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Titelblatt

XXIII. Heft.
Antigone in Berlin

Frei nach Sophokles

Leipzig, 1846.

Verlag von Ignaz Jackowitz.

Antigone in Berlin

Antigone in Berlin.

 

Motto: Wir leben in einer Zeit, in welcher der
rechte Mensch nur lachen kann, wenn
er nicht weinen will.

 

Personen:

Publikum.

Kreon, König in Thebe.

Eurydike, Königin (tritt gar nicht auf.)

Hamon, ihr Sohn.

Piefke.

Schauspieler Carlos.

Antigone.

Ismene.

Funke.

Rentier Buffey.

Wilhelm, sein Sohn.

Buchdrucker Feist.

Teiresias.

Klempner.

Buchbinder.

Schlosser.

Leineweber.

Wächter.

Bote.

Diener.

Chor. Edle Greise der Stadt.

Rezensent Ungethüm.

Dr. Efef.

Geheimerath Pudel.

Seine Frau.

Philologe Bos.

Junger Mann.

Alter Herr.

Ein hoher Beamter.

Mad. Crelinger.

Ein Gensd'arme.

Die Vorstellung findet ohne Musik statt.


Im Auditorium.

Philologe Bos. (wonnig den Kopf schüttelnd.) Herrlich! Herrlich!

Funke. (neben ihm.) Aber wie dürfen Sie schon jetzt entzückt sein; die Komödie hat ja noch gar nicht begonnen?

Philologe Bos. (blickt ihn verächtlich an und zuckt die Achseln.) Weiß ich! (selbstgefällig.) Daß man die Tragödie gibt, darüber bin ich entzückt. Wie wird uns die Lächerlichkeit, die Erbärmlichkeit alles modernen Plunders klar werden, wenn dies große Schicksal, diese geisthohen, geistplastischen Gestalten der Antike vor uns treten! Erhabener unsterblicher Sophokles, Deine weltbesiegende, auf uns herniederschauende Psyche sei um Verzeihung gebeten, daß wir Deine unantastbare Schöpfung über dieselben Bretter gehen lassen, auf denen die Hundsföttereien neuerer Jahrhunderte umherludern und ihren Schmutz abschütteln!

Funke. Ich stimme Ihnen bei: nach diesem Alterthum, dessen Geist wir leider nicht ganz erfassen können, haben die jämmerlichen spätern Jahrhunderte eigentlich gar kein Recht zu existiren. Es ist nicht nur eine Schmach, daß wir so sind, wie wir sind; es ist eine Schmach, daß wir überhaupt sind.

Philologe Bos. (drückt ihm stumm und dankbar die Hand.)

Funke. Und wer war es denn, der die poetischen Menschengötter aus dem schönen, sinnlichen Himmel Griechenlands verjagte? Wer zerschlug Cytherens Tempel? Wer löste den heiligen Gürtel des sinnlichen Reizes?

»Einen zu bereichern unter Allen
Mußte diese Götterwelt vergehn« –

und sie erbleichte in dem Strahlenglanze des Lichts, das am Jordan aufging: Millionen sanken nieder in stiller Anbetung, und kein Ohr vernahm Eure Weisheit, aus der entgötterten Natur geschöpft! O Welt was bist du geworden!! –

Philologe Bos. (seufzt und nickt beifällig mit dem Kopfe.)

Funke. Zwar: wenn wir an Shakspeare, Schiller, Göthe, Lessing, Calderon, Molière denken, und .....

Philologe Bos. Pfui! (Er dreht sich um.)

Rezensent Ungethüm. (zum Schauspieler Carlos.) Sind Sie auch Antigonist?

Schauspieler Carlos. Nein: Antagonist!

Rentier Buffey. (zu seinem Nachbar.) Entschuldjen Se, mein Herr .... um Entschuldjung, mit wem hab' ich die Ehre?

Buchdrucker Feist. Wein Name ist Feist; als Person bin ich Buchdrucker, mein Charakter ist Mensch.

Rentier Buffey. Schön! Sie können mir vielleicht dienen, wie des Trauerspiel ausjesprochen wird. Ich habe mir nämlich nie mit Jriechsch beschäftigt, weil ich früher immer was Nützliches vorhatte, un in meine alten Dage, wo ich mir zur Ruh setzte, von meine Intressen lebte, nennt man Des, nich daran dachte, daß es von mir als deutschen Bürjer verlangt wird, daß ich Jriechsch kennen soll, was en Paar Dausend Jahre todt is. Heißt es Antijohne .....

Buchdrucker Feist. Jo nich! Antigone.

Rentier Buffey. An tiejone, ich danke Ihnen jehorsamst; wenn ich Ihnen mal wieder dienen kann, mit Verjnügen. Nu werd' ich mir schon zurecht finden, (zu seinem zwölfjährigen Sohne Wilhelm.) Wilhelm, An tiejone heeßt es! Wie heißt es?

Wilhelm. An tiejona.

Rentier Buffey. (heftig.) Ne!

Wilhelm. Ne.

Rentier Buffey. So is es recht. Nu paß' uf, wenn der Vorhang in de Höhe jeht, daß Du Dir mit des Alterthum vertraut machst, damit Du mal en nützlicher Mensch wirst, dummer Junge! Denn jetzt muß der Mensch des Allens wissen, sonst kommt er nich mehr fort.

Funke. Da haben Sie Recht: die dummen Jungen wissen jetzt alle mehr vom Alterthum als von unserer Zeit. Der gesunde Menschenverstand wird in der Schule mit jenem Moder belegt, daß er zeitlebens den Schnupfen behält.

Geheimerath Pudel. Wie können Sie so Etwas sagen: je mehr Wissen, je mehr erweitert sich der Geist.

Funke. (mit einem Blick auf Bos.) Je mehr Wissen, je phrasenhafter wird der Geist. – So viel Nahrung er bedarf, wird sich der Menschengeist immer in aller Geschichte, in aller Literatur suchen; wer aber aus dem Wissen ein Geschäft macht, wird höchstens der Wissenschaft nützlich sein; er wird eben ein Kaufmann, der das Eingeschacherte im Kleinhandel und in anderer Form wieder an den Mann bringt. Selten oder niemals aber dürfte er in irgend einer Weise Großes, Besiegendes, Ewiges gebären. Gott schuf die Welt, ohne Hegelsche Philosophie studirt zu haben; Moses wurde der weiseste Gesetzgeber für sein Volk, Mohammed wurde Stifter der Religion für Millionen Menschen und Jahrtausende, und große Gesetzgeber für einzelne Völker oder für die ganze Menschheit wurden groß und setzten ihre heilsamen Zwecke durch, ohne nach unsren Begriffen Logik gehört oder ein officielles Examen bestanden zu haben. Selbst der größte Dichter aller Zeiten, Shakspeare, den das ganze Alterthum nicht aufwiegt, würde von unsern Literaturzeitungen seiner Unkenntniß wegen arg behandelt werden. Auch Napoleon war kein Gelehrter! Und die größte, pikanteste Weisheit, so von keiner in allen Büchern übertroffen wird, liegt in den Kernsprüchen des naiven Volkes aller Länder. Der menschliche Geist, frei geboren, verliert unbedingt durch das mechanische Lernen seine göttliche Ursprünglichkeit, sein Geradeaus-Denken in das Herz der Dinge. Er wird, wie Göthe sagt, dressirt, in spanische Stiefel eingeschnürt. Ich bin fest, ganz fest davon überzeugt, daß es verhältnißmäßig in keinem Stande so viel bornirte Köpfe gibt, als unter den deutschen Stockgelehrten.

Geheimeratb Pudel. Sie verachten also die Wissenschaft?

Funke. Daß ich ein Narr wäre! Solche Frage ist Beleidigung. Wissenschaft ist die Grunde lage unserer Existenz. Aber ich verachte Diejenigen, die ihr ganzes Leben daran setzen, eine taube Nuß aufzuknacken und Die, welche ihr Leben lang nach Schätzen graben und nicht so viel Geist besitzen, einen Groschen zum Wohle der Menschheit auszugeben. Ich verachte diejenigen deutschen Zeitungen, die sich besinnen, ob sie einen vom Volke geliebten Dichter nennen sollen und dagegen von jeden Maulaffen mit Emphase sprechen, der aus Siebenzehn vorhandenen Brochüren eine Achtzehnte zusammenflickte; die den gemeinsten Handwerker der Wissenschaft dem freien schöpferischen Genius vorziehen. Das ist deutsche, ächt deutsche Dummheit und Niederträchtigkeit, und der gerechte Zorn gegen sie und ihre dem Menschenwohl giftige Wirkung mag mich entschuldigen, wenn ich vorher zu weit gegangen bin, mich nicht vorsichtig genug ausgesprochen habe.

