Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Titelblatt

XXVI. Heft.
Verein der Habenichtse
für
sittliche Bildung der höhern Stände

Mit einem colorirten Titelkupfer von Th. Hosemann.

Leipzig, 1847.

Verlag von Ignaz Jackowitz.

.

Verein der Habenichtse
für
sittliche Bildung der höhern Stände.


Personen:

Der Vater
Der Bruder
Der Freund
der Gesellschaft.
Druff, Schuhmacher,
Steche, Schneider,
Baron von Nihil,
Schwerenoth, Weber,
Drohse, Tagelöhner,
Schwüle, früher Theologe,
Frischer,
Jesicke, Barbier,
Hiob, der Wirth,
Mitmenschen.
Mehrere Mitmenschen.  
Ein Bursche.  

Die Scene spielt in einem matt erleuchteten Saale
vor dem Hamburger Thore. In der Mitte des Saales
liegt eine leere Tonne, in welcher eine Laterne brennt.


Sämmtliche Mitmenschen (stehen, den linken Arm trotzig in die Seite gestemmt, in einem Halbkreise).

Der Vater. Bruder, sind wir beisammen?

Der Bruder. Wir sind beisammen.

Der Vater. Sind wir ein Verein?

Der Bruder. Ne!

Der Vater. Warum nicht?

Der Bruder. Weil es keinen einzelnen Verein gibt.

Der Vater. Freund, wie nennen wir uns?

Der Freund. Habenichtse.

Der Vater. Warum?

Der Freund. Weil wir gerecht und ehrlich sind.

Der Vater. Wie sprechen wir?

Der Freund. Hochdeutsch un Berlinisch.

Der Vater. Warum?

Der Freund. Weil wir für Alle sprechen.

Der Vater. Bruder, was sind wir?

Der Bruder. Narren.

Der Vater. Warum?

Der Bruder. Weil wir nich klug sind, sondern weise.

Der Vater. Was ist weise?

Der Bruder. Oben ist unten, unten ist oben.

Der Vater. Freund, wie alt is die Welt?

Der Freund. So alt wie wir.

Der Vater. Warum?

Der Freund. Weil wir die frühere Welt verachten.

Der Vater. Weshalb verachten wir die frühere Welt?

Der Freund (schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Sämmtliche Mitmenschen thun dasselbe.).

Der Vater. Bruder, wem gehört die Welt?

Der Bruder. Den Leuten und uns.

Der Vater. Wer sind die Leute?

Der Bruder. Die Andern.

Der Vater. Warum kommen sie nicht zu uns?

Der Bruder. Weil sie verdorben sind.

Der Vater. Freund, wann werden die Leute kommen?

Der Freund. Sobald sie Menschen geworden.

Der Vater. Wollen wir ihnen helfen?

Der Freund (schlägt an sein Herz. Sämmtliche Mitmenschen thun dasselbe.).

Der Vater. Mit wem beginnen wir unser Werk?

Der Freund. Mit Gott.

Der Vater. Bruder, was ist Gott?

Der Bruder. Die Liebe der Vernunft, die Vernunft der Kraft, die Kraft der Liebe.

Der Vater. Freund, wie steht heut die Welt aus?

Der Freund. Grau.

Der Vater. Bruder, wie wird morgen die Welt aussehen?

Der Bruder. Grün.

(Lange Pause.)

Der Vater. So, nanu kann unsre Narrheit losjehen. Hiob, ein Jlas Weißbier! (Alle setzen sich.)

Druff. Mir ooch, Mitmensch!

Jesicke. Ich wünsche man eine halbe kühle Blonde. Davor wirst Du zwee Mal von mir barbiert, Mitmensch.

Mehrere Mitmenschen. Mir auch Weißbier? Ein Butterbrod! Einen Wachholder!

Hiob. Mitmenschen! (Stemmt den linken Arm in die Seite.) Sämmtliche Weißbier-, Butterbrod- und Wachholder-Pflichten sollen von mir augenblicklich erfüllt werden! (Läuft eiligst zur Thür hinaus.)

Baron von Nihil. Es ist sehr jeistreich von uns, deß wir sojleich an die Nahrung denken.

