtig, jleich Zwölwe!

Forscher (welcher gleichfalls nach der Uhr gesehen). Fünf Minuten vor 1843!

Kresse (aufstehend). Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns, bevor wir uns zum neuen Jahre Glück wünschen, und später die verschiedenen, anregenden und erheiternden Vorträge anhören, welche dem Vorstande angemeldet sind, das Ihnen mitgetheilte ernste Sylvesterlied singen.

(Allgemeiner Gesang.)

Sylvester-Lied.

Mel. Bekränzt mit Laub den lieben etc.

Hört, Freunde, hört zwölf dumpfe Klänge schallen,
      Durch diese Jubelnacht!
Hört betend sie im Todeskampf verhallen:
      Ein Jahr hat ausgemacht!

Ein Jahr ist wieder nun hinabgeflossen
      In's Meer der Ewigkeit;
Wir haben es in Lust und Schmerz genossen,
      Wie Alle alle Zeit!

Preist ihn, den Vater, der uns liebend leitet,
      Der uns noch immer liebt!
Der so viel Wonne, so viel Glück verbreitet,
      Der Licht und Frühling giebt!

Ja, preiset ihn mit frohbewegter Stimme,
      Lobt unsern ew'gen Gott!
Den einz'gen Trost bei allem Menschengrimme,
      Den alten, guten Gott!

Was Er uns nahm, was Er für sich erkoren.
      Beweint es nicht als todt!
Verloren ist nicht, was wir hier verloren:
      Dort strahlt das Morgenroth!

Denkt nicht daran! Denkt nicht an eig'nen Kummer
      In dieser Zeit voll Schmerz!
Und fällt das müde Jahr in ew'gen Schlummer,
      Erwache: Menschenherz!

Erwache auf zu Lust und neuem Hoffen,
      Zu Thatenkraft und Muth!
Wir schließen ab; – die Welt ist wieder offen;
      Das neue Jahr wird gut! –

Zu dieser Stunde feiern alle Herzen
      Den schönsten Tugendbund;
Kein Zorn ist jetzt, nur Trost für alle Schmerzen
      Im weiten Erdenrund.

Es wird an uns von Millionen Seelen
      In Liebe jetzt gedacht:
Wer möchte wohl im schönsten Jubel fehlen,
      Da, wo man Thränen lacht?

Nein, stimmt mit ein: es leben alle Brüder
      Und alle Schwestern hoch!
Die Menschheit hoch, und hoch, und immer wieder!
      In Lieb' und Freiheit hoch!

Kresse. Ergreifen Sie Ihre Gläser! Die Menschheit in Liebe und Freiheit hoch! Und abermals hoch! Und zum dritten Male hoch!

Herr Buffey (in die Rocktasche greifend, für sich). Na nu warten Se mal; nu hab' ich beede Rocktaschen jepropft voll Neujahrswünsche, wenigstens sechshundert, rothe, jrüne, blaue un weiße. Un en Paar feine mit Bonbons sind ooch drunter. (Alle gratuliren, umarmen, küssen sich.) I sehen Se mal, da is ja schon Allens in voller Arbeit! (Zu seinem Freunde.) Torwitzer, is Dir en Neujahrswunsch jefällig?

Torwitzer. Auf daß es Dir wohl gehe, alte Seele!

Herr Buffey. Dir auch! Ich wünsch ... (Torwitzer küßt ihn) ... wünsche Dir Jesundheit un ... (er wischt den Mund) ... Jlück un langes Leben, un Jlück! Madam Torwitzen, Sie weenen ja! Worum weenen Sie 'n?

Frau Torwitzer (schluchzend). Des weeß ich nich.

Herr Buffey. I so trösten Se sich doch; des wird ja Allens noch werden! (Sehr gemüthlich.) Des is ja Allens nich so schlimm, wie man denkt. Was fehlt Ihnen denn eijentlich, worum Sie so weenen?

Frau Torwitzer (schluchzend). Ach Jott, ach Jott!

Herr Buffey. Wie?

Frau Torwitzer. Ich – weeß – es nich. Ich weine immer am Sylvester, wenn es Zwölwe is.

Herr Buffey (immer noch sehr herzlich). Na denn trösten Se sich man. Erlauben Se, deß ich Ihnen einen Neujahrswunsch verehre. Haben Se de Jüte un ziehen Se! So! Nu lesen Se jefälligst mal, was Sie jekriegt haben.