Philologe Bos. Sie müßten aufgehängt werden!

Funke. Als Märtyrer der Wahrheit? Das geschieht nicht mehr; man begnügt sich jetzt damit, solche seltene Menschen um ihr Brod zu bringen, oder gar in's Gefängniß zu werfen.

Geheimerath Pudel. Zu weit sind Sie jedenfalls gegangen.

Funke. Ja! Und doch, wenn ich an die grenzenlosen Dummheiten denke, welche man alle Tage von unsern Philologen zu verdauen kriegt, so möchte ich nicht wieder umkehren. Nur ein Beispiel, ein ganz hierherpassendes. Da schreibt Einer in der Staatszeitung über die Aufführung der Antigone in Potsdam, unsere Schauspieler möchten doch, wie die griechischen, Masken tragen, und meint: der moralische Einfluß, den eine bis zur Unkennbarkeit uns entfremdete Gestalt hervorbringen könnte, würde ohne Vergleich größer sein als die Erscheinung eines alten Bekannten, durch dessen wenig verstelltes Gesicht wir uns oft sehr gemüthlich, keinesweges tragisch berührt fühlen. Da der Schrecken ein so unentbehrliches Element der antiken Tragödie gewesen, so möchte ein bedeutendes Vehikel desselben in der imposanten oder selbst furchtbaren äußeren Erscheinung gelegen haben. Eine dem Zwecke entsprechende Maske war aber hierzu unerläßliche Bedingung. Wie viel schwerer ist die wirkliche Illusion, wenn das ordinaire, wohlbekannte Menschengesicht in jedem Augenblicke leugnet, was Inhalt und Action uns glauben machen wollen! – Ich frage Sie, ob man aus stockdummgelehrter Vorliebe für die Alten etwas Alberneres sagen kann? Wir, die wir die Kunst des Schminkens, die ganze Ausbildung der Schauspielkunst haben; die wir wissen und sehen, daß die Mimik ein Haupt-Element dramatischer Darstellung; wir sollen mehr von Masken ergriffen werden, die in Zorn und Liebe, Schmerz und Wonne denselben todten Ausdruck behalten! – Ich frage Sie; muß das nicht der ordinairste Menschenkopf sein, der so etwas drucken läßt? Nachdem wir eine so hohe Stufe dramatischer Kunst erreicht haben, sollen wir uns mächtiger von dem griechischen Männer-Puppenspiel erschüttern lassen! Und so ist es auch mit der griechischen Dichtung selbst. Und wenn alle Philologen der Welt mit glühenden Zangen und Zungen um mich herumsaußen, ich behaupte, keck: die Tragödie der Alten steht tief, tief unter unserer. Was Wilhelm Fischer, der jetzige Mitredacteur der Mainzer politischen Zeitung einst behauptete: hätte das Alterthum einen Shakspeare gehabt, es wäre nie untergegangen! ist eben so geistreich und wahr, wie es paradox klingt. Denn nur aus einem geistig-gesunden Reiche, aus einer geistig-gesunden Zeit konnte Shakspeare entspringen, nicht aber aus diesem Alterthum mit allen seinen unnatürlichen Verhältnissen, seinem idealischen Schwulst oder schwülstigen Idealismus, auf dem es schwebte, aus diesem Götter- und Menschen-Vermischen und Verwischen, aus der daraus entsprungenen Sinnlichkeit und Verweichlichung, aus seinem sogenannten gewaltigen Schicksal, das alle Kraft und Würde des Menschen nach und nach erstickte. Doch: wir werden ja sehen und uns überzeugen.

Schauspieler Carlos. (Zu seinem Nachbar einem Rezensenten.) Meinen Sie nicht, daß Sie Langeweile empfinden werden? Aufrichtig!

Rezensent Ungethüm. Langeweile, ja, aber klassische, und ich bin schon zufrieden, wenn ich etwas Klassisches empfinde. Gegen Sie darf ich aufrichtig sein; denn Sie sind Schauspieler, und wenn Sie Jemandem ein Wort wiedersagen, so reiße ich Sie herunter. Sehen Sie, lieber Carlos, mein eigentliches Fach ist Humor, (sich aufblähend) und da die antike Welt gar keinen Humor hatte, so könnte ich sie eigentlich ruhig fallen lassen, wie ich das immer thue. Aber ich habe zwei Gründe, warum ich mich so bombenhaft für die Antigone interessire und vollen Wind in die Segel meines kritischen Schiffes für sie blase. Merken Sie meinen Humor? Ein Mal gebe ich mir dadurch mehr Ansehen, zum Andern, will ich Ihnen sagen, bin ich liberal, weil die Liberalen fast allein die öffentliche Meinung beherrschen, und bei dieser Gelegenheit kann ich Schmeichler sein, ohne daß mir die Liberalen auf den Leib rücken dürfen. Und, was ich wirklich an dem ganzen Ereigniß am meisten verehre: Die Anregung! Die Anregung, die Anregung!

Schauspieler Carlos. Wie so? Was regt diese Antigone Gutes an? Sie glauben doch nicht, daß diese uns ganz fremde und ganz todte Welt sich je Platz in der unsrigen machen wird?

Rezensent Ungethüm. Die meisten politischen Zeitungen haben schon das Ereigniß besprochen; selbst Jules Janin hat im Journal des Debats ein Wort darüber fallen lassen.

Schauspieler Carlos. Ach, unsere meisten politischen Zeitungen drucken eine der andern nach, und sind so gemeiner Gesinnung, daß sie wahrlich nicht der Sache wegen über die Antigone schreiben. – Und ob dieser Jules Janin, dieses literarische Freudenmädchen, dieser Lump, der keinen Tropfen edlen Blutes in seiner Wucherseele hat, dieser unbedeutende Kopf, den wir nur bemerken, weil er Franzose ist; der den meisten jungen Schriftstellern unseres Vaterlandes nicht das Wasser reicht: ob Der ein Wort über die Antigone fallen läßt oder nicht, muß doch jeden gebildeten Menschen gleichgültig sein. Zufällig hat er sich lustig über das berlinische Griechenthum gemacht – auch gleichviel! Ich glaube, nur persönlicher Geschmack rechtfertigt die Aufführung dieser Komödie. Denn es wäre wahrhaftig gerathener, Shakspeare's, Schiller's und Göthe's Dramen in würdigster Art zu beleben, das heißt, mehr tüchtige Darsteller zu gewinnen, sie nicht durch widerwärtigen Pathos, coquette und affektirte Manier und verstandloseste Auffassung verhungern zu lassen. Das größte Verdienst aber wäre es, dem aufwachsenden Talente die schützende Hand zu reichen und dem Geiste die natürlichen Rechte der Freiheit unverkümmert zu lassen. Was geht uns Sophokles und seine für uns ungenießbaren Tragödien an? Staub über ihn, selbst ehrenden, wie ihn Antigone über den Leichnam ihres Bruders wirft!

Rezensent Ungethüm. Wenn Sie sich unterstehen, nicht mit mir einverstanden zu sein, so reiße ich Sie herunten.

Schauspieler Carlos. (lachend.) Herunter? Also zu Ihnen? Das ist ein weiter Weg!

Dr. Efef. (sehr sanft und zart.) Meinen Sie nicht, daß ich die Ausführung der Antigone besingen soll? Ich bin der literarische Ueberall und Nirgends. Bin auch dabei! Mich besingert so: ich kann es mir nicht länger aufhalten.

Rezensent Ungethüm. Schaden kann's Ihnen nicht.

Funke. (der heimlich zugehört.) Schaden kann's Ihnen nicht!

Schlosser. Na, ich bin in meinen Leben nich so neujierig uf 'ne Komödie jewesen, wie uf Die! Jrunewald, ich sage Dir, so wat von Ufsehen is mir noch nich vorjekommen; man kann ja nirjends mehr en Liqueur drinken, wo man nich en Bisken Jriechenland mit runterschlucken muß. Mein Jeselle sitzt oben uf det Amphibientheater, uf de Jaleere vor sechs Jroschen. Der sagt, ick muß den Antejoone von Sophocklessen sehen, un wenn ick morgen Wasser saufen sollte. Selbst meine Frau hat sich schon mit det Alterthum vertraut jemacht.

Klempner. Ja, det weeß ick; det is schon länger her.

Schlosser. Theekessel! (lacht.) Sag' mal, Jrunewald, kennst Du die Antejoone von Sophaklexen?

Klempner. Ja woll, et is 'ne Cousine von mir.

Schlosser. Ach, Schafskopp! (zum Buchbinder.) Du, Reenewas, Du bist ja so'n jelehrter Kerl, Du ....

Klempner. Ne, des is ja ein Ver leimder der Wissenschaft!