Frischer. Falsch ausgedrückt, welker Zweig eines alten Stammbaums! Wir brauchen nicht an die Nahrung zu denken, sie denkt an uns.

Der Hunger und der Durst sind zwei Schmarotzer, die uns keine zwölf Stunden in Ruhe lassen. Man muß sie behandeln wie deutsche Demagogen, denn sie sind eben so dumm. Zuerst wollen sie lauter Braten, Kuchen, Wein und Likör haben, aber wenn man sie recht lange zappeln läßt, sind sie seelenvergnügt, wenn man ihnen Brod und Wasser vorsetzt.

Schwerenoth. Aber wenn sie nu ooch Des nich kriegen!

Frischer. Ach was, die Kerle können kriegen, was sie haben wollen: auf den Feldern wächst Brod und Kuchen, im Wald ist Wildbraten, im Fluß sind Fische, am Meer Austern, und Trauben wachsen mehr auf der Welt als Hände. Aber wenn die Kerle zu dumm sind, zuzugreifen, so laß' sie crepiren, schneidernder Mitmensch! An dem Tage, an welchem der Hunger und der Durst sterben, wird die Welt tugendhaft.

Schwüle. Ich bin heut zum ersten Male hier: darf man seine Cigarre rauchen?

Frischer. Darf man? Wie heißt Du, Mitmensch?

Schwüle. Schwüle. (Die Andern nähern sich und nehmen Theil.)

Frischer. Mitmensch Schwüle, Du sprichst noch die Sprache der Leute: diese Zunge findet hier gar keine Ohren, so langgestreckte ihr da draußen auch offen stehen. Darf man? (klopft Schwülen auf die Schulter) Schüttle ab den Jammer der Leute, schwüler Mitmensch, und kläre durch das Donnerwetter der Verachtung den Himmel Deiner Seele auf! Darf man! O meine Ohren kriegen Erbrechen, so oft sie solchen Ton jener Welt ohne Harmonie verschlucken müssen.

Schwüle (lächelt und will sich am nächsten Tische die Cigarre anstecken).

Frischer (hält ihn auf). Halt, Freund: die Mitmenschheit raucht erst, wenn die Ergießungen ihrer Herzen vorüber sind.

Schwüle. Aber Du verhöhntest doch mein Darf, meine Frage!

Frischer. Ja, gute Schwüle: man will hier nicht eher rauchen, das ist der Unterschied. Sitte ist Form, und der schönste Geist ohne Form ist brutal. Freilich ist nun Rauchen keine Unsitte, aber es ist eine Zerstreuung, und wir wollen uns durch Nichts zerstreuen lassen, so lange es unserm Zweck, der Sittlichkeit der höhern Menschenkreise gilt, die wir Leute nennen. Aber, meinst Du: wir essen und trinken doch? Ja, da mußt Du nun Dein eignes Gehirn fragen, warum wir Das hier gewollt haben. Aber, lieber Mitmensch, wir untersagen Dir das Rauchen nicht, denn wir sind hier, nicht draußen, wo man keine Suppe essen kann, ohne ein Polizeihaar drinn zu finden. Da ist das Licht, steck' Deinen Glimmstengel an! Aber wir sagen Dir nur, wir wollen hier nicht rauchen, und willst Du die armselige, verlassene Freiheit Deines einzelnen Du in der schönern geselligen Freiheit des Wir aufgehen lassen, so ... so ...

Schwüle (wirft die Cigarre weg) .... will ich nicht rauchen!

Frischer (umarmt ihn). Brav, Bursche! Sag', Kerl, was machst Du da draußen?

Schwüle. Ich verstehe Dich nicht.

Frischer. Warst eben dabei, unsre Sprache zu lernen und kannst jetzt den ersten Buchstaben nicht aussprechen? Da draußen, meine ich, bei den Leuten, was machst Du da? Als was, in welcher Kleidung, mit welchen Kunststücken bettelst Du bei ihnen?

Schwüle. Ah so! Ich war Theologe.

Frischer. Warst! (Drückt ihn an's Herz.) Laß Dich noch einmal küssen! Und was thust Du jetzt?

Schwüle. Mein Vater ist Ackerbürger. Ich helfe ihm und unterrichte die Kinder unsrer Nachbarschaft.

