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Titelblatt

XXV. Heft.
Eine Werkstatt

Mit einem colorirten Titelkupfer von Th. Hosemann.

Leipzig, 1846.

Verlag von Ignaz Jackowitz.

.

Meister. O mein Jott, mein Jott!
Komm' hierher, armes Wurm, wärme Dir!
So, soo! Haste denn keene Eltern?

Eine Werkstatt.

Genrebild.


Personen:

Schuhmachermeister Schmidt.
Seine Frau.
 
Heinrich,
Wilhelm,
Marie,
Luise,
seine Kinder.
Kruse,
Hekler,
Scheerenthal,
Bratscheck,
Gesellen.
Fritze, Lehrbursche.
Caroline, Dienstmädchen.
Ein armes Kind.  
Ein Herr.  

(Eine Schuhmacher-Werkstatt. Am Fenster links, auf einer Erhöhung, sitzen vier arbeitende Gesellen; ihnen zur Seite steht eine große Wanduhr und ein altmodischer Sorgenstuhl. Am andern Fenster schneidet der Meister Leder zu; in der Ofen-Ecke sitzt der Lehrling auf dem Schemel, über seinem Kopfe hängt ein Vogelbauer, in welchem ein Staar umherhüpft. An der Wand rechts Schränke mit Leisten, Lederzuschnitten etc., an der andern gegenüber prangen verschiedene werthlose Lithographien, bunte Landschaften und Carricaturen. Auf den Schränken Gypsfiguren: ein großer Jagdhund, Schiller's Büste und eine kleine Katze. Das Fenster des Meisters schmücken mehrere Blumentöpfe, von denen sich besonders ein breiter Geranium und ein Goldlack hervorthun. Die Wand hinter dem Meister bedecken eine Unzahl Maaße, eine schwarze Tafel und fünf Tabackspfeifen. Gegenüber hängen die Röcke der Gesellen und vier Glaskugeln. Auf der Stubenthür steht mit Kreide geschrieben: »Thäten wir, was wir sollten, Gott thäte, was wir wollten.« Der Boden des Zimmers ist mit frischem Sande bestreut. Morgens 7½ Uhr.)

Meister (brummt sich ein Liedchen bei der Arbeit). Wenn's Singen nich erfunden wäre, wär's uf diesen kleenen Stern jar nich auszuhalten. Ich möchte man blos wissen, ob se uf die andern Sterne ooch singen. So! (er betrachtet seine Arbeit) Der Jeheime Regierungsrath wäre nu ooch wieder zujeschnitten; nanu will ich mir die Commerzienräthin zurecht schneiden. (reibt die Hände) Wie schön die Sonne in de Werkstelle scheint! Die Jlaskugeln blitzen lauter Diamanten, un zwar vom reinsten Wasser, als ob ich jar keen armer Mann wäre. Die Sonne is wirklich 'ne christliche Sonne, da se eben so freundlich in die Werkstelle, eines Schusters wie in's Cabinet des Königs scheint. (Er nimmt sein Käppchen ab und blickt durch's Fenster zum Himmel.) Ju'n Morjen, lieber Jott! Wie jeht's, was machste? (setzt sein Käppchen wieder auf.) Nu wer'n wir bald jar nich mehr einzuheitzen brauchen. Nu kommt bald der flotte Junge, der Frühling, mit de jrüne Hosen un des Rosenbouquet vor de Brust (auf den Ofen deutend), un denn ärjert sich der schwarze Drachen da in de Ecke, det der liebe Jott uns arme Bürjer die Wärme umsonst jibt. Denn wat det Unjethüm da, das alle Morjen un alle Mittage sein jroßes Maul ufreißt, so 'n Winter über vor Holz uffressen kann, det is unjlaublich. Un wem jehören die jrünen Walder da draußen? Uns Menschen! Un wer darf sich keenen Splitter davon nehmen? Wir Menschen.

Bratscheck. Bei mir zu Haus, in Bömmen, iß'n auch so!

Meister. Ja, viel Vorzüge hat Böhmen nich vor uns. Oestreich is ooch 'ne schöne Jejend! (zum Lehrburschen) Fritze, jib mir mal den Vogelbauer her; Hanswurscht soll ooch de Sonne jenießen. Hast'e ihm schon frisch Wasser jejeben?

Fritze (thut, wie ihm befohlen). Ja, der Sänger des Waldes hat ooch schon drei Mal jesoffen.

Meister. Ja, des Wesen sauft sehre, aber Wasser! Er jehört zum Mäßigkeitsverein, un ich hätt 'en ooch schon Mitjlied werden lassen, wenn ich nich befürchtete, daß er denn nich mehr: Freut Euch des Lebens! sondern: Herr, ich bin en armer Hund! pfeifen möchte. (Er hängt das Bauer am Fenster auf.) So, Hanswurscht, hier haste Sonne un Blumen, un zu freßen un zu saufen haste ooch, Deine Kinder schreien ooch nich: nu kannste Dir 'ne frohe Stunde machen un Jott danken, daß De blos en Staar un keen schlesischer Weber jeworden bist. (Der Staar pfeift die Melodie de» Liedes: »Freut Euch des Lebens!«) Aha, Hanswurscht versteht mir!

Bratscheck. Ja, is 'e g'scheidtes Viech, selbiges.

Meister. Ja, er kann doch nu acht Lieder pfeifen, aber er antwortete mir jrade mit: Freut Euch des Lebens. Des is en pfiffijer Kerl, der Hanswurscht.

Die Gesellen (lachen). Guter Witz! Pfiffig!

Fritze. Ja un neulich, wie die Meestern mit 'n Meester zankte, da pfiff er: Kehre Du Di, kehre Du Di an nischt niche!

Die Gesellen (lachen).

Meister (lachend). Fritze, Du sollst nich naseweiß sind! Du weeßt, ich bin nich so 'n Niklas wie de andern Meister; ich habe Dir erlaubt, dann un wann mitzureden, aber Du mußt Dir als Bursche nich um de innern Anjelejenheiten bekümmern, (lachend) Des darf ich kaum! Weder als Ehmann noch als Bürjer.

Die Meisterin (steckt den Kopf durch die geöffnete Thür). Kannste den Fritzen entbehren, Vater?