Schlosser. Stör' mir nich; halte Deine Jedankenfreiheit zu, oder ick lege Dir en Palais vor's Maul! – Reenewas, Du haft Dir schon bestimmt mit de Antijone abjejeben: wer is sie?

Buchbinder. Sie is nich der Sohn einer Mutter, sondern im Jejentheil: die Tochter eines Vaters. Ihr Vater war von Jeburt ein Prinz; sein Vater, der König, fürchtete sich aber vor ihm, weil ihm des Orakel prophzeit hatte, er würde einst von seinem Sohne um's Leben jebracht werden.

Schlosser. Na en König wird doch an so'n Unsinn, an en Orakel nich jejloobt haben?

Buchbinder. Ob! Darin waren die jescheidtesten Jriechen so dumm, wie bei uns keen Nachtwächter. Sie ließen sich alle von die Orakelpriester für dheures Jeld bedrügen. Na also, was hat nu der König zu dhun? Dieser hörrliche Charakter läßt seinen Sohn die Füße durchstechen un denn aussetzen, damit er verhungert oder von wilden Beestern zum zweeten Frühstück jenossen wird. Indessen Kuchen! Der königliche Lakai fühlt ein menschliches Rühren un jibt det Wurm von Fürstenkind an einen Schäfer aus Korinthen, un dieser läßt ihn vor 3 Dhaler 8 Jroschen an den König Polyp ab, der ihn jeistreicher Weise wejen seiner jeschwollenen Beene Schwellfuß nennen läßt, was uf Jriechsch Oedip heeßt. Un nu nachher wird des Allens wirklich so, wie des Orakel jesagt hat, un die Antijone is die ältste Dochter von den König mit de jeschwollene Beene.

Schlosser. Aeh! Pfui!

Buchbinder. Ja, ick weeß ooch nich, wie man Eenen mit jeschwollene Beene zum Helden mehrerer Trauerspiele machen kann.

Klempner. Un des Janze is doch augenscheinlich blos 'ne Fabel, un noch dazu eene, die nich de Spur poetisch is.

Buchbinder. Ja, aber des Schicksal, des Schicksal, des jroße jriechsche Schicksal oder der jroße jriechsche Bedrug, der hier so mächtig spielt! Ihr seid ja blos ordinaire Deutsche mit ordinaire Menschenjesichter un könnt nich antik denken.

Schlosser. Was heeßt des: antik denken?

Buchbinder. Des heeßt: Ihr müßt alle jriechsche Trauerspiele fürchterlich langweilig un abgeschmackt finden, wenn Ihr nich accurat so denken könnt, wie die Jriechen jedacht haben.

Schlosser. Na, kann denn des een Mensch?

Buchbinder. Jott bewahre! Wer sich des einbildt, täuscht sich äußerst, un es bildt sich ooch fast Keener ein.

Schlosser. Na aber wozu is denn nu ...

Klempner. Stille! Es wird jleich anjehen.

Philologe Bos. Es geht an! (die Hände erhebend.) Götter, ich ....

Funke. (ihn nachahmend.) Ich danke Dir!

Auf der Bühne

Die an der Seite bezeichneten Personen spielen im Auditorium.

 

Antigone.

Ismene, liebes, schwesterlich verwandtes Haupt,
Ist, fortgeerbt von Oedipus, ein Leiden noch,
Das Zeus nicht schon erfüllt in unsrem Leben?
Nein, nichts ist Schmerzenreiches, nichts Verderbliches,
Entehrendes, Schmachvolles mehr, das ich nicht all
In dein' und meinem Herzen sich vollenden sah!
Und heute wieder, welch Gebot verkünden sie.
Das allem Volke nun der Fürst ansagen läßt?
Vernahmst auch Du es, oder ahnst Du nicht.
Was Arges unsern Theuren von den Feinden naht?

Ismene.

Mir wurde keine Kunde mehr, Antigone,
Von unsern Theuren, frohe nicht noch traurige,
Seit wir der Brüder beide sind beraubt,
Die eines Tages starben in vereintem Tod.
Und seit hinweggezogen das Argeierheer,
Von dieser Nacht an höret' ich nichts Anderes,
Und meines Glücks nicht wurde mehr, noch meiner Noth.

Antigone.

Ich ahnte es, drum ließ ich vor des Hauses Thor
Hinaus Dich rufen, daß Du hörest hier allein.

Funke. Drum ließ ich vor des Hauses Thor hinaus Dich rufen, daß Du hörest hier allein. Herrlich, Herrlich! Sehr poetisch!

Ismene.

Was hast Du? Finstre Wolken ziehn auf Deiner Stirn.

Antigone.

O hat ein Grab nicht unsern Brüdern, dieser Kreon,
Vergönnt dem Einen und verwehrt dem Andern?
Eteokles ließ er, so heißt's, dem heilgen Recht,
Der frommen Sitte folgend in der Erde Schooß
Den Todten zur Verherrlichung versenken;
Doch von Polyneikes jammervoll gefallnem Leib
Ist, riefen sie, geboten, daß kein Bürger ihn
Im Grabe bergen, Keiner weinend ehren soll;
Nein, grablos lassen, unbeweint, ein reiches Mahl
Den Vögeln, die schon gier den Raub beschaun.
Dies also, sagt man, sei vom edlen Kreon Dir
Und mir, gewißlich mir auch, laut verkündet,
Und hier erschein' er, allen noch Unkundigen
Es deutlich zu gebieten, und nicht gering
Acht' er die Uebertretung, nein, der Thäter soll
Den Tod der offnen Steinigung erdulden.
Das, Schwester, ist geschehen. Und nun bezeuge,
Ob edel, ob unwürdig Du von Edlen stammst.

Ismene.

Und was, Unsel'ge, wenn es so beschlossen,
Soll ich hinzuthun, lösend oder bindend?

Antigone.

Ob Du die Mühe theilen willst, so frage Dich.

Ismene.

Und welches Unterfangen? Woran denkest Du?

Antigone.

Ob Du den Todten dort mit mir willst ehren?

Ismene.

Ihn wolltest, dem Verbote trotzend, Du begraben?

Antigone.

Ja mir begraben, und auch Dir, wenn Du's verschmähst,
Den Bruder! Niedrig-treulos soll man mich nicht finden.

Ismene.

Verwegne! wenn Dir Kreons Wort entgegen steht?

Antigone.

Er darf mir nicht verwehren, was mein eigen ist.

Ismene.

Du solltest nicht versuchen das Unmögliche.

Antigone.

Wenn so Du redest, dann gehaßt wirst Du von mir,
Und wirst zu wohlverdientem Haß dem Todten sein.
Doch laß mich gehn, und meinen unbedachten Sinn
Das droh'nde Schreckniß dulden. Nicht so Schweres kann
Mir drohen, daß nicht Eines blieb, ein edler Tod.

Ismene.

So, folge Deinem Willen. Eine Thörin zwar,
Doch ächte Freundin Deines Freundes, gehst Du dahin.

Uebrigens hätte ich gar nicht vorzukommen brauchen, denn ich sowohl wie die Königin Eurydike sind in dieser Tragödie ganz unnütze Figuren.

(Beide ab.)

Schlosser. Des is ja aber ein Deutsch, als ob man in einen Rippenbrecher uf die Chaussée vor's Cottbusser Thor fährt, so stuckrig!

Buchbinder. Es existirt keine bessre Uebersetzung. Erstens verstehen die Gelehrten, die so fürchterlich tief in's Jriechenthum jedrungen sind, um den Sophokles übersetzen zu können, nichts von der Schönheit der deutschen Sprache, un zweetens halten sie aus Jründlichkeit und aus hoher Achtung vor dem jriechschen Dichter, die Versmaaße fest, und des stört im Deutschen!

Schlosser. Was sind'n des vor Versmaaße?

Buchbinder. Ja, das kann ich Dir nich sagen. Da haben sich schon die Philologen so schauderhaft mit blamirt, daß ich mir jehorsamst bedanke.

Rentier Buffey. Sagen Se mal, werther Herr Feist, Sie entschuldjen! Dreht sich denn nu des janze Trauerspiel blos darum, daß die Antiejone – (zu Wilhelm) Ne! –, daß die Antiejone ihren Bruder bejrabt un der König des nich haben will?

Buchdrucker Feist. Zu dienen!

Rentier Buffey. Na aber, des is ja ein janz einfaches Pollzeiverbrechen! Da sollte sich der jriechsche Pollzeicomzarjus drum kümmern, aber man nich der König! Wenn des Stoff zu en Trauerspiel is denn konnte ja noch Eener in Berlin ein unsterbliches Trauerspiel schreiben, wo Eener uf de Straße jeroocht hat un nich zwee Dhaler jeden will?

Buchdrucker Feist. Ja aber – Sie müssen sich gefälligst in Griechenland hineindenken, in die griechische Sitte. Sie sind in Griechenland!