Frau Torwitzer. Ach, ich kann nich!

Herr Buffey. I so lesen Se doch, bitte!

Frau Torwitzer (noch schluchzend).

Du schmauchst ein Pfeifchen gar zu gern,
Drum liegt mein Wünschen auch nicht fern:
Ich wünsch' das Heidelberger Faß
Dir voll vom besten Varinas.

Na, des muß ich sagen, des paßt hübsch uf mir! Was Besseres hätten Sie mir woll ...

Herr Buffey (sehr verlegen). Ach, ich bitte tausend Mal um Entschuldijung! Hier haben Sie einen andern! Bitte, lesen Se! der wird jut sind.

Frau Torwitzer (lesend).

Ein flottes Leben wünsch' ich Dir
In diesem neuen Jahr,
Geht's, braver Kerl, Dir wie mir,
So geht's Dir gut fürwahr!
Pump' immer die Philister an,
Und lebe wie ein Edelmann!

Herr Buffey. Ach Herrjeses, des is noch hübscher!

Torwitzer. Na hör' mal, Buffey, Du hast mir 'n passenden Versch ausjesucht! Da, hör' mal:

Wann, Mädchen, ist es mir erlaubt,
Daß ich mich an Dich schmiege;
Daß ich in süße Ruh' mein Haupt
An Deinem Busen wiege?
O sei in diesem neuen Jahr
So spröde nicht wie immerdar!

Ne, ick soll spröde sind! Du willst Dein Haupt an meinen Busen wiejen, det fehlt noch!

Herr Buffey. Ne, des is aber wirklich Pech! Ick will doch ooch künftig nich mehr so an de Ecke koofen, sondern in 'ne ordentliche Buchhandlung jehen, un wenn ich's ooch mal so theuer bezahlen sollte! Zwee Silberjroschen kost't der Bogen, des is doch ooch schon Jeld! Un vierzig Stück Neujahrswünsche sind man uf jeden druf. Schön sind se, als Lieder, als Jedichte betracht't, aber sie passen nich immer, des is des Dumme. Na nu hilft et nischt: jekooft sind se mal, nu vertheil' ick se weiter. (Er geht umher, seine Wünsche vertheilend.) Herrjees, da is die Dame, die vorhin so schön gesprochen hat! Die muß ich einen jeben, des is Schuldigkeit! (zu Frau Edel) Sie entschuldijen!

Frau Edel. Ach, Herr Buffey, Rentier!

Herr Buffey. Haben Sie die Ehre mir zu kennen?

Frau Edel (lächelnd). Ich habe die Ehre.

Herr Buffey. Ich wollte mir die Ehre nehmen, Ihnen, als Dank vor die schöne Rede, welche Sie jehalten haben, einen Neujahrswunsch zu offenriren. Wollen Sie so jut sind? (Er hält ihr die Exemplare hin.) Roth, jrün, blau oder weiß, was Sie wollen! Bitte!

Frau Edel (zieht einen Wunsch und liest):

Da Trinken Dir das Liebste ist,
Du jeden Tag halb molum bist,
So sollen tausend Oxhoft Wein
In Deinem Keller Vorrath sein.
Und bis Du wirst zum Grabe lallen,
Sollst Du in keinen Rinnstein fallen!

Wenn dies aufrichtig gemeint ist, Herr Buffey, so sage ich Ihnen meinen besten Dank. Ich werde selbst alle Sorge tragen, daß Ihr freundlicher Wunsch in Erfüllung gehe.

Herr Buffey (weiß vor Verlegenheit nicht zu antworten). Es – Sie werden – es macht sich so – ohne – Sie entschuldijen! (Er geht rasch fort.) Ne, det is um de Pestelenz zu kriejen mit die verfluchten Neujahrswünsche! Markör! Markör!! (Er reicht ihm sämmtlichen Vorrath.) Da haben Sie den –! Machen Se kerne Umstände, ick kann 'en nich brauchen! Ick schmeis'n doch wech!

Kresse (gebietet Ruhe). Ich ersuche die verehrte Gesellschaft, wieder in aller Ordnung Platz zu nehmen und den Vorträgen, welche jetzt beginnen, Ihre ganze Aufmerksamkeit zu schenken. Ist auch Vieles harmlos, hat doch Manches tiefen Sinn. Schmach Denen aber hier, die ihn verbieten, unterdrücken möchten! Wer sich vor dem freien Worte, vor den Strahlen des Geistes fürchtet, ist nicht werth, daß ihn die Sonne bescheint!