Meister. Wat soll er'n?

Meisterin. Er soll man blos die Kleene en Bisken büschen; des Wurm schreit sich sonst de Seele aus 'n Leibe. Die Jungens sind eben nach de Schule jejangen; de Carline muß mal nach Kartoffeln sehen, un ick muß daweile in de Küche bleiben.

Meister. Jut, da bleibt keen Andrer übrig, da muß der Junge det Kind kriejen. (Die Gesellen lachen.)

Meisterin (beinahe lächelnd, indem sie sich zurückzieht). Schaafskopp!

Fritze (steht auf und legt seinen Wichsdrath bei Seite, indem er geht). Na 't is doch 'ne Veränderung! Davor bin ick Mutter. (ab.)

Kruse. Der Junge müßte doch mal nächstens 'ne Portion Knieriem zu jenießen kriejen.

Meister. Ne, Kruse, Sie sind erst acht Dage bei mir, Sie wißen des noch nich: ich schlage meine Leute nie. Menschen prügeln wie's Vieh, des is 'ne Rohheit, wie se allenfalls blos noch die chinesische Rejierung haben kann. Un en Mensch is Fritze doch eben so jut wie der Kaiser von Fetz un Marokko un der Kurfürscht von Hessen. Ne, so jemeene bin ich nich. Wenn er nich mehr mit Worte zu züjeln is, denn verliert er seine Freistunden. (Der Staar pfeift: »O wie wohl ist mir am Abend!«) Dämelack, es is ja Morjen! Das Thier scheint aus 'ne vornehme Abstammung zu sein, deß es die Zeit so wenig berücksichtigt. Schschsch, Hanswurscht! Irren Se sich nich, Exlenz! Wir jehen nich mehr uf de Nacht zu; wir haben Morjen!

Scheerenthal (laut hämmernd). Meister, Sie haben ooch diese Woche noch keenen andern Spruch anjeschrieben.

Meister. Herrjees ja, det hab' ich jestern Morjen verjeßen, weil ich den adligen Jardeleutnant mahnen jehen mußte. Heute haben wir schon Dienstag. Der Jang war ooch umsonst jestern. (Er holt ein Buch aus dem Schranke.) Des war zum sechsten Mal, deß mir der Musje 'ne Stunde von meinen sauern Verdienst jestohlen hat. Un wenn mir denn dec bunte Musje Unnütz mal bejejent, denn schämt er sich, mir zu kennen. Jott verzeih' mir die Sünde, diese Deine Welt is doch zu dämlich! Wenn et nach Recht jinge, so müßte sich so 'ne Paradenpuppe, die ich mit meinen Schweiß ernähren muß, dies vor mir bücken, un der Kerl schämt sich, mir zu kennen! Na, wenn 't aber mal … wo stehen denn die Sprüche? (Er blättert im Buche.) Aha, hier! Wo is denn wieder die Kreide jeblieben? (ruft zur Stubenthür hinaus) Fritze, wo is de Kreide jeblieben?

Fritze (kommt mit dem Kinde auf dem Arm herein und überreicht ein Stück Kreide). Hier is se; die Frau Meestern hatte se jebraucht. (indem er wieder geht, das Kind wiegend) Büsche, büsche, beyken, koch' det Kind en Breiken. (ab.)

Meister (lachend). En verdammter Bengel! Ich muß 'n wahrhaftig mal wieder uf Acht Dage unter östreichsche Preßfreiheit setzen. Jutwillig kann er sein Maul nich halten. (Er wischt mit der Hand den obenbenannten Spruch aus und schreibt einen andern auf.) So! (lautlesend) »Stehend Wasser wird stinkend.« Ein sehr jeistreicher Spruch! Des heeßt: wo keen Fortschritt is, da verfault Allens, Leben un Jlück. (Er macht das Fenster auf und sieht hinaus.) Herrjees, wat stinkt det uf de Straße! (schließt das Fenster wieder.) Un dabei scheint Jettes Sonne so schön! Solch en Dag un um diese Zeit war's, wie ich vor Siebzehn Jahren uf de Wanderschaft nach Erfurt von 'n Rhein runter kam, wo ich meinen Hausfreund, den Dischler Kottel kennen lernte, mit den ich noch jetzt een Herz un eene Seele bin. Es war am 30sten März, ich weeß es noch wie heute. Der Winter hatte ooch so schnell Adje jesagt, un sich in seinen weißen Mantel zurückjezogen. Die Frösche steckten schon in de Teiche ihre jroßmäuligen Köppe raus, un des war des Zeichen, deß der Frühling schon an de Dhüre kloppte. Nu hatt' ich freilich man noch en Zweejroschenstück in de Tasche, das mir en allerliebstes schönes Fraulein aus 'n Wagen in den Hut jeworfen hatte; aber ich war doch lustig un wollte eben mein Lieblingslied singen, als neben mir aus des halbjrüne Jejruse 'ne Lerche aufstieg un jauchzend nach'n Himmel wollte. Halloh! schrie ich, des is mein Glück, die Lerche, un schmiß den Hut so hoch, deß er im Runterfallen auf 'n Appelboom sitzen blieb, un ich erst rufklettern un mir den Flaps wieder runterholen mußte. Und dann sang ich mir mein: 'Naus, 'naus, 'naus und 'naus, zum Potsdammer Dhor hinaus! nahm, wie's Rejel is, das Felleisen auf die linke Schulter, den Wanderstock in die rechte Hand, und zog in Erfurt ein. Auf der Herberge brauchte der Jungjesell – denn ich war erst seit vier Monaten losjesprochen – nicht lange Feierjesell zu bleiben, und der Altjesell sich jar nich umzuschauen; denn kaum war ich eine halbe Stunde da, so kam ein Meister, dem mein Jesicht jefiel, und da er jrade Arbeit hatte und ich richtije Kundschaft bei mir führte, so nahm er mich. Das is die Lerche! dachte ich unterwejes. Und das is wieder die Lerche! dachte ich, als wir in's Meisters Haus traten, un da ein nettes Sümmchen: Was frag' ich viel nach Jeld un Jut, sang. Und das war erst recht die Lerche, als nu die Sängerin aus de Küche kam: ein blitzblankes Mamsellchen von 16 Jahren mit schwarzen muthwillijen Augen, un en Paar Borschdorfer uf de Backen, deß man jleich zubeißen mochte. Wir würden uns nachher recht jut, un haben oft zusammen uf de Bank vor de Dhüre jesessen, wenn die Sterne uns zublinkten, un hatten uns Beide jar nischt zu sagen, sonbern blos be Hand zu drücken. Ich hatte das Mädchen auch wohl jeheirathet, aber ich war noch zu jung, un Dischler Köttel, den ich da kennen lernte, wollte im nächsten Frühjahr auf die Wanderschaft, un da zog ich mit ihm, un so haben wir uns denn noch en paar Mal Liebesbriefe aus jedruckte Bücher abjeschrieben, un uns denn verjessen.