Rentier Buffey. Das genirt mir nich. Ich will ein rein menschliches Verbrechen haben, einen rein menschlichen Schmerz.

Buchdrucker Feist. Denn befehlen Sie Ihrem Sohn, daß er Sie mit einer Stecknadel in die Wade sticht.

Rentier Buffey. Wie so?

Chor (allein.)

Strahlende Sonne, du Licht, so schön
Wie die siebenbethorte Stadt,
Theben nimmer zuvor dich sah,
Endlich thatest du froh dich auf,
Wimper des goldenen Tags,
Ueber Dirke's strömende Fluth zu wandeln;
Und den Mann mit leuchtendem Schild,
Der von Argos gewappnet kam,
Scheuchtest du flüchtigen Lautes hinweg
       Mit eilfertigem Zügel;

Den wider das Land Polyneikes uns
Um das streitige Recht zum Kampfe geführt.
Der dem Adeler gleich hellkreischend herein
       Ueber das Land flog.
Von dem Fittig wie Schnee hellleuchtend umschirmt.
       Mit der Rüstungen viel.
       Und viel roßmähnigen Helmen.

Ob den Wohnungen stand er hoch.
Lechzend Mord mit den Lanzen rings
Um den siebenbethorten Mund;
Und floh, eh er des Rachens Gier
Schwelgend in unserem Blut S
ätt'gen mocht', und ehe die Thurmumkränzung
Fichtenbrand des Hephästos fraß.
Also brauset hinter ihm her
Donner des Ares. Den Sieg errang
Schwer der kämpfende Drache.

Schlosser. Na so soll mir doch der Deibel holen, wenn ick von des Zeugs eene Sylbe verstehe! Wer is die Dirke oder der Türke? Wer is der Mann mit dem leuchtenden Schild?

Klempner. Des wird der Friseur Ami de la tête in de Jägerstraße sind. Der hat det Abends so'ne Laterne als Schild.

Schlosser. Wer is Polizeikäs?

Buchbinder. Sie haben sich verhört: Polyneikes!

Schlosser. Wer frißt Thurmumkränzung un Fichtenbrand? Wer is der Kerl, der Ares, un was is des vor'n Donner, den er losläßt? Und wer is der kämpfende Drache? Ne, da wird man ja wahrhaftig janz dämlich von de Jeschichten.

Geheimeräthin Pudel. (zu ihrem Manne.) Wie hat Dir Das gefallen?

Pudel. Himmlisch!

Philologe Bos. Göttlich, göttlich!

Pudel. Die Chöre des Sophokles sind die erhabenste Dichtung alter und neuer Zeit.

Geheimeräthin. Aber ich bin nicht so sehr im alten Griechenland und in der Mythologie bewandert, um sie gut zu verstehen. Erkläre mir doch, was das Alles heißt.

Pudel. Was das heißt? Ja – ich will Dir sagen – ich kann in diesem Augenblicke – man vergißt mit der Zeit – ganz aufrichtig gesagt, ich weiß das Meiste auch nicht recht.

Philologe Bos. (lacht höhnisch.) Ja, ja!

Funke. (zu ihm.) Ob Sie Das zufällig Alles verstanden haben, will ich im Augenblicke nicht untersuchen, obschon Sie sich gewiß ganz erschrecklich blamiren würden, wollte ich examiniren. Soll aber das höhnische Gelächter ausdrücken, als ob Sie mit all dem Mythologischen und Oertlichen, seinen geheimsten Bedeutungen und Beziehungen vertraut wären, so heiß' ich Sie einen unverschämten Lügner. Denn die Ueberlieferungen aus den Alterthum sind so unvollständig und bruchstücksweise auf uns gekommen, Geschichte und Fabel so durcheinandergeworfen, und die Dichter sind so willkürlich mit ihren Göttern und Göttergeschichten verfahren, daß sich nur ein Narr einbilden kann, er habe das volle Verständniß dieser Dichtungen. Ich, zum Beispiel, obschon kein Philologe, wie Sie hören, denn dazu bin ich zu geistreich, habe mich viel mit alter Geschichte und Mythologie beschäftigt und verstehe sicher so viel wie Sie davon, (da ich mit einem Blick mehr erfaße als Sie in vier Jahren) ich lege das Bekenntniß mit Freuden ab, daß das meiste Derartige gleich Wolkenbildern an mir vorüberzieht.

Klempner. (dem Chor zurufend.) Wir verstehen Das nicht! Wir bitten sich gefälligst deutlicher und deutscher auszudrücken!

Rentier Buffey. (schon lange darüber erzürnt, daß ihm wahrscheinlich die größten Schönheiten der Dichtung entgehen, faßt sich ebenfalls ein Herz und ruft hinauf.) Ja, meine Herren Choristen, Sie entschuldjen: wir verstehen Des nich; wir haben keinen Bejriff davon, nennt man Des! Wir bitten jefälligst, sich jehorsamst deutschlicher und deutcher auszudrücken! (Allgemeines Gelächter.) Wollt'ich sagen: deutschicher und deutler! (wüthend) deutscher und deutlicher wollt' ich sagen. Sie entschuldjen!

Mehrere Stimmen. Ja, deutscher und deutlicher!

Chor.

Deutsches, griechischer Sprache Vor- und Nachwelt be-
Siegende Schönheit nicht verstehendes Publikum,
Wir sind gleich der Kyllenegeborenen Hermes
Jüngestes stillmeckernd menschenwollbekleidendes Schaf schuldlos.
Daß erschienen nun sind vor euch wir. –
Denn nicht für der Staatssysteme stachliches Häkelwort,
Nicht für der Zeiten kluge Vorgerückkheit,
       Gab der bienensüßberedete Sophokles,
       Halons Priester, das Wort uns!

Doch sieh, schon naht des Menökeus Sohn,
Kreon, der Heimath neu herrschender Fürst,
Durch das neue Geschick, das die Götter gesandt
Und gewiß, ihm bewegen Gedanken den Geist,
Daß er also den Rath der Alten hieher
       Zur Versammlung rief,
       Durch Heroldstimme sie ladend.

Kreon.

Am Tage, Männer, wo die Stadt durch Götterhuld
Aus großen Sturmesnöthen unverletzt ersteht,
Entsandt' ich meine Boten, euch vom Volk allein
Hieher zu laden, wohlgedenk, wie ihr die Macht
Des Thrones achtet immerdar in Laios,
Und wieder, als durch Oedipus die Stadt erstand,
Und dann, als dieser unterging, den Söhnen noch
In treuem Sinne wandellos ergeben war.
Nun da Dieselben in vereintem Tod zugleich
An einem Tag hinstarben, beid' Erschlagend' und
Erschlagne, durch des Wechselmords unheilge That;
Ward mir die Macht nun .....

Schauspieler Carlos. (Kreon unterbrechend, zu ihm hinauf.) Wir bitten Sie ehrerbietigst, uns nicht zu langweilen; uns nicht dieselben Dinge in derselben Tragödie zu erzählen, welche wir bereits vor fünf Minuten zur Genüge kennen lernten. Ich weiß Sie haben noch, der Vorschrift des Dichter zufolge, einen sehr langen und prosaischen Befehl mit dem ermüdenden farblosen, alle Wahrheit und alles frische Leben erstickenden griechischen Pathos vorzutragen. Allein wir bitten Sie flehentlichst um Amnestie. Erlassen Sie uns diese Strafe! Wenn Wiederholungen schon in genere ein große dramatischer Fehler, so tritt dieser bei Ihnen um so greller hervor, da Sie sich obenein äußerst tautologisch auszudrucken belieben. Denn wenn Zwei eines vereinten Todes sterben, so sterben sie auch zugleich, und auch an einem Tage, und wenn dies durch Wechselmord geschieht, so sind auch Beid' Erschlagend' und Erschlagene. Und wenn Sie den Satz beginnen: Nun, da Dieselben starben, so dürfen Sie nicht das Nun wiederholen und schließen, ward mir die Macht nun. Sie werden zwar sagen, Sie seien Grieche und hätten sich nicht um deutsches Denken und Fühlen zu kümmern; allein was einem todten griechischen König, und wahrscheinlich einem fabelhaften, Recht ist, ist sicher einem lebenden Berliner Künstler billig. Ich lebe 1841 und ich will auch mit 1841 fühlen und denken. Könnt' ich meiner Zeit vorausfliegen, ich thät's; zurück griech' und kriech' ich in keinem Falle.

Rezensent Ungethüm. Wie, Sie wollen also nur Dichtungen aus diesem Jahre?

Dr. Efef. Unsinn! Ich werde ein Gelegenheits-Gedicht auf diesen Unsinn machen.