   

(Die Thür öffnet sich; es treten auf:)

Ein blühender, geflügelter Knabe. Ein Greis in Silberlocken.

Knabe.

Seid mir gegrüßt! Ich bin das neue Jahr und habe
Zur Seite noch das alte, nah dem Grabe. I
ch springe fröhlich in die Welt hinein
Im Hoffnung-Morgenroth, im Freiheit-Sonnenschein!
Er aber ist ein Murrkopf ganz und gar,
All' Lebensmuthes, aller Hoffnung baar!

Greis.

Der Knabe meint: mit ihm sei Alles neu!
Er werde wirken, schaffen, sorgen, hüten!
Bald aber legt er müd' sich auf die Streu,
Blickt feuchten Auges nach der Jugend Blüthen.
Umsonst schau'n unsre Monde, unsre Sonnen
In tausend Qualen und in kurze Wonnen!
Es bleibt so, wie es ist!

Knabe.

       Nein, nein!
Bald soll es besser, bald soll's freier sein!

Greis.

O schweig, Du naseweiser Bube, schweig!
Das Menschenvolk ist träge, ist zu feig!
Sie borgen sich vom Herrn der Ewigkeit
Die Tage ab zu Freiheit und zu Freuden;
Wir aber, Jahre, Träger dieser Zeit,
Wir sehen unsre Last in knecht'scher Schmach vergeuden.
O wär' der alte Herr nicht fürder gut,
Und borgte keinen Tag mehr dieser Brut!

Knabe.

Ich bring' 365 lange Tage!
An jedem schafft Ihr, abzuschütteln Euer Weh;
So daß ich am Sylvester fliehen seh'
Aus dieser Welt die letzte große Klage.

Greis.

O ja, sie werden jubeln, Becher schwingen!
Dem neuen Jahr ein hoffend Vivat bringen,
Von ihm erwartend alle Segensspenden,
Von Dir sich murrend, wie Getäuschte, wenden.
Horch! Es schlägt Zwölf! Der Herr begehret mein!
Laß uns in Groll nicht scheiden, holder Knabe!

Knabe (ohne auf ihn zu hören).

Ich bring' Euch Blumen, Früchte, edlen Wein
Und frisches Grün! Seid dankbar solcher Gabe!

Greis.

Gib mir den Abschiedskuß!

Knabe (ihn küssend).

       Leb' wohl, Du müde Zeit,
Und grüße unsern Herrn der Ewigkeit.

Greis (sich zum Gehen wendend).

Ihm soll Bericht ich von den Menschen geben.

Knabe.

Und was, wird der Allmächtige Dich fragen,
Wirst Du ihm, edler Greis, als Antwort sagen?

Greis (an der Thür).

Sie schlafen wachend; nur ihr Traum hat Leben!

(Ab.)

Knabe (begeistert).

Fort ist er! Nun hört aus des Knaben Munde
Die frohe, die beseligende Kunde:
Befreien will ich Euch von allem Bösen!
Dem Geiste will ich seine Fesseln lösen!
Ich will ....

Eine andere Person (tritt auf).

Sei still!

(Sie reißt dem Knaben die Flügel ab und legt ihm Ketten an.)

Solch muth'gem Jahr entreißen wir die Flügel,
Und führen's langsam und getrost am Zügel.

(Führt den Knaben langsam ab.)

Kresse (aufstehend). Tiefe Stille! Kein Beifallszeichen! Aber eben diese Stille ist der größte Beifall für den Autor dieser Allegorie. Wir haben ihn verstanden; wir sinnen nach; wir können im Augenblicke nicht Alles zu klaren Perlen gestalten, was im Tiefsten unsrer Seele aufgeregt ist.

Herr Buffey. Des is janz richtig, deß den Engel die Flügel abgeschnitten sind, denn sonst würde er nich zu unsre Welt passen. Die Welt muß einen Zügel haben.

Forscher. Den hält Gott!

Kresse (gebietet Ruhe). Ich bitte besonders jene Herren dort links um die Bowle, die Vorträge nicht zu stören.