Bratscheck (zu den Gesellen). Erzällt er sehrr schön», Herr Master unsriger.

Meister. Was is 'n Des? (Er nimmt sein Taschentuch.) Ich jloobe jar, mir is 'ne Thräne in's Ooge jekommen. Ja, ja, meine Jugend is dodt, un nu wird der Meester Schmidt wehmüthig, wenn er an seine Wanderjahre denkt. Singen wir en lustijes Lieb, Jesellen! Das Heidideldei von der hübschen Bauerfrau und dem schmucken Reiter. Hekler, Sie haben die beste Stimme von uns; fangen Sie an; wir fallen ein.

Hekler (singend).

Ein niedliches Mädel, ein junges Blut,
Erkor sich ein Landmann zur Frau;
Doch sie war einem Soldaten gut,
Und bat ihren Alten einst schlau:
Er sollte doch fahren in's Heu,
Er sollte doch fahren in's –
Ha, ha, ha, ha, ha, ha, Heidideldei,
Juchhei, tralalei!
Er sollte doch fahren in's Heu!

Alle.

Er sollte doch fahren in's Heu,
Er sollte doch fahren in's –
Ha, ha, ha, ha, ha, ha, Heidideldei,
Juchhei, tralalei!
Er sollte doch fahren in's Heu!

(Allgemeiner Gesang.)

Meister (während des Gesanges zum Staar). Schschsch, willste ruhig sind, Hanswurscht! Pfeift der Kerrel: Was frag' ich viel nach Jeld un Jut! während wir hier janz was anders singen! Schschsch! Willste jleich Deinen Schnabel halten, oder Du mußt wieder an'n Ofen!

Alle (singend).

Juchhei, tralalei!
Da fahre der Teufel in's Heu!

Meister. So ein Lied zur Arbeit frischt die janze Seele auf. Nun noch das neue Lied, Hekler!

Hekler (singend).

Der Schuster, hat er doppelt Pech,
Denkt auch nicht legitim;
Ach, ruft er, deutsche Michelei,
Hätt' ich dich vor dem Pfriem!
Was ich bezweckte, wüßt' ich wohl:
Ich bohrt' ihn dir in's Herz;
Durch diese Leistung heilte ich
Das Vaterland vom Schmerz.
Ein Schuster, der von Stillstand hört,
Wichst giftig seinen Draht;
Bei ihm muß Alles Fortschritt sein,
Sonst wird er desperat!

Alle (enthusiastisch).

Bei ihm muß Alles Fortschritt sein,
Sonst wird er desperat!

Meister (reißt das Fenster auf und singt hinaus).

Bei ihm muß Alles Fortschritt sein,
Sonst wird er desperat!

Meisterin. Aber, Kinder, Ihr weckt mir ja mit Euer Jejröle des kleene Wurm immer wieder uf, wenn es kaum einjeschlafen is!

Meister. Singt et vielleicht ooch patriotsche Lieder? Mütterken, sei doch nich böse; laß' doch des Wurm schreien! Jott, det is ja so in Deutschland so stille! Wenn die Kinder nich noch zuweilen schrieen, wüßte man jar nich, deß des Land bewohnt is. (Er geht zu seiner Frau, gibt ihr einen Kuß und dreht sie der Thür zu.) Ne, singen müssen wir, Mütterken; des is nu mal unsre Natur, un seine Natur vertheidigt jedes Thier, da wird sojar der Deutsche unanjenehm. Du weeßt, Mutter, bis uf jewisse Dinge laß ich mir Dein Pantöffelken janz jemüthlich jefallen; aber wenn die jewißen Dinge eintreten, denn steht Schuster Schmidt der Vierzehnte uf und sagt: des Haus bin Ich!

Meisterin (noch halb schmollend). Na 't is jut, jeh' man, jeh' man! (sich wieder zu ihm wendend) Willste Dein Frühstück?

Meister (streicht ihr die Wange). Ja woll, ehrenwerthes Mitjlied der schönern Hälfte des menschlichen Jeschlechtes! Frühstück is eine der herrlichsten Erfindungen deutscher Bildung. Schick' mir mein Butterbrod und einen kleenen Schluck reenen Jetraidekümmel von Gilka aus de Zimmerstraße. Aber durch Fritzen! Der hat nich länger Zeit; et muß Draht jewichst werden. Außerdem haben ihn mir seine armen Eltern ooch nich jejeben, det er Amme un Dienstmächen lernen, sondern det er Schuster werden soll.

Meisterin. Is jut, is jut; ick kann'n jetzt ooch mißen. De Carline is zurück, (ab.)

(Der Staar pfeift: »Kehre Du Di, kehre Du Di an nischt niche!«)

Meister. Ne, sei janz außer Sorgen, Hanswurscht; ich weeß, wie weit die Liebe jeht, un wo der Scepter anfängt. (Zu den Gesellen.) Was ich vorher bei des Lied bemerken wollte: wie ich vor'jes Jahr uf 'n Schützenplatz den besten Schuß dhat un König wurde, un mir bei den Schmaus, den ich jeben mußte, ein Toast jebracht wurde, da sagte der Ausbringer: Diesen König wollen wir aus voller Seele leben lassen, denn Schmidt is ein König, der Alles leistet, was er bezweckt!

Die Gesellen (lachend). Sehr jut!

Fritze (mit dem Frühstück). Das jüngste Fräulein hat sich beruhigt, und die Madam schickt hier Jenuß.