Schauspieler Carlos. Das wäre eine homöopathische Kur – Meine Herren, Sie sind Beide zu bescheiden erschaffen, um mich zu verstehen. Wenn ich sage: ich lebe 1841 und ich will auch mit 1841 fühlen und denken, so begreif' ich darunter natürlicherweise die ganze Bildung unserer Zeit, den geistigen Gewinn vieler Jahrhunderte, die Frucht tausendjähriger Bemühungen, mithin auch die Fähigkeit, mich, so weit es menschenmöglich in frühere Zustände und Denkweisen zu versetzen! Allein, wenn ich so viel für den Dichter thue, verlang' ich von ihm auch ewige Wahrheit, ewige Schönheit. Ich will, wenn ich mich mit aller Entsagung und aller Geisteskraft in den culturlosesten Zustand denke, nicht selber noch zwei Hölzer aneinanderreiben müssen, um endlich einmal Feuer zu bekommen. Damit rühr' ich den Sophokles selbst nicht an, aber – der Lebende hat Recht – ich bestreite, daß uns diese Dichtungen einer ganz abnormen und ganz todten Denkart ergreifen können. Und besonders in diesen scheußlichen Uebersetzungen, die mir immer vorkommen, als sei der griechische Geist eifersüchtig auf unsern deutschen.

Viele Stimmen im Publikum. Bravo, bravo!

Rezensent Ungethüm. Wie dem auch sein mag, die Anregung, die Anregung ist die Hauptsache!

Kreon.

Ward mir die Macht nun und der Königsthron zu Theil,
Dem Nächsten vom Geschlechte der Gefallenen. –
Schwer ist es wahrlich, in ……

Schauspieler Carlos. (aufstehend.) Warten Sie gefälligst ein wenig! (Zum Publikum.) Um Sie, meine Damen und Herren, recht lebhaft für die ewigjunge Schönheit dieser griechischen Tragödie interessiren zu machen, erlauben Sie mir, Ihnen eine Stelle aus der Braut von Messina von dem gemeinen deutschen Dichter Schiller zu recitiren. Der Chor spricht wechselseitig: (Er ragt das Nachfolgende mit tiefsten Gefühl und allem Aufwande seiner Kunst vor.)

Sage, was werden wir setzt beginnen,
Da die Fürsten ruhen vom Streit,
Auszufüllen die Leere der Stunden,
Und die lange unendliche Zeit?
Etwas fürchten und hoffen und sorgen,
Muß der Mensch für den kommenden Morgen,
Daß er die Schwere des Daseins ertrage,
Und das ermüdende Gleichmaß der Tage
Und mit erfrischendem Windesweben
Kräuselnd bewege das stockende Leben.

Schön ist der Friede! Ein lieblicher Knabe
Liegt er gelagert am ruhigen Bach,
Und die hüpfenden Lämmer grasen,
Lustig um ihn auf dem sonnigen Rasen;
Süßes Tönen entlockt er der Flöte,
Und das Echo des Berges wird wach,
Oder im Schimmer der Abendröthe
Wiegt ihn in Schlummer der murmelnde Bach –
Aber der Krieg auch hat seine Ehre,
Der Beweger des Menschengeschicks,
Mir gefällt ein lebendiges Leben,
Mir ein ewiges Schwanken, und Schwingen und Schweben
Auf der steigenden, fallenden Welle des Glücks.

Denn der Mensch verkümmert im Frieden;
Müßige Ruh ist das Grab des Muths.
Das Gesetz ist der Freund der Schwachen,
Alles will es nur eben machen.
Möchte gern die Welt verflachen;
Aber der Krieg laßt die Kraft erscheinen,
Alles erhebt er zum Ungemeinen,
Selber dem Feigen erzeugt er den Muth.

Stehen nicht Amors Tempel offen?
Wallet nicht zu dem Schönen die Welt?
Da ist das Fürchten! Da ist das Hoffen;
König ist hier, wer dem Auge gefällt!
Auch die Liede beweget das Leben,
Daß sich die graulichen Farben erheben.
Reizend betrügt sie die glücklichen Jahre,
Die gefällige Tochter des Schaums;
In das Gemeine und Traurigwahre
Webt sie die Bilder des goldenen Traums.

        Oder wenn er spricht:

Durch die Straßen der Städte,
Vom Jammer gefolget.
Schreitet das Unglück –
Lauernd umschleicht es
Die Häuser der Menschen,
Heute an dieser
Pforte pocht es,
Morgen an jener,
Aber noch Keinen hat es verschont.
Die unerwünschte,
Schmerzliche Botschaft,
Früher oder später,
Bestellt es an jeder
Schwelle, wo ein Lebendiger wohnt.
Wenn die Blätter fallen
Zudes Jahres Kreise,
Wenn zum Grabe wallen
Entnervte Greise,
Da gehorcht die Natur
Ruhig nur
Ihrem alten Gesetze,
Ihrem ewigen Brauch,
Da ist nichts, was den Menschen entsetze!
Aber das Ungeheure auch
Lerne erwarten im irdischen Leben!
Mit gewaltsamer Hand
Löset der Mord auch das heiligste Band-
In sein stygisches Boot
Raffet der Tod
Auch der Jugend blühendes Leben!

Wenn die Wolken gethürmt den Himmel schwärzen.
Wenn dumpftosend der Donner hallt.
Da, da fühlen sich alle Herzen
In des furchtbaren Schicksals Gewalt.
Aber auch aus entwölkter Höhe
Kann der zündende Donner schlagen;
Darum in deinen fröhligen Tagen
Fürchte des Unglücks tückische Nähe!
Nicht an die Güter hänge dein Herz,
Die das Leben vergänglich zieren
Wer besitzt, der lerne verlieren;
Wer im Glück ist, der lerne den Schmerz!

(Tiefe Pause; Alles ist erschüttert.)

Nun, meine Damen und Herren, dieß sind nur zwei Tropfen aus dem Goldstrome einer Schiller'schen Dichtung; diese Musik des Geistes sind nur zwei Töne aus einer harmonischen Schöpfung, deren Schöpfer so hoch erhaben über das ganze dramatische Alterthum hinausragt, daß es nicht zu ihm hinaufsehen könnte, und hätte es das Stroh aus den Gehirnen aller deutschen Stubengelehrten unter sich!

Mehrere Stimmen. (im Enthusiasmus.) Hinunter mit den Griechen! Hinunter mit den Griechen! Hoch lebe unser Schiller, unser Göthe!

Eine Stimme. Unser Lessing! Denn hätte ein Dichter des Alterthums einen »Nathan der Weise« geschaffen, noch heute würden die Philologen schreien: Das konnte auch nur ein Grieche, das bringt keine Zeit und kein Sterblicher mehr zu Wege!

Eine andere Stimme. Hinunter mit den Griechen! Das heißt nur deutsche große Entwicklung aufhalten!

Kreon.

(der unterdessen weiter gesprochen.)

So ist es nun mein Wille. Niemals wird von mir
Des Guten Ehrenlohn empfahn der Schuldige;
Doch wer es wohlmeint mit der Stadt, der wird, im Tod
So wie im Leben, stets von mir geehret sein.

Chor.

Dir so gefällt es, Kreon, o Menökeus Sohn,
Hier mit dem Gegner, dorten mit dem Freund der Stadt;
Und Recht zu üben und Gesetz, ist nun der Dir,
So an den Todten, wie an uns den Lebenden.

Kreon.

So möget ihr nun Hüter der Gebote sein.

Chor.

Dem jüngern Manne lege dies zu tragen auf.

Kreon.

Es ist bestellt schon, wer des Todten hüten soll.

Chor.

Was einem Andern also noch befiehlst Du an?

Kreon.

Den Übertretern des Gebots zu widerstehn.

Schlosser. Noch 'mal! Ne, des is ja aber schrecklich langweilig! Nu hören wir schon 'ne halbe Stunde lang weiter nischt, als den »Königsbefehl.«

Chor.

Wo ist der Thor, den nach dem Tod gelüstete?

Kreon.

Und wahrlich dieser ist der Lohn.
Doch Manchen wohl
Zog Geldgewinn schon lockend in den Untergang.

Philolog Bos. (ist eingeschlafen und schnarcht.)

(Wächter. Vorige.)

Wächter.

O Herr, ich darf nicht sagen, daß die Eile mich
Auf leichten Füßen athemlos hiehergeführt.
Mit banger Sorgen Zögerung hielt oft ich an,
Und oft zur Umkehr wandt' ich auf dem Wege mich.
Denn immer warnend rief mir so die Seele zu:
Du gehst, Unsel'ger, wo die Strafe deiner harrt? –
So bleibst du, Aermster? – (spricht weiter)

Klempner. Wer ist den der Kerl?

Buchbinder. Des is der Wächter. Er stammt aus einer alten griechischen Familie und heißt Meier, Lehmanns Sohn.