(Die Thür öffnet sich; es treten auf:)

Ein Müller. Ein Essenkehrer.

(Jeder geht seinen Weg, endlich stoßen sie gegeneinander.)

Müller.

Na, schwarzer Satan, kannst Du denn nicht sehen?
Laß doch die Leute ungestoßen gehen!

Essenkehrer.

Ich stoße alles Weiße, das ich finde,
Auf daß es nach und nach von dieser Welt verschwinde.

Müller.

O glaub' es nicht; nie werd' ich unterliegen!
Stets muß die Weißheit oder Weisheit siegen!
Wie viele Macht Du hast, ich bin zum Kampf beherzt.

(Auf die schwarzen Flecke deutend, welche sein Kleid durch das Aufeinanderstoßen bekommen.)

Mehr kannst Du nicht: Du hast mich angeschwärzt.

Essenkehrer.

Du Sohn der Weißheit, feindlich aller Nacht,

(auf die weißen Flecke seines Kleides deutend,)

Du hast, wie stets, mir nur was weiß gemacht.
Schwarz bin ich, ja, und schwarz ist all mein Streben:
Nur in der Finsterniß, da läßt sich's glücklich leben!

Müller.

Weiß ist die Sonn', die Alles bringt und schafft;
Weiß ist das Mehl, die Milch, des Landes Kraft.

Essenkehrer.

Schwarz geht die Frömmigkeit, der feine Anstand her;
Schwarz ist der Ernst, die Tiefe ....

Müller.

                Und der Theer!

Essenkehrer.

Ganz recht, denn wer gut fahren will, muß schmieren.
Du siehst, das Schwarze weiß sich zu placiren.

Müller.

Weiß ist der Unschuld, schwarz des Lasters Kleid;
Schwarz ist der Schmutz und weiß die Reinlichkeit.

Essenkehrer.

Schwarz ist die Nacht, die Zuflucht aller Müden;
Schwarz ist das Grab, des Lebens einz'ger Frieden.

Müller.

In lichtem Glanze strahlt der Engel Chor;
Aus finstrer Unterwelt stieg einst der Schwarze vor.

Essenkehrer.

Schwarz ist die Zukunft, die Vergangenheit;
Die Gegenwart ist keine Spanne breit!

Müller.

Weiß sind die Glöckchen, die den Frühling läuten;
Weiß kündigt uns die schönsten Herrlichkeiten.
Ehrwürdig sind des Greises weiße Locken; –
Durch ihn ist Weis- und Weißheit Eins,
Denn ohn' Erfahrung ist das Wissen keins! –
Und weiß ist Blüthe, Perl', des Winters Flocken,
Mit denen Gott erwärmt die starre Erde,
Daß sie gewärtig seines neuen Werde!
Weiß ist das Licht und aller ächte Glaube;
Schwarz ist der Rabe, weiß die Taube.

Essenkehrer.

Wer's Schwarze in der Scheibe traf, ist König!

Müller.

Daß er's dem Schwarzen dankt, das eben höhn' ich
Weiß ist Cultur und Freiheit, schwarz der Sclav';
Weiß ist das edle Silber, weiß ....

Essenkehrer.

                ist auch das Schaf!

Müller.

Ja, Alles was erwärmt, schafft, nähret und erfreut,
Das trägt in dieser Welt das weiße Kleid!
Doch Alles, was auf Tod, Trug, Haß und Trübsinn zielt,
Im schwarzen Kleide seine Rolle spielt!
Jetzt nur von uns: Ich nähre Stadt und Land!

Essenkehrer.

Und ich verhüte zügellosen Brand!

Müller.

Ja, das Verhüten – ist das kluge Nest,
Wo alle Schurkerei der Welt sich finden läßt!
Da lebt sie sicher, wohl, in Saus und Braus,
Und bläst von dort das schönste Feuer aus;
Dort wuchert sie mit Muhmen und mit Vettern!
Weiß, Kerl, ist das Papier!

Essenkehrer.

                Schwarz, guter Freund, die Lettern!

Müller.

Ja, aller Druck ist schwarz, die Freiheit weiß!

Essenkehrer.

O sprich von Freiheit nicht, sonst wird mir heiß;
Sonst nehm' ich mir die Freiheit, Dich zu prügeln,
Und Deine Lust nach Licht und Glanz zu zügeln!
Sonst will ich den Beweis, daß dumm und frech
Dein Streben,
Herfallend über Dich, bald Schwarz auf Weiß Dir geben!

