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Fünftes Kapitel

Vincentius

Atemlos kommen Renata und Gertrud die Treppe von der Halle hinauf, als die Tür der fünfeckigen Kammer aufgeht und Bischof Ottmar und der Kaufmann auf sie zueilen, mit demselben Ausdruck von Bestürzung, die in ihren eigenen Mienen und Bewegungen sich spiegelt.

»Habt Ihr'dauch gehört?« fragt Renata.

»Ja aber was? es ist ein unbestimmtes Summen in der Luft – ein verworrener Klang – –«

»Hier, glaub' ich, werden wir es besser hören können,« antwortet Renata und pocht kräftig an die Tür der Stadtstube.

Keine Antwort.

Ottmar, der jetzt neben ihr steht, öffnet mit einem heftigen Ruck die Tür.

Indem sie eintreten, treibt der starke Luftzug das Fenster auf – es mußte schlecht geschlossen gewesen sein.

Der frische Morgenwind trägt ihnen den Laut entgegen. Er ist nicht zu verkennen.

»Sie beiern unten.«

»Mein Gott! sollte die arme Stadt auch von Feuersnot betroffen sein?«

Alle stürzen zum Fenster.

Über den grauen Schiefer- und Schindeldächern dort unten ist kein Rauch zu sehen.

Aber noch etwas anderes als das Beiern der Glocken ist in der Luft: – ein beunruhigendes massiges und wirres Summen und Murren.

Und jetzt, in unmittelbarer Nähe, hinter und über ihnen das Horntuten des Turmwächters, das so plötzlich und gewaltsam einsetzt, daß sie alle unwillkürlich zusammenfahren.

»Ist's dort – dort unter den Kastanien – nicht schwarz von Menschen?« fragt der Kaufmann, der weitsichtiger ist, als der Bischof.

Dieser beugt sich eifrig zum Fenster hinaus.

Etwas Rotes flammt vor seinen Augen und legt sich wie eine Binde darum.

Die freimachende Hand ergreift ein rotes Halstuch, das an einer Schnur am Fensterrahmen flattert.

»Was ist dies? – Drei Wimpel!«

»Offenbar ein Zeichen!«

Gertrud, die blaß wie ein Laken geworden, wankt ein paar Schritte zurück und sinkt auf einen Stuhl. Sie darf nicht mehr bei den anderen stehen. Sie fühlt sich als Verräterin, wenn sie es auch Allen zum Besten getan hat – den bösen Bischof ausgenommen.

Ein tausendstimmiges Gebrüll von unten – selbst das Tuten vom Bergfried her ertrinkt darin

Alle Blicke richten sich nach der Brücke.

Sie ist nicht mehr leer.

Unter dem Dache der Kastanienkronen bricht ein dunkler Strom hervor, gleich einem Fluße, der aus einer geöffneten Schleuse sich in sein Bett ergießt. Eine eng zusammengedrängte Menschenmenge – goldene Kruzifixe, Prozessionsbanner und Gildefahnen, Morgensterne, Hellebardenäxte, Speerspitzen, Sensen, Heugabeln und Spaten schwanken und blinken über allen diesen Köpfen, deren Gesichter nach oben gewandt sind – nach ihnen. Die Spitze des Zuges ist schon über den steinernen Teil der Brücke hinweg, die Bretter dröhnen hohl unter den Massentritten. Immer wieder und wieder entsteigt diesem Menschenfluß ein brüllender Ruf: – stets derselbe kurze fanatische Ausbruch. Man kann die drei Worte nicht verstehen, aber erratend hört man den alten Kreuzfahrerruf – jenes »Gott will es!«, das schon so manche blutige Gewalttat eingeläutet hat.

»Sie kommen. Es ist zu spät!«

Mit diesem Ausruf wendet Renata sich ab. Sie ist blaß, nicht wie die Schwägerin gleich einem Laken, sondern gleich dem Marmorbild eines Grabgewölbes.

Jene innere Stimme, die vorgestern hier in der Burgstube ihr so mahnend ertönte: ›werden für dich noch vier Tage kommend? – noch drei? – noch zwei? wie wahr hat sie gefragt! Nur zwei, und von dem zweiten nur ein paar Stunden, deren letzte schon verrinnt!

»Wo ist der Hausmeier? Wir müssen – –«

Ottmar stürzt zur Tür, wo er mit dem hereintretenden Vincentius fast zusammenstößt.

Bestürzt, sein Zimmer voll ungeladener Gäste zu finden, blickt Vincentius sich verwirrt um.

»Kommt Ihr, um nach Eurem Werke zu sehend wie, mein Herr Famulus? Wißt Ihr vielleicht, was jenes Zeichen bedeuten soll?«

Vincentius hat seine Fassung schon wiedergewonnen. Seine blassen Lippen umschlängelt ein giftiges Lächeln.

»Es bedeutet, daß ich Euch nicht in die Falle ging. Nein, ich ließ mich nicht durch die schöne Gelegenheit verlocken, mich durchs Fenster zu flüchten und mein Genick zu brechen – das schlug fehl.«

»Aha! Also das war meine Absicht?«

Gertrud faltet die Hände, als sich dieser teuflische Anschlag auf das Leben ihres Geliebten entschleiert.