Frischer. Gut, aber lehre ihnen kein dummes Zeug, darum bitte ich Dich. Vergiß nicht, daß die Welt nur so alt ist wie wir.

Hiob. Mitmenschen, hier ist Weißbier, Butterbrod und Wachholder! (Zu einem Knaben.) So, Mitknabe, stelle man Allens dahin, un denn verzieh' Dir wieder und werde unsichtbar. Fall' wieder runter uf die andre Seite von de Erdkugel, wo de Leute wohnen!

(Man ißt und trinkt.)

Der Vater (laut, die verschiedenen Gespräche unterbrechend). Wir wollen still sein!

Druff (zu Steche). Wenn ick mir det übersetze heeßt et ooch weiter nischt als: Maul halten!

Steche. Man kann Allens übersetzen, wie man will, aber uf den Ausdruck kommt et doch an.

Der Vater. Der Mitmensch Jesicke, draußen Barbier, will zu uns sprechen.

Jesicke (besteigt die Tribüne). Mitmenschen, ick wollte Euch man blos, wie mir der Schnabel jewachsen is, meine Freude ausdrücken, deß ich Mitmensch jeworden bin. Früher, wenn ich lustig sein wollte, hab' ick jedollt un jeras't, habe mir mit meine juten Freunde jeprüjelt un manchen Spitz jekooft, der mir am andern Morjen sehr jebissen un in'n Kopp 'rum jebellt hat. Jetzt dhu ick det nich mehr. Ick weeß nich worum, aber ick dhu' et nich mehr. Vielleicht mag et sind, weil ick mir jetzt Mensch fühle, un deß mir die Welt so jut jehört, wie jeden Andern. Dadurch wird man stolzer, un krummpuckelt nicht mehr wie'n Esel un benimmt sich so, deß es Keenen mehr widerwärtig is, mit einen umzujehen.

Druff (ihn uuterbrechend). So jeht et mir akkuratjustement so. Früher jloobt ick immer als Schuster, ick bediente die andern Menschen, un da war mir jrade so zu Muthe, wie meinen Stiebel, der sich mit Füßen treten lassen muß. Seitdem ick nu aber meine Stellung als Mitmensch habe, hier die Lieder singen un die Reden höre, un seitdem ick in Erfahrung jebracht, det die Vornehmen jar nich vornehmer sind wie wir, un det wir jebild'ter un besser sind, so sag' ick mir: Druff, man druff! Der da, den du die Stiebeln bringst, der rechnet vor dir, der schreibt vor dir, der denkt vor dir, un du? du machst vor ihm die Stiebeln, det is Allens eene Sauce.