Müller.

Das unterstehe Dich!

Essenkehrer (stürzt auf ihn los).

                Du mußt mir unterliegen!

Müller (während des Kampfes).

Wie Du auch wüthest,
Weiß muß dennoch siegen!

Essenkehrer.

Du Schwächling, fühl' erst die Gewalt in meinen Fäusten.

Müller.

Fühl's nur, Du plumper Schuft, was ich kann leisten!

(Nachdem sie sich losgelassen, auf die Kleiber deutend.)

Wenn ein Politiker jetzt zu uns käme,
Der fände hier: Vermitt'lung der Extreme.

(Ueber den Essenkehrer lachend.)

Sieh', Du bist weiß gefleckt!

Essenkehrer (den Müller höhnend).

Schau Deine schwarzen Narben!

Beide (beruhigen sich, gehen langsam fort und singen).

Ich bin ein Preuße, kennt Ihr meine Farben?

(Ab.)

(Stürmischer Applaus).

Herr Buffey. Des is wirklich eine jute ...

Kresse (Ruhe gebietend). Ein Guckkästner bittet, Ihnen seine Bilder aus der Geschichte des verflossenen Jahres zeigen zu dürfen!

Alle. Bravo! Bravo!

Herr Buffey. Na. aber man kann hier wirklich vor lauter Aufführungen nich mal zu 'ne Aeußerung kommen, zu en Urtheil! Ich wollte Ihnen sagen, Herr Forscher ....

Forscher (ihm einschenkend). Noch ein Glas Champagner!

Herr Buffey. Ich danke Ihnen janz jehorsamst, deß es nich zu viel wird! Ich wollte Ihnen sagen, die Idee von des mit den Müller un den Schornsteenfeger, die ....

(Die Thür öffnet sich; er treten auf:)

Ein Guckkästner. Zwei Buben.

Guckkästner (seinen Kasten aufstellend). Immer ran, meine Herrschaften, wer seine Wißbejierden vor einen Sechser befriedjen will! Sie jenießen hür eine Kunstausstellung, wo nich blos de Wände voll jemacht werden, sondern wo Wahrheit un Jeist die Hauptsache is. Jeder Pinsel, der hierbei zu dhun hatte, is zum Professer ernannt, damit er nich borstig wird.

Erster Bube. Nanu? Wir wollen de Bilder sehen! Die Vorrede können Se vor sich behalten.

Guckkästner. Haben Sie warten jelernt?

Erster Bube. Ne!

Guckkästner (verwundert). Ne? Sie sind woll nich in Deutschland jeboren?

Erster Bube. Ob! Ick bin in Berlin jeboren, un ick vermuthe, deß des in Deutschland ligt?

Guckkästner. Darüber is keen Zweifel, denn ick wüßte nich, wo Berlin liegen sollte, wenn et nich in Deutschland läge. Aber denn wundern Sie mir, det Sie nich warten jelernt haben.

Erster Bube. Ob ick Ihnen wundere oder nich, det is mir janz Wurscht. Ick habe meinen Sechser bezahlt, nu will ick davor haben wat mir versprochen is!

Guckkästner (wieder erstaunt). Ne, det is mir unbejreiflich, det Sie in Berlin jeboren sind! Sie haben französchet Blut in sich.

Erster Bube. Hören Se mal, nu machen Se mit de Bilder, oder ick mache Skandal! Ick soll mir woll noch amende in'n Finger schneiden, damit Sie mein Blut untersuchen können?

Guckkästner. Ne, Blut soll nich fließen; lieber will ick Ihre Wünsche befriedjen. Da sehn Se mal Ihren Kollegen an, der dhut nich det Maul uf un wart't die Sache ab! (Zum zweiten Buben.) Wo sind Sie'n her, Jüngling?

Zweiter Bube. Aus de Hasenheede.

Guckkästner. Ach so!

Erster Bube (heftig). Nanu??