Meister. Hör' mal, Fritze, nu will ich Dir mal wat sagen: wenn De nu nich Deine Dummheiten läßt, denn weeßte, wie et in Beziehung uf Deine Freistunden steht. Det merke Dir! Un nu jib mir mal den Ort da her un denn wichse Drath un mach' Borschten an.

Fritze. Einige Dräthe sind noch da, die schon borschtig sind. (Die Gesellen lachen. Der Meister hat eben sein großes Butterbrod in die Hand genommen. Man klopft.) Herein!

Meister. Herein! (nach einer Pause) Herein!! Na, et hat doch gekloppt! Seh' mal zu, Fritze, wer da is!

Fritze. Des scheint blos en Jeist zu sind, der uns jedroht hat. (Er öffnet die Thür.)

Ein armes Kind (von ungefähr sechs Jahren, halb nackt, vor Kälte zitternd, weinend). Ach, schenken Sie mir en bischen Brod! Ich habe nichts zu eßen, un mir friert so, ach!

Meister. O mein Jott, mein Jott! (Er legt sein Butterbrod auf den Teller, und führt das Kind nach dem Ofen.) Komm' hierher, armes Wurm, wärme Dir! So, soo! Haste denn keene Eltern?

Das arme Kind. Ja, mein Vater sitzt; er hat beim Bäcker en paar Brodte stehlen wollen, weil wir Alle seit zwee Dagen nischt jejessen hatten, (faltet die Händchen) Ach, en bischen Brod, mir hungert so fürchterlich!

Meister. Fritze, jib mein Butterbrod her, un jeh' raus nach de Küche un laß noch eens schmieren! (zum Kinde) Wo wohnt Ihr denn, Würmeken; wat macht denn Deine Mutter?

Das arme Kind (das Brod verschlingend). Wir wohnen Alle in 'n Keller vor's Hamburjer Dhor, meine Brüder un meine Schwestern ooch. Mutter ligt schon seit drei Wochen an de Erde un is krank. Sie soll in en Bette kommen, aber wir haben keens; die zwee Brüder von mir ooch nich, die sind ooch krank. Un nu frieren se so schrecklich, weil ich un meine Schwestern allens Zeug anhaben, was da is, weil wir betteln gehn müßen.

Meister. Allens Zeug? (Er gibt dem Kinde das zweite Butterbrod, das Fritz gebracht hat.) Des nennt sie Zeug, was sie anhat, o Gott, o Gott! Warte mal, mein Würmeken! Dir kann det jleich sind, ob De als Junge oder als Mächen uf de Straße rumloofst. Mächens hab' ich nich so jroße, aber die Jungens haben noch en überflüßgen Anzug. Fritze, hole mal die alten Hosen von Heinrichen un den alten Rock von Wilhelmen! Rasch! Meine Frau soll' se Dir jeben; ich hätt's befohlen! (steht mit zornigem Gesicht auf) Det is zu doll! (wieder mild zum Kinde) Un nu sage mir, Würmeken, jnau, wo Du wohnst; die Sache muß untersucht werden! (Er notirt sich die Wohnung des Kindes.) So! (zornig) Solche Armuth, solch Elend darf nich existiren! Daran sind Wir schuld! Wir sind die Verbrecher! Jott läßt jenug wachsen, aber Wir nehmen uns zu viel! Beten, ja beten können se vor de Unglücklichen, aber .... Himmeldausendzapperment, des halt' ich nich aus! Des ........

Meisterin (mit den Kleidern). Na, wat is den nu los? Wir können noch nich mal den Schneider bezahlen, un nu willste ... (sie erblickt das Kind) Ach, du lieber Jott! Ach, du meine Barmherzigkeit, in so 'ne Kälte! Biste satt, mein Engelken, oder willste noch 'ne Stulle haben?

Das arme Kind (lächelnd). Ne, ich bin satt, Aber – zu Hause .........

Meisterin. Sei stille, Du sollst en janzes Brod mitkriejen. Sage mal, Puttken, jeben Dir denn die reichen Leute nischt, wenn De bettelst?

Das arme Kind. Ne, da stoßen mir die Bedienten jleich aus't Haus raus.

(Der Staar pfeift: »Ein freies Leben führen wir, ein Leben voller Wonne!«)

Meister. Schschsch! Halt's Maul, Hanswurscht! (Er geht wüthend auf und ab.) Ja, Die!

Bratscheck. Herr Master, hab'm wer z'sammeng'leckt a vor das armes klanes Madel. Mir wulln mir heut nit fruhstucken.

Meister (nimmt das Geld). Danke, danke schön! Ich lege auch noch en Achtjroschenstück zu, obschon ....... Ende diese Monats Miethe un Miethsabjaben un Schuljeld zu zahlen un keen Holz mehr im Keller is. Na, wir sind doch wenigstens noch jesund un haben Arbeit, da jeht's! Freilich Arbeit und immer Arbeit von früh an bis in die späte Nacht, um mit Sorjen ehrlich durchzukommen, während die Schurken ......

Meisterin. Komm, mein Kind, ich will Dir anziehen un des Brod jeben, un denn mach', daß De zu Hause kommst.

Das arme Kind (freundlich). Adje! Jott soll's Ihnen danken!

Meister. Ja ....... adje, adje, mein Kind! Morjen früh bin ich bei Euch. (Meisterin und Kind ab.) Solche Noth!! Wie lange wird Des noch halten?

(Der Staar pfeift: »Es kann ja nicht immer so bleiben hier unter dem wechselnden Mond!«)

Ja, Du hast Recht, Hanswurscht, es muß anders werden. Wie klug der Vogel immer zufällig die Hauptlieder aus meinen Leben singt, die ich ihm jelernt habe! Wenn der Vogel mal eines Morjens auf 'n Rücken liegt, wird es woll mit Meister Schmidten ooch zu Ende sind. Es kann ja nich immer so bleiben! Ne, des kann es ooch nich! ' Mal wird's des Volk doch einsehen. Es heißt zwar: Schuster, bleib' bei Deinem Leisten! aber des Sprichwort hat jewiß so'n Muckebold von Pfaffe oder Rejierungsmensch erfunden, der nur Herren un Sclaven in der Welt wollte, keene Menschen. (Er stemmt die Arme in die Seite.) Wer is mehr als Schuster? frag' ich! Der Eene macht Jesetze, der Andre Röcke, der Dritte baut Häuser, der Vierte macht Wissenschaft, der Fünfte ackert un ich mache Stiebeln! Des is Mus wie Miene! Im Staat tauschen wir einander aus, was wir können, un im jesellschaftlichen Leben, was wir sind.