Jesicke. Janz recht. Un wat dabei, meine Mitmenschen, am Besten is, des is, wenn man sich selbst fühlt, denn is des so als wenn, wie soll ick mir ausdrücken, als wenn eenen des erhöhte, so deß die Andern mehr Respekt vor eenen haben. Wenn ick jetzt zu den höchsten Rejierungsbeamten komme, so denk' ick: wat is denn los? Du barbierst ihn, un er ..? Er helft rejieren. Na jut! Det Rejieren is seine Sache, des Barbieren meine. Du leistest ihm Des un er dir Des, des is Allens janz einjal, un de Menschenjesellschaft tauscht, wie unser Vater neulich sagte, ihre Fähigkeiten jejenseitig aus. Wenn ick jetzt draußen wo hinkomme, zu irgend einen Leut, so denk' ick mir in Jedanken alle seine Kleeder runter un, jubb! is er detselbe, wat ick bin. Ja, det macht, weil ick erscht hier Mensch jeworden bin. Bis dahin war ick blos Barbier, un wenn ick im Frühling spazieren jejangen bin, denn is mir det immer so jewesen, als ob ick Entrée bezahlt hätte un mir Des 'ne Weile mit ansehen dürfte, un da bin ick nie so verjnüjt jewesen, wie alleweile, un habe man immer jemacht, det ick aus den fremden Frühling 'raus nach de Danzkneipe komme, wo ick unter Meinesjleichen bin un mir nich zu geniren habe. Aber, nanu weeß ick, deß ich überall unter meines gleichen bin, un deß die Lerche ooch vor mir in de Luft danzt, un die Vögel vor mir Musik machen, un die Beeme sich vor mir mit Blüthen schmücken: nu bin ick viel lieber da, wo Jott is, als in de Danzkneipe. Ja, un wenn ick nu mal danze, denn danz' ick wie 'n König un bin so verjnügt wie 'n Maikäber, ohne mir zu bedrinken un mit meine juten Freunde zu prüjeln. Na, un nu ich Mensch jeworden bin un stolzer, nu hab' ich mir erst die Vornehmen recht in de Nähe besehen un jefunden, deß die janze Jeschichte mit de Vornehmheit Essig is, 'ne pure Komödienspielerei, wo 't hinter de Coulissen erbärmlich aussieht. Mir kommt jetzt jeder Vornehme so vor, als ob er uf de Stirne en Etikett hätte, wo druf steht: Man so dhun! Un was nu des Wissen betrifft, was uns früher vor de Vornehmen so scheu machte, so halt ick mir an den Docter, wollt' ick sagen: an unsern Mitmenschen Frischer. Der sagt: sie leisten vor de Welt-Jesellschaft die kranke Bildung un wir den jesunden Verstand. – Un Jesundheit is mir lieber. Ick will lieber en janz jesunder Junge sind, als so 'n kranker Schmachtlappen. Un worum sollten wir Volk ooch nich jesund sind? Den Magen haben wir uns nich verdorben, davor is von de Vornehmen jesorgt, un den Kopp haben wir uns erst recht nich verdorben, weil wir nich so ville Bücher verschlingen wie sie, un weil wir, wenn wir uf Jeist Apptit haben, einfache Nahrung zu uns nehmen, un nich des gemanschte Zeug, was se alleweile ..... na, was se alleweile.....

Frischer (lachend). Höhere Literatur!

Jesicke .... höhere Literatur nennen. Schön Dank! Wenn nun aber der Kopp un der Magen verdorben is, so is es des Herz ooch, un darum sind ooch die Sitten von de Vornehmen so krank, deß sie unsrer Heilung bedürfen. (Steigt herunter.)

Druff. Ick habe jetzt schon einen Jeheimerath, den ick sittlich zu heben suche.

Schwerenoth. Un ick unterrichte meine Kinder immer darin, deß sie vor jeden Armen die Mütze abnehmen müssen. Seht mal, sag' ich, da fahrt so Eener, der lauter Kuchen un Wein frißt, un nischt dhut, un hier jeht ein würdiger Mensch, der so viel arbeit't, wie euer Vater: die Mütze 'runter!