Guckkästner. Ja, nanu jeht's los. Rrrr, das erste Bild! (Mit Pathos und heiserer Stimme:) Hür, meine Herrschaften, jenießen Sie den jungen, jejenwärtsijen terkschen Kaiser Aphelmehrschiet, Sohn von Nanu den Zweiten, wie er eben auf einen Engländer dorch de Forte sprengt un nach Ejipten reiten will, um seinen unjetreuen Vice Nehmet Alli zu überwindeln. Düser hat ihn jedroht: Du sollst die Motten kriejen! un wollte den Divan auskloppen, indessen Rußland setzt sich druf, deß der kleene Kaiser sein Verbundener bleibt. Die andern drei Herren, welche hinter ihm her sind, drücken durch ihre theilnehmende Jesichter aus, deß sie ebenfalls Theil nehmen wollen. Ein edler Janitschare trägt die Fahne mit den terkschen Halbmond, der aber schon im Abnehmen is, un nimmt hinten Abschied von seine Jemahlin, welche zu ihm die Worte spricht: Edler Janitschare, pauke orndtlich druf los! Seine kaiserliche Majestät werfen einen erhabenen Blick nach ihren Harem zurück, indem sie sich auf lange Zeit von den Staatsjeschäften entfernen. Das jroße Schwert, welches der kleene Kaiser drägt, is ein theures Andenken von den Herrn Reljonsstifter Muhamlet, und hat die merkwürdije Eijenschaft, deß es jede Schlacht jewinnen läßt, insofern diese nich unjlücklicherweise verloren jeht. Hinten im Hinterjrunde zieht ein Jewitter über die Terkei auf, welches eine ejiptische Finsterniß verbreitet. Der Russe aber, den Sie da sehen, der fürcht't sich nich vor't Jewitter, sondern macht en verjnügtet Jesicht un denkt in seiner Muttersprache: Des wird sich Allens finden! – Rrrr, ein anderes Bild! – Hür, meine Herrschaften, präsentirt sich Ihnen das höchst denkwürdige Portrait, wie Herr Thieres, der frühere französche Kriegsminister vor de auswärtsige Anjelejenheiten, eine Audienz bei Seine Majestät unsern jeistvollen König Friedrich Wilhelm den Vierten hat. Thieres is sehr niedlich anjezogen, verbeugt sich vor Seine Majestät un sagt: »Ich soll 'ne Empfehlung von Frankreich machen un ob wir nich de Rheinländer kriejen könnten?« worauf Friedrich Wilhelm der Vierte antwort't: »Von Kriejen könnte allenfalls die Rede sein, aber von kriejen nich.«

Zweiter Bube. Was sagt'n Thieres?

Guckkästner. Thieres verbeugt sich, jeht ab un freut sich, deß er eine Audienz jehabt hat. – Rrrr, ein anderes Bild! – Hür, meine Herrschaften, erblicken Sie das trauerje Ereijniß, wie der Herzog von Orleans, Kronprinz von Frankreich, aus den Wagen fällt, un nach wenije Minuten sein allerhöchstes Leben persönlich endet, weil de Ferde scheu wurden. Ludwig Philipp steht dabei un nimmt sich als Vater zusammen, aber als König von Frankreich is er zerknirscht, weil die Hoffnung des Landes dahin is. – Janz im Hinterjrunde steht das jetzige trauerje Minesterium un hält sich die Schnuppdücher vor's Jesicht.

Zweiter Bube. Wovon sind se'n scheu jeworden?

Guckkästner. De Minister?

Zweiter Bube. Ne, de Ferde.

Guckkästner. Da müssen Sie se jefälligst fragen, lieber Jüngling, ich weeß es nich. – Rrrr, ein anderes Bild! – Hür, meine Herrschaften, präsentirt sich Ihnen – dumme Jungens, wackel nich so! – der sämmtliche deutsche Enthusiasmus in ein Jemälde zusammenjefaßt. Jradezu sitzt Lißt un klappert uf't Klavier, links danzt die Fanny Elßler janz alleene en Walzer un freut sich, deß ihre Beene keine Meinungen aussprechen! rechts sitzt die Verfasserin von Jott wie kestlich, un läßt sich durch zwei Tassen Thee zu die erhabendsten Werke bejeistern, im Hinterjrunde wird ein Jeburtstag jefeiert, un vorne arbeit't ein Dichter ein fürchterliches Trauerspiel aus de neuesten Zeitjeschichte.

Erster Bube. Wie is'n des?