»Gewiß war das Eure Absicht. Zu dem Zwecke habt Ihr mir die Stube anweisen lassen. Ich aber benutzte sie dazu, Hilfe herbeizurufen – Hilfe für mich und für diese edle Dame, die ihr Schicksal mit dem meinigen verbindet, und die Ihr schon wähntet in Eurer Gewalt zu haben, um Euch ihrer Person und dieser Burg, die ihr Erbe ist, zu bemächtigen.«

»Seid Ihr von Sinnen?«

»O, ich habe keinen Grund es zu sein. Denn die Hilfe kommt. Und es bedeutet, daß die schwer heimgesuchte Stadt Strafe über diese Frau verlangt, Eure Geliebte, unter deren Sünden sie so furchtbar leidet. Denn sie ermordete ihren Gemahl, sie tat es, ich weiß es ... um Euer Kebsweib zu werden tat sie's, ich habe Zeugnis dafür. Ihre pestilenzialische Ketzerei aber ist am besten bezeugt durch ihre Verbindung mit diesem Manne, mit dem großen Gottesfreunde. – Wie? überrascht Euch das nicht?«

»Nichts überrascht mich – außer Eurer Frechheit.«

»Wirklich nicht? – Nicht der Scharfsinn, der das Wild aufspürte, obwohl Ihr mich absichtlich auf falsche Fährte geschickt habt? Jawohl, ich ganz allein fand den Erzketzer und habe sichere Beweise, – daß er der große Gottesfreund ist. O, das ahnt noch keiner dort unten. Auch Bruder Martin läßt sich in diesem Augenblick nicht träumen, welchen unvergleichlichen Fang – –«

In der Alkoventür steht Konrad.

Mehr denn je scheint das pelzartige rotbraune Haar seine Spitze in die zusammengewachsenen Augenbrauen bohren zu wollen.

Der Blick, der unter ihnen hervorschießt, lähmt die Zunge des triumphierenden Famulus.

Gertrud, die sich beim Hereintreten ihres Geliebten erhoben und mehr als einmal versucht hat, eine Aufklärung zu geben, so wenig sie auch selber eigentlich das Betragen Vincentius' begreifen kann: – Gertrud benutzt diese Pause. Sie ergreift die Hände Renatas und die des Gottesfreundes: –

»Fürchtet Euch nicht. Er spricht ja nur so! Es ist gar nicht seine Absicht, meinen Freunden Schaden zu tun – im Gegenteil! Er will uns alle aus der Gewalt dieses furchtbaren Mannes befreien.«

Ihr Blick zeigt auf Ottmar, der sich jetzt an Konrad wendet: –

»Gut, daß Ihr da seid, Hausmeier! Ich wollte Euch gerade suchen – –«

Aber Konrad unterbricht ihn, indem er sich mit untertäniger Verbeugung an Renata wendet: –

»Ich muß der gnädigen Herrin melden, daß Kurt, den ich durch den Wald nach Affortsbach zu schickte, den Hohlweg mittels gefällter Bäume gesperrt und den Verhau von bewaffneten Bauern stark besetzt gefunden hat.«

»Der einzige noch übrige Weg!«

»Aber der Steg?« fragt Ottmar. »Kann nicht wenigstens der Kaufmann zu Fuß über den Steg entkommen?«

Ein freundlicher Blick der kleinen hellen Augen Konrads dankt ihm diese Frage. Sie wird jedoch mit einem mißmutigen Kopfschütteln beantwortet.

»Auch der Steg ist bewacht. Der Turmwächter meldet, daß der Kalvarienberg von aufrührerischen Bauern wimmelt.«

Vincentius lacht: –

»Die Falle ist zugeklappt. Bruder Martin hat Wort gehalten. Bald wird er an das Tor klopfen.«

Ja, bald – sie kommen. Er kann von unten den Ruf der Kreuzfahrer vernehmen. Sie zu sehen, ist er hergekommen, und sehen will er sie.

Ungeduldig schiebt er Gertrud zur Seite, die ihm schnell etwas ins Ohr raunen will.

Er steht am Fenster.

Die Brücke dort unten ist voll von Menschen. Sie sind an der untersten Biegung des Fußpfades zu sehen – an der nächsten noch nicht. Einige klettern aufwärts durchs Gebüsch zwischen Felsstücken, wo kein Steg ist, offenbar weil der Zug den Weg versperrt hat. Dieser ist vom Bergwalde verborgen. Nur dort – blinken nicht dort Waffen durch das Laub?

Er neigt sich weiter vor, um besser zu sehen.

Das flatternde rote Tuch blendet ihn.

Er reißt es los. In wahnsinnigem Eifer schwenkt er es, als ob er dadurch den Zug der Kreuzfahrer beschleunigen könnte.

Mit einem verzweifelt ratsuchenden Ohnmachtsblick sieht Renata auf den Meister, der leise zur zitternden Gertrud spricht, auf den finster grübelnden Ottmar, auf Konrad – –

Aber sein Gesicht verschwindet, kaum daß sie ihr Auge darauf richtete.

Alle zucken zusammen – blicken sich erschrocken um.

Was geschieht? Was ist das für eine gewaltsame Bewegung in ihrer Mitte, in dem engen Raume, wie wenn ein mächtiges Raubtier in seinem Käfig auf das Gitter losspringt – ?

Fuchtelnde Arme und Fäuste, zappelnde Beine gegen die Luft, Kracken, Rassen, Klirren von ausgestoßenen Scheiben, Bleieinfassung, Holzrahmen ...

Keuchend steht Konrad am Fenster – allein.

Versteinerte Stille.

Endlich, endlich – tief unten ein dumpfes Platschen.

Und dann – fast gleichzeitig – ein Wutgebrüll von dem Zug unten auf der Brücke, aus ihrer eigenen Mitte aber ein herzzerreißender Schrei.

Gertrud liegt wie leblos am Boden.


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