Drohse. Neulich war't schon in de dritte Woche, deß ich keene Arbeet jefunden hatte. Mein Jeld war längst alle, ick wußte nich mehr, wovon ick leben sollte. Da fällt mir in, deß ich Mitmensch bin un die Leute zu bessern habe. Ick mach' mir en Stück Papier wie'n Brief zusammen, weil man ohne Brief nich zu de Reichen jelangt, un durch diese List komm' ick in 'ne prachtvolle Stube, wo der Kiesmensch sitzt un seine Pfeife roocht. »Ju'n Morjen!« sag' ick. Er kriegt 'n Schreck, wie er mir ansicht. »Wat wollen Sie?« sagt er un springt uf. » Schämen Sie sich nich, sag' ich, deß ich in des Wetter so zerlumpt 'rumloofen muß un nischt zu essen habe? Haben Sie denn verjessen, deß ich Ihr Bruder bin?« – »Was,« antwort't er, »Sie mein Bruder? Dummes Zeug, ich habe jar keenen Bruder!« – »Ach, Sie Unjlücklicher!« sag' ick, »so alleene stehen Sie in der Welt? Unter so ville Millionen Menschen keenen Bruder? Wir Menschen sind Alle Brüder, un wenn Sie keenen haben, denn is Ihr Kiesherz daran schuld. Schämen Se sich,« un dabei schlug ick uf meine Brust, »einen Bruder zu haben, der frieren un hungern muß, während Sie Ihr Jeld verscharren un sich mit Silber un Seide von de Familie absperren! Sie lesen alle Dage in de Zeitung von 't menschliche Elend, un unterhalten sich darüber un sagen: 't is schrecklich! aber dhun dhun Se nischt! Is des Recht?« – »Aber,« sagt' er .... »Stille!« sagt' ick, »stören Sie mir nich! Sie wollen sagen, wie Sie jrade als Eenzelner dazu kommen, det ick Ihnen ermahne? Det is eben so dumm, als wenn ick fragte: wie komm' ick jrade als Eenzelner dazu, det ick hungern muß? Zu de janze Menschheit kann ick nich sehen, also halt' ick mir an Eenen.« Nu muß ick Euch aber ehrlich jestehen, det der Kiesmensch mir nich 'rausschmeißen ließ, sondern durch meine Predigt Mitmensch wurde, mir 'n blanken Dhaler in de Hand drückte un mir Arbeet anwies, un dabei 'ne Thräne im Ooge hatte. Na, wie Er die eene Thräne hatte, un so vernünftig war, da könnt' Ihr Euch denken, Mitmenschen, det ick zwee Thränen in de Oogen hatte, un ick verjaß meinen Werth in dem Oogenblick un küßte ihm de Hand. Vivat der Verein der Habenischtse! rief ich uf de Treppe, wie ick wieder 'runter jing, un ick war in eine Stimmung, als müßt' ick die janze Welt mit alle Fürschten un Soldaten un Schreiber umarmen. Wie ick aus de Hausdhüre trete, seh' ick en Bettleer! Holla! denk' ick, neben Den bist du en Andrer, neben den Mitmenschen jehörst du zu de Leute, un so nehm' ick mir den Bettleer, der janz verblüfft is, untern Arm un jeh' mit ihm in 'n nächsten Victewalienkeller, lasse vor ihm und vor mir Essen jeben, un drücke ihm beim Abschied noch en Achtjroschenstück in de Hand.

(Allgemeiner Applaus.)

Der Vater. Mitmensch Drohse hat seine Schuldigkeit gethan.

Hiob. Mitknabe, hole mal vor den Mitmenschen Drohse eine kühle Blonde!

Schwerenoth. Mir is 't neulich mit en reichen Fabrikherrn anders jejangen. Ick wollte ihn ooch belehren, deß es schändlich wäre, uns so zu schinden. Da kündigte er mir die Arbeit un sagte mir, wenn ick noch mal käme, ließ er mir mit seine Hunde weghetzen. Un jleich darauf sah' ick ihn in de Kirche fahren.

Der Freund. Der Mitmensch Schwerenoth spricht Wörter aus, die wir hier nicht aussprechen wollen!

Schwerenoth. Ja so, das hatt' ich verjessen; ich bitte um Verzeihung.

Der Bruder. Wir verzeihen Dir.

Der Vater. Der Mitmensch Frischer will zu uns sprechen!

(Tiefe Stille.)