Guckkästner. Im ersten Akt ist der Brand von Hamburg, wo des Publikum blos des Feuer sieht un von den Qualm darüber Thränen verjießt. Janz zu Ende kommt der Held des Stückes vor, der janz abjebrennt is, aber dennoch nich verzagt, weil ihn Jott nich verläßt und er einen Onkel beim Senat hat. Im zweiten Ufzug is des Unjlück uf der Versailler Eisenbahn un man sieht einje Achtzig Personen umkommen; der Held wird jerettet. Im dritten Akte aber kriegt er den chinesischen Piepvogel siebenter Klasse, un nu is es ihm doch zu viel, nu sticht er sich dodt. – Rrrr, ein anderes Bild! – Hür, meine Herrschaften, erblicken Sie das unjeheure Feuer zu Kasan in Rußland, welches die jrößte Knutenfabrik dieses glücklichen Reiches in Schutt und Asche legt, und einen erhebenden Anblick jewährt, weil es sonst janz finstre Nacht is, un des Feuer dajejen prachtvoll absticht. Dumme Jungens, wackelt nich so, sonst jeht det Feuer aus!

Erster Bube. Haben Se keenen Zugofen?

Guckkästner. Halten Sie's Maul! Diese jroße Knutenfabrik lieferte jährlich über drei Millionen Knuten, und die Prüjel, welche aus ihr hervorjing, soll von der besten Quantität jewesen sind. Des russ'sche Land is nanu in der jrößten Besorgniß, weil dieses Stockung in de Jeschäfte hervorbringt, indem dieser Artikel nich aus andern Ländern zu beziehen is.

Erster Bube. Kann man denn nich so lange Stöcke zu die nothwendje Keile nehmen?

Guckkästner. Ne, darunter würde des Völkerrecht leiden, denn jeder Mensch hat seine Jewohnheit. – Rrrr, ein anderes Bild! – Hür, meine Herrschaften, versetze ich Ihnen an den herrlichen Rhein, in die Stadt Köln, wo des Eau de Cologne von die Maria Varina herkommt. Sie erblicken die deutsche Einigkeit oder den berühmten Kölner Dom, der aber noch lange nich fertig is. Durch diesen Jedanken, deß er noch nich fertig is, is man uf die Idee jekommen, ihm zu vollenden, damit Deutschland einig is. Es is eben die Festlichkeit, wo das dömliche Deutschthum um die janze Stadt versammelt is und die deutsche Fahne auf die deutschen Schiffe uf den deutschen Rhein von deutschen Wind bewegt in der deutschen freien Luft flattert. Es is möglich, deß auch eine deutsche Rede jehalten wird, aber dieses kann ich nich mit deutscher Bestimmtheit sagen. Rrrr, ein anderes Bild! Hür, meine Herrschaften, jenießen Sie die ständischen Ausschüsse, wie ...

Zweiter Bube. Wat sind'n det vor Dinger?

Guckkästner. Det sind keine Dinger nich, sondern es sind Leite! Hür jenießen Sie die ständischen Ausschüsse, wie sie vor des Wohl des Vaterlandes sorgen.

Zweiter Bube. Mir hungert!

Guckkästner. Essen Sie en Stück Brod, det hilft.

Zweiter Bube. Ick habe keens!

Guckkästner. Denn streuen Sie sich Salz druf, des is jetzt billijer jeworden. Rrrr, ....

Erster Junge. Sagen Se mal, wird det Holz nich noch billijer? Et is jetzt so'ne jroße Holznoth!

Guckkästner. Rrrr, ein anderes Bild! Hür, meine Herrschaften, jenießm Sie die jlänzende Komfrenz in London, wo der engelsche Minister Aberden ...

Erster Bube. Entschuldjen Se, et heeßt Aber dem! Aber rejiert den Jebefall.

Guckkästner. Ach, Sie sind besoffen! In England wird jar nischt mit den Jebefall rejiert. Stören Sie mir nich! Hür jenießen Sie die jlänzende Komfrenz in London, wo der engelsche Minister Aber den un die Jesandten der drei jroßen Mächte: Preußen, Oestreich un Rußland, des Durchsuchungsrecht durchsuchen un den Sklavenhandel abschaffen. Durch diese berühmte Bejebenheit, welche die Weltjeschichte festhalten muß, sind die schwarzen Sklaven frei jeworden. – Rrrr, ein anderes Bild! Hür, meine Herrschaften, jenießen Sie das Portrait, wo der jejenwärtige König von Spanien ...