(Der Staar pfeift: »Wir Menschen sind ja alle Brüder!«)

Ja woll, Hanswurscht! Wer is mehr als en Schuster? Hans Sachs war en Schuster, un war dabei en Dichter, von den man noch heutzudage spricht, während um ihn rum sojenannte Jroße un Vornehme jelebt haben, die so dodt un so verjeßen sind, deß se eijentlich jar nich hätten leben brauchen! Ne, Schuster, bleib' nich bei Deinem Leisten! Wenn Du jearbrit't un Deine Pflicht als Familienvater erfüllt hast, denn denke an Deine Pflichten als Mensch un Bürjer! Bekümmere Dir um Deine Stadt, um Deinen Staat, um die janze Menschheit, denn Deinentwejen is die Erde von Jott eben so jut erschaffen worden, wie um den Hofrath Sounso mit den rothen Adlerorden! Haste die neuen Stiebeln fertig jewichst, Fritze?

Fritze (sie ihm überreichend). Ja, die Sonne spiejelt sich in ihren Jlanze.

Meister (stellt die Stiefel auf seinen Tisch). Da stehen se! Muß sich nu der Staat nich freuen, deß so 'n Paar prächtige Stiebeln aus meine Werkstelle hervorjejangen sind? Warum jibt er mir keenen Orden? Was? Objleich ich die Orden ....... (Die Uhr schlägt Zwölf.) Was, schon der Vormittag vorüber?

Fritze (im Tone des Nachtwächters). Zwölf schlägt die Glock'!

Meister. Halt's Maul!

Die Gesellen (stehen von der Arbeit auf, reinigen sich, ziehen ihre Röcke an, nehmen den Hut und gehen ab). 'Mahlzeit!

Bratscheck. Gutten Appetiet wünsch' ich Ihne!

Meister. Mahlzeit!

Heinrich und Wilhelm (stürzen herein und werfen ihre Mappen ab). Da sind wir! Die Schule is aus! (küssen ihren Vater) Ju'n Dag, Vater!

Meister. Ju'n Dag, Jungens! Na, man nich so unjebachert! Immer hübsch ruhig un anständig. Was habt Ihr 'n heut jelernt?

Heinrich. Jelernt? Des weeß ich nich.

Wilhelm. Wir haben deutsche Stunde jehabt, un ...

Meister (für sich). Die jlückliche Jugend, die man blos deutsche Stunde hat! (laut) Da kommt de Mutter! Nu macht, un helft den Eßdisch ufziehen!

Heinrich und Wilhelm (auf diesen losspringend). Ja!

Meisterin. Na na, na na, laßt man't Haus noch uf'n alten Fleck stehen! (Sie betrachtend.) Seht 'mal, wie Ihr wieder ausseht! Wo habt Ihr 'n Euch wieder 'rumjesielt, he? Jewiß wieder Kieler oder Murmel jespielt? (zum Dienstmädchen) Dreh des Dischtuch um, Carline: uf die Seite jeht et nich mehr.

Wilhelm. Wat jibt et 'n heute, Carline?

Caroline. Det wirste sehen!

Wilhelm (macht ihr ein schiefes Gesicht). Aeh! Olle ...

Meister (drohend). Du, Wilhelm, ich habe Dir schon ofte jesagt: wenn De jejen Carlinen nich artig bist, denn verjeß' ick mir mal, denn jibt et en Jericht, was De nich jerne eßt: Knallschoten! Lieber kannste mal zu Muttern unartig sind, aber nich zu Dienstleuten.

(Alle gruppiren sich um den Tisch. Der Staar hüpft unruhig auf und nieder und pfeift: »'Naus, 'naus, 'naus und 'naus, zum Potsdamer Thor hinaus!«)

Meister. Aha, der merkt wieder, deß es Mittag is. Fritze, mach' ihm des Potsdammer Dhor uf!

Fritze (thut's). Freiheit, schöner Jötterfunken!

(Der Star fliegt nach dem Tische und setzt sich zur Seite des Meisters, an dessen Teller pickend.)

Meister. Ruhig, Hanswurscht, bis et wat jibt! (zu den Kindern) Beten! (Er faltet, wie Alle, die Hände.)

Luise. Will heut nich beten, ne, will nich!

Meisterin. Stille, Louiseken, falte die Händchen, so!

Heinrich.

Wir sagen Dir, für Speis' und Trank,
Herr Jott im Himmel unsern Dank;
Behüte uns vor Sünd' und Noth,
Und schenk' uns einen sel'gen Tod.

Luise (auf eine Schüssel deutend, während des Gebetes). Katoffeln!

(Nach dem Mittagessen seht sich der Meister in den Sorgenstuhl; der Staar läßt sich neben ihm nieder; die Meisterin und die Kinder gehen leise hinaus und, nachdem der Tisch abgedeckt und das Fenster ein wenig geöffnet ist, auch Fritze und Caroline. Der Meister schlummert eine halbe Stunde.)

Die Gesellen (treten wieder ein, ziehen die Röcke aus, hängen sie auf und gehen an die Arbeit).