Frischer (besteigt die Tribüne). Mitmenschen, ich will zuerst über unsre Welt und dann über die Andern, über die Leute zu Euch sprechen. Ueber unsre Welt? Ja, ja, unsre Welt! Ich meine die mit dem Nord- und Süd-Pol und sonst keinem Polen weiter; ich meine dieselbe, welche aus sechs Theilen besteht, aus Europa, Asien, Afrika, Amerika, Australien und dem Himmel. Denn der Himmel gehört, wie der geniale Roloff sagt, zur Erde und die Erde zum Himmel, Gott wohnt, in uns, wir in Gott, und so weit die Wolken und die Gedanken gehen, ist Alles diesseit. Ich meine die Welt mit der Spree und dem Missisippi, mit London und «Sibirien, mit Lappland und Reuß-Gleiz-Schleuß-Lobenstein, mit dem Vesuv, dem Kreuzberg und dem Chimborasso, mit der Herrmanns-Säule und dem Cap der guten Hoffnung, mit den Thränen hier unten und den Sternen dort oben! Ja, uns Menschen gehört die Welt, und darum ist derjenige ein Michel, eine Nachtmütze und ein Schafskopf, der sich nicht um seine Welt bekümmert, der nicht volles Interesse dafür hat, was in ihr vorgeht. Darum ist der Herr v. Göthe ein Philister, wenn er sagt: ein garstig Lied, Pfui, ein politisch Lied! Denn das politische Lied ist das eigentliche Lied der Menschheit; es drückt die Welt mit ihren tausend Millionen Seelen und Sternen an sein Herz, und das ist doch wahrlich mehr, als die schwarzen Locken einer Dirne in Reime zu wickeln. Was ist denn Politik so Schlimmes, daß die Esel und die Philister solche Furcht davor haben? Nehmt der Sache einmal ihren raffinirten Titel, nennt sie ehrlich: unsre Geschichte, unsre Welt, und alle Scheu davor wird aufhören. Tretet aus Eurer Hütte einen Schritt, und Ihr seid mitten in der Politik, mitten in der Welt und ihrer Geschichte. Denn da seht Ihr Polizei, Beamte, Lehrer, da seht Ihr glänzende Carossen mit sechs stolzen Pferden vorüberjagen und da werdet Ihr um eine milde Gabe angebettelt, und da seid Ihr mitten in dem, was Welt und Geschichte heißt und Ihr könnt keinen Athemzug thun, ohne eine Menge Politik mit herunterzuschlucken. Versteht Ihr nun, warum ich unsre Welt sagte? Weil wir die Politik nicht mehr als etwas Fremdartiges, FernliegendeS, sondern als unser nächstes, größtes, heiligstes Interesse betrachten sollen; weil wir .... doch genug! Wer mich noch nicht verstanden hat, der reise nach der Tyrannei China und melde sich als guter Unterthan. Dumm genug ist er dazu. (Allgemeiner Applaus.)

Druff. Ick melde mir nich.

Frischer. Also, meine Mitmenschen, wir sprechen hier, was wir wollen, ohne von Politik zu sprechen; wir reden über unsre Welt, wie wir über unser Haus sprechen. Unser nächstes Haus ist Europa und unsre Arbeits- und Schlaf-Stube Deutschland. Alle andre Welt spiegelt sich auch darin ab. Wir finden in unsern Poeten, Volksrednern und andern Geistern viel von der Naturkraft der uncivilisirten Welttheile; wir brauchen nicht lange zu suchen, um den starren Stillstands-Eigensinn Asiens mitten unter uns zu bemerken; die Jugend Amerika's schaut schon aus der Alterschwäche Europa's hervor, und was den sechsten Welttheil, den Himmel, betrifft, so blickt derselbe selbst durch die trüben Fensterscheiben der Betmauern, durch die Gedanken der Dichter, durch die Gebilde der Künstler, aus den Reden der Volksmänner, aus jedem Kampfe um Freiheit, aus den Augen unsrer lieben und schönen Schwestern und aus den Thränen des Mitleids und der verstoßenen Arbeit. Die Himmelwelt ist bis an ihre äußersten Ecken innig verbunden: nicht nur durch Luft und Meer, durch Chausseen und Eisenbahnen und elektromagnetische Telegraphen: der Geist, die Idee, Gott ist überall, überall zur selben Minute, da, wo noch ein Herz für Freiheit und Liebe schlägt, da, wo der stolze Muth Menschenrechte vertheidigt, da, wo der Schmetterling um die Rose buhlt, da, wo kein Sonnenstrahl und kein Lied der Nachtigall das Eis schmelzen kann, in den Höhen und Tiefen, in den Werkstätten und Gefängnissen! Der Geist ist der König der Welt, aber ein König, der im Purpur der Morgen- und Abendröthe strahlt, mit der Lerche jubelt und dem Unglücklichen den Kuß des Trostes auf die Stirn drückt.