Schlosser. Der Wächter is des? (er schreit hinauf) Wächter! Wächter! Wächterrr! Hier schnarcht en Philologe, der will zu Hause. Langen Se mal den Schlüssel raus, Wächter!

Buchbinder, (eben so.) Sie kriegen auch en Silberjroschen, davor können Sie einen jriechschen Bittern drinken.

Wächter.

Und böse Worte schallen bald im Wechselstreit,
Und Wächter zieht den Wächter; leicht auch endete
Die Faust den Hader, Keiner war zu wehren da;
Denn Jeder war hier selber der Beschuldigte,
Doch unerweisbar durch die Dunkelheit der That.

Schlosser. Der Kerl spricht eben so gelehrt wie der König und das Chor der Rache. Und dabei erzählt er doch, wie er sich mit seine Kammraden geschimpft un jekeilt hat. Er hat müssen ufpassen, daß der, wie heeßt er jleich, der Pelleneikäse nich bejraben wird, mithin is er entweder ein Zergant oder ein Alterthumsgensd'arm, un die sind bei uns viel anständiger.

Klempner. Wenn ick man eijentlich erst wüßte, was des Chor vor Leute sind. Looften denn Die immer so in Jriechenland uf der Straße rum, un hatten nischt zu dhun?

Buchbinder. Ne se hatten weiter nischt zu dhun als zu philosophiren. Den janzen ausjeschlagenen Tag liefen se uf de jriechsche Straßen umher, un sowie ihnen Eener wat erzählte, so machten se jleich 'ne ernste Miene un philosophirten über die jewöhnlichsten Dinge Jott un de Welt zusammen. Un des jing Alles so in einen jewissen Tact, den wir vor Verse un Musik halten, weßhalb denn ooch unsere Currende entstand. Was jetzt de Currende is, des war im Alterthum des Chor.

Schlosser. Ne hör 'mal, Bruder, Du irrst Dir. Des is hier der Rath der Alten: Dieser Chor stellt eijentlich des jriechsche Ministerium vor. Des lief damals uf de Straße rum.

Klempner. Was mir überjens am meisten vom Chor wunderte, war des, daß er selber sagt, er sey zu alt, un der König sollte sich an die Jüngeren wenden. Des is 'ne Tugend, die in den spätern Jahrhunderten nich ofte vorjekommen is. Wenn da en König lauter Alten um sich versammelte, die nischt mehr nützen konnten, denn kamen se janz jemüthlich an, nahmen ihr Kies, un ließen sich's nich de Spur einfallen, dem König zu sagen, er möge sich an die kräftijere Jugend wenden.

Dr. Efef, (leise zu Ungethüm.) Hören Sie, mein Lieber, Guter, unter uns gesagt, mich langweilt diese Antigone auch ungemein. Aber das hindert mich gar nicht, ihre Wiedergeburt zu preisen; ich mache jedenfalls ein Gelegenheitsgedicht darauf. Vielleicht nach der Melodie: Frisch auf zum fröhlichen Jagen!

Rezensent Ungethüm. (die Hand vor den Mund haltend, im Gähnen.) Die Anregung, die Anregung ist die Hauptsache!

Rentier Buffey. (zu Feist.) Sie entschuldjen: Ich habe vor den Spektakel nich Allens verstehen können, was da oben in Jriechenland vorjejangen is. Wenn ich mir nich irre, daß ich die Vorjänge verwechsle, so is An tiejone mit den Kronprinzen von Thebe verlobt un der König, ihr künftiger Schwiejervater, will ihr doch nich bejnadijen. Wie?

Buchdrucker Feist. So ist es und weiter ist auch Nichts geschehen. Sie müssen übrigens dem König Kreon seinen lächerlichen Eigensinn verzeihen: Es ist ein dramatischer Eigensinn. Da das Schicksal in keiner größern und schöneren Weise über ihn kommen will, so benutzt er das Verbot, um den Untergang seines Hauses herbeizuführen. So eben streiten sich Vater und Sohn; hören wir ein wenig. Es ist nicht ganz uninteressant, so einen altgriechischen Familiendisput kennen zu lernen.

Hämon.

Mein Vater, Dich in ungetrübtem Glück zu sehn,
Ist werth und köstlich über alle Schätze mir.
Was ist dem Sohne stolzre Lust als Vaters Heil,
Und was dem Vater, als des Kindes blühend Glück!
O trage nicht beharrlich nur den Einen Sinn,
Daß, so wie du willst, anders nicht, das Rechte sei.

Buchbinder. Wie kann der Hämon nur so was sagen! Er blamirt sich. Denn des sind allens taube Kerne aus dem verdorrten Kürbis der Platenschen Philosophie; die hat den Jriechen so'n Keckschoßereien ufschwadronirt. Der Hämon hät's gescheidter gemacht, wenn er unser Berlinsches Wochenblatt, seliges, studirt hätte; da stand es Schwarz auf Weiß, daß die Göttin des Rechts en Waschweib is, die mit ihrem Wassereimer des Recht nur aus enem enzigen Brunnen schöpft.

Kreon.

So soll die Stadt mir sagen, wie ich herrschen muß?

Hämon.

Sieh nun, wie sprachst du nur zu sehr dem Jüngling gleich!

Kreon.

Gebeut ein Andrer, oder ich, in diesem Land?

Hämon.

Die Eines Mannes wird genannt, ist keine Stadt.

Kreon.

Wird dessen, der sie lenket, nicht die Stadt geschätzt?

Hämon.

In einer Wüste berrschlest du nach Wunsch allein.

Schlosser. (hinaufrufend.) Hör'n Se mal, Herr König Kreon, da hat Ihr Sohn ganz Recht, und Se haben Unrecht, wenn Se und da ufschwatzen wolln, Se wären als Stadt da. Wir sind in de Komödie gekommen, Se als Herrn König Kreon zu hören. Wenn Se aber wolln 'ne Stadt sind, so lassn Se sich gefälligst vorher von Ihrem Hostapezirer en Bisken ufpriparören, damit man's sieht, Se haben de janze Stadt eingenommen, müssen sich aber och gefallen lassen, daß wir Se Mittwochs und Sonnabends hübsch kehren.

Buchbinder. Ja!

Schlosser. (zu Hämon.) Sie da, junger Herr, sprechen Se »ich so aus junghegelscher Schule, wenn Se nich verboten seyn wollen. Sophoklessen kann man wohl so wat erloben, denn er war ein alter Mann und schrieb uf Jriechisch, aber die deutsche Sprache verträgt solche gewöhnliche Sachen, die Jeder weß, nich. Des merken Se sich, denn Se kennen unser Volk noch nicht.

Klempner. Herrjees, wer kommt'n da nach Jriechenland? Wer is'n des, der da eben uf de Bühne tritt? Der hat ja janz orndt'liche Hosen un en Leibrock an?

Schlosser. Des is en Sophoklesscher Jrieche: Den friert hier.

Buchbinder. I Jott bewahre, den kenn' ich janz jnau. Das is der Neujrieche Piefke. Eijentlich is er adlig, denn sein Jeschlecht reicht weit runter, er hat 'ne Unmasse Ahnen, aber er is nich so'n Theekessel, darus wat zu jeben. Denn wir sind Alle nich aus de Wolken jefallen. Jrjend en Vater hat jeder Vater un Sohn jehabt, un wer sich auf seine Vorfahren un auf seine Jeburt beruft, der beweist blos, daß er an sich zu dumm oder zu schlecht is, um sich selber Achtung zu verschaffen.

Klempner. Wo stammt denn der Neujrieche Piefke her?

Buchbinder. Der Ahnherr seines Hauses jing in Athen mit saure Jurken umher, besonders bei'm Theater, wenn en Stück von Aristophanes jejeben wurde, der Alles, Fürsten un Volk un Jelehrte mit der freisten, unjezügelsten Satyre anjreifen durfte. Da brauchte denn mancher Jrieche Stärkung un aß 'ne saure Jurke. Piefke ist aber schon lange in Berlin.

Klempner. Warum hat er denn aber so'n schönes Land wie das Jriechenland verlassen?

Buchbinder. Er hat in die jriechsche Zeitung jelesen, des de Comödienschreiber bei uns Allens sagen dürfen, wat se denken und nich denken, un deßwegen jejlobt, hier wachsen der Aristophanesse so vülle, wie de Spatze unter'm Himmel, un er könne hier den Jurkenhandel seines Urjroßvaters, seligen, wieder ufnehmen und in's Jroße treiben. Aber er hat sich geschnitten. De Comödienschreiber handeln bei uns selber mit de saure Jurken, se bringen se mit uf's Theater und de Jewerbefreiheit der Büchermacher unterstützt se darin.

Klempner. Wat treibt er denn nun für 'ne Profession? Womit nährt er sich?