Meister (sich reckend). Aaaaach! Fffff! (reibt sich die Augen) Das war en schöner Traum! (steht auf) Marsch, Hanswurscht, in Deinen Pallast! (Er geht zum Bauer und pfeift, worauf der Staar hineinhüpft.) Mir träumte, ich wäre jestorben un nach'n Himmel jekommen, un da kam mir der liebe Jott entjejen un sagte zu mir: Ju'n Dag, Herr Schmidt, wie jeht's Ihnen? Na, antwortete ich, wie Sie sehen! Mit unten is et nanu alle; wie es et nu aber hier oben: muß ich hier ooch arbeiten? I Jott bewahre! sagte der liebe Jott: hier oben müssen Die arbeiten, die unten nischt jedhan haben, un Die, die unten jearbeit't haben, die haben hier bis in die jraue Ewigkeit nischt als lauter Verjnügen! Un nanu war ich mit een Mal in 'ne lustije Jesellschaft von lauter reichen Engeln, die hier unten arme Deibel waren, un des war ein Land voll lauter Blumen un jrünen Bäumen, un die Blumen sangen alle wunderschöne Freiheitslieder und dufteten so, deß man in Seligkeit schwamm. Un aus hundert Quellen sprudelte Champagner, un wie ich mir eben einen joldnen Becher von schöpfen wollte, da kamen Sie, meine Herren Jesellen, un weckten mich un – nu bin ich wieder der Schuhmachermeister Schmidt in seiner Werkstelle un muß arbeiten, deß Frau un Kinder Kartoffeln un Brod haben. Na, schad't nischt! Ich weeß doch nu, wie es mit uns wird, wenn wir erst den letzten, den jrünen Ueberrock mit de Vergißmeinnich anhaben. Freilich könnten wir Menschen uns den Himmel schon hier machen aber ..... die Sterne!

Hekler. Aber wir sind zu dämlich!

Fritze (eintretend). Die Frau Jeheime Ober-Mezinal-Räthin von Kaltmacher lassen den Herrn Meister sagen, er möchte oogenblicklich bei ihr kommen und ihr Maaß nehmen!

Meister. Schön! Ich würde mir jleich anziehen un kommen.

Fritze. Schön! (für sich) Nu jeht der Meister fort, nu jeht die Jeselligkeit an. (ab.)

Meister (nachrufend). Die Meisterin soll mir mein Zeug 'rauslegen! (lächelnd) Frau Jeheime Ober-Medezenal-Räthin! Nu möcht' ich wissen, was Die von de Arzneikunde versteht; wir Vielen Die schon de Kur jemacht hat. Der Deutsche is doch en Esel mit seine Titel! (zu den Gesellen) Ich bin bald wieder hier, atje! (ab.)

Scheerenthal. Man keene Uebereilung!

Hekler (läßt die Arbeit und reckt sich). Aeh! Immer arbeiten, det weeß der Deibel! Ick jloobe jar nich, det der Mensch eejentlich arbeeten soll, denn sonst hätte ihn Jott die Lust dazu anjebären lassen. Anstatt haben wir blos Hang zum Verjnüjen. (stößt seinen Nachbar Kruse heimlich an und deutet auf Bratscheck.) Na, Bratscheck, wie is et 'n mit Deine Jräfin? Mit die schöne reiche Witwe; die nebenan wohnt, wo Du in Schlafstelle ligst, un die Dir immer so ansieht als ob? Seid Ihr noch nich verlobt?

Bratscheck. Ach, Ihr spaßt!

Hekler. I, soll mir Eener en Dhaler schenken, wenn ick spaße! Die Jräfin is in Dir verliebt, wat ick Dir sage! Wat is 'n ooch da dabei? Du jloobst woll, weil Du blos en Schusterjeselle bist un sie 'ne Jräfin? Aeh, herrjeses! Du weeßt man jar nich Bescheid, Du bist blos en Böhme; aber davor kannste nich, darüber mach' ick Dir keenen Vorwurf. Ick sage Dir, die Jräfins un alle die vornehme Damen haben jetzt 'ne wahre Wuth, Schusterjesellen zu heirathen! Vielleicht, weil se ............ Ick sage Dir, et sind jetzt kaum so viel Schusterjesellen ufzudreiben, wie die Gräfinnen un Baronessen heirathen wollen!

Bratscheck (erstaunt). Alle bitt' ich Ihne!

Scheerenthal (sehr ernst ihm zunickend). Ja, Hekler hat Recht; et is so.

Kruse. Wir werden Dir det doch nich sagen, Bratscheck, wenn et nich so wäre. Wir sind so rechtschaffene Jemüther: laute drei Mal jenähte Ehrlichkeit. Wat sagste dazu, det sich mir neulich 'ne medisirte Fürschtin von 17 Jahren, wunderschön, un mit en Vermögen von 7 Millionen hat antragen lassen? Wat?

Bratscheck. Alle Sakramentzki! Und hast sie nit g'heirath't?

Kruse. Ick habe ihr ausjeschlagen. Erschtens darum, weil ick mir sollte in den Freiherrnstand bringen lassen, wat ick wejen mein Jewerk nich dhun wollte, un zweetens, weil ick meinen alten Jejenstand, die Dörthe, die bei'n probirten Zahnarzt Pundsdag dient, mein Wort jejeben habe un weil blos Schurken ihr Wort nich halten. Aber ick sage Dir, wie mir die medisirte Fürschtin jeliebt hat; ick sage Dir: doller kann keen Fürscht seine Unterthanen lieben! Des war 'ne Liebe! Da is Deine ihre jar nischt jejen! Seh' mal: heute, wie sie mir noch hoffnungsvoll liebte, war se frisch un jesund un et fehlte ihr jar nischt. Nu kriegt se meine abschläjige Antwort, wo ich ihr ihr Herz refusire: bumms, war se alle! Ick sage Dir, Bratscheck, Dein Schatten, wenn De uf de Straße jehst, des is en Viehmäster jejen die Fürschtin, so mager is se in zwee Dagen aus Jram unerhörter Liebe eines Schusterjesellen jeworden. Wenn se jeht, klappern ihr alle Knochen un ihr schönes schwarzes Seidenhaar sieht wie Kümmel un Salz aus.

Bratscheck. O arme, arme Narr! Herr Vatter meiniger hat Frau Mutter meiniges auch nit g'nommen. Ich, hätt' ich gnädges Fürschtin doch ......

Kruse (stolz thuend). Ne! Als Schuster nie! Wenn nich die Bedingung bei jewesen wäre, deß ich hätte Freiherr werden müssen, denn hätt' ich villeicht die 7 Millionen mitjenommen, un hätte meine Dörthe einen Posementirladen jekooft. Aberscht Schuster sein, wirklich Schuster sein, alleweile anjetzt, wo der Handwerker der erste Stand is, un der Schuster am ersten, un Freiherr werden: !