Erster Bube. Sie irren sich schon wieder, juter Mann! Keenig is er nich; er is – wie heeßt et? – Rejent!

Guckkästner (verwundert). Et rejent?

Zweiter Bube. Ick habe keenen Parezoll bei mir.

Guckkästner. Ach, Sie sind jefälligst en Schafskopp! Wenn sich die Porzelaner den Eßpanthero hätten können mit'n Rejenschirm abwehren, denn ...

Erster Bube. Denn wär' blos 'ne Spannung einjetreten.

Guckkästner. Ja!

Herr Buffey (sehr vom Weine aufgeregt, ruft). Bravo! Des war ein juter Witz!

Viele Stimmen. Still! Ruhig!

Herr Buffey. Wie so?

Guckkästner (zu den Buben). Stören Sie mir nich, oder et setzt wat! (fortfahrend) Hür, meine Herrschaften, jenießen Sie das Portrait, wie der jetzije Rejent von Spanien die Festung Porzelana in Jrund und Boden schießen läßt, weil se mit seine Rejierung nich zufrieden war und sich empörte. Sämmtliche Einwohner werden zur Hälfte dodtjeschossen und zur Hälfte in't Jefängniß jeschmissen. Blos Eener wird übrig jelassen, damit dieser junge Mann zwölf Millionen Realen Conterpution bezahlen kann.

Zweiter Bube. So viel sind nich mal in de Realschule.

Guckkästner. Diese Bemerkung war so dumm, deß sich jar nischt druf erwiedern läßt. Im Vorderjrunde sitzt ein Engländer uf einer Kanone un freut sich, deß des Pulver erfunden is. Einen hörrlichen Anblick jewährt des jlänzende Feuer der Bomben, welches so weit leuchtet, deß man mit einen juten Opernkucker die Befestijung von Paris sehen kann.

Zweiter Bube. Des Bild sieht aus, wie ein Feuerwerk in Treptow.

Guckkästner. So? denn bezahlen Se mal vier Jroschen Entree, Jüngling!

Zweiter Bube. I Jott bewahre! Ick seh' et von Stralow aus mit an.

Guckkästner. Ach so! Ick habe Ihnen vor dümmer jehalten, Jüngling. Rrrr, ein anderes Bild und dieses is das letzte! Hür, meine Herrschaften, präsentirt sich Ihnen das prachtvolle Jebäude Wahllala bei Rejensburg in Baiern, wo alle jroßen Männer Deutschlands von Anfang an bis Dato ufjestellt sind, ooch der, der die Uhren erfunden hat, was mir sehr wundert, weil die Uhren immer an de Zeit erinnern.

Erster Bube. Ja, aber ick will Ihnen sagen, die Uhren jehen immer wieder zurück, wenn se bis uf Zwölwe jekommen sind.

Guckkästner. Des mag sind. Luther, der nich in de Wahllala ufjestellt is, steht eben vor de Thüre, wie Se bemerken, un zieht an de Klingel, um zu sehen, ob Keener zu Hause is. Der Inspecter macht ihn uf un sagt: »Et wird nischt jejeben!« – »Sie irren sich,« sagt Luther, »ich wollte mir hier blos ufstellen lassen.« – » Nischt da!« antwortet der Inspecter: »Sie werden nich umfallen! Hier werden blos jroße Männer ufjestellt!« – »Ach, entschuldjen Se,« sagt Luther, indem er sich umdreht, »ick dachte, ick wär' en jroßer Mann.«

Zweiter Bube. Hör'n Se mal, sind Sie denn nich drinn?

Guckkästner. Schafskopp, Sie sind woll nich klug! Jlooben Sie etwa, det ick mir da bei Lebzeiten werde inspunnen lassen? Det sollte mir fehlen! (Er löscht die Lichter im Kasten.) Nanu zu Hause!

Beide Buben. Atje, Männiken!

Guckkästner. Ach ne hör'n Se mal! Eens will ick Ihnen noch zeijen: wat wir zu hoffen haben. Rrrr! Nanu sehen Se mal rin!

Erster Bube. Ick seh' nischt.

Zweiter Bube. Et is janz finster!

Guckkästner (nimmt seinen Kasten auf den Rücken, zieht die Mütze vor dem Publikum und spricht):

Ick jratulire allerseits zum neuen Jahre.

 


 << zurück weiter >>