Buchbinder. Er hat sich uf's Warten gelegt, und sich ingebildet, wir deutsche Schmetterlinge in gewichsten Steifstiefeln beschöftigten uns vüll zu sehre mit unsre Röcke, Camsöler und Hemde, als des nich noch en Aristophanes käme, der 'n Patent druf nehme, alle Schnürleiber ufzuschneiden un de Strohseile zu zerschneiden, mit denen de Röhrmeisterjunjens de Brunnen im Sommer umwickeln, de helle Sonne abzuhalten. Daruf baut der Piefke sein'n hoffnungsvollen Jurkenhandel.

Funke. (zum Buchbinder.) Bravo! Gesunder Volksverstand! Die Zeit ist nie unfruchtbar, und auch sie wird den Heldengeist gebären, der, wie einst Lessing, allen alten Plunder aus dem Tempel der deutschen Ehre und der deutschen Treue hinausfegt und das dürre Pflanzengestrüpp ausjätet, damit die junge Pflanzenwelt in desto schönerer Blüthe sich entfalte.

Buchbinder. Da oben liegt schon eine vornehme Frau in Ohnmacht. Die gute Frau hat die Mode mitgemacht, versteht aber das Meiste nich, muß das Jähnen unterdrücken, und ist nun durch diese Anstrengung janz matt un schwach jeworden.

Funke. Unsere Frauen sollten sich am meisten gegen die Wiederbelebung des Griechenthums sträuben. Die schüchterne Hoheit, der zarte Edelsinn, die geistige Schönheit des Weibes waren der antiken Welt fremd; im Allgemeinen galt den Alten das Weib nur als oberste Sklavin. Nur dann, wenn es den Kreis der Weiblichkeit verließ, gewann es sich Achtung, oder, um mich gelinder auszudrücken, nur männliche Tugenden verehrte man im Weibe.

Piefke. (kommt mit einem Stuhl aus der Coulisse und setzt sich.)

Eine Flasche Bairisch Bier!

Publikum. Bravo, bravo!

Kreon.

(zum Chor.)

Werft hinaus ihn, den Menschen spätester Zukunft!

Piefke. (die Hand aufhebend.)

Nich de Spur! Komm' mir Eener zu nah, der soll moderne Fäuste fühlen, daß ihm der antike Kopp wackeln soll! Das sind hier die Bretter unser lebendigen Welt; vor Jespenstern fürchten wir uns nich. Wenn sie uns schaden wollen, gehen wir ihnen direct auf den Leib. Wir sind Berliner: bange machen jilt nich!

Kreon.

So sprech' ich nicht weiter das ewige, wichtige Wort!

Piefke.

Se werden schon die Jewogenheit haben müssen; denn das Publikum hat gezahlt, und – merken Sie sich das – wer Geld gibt, hat auch ein Recht zu fordern.

Kreon.

(in der Tragödie fortfahrend.)

Wo in der Oede sich der Menschen Pfad verliert.
Berg ich sie lebend in ein felsentiefes Grab,
Soviel der Speise gebend, als die Sühn' erheischt, –
Daß Schuldbefleckung werde nicht der Stadt.
Und dort von Hades, welchen Gott allein sie ehrt,
Mag sie Befreiung sich erflehn aus diesem Tod;
Oder sie erkenn' es endlich dann, daß man fürwahr
Mit unbelohnter Sorge die Gestorbnen ehrt.

(Ab in den Palast.)

Schlosser, (hinaufrufend.) Wo is' den des, wo die Antijone hinkommen soll?

Piefke.

Sie hören's ja: in den dustern Keller!

Schlosser. Da halt' se bleiben sollen.

Philologe Bos. (aus tiefem Schlafe erwachend.) Herrlich! Herrlich!

Funke. Was denn? Was ist denn herrlich?

Philologe Bos. (sich die Augen reibend.) Wie so?

Funke. Aha!

Schlosser. (hinaufrufend.) Wer ist den des, der da eben mit dem jriechschen Jungen an de Hand kommt?

Piefke.

Das ist Herr Teiresias, der blinde Seher!

Schlosser. En blinder Seher? Nu bejreif ich, daß man sich in der Welt noch vor Denen bücken muß, die taube Hörer sind.

Piefke. Die Liebe, die Gerechtigkeit, die Weissagung, Alles blind! Verdammte Welt, die grade da den schwarzen Staar hat, wo man ihr hundert Augen wünschte.

Schlosser. Ne was will' den nanu der Seher?

Piefke.

Dieser Seher sieht ein, daß die Tragödie zu einfach, stofflos und unwirksam bliebe, wenn es mit dem Einspunnen der Antigone im dustern Keller sein Bewenden behielte. Dadrum läßt er sich von dem jriechschen Jungen, den er gewerbsweise hält, zum Könige führen und prophezeit ihm, daß er aus eijnem Blute eine Leiche für die Leiche der Antigone hingeben müsse. Das geschieht. Antigone hängt sich im dustern Keller an ihres Schleiers zartem Bande auf, Hämon ersticht sich neben ihr, darauf kommt seine Mutter, die Königin, und stellt sich dem Publikum nur mit zehn Worten vor, da sie gar keine Zeit hat und sich sogleich erdolchen muß. Ismene bringt sich höchst wahrscheinlich auch um, und Kreon läßt sich zum Schlusse von seinen Dienern dem Selbstmorde entgegenführen, (sich vor dem Publikum verbeugend.) Wenn Sie befehlen, will ich meinem Leben ebenfalls ein Ende machen. Indessen schmeichle ich mir mit der angehnehmen Hoffnung, daß Sie um Nichts und wieder Nichts des Blutes genug haben, und die Rachegötter versöhnt herniederschauen werden.

Publikum. (lachend.) Ja! Sie sind gesund, Sie bleiben leben!

Piefke.

Das einzige Tragische an dieser Tragödie ist, daß der Chor leben bleibt. Da der Schrecken, wie Aristoteles Uns berichtet, ein Haupt-Element der antiken Tragödie war, so dürfte man es eine der größten ästhetischen Schönheiten nennen, wenn diese weis- und weißköpfigen Männer plötzlich alle vom Schlagflusse getroffen würden, denn so wäre der Schrecken zugleich plastisch gegeben. Wie die Tragödie schließt, bleibt uns das höchst unbehagliche Gefühl des Zweifels, was der herrscherlose Chor ferner beginnen, über welche Begebenheit er seine schüchternen Glossen, Wem et künftighin zaghaft rathen und Wen warnen wird. – Indessen wollen wir bei dieser Wendung annehmen, daß der große Sophokles schon die erweiterte, freiere, höhere Weltanschauung und die reichere Erfahrung hatte, welche wir besitzen. Diese tragische Beruhigung nehmen wir mit nach Hause. Hören Sie nun gefälligst weiter, wie sich die beede, Herr Kreon und der Prophet runter machen.

Teiresias. (zu Kreon.)

Du schmähest, der Du Lüge mein Weissagen nennst.

Kreon.

Ist doch das ganze Sehervolk dem Golde Freund.

Teiresias.

Und schnöder Habsucht Freund ist der Tyrannen Stamm.

Schlosser. Die sagen sich aber artije Wahrheiten.

Teiresias. (zu Kreon.)

Du aber wisse Dieses, daß die Sonne
Dir Nicht viel der Umlaufsbahnen mehr vollenden wird.
Bis aus dem eignen Blute selbst zur Sühne bald
Für Leichen eine Leiche Du hingeben wirst,
Daß Du hinabgestoßen, was des Lichtes war,
Ein Leben schmählich nieder in die Gruft verbannt,
Und dort den untern Mächten den entweiheten,
Des Grabs beraubten todten Leib entzogen hast.
So war es Dein nicht würdig, noch der himmlischen
Gottheiten; nein Verhaßtes dringst Du ihnen auf.
Drum lauern Dein schon die der Schuld nachschreitenden
Verderber, Hades und der Gitter Erinnyen,
Dich alsobald zu fassen in der Uebelthat. – Und siehe zu nun .....

Schlosser. Wie schön das jeradebrechte Deutsch, diese ewijen verworrnen un unverständlichen Jötterjeschichten, un diese Jleichheit aller Personen sich macht! Mir soll der Deibel holen, wenn ich die jeringste andere Empfindung, als die jrößte Langeweile dabei habe.

Schauspieler Carlos. Diese Gleichheit aller Charaktere in Denkart und Ausdrucksweise, dieser ideale Dunstkreis, aus dem die ganze antike Tragödie ruht, ist, was auch die klugen Philologen sagen mögen, die Unbeholfenheit früher dramatischer Produktion. Wenn man daher den Griechen auch ihr plumpes, tölpelhaftes Schicksal nachsehen muß, das alle Knoten unmotivirt schürzt und löst, so bleibt jene Monotonie doch ihr Fehler. Denn eben im Unterschiede liegt alles dramatische Leben, nur im Unterschiede liegt die Wahrheit.