Scheerenthal (ein Stück Leder in's Weichfaß tauchend). Jott bewahre! (hämmernd) Wer es ein Mal bis zum Schusterjesellen jebracht hat, der muß ooch seinen Stolz haben.

Hekler. Ja woll! Bratscheck, wenn ich wie Du wäre, der Du nich so uf de Schusterei versessen bist, ich nähme ihr, die Jräfin. Seh' mal, der Kruse hat nu schon 'ne Fürschtin uf sein Jewissen, un wenn Du nu ooch die Jräfin aus unjlücklicher Neijung umbringst, so jeht am Ende der janze Adel aus, un des wäre schrecklich.

Bratscheck. Aber wenn is'e nur wahrr, daß is gnädiges Frau Gräfin so narrisch in mich verliebt?

Hekler. I, det müßten wir nich wißen! Frage man Krusen, der hat et jesehen. Mensch, wo haste denn Deine Oogen? Wahnsinnig is se in Dir jeschossen! Wie Du neulich mit uns durch de Heiljejeist-Straße nach den Kröcherschen Schnapsladen jingst, un die Jräfin fuhr mit ihre vier Schimmel an uns vorüber: Kruse, erinnerste Dir?

Kruse. Na ob!

Hekler. Ne, so was von Liebe is mir noch jar nich vorjekommen! Der Jäger, den se hinten uf hat, der jloobte, sie fiele ihn Ohnmacht, so seufzte se, als sie Dir erblickte, un mit den Worten »Mein Bratscheck!« hielt sie sich ihren Battist vor de feine Nase. ( Fritze tritt ein, Hekler gibt ihm ein Zeichen.)

Fritze (für sich). Aha! (Er zieht ein Billet aus der Tasche, laut.) Da hat mir draußen ein mit Jold un Silber einjefaßter Bediente en Billet (er besieht dasselbe und liest) »An Herrn Herrn Fußbekleidungskünstler Bratscheck« jejeben. Det kann doch nich an Ihnen sind, Herr Bratscheck?

Kruse. Na, det versteht sich, Schaafskopp!

Bratscheck (sich entfärbend). Für mich Brief?

Scheerenthal (zu Fritze). An wen soll et sonst sind, dummer Junge! (zu Bratschek) Des is von Ihr! Des hört man schon an die vornehmen Ausdrücke!

Hekler (zu Fritze). Jib her! Des is von de Jräfin. (Will Bratscheck den Brief übergeben.) Nu wirste sehen, deß wir Recht haben.

Bratscheck. Nein, kann ich allweil nit lesen, les' Du! Bin ich so erschrucken, trifft mich beinah Schlak!

Hekler (den Brief erbrechend). Na, meintwejen! Aber deß Du Dir darüber so wunderscht, des is mir unerklärlich!

Scheerenthal. Mir ooch.

Kruse. Ja, mir ooch.

Hekler (Bratscheck betrachtend). Du bist freilich etwas kleene von Statur un etwas zu stark im Verhältniß zu de Länge, un wenn ooch Dein Jesicht jrade nich zu zart is un Dein Mund un Deine Nase nich zu unbedeutend, un Deine Beene in der Kniejegend etwas Annäherungsneijung haben, so hast Du doch immer krauses Haar un bist en anjenehmer Mensch! (Er liest.) »Holder Bratscheck!« – Na ja, da haben wir's! (fortfahrend) Seit zwei Monaten schwärme ich mich bald die Seele nach Sie ab. Nicht allein man blos Ihr schönes Wösen, wenn auch klein – siehste woll! – bezauberte mich, sondern auch Ihr Stand, da sich seit Jahren alle meine Jefühle vor die Fußbekleidungskünstleer erweiterten, und meinen Busen nur Ein Jedanke durchflammte, an die Seite eines Solchen durch dieses Erdenleben zu wandeln. Da erblickte ich Ihnen, holder Bratscheck, welcher Sie, wie ich in Erfahrung jebracht, von wirklicher böhmischer Abkunft sind, und mein Herz flog in Ihren Busen und die leere Stelle erwartet nun das Ihrige. Die erröthende Wange meiner Schamhaftigkeit verbot mich bis jetzt, Ihnen mein zartes Jeständniß zu Ihren schönen Füßen zu legen, aber der Schmerz unerhörter, nie dajewesener Liebe besiegte öndlich meine Angst und so rufe ich Dir zu: reizender Fußbekleidungskünstleer, Bratscheck, Böhme, sei mein! nenne mir Du! sei Jraf! – Wenn Sie diese Knospe meiner Liebe aufblühen, und sie und mich nicht verwelken lassen wollen, so erwarte ich Ihnen morgen Mittag um 12 Uhr bei mir. Mein Jäger wird Ihnen melden. Ihre in Liebe und Sehnsucht schmachtende, Ihnen bekannte Jräfin.«

Die Andern. Js es möglich!

Fritze. Herrjeeses so 'n Jlück!

Hekler (halb ärgerlich). Wenn De nu morgen nich um punkte 12 Uhr bei de Jräfin bist, denn verdienste, deß man Dir nich mehr ansieht!

Bratscheck (der sich kaum zu fassen weiß). Alle bitt' ich Ihne um fünf Wunden Christi, lassens mich!

Fritze (Steckt die Lampe auf dem Arbeitstische der Gesellen an, und hängt die Glaskugeln auf; horchend). Der Meister kommt!

Bratscheck (schnell). Will ich hingehen, aber sagts nix Herrn Master unsrigen!

Kruse. Ne, verlaß Dir druf, wir sagen nich 'ne Sylbe, ehr die Sache nich janz in Ordnung is. Aber eens bitt' ick Dir nur: nimm Deinen janzen Stolz zusammen un sei nich etwa kriechend! Du bist Schuster! un des will was sagen! (Der Meister tritt ein). Der Schusterstand is ein sehr achtungswerther.