Aber die Welt ist nur so alt wie wir, denn früher gehörte sie nicht uns; sie war in Lohn gegangen und darum verachten wir sie. Unsere Welt beginnt mit dem Schlag: Menschenliebe! Die Bildung war einen falschen Weg gelaufen: über die vielen Gesetze und Verwahrungen für den Staat hatte sie den Menschen vergessen. Der Mensch ist in der Gesellschaft untergegangen, er ist zum Sklaven der Gesellschaft herabgesunken. Nun will er sich wieder herausarbeiten und zu seinem göttlichen Rechte gelangen: das ist die europäische und deutsche Geschichte der letzten Vergangenheit und Gegenwart. Was auch geschehen ist und geschehen mag, und wie es die einfältigen Zeitungen auch betiteln: es geschah dafür und geschieht dagegen. Unsere Zeitungen, selbst die sogenannten liberalen, deren Liberalismus die Katze auf dem Schwanz fortträgt, schreiben fast alle noch mit dem Gänsekiel der alten Welt, nicht mit der Stahlfeder der neuen. Das einfältigste Zeug ist ihnen wichtig, das Wichtige unbedeutend. Für die Menschheit versteht fast Keiner der Politiker zu schreiben, Alle schreiben für das Publikum. Das ist ein Unterschied wie zwischen uns und den Andern, den Leuten. Das »Publikum« ist ein gewisser Kreis mit einer gewissen oder ungewissen Bildung, der sein gewohntes Futter verlangt; dir Menschheit aber sind Alle, und wer für die Menschheit schreibt, muß auch für die schreiben, die noch nicht geboren sind. Versteht Ihr mich wohl! Ja, Ihr versteht mich, denn Ihr habt auch Herz, aber die vornehmen Publicisten haben blos Kopf, und dieser ist oft so klein, daß man ihn mit einem bunten Lappen zudecken kann. Sie treiben Alle Politik: sie raffiniren die Geschichte und die Wahrheit; ihre ganze Welt sind ein paar Regierungen und ein paar unter den Leuten berühmte Männer, und de ganze Menschheit mit ihrer Kraft und ihrem Elend liefert ihnen nur die Lumpen, aus welchen sie Papier zu ihrer Politik machen! Hätten Sie dies verdammte Wort nicht im Kopfe, sondern »unsre Welt« am Herzen; sie würden bald auf den rechten Weg gelangen.

Ja, die meisten unsrer Schriftsteller sind Leute, und nun komme ich auf diese Leute. Ich will ihnen ihre vornehme Maske abreißen und sie über ihre Entdeckung erbleichen lassen. Was haben Sie denn voraus? Geld. Pfui, daß sie 's allein haben! Wissen? Was wissen Sie denn? Lauter erbärmliches Stückwerk, nicht werth, den Kuß eines Mädchens, ein Glas Wein dafür umzutauschen. Nicht fähig, einen Menschen damit glücklich zu machen und einen andern Zweck der Wissenschaft kenne ich nicht. Wissen haben Sie? Pfui, daß sie 's allein haben. Nun, womit prahlen Sie denn noch? Mit ihrer Tugend, mit ihrer Sitte doch nicht etwa? Ich will nicht hoffen, daß sie 's ernstlich mit ihrer stttlichen Hebung der ärmern Klassen, mit ihren frommen Mienen um die Volks-Veredlung meinen! Sind sie so arbeitsam wie das Volk, sind sie so offen, so schlicht, so enthustastisch, so treu, so gewissenhaft, so wohlthätig, so uneigennützig wie das Volk? Ein armer Arbeiter, dessen Vermögen aus dem Vorschuß besteht, den er bei seinem tyrannischen Werkherrn abzuarbeiten hat: wie viel schenkt er dem Bettler, wenn er ihm einen Pfennig oder ein Stück Brod gibt? Mehr als der Millionair, der seine Million gäbe, denn jener Pfennig des Armen war noch kein Besitz. Das Volk benutzt auch noch die goldne, poesiereiche Sprache dazu, seinen Gedanken das Bild zu geben: ihr aber, ihr Vornehmen, entehrt sie zur Kupplerin, daß sie eure Gedanken verberge. Das Volk, so weit es nicht von euch angesteckt ist, lebt in seiner ehrlichen Wahrheit, ihr aber vom Morgenkaffee bis zum Abendthee in lauter Schein, Lüge und Heuchelei. Euer Herz, euer Kopf ist wie eure Sprache und eure Sitte verschroben und verdorben! Wer sind die Vornehmen? Die sich Alles vorweg nehmen und sich Alles vornehmen, aber Nichts thun. Statt der Tugend haben Sie Frömmigkeit, statt der That Worte. Sie betheiligen sich an der Welt, indem sie auf dem Sopha deren Jammer lesen, den sie sich in Novellen-Pasteten, oder im Theater von den vornehmen Schriftstellern in Tantième-Ragout vorlegen lassen. Betrug und Verderben ist bei ihnen hundert Mal mehr als im Volke; die sogenannte Prostitution, die alte Sünde, ist in allen Kreisen gleich, aber alle Sünde ist bei den Leuten um so hassenswerther, als sie feiner, gekünstelter ist. So brechen sie auch nicht in die Läden ein, aber sie brechen durch die Ritzen der Gesetze. Sie betrügen durch Maschinen, durch Aktien, durch Pfänder, durch Güterkäufe, durch Hintertreppen, durch Zeitungen, durch Fallissemente und durch Tausenderlei. Und für all Das beruhigen sie uns durch artige Manieren, diese reinlichen, graziösen Katzen! Sie können nicht so gut sein wie wir, die Vornehmen, denn sie haben nicht, wie das Volk, Lieder, sie trällern Opernarien. (Er steigt hernnter. Tobender Beifall.) Beruhigt mich jetzt, meine Mitmenschen, durch Gesang und singt mir das Lied, das uns ausfordert, auch das Gute der Andern anzunehmen, die Leute nicht zu hassen, sondern sie durch Liebe und Belehrung zu bessern: sie sittlich zu heben.