Philologe Bos. Es war eine schönere, höhere Wahrheit. O!

Schauspieler Carlos. Unsinn! Jede schönere Wahrheit muß vor Allem erst gemeine, das heißt wirkliche Wahrheit seyn. Denn erst, durch passende Form, durch den Inhalt, durch poetische Phantasie, Humor, Satyre, Gedankenreichthum, Tendenz muß sie sich in sich selbst zum Kunstwerk veredeln. Jeder Geist muß, so zu sagen, einen Körper der Wahrheit haben. Und komme mir Keiner damit, zu entgegnen, die griechischen Dichter mußten das Individuelle mehr ausgleichen, da sie den Menschen im Conflikt mit den Göttern, mit ihrem plumpen Schicksal schildern wollten. – Phrase, Worte, nichts als Worte! Nur durch die Menschen kann man den Menschen schildern.

Teiresias.

Der engste Raum der Zeit erwecket hier
Der Männer, Frauen Klageruf in Deinem Haus;
Und feindlich rührt sich jede Stadt, die hier zerfleischt
Von Hunden und Raubthieren ihre Leichen sieht
Entweihn, und Vögeln, die den Hauch entheil'gender
Verwesung tragen in die heerderfüllte Stadt. –
So send' ich, denn ich hasse Dich, dem Schützen gleich,
Auf Dich im Zorne meiner Brust die sicheren
Geschosse, deren Gluth Du nicht entrinnen wirst. –
O Knabe, führe mich zurück zu meinem Haus,
Daß seines Zorns er sich entlad' auf Jüngere.
Und lehre seine Zunge sein friedfertiger,
Und bessren Rathes seinen Sinn, als nun er trägt.

(Ab mit dem Knaben.)

Piefke.

Nun geben Sie Acht, meine Herrschaften, wie dieser Kreon plötzlich umsattelt.

Chor.

Der Mann, o Herr, ging grauenvoll weissagend hin; Wir wissen aber, schon so lang mit weißen mir Statt dunkler Locken so das Haupt umkleidet ist, Daß nie ein Trug noch zu der Stadt von ihm erscholl.

Kreon.

Das mahnt mich selber und erschüttert mir den Sinn,
Schwer ist es, weichen, doch den unbeugsamen Muth
Bedroht das Unheil schrecklich schon mit nahem Schlag.

Chor.

Ein weiser Rath nun, o Menökeus Sohn, ist Noth.

Kreon.

Was muß geschehen? Sag' es, ich gehorche Dir.

Publikum. (lacht.)

Chor.

Entlaß' die Jungfrau aus dem unterirdischen
Gemach, und gieb dem hingestreckten Mann ein Grab.

Kreon.

Dieß achtest gut Du, rächest so zu weichen mir?

Chor.

O eile nur, mein König. Der Unsterblichen
Schnellfüß'ge Wehen holen bald den Frevler ein.

Kreon.

Weh! Kaum vermag ich's! Doch der Muth entsinket mir.
So sey's. Ich meide mit der Noth den schweren Kampf.

Publikum. (lacht und trommelt.)

Buchbinder. Ein hörrlicher Charakter! Erst schimpft' er den Propheten, sagt ihm in's Gesicht, daß er sich hat bestechen lassen, un zwee Minuten später jibt er kleen bei! Wenn dergleichen ein lebender Deutscher jeschrieben hätte, das Stück würde schrecklich ausjetrommelt.

Schlosser. Ich jloobe noch jar nich, daß der Kreon so jewesen is. Er stellt sich wahrscheinlich blos den Sophokles zu Liebe so memmig, damit des verbotene Leichenbejräbniß en Trauerspiel, un nich 'ne bloße Stadtvoigteijeschichte wird.

Kreon.

Zur Stunde gleich enteil' ich. Auf, ihr Diener, auf,
Die nahe sind und ferne! Folgt mit Beilen mir
In Händen eilig zu dem weitgesehnen Ort.

Publikum. (trommelt stärker.)

Ich selber, nun sich also mir der Sinn gewandt,
Der sie gebunden, komme nun zu lösen sie,
Denn ach mir banget, ob es nicht das Beste sei,
Altheilge Sitten ehren all sein Leben lang.

Publikum. (trommelt und pfeift heftig.) Hinunter mit den Griechen!

Philologe Bos. (applaudirt und brüllt.) Bravo, bravo, bravo!

Piefke. (zum davoneilenden Kreon.)

Empfehl' mich Ihnen gehorsamst, Herr Rott! Gehen Sie jefälligst nich nach dem dustern Keller; Sie finden Madam Crelinger nicht mehr da. Diese ächte Antigone hängt bereits nicht sich, sondern das Alterthum an den Nagel; sie kleidet sich in der Garderobe um, streift den Pathos ab und wird natürlich. Folgen Sie meinem Rathe, Herr Rott! Wenn Sie nachher mit Herrn Grua auf dem Arme vorkämen .... (hinunterdeutend) Sir hören: das Jugendthum wird störend!

(Allgemeines Gelächter, dann fürchterliches Pfeifen und Pochen.)

Publikum. Hinunter mit den Griechen!

Beamter. (auf eine Parquetbank steigend, winkt, daß man ihn hören möge.) Ich bitte um Ruhe!

Schlosser. (weiter pochend.) Legen Se sich zu Bette!

Beamter. (schreit.) Man lasse mich sprechen! Mein Ansehen, meine Stellung, meine Geburt fordern Achtung! Ich habe über zwanzig Ahnen!

(Das Pfeifen und Pochen wird immer stärker.)

Schlosser. So? Na det schadt nischt! (tüchtig pochend.) Rrrr! Deßhalb kommen Se doch nich zum Reden! Rrrrrrrr!!!

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Publikum. (unter großem Lärmen.) Hinunter mit den Griechen!

Beamter. (durchschreiend.) Thörichtes Volk! Ehre das heilige, das große Alterthum! Ehre die alte, hergebrachte Unantastbarkeit dieser Meisterschöpfungen! Lade solche Schmach, daß Du die Antigone ausgetrommelt, nicht vor den Augen der ganzen civilisirten Welt auf Dich!

Schlosser. Du hast uns jar nischt zu sagen! (trommelt.) Rrrrrr!

Beamter. Du verstehst das Stück nicht! Im ganzen Auditorium sind kaum Vier Personen, die Alles darin verstehen!

Philologe Bos. Nicht Zwei!

Publikum. (unter fürchterlichem Toben durch einander.) Die Zwei sollen sich das Stück allein vorspielen lassen! Wir wollen uns nicht langweilen! Wir wollen überhaupt kein Alterthum, wir wollen ein Jugendthum!!! Rrrrrr!

Funke. Sophokles ist für seine Zeit ein großer Dichter gewesen! Für uns ist er es nicht! (mit Enthusiasmus.) Shakspeare, Schiller, Lessing, Göthe, sie leben hoch!

Publikum. Hoch! Und abermals hoch! Und zum dritten Male: Hoch!

Philologe Bos. (Im Gehen.) Schmach! Schmach!

Funke. (Zu einem Freunde.) Kommen Sie mit in's Weinhaus, Lieber! Da sitzen jeden Abend mehrere Philologen; wir wollen uns an ihrem Aerger weiden; ihre Galle soll mir den schlechten Wein süßen. Sie werden freilich sagen, ich verstände Nichts, ich hätte kein Urtheil über diese Dinge. Aber Das denkt, spricht, schreibt jeder Gelehrter vom andern. Am Ende haben sie Alle Recht. Am End' weiß Keiner nix.

Mad. Crelinger. (zum Publikum, nachdem es sich nach und nach beruhigt.)

So sehr die Künstler dieser Bühne sich Mühe gegeben haben, ihre schwierigen Aufgaben auf das Beste zu lösen, müssen dieselben doch nothgedrungen den Grund des lauten Unwillens eines hochverehrten Publikums in ihrer ungenügenden Darstellung finden. Denn daß jener Unwille dem Meisterwerke des größten dramatischen Dichters gelten könne, ist nicht wohl anzunehmen. Wie dem aber auch sei, bin ich Sie zu ersuchen beauftragt, die Meldung dieses (auf einen Gensd'armes deutend) Herrn Beamten anzuhören.

Gensd'arm.

Uebermorgen wird auf dieser Bühne dargestellt: Antigone, Tragödie von Sophokles.

(Tiefe Stille. Das Publikum verläßt das Haus.)

Piefke.

(singt, während langsam der Vorhang fällt, sehr gemüthlich von der Bühne herab.)

Sie sollen ihn. Sie sollen ihn,
Sie sollen ihn nicht haben,
Den freien deutschen,
Deutschen freien Rhein!


Druck von W. Semmler in Halle.

 


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