(Der Staar pfeift: »Gott grüß' Dir, Bruder Straubinger!«)

Meister. Ju'n Abend, Hanswurscht! (hängt seinen Hut auf: zu den Gesellen) Streit't Einer von Euch, deß unser Stand ein achtungswerther? Oho, den wollt' ich! Nich allein, daß Hans Sachs, un noch en Philosoph, den ich verjeßen habe, Schuster waren, auch Crispin un Crispinianus, zwei Brüder aus Rom, die nach Frankreich jingen, um dort des Christenthum zu verbreiten, waren Schuster. Den 25sten October, an welchen sie als Märtyrer hinjerichtet wurden, feiern wir noch. Das Sprichwort sagt zwar: Crispin stahl den Reichen das Leder, um den Armen Schuhe draus zu machen, aber ........ woher hatten die Reichen das Leder? Un Kaiser Karl V., ein Kaiser, der noch was darauf jab, was das Volk über seine Rejierung dachte, jing einst inkognito in Brüssel umher und kam am heiljen Crispintage, weil er sich einen Stiefel zerrißen hatte, in die Kneipe der Schuhflicker. »Oho!« antworteten sie ihm, »heute wird nich jearbeit't! Jo nich! Aber wollt Ihr mit uns saufen, so seid Ihr willkommen!« Das that denn der Kaiser auch, jab sich zu erkennen un verlieh den Schustern ein Wappenschild: einen Stiefel mit einer Kaiserkrone drunter. So ehrte ein Kaiser im 16ten Jahrhunderte die Jewerke! (höhnisch lachend) Un wie sieht's heute aus, wo wir um drei Jahrhunderte klüger un besser sein sollten!! (Er wirft sein Käppchen auf die Erde.) Schändlich! Schändlich! Aber is denn das nich ein historischer Adel, den die Schuster besitzen? Ein Wappenschild mit einen Stiefel und einer Kaiserkrone drunter, von einen deutschen Kaiser verliehen – is des nich en Adelsdiplom so jut wie irjend en andres? (auf den Lisch schlagend) Ja, bei meiner armen Seele: wir sind adlig, wir Schuster!

Kruse Hekler (fortarbeitend). Hurrah!

Fritze (springt auf und tanzt). Hurrah!

Meister. Fritze, deß ich Dir nich zum Ritter schlage!

(Der Star pfeift: »Ach wär'ich doch fröhlich so gerne, und kann doch recht fröhlich nicht sein!«)

Scheerenthal (ohne von seiner Arbeit aufzusehen). Wenn's dem Meister recht wäre, machten wir Jesellen heut 'ne Stunde früher Feierabend, wo möglich jleich, un feierten unsern Adel im Wirthshause.

Kruse. Ja!

Hekler. Ja, des is 'ne jute Idee!

Meister. Ne, Kinder! So jern ich Euch un allen Menschen lustije Stunden jönne, et jeht nich. Ihr habt bei mir ohnehin zwee Stunden früher Feierabend als anderswo. Die anjefangene Arbeit muß fertig, erschtens, weil ich se meine Kunden versprochen habe, un zweetens, weil ich Jeld brauche. Ja, wenn ich nich so 'n armer Deibel wäre, der immer arbeiten muß, um mit Frau un Kinder ehrlich durchzukommen: en Jrillenfänger bin ich bei Jott nich! Im Jejentheil, wenn ich 'mal in's Wirthshaus jerathe, denn drink' ich un singe un juble, un falle alle Menschen so lange um 'n Hals, bis ich unter'n Disch falle. Darum muß ich mir in Acht nehmen. (schlägt auf seinen Tisch) Aber den nächsten blauen Montag, da wollen wir zusammen verjnügt sein! Da jeh' ich mit Euch!

Scheerenthal. Der Meister?

Hekler. Sie?

Meister. Dummes Zeug, ja. Ich! Wir Menschen sind ja alle Brüder! Nich wahr, Hanswurscht? Na, so pfeife doch des hübsche Lied, dummer Kerrel! (Der Staar schweigt.) Nu seh' Eener an, wie tücksch der Bengel heut is! Na, wenn Du nich pfeifen willst, denn pfeif' ich mir bei der Arbeit alleene mein Lied.

(Lange Pause.)

Meisterin (tritt ein und geht zum Arbeitstische ihres Mannes; leise zu ihm). Du, Vater, ich habe keen Wirthschaftsjeld mehr. Jib mir was!

Meister (ebenfalls leise). Ja, ich habe nich en Jroschen mehr! Jestern mußt ich die Lederrechnung bezahlen un heute Morjen hat mir des arme Kind des Letzte jenommen. Morjen jibt's wieder Jeld. Brauchste denn heute durchaus noch 'was?

Meisterin (wie oben). Ne, aber ich wollte Dir heute Brathechte machen, weil Du die so jerne ißt, un morgen früh brauch' ich Brod un de Milchfrau kommt.

Meister (wie oben). Na, denn muß ich noch ... (Man klopft.) Herein!

Ein Herr. Guten Abend! (zum Meister) Können Sie mir wohl bis übermorgen früh ein Paar Stiefel machen?

Meister. O ja, es muß jehen. Wollen Sie sich jefälligst zum Maaßnehmen setzen. (Es geschieht.) So! Wohin befehlen Sie die Stiefel?

Der Herr. Luisenstraße Nr. 91. beim Bauconducteur Meißel. Hier haben Sie einen Thaler Draufgeld. (legt das Geld auf den Tisch) Gute Nacht! (ab.)

Meister. Wünsche recht wohl zu schlafen! Fritze, leuchte den Herrn! – Mutter!

Meisterin. Hm?

Meister (ihr zublinkend). Sei so jut un nimm den Dhaler nach Dir; ich habe keene Zeit; ich will die Stiefel jleich noch zuschneiden, damit sie jleich morgen früh in Arbeit kommen.

Meisterin (nimmt das Geld). Jut! (Sie will gehen.)

Meister. Du, Mutter!

Meisterin. Na?

Meister. Bring' die beeden kleenen Jören noch nich zu Bette; ich will se noch erst mal abknuhtschen.

(Die Wanduhr schlägt Acht.)

Meisterin. Na denn komm aber bald! (ab.)

Die Gesellen (säubern sich, ziehen die Röcke an, nehmen den Hut und gehen). Ju'n Nacht, Meister! Wohl zu schlafen! (ab.)

Bratscheck. Wohl zu schlafen, wünsch' ich Ihne! (ab.)

Meister. Ju'n Nacht!

(Der Star pfeift: »So leben wir, so leben wir alle Tage!«)


Druck von Bernh. Tauchnitz jun.

 


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