(Gesang.)

Baron von Nihil (zu Schwüle). Nun wollen wir uns unsre Cigarren anstecken.

Drohse (nach dem Liede), Kann mir ein Mitmensch eine Cigarre leisten?

Frischer. Ob! Hier sind zwei Leistungen. (Laut.) Aber ich habe heut' noch eine größere Leistung!

Der Vater. Wir wollen hören! Mitmensch Frischer hat heut' noch eine Leistung für uns!

Hiob (reibt sich die Hände). Ja, sie kommt jleich! (Er winkt seinem Burschen.)

Frischer. Ich habe einem derjenigen deutschen Schriftsteller, der nicht zu den Andern gehört, dem Brennglas, Näheres über den Verein der Habenichtse mitgetheilt, es ihm überlassend, ob er daraus ein heitres Genrebild für Menschen und Leute malen wolle. Er hat herzlich gedankt und uns beim Mitmenschen Hiob einen Schmaus für heut' bestellt.

Mehrere Mitmenschen. Brav!

Drohse. Dieser Schriftsteller hat sehr jute Jedanken.

Frischer. Leider muß er's bedauern, nicht selbst kommen und ein Glas Wein mit uns trinken zu können. Auf einer Jagd gegen Füchse hat ihn einer in die Ferse gebissen. Auch ist sein Paß nicht recht in Ordnung.

Steche. Aha!

Jesicke. Hm, hm!

Schwerenoth. Merkste wat!

Druff. Ick rieche den Braten!

Hiob. Ja, du kannst wirklich einen Braten riechen, denn der Schmaus bejinnt. Ich muß decken lassen.

Der Vater. So wollen wir schließen. Wie viel Zeit haben wir?

Der Bruder. Wenig.

Der Vater. Freund, halte die Zeit auf!

Der Freund. Ich kann nicht.

Der Vater. Was schlägt die Zeit?

Der Freund. Muth.

Der Vater. Bruder, was suchst Du?

Der Bruder. Menschen.

Der Vater. Wer soll Dir helfen?

Der Bruder. Niemand.

Der Vater. Freund, ich muß schließen!

Der Freund (schüttelt mit dem Kopfe. Sämmtliche Mitmenschen thun dasselbe).

Der Vater. Ich will schließen!

Der Freund. Schließe.

Der Vater. Wo ist der Schlüssel?

Der Freund. In der Tonne.

Der Vater. Bruder, der Schlüssel paßt nicht.

Der Bruder. So schließe nicht.

Der Vater. Freund, wie steht heut' die Welt aus?

Der Freund. Grau.

Der Vater. Bruder, wie wird morgen die Welt aussehen?

Der Bruder. Grün.

(Der Vater, der Bruder, der Freund und sämmtltche Mitmenschen treten an die Tonne in der Mitte de« Saale«, legen die Hand auf sie und rufen: »Amen!«)

Hiob (mit der Tischdecke). Nanu unser Abendmahl!


Druck von Bernh. Tauchnitz jun.

 


 << zurück weiter >>